Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

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Das 16. Kapitel: Heutiger Soldaten Tun und Lassen, und wie schwerlich ein gemeiner Kriegsmann befördert werde

Also mussten sich die Wurzeln dieser Bäume in lauter Mühseligkeit und Lamentieren, diejenigen aber auf den untersten Ästen in viel größerer Müh, Arbeit und Ungemach gedulden und durchbringen; doch waren diese jeweils lustiger als jene, daneben aber auch trotzig, tyrannisch, mehrenteils gottlos, und der Wurzel jederzeit ein schwere unerträgliche Last, um sie stund dieser Reim:

Hunger und Durst, auch Hitz und Kält,

Arbeit und Armut, wie es fällt,

Gewalttat, Ungerechtigkeit,

Treiben wir Landsknecht allezeit.

Diese Reimen waren um so viel desto weniger erlogen, weil sie mit ihren Werken übereinstimmten, denn fressen und saufen, Hunger und Durst leiden, huren und buben, raßlen und spielen, schlemmen und demmen, morden und wieder ermordet werden, totschlagen und wieder zu Tod geschlagen werden, tribulieren und wieder gedrillt werden, jagen und wieder gejaget werden, ängstigen und wieder geängstiget werden, rauben und wieder beraubt werden, plündern und wieder geplündert werden, sich fürchten und wieder gefürchtet werden, Jammer anstellen und wieder jämmerlich leiden, schlagen und wieder geschlagen werden; und in Summa nur verderben und beschädigen und hingegen wieder verderbt und beschädigt werden, war ihr ganzes Tun und Wesen; woran sie sich weder Winter noch Sommer, weder Schnee noch Eis, weder Hitz noch Kält, weder Regen noch Wind, weder Berg noch Tal, weder Felder noch Morast, weder Gräben, Päß, Meer, Mauren, Wasser, Feuer, noch Wälle, weder Vater noch Mutter, Brüder und Schwestern, weder Gefahr ihrer eigenen Leiber, Seelen und Gewissen, ja weder Verlust des Lebens, noch des Himmels, oder sonst einzig anderer Ding, wie das Namen haben mag, verhindern ließen: sondern sie weberten in ihren Werken immer emsig fort, bis sie endlich nach und nach in Schlachten, Belagerungen, Stürmen, Feldzügen, und in den Quartieren selbsten (so doch der Soldaten irdische Paradeis sind, sonderlich wenn sie fette Bauren antreffen), umkamen, starben, verdarben, und krepierten; bis auf etlich wenige, die in ihrem Alter, wenn sie nicht wacker geschunden und gestohlen hatten, die allerbesten Bettler und Landstörzer abgaben. Zu nächst über diesen mühseligen Leuten saßen so alte Hühnerfänger, die sich etlich Jahr mit höchster Gefahr auf den untersten Ästen beholfen, durchgebissen, und das Glück gehabt hatten, dem Tod bis dahin zu entlaufen, diese sahen ernstlich und etwas reputierlicher aus als die untersten, weil sie um einen gradum hinaufgestiegen waren; aber über ihnen befanden sich noch höhere, welche auch höhere Einbildungen hatten, weil sie die untersten zu kommandieren, diese nennte man Wamsklopfer, weil sie den Pikenierern mit ihren Prügeln und Hellenpotzmarter den Rücken sowohl als den Kopf abzufegen, und den Musketierern Baumöl zu geben pflegten, ihr Gewehr damit zu schmieren. Über diesen hatte des Baumes Stamm einen Absatz oder Unterscheid, welches ein glattes Stück war, ohne Ast, mit wunderbarlichen Materialien und seltsamer Seifen der Mißgunst geschmieret, also dass kein Kerl, er sei denn vom Adel, weder durch Mannheit, Geschicklichkeit noch Wissenschaft hinaufsteigen konnte, Gott geb wie er auch klettern könnte; denn es war glatter poliert, als eine marmorsteinerne Säul oder stählerner Spiegel; über demselben Ort saßen die mit den Fähnlein, deren waren teils jung und teils bei ziemlichen Jahren, die jungen hatten ihre Vettern hinaufgehoben, die Alten aber waren zum Teil von sich selbst hinaufgestiegen, entweder auf einer silbernen Leiter, die man Schmiralia nennet', oder sonst auf einem Steg, den ihnen das Glück aus Mangel anderer gelegt hatte. Besser oben saßen noch höhere, die auch ihre Mühe, Sorg und Anfechtung hatten, sie genossen aber diesen Vorteil, dass sie ihre Beutel mit demjenigen Speck am besten spicken können, welchen sie mit einem Messer, das sie Kontribution nenneten, aus der Wurzel schnitten; am tunlichsten und geschicktesten fiel es ihnen, wenn ein Commissarius daherkam, und ein Wanne voll Geld über den Baum abschüttete, solchen zu erquicken, dass sie das Beste von oben herab auffingen, und den untersten soviel als nichts zukommen ließen; dahero pflegten von den untersten mehr Hungers zu sterben, als ihrer vom Feind umkamen, welcher Gefahr miteinander die höchsten entübriget zu sein schienen. Dahero war ein unaufhörliches Gekrabbel und Aufkletterns an diesem Baum, weil jeder gerne an den obristen glückseligen Orten sitzen wollte, doch waren etliche faule liederliche Schlingel, die das Kommißbrot zu fressen nicht wert waren, welche sich wenig um ein Oberstell bemüheten, und ein Weg als den andern tun mussten, was ihr Schuldigkeit erfordert'; die Untersten, was ehrgeizig war, hoffeten auf der Obern Fall, damit sie an ihren Ort sitzen möchten, und wann es unter Zehentausenden einem geriet, dass er so weit gelangte, so geschah solches erst in ihrem verdrießlichen Alter, da sie besser hintern Ofen taugten Äpfel zu braten, als im Feld vorm Feind zu liegen, und wenn schon einer wohl stund, und seine Sach rechtschaffen verrichtete, so wurde er von andern geneidet, oder sonst durch einen ohnversehenlichen unglücklichen Dunst beides der Charge und des Lebens beraubt, nirgends hielt es härter, als an obgemeldtem glatten Ort, denn welcher einen guten Feldweibel oder Sergeanten hatte, verlor ihn ungern, welches aber geschehen musste, wenn man ein Fähnrich aus ihm gemacht hätte. Man nahm dahero, anstatt der alten Soldaten, viel lieber Blackscheißer, Kammerdiener, erwachsene Pagen, arme Edelleut, irgends Vettern und sonst Schmarotzer und Hungerleider, die denen, so etwas meritiert, das Brot vorm Maul abschnitten, und Fähnrich wurden.

