Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland

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Reset-Taste für das Neustart-Leben


Die Räder blitzblank geputzt ging’s am 23. Mai 2011 in Anchorage los – die Sonne strahlte und freute sich mit Petra und Volker.

Am „Ankerplatz“ (Anchorage) schlugen sie keine Wurzeln. „Großstädte gehören nicht unbedingt zu den Dingen, die wir lieben.“ Sofort ging’s auf die Räder, voll bepackt, schwere Pedaltritte, Sitzfleisch bildend. Entlang der nordamerikanischen Rocky Mountains, dann Mittelamerika, einmal durch, später runter, in den Südkontinent, fast bis ans sagenumwobene Kap Hoorn. 20 Monate, fast 29.000 Kilometer, in 14 Ländern. Ohne Druckspur: „Und sollten wir das alles nicht schaffen, geht die Welt nicht unter“, sprachen sie’s vorab Petras Gemüt entsprechend aus: „Wir lassen es auf uns zukommen.“ Mut bewiesen die beiden. Mehrfach. Respekt gebührt so viel Courage, zunächst geplante 730 Tage alles hinter sich zu lassen, ja, dieses Zeitfenster auszusteigen. Das Leben auf zwei Räder und ein geräumiges Zelt runterzufahren. Es ist mehr, als nur die Reset-Taste zu drücken: „Dafür sind die Erlebnisse zu einzigartig, fürs Leben.“ Neustart-Leben.

Das Reise-Gen hatte sie während der ersten gemeinsamen Unternehmungen Ende der 90er-Jahre gepackt. Monatelange Touren in die unterschiedlichsten Regionen des Erdballs brachten die Brauns aus Bad Reichenhall mit vergleichslosen Eindrücken hinter sich: Endlose Weiten des nordamerikanischen Kontinents, tropische Hitze-Rekorde Südostasiens oder die lange Strecke vom südlichsten Oberbayern ans Nordkap (Norwegen) und zurück. Europa war längst abgegrast, bei Volker oft Irland: „Das war mir irgendwann aber doch zu kalt und zu nass“. Preisgünstig, unabhängig, bleiben wo man will … – für Petra und Volker längst unverzichtbare Unabhängigkeiten.

Kartoffeläcker ade


Die letzten Tage daheim.

Volker, der Kölner, und die in Neuwied geborene Petra verlegten ihren Wohnort unabhängig voneinander ins Berchtesgadener Land: „Hier ist es einfach schöner als auf den rheinländischen Kartoffeläckern.“ 1990 lernten sie sich kennen, zwei Jahre später lieben. Und nach eher „normalen Rucksack-Reisen“ entdeckten sie erst 1999 ihre Leidenschaft: Auf dem Rad die Welt erleben. Buchautor Tilmann Waldthaler kurbelte mit seiner „Äqua-Tour“ vor allem bei Petra die Lust aufs Intensiv-Ausleben kräftig mit an. Was folgte, war nicht mehr zu bändigende Abenteuerlust.

„Eine positive Einstellung zu dem, was man tut“, Volker muss nicht überlegen, um die wichtigste Eigenschaft zu nennen, derartige Touren zu wagen und damit die eigenen Träume zu leben. Auch Wagnisse, da ein Rad kaum Schutz bietet: Die Zwei waren jedem Wetter, unzählbaren Gefahren im mitunter chaotischen Verkehrsgeschehen, in den Nächten jeglichen Launen der Natur und einer permanent wechselnden Tierwelt ausgesetzt. „Das machte es gerade so spannend“, vier Augen beginnen zu glänzen. Und obwohl natürlich auch stets gefährliche Krankheiten lauerten, Volker erwischte schon zweimal die Malaria, konnten sie sich bislang kaum vorstellen, ihrem Reisedrang irgendwann abtrünnig zu werden.

Druckfrei weiterradeln nicht ausgeschlossen


Rund 300 Zeltnächte, mal klirrend kalt, mal glühend heiß, standen den beiden Abenteurern im Mai 2011 bevor.

Ein festes Budget, konsequent, diszipliniert, enthaltsam zusammengespart, ist auf zwei Jahre ausgelegt. Danach wollten die beiden ganz locker weitersehen und -planen. „Sollten wir zurückkommen, egal wann, suchen wir uns Jobs und kehren ganz schnell zurück in den Alltag.“ Das eigene Haus daheim, in Bad Reichenhall, wurde derweil einem ehemaligen Arbeitskollegen Petras überlassen. Mietfrei, zum Strom, Wasser- und Müll-Selbstkostenpreis. Dafür hielt er es in Schuss.

