Hans Fallada – Gesammelte Werke

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Das Geld von Esche­rich war ihm si­cher, warum soll­te er nicht ver­su­chen, auch aus Enno Klu­ge ein biss­chen Geld zu ma­chen? Da hat­te die­ser Bur­sche einen Fünf­zig­mark­schein in der Hand ge­habt, den er durch den Sieg Ade­bars auf über zwei­hun­dert Mark ver­mehrt hat­te – nun, warum soll­te nicht er, Bark­hau­sen, nicht auch die­ses Geld ha­ben? Dem Esche­rich ge­sch­ah kein Scha­den da­durch, der be­kam sei­nen Enno trotz­dem, und Enno ge­sch­ah auch kein Scha­den, denn die auf der Ge­sta­po nah­men ihm doch das Geld ab. Also?

Und dann war da die­se di­cke Frau, hin­ter der Enno so ko­misch auf den Kni­en ge­rutscht war. Die­se fes­te Rübe hat­te si­cher Geld, viel­leicht so­gar eine gan­ze Men­ge. Das Ge­schäft sah gut aus, hat­te noch viel Ware, und an Kun­den schi­en es ihr auch nicht zu feh­len. Nein, die­se Flen­ne­rei und Rut­sche­rei Klu­ges sah nicht gra­de da­nach aus, dass die bei­den schon in al­len Din­gen ei­nig wa­ren, das nicht, zu­ge­ge­ben, aber wer lie­fert denn gra­de einen Lieb­ha­ber, und sei es auch ein ab­ge­wie­se­ner, der Ge­sta­po aus? Die Tat­sa­che, dass die Alte den Enno trotz der Ab­wei­sung noch bei sich dul­de­te, dass sie ihm ein Nacht­la­ger auf dem Sofa be­rei­tet hat­te, be­wies, dass ihr noch was an Enno lag. Und lag ihr noch was an dem al­ten Grau­kopf, so wür­de sie auch zah­len, viel­leicht nicht viel, aber doch et­was. Und die­ses Et­was woll­te Bark­hau­sen sich kei­nes­falls ent­ge­hen las­sen.

Wenn Bark­hau­sen so weit mit sei­nen Ge­dan­ken ge­kom­men war – und er kam auf die­sem Heim­weg und in der Nacht, ne­ben sei­ner Otti lie­gend, noch mehr­fach so weit –, so fass­te ihn im­mer ein leich­ter Schreck, denn dann fiel ihm ein, dass er ein ziem­lich ge­fähr­li­ches Spiel vor­hat­te. Die­ser Esche­rich war be­stimmt kein Mann, der Ei­gen­mäch­tig­kei­ten dul­de­te, alle die­se Her­ren bei der Ge­sta­po wa­ren nicht so, und es war die ein­fachs­te Sa­che von der Welt für ihn, einen Mann ins KZ zu schi­cken. Vor dem KZ aber hat­te Bark­hau­sen eine ge­wal­ti­ge Angst.

Im­mer­hin aber war er so weit von all den Ver­bre­cher­ge­dan­ken und ih­rer Moral an­ge­steckt, dass er sich hart­nä­ckig sag­te, ein Ding, das zu dre­hen war, müs­se auch ge­dreht wer­den, das ge­hör­te sich nun ein­mal so. Und die­ses Ding Enno ließ sich un­zwei­fel­haft dre­hen. Bark­hau­sen wür­de die gan­ze Sa­che erst noch ein­mal be­schla­fen, und wenn es dann Mor­gen war, wür­de er wis­sen, ob er gleich zu Esche­rich ging oder erst bei Klu­ge vor­schau­te. Jetzt woll­te er schla­fen …

Aber er schlief nicht ein, son­dern er über­leg­te, dass ei­ner in die­ser Sa­che zu we­nig war. Er, Bark­hau­sen, muss­te ein we­nig Be­weg­lich­keit ha­ben. Er muss­te zum Bei­spiel rasch zu Esche­rich, und so lan­ge war der Enno Klu­ge ohne Be­wa­chung. Oder wenn er die Di­cke in die Zan­ge nahm, lief un­ter­des der Enno wo­mög­lich fort. Nein, ei­ner war zu we­nig. Aber es gab kei­nen Zwei­ten, dem er ver­trau­en konn­te, und au­ßer­dem wür­de die­ser Zwei­te sei­nen An­teil an dem Ge­schäft ver­lan­gen. Und für Tei­len war Bark­hau­sen gar nicht.

