Der Güldene Baum

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Bonalibona atmete tief aus und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Dann nahm er ein paar kräftige Züge aus der Pfeife. Miriam, Luna und Max sagten kein Wort und kuschelten sich ganz eng aneinander unter eine Decke auf das dicke Sofa. Mit großen Augen sahen sie auf den Zauberer, der in seinen blauen Mantel gehüllt, wie ein König in seinem Sessel thronte.

“Ihr fürchtet euch doch nicht - oder? Ich kann euch ja kaum noch sehen. - Hihihihi - ja - ja, so ist das mit den alten Geschichten. Keiner nimmt sie ernst oder glaubt daran, doch wenn man sie erzählt, zittern alle vor Angst. - Schnick - schnack - es gibt keinen Grund Angst zu haben, jedenfalls nicht jetzt. Damals jedoch - ich meine - als meine Freunde und ich das erste Mal diese großen Schatten sahen und diese Töne vernahmen, da war das schon etwas anderes. Ich war ja fast noch ein Kind - ein Zauberlehrling - und hatte keine Ahnung von den Dingen in der Welt. - Aber heute - es ist langweilig geworden - es gibt nichts mehr zu zaubern - alles machen diese blöden Computer. Weil die Menschen träge wurden, sie wollen nicht mehr träumen - haben keine Fantasie mehr. Und das Ende vom Lied - die Märchen sterben aus - und mit ihnen die Zauberer, Elfen, Feen, Trolle, Gnome und Riesen. Es ist ein Verhängnis - jawohl - ein richtiges Verhängnis. Aber Gott sei Dank gibt es ja noch mich, den großen Bonalibona, den Meister aller Zauberer und Magier. - Wo war ich noch stehen geblieben? - Richtig - bei den großen Schatten. - Nun alles klärte sich im Nu auf, denn die Schatten waren nichts anderes als Kraniche, die auf der Lichtung landeten. Und mit den Trompetenrufen begrüßten sie sich und den nahenden Frühling. Das ist alles. He - was ist los? Hat es euch die Sprache verschlagen? Na los ihr Hasenfüße, kommt heraus unter eurer Decke - hahahaha!”

Bonalibona schüttelte sich vor lachen, und sein großer Hut wackelte wie ein Pudding auf dem Teller. Vorsichtig steckten die Kinder ihre Nasen unter der Decke hervor. Da saß er nun, der große Zauberer und Magier und bekam kaum noch Luft vor lauter Lachen. Miriam, Luna und Max schauten sich an. Das war ihnen ja noch nie passiert. Da sitzt ein Zauberer und erzählt ihnen Geschichten, und sie verstecken sich vor Angst unter einer Decke.

“Was - was - was sind wir doch für Hasenfüße. Es ist doch bloß eine Geschichte. -- Schaut nur, draußen gehen die Laternen an. - Oh Gott, wie spät ist es überhaupt. Wir müssten doch längst Zuhause sein” flüsterte aufgeregt Luna.

“Dann kommen wir eben etwa später. Schließlich haben wir in ein paar Tagen sowieso Ferien. - Ja - das ist doch, wauu - schaut euch das an. Da kommen Menschen aus den Häusern. Und wie die alle aussehen. Seht nur, die Kleider - wie von früher” rief Max laut.

“Das ist ja fast wie im Märchen” hauchte Miriam.

“Ja - ja, fast wie im Märchen. Ist das alles was ihr dazu sagen könnt “fast wie im Märchen? Oh je, womit habe ich das nur verdient. Da gibt sich unsereins die größte Mühe, zaubert bis die Socken qualmen und was ist der Dank? -- Es hat keinen Zweck - oder ich bin zu alt geworden. -- Aber eins sage ich euch, glaubt ja nicht, dass ich euch noch Mal in mein Haus einlade. Nie mehr. So - und jetzt geht nach Hause, zu euren Eltern, in die keimfreien Wohnungen mit den weißen, leblosen Wänden. Da warten schon die Glotzen auf euch mit der Berieselung. Die erzählen euch dann die wahren Märchen des Lebens. - Na los, worauf wartet ihr noch - geht schon. Ich muss mich um meine Freunde kümmern.”

Bonalibona huschte zur Tür, riss sie mit einem Schlag auf, und bevor Miriam, Luna und Max noch etwas sagen konnten, saßen sie auf dem Gehweg, wo die Menschen der Stadt, bepackt mit Tüten, Taschen und Körben an ihnen vorbei rannten. Niemand achtete auf die Kinder, die mit großen Augen diesem seltsamen Treiben zusahen. Miriam, Luna und Max blickten sich nur an. Langsam drehten sie sich um. Von der schmalen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern war nichts mehr zu sehen, nur das Getrappel der Füße vieler Menschen hallte wie ein bedrohlich nahendes Unheil über ihre Köpfe hinweg.