Petra und Volker konnten sich zunächst auch vorstellen, nach der (ursprünglichen) Zieldurchfahrt in Ushuaia, weiterzuradeln: Durch Brasilien, dann rüberfliegen nach Afrika, rein in den Senegal, rauf in den Norden des heißen Kontinents und via Spanien zurück in heimische Gefilde. Die Verlängerung hätte womöglich rund acht Monate in Anspruch genommen. Druck, egal welcher Art, waren und sind der Altenpflegerin und dem Sozialpädagogen fremd.

In Sachen Weltreisen sind die Brauns alte Hasen, haben den Erdball längst umrundet. 70.000 Kilometer rund, nicht nur abgespult. Rechts und links alles wahrgenommen. Was sich während der Reisen daheim so alles abspielt, bekommen sie ohne technischen Schnickschnack nur am Rande mit. Als 2006 die Eishalle in Bad Reichenhall einstürzte und 15 Menschen starben, waren sie gerade in Laos – und erfuhren durch puren Zufall durch eine englischsprachige Zeitung, die in einem Laden plötzlich vor ihnen lag, von diesem Unglück.

Im Jetzt leben


Radschild

Das Paar hat stets einen großen zentralen Reisewunsch in den Satteltaschen: „Gesund bleiben, denn daran hängt alles.“ Schlimmere Krankheiten oder Verletzungen könnten die Braun’schen Pläne abrupt stoppen. An derartige Szenarien verschwendeten sie jedoch keinerlei Gedanken – genauso wenig wie an die Altersvorsorge: „Ich mache mir keinen Kopf um meine Rente“, so Volker, „weil ich im Jetzt lebe und genieße.“ Das einfache, sparsame Leben, oft in völliger Wildnis, meist ohne jeglichen Komfort, ein bisschen Holz zusammengesammelt, um das Essen zuzubereiten … – das ist das, wovon die Brauns nicht nur träumen. Sie tun es. „Unter freiem Himmel schmeckt es doppelt gut“, freuten sie sich zu Beginn auf die Abgeschiedenheit Alaskas. Volker überlegte noch, ob er einen kleinen Campinghocker mitnehmen sollte: „Das wäre reinster Luxus gewesen.“ Jedes noch so geringe Gewicht wollte gut überlegt sein, schließlich musste alles auf dem Rad mitgezogen werden.

Das Tandem verzichtete auf vieles und vermisste zu Beginn nichts. Nicht ein Buch – der Reiseführer ausgenommen – befand sich in den Taschen. Petra: „Bei so vielen Erlebnissen habe ich gar keine Zeit zum Lesen.“ Alles „wirklich Wichtige“ haben die erfahrenen Globetrotter dabei: eine gute Salbe fürs strapazierte Gesäß („Nach einer Woche spürt man ohnehin nichts mehr“), eine funktionierende Mücken-Abwehr gegen Alaskas Plagegeister, einen MP3-Player („Musik ist wichtig“) und ein Drei-Mann- beziehungsweise Frau-Zelt: „Das gönnten wir uns, weil wir uns nach einem Tag auf dem Sattel richtig ausstrecken wollten“. Und noch etwas war richtig wichtig: „Ein Glas Wein an jedem Abend, das musste einfach sein“. Am liebsten weiß und trocken.

Tausche Alltag gegen Zeit

Alles Materielle steht für beide in keiner Relation zum Zeitfaktor: „Für uns der größte Luxus. Wir nehmen uns die Zeit, leisten uns diesen Luxus. Es ist sagenhaft, sie letztlich geschenkt zu bekommen. Die Zeit. Wir tauschen Acht-Stunden-Arbeitstage gegen 15-Stunden-Erlebnistage.“

Bei all der Abenteuerlust leugnen Volker und Petra nicht, schon auch echte Leidenschaft für die Heimat, das Zuhause entwickeln zu können: Das eigene Bett, der heimische Herd, arbeiten, kurz Alltag. „Dinge, die wir nach einer Reise sehr genießen.“

Nordamerika


Südamerika



Deutschland: Zelten, schlafen und kochen bei Temperaturen unter null Grad.

