Hans Fallada – Gesammelte Werke

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»O Gott!« ruft sie. »Und mei­ne Mut­ti …«

»Ich wer­de wohl auch auf dem Gym­na­si­um das Kon­si­li­um krie­gen.«

»Wenn mein Va­ter das er­fährt …!«

»Mei­ner hat nicht ge­schimpft.«

»Und auf dem Ly­ze­um …«

»Schie­ben Sie doch alle Schuld auf mich!«

»Ach, Sie – und nicht ein­mal was drin war in dem Brief.«

»Aber ich kann Ih­nen ja ger­ne schrei­ben!«

Der Va­ter pfeift: Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?

»O Gott, die fünf Mi­nu­ten sind schon um. Ich muss …«

»Aber ge­hen Sie doch schon. Sie ha­ben mich schön rein­ge­senkt.«

Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?

»Und ich weiß nicht mal, wie Sie hei­ßen, Fräu­lein!?«

Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?

»Dass Sie mir noch mehr Schwie­rig­kei­ten ma­chen!«

»Aber, Fräu­lein, ich kann doch wirk­lich nichts da­für!«

»Was soll ich bloß zu Haus sa­gen?«

Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?

»Fräu­lein, ich muss …«

»Ja, Sie ge­hen nach Haus, zu Ihrem Va­ter, der nicht schimpft. Aber ich …?«

»Bit­te, ge­ben Sie mir we­nigs­tens die Hand.«

»Auch noch!«

»Aber wir se­hen uns viel­leicht nie wie­der!«

»Das ist auch viel bes­ser. Und ich hat­te ge­dacht, es wür­de so nett! – O Gott, da kommt Ihr Va­ter!«

»Na, Söhn­chen, wie ist das mit Wor­thal­ten? Gu­ten Abend, klei­ne Fee. Habt ihr euch ge­zankt?«

»Ich…«

»Wir …«

»Hän­de ge­ben! Auf Wie­der­se­hen!«

»Auf Wie­der­se­hen!«

»Auf Wie­der­se­hen!«

»Und jetzt los!«

Sie se­hen sich noch ein­mal an.

»Ich bin an al­lem schuld«, sagt der Jun­ge be­teu­ernd, und sei­ne Lip­pen zit­tern.

»Ja«, sagt sie, »es ist doch schon gut. Es war nur der ers­te Schreck. Ich schwind­le mich schon durch.«

»Aus­ein­an­der mit euch! Viel zu jung. Viel zu grün.«

»Also, al­les Gute!«

»Ja. Ja. Al­les, al­les Gute Ih­nen!«

»Auf Wie­der­se­hen!«

»Ja, viel­leicht se­hen wir uns wie­der.«

»Gute Nacht, klei­nes Fräu­lein. Komm, Wil­li.«

Hin­ter der Brücke fing der Weg an zu stei­gen. Der Va­ter rief: »Spring ab, mein Sohn.«

Und als sie mit­ein­an­der ne­ben dem Rad gin­gen: »Wir ha­ben kei­ne Eile. Wir kom­men noch im­mer früh ge­nug nach Haus.«

»Wann stehst du jetzt auf, Va­ter?«

»Wie stets im Som­mer. Um vier. Man muss im­mer selbst nach dem Füt­tern und Mel­ken se­hen. Auf die Ele­ven ist kein Ver­lass.«

Und nach ei­ner Pau­se fragt er leicht­hin: »Zur Land­wirt­schaft hät­test du kei­ne Lust?«

Er ant­wor­tet zö­gernd: »Ich glau­be nicht, Va­ter.«

»Und sonst …?«

»Ja …«

»Ja ist gar nichts. Was kommt da­hin­ter?«

»Am liebs­ten gin­ge ich wei­ter aufs Gym­na­si­um.«

»Wird sich schlecht ma­chen las­sen. Pas­tor und Di­rek­tor sind zu gut Freund.«

»Und wenn du mich auf ein an­de­res Gym­na­si­um schi­cken wür­dest …?«

Sie ge­hen eine Wei­le schwei­gend.

