Weiberröcke und Leichen

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Dies hat der Kapitän der RENA, die der griechischen Reederei Costamare gehörte und 1990 als ZIM AMERICA in Kiel gebaut worden war, offensichtlich anders gesehen. Das Containerschiff, das 236 m lang war und 3351 TEU befördern konnte, befand sich am 5. Oktober 2011 auf der Reise von Napier nach Tauranga in Neuseeland, als es um 2.20 Uhr in der Bay of Plenty auf das Astrolabe Riff lief. Die Untersuchung der zuständigen neuseeländischen Behörde ergab, dass der ursprüngliche Reiseplan durchaus den üblichen Anforderungen entsprach. Aber schon bei der Verseglung um die Mahia-Halbinsel wurde deutlich, dass Kapitän und Wachoffizier den Sinn einer seemännisch fundierten Reiseplanung nicht verstanden hatten. Der Plan wurde zur Wegeinsparung („Eckenschneiden“) verändert und zu keinem Zeitpunkt wurde der festgelegte Kurs eingehalten.










Die 1991 in Kiel gebaute ZIM KOREA ist eins von sechs Schwesterschiffen der ZIM AMERICA





Darüber hinaus übertrug der Kapitän dem Zweiten Aufgaben, für die er selbst zuständig war. Der Kurs des Schiffes wurde vom Zweiten nach einem Telefongespräch mit dem Kapitän in Richtung Astrolabe Riff zur Einsparung der zu laufenden Distanz geändert. Diese Veränderungen widersprechen den Regeln guter Seemannschaft. Einen solchen Gedanken hätte der Kapitän mit allem Für und Wider selbst anhand der Karte kontrollieren müssen. Das Ergebnis dieser nicht seemännischen Arbeitsweise war der Totalverlust des Schiffes, eine beachtliche Umweltverschmutzung und eine sehr teure Beseitigung von Teilen des Wracks.



Eine der schönsten Definitionen in der Seefahrt ist die folgende aus dem Fachbuch „The American Practical Navigator“ (Ausgabe 1995):

Die Navigation eines Schiffes verbindet Wissenschaft und Kunst. Ein guter Navigator sammelt Informationen von jeder zur Verfügung stehenden Quelle, wertet diese Information aus, ermittelt einen Schiffsort und vergleicht diesen Schiffsort mit der vorher durch Koppeln


bestimmten Position. Ein Navigator bewertet ständig die Position des Schiffes, erkennt mögliche gefährliche Situationen, bevor sie entstehen und ist mit seinen Überlegungen immer der jeweiligen Situation voraus. Der moderne Navigator muss die Grundkonzepte der vielen heutigen Navigationssysteme verstehen, ermittelt ihre Genauigkeit und kommt so zu den bestmöglichen Entscheidungen für die Führung des Schiffes.



Diese Definition gab es zur Zeit eines alten Kapitäns, der mit seinem Segler aus Geordie (Umgebung von Newcastle upon Tyne) Kohle in der Küstenfahrt transportierte, noch nicht. Wenn es sie gegeben hätte, würde er sie wahrscheinlich nicht beachtet haben. Bei dickem Wetter wurde der Kohlefrachter auf die Nordsee hinausgetrieben. Der Schipper wandte sich an seinen Steuermann, wo denn die Seekarte wäre, denn ihm sei so, als hätten sie eine an Bord. Nach einigem Suchen fanden sie die Karte fein säuberlich aufgerollt unter dem Staub der Jahrzehnte. Der Kapitän rollte sie auf, sah aufmerksam hinein und rammte seinen rechten Daumen auf die Karte. „Wi sünd ungefähr hier“, sagte er. „Möönsch“, sagte der Steuermann, „lot mal sehn.“ Der Alte lüftete seinen Daumen und beide starrten voller Schrecken auf die Karte. Genau dort, wo der Daumen gewesen war, befand sich ein schwarzer Fleck. Schließlich sagte der Schiffsführer: „Is dat Fleegendreck, denn sünd wi richtig. Aber wenn nich …! Klar zum Halsen!“ Zumindest hat der Küstenschiffer anscheinend gewusst, wo er hinwollte.