“Einfach unglaublich - das gibt es doch überhaupt nicht. Das ist ja wie im Märchen” stieß Max stotternd hervor,

“so was habe ich noch nie erlebt. Das glaubt uns kein Mensch.”

“Aber wir glauben es, und das sind schon drei Menschen. Und andere Kinder werden es auch glauben. Wir müssen es nur richtig erzählen. Du wirst sehen, bald werden viele Kinder in die alte Gasse mit den windschiefen alten Häusern gehen. Dann wird Bonalibona auch nicht mehr verärgert sein. Ich kann ihn verstehen, er hat sich wirklich große Mühe gegeben - und wir? Wir haben nur da gesessen und an ihm und seinem Leben herumgemäkelt. Ich kann ihn verstehen. - Kommt - gehen wir heim.”

“Meinst du wirklich Max, wir werden Bonalibona wiedersehen?”

“Da bin ich ganz sicher Miriam. Und du Luna, mache nicht so ein trauriges Gesicht. Eigentlich war es doch sehr lustig bei dem alten Fuchs, findet ihr nicht. Wie er uns begrüßt hat, in seinem blauen Mantel mit den goldenen Sternen.”

“Und sein großer Hut mit der langen Feder” kicherte Luna.

“Da ist ja schon Tommys Laden. Ob er wohl in der Werkstatt ist?”

“Vielleicht Luna, aber wir werden Tommy heute nicht mehr besuchen. Es ist schon spät. Unsere Eltern warten bestimmt schon mit dem Essen.”

“Ach was Miriam, ich habe überhaupt keinen Hunger. Das waren aber auch leckere Sachen, die uns der Zauberer zu essen gegeben hat.”

“Na seht ihr, die Tür ist zu und alles dunkel. Tommy ist nicht mehr da. Vielleicht treffen wir ihn morgen oder nächste Woche. Die Märchen laufen uns nicht weg, wenn wir nur fest daran glauben.”

“Du hast recht Max, wir müssen nur daran glauben. - - Also dann Tommy, bis nächste Woche. Und bestelle Bonalibona viele Grüße von uns. Wir kommen ihn bald wieder besuchen” riefen Luna und Miriam wie aus einem Mund.

In Tommys Werkstatt war alles still. Auf dem großen Tisch standen die geschnitzten Tiere, Bäume und Menschen ganz ruhig beieinander. Über der kleinen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern wölbte sich der dunkle, sternklare Himmel. Aus den winzigen Fenstern fiel das Licht zahlreicher Laternen auf das Pflaster der Gasse. Ganz leise erklang das Gemurmel von Stimmen, eine Katze miaute und die Glocke der Turmuhr schlug mit hellem Klang.

Vielleicht war ich etwas zu grob, bestimmt war ich zu grob. - Ach Bonalibona, du alter Zauberer, wirfst die Kinder einfach hinaus, nur weil sie nicht auf Anhieb deine Geschichten glauben. Es ist ja auch nicht so leicht, in der heutigen Zeit. Jedenfalls werde ich mich bei Miriam, Luna und Max entschuldigen. - Jawohl - das werde ich tun. - Ich - der große Bonalibona werde um Verzeihung bitten für mein ungebührliches Verhalten. - Bin nur gespannt, ob die Kinder zurückkommen? Aber - natürlich kommen sie zurück. Kinder sind neugierig und glauben noch an Märchen - auch im Computerzeitalter - oder gerade deshalb. - Ja - ja - so werde ich es machen. Ich glaube, ich habe da eine fantastische Idee.

Luna, Miriam und Max erreichten ihr Zuhause und sagten den verdutzen Eltern, dass sie bei einem sehr guten Freund zu Abend gegessen hatten. Und das Tommy in seiner Werkstatt wunderschöne Figuren geschnitzt hat.

“Ach so, viele Grüße noch von Bonalibona an euch alle.”

“Bonalibona - ja wer ist denn das?” fragten die Eltern der Kinder.

“Ein sehr guter alter Freund. Ihr müsstet euch an ihn erinnern. Ihr seid ihm als Kinder sicher begegnet. - Also dann - gute Nacht und träumt was schönes.”

Miriam, Luna und Max sagten für heute Gute Nacht und träumten schon bald von einer alten kleinen Gasse mit windschiefen alten Häusern. Endlich sind große Ferien. Miriam, Luna und Max haben noch eine ganze Woche für sich allein. Danach werden sie mit ihren Eltern in Urlaub fahren. Miriam auf die Nordseeinsel Norderney, Max in die Deutschen Alpen und Luna zu ihren Großeltern in den Spreewald. Diese eine Woche wollen sie unbedingt nutzen, um ihren Freund Tommy in seiner Werkstatt zu besuchen. Außerdem ging ihnen der Zauberer Bonalibona nicht aus dem Sinn. Waren sie ihm wirklich begegnet? Saßen sie tatsächlich in seinem prachtvollen Haus und lauschten atemlos und mit Herzklopfen seinen fantastischen Erzählungen vom Anfang der Welt? Je mehr Zeit darüber verging, um so weniger waren sich die Freunde sicher, ob nicht doch alles nur ein Traum war, ein wunderschöner Traum zwar, doch keine Wirklichkeit.