»Ich will dir was sa­gen, Wil­li. Es ist mir jetzt schon sau­er ge­wor­den. Du weißt, ich ver­die­ne nicht viel. Und da ist noch dei­ne Schwes­ter. Nun, ich hät­te es durch­ge­hal­ten, wie es jetzt war, aber das ist nun vor­bei. Ei­gent­lich ist es mir recht, wie es ge­kom­men ist. Ge­sagt hät­te ich nichts. Aber wo du dich selbst dar­um ge­bracht hast, den­ke ich, las­sen wir es da­bei.«

»Aber ich habe doch gar nichts ge­macht!«

»Eine Dumm­heit hast du zum Min­des­ten ge­macht. Un­über­legt bist du je­den­falls ge­we­sen, Wil­li. Du musst ler­nen, dass im Le­ben Dumm­hei­ten oft eben­so viel scha­den wie Schlech­tig­kei­ten. Und dass hin­ter der Dumm­heit nicht al­les so ist wie vor ihr. Man kriegt nicht al­les wie­der heil. Jetzt bist du noch gut weg­ge­kom­men, du gehst mit dei­nem Va­ter nach Haus, und der Sturm ist vor­über. Spä­ter kannst du viel­leicht ein­mal hin­ter­her nicht so nach Haus ge­hen.«

Der Va­ter seufz­te ein we­nig und schob lang­sa­mer bergan. Der Sohn ging schwei­gend da­ne­ben. In ihm wog­te es un­klar: Der Va­ter hat­te un­recht, denn der Sohn hat­te nichts Schlech­tes ge­tan. Und doch nahm es der Va­ter zum An­lass, Geld zu spa­ren und ihn nicht mehr aufs Gym­na­si­um zu schi­cken. War es so lan­ge ge­gan­gen, hät­te es auch wei­ter­ge­hen kön­nen. Bloß weil der Sohn auf die Stra­ße ge­lau­fen war mit ei­nem lee­ren Brief­um­schlag und zu ei­nem Mä­del zehn Wor­te ge­spro­chen hat­te, woll­te der Va­ter nun Schul- und Kol­leg­gel­der spa­ren …? Es schi­en kei­nes­falls rich­tig.

Die Stra­ße stieg und stieg, zwi­schen ho­hen Bö­schun­gen, die von Wald be­stan­den wa­ren. Oben über ih­nen, schnur­ge­ra­de in der Rich­tung des We­ges, war der Nacht­him­mel wie ein hel­ler, sanft aus sich her­aus leuch­ten­der Streif.

»Wie wäre es mit Kauf­mann?« frag­te der Va­ter schließ­lich.

»Ach nein!« rief der Jun­ge ent­täuscht.

»Kein La­den«, sag­te der Va­ter be­ru­hi­gend. »Ich hat­te an eine Bank ge­dacht.«

»Ach so«, sag­te der Jun­ge.

»Nun?« er­mun­ter­te der Va­ter.

»Ich weiß doch nicht«, sag­te der Sohn zö­gernd.

»Wenn man«, sag­te der Va­ter, »was auf den De­ckel ge­kriegt hat, soll man nicht lan­ge brum­men, man über­legt sich den Fall, er­kennt, was falsch war, und macht’s nun rich­tig. – Üb­ri­gens kannst du ru­hig zwei, drei Wo­chen zu Haus sit­zen. Du kannst mir schön beim Lohnaus­rech­nen hel­fen. Jetzt in der Ern­te habe ich nie Zeit da­für.

So, und nun steig wie­der auf, jetzt kön­nen wir einen lan­gen Zug ma­chen.«

Der Schü­ler stand hin­ten auf dem Rad, die Hän­de auf den Schul­tern des Va­ters. Das Rad surr­te ei­lig bergab, der Luft­zug stieß kühl und er­fri­schend ins Ge­sicht.

»Ich weiß nicht ein­mal, wie sie heißt«, rief der Sohn plötz­lich.

»Wie?« schrie der Va­ter, der bei der ra­schen Fahrt nicht recht ver­stan­den hat­te.