Startschwierigkeiten: Nach elf Tagen wäre die Reise beinahe zu Ende gewesen

Am 13. April 2011 verabschiedeten sich Petra und Volker bei Schneetreiben und Temperaturen um die drei Grad von ihren Freunden, dem kleinen Häuschen in Bad Reichenhall und den vielen kleinen Annehmlichkeiten des Alltags. „Die ersten Tage waren reine Quälerei, und die 50 Kilogramm schweren Räder nicht leicht zu händeln. Jeder noch so kleine Hügel kostete uns unheimlich viel Kraft. Die Gelenke schmerzten, Petra hatte erhebliche Knieprobleme. Und ich habe mich gefragt, was wir hier überhaupt machen.“

Die ersten drei Länder durchquerte das Rad-Duo überwiegend auf Flussradwegen: Saalach, Inn, Donau, Moldau, Elbe, Saale, Werra, Fulda, Lahn, Rhein. „Mit Freunden haben wir uns in Rammenau bei Dresden und in Fulda getroffen. So waren wir der Heimat immer noch nah.“

Petras Kopf hält 120 Kilogramm stand


Ein zweifelhaftes Vergnügen.

 

Am 24. April schien die gerade erst begonnene Reise ein vorzeitiges und vor allem frühes Ende zu nehmen: Auf einem kleinen gewundenen Radweg an der Elbe rutschte Petra in einer Schlammpfütze mit dem Vorderrad weg, stürzte und kam unmittelbar vor Volker zum Liegen. Der konnte nicht mehr bremsen und rauschte mit voller Wucht über den Kopf seiner Frau. Der Helm fing glücklicherweise einen Großteil des Aufpralls ab – und so kam es bei Petra, einem Wunder gleich, lediglich zu ein paar Stauchungen, Prellungen und Hautabschürfungen. Schließlich donnerten rund 120 Kilogramm (Rad mit Gepäck und Volker) über ihren Kopf. Ein Ereignis, das schlimmste Folgen hätte nach sich ziehen können.

Am 11. Mai erreichten die beiden nach 1.950 Kilometern Leutesdorf in der Nähe Neuwieds (Rheinland-Pfalz). „Bei Petras Eltern konnten wir erst mal pausieren, da der Arzt bei ihrem Knie eine Schleimbeutelentzündung diagnostiziert und Ruhe verordnet hatte. Das warme Bett nach zuvor permanent feuchten Zeltnächten – nasskalte Flusstäler und Nachttemperaturen bis zu minus vier Grad – haben wir sehr genossen.“

Glück am Mount McKinley


Alaska: Traumstraße zwischen Jasper und Banff.

„Am 21. Mai sind wir dann nach Anchorage geflogen, am 23. Mai begann mit dem Radelstart in der größten Stadt Alaskas unser eigentliches Abenteuer.“ Doch statt sofort den Süden anzupeilen, bewegten sie sich zunächst in nordöstliche Richtung mit Ziel Denali-Nationalpark und Mount McKinley, 6.194 Meter hoch, Nordamerikas Berg-König. „Nur selten hat man klare Sicht auf sein Massiv – wir hatten fünf Tage lang Glück.“ Vom kleinen Ort Talkeetna (Bedeutung: „Ort, wo am Fluss Nahrung gelagert wird“/​Anm. d. Autors) schauten die zwei Reichenhaller auf die schneebedeckten Flanken und endlosen Gletscher über den Susitna River. Ein einmaliger Ausblick nur 100 Meter vom Zeltplatz entfernt. Temperaturen bis 27 Grad luden zum Baden in den Seen ein, was mangels Dusche doppelt gut tat. „Vor rund zwei Wochen war hier noch Winter und einige Flüsse trugen bis zu zwei Meter dickes Packeis. Wir genossen die Mitternachtssonne und konnten radeln, so lange wir wollten.“

Volker als „Santa Claus“

Mit der Ankunft in Kanada verließ die Brauns das Wetterglück: „Wir waren ständig Regenschauern ausgesetzt und kamen mit dem An- und Ausziehen kaum noch nach. Das Zelt wurde nicht mehr richtig trocken. Und so waren wir froh, nach 40 Zeltnächten am Stück in Nordamerika die Schweizer Bruno und Ursi kennenzulernen. Sie betreiben eine Gästefarm in Hazelton (British Columbia) und nahmen uns für eine Nacht auf. Während es draußen regnete, genossen wir bei gutem Essen und Wein ihre Gastfreundschaft und lauschten spannenden Geschichten von Bären, die versuchten, in die Vorratskammern der Häuser einzudringen.“ Bis hierhin hatten Petra und Volker 21 Bärenbegegnungen, allesamt am Straßenrand, in unmittelbarer Nähe zu ihren Rädern. „Würden wir durch die am Rad befestigten Glocken nicht so viel Lärm verursachen, wären es bestimmt noch viel mehr gewesen.“ Die Kanadier verliehen Volker bereits den Beinamen „Santa Claus“.