"Wir sind da, schau Miriam, es brennt sogar Licht in der Werkstatt. Komm, gehen wir hinein und sagen Tommy guten Tag. Er freut sich doch so sehr über unseren Besuch."

"Gut Luna, dann klopfe an und mache die Tür auf" flüsterte Miriam,

"damit sich Tommy nicht erschreckt."

Luna klopfte dreimal auf den Holzrahmen und drückte die Klinke herunter. Knarrend öffnete sich die Tür, und im gleichen Augenblick hörten sie Tommys Stimme aus der Werkstatt.

"Herein und guten Morgen. Ich bin in der Werkstatt, herein bitte" klang es fröhlich an die Ohren der Freunde.

"Hallo Tommy, guten Morgen, schön dass du da bist. Wir wollten dich besuchen, einfach nur so. Weil wir nächste Woche in Urlaub fahren, und dann ist niemand da, - ich - wir meinen, wem erzählst du dann deine wunderschönen Geschichten und Märchen? Wir stören doch hoffentlich nicht? Wenn du viel Arbeit hast, dann gehen wir lieber" sprachen die Kinder wie aus einem Mund.

"Ach was, ihr habt mich noch nie gestört, im Gegenteil, ich freue mich immer ganz besonders über euren Besuch. Es ist doch schön Kindern Geschichten und Märchen zu erzählen, weil sie die einzigen sind, die noch zuhören wollen. - Na , dann setzt euch und sagt mir, was ich für euch tun kann?"

"Was du für uns - wieso meinst du - ach eigentlich wollten wir nur..." stotterte Miriam

 

verlegen,

"eigentlich -- ach - nichts."

"Ja Miriam, was wolltet ihr nur - mir vielleicht etwas erzählen über eine alte Gasse mit windschiefen alten Häusern, wo die Menschen ihre Kinder in den Schlaf singen und ein Zauberer von geheimnisvollen Märchen träumt?"

"Wieso kommst du ... woher weißt du ... bist du etwa...?" riefen die Kinder aufgeregt.

"Nein - nein - nein, ganz langsam und eins nach dem anderen. - Kommt hier her, an meinen Arbeitstisch, ich möchte euch etwas zeigen."

Neugierig traten Miriam, Luna und Max näher an Tommys Arbeitstisch heran. Über dem Tisch lag ein blaues Tuch mit vielen goldenen Sternen, das ihnen nur zu gut bekannt war.

"Seht her meine Freunde, das ist unsere Heimat, das alte Filigrania."

Mit einem schnellen Griff zog Tommy das blaue Tuch mit den goldenen Sternen beiseite - und von einem zum anderen Augenblick standen Miriam, Luna, Max und Tommy in der kleinen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern, wo aus kleinen Fenstern der Gesang der Kinder zu hören war.

"Wauuu - Mann - Tommy" rief Max aufgeregt,

"das ist ja unsere Gasse, ich meine, wir waren schon einmal...."

"Ja - ich weiß, ihr wart bereits in dieser Gasse und habt meinen Freund, den großen Zauberer Bonalibona getroffen. Er hat mir von eurem Besuch erzählt und auch davon, dass er wohl ein wenig zu grob war zu euch. Es tut ihm sehr leid und er würde sich freuen, wenn ihr ihn wieder besuchen würdet. Bonalibona wartet bereits auf uns" sprach Tommy leise und geheimnisvoll.

"Aber woher kennst du den Zauberer - ich meine, wir waren bei ihm und - na ja, er hat sich wohl über uns ein wenig geärgert, weil wir an ihm herumgemäkelt haben. Das tut uns auch leid und wir möchten uns gern bei ihm entschuldigen. - Wo steckt er denn jetzt, sein Haus ist ja gar nicht zu sehen?" sagte Luna.

"Nun - wir müssen bis zum Ende der Gasse gehen, dort wo der Wald beginnt. Da hat der große Zauberer diesmal sein Haus stehen. Er nimmt es immer mit - müsst ihr wissen, heute ist er hier, morgen dort, gerade immer da, wo es ihm gefällt."

"Er - er nimmt sein Haus mit? Ja wie geht denn das? Wie kann man sein Haus mitnehmen - etwa so wie eine Tasche? Das ist doch ganz sicher ein Märchen - nicht wahr Tommy?" lachte Miriam.