Schließ­lich fiel Bark­hau­sen ein, dass un­ter sei­nen fünf Gö­ren doch auch ein Sohn von drei­zehn Jah­ren war, un­ter Um­stän­den so­gar sein Sohn. Er hat­te im­mer das Ge­fühl ge­habt, dass die­ser Ben­gel mit dem piek­fei­nen Na­men Kuno-Die­ter viel­leicht doch von ihm sein kön­ne, trotz­dem die Otti doch stets be­haup­tet hat­te, er sei von ei­nem Gra­fen, ei­nem Groß­grund­be­sit­zer aus Pom­mern. Aber Otti war im­mer eine An­ge­be­rin ge­we­sen, wie schon der Vor­na­me des Jun­gen – nach sei­nem an­geb­li­chen Va­ter – be­wies.

Mit ei­nem schwe­ren Seuf­zer ent­schloss Bark­hau­sen sich, den Jun­gen als Re­ser­ve­auf­pas­ser mit­zu­neh­men. Das wür­de nicht mehr als ein biss­chen Krach mit der Otti und ein paar Mark für den Jun­gen kos­ten. Dann fin­gen Bark­hau­sens Ge­dan­ken von neu­em an, über al­le­dem zu krei­sen, wur­den lang­sam un­deut­li­cher, und schließ­lich war er doch ein­ge­schla­fen.

29. Hübsche kleine Erpressung

Es ist be­reits be­rich­tet wor­den, dass Frau Hete Hä­ber­le und Enno Klu­ge an die­sem Mor­gen fast ohne Wor­te mit­ein­an­der früh­stück­ten und im La­den ar­bei­te­ten, bei­de blass von ei­ner fast durch­wach­ten Nacht und stark mit ih­ren Ge­dan­ken be­schäf­tigt. Frau Hä­ber­le dach­te dar­an, dass Enno mor­gen un­be­dingt aus dem Hau­se müs­se, Enno, dass er sich kei­nes­falls fort­schi­cken las­sen wür­de.

In die­se Stil­le trat als ers­ter Kun­de ein lan­ger Mann und sag­te zu Frau Hä­ber­le: »Hö­ren Se mal, Sie ha­ben da so ein paar Wel­len­sit­ti­che im Fens­ter. Was soll denn ein Paar von de­nen kos­ten? Es müss­te aber ein Pär­chen sein, ich bin im­mer für Pär­chen ge­we­sen …« Und Bark­hau­sen fuhr her­um, in ge­spiel­tem Er­stau­nen, in ab­sicht­lich schlecht ge­spiel­tem Er­stau­nen rief er den Klu­ge an, der sich eben sach­te in die Hin­ter­stu­be des La­dens ver­drücken woll­te: »Aber das bist du doch, Enno! Nanu, ich rede, ich kie­ke, ich den­ke, das kann doch nicht der Enno sein, was soll denn der Enno in so ’nem klei­nen Tier­zoo? Und nu bist du es doch, Kum­pel! Na, was machs­te denn noch so, Kum­pel?«

Enno war, die Klin­ke in der Hand, wie ge­bannt auf sei­nem Platz ste­hen ge­blie­ben, gleich un­fä­hig, fort­zu­lau­fen und zu ant­wor­ten.

Frau Hete aber starr­te den lan­gen Mann, der so freund­lich auf Enno ein­re­de­te, mit großen Au­gen an, ihre Lip­pen fin­gen an zu zit­tern, und die Knie wur­den ihr weich. Da war sie also doch, die Ge­fahr, al­les war also nicht ge­lo­gen, was Enno er­zählt hat­te von sei­ner Be­dräng­nis durch die Ge­sta­po. Denn dass die­ser Mann mit dem eben­so fei­gen wie bru­ta­len Ge­sicht ein Spit­zel der Ge­sta­po war, dar­an zwei­fel­te sie kei­nen Au­gen­blick.

Aber als nun die­se Ge­fahr wirk­lich ge­wor­den war, da zit­ter­te nur der Kör­per von Frau Hete. Ihr Geist war ru­hig, und die­ser Geist sag­te ihr: Jetzt, in die­ser Ge­fahr, kannst du den Enno un­mög­lich im Stich las­sen, er mag sein, wie er will.