1973 hatte mein Flottenbereich entweder keinen Kapitän oder niemand wollte dieses riskante Unternehmen übernehmen. Die JOHN SCHEHR sollte von Rostock nach Wismar in die Werft versegeln. Das sind unattraktive Aufgaben mit einem hohen Risikofaktor, weil auf den in die Werft bestimmten Schiffen in der Regel zahlreiche Anlagen nicht oder nur eingeschränkt funktionieren. So war es auch auf diesem Typ-X-Schiff. Der Kompass funktionierte noch, aber mit dem Radar konnte man kein Ziel peilen. Nur der bewegliche Entfernungsring ermöglichte mir im dichten Nebel, die Abstände zur Küste festzustellen. Mit ihrer Hilfe navigierte ich das Schiff und brachte es, ohne Schiffbruch zu erleiden, nach Wismar. Die Amerikaner sprechen von jeder zur Verfügung stehenden Quelle. Ich hatte nur eine, aber sie ermöglichte mir, die Position meines Schiffes festzustellen und den notwendigen Kurs anzuweisen.










Die JOHN SCHEHR vom Typ X auf der Elbe





Auf diese Weise konnte ich den Spruch von Laotse

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg

 befolgen. Mit dem richtigen Weg haben doch eine ganze Reihe von Kapitänen Probleme gehabt, weil sie nicht die richtigen Seekarten an Bord hatten. In der letzten Verhandlung eines Seeamtes, an der ich als Beisitzer teilgenommen habe, ging es um die Grundberührung des 999 RT großen Küstenmotorschiffes RUTHENSAND. Das Schiff kam mit einer Ladung Splitt von Abenrade nach Sassnitz-Mukran. Dem Kapitän war es nicht gelungen, sich eine Seekarte zu besorgen. Vom Schiffsmakler in Stralsund erhielt er einen Fax-Abzug von der Seekarte, mit dem er dann versuchte, seinen Liegeplatz in Mukran anzusteuern. Das klappte nicht. Die Reparatur des Bodenschadens, den er sich am 13. Juni 1992 auf den Steinen vor Mukran zuzog und der in der Volkswerft Stralsund repariert wurde, kostete über 100 000 DM.



Bei dem Kühlschiff CAP TRIUNFO war das Suchen des Weges noch ein bisschen komplizierter. Im August 2001 lud das Schiff in Südamerika Bananen für Italien. Auf der Reise erhielt der Kapitän die Order, die Bananen nach St. Petersburg zu bringen. Das akzeptierte er, wenn er auch die dafür nötigen Seekarten nicht an Bord hatte. Er bestellte sie für Skagen, wo er sie nicht bekam. Die für den Öresund bekam er rechtzeitig, die für das schwierige Seegebiet Golf von Finnland aber nicht.










Einfahrt in den Hafen Sassnitz-Mukran





Er tat das, was er nicht durfte: Er setzte die Reise fort und befahl dem Zweiten Offizier, provisorische Karten zu zeichnen. Der versuchte dies mit Hilfe des Katalogs der Seekarten der Britischen Admiralität. Wie schon bei dem später zu beschreibenden Seeunfall der Rostocker KÄTHE NIEDERKIRCHNER ging das schief. Am 5. September 2001 lief der „Bananendampfer“ auf Grund. Die Bergung des Schiffes und die Reparatur kosteten eine Million US-Dollar. Die Unsitte, ohne die erforderlichen Seekarten zur See zu fahren, stirbt einfach nicht aus.



Das galt auch für den Kapitän eines Frachters, der nach Stralsund wollte. Die Online-Ausgabe der Deutschen Schiffahrts-Zeitung THB meldete am 6. Juni 2012:







Frachter-Kapitän fuhr auf Sicht nach Stralsund - 06. 06. 12









Samstag, 02. Juni 2012





Lediglich auf Sicht und ohne Seekarte hat der Kapitän eines Frachtschiffes den Hafen von Stralsund angesteuert. Wie die Wasserschutzpolizei mitteilte, stellten Angehörige der Behörde am Vortag bei einer Kontrolle fest, dass der unter der Flagge von Gibraltar fahrende Frachter keine Seekarten für den Bereich Rügen-Stralsund an Bord hatte. Dem Kapitän sei daraufhin mitgeteilt worden, dass er den Hafen erst verlassen dürfe, wenn er sich mit aktuellem Kartenmaterial eingedeckt habe

.