"Oh nein - liebe Miriam, das ist kein Märchen. Wozu ist Bonalibona denn ein Zauberer? Hat er euch nicht gezeigt, wie aus einem alten windschiefen Haus ein Palast wird - einfach so. Genauso schnell und einfach macht er aus einem Palast einen Fingerhut, den er sich in die Tasche steckt. - Unter uns Freunde, Bonalibona war schon an jedem Ort der Welt und besitzt unzählig viele Häuser und Paläste. Aber da er nur in einem wohnen kann, stehen die anderen die meiste Zeit leer. Das hat ihn ziemlich geärgert, und er kam auf die Idee, seine Häuser und Paläste an liebe und aufrichtige Menschen - sagen wir - kostenlos zu vermieten. „Aber das bleibt unser Geheimnis - Ehrenwort. - Meine Werkstatt - das ist so ein altes Haus, ein ehemaliger Palast. Für die meisten Menschen sieht es aus wie ein ganz normales Haus, aber für einige, da wird daraus ein Palast, eine alte Stadt mit kleinen alten Gassen und windschiefen Häusern. Ihr meine Freunde, seid solche Menschen, ihr könnt die alten Märchen und Erzählungen lebendig sehen und wirklich erleben. Das ist doch märchenhaft - findet ihr nicht auch?"

"Ob wir das - na aber - was hast du denn gedacht, das ist ja - also auf - was stehen wir hier noch, Bonalibona wartet sicher schon vor seinem Haus und..."rief Max aufgeregt.

"Er raucht bestimmt wieder seine Pfeife, die so gut duftet" freut sich Luna,

"und den blauen Mantel mit den goldenen Sternen hat er sich über die Schultern gelegt."

"Bonalibona ist der König der Zauberer" ruft Miriam und klatscht in die Hände.

"Besuchen wir Bonalibona, den König der Zauberer" rufen die Kinder zusammen.

"Na denn los, statten wir unserem besten Freund einen Besuch ab" sagt Tommy.

Miriam, Luna, Max und Tommy schreiten die alte Gasse mit den windschiefen alten Häusern entlang, die erfüllt ist vom Lachen, Schwatzen und Tuscheln der Menschen, die darin wohnen. Aus den Fenstern ertönt der Gesang der Kinder und das Miauen der Katzen. Vor den Häusern sitzen die Leute auf ihren Bänken und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Hunde liegen zwischen den Füßen der Menschen und dösen einfach in den Tag. Auf dem Mist krähen die Hähne und die Hühner gackern aufgeregt durcheinander. In der kleinen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern herrscht fröhliches Leben und ein buntes Treiben. Auf dem kleinen Marktplatz, fast am Ende der Gasse, haben die fahrenden Händler ihre Stände aufgebaut. Die Pferde stehen ausgeschirrt an der Tränke, trinken frisches Wasser und futtern leckeres Heu. Und die Marktschreier preisen ihre Waren als die einzig besten von allen an.

"Frische Kartoffeln, frische Tomaten, frischer Salat. Nur vom besten - liebe Leute, kauft nur bei mir"

"Frischer Räucherfisch, fetter Aal, saftiges Schweinefleisch - kauft Herrschaften, kauft nur bei mir"

"Frisches Obst, die leckersten Äpfel und Birnen, Zwetschgen und Pflaumen. Kauft werte Bürger, kauft nur bei mir."

Miriam, Luna, Max und Tommy bestaunen das quirlende Leben auf dem kleinen Marktplatz, auf dem noch Gaukler und Spaßmacher ihre Künste aufführen.

"Schau nur, wie lustig die Burschen sind. Und was hier los ist, fast so wie in der Altstadt am Samstag" freut sich Luna.

"Für die Menschen damals war der Markttag genauso wichtig, wie für uns heute die Zeitung oder die Nachrichten. Wer etwas wissen oder einem anderen etwas ausrichten wollte, der ging auf den Markt. Dort trafen sich alle Menschen des Ortes und aus der ganzen Umgebung. - Aber jetzt müssen wir weiter, schließlich wollen wir unseren Freund nicht verärgern. Denn eines kann Bonalibona überhaupt nicht vertragen - das ist Unpünktlichkeit. Wir sind ja gleich da - seht ihr, da vorne am Waldrand, da steht sein Haus."

"Was - das soll sein Haus sein?" ruft Max ungläubig.

"Typisch Bonalibona, nur nicht auffallen. Immer schön bescheiden sein" lacht Miriam.

"Ein echt cooler Typ, der Zauberer, hat alles, kann alles und lebt wie ein Bettler" spricht Luna geheimnisvoll.

"Hallo - Bonalibona - wir sind es, Miriam, Luna und Max. Hier ist Tommy mit seinen Freunden. Dürfen wir in dein Haus kommen?" ruft Tommy durch den verwilderten Garten zu dem alten Haus hinüber.

Nichts rührt sich, alles ist still. Nur ein paar Amseln zanken sich um die reifen Himbeeren, die dick und rot an den Sträuchern leuchten.