Und Frau Hete sag­te zu die­sem Mann mit dem ste­chen­den Blick, der im­mer wie­der ab­irr­te, sie sag­te zu die­sem Mann, der wie ein rich­ti­ger Acht­gro­schen­jun­ge aus­sah: »Vi­el­leicht trin­ken Sie eine Tas­se Kaf­fee mit uns, Herr – wie ist doch Ihr Name?«

»Bark­hau­sen. Emil Bark­hau­sen«, stell­te der Spit­zel sich vor. »Bin ein al­ter Freund von dem Enno, Sports­freund. Was sa­gen Sie nun, Frau Hä­ber­le, zu dem groß­ar­ti­gen Coup, den er ges­tern auf Ade­bar ge­lan­det hat? Wir ha­ben uns in der Sport­knei­pe ge­trof­fen – hat er es Ih­nen nicht ge­sagt?«

Frau Hete warf einen ra­schen Blick auf Enno. Da stand er noch im­mer, die Hand auf der Klin­ke, ge­nau wie ihn die ver­trau­li­che An­spra­che Bark­hau­sens über­rascht hat­te. Ein Bild hilflo­ser Angst. Nein, er hat­te ihr nichts von die­sem Tref­fen mit dem al­ten Be­kann­ten ge­sagt, er hat­te so­gar be­haup­tet, er hät­te nie­man­den Be­kann­tes ge­se­hen. Er hat­te sie also wie­der mal be­lo­gen – und sehr zu sei­nem ei­ge­nen Scha­den hat­te er das ge­tan, denn nun war ja ganz klar, wie die­ser Spit­zel sei­ne Zuf­lucht bei ihr ge­fun­den hat­te. Hät­te er ges­tern Abend schon et­was von die­sem Be­kann­ten ge­sagt, so hät­te man ihn noch fort­schaf­fen kön­nen …

Aber dies war nicht der Au­gen­blick, mit Enno Klu­ge zu ha­dern oder ihm sei­ne Lü­gen vor­zu­wer­fen. Dies war der Au­gen­blick zu han­deln. Und so sag­te sie denn noch ein­mal: »Also trin­ken wir eine Tas­se Kaf­fee, Herr Bark­hau­sen. Jetzt kommt noch nicht so viel Kund­schaft, Enno, du passt auf den La­den auf. Ich wer­de zu­erst ein­mal mit dei­nem Freund re­den …«

Jetzt war Frau Hete auch über das Zit­tern des Kör­pers hin­aus. Son­dern sie dach­te nur dar­an, wie es da­mals mit ih­rem Wal­ter ge­gan­gen war, und die­se Erin­ne­run­gen ga­ben ihr Kraft. Sie wuss­te, die­sen Leu­ten ge­gen­über half kein Zit­tern, Kla­gen, An­ru­fen des Mit­leids, sie hat­ten kein Herz, die­se Hen­kers­lie­fe­ran­ten von Hit­ler und Himm­ler. Son­dern wenn ei­nes half, so war es Mut, Nicht­fei­ge­sein, Nie­angst­ha­ben. Die glaub­ten, alle Deut­schen sei­en fei­ge, wie es jetzt der Enno war; aber sie war es nicht, Frau Hete, ver­wit­we­te Hä­ber­le, war es nicht.

Sie er­reich­te durch ihr ru­hi­ges Auf­tre­ten auch, dass die bei­den Män­ner sich ihr wi­der­spruchs­los füg­ten. Im Ab­ge­hen zur Stu­be sag­te sie noch: »Und kei­ne Dumm­hei­ten, Enno! Kein sinn­lo­ses Fort­lau­fen! Den­ke dar­an, dein Man­tel hängt in der Stu­be, und Geld wirst du auch kaum in der Ta­sche ha­ben.«

»Sie sind ’ne klu­ge Frau«, sag­te Bark­hau­sen, in­dem er sich an den Tisch nie­der­setz­te und zu­sah, wie sie ihm eine Kaf­fee­tas­se hin­stell­te. »Und ener­gisch sind Sie auch, hät­te ich gar nicht ge­dacht, wie ich Sie ges­tern Abend zum ers­ten Mal sah.«

Ihre Bli­cke be­geg­ne­ten sich.

»Na ja«, setz­te dann Bark­hau­sen schnell hin­zu, »ei­gent­lich wa­ren Sie ges­tern Abend auch ener­gisch, wie er da auf den Kni­en vor Ih­nen rum­rutsch­te, und Sie schlos­sen ihm die Tür vor der Nase ab. Sie wer­den sie ja wohl über Nacht nicht wie­der auf­ge­schlos­sen ha­ben – oder?«

Ein we­nig Rot war bei die­ser scham­lo­sen An­spie­lung in Frau He­tes Wan­gen ge­stie­gen, die be­schä­men­de, die ekel­haf­te Sze­ne von ges­tern Abend hat­te also so­gar einen Zeu­gen ge­habt, und solch wi­der­li­chen dazu! Aber sie fass­te sich rasch und sag­te: »Ich neh­me an, Sie sind auch ein klu­ger Mann, Herr Bark­hau­sen, wir wol­len doch jetzt gar nicht von Ne­ben­sa­chen re­den, son­dern nur vom Ge­schäft. Ich neh­me an, es kann ein Ge­schäft wer­den?«

»Vi­el­leicht, viel­leicht si­cher …«, be­eil­te sich Bark­hau­sen zu ver­si­chern, un­will­kür­lich ein­ge­schüch­tert von dem Tem­po, das die­se Frau vor­leg­te.