Das 17. Kapitel: Obschon im Krieg der Adel, wie billig, dem gemeinen Mann vorgezogen wird, so kommen doch viel aus verächtlichem Stand zu hohen Ehren

Dieses verdroß einen Feldweibel so sehr, dass er trefflich anfing zu schmälen, aber Adelhold sagte: »Weißt du nicht, dass man je und allwegen die Kriegsämter mit adeligen Personen besetzt hat? als welche hierzu am tauglichsten sind; graue Bärt schlagen den Feind nicht, man könnte sonst ein Herd Böck zu solchem Geschäft dingen, es heißt:

Ein junger Stier wird vorgestellt

Dem Haufen, als erfahren,

Den er auch hübsch beisammen hält,

Trutz dem von vielen Jahren;

Der Hirt darf ihm vertrauen auch,

Ohn Ansehn seiner Jugend,

Man judiziert nach bösem Brauch,

Aus Altertum die Tugend.

Sag mir, du alter Krachwadel, ob nicht edelgeborne Offizier von der Soldateska besser respektieret werden, als diejenigen, so zuvor gemeine Knecht gewesen? und was ist für Kriegsdisziplin zu halten, wo kein rechter Respekt ist? darf nicht der Feldherr einem Kavalier mehr vertrauen, als einem Baurenbuben, der seinem Vater vom Pflug entlaufen, und seinen eigenen Eltern kein gut tun wollen? Ein rechtschaffener Edelmann, ehe er seinem Geschlecht durch Untreu, Feldflucht, oder sonst etwas dergleichen einen Schandflecken anhängte, ehe würde er ehrlich sterben: zudem gebührt dem Adel der Vorzug in allwege, wie solches leg. Honor. dig. de honor. zu sehen. Johannes de Platea will ausdrücklich, dass man in Bestallung der Ämter dem Adel den Vorzug lassen, und die Edelleut den Plebejis schlecht soll vorziehen; ja solches ist in allen Rechten bräuchlich, und wird in Hl. Schrift bestätigt, denn Beata terra, cuius Rex nobilis est, sagt Sirach cap. 10, welches ein herrlich Zeugnis ist des Vorzugs, so dem Adel gebührt. Und wenn schon einer von euch ein guter Soldat ist, der Pulver riechen, und in allen Begebenheiten treffliche Anschläg geben kann, so ist er darum nicht gleich tüchtig, andere zu kommandieren; dahingegen diese Tugend dem Adel angeborn, oder von Jugend auf angewöhnet wird. Seneca sagt: Habet hoc proprium generosus animus, quod concitatur ad honesta, et neminem excelsi ingenii virum humilia delectant et sordida. Welches auch Faustus Poeta in diesem Disticho exprimiert hat:

Si te rusticitas vilem genuisset agrestis,

Nobilitas animi non foret ista tui.

Überdas hat der Adel mehr Mittel, ihren Untergehörigen mit Geld, und den schwachen Kompagnien mit Volk zu helfen, als ein Bauer: So stünde es auch nach dem gemeinen Sprichwort nicht fein, wenn man den Bauren über den Edelmann setzte; auch würden die Bauren viel zu hoffärtig, wenn man sie also strack zu Herren machte, denn man sagt:

Es ist kein Schwert das schärfer schiert,

Als wenn ein Baur zum Herren wird.

Hätten die Bauren durch lang-hergebrachte löbliche Gewohnheit die Kriegs- und anderen Ämter in Possession, wie der Adel, so würden sie gewißlich sobald keinen Edelmann einkommen lassen; zudem, ob man euch Soldaten von Fortun (wie ihr genennet werdet) schon oft gerne helfen wollte, dass ihr zu höhern Ehren erhaben würdet, so seid ihr aber alsdann gemeiniglich schon so abgelebt, wenn man euch probiert hat und eines Bessern würdig schätzet, dass man Bedenkens haben muss, euch zu befördern; denn da ist die Hitz der Jugend verloschen, und gedenket ihr nur schlechts dahin, wie ihr euren kranken Leibern, die durch viel erstandene Widerwärtigkeit ausgemergelt und zu Kriegsdiensten wenig mehr nutz sein, gütlich tun und wohl pflegen möget, Gott geb, wer fechte und Ehr einlege; hingegen aber ist ein junger Hund zum jagen viel freudiger als ein alter Löw.«

Der Feldweibel antwortet': »Welcher Narr wollte denn dienen, wenn er nicht hoffen darf, durch sein Wohlverhalten befördert, und also um seine getreuen Dienst belohnt zu werden: Der Teufel hol solchen Krieg! Auf diese Weis gilts gleich, ob sich einer wohl hält oder nicht. Ich hab von unserm alten Obristen vielmals gehört, dass er keinen Soldaten unter sein Regiment begehre, der sich nicht festiglich einbilde, durch Wohlverhalten ein General zu werden. So muss auch alle Welt bekennen, dass diejenigen Nationen, so gemeinen aber doch rechtschaffenen Soldaten forthelfen und ihre Tapferkeit bedenken, gemeiniglich victorisieren, welches man an den Persern und Türken wohl siehet. Es heißt:

 

Die Lampe leucht dir fein, doch musst du sie auch laben

Mit fett Oliven-Saft, die Flamm sonst bald verlischt:

Getreuer Dienst durch Lohn gemehrt wird und erfrischt;

Soldaten Tapferkeit will Unterhaltung haben.«

Adelhold antwortet': »Wenn man eines redlichen Manns rechtschaffene Qualitäten siehet, so wird er freilich nicht übersehen, maßen man heutigen Tags viel findet, welche vom Pflug, von der Nadel, von dem Schusterleist und vom Schäferstecken zum Schwert gegriffen, sich wohl gehalten, und durch solche ihre Tapferkeit, weit über den gemeinen Adel, in Grafen- und Freiherrenstand geschwungen. Wer war der kaiserliche Johann von Werd? wer der Schwedische Stallhans? wer der Hessische kleine Jacob und S. Andreas? Ihresgleichen sind noch viel bekannt, die ich Kürze halber nicht alle nennen mag. Ist also gegenwärtiger Zeit nichts Neues, wird auch bei der Posterität nicht abgehen, dass geringe doch redliche Leut durch Krieg zu hohen Ehren gelangen, welches auch bei den Alten geschehen: Tamerlanes ist ein mächtiger König und schreckliche Furcht der ganzen Welt worden, der doch zuvor nur ein Säuhirt war; Agathokles König in Sizilien, ist eines Hafners Sohn gewesen; Thelephas ein Wagner, wurde König in Lydien; des Kaisers Valentiniani Vater war ein Seiler; Mauritius Cappadox, ein leibeigener Knecht, ward nach Tiberio Kaiser; Johannes Zernisces kam aus der Schulen zum Kaisertum. So bezeuget Flavius Vobiscus, dass Bonosus Imperator eines armen Schulmeisters Sohn gewesen sei; Hyperbolus, Chermidis Sohn, war erstlich ein Laternenmacher und nachgehends Fürst zu Athen; Justinus, so vor Justiniano regierte, war vor seinem Kaisertum ein Säuhirt; Hugo Capetus eines Metzgers Sohn, hernach König in Frankreich; Pizarrus gleichfalls ein Schweinhirt, und hernach Markgraf in den Westindianischen Ländern, welcher das Gold mit Zentnern auszuwägen hatte.«