"Hallo - Zauberer - hier ist Tommy mit seinen Freunden. Wo bist du? Wir möchten dich besuchen" ruft Tommy noch Mal durch den Garten, doch diesmal viel lauter. Im Gesträuch raschelt es, das Gras knistert, dürre Zweige knacken - und dann steht plötzlich und wie durch Zauberei der große Bonalibona vor ihnen. Aber er sieht gar nicht aus wie ein Zauberer. Auf seinem Kopf trägt er eine Wollmütze, um seinen Bauch einen Kittel, und in der Hand hält er eine Schaufel und eine Schere. Aber seine Pfeife qualmt wie der Schornstein einer Lokomotive.

"Wer brüllt denn hier so laut, dass einem die Ohren zerspringen? Wer seid ihr? Doch keine Strolche und Wegelagerer, die einen armen Einsiedler bestehlen wollen? Entschuldigt, aber ich habe meine Brille irgendwo im Garten verloren. Wenn ihr so gut sein wollt und danach sucht. Dann kann ich euch besser sehen" sprach Bonalibona zu den Freunden.

"Wir sind es doch, Miriam, Luna, Max und Tommy. Deine Freunde aus der alten Zeit" lachte Tommy herzlich.

"Warum sagst du das nicht gleich. Und taub bin ich auch nicht, dass du so herum schreist. Wo habe ich nur meine Brille verloren, es ist aber auch..."

"Du hast sie doch auf dem Kopf, lieber Bonalibona, hoch geschoben über die Stirn" ruft Luna lachend.

"Was - wie - wo - ach du liebe Zeit, es ist aber auch ein Kreuz mit dem Alter. Unsereins wird immer tatteriger, es ist zum auswachsen. Bald muss ich meine Zaubersprüche aufschreiben, um sie nicht zu vergessen. Denn ein Zauberer, der nicht mehr weiß wie er zaubern kann, der taugt nichts und wird ausgelacht. - Na - dann kommt doch herein, ihr wisst ja den Weg."

Tommy, Luna, Max und Miriam gehen durch den Garten zur Haustür, die sich knarrend und quietschend ganz von alleine öffnet. Kaum haben sie das Haus betreten, als aus dem alten windschiefen Haus, mit den alten verstaubten Möbeln ein prachtvolles Schloss mit einem wunderschönen großen Park wird.

"Er ist immer noch der alte" flüstert Max,

"von wegen ich bin vergesslich geworden. Er ist der beste Zauberer den es gibt, und er wird von Jahr zu Jahr besser, ganz bestimmt."

"Nehmt Platz meine Freunde, entschuldigt mein Aussehen, aber die Gartenarbeit ist meinem Zauberermantel nicht zuträglich. Es ist ein empfindliches und vor allem sehr wertvolles altes Erbstück. Ihr müsst wissen, dass dieser Mantel einst vom Hofzauberer des großen Königs Endloswald getragen wurde. Und dieser Hofzauberer ist mein Ur-Ur-Ur-Ur - - jedenfalls einer meiner ganz alten Vorfahren, der längst in die ewige Welt der Zauberer eingetreten ist. Und jetzt trage ich diesen Mantel, aber irgendwann werde ich ihn weitergeben müssen, wenn meine Zeit auf dieser Welt zu Ende geht. Das ist der...."

"Du wirst doch nicht sterben?" fragt Luna angstvoll.

"Nein - nicht so wie ihr Menschen das euch vorstellt. Das ist alles ganz anders, und bei mir dauert es auch noch eine ganze Weile - hoffe ich jedenfalls. Na ja - ich suche halt einen würdigen Nachfolger, schließlich möchte ich auch einmal meinen verdienten Zaubererruhestand genießen. Das ist doch in Ordnung - nicht wahr?"

"Na klar doch, dann hast du ja viel Zeit für uns und kannst Geschichten erzählen von damals, wie alles anfing. Woher du gekommen bist und wie Filigrania entstanden ist? Das würde uns ganz toll interessieren" rief Max laut, "und jetzt sind wir auch beruhigt, dass du uns noch nicht verlassen musst. Einen so guten Freund wie dich zu verlieren, das wäre wirklich ganz schlimm! - Und dann möchten wir uns noch bei dir entschuldigen, weil wir bei unserem ersten Besuch - na ja, wir haben halt an dir herumgemäkelt, und das tut uns leid, und wir werden das nie mehr tun. Großes Ehrenwort."

"Tatsächlich - ich meine - ihr mögt mich wirklich so sehr, dass - na ja, wenn das so ist, dann werde ich wohl doch noch nicht auf mein Zaubereraltenteil gehen können. - Ach - entschuldigt meine Unaufmerksamkeit, ich vergaß den Begrüßungstrunk - und - auch ich möchte euch um Verzeihung bitten, wegen meiner ungehobelten Manieren. Auch mir tut es leid, und es wird bestimmt nicht wieder vorkommen. Großes Zaubererehrenwort."

Bonalibona schnippte nur kurz mit dem Finger, und schon standen Krüge und Gläser voll mit Saft und köstlichen Limonaden auf dem Tisch. Und noch einmal "schnapp" , und die Tischplatte bog sich unter dem Gewicht von Obst, Eis und leckerem Kuchen.