 

»Sie wol­len also«, fuhr Frau Hete fort, »ein Paar Wel­len­sit­ti­che kau­fen. Ich neh­me an, um sie dann flie­gen zu las­sen. Denn wenn sie wei­ter im Kä­fig blei­ben, ha­ben die Sit­ti­che doch nichts da­von …«

Bark­hau­sen kratz­te sich den Kopf. »Frau Hä­ber­le«, sag­te er dann, »das mit den Sit­ti­chen, das wird mir zu kom­pli­ziert. Ich bin bloß ein ein­fa­cher Mensch, wahr­schein­lich sind Sie viel schlau­er als ich. Hof­fent­lich le­gen Sie mich nicht rein.«

»Und Sie mich nicht!«

»Kei­ne Ah­nung! Ich will ganz of­fen mit Ih­nen re­den, nichts von Sit­ti­chen und so. Ich sage Ih­nen al­les, wie es ist, die gan­ze Wahr­heit. Ich habe näm­lich von der Ge­sta­po den Auf­trag, von dem Kom­missar Esche­rich habe ich ihn, wenn der Ih­nen ein Be­griff ist?« Frau Hete schüt­tel­te den Kopf. »Also ich hab den Auf­trag, zu er­mit­teln, wo der Enno steckt. Wei­ter nichts. Wa­rum und wie­so, da­von habe ich kei­ne Ah­nung. Ich will Ih­nen was sa­gen, Frau Hä­ber­le, ich bin ein ganz ein­fa­cher, of­fe­ner Mensch …«

Er neig­te sich zu ihr hin­über; sie sah ihm in die Au­gen, die ste­chend wa­ren. Sein Blick irr­te ab, der Blick des ein­fa­chen, of­fe­nen Men­schen.

»Ich hab mich ei­gent­lich über den Auf­trag ge­wun­dert, Frau Hä­ber­le, das will ich Ih­nen ehr­lich sa­gen. Denn wir bei­de wis­sen doch, was der Enno für ein Mensch ist, näm­lich ein Gar­nichts, nur mit ein biss­chen Renn­wet­ten und Wei­ber­ge­schich­ten im Kopf. Und nach die­sem Enno jagt jetzt die Ge­sta­po, und so­gar noch die Po­li­ti­sche Ab­tei­lung, wo al­les Hoch­ver­rat und Kohl­rü­be-ab wird. Ich ver­steh das nicht – ver­ste­hen Sie das?« Er sah sie er­war­tungs­voll an. Wie­der be­geg­ne­ten sich ihre Bli­cke, und wie­der ge­sch­ah es wie vor­hin: er konn­te sie nicht an­se­hen.

»Er­zäh­len Sie ru­hig wei­ter, Herr Bark­hau­sen«, fuhr sie fort. »Ich hör zu …«

»Klu­ge Frau!«, nick­te Bark­hau­sen. »Ver­dammt klu­ge Frau und ener­gisch. Das ges­tern Abend mit der Knie­rut­sche­rei …«

»Wir woll­ten nur vom Ge­schäft re­den, Herr Bark­hau­sen!«

»Na ge­wiss doch! Ich bin näm­lich ein bra­ver, rich­tig of­fe­ner deut­scher Mensch, und da wer­den Sie sich viel­leicht wun­dern, dass ich bei der Ge­sta­po bin. Das den­ken Sie viel­leicht. Nee, Frau Hä­ber­le, ich bin nicht bei der Ge­sta­po, ich ar­bei­te nur manch­mal für sie. Der Mensch will le­ben, nicht wahr, und ich habe fünf Gö­ren zu Haus, der Äl­tes­te gra­de erst drei­zehn. Alle muss ich sie er­näh­ren …«