Zur Sicherheit im Lieferwagen

„In einem Café im Yukongebiet empfahl uns Besitzerin Irene wärmstens, in ihrem alten Lieferwagen zu übernachten, da ein Grizzly mit seinen Jungen ums Dorf schleiche.“ Zur eigenen Sicherheit der zahlreichen Camper wird dazu geraten, die Lebensmittel und Kosmetikartikel in Bärencontainern zu verstauen oder mit einem Seil an einem Baum hochzuziehen. Da die Schwarzbären gute Kletterer sind, eine meist sinnlose Aktion, da passende Bäume schwer zu finden sind. „Die Lebensmittel blieben so aber dennoch besser erhalten, da es unseren Essensbestand vor unseren nächtlichen Hungerattacken schützte.“


Ungemütliche, aber sichere Schlafstatt auf der Ladefläche eines alten Lieferwagens.


Essen und Trinken avancierte aufgrund der miserablen Versorgungslage, besonders in Kanada, ohnehin zum Dauerthema. Häufig musste das Rad-Tandem für Entfernungen von mehreren 100 Kilometern Proviant mitnehmen: „Wenn wir in den USA nach eineinhalb Stunden einen Supermarkt verließen, waren wir schwer bepackt.“


Frühlingsbeginn in Alaska.

1. Etappe: Dazwischen ist es oft viel interessanter

Petra, Volker, Ihr brecht immer wieder mal fast alle Zelte daheim ab, um exakt jenes hundertfach in anderen Ländern – weit weg von daheim – auf- und wieder abzubauen. Dabei werft Ihr viele gewohnte Prinzipien unserer Gesellschaft einfach über den Haufen und werdet häufig als „verrückt“ bezeichnet. Seht Ihr Euch selbst auch ein wenig so?

Als wir im April 2011 bei Schneetreiben gestartet sind, haben wir uns natürlich auch gefragt, ob wir wahnsinnig sind. Wir könnten schön in einem warmen Büro sitzen, unsere Arbeit tun und uns abends vor dem Fernseher ausstrecken. Stattdessen geben wir alle Annehmlichkeiten auf und starten ins Ungewisse. Verrücktsein – nicht nur ein wenig – ist wohl eine der Grundeigenschaften, um eine solche Reise durchzustehen.


Ergebnisse einer gemütlichen Nacht in den Neuen Bundesländern: Gefrorene Unterhosen und eine rote Nase.

Eure bislang längste Reise, 20 Monate, führte Euch nach Nord-, Mittel- und Südamerika. Warum gerade dorthin?

Die USA lockten uns ganz einfach immer wieder magisch an. Ein weiterer Aspekt war die lange Strecke, die wir dort problemlos „durchfahren“, also bewältigen konnten. Auch das Durchqueren aller fünf Klimazonen mit sagenhaften Landschaften, kaum Leerlauf mit längeren Abschnitten unattraktiverer Gegenden – all das ergab letztlich den Ausschlag für unsere Entscheidung.


In den Rocky Mountains, USA.

Auch die Route Russland-Honkong hattet Ihr im Auge?

Die verwarfen wir aber schnell wieder. Die größten Probleme hätten wir mit den Visa gehabt. Oft reicht ihre Gültigkeitsdauer nicht aus, um sich die Länder Kirgisistan, Kasachstan und Russland auch in Ruhe anzuschauen. Außerdem erschien uns die Route Alaska-Feuerland abwechslungsreicher.

Wie lange habt Ihr Euch auf die Panamericana zwischen Alaska und Feuerland vorbereitet?

Nicht mehr als sechs Monate zuvor gingen wir es langsam an, buchten als ersten Schritt den Flug. Wir mussten nicht alles auf einmal erledigen, hatten reichlich Zeit. Vieles war schnell gemacht. Die Ausrüstung hatten wir größtenteils auch schon seit etlichen Jahren zusammen.

Ein spezielles Radtraining gab es also nicht?