"Ich bin schließlich Bonalibona, der große Zauberer und weiß, was ich meinen Freunden und Gästen schuldig bin. - Sicher möchtet ihr nun wissen, was ein Zauberer in seinem Garten treibt und warum er wie ein Kaninchen durch das Gesträuch huscht. Ich sehe es an euren Nasenspitzen an."

"Ja - Bonalibona, das würde uns sehr interessieren. Mit Schaufel und Schere warst du in deinem Garten unterwegs. Warum?" flüsterte Luna.

Bonalibona lehnte sich in seinen Sessel zurück, zog an seiner Pfeife, und blies den würzigen Rauch genüsslich in die Luft.

"Nun meine Freunde, es gibt Dinge auf dieser Welt, da muss auch ein Zauberer auf altbewährte Mittel zurückgreifen - auf Schaufel und Schere. Ihr habt doch sicher schon von der Zauberwurzel Alraune gehört - nicht wahr? Schaut her - so sieht sie aus - wie ein Mensch."

Ruck-zuck hielt der Zauberer eine Wurzel in der Hand, die tatsächlich die Gestalt eines Menschen besaß.

"Ohh - ist die schön" staunten Miriam, Luna, Max und Tommy wie aus einem Mund.

"Warum sieht sie denn aus wie ein Mensch?" fragte Luna zögernd,

"ist das vielleicht ein ver...."

"Ach liebe Freunde, das ist eine traurige Geschichte, die vor langer, langer Zeit begann, und ihre düsteren Schatten bis in diese Zeit wirft. Ich habt mich gebeten sie zu erzählen, dann werde ich euch von diesem Geheimnis berichten. - Nehmt Platz und seid bereit für das Geheimnis des Zauberers Bonalibona, der euch Menschenkindern nun die Geschichte der Zauberwurzel Alraune erzählen wird. Ihr werdet alles hören und wieder vergessen, und doch werdet ihr euch später an alles erinnern und euren Kindern davon berichten, wenn der große Bonalibona längst in die ewige Welt aller Zauberer eingetreten ist."

 

Luna, Miriam und Max rückten ganz dicht zusammen, und Tommy setzte sich neben die Kinder auf den dicken Teppich. Es war mucksmäuschenstill im großen Empfangszimmer des großen Zauberers Bonalibona. Nur der metallische Taktschlag der mächtigen Standuhr erfüllte mit silbernem Klingen die atemlose Ruhe dieses Augenblicks und erinnerte die Kinder daran, dass die Zeit auf ihrer Reise durch die Ewigkeit für einen winzigen Augenblick bei ihnen verweilte, um dann ihren weiten Weg in die Unendlichkeit fortzusetzen. Bonalibona schloss die Augen und lehnte sich in den großen Sessel zurück, der gleich neben dem Fenster am Kamin stand. Von dort konnte der Zauberer alles überblicken, seinen Garten, den Park, die alten Gassen und Häuser von Filigrania, die Stadt, das Land, die Flüsse und Seen, die Meere und Ozeane, den Himmel, die Sterne - und das Schicksal der Menschen, das auf einem riesigen Baum an Zweigen und Ästen heranwuchs, um irgendwann zu reifen und sich zu erfüllen.

"Es ist das Verhängnis des Menschen, dass er vergisst" sprach Bonalibona mit ruhiger, ernster Stimme, "so wie er seine besten Freunde, die Erdmännchen vergaß und sich aufmachte die Welt zu beherrschen."

Bonalibona schwieg einen Augenblick, nahm einen Zug aus seiner Pfeife und blies den würzigen Rauch in den Raum hinein.

"Trinkt meine Freunde, greift zu - oder solltet ihr weder Durst noch Hunger haben? Lasst euch von meinen Geschichten nicht davon abhalten zu schmausen. Essen und trinken gehört mit zu den schönsten Geschenken, die das Leben für uns bereit hält. Was wären wir nur ohne gutes Essen und Trinken? - Bohnenstangen, dürre, unansehnliche Figuren, die mit klappernden Knochen durch die Welt staken würden. - Nein meine Freunde, es geht nichts über ein herzhaftes Mal. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. - Wo war ich noch - ach ja - die Erdmännchen. - Es ist eine traurige Geschichte, was den Erdmännchen geschehen ist. Hier - die Alraune, sie ist die Zauberwurzel und in ihrer Gestalt einem Menschen ähnlich. Das ist kein Zufall. Lange vor meiner Zeit waren die Erdmännchen über die ganze Welt verteilt. Überall gab es sie, und wo Erdmännchen Zuhause waren, da herrschte Frieden, Gesundheit und es gab alle Tage genug zu essen und zu trinken."

Bonalibona hielt einen Augenblick inne und sagte kein einziges Wort. Seine Augen blickten tief in die Herzen der Kinder, die seine Freunde waren - und in Tommys Seele, die wie ein großes Buch offen vor ihm lag.

"Aber dann..."