»Ich weiß nicht mal ih­ren Na­men!«

»Wes­sen Na­men …?«

»Von dem Mäd­chen!«

Der Va­ter trat so scharf auf die Rück­tritt­brem­se, dass der Sohn mit ei­nem Ruck ge­gen sei­ne Schul­tern flog. Das Rad hielt fast ganz an. »Ich möch­te dich«, sag­te der Va­ter, lang­sam fah­rend, »bei­na­he bit­ten, ab­zu­stei­gen und zu Fuß al­lein nach Haus zu ge­hen. Da­mit du nach­den­ken kannst. Denkst du jetzt rück­wärts? Möch­test du fort­set­zen, was eine Dumm­heit ge­we­sen ist, die dir nur Scha­den ge­bracht hat? O Wil­li, Wil­li, ich fürch­te, ich ma­che es dir wie­der ein­mal zu leicht. Wenn es dir nur nicht ei­nes Ta­ges zu schwer wer­den wird.«

Das Rad fuhr schnel­ler, der Sohn ant­wor­te­te nichts.

Dann ging es über eine Brücke, einen Au­gen­blick hör­te man Was­ser plät­schern, die Stra­ße dreh­te sich, der Licht­schein der Fahr­rad­lam­pe leuch­te­te eine Wald­wand ab, dann tauch­te et­was Schwar­zes, Ho­hes, Mas­si­ges auf.

Der Va­ter klin­gel­te.

»Jetzt kann uns Mut­ter schon hö­ren.«

Es ging durch das Tor der mas­si­gen Mau­er, die bei­den Fens­ter im In­spek­to­ren­haus rechts wa­ren hell. Nun, wäh­rend sie dar­auf zu­fuh­ren, ging die Tür auf, ein Licht­schein fiel her­aus, die Mut­ter stand in ihm …

Knir­schend hielt das Rad an.

»Da bist du ja, Wil­li«, sag­te die Mut­ter. »Komm schnell rein. Si­cher hast du schreck­li­chen Hun­ger. Ich habe dir Erb­sen­sup­pe vom Mit­tag auf­be­wahrt.«

2

Ei­nes schö­nen Früh­jahrs­mor­gens sagt Staats­an­walt­schafts­rat Grösch­ke zu sei­nem As­ses­sor: »Ich habe da am Frei­tag den Fall Ku­falt. Se­hen Sie doch mal die Ak­ten ein, und ar­bei­ten Sie mir einen Bo­den aus. Neh­men Sie jede Straf­tat ge­nau un­ter die Lupe. Und zeich­nen Sie mir den Strafrah­men auf, der für jede Tat aus­ge­wor­fen ist. Ich möch­te für die Straf­an­trä­ge ganz klar­se­hen.«

»Wird ta­del­los ge­macht«, sagt der Staats­an­walt­schaft­sas­ses­sor Söhn­lein und kniet sich in die Ak­ten.

Söhn­lein hat zwei Lei­den­schaf­ten: Kak­teen­zucht und Straf­recht. Aber die zwei­te ist die grö­ße­re. Er ist ge­wis­ser­ma­ßen ein Arith­me­ti­ker des Ge­set­zes: Die Men­schen ver­flüch­ti­gen sich un­ter sei­nen Hän­den, die Pa­ra­gra­fen blei­ben. Dann lö­sen sich auch die Pa­ra­gra­fen auf und wer­den zu Zah­len. Din­ge sind ge­sche­hen, Lei­den­schaf­ten wa­ren los, Wün­sche, Be­gier­den, Kämp­fe – nun wer­den Zah­len dar­aus, nur Zah­len. Und am Frei­tag wird Herr Staats­an­walt­schafts­rat Grösch­ke die­se Zah­len be­nut­zen.

Da ist nun der Fall Wil­helm (nicht Wil­li) Ku­falt.

Söhn­lein schreibt:

»Vor­be­straft 1924 mit 5 Jah­ren Ge­fäng­nis we­gen Un­ter­schla­gung aus § 246 StGB. Schwe­re Ur­kun­den­fäl­schung in ver­schie­de­nen Fäl­len aus § 268 StGB.«

»Schön, schön, se­hen wir wei­ter, was er dies­mal auf der Schip­pe hat.«

Der As­ses­sor schreibt:

»1. 14–15 ›selbst­stän­di­ge‹ Hand­ta­schen­dieb­stäh­le, da der Tä­ter je­des Mal neu den Ent­schluss zu ei­ner Weg­nah­me fasst …«