Gelegentlich war jedoch nicht das Fehlen einer Seekarte schuld an der Orientierungslosigkeit des Kapitäns. Am 15. Juli 1982 berichtete das britische Schifffahrtsmagazin FAIRPLAY, dass eines Kapitäns Orientierungslosigkeit fast eine Meuterei ausgelöst hätte, als er sich mit seinem Schiff auf der Reise von Le Havre nach Großbritannien befand. Die Besatzung war außer sich, weshalb die Behörden eingreifen mussten. Die Besatzung wurde befragt. Es gab eine ganze Reihe unterschiedlicher Antworten, aber alle waren sich darin einig, dass das Schiff nach Portsmouth bestimmt war. Nur der Kapitän war anderer Meinung. Er sagte, dass er den Kurs nach Plymouth in die Karte eingetragen hätte. Als man ihm sagte, dass die Besatzung der Meinung war, dass das Schiff für Portsmouth bestimmt sei, antwortete er: „Oh ja, ich verwechsle immer die beiden.“



Auch bei dem folgenden Beispiel hielt sich der Schiffsführer nicht an den von den Amerikanern aufgeführten Grundsatz:

Ein guter Navigator sammelt Informationen von jeder zur Verfügung stehenden Quelle.

 Dieser Grundsatz ist schon lange Bestandteil einer nach den Regeln guter Seemannschaft durchgeführten Navigation. Wir können davon ausgehen, dass ihn der Kapitän des Schoners ANNA LOUISE aus Barth kannte. Am 22. April 1881 hatte der Schoner Stralsund verlassen und begab sich auf die Reise nach Kiel. Am 1. Mai bekam man Darßer Ort in einem Abstand von vier Seemeilen in Sicht. Von da an wurde das Wetter dick und der Schiffsführer begann an seinen Künsten zu zweifeln. Er beschloss, das Loggen zu lassen und nur noch das Lot zu nutzen. Er kreuzte gegen den flauen westlichen Wind, indem er jedes Mal, wenn das Lot eine geringe Wassertiefe anzeigte, auf den anderen Bug ging. Am Morgen des 2. Mai kam der Segler um 2 Uhr plötzlich fest. Bald darauf kam ein Feuer in Sicht, dessen Identität der Schiffer nicht feststellen konnte. Um 8 Uhr erreichte sie ein dänischer Lotse und erklärte Kapitän Ehlert zu seinem großen Erstaunen, dass er mit seinem Schiff im Großen Belt auf der Insel Sprogö gestrandet sei. Die Nutzung des Lotes

und

 des Logs wäre wohl doch die bessere Variante gewesen.










Die Insel Sprogö im Großen Belt



 



Den Spruch

Irren ist menschlich

 werden viele Seeleute oft genug verflucht haben. Das vor allem deshalb, weil, wenn sie etwas genauer oder intensiver hingeschaut hätten, sie den Irrtum durchaus hätten bemerken können. Das gilt auch für die Strandung des Stettiner Dampfers URSULA. Das Flensburger Seeamt kam am 18. April 1895 in seinem Spruch zu dem folgenden Schluss: …

Die Stelle, wo das Schiff strandete, liegt eine halbe Seemeile NzO von einem Wirtshaus im Dorfe Stein. Das am Strand stehende Wirtshaus gehört dem Gastwirt Stelk. Es ist demnächst festgestellt worden, dass in der Nacht, wo die URSULA strandete, in diesem Wirtshaus Tanzmusik war und das Licht, welches der Schiffer für das fest Feuer von Friedrichsort gehalten hat, von einer im Wirtshaus brennenden Petroleumlampe herrührte …



Ganz nach dem Gusto des jeweiligen Autors ist das Versagen der Seeleute bei 50 bis 85 Prozent der Seeunfälle die Ursache für das Eintreten der international registrierten Seeunfälle. Seit Langem wissen die zahllosen „Experten“, dass es auch Seeunfälle gibt, die die Seeleute nicht verschuldet haben. Das belegt auch das seit Jahrhunderten existierende Sprichwort





Es ist nicht allzeit des Schiffsmanns Schuld,







wenn das Segel reißt,







der Mastbaum bricht und das Schiff anstößt.





Auch in dem folgenden Beispiel waren die Seeleute der US-Navy nicht schuld daran, dass ihr Minensucher auf ein Riff lief und auf ihm sitzen blieb. Das EUROPÄISCHE SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM veröffentlichte zu dem Seeunfall folgende Meldung:







Elektronische Seekarte versetzte Riff, auf dem Minensucher strandete, um acht Meilen.