"Was war dann?" flüsterte Miriam ängstlich.

"Ja Bonalibona - was geschah dann?" fragten die anderen leise.

Der große Zauberer nahm einen Zug aus seiner Pfeife und blies den Rauch langsam in die Luft. Er rückte seine Brille zurecht, faltete die Hände zusammen und blickte mit ernstem Gesicht zu den Kindern und Tommy.

"Es war vor langer, langer Zeit, als es weder diese Stadt, noch dieses Land, noch irgend etwas anderes gab auf dieser Welt, als nur tiefe, undurchdringliche Wälder. Die Welt wurde beherrscht von den vier Elementen, dem Atem des Windes, dem Rauschen des Wassers, dem Lodern des Feuers und dem Beben der Erde. Alles auf dieser Welt hatte sich diesen Elementen zu fügen. Auch der Mensch, der damals noch sehr jung war und gerade anfing aufrecht zu gehen, um diese Welt zu erkennen. Inmitten dieser riesigen, undurchdringlichen Wälder, stand ein Tropenbaum. Der reckte seine Äste, Zweige und Blätter weit hinauf in den blauen Tropenhimmel. Jeden Mittag, wenn sich die Regenwolken am Firmament zusammenbrauten und ihre nasse Fracht entluden, versammelten sich die Tiere des Tropenwaldes unter dem Blätterdach des Tropenbaumes, wo sie Schutz und Geborgenheit fanden. Das ganze Jahr über trug der Tropenbaum reiche Frucht, und der Tisch war stets üppig gedeckt. Die Tiere litten keine Not, und als Dank für seine Großzügigkeit bauten die Vögel des Tropenwaldes ihre Nester in seine Zweige und sangen dem Tropenbaum den ganzen Tag wunderschöne Weisen. So hätte es alle Zeiten bleiben können, wenn nicht eines Tages während eines Sturmes eines dieser behaarten zweibeinigen Wesen von einem Ast des Tropenbaumes gefallen wäre. Da saß es nun, allein, verschreckt und voller Angst. In seiner Not wusste es nicht mehr ein noch aus und rannte wie von Sinnen um sein Leben. Überall stieß es mit dem Kopf an, und weil es zum Laufen noch seine Hände gebrauchte, blieb ihm diese Welt verschlossen. Erst erkundete es nur seine nächste Umgebung, doch dann drang es immer weiter vor in den Urwald und entfernte sich immer mehr vom Platz seiner Herkunft. Voller Zorn über die Hindernisse, die ihm von riesigen Bäumen, vom Wald und allen Pflanzen in den Weg gelegt wurden, verließ das behaarte Wesen nach langem Umherirren den Wald und kam an eine endlose, golden schimmernde Wiese. Dort stand das Gras so hoch, dass das haarige Wesen nur den Himmel sehen konnte, nichts sonst. Das machte es noch wütender und zorniger als zuvor, und der Hass auf seine Umgebung, den Wald und alles was es umgab, ließen es mit einem Ruck aus der Erde emporsteigen und sich aufrichten. Was für ein Bild bot sich dem neugierigen, durch die unbekannte Welt stampfenden Zweibeiner! Eine wunderschöne, unberührte und harmonische Welt, in die von einem zum anderen Augenblick die Angst, die Verfolgung, die Zerstörung und Vernichtung einzog. Weit breitete der behaarte Aufrechtgeher seine Arme aus, umschloss alles, was sich seinen Augen bot, um es unbarmherzig an sich zu ziehen und auszupressen. Tief in seinem Inneren glühte das Feuer des Hasses, und es erinnerte sich an seinen Sturz vom hohen Tropenbaum."

Bonalibona schloss die Augen und wischte sich leicht mit der Hand über sein Gesicht. Der Schmerz der Erinnerung quälte den alten Zauberer, und aus den Tiefen einer längst vergangen geglaubten Vergangenheit stiegen die Geister der Erdmännchen empor, um für sich und die Menschen um Verzeihung zu bitten. Bonalibona atmete schwer, und der Blick seiner müden Augen lastete wie ein Gebirge auf den Herzen der Kinder.