»Das Ge­schäft, Herr Bark­hau­sen!«

»Nee, Frau Hä­ber­le, ich bin nicht bei der Ge­sta­po, ich bin ein ehr­li­cher Mensch. Und wie ich das da hör­te, dass die mei­nen Freund Enno su­chen und so­gar hohe Be­loh­nun­gen auf ihn aus­set­zen, und ich ken­ne doch den Enno von frü­her und bin sein rich­ti­ger Freund, wenn wir uns auch mal ge­strit­ten ha­ben – da habe ich also ge­dacht, Frau Hä­ber­le: Kie­ke da, den Enno su­chen sie! Den klei­nen Gar­nichts. Wenn ich ihn nur fän­de, hab ich ge­dacht, ver­ste­hen Sie, Frau Hä­ber­le, dann könn­te ich ihm viel­leicht einen Wink ge­ben, dass er ab­haut, so­lan­ge es noch Zeit ist. Und ich hab zu dem Kom­missar Esche­rich ge­sagt: ›We­gen dem Enno ma­chen Sie sich man kei­ne Mühe, den schaff ich Ih­nen, weil er näm­lich ein al­ter Freund von mir ist.‹ Und da habe ich denn den Auf­trag ge­kriegt und mein Spe­sen­geld, und nun sit­ze ich hier bei Ih­nen, Frau Hä­ber­le, und der Enno wirt­schaf­tet im La­den, und es ist al­les ei­gent­lich in bes­ter But­ter …«

Eine Wei­le schwie­gen bei­de, Bark­hau­sen ab­war­tend, Frau Hä­ber­le nach­denk­lich.

Dann sag­te sie: »Die Ge­sta­po hat also noch kei­ne Nach­richt von Ih­nen be­kom­men?«

»I wo, mit de­nen habe ich es doch nicht ei­lig, mir das gan­ze Ge­schäft zu ver­mas­seln!« Er ver­bes­ser­te sich: »Erst woll­te ich mei­nem al­ten Freund Enno doch mal einen Wink ge­ben …«

Und wie­der schwie­gen sie. Und wie­der frag­te Frau Hete schließ­lich: »Und was hat Ih­nen denn die Ge­sta­po für eine Be­loh­nung ver­spro­chen?«

»Tau­send Mark! Ist ’ne Mas­se Geld für so einen Gar­nichts, gebe ich zu, Frau Hä­ber­le, ich war selbst ganz ver­blüfft. Aber der Kom­missar Esche­rich hat zu mir ge­sagt: ›Brin­gen Sie mir mal den Klu­ge, und ich zah­le Ih­nen tau­send Mark.‹ Das hat der Esche­rich ge­sagt. Und hun­dert Mark Spe­sen hat er mir auch be­wil­ligt, die habe ich schon ge­kriegt, die kämen zu den tau­send Mark Be­loh­nung noch dazu.«

Sie sa­ßen lan­ge nach­denk­lich da.

Dann fing Frau Hete wie­der an: »Ich habe das vor­hin mit den Wel­len­sit­ti­chen nicht ohne Ab­sicht ge­sagt, Herr Bark­hau­sen. Denn wenn ich Ih­nen nun tau­send Mark zah­le …«

»Zwei­tau­send Mark, Frau Hä­ber­le, un­ter Freun­den im­mer zwei­tau­send Mark. Und dann kämen noch die hun­dert Mark Spe­sen dazu …«

»Nun also, selbst wenn ich Ih­nen das zah­len wür­de, und Sie wis­sen doch, der Herr Klu­ge hat kein Geld, und mich bin­det an ihn nichts …«

»Na, Frau Hä­ber­le, na! Sie, ’ne hoch­an­stän­di­ge Frau! Sie wer­den doch Ihren Freund, der auf den Kni­en zu Ih­nen ge­rutscht ist, nicht um so ’n biss­chen Geld der Ge­sta­po aus­lie­fern? Wo ich Ih­nen ex­tra ge­sagt habe, es ist al­les da, Hoch­ver­rat und Kohl­rü­be-ab? Das wer­den Sie doch nicht tun, Frau Hä­ber­le!«

Sie hät­te ihm ja sa­gen kön­nen, dass er, der schlich­te, ehr­li­che deut­sche Mann, gra­de das zu tun im Be­griff war, was sie als hoch­an­stän­di­ge Frau kei­nes­falls tun durf­te, näm­lich den Freund ver­kau­fen. Aber sie wuss­te es ja, der­ar­ti­ge Be­mer­kun­gen hat­ten kei­nen Zweck, für so was be­sa­ßen die­se Her­ren kei­nen Sinn.