Der Feldweibel antwort: »Dies alles lautet zwar wohl auf meinen Schrot, indessen sehe ich aber wohl, dass uns die Türen, zu ein und anderer Würde zu gelangen, durch den Adel verschlossen gehalten werden. Man setzt den Adel, wenn er nur aus der Schalen gekrochen, gleich an solche Ort, da wir uns nimmermehr keine Gedanken hin machen dürfen, wenn wir gleich mehr getan haben als mancher Nobilist, den man jetzt für einen Obristen vorstellet. Und gleich wie unter den Bauren manch edel Ingenium verdirbt, weil es aus Mangel der Mittel nicht zu den Studiis angehalten wird: also veraltet mancher wackere Soldat unter seiner Musket, der billiger ein Regiment meritierte, und dem Feldherrn große Dienste zu leisten wüßte.«

Das 18. Kapitel: Simplicius tut den ersten Sprung in die Welt, mit schlechtem Glück

Ich mochte dem alten Esel nicht mehr zuhören, sondern gönnete ihm, was er klagte, weil er oft die armen Soldaten prügelte wie die Hund: Ich wendet mich wieder gegen die Bäume, deren das ganze Land voll stund, und sah, wie sie sich bewegten, und zusammenstießen, da prasselten die Kerl haufenweis herunter, Knall und Fall war eins; augenblicklich frisch und tot, in einem Hui verlor einer ein Arm, der ander ein Bein, der dritte den Kopf gar. Als ich so zusah, bedeuchte mich, alle diejenigen Bäum, die ich sah, wären nur ein Baum, auf dessen Gipfel saß der Kriegsgott Mars, und bedeckte mit des Baums Ästen ganz Europam; wie ich dafürhielt, so hätte dieser Baum die ganze Welt überschatten können, weil er aber durch Neid und Haß, durch Argwohn und Mißgunst, durch Hoffart, Hochmut und Geiz und andere dergleichen schöne Tugenden gleichwie von scharfen Nordwinden angewehet wurde, schien er gar dünn und durchsichtig, dahero einer folgende Reimen an den Stamm geschrieben hat:

Die Stein-Eich durch den Wind getrieben und verletzet,

Ihr eigen Ast' abbricht, sich ins Verderben setzet:

Durch innerliche Krieg' und brüderlichen Streit,

Wird alles umgekehrt, und folget lauter Leid.

Von dem gewaltigen Gerassel dieser schädlichen Wind, und Zerstümmlung des Baums selbsten, ward ich aus dem Schlaf erweckt, und sah mich nur allein in meiner Hütten. Dahero fing ich wieder an zu gedenken, was ich doch immermehr anfangen sollte? Im Wald zu bleiben war mir unmöglich, weil mir alles so gar hinweggenommen worden, dass ich mich nicht mehr aufhalten konnte, nichts war mehr übrig als noch etliche Bücher, welche hin und her zerstreut und durcheinandergeworfen lagen: Als ich solche mit weinenden Augen wieder auflas, und zugleich Gott inniglich anrief, er wollte mich doch leiten und führen, wohin ich sollte, da fand ich ohngefähr ein Brieflein, das mein Einsiedel bei seinem Leben noch geschrieben hatte, das lautet also: »Lieber Simplici, wenn du dies Brieflein findest, so gehe alsbald aus dem Wald, und errette dich und den Pfarrer aus gegenwärtigen Nöten, denn er hat mir viel Guts getan: Gott, den du allweg vor Augen haben, und fleißig beten sollest, wird dich an ein Ort bringen, der dir am bequemsten ist. Allein habe denselbigen stets vor Augen, und befleißige dich, ihm jederzeit dergestalt zu dienen, als wenn du noch in meiner Gegenwart im Wald wärest, bedenke und tue ohne Unterlaß meine letzte Rede, so wirst du bestehen mögen: Vale.«