"Viele Jahre später kehrte das nun nicht mehr so stark behaarte, dafür um so bösartigere Wesen an jenen Ort zurück, den er dafür verantwortlich machte, dass er seine angestammte Heimat verlassen musste, um nach neuen Ufern Ausschau zu halten. Unablässig durchstreifte dieses Wesen mit vielen Gleichgesinnten den in seiner Farbenpracht und Lebensfülle pulsierenden Tropenwald. Ein Lärmen und Schreien erfüllte die Harmonie des Wachsens und Lebens, und von einem zum anderen Augenblick wehte der Atem des Todes über den ehemals paradiesischen Wäldern. Jahrelang wüteten das behaarte Wesen und seine Helfer, Generation auf Generation setzte das Werk der Vernichtung fort, immer größer und schrecklicher wurden die Wunden, welche die Zweibeiner dem herrlichen Wald schlugen. So weit das Auge reichte bedeckte nun nicht mehr endloses dichtes Grün die dampfende Erde, sondern die braune und verbrannte, zerwühlte und zerstampfte Haut des Tropenwaldbodens. Sie lag nackt und schutzlos in der sengenden Glut. Nur der große Tropenbaum stand als letzter Mahner, als Märtyrer und Ankläger inmitten trostloser Wüstenei. Gierig, mit triefenden Mäulern, näherten sich die kaum noch behaarten Wesen dem König aller Bäume, umkreisten eilfertig den gewaltigen Stamm des Tropenbaumes, der seit Jahrhunderten allen Gewalten trotzte, und jenes kaum noch behaarte Wesen, das vor Generationen aus dem Geäst des Tropenbaumes fiel, schlug voller Mordlust und in blindwütiger Wildheit seine kreischenden eisernen Zähne in den lebendigen Leib des alten Freundes. Erbarmungslos rissen die Zweibeiner große Stücke aus dem Stamm heraus, drückten, stießen und hebelten wie besessen, und dann ertönte ein Schreien, ein nicht enden wollender Schrei, grauenvoller und schmerzhafter als alle Schreie die jemals über diese Welt hallten, und dann begann sich der Tropenbaum zu neigen, erst langsam, dann schneller werdend, um dann mit mächtigem Splittern und Krachen zwischen die Baumruinen des toten Tropenwaldes zu stürzen. Die Zweibeiner tanzten und lachten, schüttelten sich die Hände und steckten sich bunte Papierstücke in ihre zweite Haut. Dann tranken sie aus durchsichtigen Behältern, denn die Sonne schien nun gnadenlos auf einen tropenwaldlosen Urwaldboden, und soweit der Blick reichte war nichts mehr zu erkennen, außer toten Bäumen und glühender nackter Erde. Den kaum noch behaarten Zweibeinern wurde es heißer und heißer, und der Durst stieg in ihre Kehlen und ließ sie verzweifeln, denn es gab keine Bäche, Teiche und Flüsse mehr, weil die brodelnde Sonne die schutzlose Welt austrocknete. Alle Tiere waren verschwunden, ausgerottet und von den Zweibeinern gefressen oder vernichtet worden. Es gab nicht ein einziges grünes Blatt mehr, kein fröhliches Lied erfüllte die heiße Luft, durch die der Pesthauch der Verwesung um die Welt geblasen wurde. Das Schreien und Toben der Zweibeiner hallte bei Tag und Nacht aus allen Winkeln und Verstecken hinaus, denn die Not und Verzweiflung wuchs mit jeder Stunde. Bald schon lagen überall tote Zweibeiner herum, ihre Leichen bedeckten das verwüstete Land, und der Gestank des Todes trieb die Überlebenden in Panik vor sich her. Hunger und Durst fraßen sich wie Hyänen in ihre Leiber ein, und bevor noch drei Sommer vergingen, fielen sie übereinander her. Der Kannibalismus feierte grauenvolle Auferstehung. Von den verkohlten Ästen des letzten Tropenbaumes brachen sich die letzten zweibeinigen Wesen splitternde Spitzen, um diese voller Hass und Raserei ihrem Nächsten in den Leib zu rammen. Als sich der Abend nieder senkte, glutrot, aufgeladen mit Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Todessehnsucht, Qual und Leid, als sich der letzte Zweibeiner kraftlos und ausgezehrt gegen den zerfallenden Stamm des Tropenbaumes lehnte, als dieses zweibeinige Wesen mit großen leblosen Totenaugen in eine sterbende Welt blickte, als dieses zweibeinige Wesen die alleinige Einsamkeit des Todes in dieser Welt begriff, öffnete sich der verlederte Mund zu einem stummen Schrei abgrundtief seelischer Verlassenheit, und aus den staubverkrusteten Lidern glanzloser Augen perlten in silbernem Glanz die Tränen einer sehr weit entfernten Erinnerung, einer Erinnerung die soweit weg war und so entfernt, dass dieses zweibeinige Wesen nichts anderes mehr zu tun wusste, als den jämmerlichen Rest seines bedeutungslosen Lebens in den ausgedörrten staubigen Grund des einstigen Tropenwaldes rinnen zu lassen. Was sich dieses Wesen im Leben verwehrte, nämlich die Augen zu öffnen und zu sehen, das verwehrte ihm nun der Tod, der ihm die Augen zu schließen nicht gestattete sondern offen hielt, mit kalten knochigen Fingern aufriss, zu Schauen und zu Schaudern, mit Entsetzen und Grausen, der Tag und Nacht zu einem Bild verschmolz, zu einem apokalyptischen Ring, eingehüllt in feurige Bänder, die sich wie Derwische um jenes zweibeinige Wesen drehten, bis es endgültig zu Staub zerfiel und vom Wind des Vergessens in die Nacht geweht wurde."