Im Januar 2013 strandete der Minensucher USS ‚Guardian‘ auf dem Tubbataha Riff. Am 18.1. waren die letzten sieben Mann abgeborgen worden, nachdem bis dahin die Bergungsbemühungen fruchtlos geblieben waren. Der Havarist wurde in der Brandung 90 Grad herumgedrückt, was weiteren Schaden am Korallenriff verursacht haben könnte. Mehrere Hilfsschiffe waren unterdessen zur Strandungsstelle unterwegs zu der Position 80 Meilen ostsüdöstlich von Palawan Island … Am 19.1. veröffentlichte die U.S. National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) erste Erkenntnisse zur Unglücksursache, nach denen die digitalen nautischen Karten falsche Daten enthalten können, die den Minensucher vom Kurs abbrachten. Da die elektronischen Seekarten auch auf anderen Schiffen der US-Marine genutzt werden, ergingen an diese vorsorglich Warnungen. Im konkreten Fall war wohl die Position des Tubbataha Riffes auf der digitalen Karte falsch verzeichnet und um acht Meilen versetzt ausgewiesen worden.





Da ich die Umstände wie Wetter, Erkennbarkeit des Riffs, Vorhandensein und Aufmerksamkeit des Ausgucks nicht beurteilen kann, will ich auch gar nicht erst anfangen, an dieser Aussage herumzumäkeln, zumal uns das Sprichwort ja eindeutig bestätigt, dass wir nicht immer schuld sind. Vielleicht hätten sich die amerikanischen Seeleute aber doch an das ungeschriebene Gesetz ihrer Kollegen auf den Großen Seen erinnern sollen. Es besagt:

Ständige Wachsamkeit ist der Preis, schwimmen zu


bleiben

. Hätte es der Kapitän des Hamburger Dampfers OTTILIE am 13. März 1891 beachtet, wäre er mit seinem Schiff nicht auf ein Riff der Purdy-Inseln, die zum Bismarck-Archipel gehören, gestrandet. Das Kaiserliche Seeamt in Hamburg kam zu der Auffassung, dass seine unzureichende Navigation daran schuld war, dass das Schiff zum Totalverlust wurde. Nachdem er schon mit seiner Navigation Schiffbruch erlitten hatte, sorgte er durch unmäßigen Alkoholgenuss dafür, dass seine Seemannschaft sprichwörtlich über Bord ging. Im Spruch des Seeamtes findet sich folgende sehr anschauliche Beschreibung seiner Aktivitäten nach der Strandung des 170 Registertonnen großen Dampfers:

… Als nun Steuermann Ebers die Leine, welche den Anker am Boote hielt und dieses hinten völlig unter Wasser drückte, durchschnitt, gerieth Schiffer Budde der Art in Wuth, daß er unter den heftigsten Schimpfworten den Steuermann Ebers zum Passagier machte, an seiner Stelle aber den als Passagier an Bord befindlichen Gärtner Tillmann zum Steuermann ernannte. Schiffer Budde befand sich zur Zeit jener Ankermanöver in einem so schwer angetrunkenen Zustande, daß er sich, um nicht umzufallen, an der Reling festhalten mußte. Er machte zunächst selbst noch einen Versuch mit dem Ausbringen des Ankers, doch scheiterte jener Versuch ebenfalls gänzlich. Schiffer Budde begab sich dann in seine Kajüte und blieb dort in betrunkenem Zustande stundenlang liegen, ohne sich um irgendetwas zu bekümmern … Als Steuermann Ebers zu dieser Zeit beschäftigt war, die vier an Bord befindlichen Ochsen ins Wasser zu lassen, um sie an Land schwimmen zu lassen, sprang Schiffer Budde in schwer angetrunkenem Zustande über Bord und schwamm denselben nach mit dem Ausruf, er wolle die Ochsen retten … Er war zur Zeit nur mit einer leichten javanischen Hose bekleidet, die sich indeß bei dem Schwimmen abstreifte. Mit blutendem Kopfe, welchen er sich durch einen Stoß gegen die aus dem Wasser ragenden Korallen zugezogen hatte, gelangte er schließlich auf die Insel des Latent-Riffes und stand dort vollständig nackt bei den dort gelandeten malayischen Frauen

. Ob der Anblick des nackten Kapitäns die Malaiinnen „erfreute“, berichtete das Seeamt nicht.