»Kommt hier un­zwei­fel­haft in Fra­ge.«

»§ 249 StGB. (Raub) und gleich­zei­tig § 223 StGB. (Kör­per­ver­let­zung), und zwar § 223 a StGB., da die Kör­per­ver­let­zung mit­tels ei­nes hin­ter­lis­ti­gen Über­falls be­gan­gen wur­de. Der in Fra­ge kom­men­de Strafrah­men ist nach § 73 StGB. nur aus § 249 StGB. zu ent­neh­men. Es liegt bei Raub und Kör­per­ver­let­zung nur eine Hand­lung vor, die nur nach ei­nem De­likt­tat­be­stand zu be­stra­fen ist: 1–15 Jah­re Zucht­haus, bei mil­dern­den Um­stän­den 6 Mo­na­te bis 5 Jah­re Ge­fäng­nis.«

 

»Aber der Raub ist ja auf öf­fent­li­chen We­gen be­gan­gen!«

Er schreibt:

»Also nicht § 249 StGB., son­dern § 250 Zif­fer 3 StGB.: 5–15 Jah­re Zucht­haus, bei mil­dern­den Um­stän­den 1–5 Jah­re Ge­fäng­nis.«

»Kommt Num­mer 2. Also …«

Er schreibt:

»2. ›Dieb­stahl‹ des Spar­kas­sen­buchs und von 37,56 RM Bar­geld ist ein ›räu­be­ri­scher Dieb­stahl‹. Der Tä­ter ist nach § 252 StGB. wie ein Räu­ber zu be­stra­fen (s. o. § 249 StGB.).

3. Tipp für Schau­fens­ter­ein­bruch gleich Bei­hil­fe zu Ein­bruchs­dieb­stahl: §§ 243 Abs. 1 Zif­fer 2, 49 StGB.: 4 Mo­na­te 15 Tage bis 1 Jahr 4 Mo­na­te 15 Tage Ge­fäng­nis. Oder: 1 Jahr bis 9 Jah­re 11 Mo­na­te Ge­fäng­nis, bei mil­dern­den Um­stän­den 22 Tage Ge­fäng­nis bis 4 Jah­re 11 Mo­na­te 29/30 Tage Ge­fäng­nis.

Auch wenn das Ver­bre­chen ge­gen den Wil­len des Ge­hil­fen zu­stan­de kommt, ist es zu be­stra­fen.

Ein von Stra­fe be­frei­en­der Rück­tritt des Ge­hil­fen liegt nicht vor, da er nicht die För­der­lich­keit sei­ner Tä­tig­keit für die Haupt­tat be­sei­tigt hat.

4. Er­pres­sungs­ver­such beim Füh­rer der Ein­bre­cher­ban­de §§ 253, 43 ff. StGB.: 7 Tage bis 4 Jah­re 11 Mo­na­te 29/30 Tage Ge­fäng­nis.«

»Na also«, sagt Herr As­ses­sor Söhn­lein ver­gnügt zu sich. »Das ist ja fein fix ge­gan­gen. Wol­len wir also die Zu­sam­men­stel­lung für die Straf­be­mes­sung ma­chen. Straf­ver­schär­fen­de Voraus­set­zun­gen lie­gen kaum vor. Also …« Er schreibt eif­rig, er rech­net:

»1. Raub in Ide­al­kon­kur­renz mit Kör­per­ver­let­zung, 15 ver­schie­de­ne Hand­lun­gen, mil­dern­de Um­stän­de: da­von als Ge­samt­stra­fe: 10 Jah­re Ge­fäng­nis.«

»So«, sagt der As­ses­sor Söhn­lein und be­trach­tet lie­be­voll sein Werk, »das wird un­ge­fähr stim­men. Ein biss­chen hoch­ge­rech­net, aber es kommt ja doch im­mer was run­ter.«

3

Das große, ge­schlos­se­ne, grü­ne Auto hup­te ein­mal gel­lend vor dem An­stalts­tor, am Fens­ter des Tor­hau­ses er­schi­en ein Wacht­meis­ter­ge­sicht, nick­te dem Schu­po-Chauf­feur1 zu, und kurz dar­auf öff­ne­te sich lang­sam das große, zweiflü­ge­li­ge Tor. Das Trans­port­au­to fuhr durch den Tor­weg, über einen Platz und hielt vor dem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de.