Ich küßte dies Brieflein und des Einsiedlers Grab zu viel tausendmalen, und machte mich auf den Weg, Menschen zu suchen, bis ich deren finden möchte, ging also zween Tag einen geraden Weg fort, und wie mich die Nacht begriff, suchte ich ein hohlen Baum zu meiner Herberg, mein Zehrung war nichts anders als Buchen, die ich unterwegs auflas, den dritten Tag aber kam ich ohnweit Gelnhausen auf ein ziemlich eben Feld, da genoß ich gleichsam eines hochzeitlichen Mahls, denn es lag überall voller Garben auf dem Feld, welche die Bauren, weil sie nach der namhaften Schlacht vor Nördlingen verjagt worden, zu meinem Glück nicht einführen können, in deren einer macht ich mein Nachtlager, weil es grausam kalt war, und sättigte mich mit ausgeriebenen Weizen, dergleichen ich lang nicht genossen.

Das 19. Kapitel: Wie Hanau von Simplicio, und Simplicius von Hanau eingenommen wird

Da es taget', füttert ich mich wieder mit Weizen, begab mich zum nächsten auf Gelnhausen, und fand daselbst die Tor' offen, welche zum Teil verbrennet, und jedoch noch halber mit Mist verschanzt waren: Ich ging hinein, konnte aber keines lebendigen Menschen gewahr werden, hingegen lagen die Gassen hin und her mit Toten überstreut, deren etliche ganz, etliche aber bis aufs Hemd ausgezogen waren. Dieser jämmerliche Anblick war mir ein erschrecklich Spektakul, maßen sich jedermann selbsten wohl einbilden kann, meine Einfalt konnte nicht ersinnen, was für ein Unglück den Ort in einen solchen Stand gesetzt haben müßte. Ich erfuhr aber ohnlängst hernach, dass die kaiserlichen Völker etliche Weimarischen daselbst überrumpelt. Kaum zween Steinwürf weit kam ich in die Stadt, als ich mich derselben schon satt gesehen hatte, derowegen kehrete ich wieder um, ging durch die Au nebenhin und kam auf ein gänge Landstraß, die mich vor die herrliche Festung Hanau trug: Sobald ich deren erste Wacht ersah, wollte ich durchgehen, aber mir kamen gleich zween Musketier auf den Leib, die mich anpackten, und in ihre Corps de Garde führten.