DERJENIGE, DER BEREIT IST, HAT NICHTS ZU FÜRCHTEN





Es gibt viele Arten von Seeunfällen und unzählige Möglichkeiten, die einen Seeunfall auslösen können. Die Seeleute führen einen ständigen Kampf, Derartiges zu verhindern. Ein Seeunfall beschädigt ja nicht nur ihr Schiff, er kann sehr schnell Leib und Leben gefährden. Deshalb gilt für jede Reise das japanische Sprichwort:

Derjenige, der bereit ist, hat nichts zu fürchten

. Manchmal reicht nicht einmal das. Die Galeasse CAROLINE lag im Emdener Binnenhafen und sank dort in der Nacht zum 1. März 1902. Als Ursache ermittelte das Emdener Kaiserliche Seeamt eine Ratte. Sie hatte am Hintersteven, etwas über der Leerwasserlinie, die Außenhaut des Schiffes durchgenagt.



Wenn die eigenen Vorbereitungen nicht ausreichen, muss man manchmal auch zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. Anlässlich der Verhandlungen des Hamburger Kaiserlichen Seeamtes 1905 zur Verschollenheit der Fischdampfer ST. JOHANN, BALTRUM, GEORG ADOLF, NECK, KOMMANDANT und URANUS würdigte der Reichskommissar ein solches Verhalten. Er sagte: „Einem anderen Schiffe wurde ein Kohlenbunkerdeckel weggeschlagen, doch gelang es dem Kapitän mittels eines Kochtopfes, dem Eindringen von Wasser Einhalt zu tun. Es sind dies alles Fälle, die nahe an dem Untergange der Schiffe vorbeigeführt haben …“



Ungeachtet der Anstrengungen vieler, wenn auch nicht aller Seeleute sinkt nach den Statistiken jeden Tag ein Schiff. Ich weiß, dass keine der veröffentlichten Seeunfallstatistiken stimmt. Sie sind unrealistisch, weil viele Beteiligte Seeunfälle nicht melden. Das beginnt beim Kapitän. Ich war als „Ausbildungskapitän“ auf einem in der Nord- und Ostseefahrt eingesetzten Zubringerschiff. Auf der Reise erzählten mir die Seeleute, dass das Schiff eine Kollision mit der Pier in St. Petersburg gehabt hatte. Jedoch hatte der Kapitän diese nicht gemeldet. So etwas sollte ein Kapitän nie tun, das ist nicht akzeptabel und zerstört das nötige Vertrauen der Reederei in ihn, auch wenn wie in diesem Fall das Schiff nur eine kleine Beule davongetragen hat. Wesentlich kritischer war ein Fall, den sich ein Kollege von Rügen, den ich wenige Jahre vorher auf einem der Rostocker Schiffe vom Typ Saturn abgelöst hatte, bei Alpha Ship in Bremen leistete. Ich musste mich als Sicherheitsbeauftragter (Designated Person Ashore/​DPA) des Unternehmens mit dem Vorfall auseinandersetzen. Der Kapitän war nachts mit seinem Schiff auf dem Weg nach Osten aus Singapur ausgelaufen. Sein Kurs musste nach dem Absteigen des Lotsen den westgehenden Verkehr kreuzen. Bei der Verkehrsdichte in der Straße von Singapur ist das in der Nacht eine sehr schwere Aufgabe, die Wissen, Erfahrung und Konzentration verlangt. Der Kapitän passierte den westwärts gehenden Verkehr ohne Probleme. Dann musste er sich in den nach Osten gehenden einordnen. Dabei erkannte er im Radar ein kleines Schiff, das er mit seinem überholte. Da er das Radar aber nicht ausreichend beobachtete, erkannte er nicht, dass dieses kleine Schiff, ein Schlepper, zwei unbeleuchtete Schuten schleppte. Das von ihm geführte Schiff kollidierte mit einer Schute und bekam dadurch ein Loch im Wulstbug. Er meldete diesen Schaden nicht, wodurch das Schiff seine Versicherung verlor. Im Südchinesischen Meer trimmte er das Schiff achterlich, um das Leck ausreichend aus dem Wasser zu bekommen. Dann ließ er den Schaden von Besatzungsmitgliedern reparieren, wozu sie nicht qualifiziert waren. Zudem trug er den gesamten Vorgang nicht in das Schiffstagebuch ein und zwang den Leitenden Technischen Offizier, dies auch im Maschinentagebuch zu unterlassen. Nachdem er abgestiegen war, erfuhren wir in Bremen ungeachtet seiner Manipulationen davon. Für meinen Kollegen war damit die Arbeit bei Alpha beendet. Beide Kapitäne bestätigten nachträglich Churchill, der gesagt hatte:

Ich glaube nur den Statistiken, die ich selber gefälscht habe

.