Überhaupt nicht. Erstens lag unsere Reisevorbereitungszeit mitten im Winter. Zweitens baut sich die Kondition dann beim Reiseradeln von selbst auf. Wir haben das immer ohne Training gemacht, und es ist immer gut gegangen. Wir hatten im Februar aufgehört zu arbeiten und hätten somit noch Zeit zum Training gehabt, ehe der Flug nach Alaska ging. Ich (Petra) wollte dann aber so schnell wie möglich weg. Auch deshalb unternahmen wir die Auftaktrunde über Tschechien. Das war sozusagen unser Trainingslager.

Gab es besondere Gründe für die Route von Nord nach Süd – und nicht umgekehrt?

Im Süden zu starten ist anstrengender. In Alaska ist es einfacher: die Straßenverhältnisse sind besser, die klimatischen Verhältnisse angenehmer, das Wetter stabiler. Wir wollten auch im April, spätestens im Mai los. Da herrscht in Patagonien jedoch „Winter“, es regnet viel und ist zum Radfahren zu kalt.

Warum wolltet Ihr Eure Tour unbedingt im Frühling starten?

Aufgrund finanzieller Gründe. Es hat steuerliche Vorteile: Zahlt man „nur“ drei Monate in Deutschland Steuern, erhält man sie komplett zurück, wenn der Rest des Jahres nicht mehr gearbeitet wird. Zuvor war uns auch noch wichtig, das Weihnachtsgeld mitnehmen zu können.

Knapp zwei Jahre von zu Hause wegbleiben, da gibt es sicher etliche Hürden zu überspringen. Was gestaltete sich als besonders schwierig?

Richtig schwierig war eigentlich nichts. Für uns war es eher lästig, bürokratische Arbeiten zu erledigen, Briefe zu schreiben, damit die Post umgeleitet wurde, den Telefonanschluss zu kündigen … – also Dinge, die mit Ämtern zu regeln waren. Echte Probleme gab es jedoch nicht. Für uns war es eine große Hilfe, Freunde zu haben, die sich während unserer Abwesenheit um für uns wichtige Dinge kümmerten: Beispielsweise die während unserer Abreisephase begonnene Volkszählung, die Post, die Hausverwaltung, einen trockenen Stellplatz für unser Auto.

Ihr besitzt ein kleines Haus in Bad Reichenhall. Welche Lösung hattet Ihr diesbezüglich?

Für uns stellte sich eigentlich nur die Frage, ob wir es für die Zeit unserer Abwesenheit vermieten sollten. Wir ließen es schon mal länger leerstehen, da zerriss uns der Frost die Kloschüssel und einige Leitungen froren ein. Für uns war es auch wichtig, jederzeit – zum Beispiel bei Krankheit – zurückkehren zu können. Diesmal fanden wir einen Freund, der vorübergehend einzog, und der bei einer vorzeitigen Rückkehr unsererseits sofort wieder ausgezogen wäre. Wir ließen ihn ohne Miete in unserem Haus wohnen. Im Gegenzug musste er nur die laufenden Kosten wie Strom, Heizung und Wasser übernehmen. Die Gewissheit, dass sich jemand im Haus befand, war einfach beruhigender.

Das setzt großes Vertrauen voraus.

Natürlich ist das ein wichtiger Punkt. Es war ein Arbeitskollege von mir (Petra), da wusste ich, dass alles gutgehen würde. Und es ist auch gutgegangen.

Wie sehr habt Ihr Euch um Euren Besitz gesorgt, beispielsweise das kleine Haus in Bad Reichenhall?

Gar nicht so sehr, weil wir es in guten Händen wussten.

Was bedeutet Euch der Besitz des Hauses?

Es ist jetzt einfacher, da es uns seit 2002 gehört. Zuvor, als wir zur Miete dort gewohnt haben, war es sehr viel schwieriger.

Inwiefern?

Wir hätten uns bei der Stadt abmelden müssen. Wer Deutschland über ein halbes Jahr verlässt, müsste sich komplett bei der Gemeinde abmelden. Das birgt aber jede Menge Schwierigkeiten bezüglich diverser Versicherungen.


Frühling im Glacier-Nationalpark, USA.

Eine frühere Reise wäre deshalb fast gescheitert. Da hing alles an den Mülltonnen. Warum?