Und so sag­te sie denn: »Ja, also wenn ich selbst die zwei­tau­send­ein­hun­dert zah­len wür­de, wer ga­ran­tiert mir denn da­für, dass die Wel­len­sit­ti­che nicht doch im Kä­fig blei­ben?« Sie ent­schloss sich, da sie sah, wie er schon wie­der den Kopf ver­wirrt kratz­te, auch ganz scham­los zu wer­den: »Also, wer ga­ran­tiert mir da­für, dass Sie nicht mei­ne zwei­tau­send­ein­hun­dert neh­men und ge­hen dann doch zu dem Esche­rich und neh­men auch noch sei­ne tau­send?«

»Aber ich ga­ran­tie­re Ih­nen da­für, Frau Hä­ber­le! Ich gebe Ih­nen mein Wort dar­auf; ich bin ein ein­fa­cher, of­fe­ner Mensch, und wenn ich was ver­spre­che, dann hal­te ich das auch. Sie ha­ben’s ja ge­se­hen, ich bin gleich zu dem Enno ge­lau­fen und habe ihn ge­warnt, auf die Ge­fahr hin, dass er aus dem La­den einen Flit­zer macht. Und dann ist das gan­ze Ge­schäft doch Es­sig.«

Frau Hete sah ihn mit ei­nem schwa­chen Lä­cheln an. »Das ist ja al­les schön und gut, Herr Bark­hau­sen«, sag­te sie dann. »Aber gra­de weil Sie ein so gu­ter Freund von dem Enno sind, wer­den Sie ver­ste­hen, dass ich jede Si­cher­heit für ihn ha­ben muss. Wenn ich das Geld über­haupt auf­trei­ben kann.«

Bark­hau­sen mach­te eine be­schwich­ti­gen­de Be­we­gung, die sa­gen soll­te, dass es dar­an bei ei­ner Frau, wie sie war, nie feh­len könn­te.

»Nein, Herr Bark­hau­sen«, fuhr Frau Hete fort, denn sie sah ja, für Iro­nie war er nicht emp­fäng­lich, sie muss­te schon ganz of­fen mit ihm re­den, »wer steht mir denn da­für, dass Sie mein Geld jetzt nicht neh­men …«

Bark­hau­sen wur­de ganz auf­ge­regt bei dem Ge­dan­ken, er kön­ne die schwin­deln­de, die nie ge­se­he­ne Sum­me von zwei­tau­send Mark jetzt gleich be­kom­men …

»… und vor der Tür steht ein Ge­sta­po­agent und nimmt den Enno fest? Da muss ich schon an­de­re Ga­ran­ti­en von Ih­nen ha­ben!«

»Es steht aber kei­ner vor der Tür, das schwö­re ich Ih­nen, Frau Hä­ber­le! Ich bin doch ein ehr­li­cher Mensch, wozu soll ich Sie denn be­lü­gen?! Ich kom­me di­rekt von Haus, da kön­nen Sie auch mei­ne Otti da­nach fra­gen!«

Sie un­ter­brach den Auf­ge­reg­ten: »Also über­le­gen Sie mal, was für eine Ga­ran­tie Sie mir sonst noch ge­ben kön­nen – au­ßer Ihrem Wort?«

»Aber da gib­t’s doch gar kei­ne! Das ist doch so ’n Ge­schäft, das be­ruht ganz al­lein auf Ver­trau­en. Und Ver­trau­en wer­den Sie doch zu mir ha­ben, Frau Hä­ber­le, jetzt, wo ich so of­fen mit Ih­nen ge­spro­chen habe?«

»Ja, das Ver­trau­en …«, ant­wor­te­te Frau Hä­ber­le ge­dan­ken­los, und dann ver­san­ken sie bei­de in ein lan­ges Schwei­gen, er ein­fach ab­war­tend, was sie wohl be­schlie­ßen wür­de, sie sich den Kopf zer­grü­belnd, wie sie we­nigs­tens ein Mi­ni­mum von Si­cher­heit er­rei­chen könn­te.

Im La­den wirt­schaf­te­te un­ter­des der Enno Klu­ge. Er be­dien­te die nun schon reich­li­cher strö­men­de Kund­schaft rasch und nicht un­ge­schickt, so­gar zu Witz­chen ver­stieg er sich schon wie­der. Der ers­te Schreck, den er bei Bark­hau­sens An­blick emp­fun­den, war schon wie­der ver­flo­gen. Die Hete saß in der Stu­be und sprach mit Bark­hau­sen, sie wür­de die Sa­che schon in Ord­nung brin­gen. Aber dass sie die Sa­che in Ord­nung brach­te, das be­wies, dass es ihr gar nicht ernst ge­we­sen war mit der Dro­hung, ihn fort­zu­schi­cken. So war er nur er­leich­tert jetzt, und dar­um reich­te es auch schon wie­der zu Witz­chen.