 Als Oberinspektor Seeunfalluntersuchung bei der DSR (1985 – 1989) beteiligte ich mich ebenfalls daran, die Aussage des großen Engländers zu bestätigen. Es gehörte zu meinen Aufgaben, für jedes Quartal und für das gesamte Jahr Statistiken über die Seeunfälle in der Flotte anzufertigen. Dabei vertuschte ich, dass die in Spanien für die DSR gebauten Schiffe vom Typ VCS 420 zahlreiche Seeschlagschäden im Vorschiffsbereich erlitten. Dabei war ich nicht geschickt genug, denn der Seekommissar Fregattenkapitän Weihs kam mir auf die Schliche. Da wir uns gut verstanden, blieb das ohne Folgen, als ich ihm für die Zukunft Ehrlichkeit anbot. Als DPA in Bremen trug ich wieder dazu bei, dass die internationalen Statistiken nicht stimmten. Das geschah aber nicht aufgrund möglicher krimineller Energie. Der Grund war, dass der verantwortliche Flaggenstaat, die Niederländischen Antillen, keine Infrastruktur für die Bearbeitung dieser Ereignisse hatte. Wir konnten sie nicht melden, denn sie wollten sie nicht gemeldet haben. Selten ist Churchill so umfassend bestätigt worden.










Die Galeasse EMANUEL ist 1833 auf der Reise von Rostock nach Newcastle verschollen





Nur wenige Beispiele genügen, um zu beweisen, dass der Schotte Sir John Graham Dalyell (Advokat, Antiquar, Naturalist) die Situation auf See sehr gut einschätzen konnte. Er sagte:

Schiffsunglücke gehören zu den größten Übeln, die die Menschen erfahren können

. Die folgenden Beispiele, ohne solche einzubeziehen, die ihre Ursache in kriegerischen Auseinandersetzungen hatten, belegen dies:



1987: DONA PAZ, Philippinen: 4375 Menschen starben, nachdem die Fähre mit dem Tanker VICTOR kollidiert war und in Brand geriet.



2002: JOOLA, Senegal: Etwa 2000 Menschen starben, als die völlig überbelegte Fähre auf der Reise nach Dakar im Sturm kenterte.



1954: TOYA MARU, Japan: 1172 Menschen kamen um, als die Fähre während eines Taifuns in der Tsugaru-Straße sank.



2006: AL-SALAM BOCCACCIO 98, Ägypten: Offiziell verloren 1018 Menschen ihr Leben, als die Fähre auf der Reise von Saudi Arabien nach Ägypten erst in Brand geriet und dann kenterte.



1994: ESTONIA, Estland: 852 Menschen starben, als die Fähre auf dem Weg von Tallin nach Stockholm 20 Seemeilen von der finnischen Insel Utö entfernt in schwerem Wetter sank.










Die ARNSTADT vom Typ VCS 420 läuft in Rostock ein





Da alle diese Seeunfälle vermeidbar waren, sind sie bittere und demoralisierende Ereignisse für die Schifffahrt. Auf diese Seeunfälle trifft der italienische Spruch

Der Tod hat das Netz an allen Ausgängen ausgespannt

 ohne Abstriche zu.



Zum Glück bewahrheitete sich dieser Spruch nicht für die Seeleute des deutschen Dampfers SAVONA, obwohl er mehr Seeunfälle, als ich je bei einem Schiff registriert habe, überstehen musste. Das Schiff war 1871 in Sunderland erbaut und mit 1496 Registertonnen vermessen worden. Unter britischer Flagge führte der Dampfer den Namen BERTHA. In der Folgezeit wechselte er sechs Mal den Besitzer. Es wird nicht berichtet, ob die jeweiligen Eigner wegen der nicht abreißenden Zahl von Seeunfällen oder aus anderen Gründen entnervt aufgaben. Unter britischer Flagge hatte das Schiff acht größere Seeunfälle. Dazu gehörten Seeschlag, Brand, Leck, Strandung, Kollision, Sinken und das Übergehen der Ladung. Nach dem Sinken wurde das Schiff gehoben, die Maschine erneuert und ein durchgehender Doppelboden mit Tanks für Wasserballast eingebaut.

 










Die ESTONIA (ex VIKING SALLY) in Stockholm





Unter deutscher Flagge hatte es dann drei Seeunfälle. Auf der Reise

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