Wir waren noch Mieter und wollten uns bei der Stadt abmelden. Doch aufgrund der Müllabfuhr ging das nicht. Der Vorteil: Für jemanden, der seinen Pass verliert, wie es uns in Nepal passiert ist, gestaltet sich die Beschaffung eines neuen Ausweises einfacher, wenn er noch bei einer Behörde gemeldet ist. Als Haus- oder Wohnungseigentümer ist es einfacher: Wir hatten diesmal die Mülltonne abgemeldet. Damit sparten wir natürlich Geld. Wir selbst hatten uns, auch wenn wir das eigentlich hätten machen sollen, nicht abgemeldet. Wir hätten aber gar keinen anderen Wohnsitz angeben können. Die Police für die Hausratversicherung würde sich im Übrigen verzehnfachen, wäre das Haus die ganze Zeit unbewohnt.

 

Ihr habt Eure Pässe verloren?

Nur ich (Volker), er wurde mir zusammen mit zirka 300 US-Dollar und den Traveller Checks am Flughafen in Kathmandu gestohlen. Ich hatte die Sachen in einer Bauchtasche, die Diebe müssen sehr gerissen gewesen sein. Als wir es merkten, war es schon zu spät.

Was folgte daraufhin?

Eine zweitägige Rennerei zwischen Deutscher Botschaft, Polizei und Behörden. Dazu die Kontaktaufnahme mit dem Passamt in Bad Reichenhall, wir benötigten rasch eine Meldebescheinigung. Wären wir abgemeldet gewesen, wäre das zu einem großen Problem geworden. Zum Glück hatten wir eine Kopie meines Ausweises dabei. Nach zwei Tagen war alles erledigt.

Wann kam der neue Ausweis?

Wir unternahmen eine dreiwöchige Trekking-Tour. Als wir in die Hauptstadt zurückkamen, war der neue Ausweis da (ausführliche Geschichte im Kapitel „Unfreiwillige Auszeit: Ohne Ausweis in Kathmandu“).

Wie wichtig ist Euch Sicherheit, die es letztlich nicht zu 100 Prozent geben kann?

Eine Unfallversicherung ist wichtig, die hatten wir vor der Reise sogar ein wenig aufgestockt. Ansonsten ist auch eine Auslandskrankenversicherung von Vorteil. Einen Rechtsschutz brauchen wir aber nicht. Die sonst üblichen Versicherungen, also beispielsweise die Hausratversicherung, ließen wir ganz normal weiterlaufen.

Ihr habt die Gewissheit, auch ohne Reiserücktrittsversicherung jederzeit aussteigen zu können. Ihr müsstet lediglich einen Flug nach Hause buchen und könntet jederzeit sofort zurück in Euer Haus, und somit zurück ins alltägliche Leben. Braucht Ihr diese Sicherheit, um überhaupt solche Touren zu starten?

Das sorgt schon für eine gewisse Beruhigung.


Tag für Tag ein neues Panorama.

Reinhold Messner meinte einmal: „Das Haben ist langweilig, die Herausforderung ist wichtig.“ Könnt Ihr das so unterstreichen?

Diese Aussage empfinden wir so als zu pauschal. Wir besitzen ein kleines Haus. Das schafft gewisse finanzielle Unabhängigkeiten und auch Freiheiten, weil wir in der Gestaltung keinem Vermieter und seinen möglichen Launen Rechenschaft schuldig sind. Das ist alles andere als langweilig. Wir sind auch froh, ein Auto zu besitzen, weil es ganz einfach bequem ist. Es geht also immer darum, ob ich den Besitz auch wirklich für meine Interessen nutzen kann und nicht darum, materialistische Gegenstände anzuhäufen. Das halten wir für eher überflüssig. Darum haben wir auch keine Sammel-Hobbys. Sich ein Ziel zu setzen und diese Herausforderung anzugehen, ist immer spannend. Wenn wir ein Ziel, unser Ziel erreichen, erfüllt uns das schon mit Stolz. Unsere ganze Reise war eine Herausforderung. Denn wir wussten nie, was alles auf uns zukommt: die schweren Andenpässe in Peru, die tropischen Temperaturen in Zentralamerika, die Winde von Patagonien. Bei der Ankunft in Ushuaia waren wir nicht nur stolz, sondern auch glücklich und erleichtert. Ständige Herausforderungen würden aber Stress bedeuten, das brauchen wir nicht jeden Tag.

Wie nennt Ihr Eure Art des Unterwegsseins?

Es ist wohl eine Art Reiseabenteuer … – ja, dieses Wort trifft es sicher am besten.


Arches Nationalpark, USA.