Hin­ten in der Stu­be brach Frau Hä­ber­le das lan­ge Schwei­gen. Sie sag­te ent­schlos­sen: »Also, Herr Bark­hau­sen, ich habe mir das so über­legt. Ich will das Ge­schäft un­ter fol­gen­den Be­din­gun­gen mit Ih­nen ab­schlie­ßen …«

»Ja …? Sa­gen Sie doch!«, dräng­te gie­rig Bark­hau­sen. Er sah sei­nen Lohn jetzt schon nahe.

»Ich gebe Ih­nen zwei­tau­send Mark, aber ich gebe sie Ih­nen nicht hier. Ich gebe sie Ih­nen in Mün­chen.«

»In Mün­chen?« Er glotz­te däm­lich. »Ich komm doch nie nach Mün­chen! Was soll ich denn in Mün­chen?«

»Wir ge­hen«, fuhr sie fort, »jetzt zu­sam­men auf das Post­amt, und ich zah­le eine Post­an­wei­sung auf zwei­tau­send Mark an Sie ein: haupt­post­la­gernd Mün­chen. Und dann brin­ge ich Sie auf die Bahn, und Sie fah­ren mit dem nächs­ten Zug nach Mün­chen wei­ter und ho­len sich dort das Geld. Auf dem An­hal­ter Bahn­hof wer­de ich Ih­nen noch zwei­hun­dert Mark für die Rei­se ge­ben au­ßer der Fahr­kar­te …«

»Nee!«, rief Bark­hau­sen er­bit­tert. »So was ma­che ich nicht! Auf so was las­se ich mich nicht ein! Nach­her fah­re ich run­ter nach Mün­chen, und Sie ha­ben sich Ihre An­wei­sung von der Post zu­rück­ge­holt!«

»Ich wer­de Ih­nen bei der Ab­fahrt die Ein­zah­lungs­quit­tung ge­ben, dann kann ich das nicht tun.«

»Und Mün­chen?«, rief er wie­der. »Wozu denn Mün­chen? Wir sind doch ehr­li­che Men­schen! Wa­rum denn nicht hier, gleich jetzt hier im La­den, und es hat ge­schnappt! Nach Mün­chen und zu­rück, da brau­che ich doch min­des­tens zwei Tage und eine Nacht, und un­ter­des ist der Enno hier na­tür­lich ge­türmt!«

»Aber, Herr Bark­hau­sen, das hat­ten wir doch ab­ge­macht, des­we­gen gebe ich Ih­nen doch das Geld! Der Wel­len­sit­tich soll­te doch nicht in sei­nem Kä­fig blei­ben. Ich mei­ne, der Enno soll sich doch ver­ste­cken kön­nen, da­für zah­le ich Ih­nen doch die zwei­tau­send Mark!«

Mür­risch sag­te Bark­hau­sen, der dar­auf nichts Rech­tes zu ent­geg­nen hat­te: »Und hun­dert Mark Spe­sen krie­ge ich auch noch!«

»Die krie­gen Sie auch noch. In bar. Auf dem An­hal­ter.«

Aber auch die­se Zu­sa­ge konn­te Bark­hau­sens Stim­mung nicht ver­bes­sern. Er blieb mür­risch. »Mün­chen, ich hab noch nie so ’n Quatsch ge­hört! Es wäre al­les so schön ein­fach ge­we­sen – und nun Mün­chen! Aus­ge­rech­net Mün­chen! Wa­rum sa­gen Sie nicht gleich Lon­don – da kann ich ja dann nach dem Krie­ge hin­fah­ren! Und al­les ver­mas­selt! Es gin­ge so schön ein­fach, aber nee, es muss kom­pli­ziert sein! Und warum? Weil Sie kein Ver­trau­en zu Ihren Mit­menschen ha­ben, weil Sie ein miss­traui­scher Mensch sind, Frau Hä­ber­le! Ich bin so ehr­lich zu Ih­nen ge­we­sen …«

»Und ich bin ehr­lich zu Ih­nen! So ma­che ich dies Ge­schäft und an­ders nicht!«

»Na denn!«, sag­te er. »Denn kann ich ja ge­hen.« Er stand auf, nahm sei­ne Schie­ber­müt­ze. Aber er ging nicht. »Mün­chen kommt für mich gar nicht in Fra­ge …«

»Es wird eine ganz in­ter­essan­te klei­ne Rei­se für Sie sein«, re­de­te ihm Frau Hä­ber­le zu. »Die Fahrt ist hübsch, und in Mün­chen soll es noch sehr gut zu es­sen und zu trin­ken ge­ben. Sehr viel stär­ke­res Bier als hier bei uns, Herr Bark­hau­sen!«

»Ich mach mir nichts aus Trin­ken«, sag­te er wie­der, aber nicht so sehr mür­risch wie ge­dan­ken­voll.