Vor­ne klet­ter­te der Chauf­feur her­aus, dann ka­men hin­ten aus dem Wa­gen zwei Schu­pos, und aus dem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de tra­ten fast gleich­zei­tig vier Be­am­te, da­von ei­ner in Zi­vil.

»Die Ein­lie­fe­rung«, sag­te der Schu­po.

»Wie vie­le?« frag­te der Zi­vi­list.

»Fünf Mann«, sag­te der Schu­po.

»Schön«, sag­te der Zi­vi­list. »Was Län­ge­res da­bei?«

»Weiß ich nicht, habe ich mir nicht so ge­nau an­ge­se­hen. Ei­nen ha­ben wir fes­seln müs­sen, hat rote Pa­pie­re.«

»Heißt?«

»War­ten Sie mal. Hier. Ku­falt. Sie­ben Jah­re hat er. Raub, Ein­bruchs­dieb­stahl, hat das gan­ze Straf­ge­setz­buch.«

»Hat wohl tür­men wol­len?«

»Mög­lich. Kei­ne Ah­nung. Im Wa­gen war er fried­lich.«

»Also los.«

Die bei­den Schu­pos ge­hen in den Wa­gen und schlie­ßen die Zel­len auf. Eine Wol­ke von grau­em, stin­ken­dem Ta­baks­qualm dringt her­aus.

»Schwei­ne«, sagt der Schu­po. »Ich hab euch das Rau­chen doch ex­tra ver­bo­ten.«

Dann kom­men die Ge­fan­ge­nen.

Erst ein klei­ner al­ter Mann mit ei­nem wei­ßen To­ten­kopf, der sich angst­voll um­sieht. Dann ein jun­ger Mensch, mit schwar­zem, krau­sem Haar, sehr schick ge­klei­det, ta­del­lo­se Bü­gel­fal­te, der über­le­gen die Be­am­ten mus­tert und dann lei­se pfei­fend die Hän­de in die Ta­schen steckt.

»Neh­men Sie die Hän­de aus den Ta­schen, so­fort!«

Der Mann tut es ab­sicht­lich lang­sam.

»Frisch heu­te Mor­gen, Herr In­spek­tor«, sagt er. »Ich glaub, der alte Wa­ckel­kopf hat vor Angst in die Ho­sen ge­schis­sen.«

»Wie …?!«

»Er stinkt je­den­falls wie ’ne gan­ze La­tri­ne.«

»Hö­ren Sie mal«, sagt der Be­am­te dro­hend zu dem zit­tern­den al­ten Mann, »ist das wahr, was der sagt …? Ha­ben Sie in die Ho­sen …?«

»Ogot­to­gott«, wim­mert der Alte, »tun Sie mir bloß nichts, Herr … Ich kann nichts da­für …«

»Stel­len Sie sich da drü­ben hin. Na, der Haus­va­ter wird sich über Sie freu­en, da kön­nen Sie was er­le­ben …«

Un­ter­des sind Num­mer drei und vier aus dem Wa­gen ge­klet­tert.

Drei ist ein lan­ger, schlott­ri­ger Mann, in ganz ver­brauch­tem An­zug. »Morrr­gen, Pan­je In­spek­tor!« sagt er.

»Halt ’s Maul. Polski, was? Brau­che von dir kei­nen gu­ten Mor­gen!«

Aber der vier­te, ein di­cker, be­hä­bi­ger Mann, wie ein fried­li­cher Stamm­tisch­sit­zer: »Tag, Herr Obe­rin­spek­tor Frösch­lein. Tag, Herr Frit­ze. Tag, Herr Hau­bold. Tag, Herr Wenk. Sie sind Ober­wacht­meis­ter ge­wor­den? Fein, ich gra­tu­lie­re schön.«

Dann mit ei­nem ent­schul­di­gen­den Lä­cheln: »Ich bin auch mal wie­der da, aber nur eine Klei­nig­keit dies­mal. Neun Mo­na­te. Klei­ner Be­triebs­un­fall.«

Die Be­am­ten grin­sen alle er­freut.