Ihr seht Euch als Abenteurer …

Wir lieben die Spannung und auch das Ungewisse auf unseren Reisen, suchen aber nicht die Gefahr, sondern versuchen, diese eher gering zu halten. 2002 waren wir mit dem Fahrrad in Indien unterwegs. Auf dem Weg nach Rajasthan zur pakistanischen Grenze machten wir kehrt, da hunderte von Militärfahrzeugen Richtung Grenze unterwegs waren und einige Militärs meinten, es gäbe Krieg mit dem Nachbarland. Natürlich beinhaltet die Durchführung einer solchen Reise auch eine gewisse Risikofreudigkeit. Oftmals sind es gerade die anstrengenden und riskanten Ereignisse, die einem später noch in Erinnerung bleiben – beispielsweise unsere Besteigung des 6.088 Meter hohen Huayna Potosi in Bolivien. Denn wir waren zuvor noch nie mit einer Gletscherausrüstung unterwegs. Oder 2001: Wir befanden uns mit den Fahrrädern in der Maasai-Steppe Tansanias. Dass es dort Löwen gibt, war uns allerdings nicht bewusst. Wir sind auch keinen begegnet.

Bekamt Ihr Tipps für eine mögliche Begegnung mit einem oder mehreren Löwen?

Immer in die Augen schauen und die Mittagsstunden zum Fahrradfahren nutzen – denn da schlafen sie.

Was erhofft Ihr Euch von Euren Abenteuern?

Das Ungewisse ist eigentlich das Spannendste: neue Eindrücke sammeln, Menschen und Natur kennenlernen. Großartige Landschaften faszinieren uns am meisten. In dieser Beziehung sind wir unglaublich neugierig. Dazu kommt, dass der gewöhnliche Tourist, der mit dem Bus organisiert reist, lediglich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gekarrt wird. Wir erlebten auch die Regionen dazwischen, und die waren oft viel interessanter.

Wie erklärt Ihr Euch diese Faszination?

Unser langsames Reisen war womöglich der Grund für eine gewisse Spannung. Durch unsere Art der Fortbewegung auf zwei Rädern erlebten wir das Reisen nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen – weil wir uns sozusagen in der Landschaft befanden und förmlich mit ihr verschmolzen. Das war alles andere als touristisch, und das empfanden wir schon als besonderes Privileg.


Naturerlebnis Chile: Frühling im November.

Würdet Ihr demnach Eure Art des Reisens, mit dem Fahrrad, als die genau richtige bezeichnen?

Für uns war es das bislang. Mit dem Rad erlebten wir die Natur viel unmittelbarer, hatten weit spontanere Begegnungen, auf natürlichere Art und Weise. Der Großteil war ungeplant, konnte auch gar nicht geplant werden. So viel konnte passieren, im positiven Sinn. Das empfanden wir als besonders wertvolle Erfahrungen. Wir wussten beispielsweise nie, wo wir als nächstes übernachten würden. Diese Frage stellte sich täglich neu und wirkte deshalb enorm spannend.

Wo war es während Eurer Tour besonders faszinierend?

Faszinierende Momente gab es natürlich reichlich: In erster Linie in den USA. Dieses Land, mit seinen abwechslungsreichen Nationalparks, mögen wir ganz einfach sehr. Toll war es auch ab Peru. Bolivien, Chile, eigentlich ganz Südamerika kam für uns recht spannend daher.

Inwiefern?

Die Andenstaaten mit ihren Hochländern, die einzigartigen Landschaften, das übte schon einen ganz besonderen Reiz auf uns aus. Peru mit seinen beeindruckenden Bergregionen samt atemberaubender Pässe, den großen Alpaka-Herden, dem einfachen Landleben und den bunten Märkten. Wir sahen über vier Wochen lang kaum einen Touristen. Das ist ursprünglich, ja abenteuerlich. Nordwest-Argentinien war grandios, mit der Ruta 40, der längsten Straße des Landes, meist in hervorragender Qualität, oft sehr einsam. Wir konnten überall wild zelten. Bolivien, die Lagunenrunde um den größten Salzsee der Erde, den Salar de Uyuni, der Lago de Colorado (rote Farbe), die Vulkane, die Flamingos und die bunten Berge mit der Wüste der sieben Farben. Einzigartig. Unvergessen bleiben uns die Wüstenzeltnächte am Lagerfeuer, der sternenklare Himmel darüber, die unglaublichen Ausblicke auf die schneebedeckte Andenkette. Chile mit seiner Carretera Austral: Eine 1.200 Kilometer lange, größtenteils nicht asphaltierte Straße durch urige Wälder, vorbei an Gletschern, Fjorden, Wasserfällen …

Welche Vorteile barg das Zelten vor allem für Euch?