Ich muss dem Leser nur auch zuvor meinen damaligen visierlichen Aufzug erzählen, ehe dass ich ihm sage, wie mirs weiter ging, denn meine Kleidung und Gebärden waren durchaus seltsam, verwunderlich und widerwärtig, so, dass mich auch der Gouverneur abmalen lassen: Erstlich waren meine Haar in dritthalb Jahren weder auf griechisch, teutsch noch französisch abgeschnitten, gekampelt noch gekräuselt oder gebüfft worden, sondern sie stunden in ihrer natürlichen Verwirrung noch, mit mehr als jährigem Staub anstatt des Haarplunders, Puders oder Pulvers (wie man das Narren- oder Närrinwerk nennet) durchstreuet, so zierlich auf meinem Kopf, dass ich darunter hervorsah mit meinem bleichen Angesicht, wie ein Schleiereul die knappen will oder sonst auf eine Maus spannet. Und weil ich allzeit barhäuptig zu gehen pflegte, meine Haar aber von Natur kraus waren, hatte es das Ansehen, als wenn ich ein türkischen Bund aufgehabt hätte; das übrige Habit stimmte mit der Hauptzierd überein, denn ich hatte meines Einsiedlers Rock an, wenn ich denselben anders noch einen Rock nennen darf, dieweil das erste Gewand, daraus er geschnitten worden, gänzlich verschwunden, und nichts mehr davon übrig gewesen als die bloße Form, welche mehr als tausend Stücklein allerhandfarbiges, zusammengesetztes oder durch vielfältiges Flicken aneinandergenähetes Tuch noch vor Augen stellte. Über diesem abgangenen und doch zu vielmalen verbesserten Rock trug ich das hären Hemd, anstatt eines Schulterkleids (weil ich die Ärmel anstatt eines Paar Strümpfe brauchte, und dieselben zu solchem Ende herabgetrennet hatte), der ganze Leib aber war mit eisernen Ketten, hinten und vorn fein kreuzweis, wie man Sanctum Wilhelmum zu malen pflegt, umgürtet, so dass es fast eine Gattung abgab wie mit denen, so vom Türken gefangen und für ihre Freunde zu betteln im Land umziehen; meine Schuh waren aus Holz geschnitten, und die Schuhbändel aus Rinden von Lindenbäumen gewebt, die Füß selbst aber sahen so krebsrot aus, als wenn ich ein Paar Strümpf von spanisch Leibfarb angehabt, oder sonst die Haut mit Fernambuk gefärbt hätte: Ich glaube, wenn mich damals ein Gaukler, Marktschreier oder Landfahrer gehabt, und für einen Samojeden oder Grönländer dargeben, dass er manchen Narren angetroffen, der ein Kreuzer an mir versehen hätte. Ob nun zwar ein jeder Verständige aus meinem magern und ausgehungerten Anblick und hinlässiger Aufziehung ohnschwer schließen können, dass ich aus keiner Garküchen, oder aus dem Frauenzimmer, weniger von irgendeines großen Herrn Hofhaltung entlaufen, so wurde ich jedoch unter der Wacht streng examiniert, und gleichwie sich die Soldaten an mir vergafften, also betrachtet ich hingegen ihres Offiziers tollen Aufzug, dem ich Red und Antwort geben musste. Ich wusste nicht, ob er sie oder er wäre, denn er trug Haar und Bart auf französisch, zu beiden Seiten hatte er lange Zöpf herunterhangen wie Pferdsschwänz, und sein Bart war so elend zugerichtet und verstümpelt, dass zwischen Maul und Nasen nur noch etlich wenig Haar so kurz davonkommen, dass man sie kaum sehen konnte: Nicht weniger setzten mich seine weiten Hosen seines Geschlechts halber in nicht geringen Zweifel, als welche mir vielmehr einen Weiberrock, als ein Paar Mannshosen vorstelleten. Ich gedachte bei mir selbst, ist dies ein Mann? so sollte er auch einen rechtschaffenen Bart haben, weil der Geck nicht mehr so jung ist, wie er sich stellet; ists aber ein Weib, warum hat die alte Hur dann so viel Stupfeln ums Maul? Gewißlich ists ein Weib, gedacht ich, denn ein ehrlicher Mann wird seinen Bart wohl nimmermehr so jämmerlich verketzern lassen; maßen die Böcke aus großer Schamhaftigkeit keinen Tritt unter fremde Herden gehen, wenn man ihnen die Bärt stutzet. Und demnach ich also im Zweifel stund, und nicht wusste, was die jetzige Mode war, hielt ich ihn endlich für Mann und Weib zugleich.

Dieses männische Weib, oder dieser weibische Mann, wie er mir vorkam, ließ mich überall besuchen, fand aber nichts bei mir, als ein Büchlein von Birkenrinden, darin ich meine täglichen Gebet geschrieben, und auch dasjenige Zettelein liegen hatte, das mir mein frommer Einsiedel, wie in vorigem Kapitel gemeldet worden, zum Valete hinterlassen, solches nahm er mir; weil ichs aber ungern verlieren wollte, fiel ich vor ihm nieder, faßte ihn um beide Knie, und sagte: »Ach mein lieber Hermaphrodit, laßt mir doch mein Gebetbüchlein!« »Du Narr«, antwortet' er, »wer Teufel hat dir gesagt, dass ich Hermann heiße?« Befahl darauf zweien Soldaten, mich zum Gubernator zu führen, welchem er besagtes Buch mitgab, weil der Phantast ohnedas, wie ich gleich merkte, selbst weder lesen noch schreiben konnte.

Also führete man mich in die Stadt, und jedermann lief zu, als wenn ein Meerwunder auf die Schau geführt würde; und gleichwie mich jedweder sehen wollte, also machte auch jeder etwas Besonders aus mir, etliche hielten mich für einen Spionen, andere für ein Unsinnigen, andere für ein wilden Menschen, und aber andere für ein Geist, Gespenst oder sonst für ein Wunder, welches etwas Besonders bedeuten würde: Auch waren etliche, die hielten mich für ein Narren, welche wohl am nächsten zum Zweck geschossen haben möchten, wenn ich den lieben Gott nicht gekennet hätte.