»Na, Hä­ber­lein, was war’s denn dies­mal?«

»Och, och, re­den wir nicht da­von, die Men­schen sind ja sau­dumm. Ver­ste­hen kei­nen Spaß mehr.«

Plötz­lich sehr be­sorgt: »Ob ich mei­nen Pos­ten in der Kü­che wie­der­krie­ge? Sie wis­sen doch, Herr Obe­rin­spek­tor, kei­ner kocht so gut wie ich.«

»Und kei­ner frisst so viel wie Sie, Hä­ber­lein. Na, ich wer­de mal mit dem Ar­beits­in­spek­tor re­den. – Los, der letz­te Mann. O Gott, sieht der aus!«

»Das kann man wohl sa­gen«, brummt ein Wacht­meis­ter. Müh­sam klet­tert Ku­falt aus dem Wa­gen. Sein An­zug hängt in Fet­zen, sein hal­ber Kopf steckt in ei­nem wei­ßen Ver­band, der von Blut durch­tränkt ist, sein ei­ner Arm ist in ei­ner Bin­de.

»Was ha­ben Sie denn ge­macht, Men­schens­kind?«

»Ich hab mich ge­prü­gelt mit ei­nem«, sagt Ku­falt.

»Sieht mehr so aus, als wenn der Sie ge­prü­gelt hät­te«, stellt der Be­am­te fest. »Na, Wacht­meis­ter, neh­men Sie ihm die Ket­te ab, er wird schon nicht tür­men.«

»Will über­haupt nicht tür­men«, sagt Ku­falt. »Bin froh, dass ich hier bin.«

»Je­man­den in die Pfan­ne ge­hau­en, was?« fragt der Be­am­te. »Kommt Ihr Freund nicht auch hier­her?«

»Glau­be ich nicht. Hat Zet ge­kriegt.«

»Sei­en Sie froh, der schreibt eine kräf­ti­ge Hand­schrift. – Abrücken!«

1 Schu­po=Schutz­po­li­zei <<<

4

»Was ma­che ich nun mit Ih­nen«, sagt der Haus­va­ter ge­dan­ken­voll. »Ba­den bei der Auf­nah­me ist Vor­schrift. Aber es geht doch nicht, so ver­bun­den wie Sie sind.«

»Oh, das geht schon, Herr Haupt­wacht­meis­ter«, schmei­chelt Ku­falt. »Das sieht nur so schlimm aus. Ein Bad möch­te ich ger­ne ha­ben. Im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis ver­dreckt man im­mer.«

»Na, mei­net­hal­ben. Pe­ter, bade ihn. Aber nicht un­ter der Brau­se. Dies­mal kön­nen wir schon die Wan­ne neh­men.«

»Ja­wohl«, sagt der Haus­va­ter-Kal­fak­tor, ein al­ter Glatz­kopf, »komm, Neu­er.«

»Ist ein Wacht­meis­ter beim Ba­den bei?« flüs­tert Ku­falt.

»Guckt höchs­tens mal rein. Hast was?«

»Vi­el­leicht. Bis­te stie­kum?«

»Ich geh in Ord­nung«, prahlt der Glatz­kopf. »Ich habe noch nie einen in die Pfan­ne ge­hau­en. Mir kanns­te al­les an­ver­trau­en. Ich lie­fe­re dir al­les ab. – Hast wohl schon mehr ab­ge­ris­sen?«

»Doch, doch«, sagt Ku­falt. »Fünf Jah­re.«

»Und jetzt?«

»Sie­ben.«

»Au Ba­cke, das zieht hin.«

»Wat denn, wat denn«, sagt Ku­falt. »Sie­ben Jähr­chen und Ba­cke. Da brau­che ich kei­ne Zel­le für, die reib ich auf der Trep­pe im Ste­hen ab.«

»Du hast ’nen Nerv.«

»Was denn? Wie­so Nerv? – Wie ist hier der Ar­beits­in­spek­tor? Kriegt man hier leicht einen Druck­pos­ten?«

»Kommt dar­auf an«, sagt der Kal­fak­tor, die Häh­ne auf­dre­hend. Was­ser stürzt in die Wan­ne. »Bad­s­te ger­ne heiß?«

»Mit­tel. Nu wol­len wir mal se­hen. Hilf mir ein biss­chen beim Aus­zie­hen. Mit dem Arm geht das noch gar nicht.«

»Wer hat dich denn so durch den Wolf ge­dreht?«

»Mein Kum­pel. Woll­te mich in der U-Haft vom drit­ten Stock­werk run­ter­schmei­ßen.«