Frau Hete sah es ihm an, dass er sei­nen Kopf zer­grü­bel­te nach ei­nem Aus­weg, wie er das Geld neh­men und den Enno trotz­dem aus­lie­fern könn­te. Sie prüf­te noch­mals ih­ren Vor­schlag. Er schi­en ihr gut. Er schaff­te den Bark­hau­sen für min­des­tens zwei Tage aus dem Wege, und wenn das Haus wirk­lich nicht un­ter Be­wa­chung stand (wo­von sie sich schnell ge­nug über­zeu­gen wür­de), so war das Zeit ge­nug, den Enno un­ter­des fort­zu­schaf­fen.

 

»Na ja«, sag­te Bark­hau­sen schließ­lich und sah sie an. »Sie tun’s nicht an­ders, Frau Hä­ber­le?«

»Nein«, sag­te Frau Hete. »So sind mei­ne Be­din­gun­gen, von de­nen gehe ich nicht ab.«

»Dann muss ich’s wohl tun«, sag­te Bark­hau­sen. »Ich kann doch nicht ein­fach die zwei­tau­send Eier in den Wind schla­gen.«

Das hat­te er mehr zu sich, zu sei­ner ei­ge­nen Recht­fer­ti­gung vor sich selbst ge­sagt.

»Dann wer­de ich also nach Mün­chen fah­ren. Und Sie ge­hen jetzt gleich mit mir aufs Post­amt.«

»Gleich«, sag­te Frau Hä­ber­le ge­dan­ken­voll. Nun, da er doch zu­ge­sagt hat­te, war sie noch im­mer nicht zu­frie­den. Sie war ganz über­zeugt, er plan­te eine neue Ge­mein­heit. Sie muss­te raus­krie­gen, wel­che …

»Ja, wir ge­hen gleich«, sag­te sie noch ein­mal. »Das heißt: erst muss ich mich ein biss­chen zu­recht­ma­chen und den La­den schlie­ßen.«

Er sag­te rasch: »Wozu wol­len Sie denn den La­den zu­ma­chen, Frau Hä­ber­le? Der Enno ist doch hier!«

»Der Enno geht mit uns«, sag­te sie.

»Wozu denn das nu wie­der? Der Enno hat doch mit dem gan­zen Ge­schäft nichts zu tun!«

»Weil ich es so ha­ben will. Es könn­te sonst näm­lich sein«, setz­te sie hin­zu, »dass der Enno gra­de in dem Au­gen­blick ver­haf­tet wird, wenn ich das Geld an Sie ein­zah­le. Sol­che Ver­se­hen kön­nen vor­kom­men, Herr Bark­hau­sen.«

»Aber wer soll ihn denn ver­haf­ten?«

»Na, zum Bei­spiel der Spit­zel vor der Tür …«

»Ist ja gar kein Spit­zel vor der Tür!« Sie lä­chel­te. »Sie kön­nen sich über­zeu­gen, Frau Hä­ber­le. Ge­hen Sie doch rum, se­hen Sie sich alle Leu­te an. Ich habe kei­nen Spit­zel vor der Tür! Ich bin ein ehr­li­cher Mensch …«

Sie sag­te be­harr­lich: »Ich will den Enno bei mir ha­ben. Es ist schon si­che­rer.«

»Sie sind hart­mäu­lig wie ein ol­ler Maulesel!«, ent­fuhr es ihm wü­tend. »Na, also schön, soll der Enno auch mit­gehn. Aber nun ma­chen Sie auch ein biss­chen fix!«

»So große Eile ha­ben wir nicht«, sag­te sie. »Der Münch­ner Zug geht erst um zwölf her­um. Wir ha­ben alle Zeit. Und nun ent­schul­di­gen Sie mich für eine Vier­tel­stun­de, ich möch­te mich ein biss­chen zu­recht­ma­chen.« Sie sah ihn, wie er da am Tisch saß, im­mer das Auge auf­merk­sam auf die Glas­schei­be ge­rich­tet, durch die er den La­den be­ob­ach­ten konn­te, prü­fend an. »Und eine Bit­te noch, Herr Bark­hau­sen. Re­den Sie jetzt nicht mit dem Enno, er hat reich­lich im La­den zu tun, und über­haupt …«

»Was ich mit dem Idio­ten wohl re­den soll!«, sag­te Bark­hau­sen är­ger­lich. »Mit so ’nem Quatsch­kopp rede ich doch über­haupt kein Wort!«

Aber er setz­te sich ge­hor­sam an­ders, so­dass er jetzt ihre Stu­ben­tür und das Hof­fens­ter vor Au­gen hat­te.