Wenn das Wetter passte, gab es fast nichts Schöneres, als in der Wildnis zu sein, Essen über dem Feuer zu kochen, eine sternenklare Nacht zu erleben, im Hochland, in den Bergen, viel klarer als über tiefer gelegenen Städten. Das war besonders in den Wüsten beeindruckend, in vollkommener Stille. Wir dachten dann oft an das gestresste Europa. Wir lieben die Unabhängigkeit: Wir aßen, wann wir wollten, hatten unsere eigenen Schlafutensilien, ja, wenn man so will, unseren eigenen Dreck – nicht jenen anderer Leute.

Nach welchen Kriterien habt Ihr Eure Übernachtungsplätze ausgewählt?

Wenn wir unter freiem Himmel campierten, war Sicherheit für uns ein wichtiger Faktor. Wir achteten stets darauf, dass unser Zeltplatz – wenn möglich – nicht von der Straße einsehbar war, um die Gefahr eines Überfalls zu verringern. Außerdem war es natürlich von Vorteil, einen See, einen Fluss oder zumindest einen Bach in der Nähe zu haben – einfach der Hygiene wegen. Die Kleidung war vom Schweiß verklebt, wir wollten uns schon jeden Abend gut waschen können. Und natürlich benötigten wir auch gutes Wasser zum Kochen und Spülen.

Und wenn das nicht möglich war, beispielsweise in sehr trockenen Gebieten?

Dann versuchten wir, uns möglichst vorab mit reichlich Wasser zu versorgen. Es funktionierte schon auch mal, sich mit einer gut gefüllten Wasserflasche zu waschen. Übrigens: Ab einer Höhe von 3.000 Metern schwitzten wir nicht mehr.

Wie wichtig war Euch die Kleiderwäsche? So viel hattet Ihr schließlich auch in dieser Hinsicht nicht dabei.

Wir machten es halt so gut es ging. Einige Male duschten wir auch in voller Montur, um gleich alles auf einmal sauber zu bekommen.


Glückliche Alpakas, Peru.


Exklusiver Outdoor-Waschplatz, Peru.

Was war sonst noch wichtig, wenn es auf die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz ging?

Bis 16 Uhr wollten wir immer einen gefunden haben. Denn bis das Zelt aufgebaut und genug Brennholz gesammelt war, vergingen schon zwei, drei Stunden. Das sollte alles erledigt sein, bis es dunkel wurde. Und wir wollten immer bei noch halbwegs gutem Tageslicht Abendessen. Die Suche war von den klimatischen Bedingungen abhängig. Im Hochland Perus wurde es schon ab 4 Uhr nachmittags ziemlich kalt, bis minus 15 Grad. Das wäre dann fast zu spät gewesen, um mit der Suche nach einem Übernachtungsplatz zu beginnen. Bis zum Sonnenuntergang um zirka 18 Uhr wollten wir alle anfallenden Arbeiten wie Zeltaufbauen, Körperhygiene, Kochen, Essen und womöglich auch noch Feuerholz Sammeln hinter uns haben. Ohne Feuer wurde es bitterkalt, so dass wir schon um halb sieben Uhr in den Schlafsack kriechen mussten. Anhand eines Kompasses versuchten wir, unser Zelt immer so zu platzieren, dass wir morgens schon die ersten Sonnenstrahlen abbekamen. Mithilfe von Höhendiagrammen hielten wir unseren Schlafplatz niedrig, da man auf über 4.000 Metern meist sehr viel schlechter schläft. Wir wollten aber auch vermeiden, in der morgendlichen Frische gleich bergab fahren zu müssen – lieber erst ein wenig warmstrampeln. Freilich gab’s auch die exakt gegensätzlichen Bedingungen: In Zentralamerika stiegen die Temperaturen um die Mittagszeit oft bis auf 40 Grad im Schatten an. Mit dem ersten Tageslicht um 5 Uhr ging’s auf die Strecke, um 11 Uhr machten wir meist Schluss. Da die Gegend zu dicht besiedelt ist und zelten aufgrund der erheblichen Kriminalität für uns ohnehin nicht infrage kam, suchten wir uns meist Unterkünfte, die über einen Ventilator oder, noch besser, über eine Klimaanlage verfügten. Gegen einen Swimmingpool hatten wir natürlich auch nichts einzuwenden.