»Au Ba­cke.«

»Na, was denkst du, was ich den in die Hand ge­bis­sen habe, der hat ge­schri­en! – Wie ist denn hier der Alte?«

»So lila, wie so ’n Al­ter eben ist. Zu sa­gen hat er nicht viel. – Hat sich’s denn ge­lohnt?«

Ku­falt sagt fei­er­lich: »Hun­dert­fünf­zig­tau­send!«

»Wie? Was? Du sohlst ja!«

»Hast du nicht in der Zei­tung ge­le­sen vom Ju­we­len­ein­bruch in Ham­burg bei Wos­sid­lo?«

»Na­tür­lich! – Und?«

»Habe ich ge­dreht!«

»Du, Mensch?« Der Kal­fak­tor starrt be­wun­dernd. Dann flüs­tert er: »Has­te was bei­sei­te ge­kriegt?«

Ku­falt lä­chelt viel­sa­gend. »Da­von re­det man nicht. Vi­el­leicht er­lebst du noch mal was mit mir. Kneis­te mal, ob die Luft sau­ber ist.«

»Al­les in Ord­nung«, mel­det der Kal­fak­tor ge­hor­sam.

»Schön. Dann wick­le die Bin­de von mei­nem Arm ab. So. Lang­sam, dass nichts ins Was­ser fällt. Siehst du, das ist das ers­te Päck­chen Ta­bak. So. Leg’s erst mal un­ter die Wan­ne. In der Blech­schach­tel habe ich Priem. Noch mal Ta­bak. Und auf ein Drit­tes! Blätt­chen habe ich auch. Streich­höl­zer auch. Gott sei Dank, dass ich den Arm wie­der rüh­ren kann. Er war schon ganz ein­ge­schla­fen.«

Und er be­wegt fes­te den Arm.

Der Kal­fak­tor ist nur Be­wun­de­rung. »Du hast den Bo­gen aber raus. Ist denn gar nichts mit dei­nem Arm?«

»Quatsch, was soll mit dem sein? Hat mir der La­za­rett­kal­fak­tor ge­macht. Für ein Pa­ket Ta­bak. Hör zu, Mensch. Hälts­te dicht und ver­pfeifst mich nicht, dann kriegst du ein hal­b­es Pa­ket Ta­bak.«

»Ein gan­zes«, for­dert der Kal­fak­tor.

»Hau ab«, sagt Ku­falt und steigt in die Wan­ne, »wo ich selbst nur drei habe.«

»Na, du kriegst doch im­mer fri­schen.«

»Weiß man nicht, muss man erst Be­scheid wis­sen im Bau, mit wem man schie­ben kann. – Wann kommt der Arzt?«

»Der Arzt? Mor­gen!«

»Au weh! Muss ich ja mei­nen Ver­band ab­ma­chen. Wer­den die Zel­len hier sehr ge­filzt?«

»Nee. Du tust dei­nen Ta­bak am bes­ten in die Ma­trat­ze. Da wird nie nach­ge­se­hen. Nach Ein­schluss kannst du schön rau­chen. Die Nacht­wa­che sagt nichts.«

»Schön, schön. Also, ich will dir ein Pa­ket Ta­bak ge­ben. Ich krieg schon wie­der fri­schen. Aber du gibst mir nach­her auf der Kam­mer einen ta­del­lo­sen An­zug.«

»Ist ge­macht. Su­chen wir dir gleich nach­her raus.«

Woh­lig auf­seuf­zend reckt sich Ku­falt in der Wan­ne. »Ei­gent­lich ist es groß­ar­tig, wenn man wie­der drin ist. Hat man doch wie­der sei­ne Ord­nung.«

»Ver­steht sich«, sagt der Kal­fak­tor. »Aber sie­ben Jah­re – na, du wirst noch an mich den­ken.«

»Mensch, wo ich schon fünf Jah­re ab­ge­ris­sen habe! Sie­ben ist auch nicht viel mehr. Und viel­leicht kommt ’ne Am­nes­tie. Haupt­sa­che, dass man im­mer zu rau­chen hat und kriegt einen Druck­pos­ten. Aber kei­ne Ban­ge. Ich wer­de schon für mich sor­gen.«

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