»O Gott!« ruft sie. »Und meine Mutti …«
»Ich werde wohl auch auf dem Gymnasium das Konsilium kriegen.«
»Wenn mein Vater das erfährt …!«
»Meiner hat nicht geschimpft.«
»Und auf dem Lyzeum …«
»Schieben Sie doch alle Schuld auf mich!«
»Ach, Sie – und nicht einmal was drin war in dem Brief.«
»Aber ich kann Ihnen ja gerne schreiben!«
Der Vater pfeift: Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?
»O Gott, die fünf Minuten sind schon um. Ich muss …«
»Aber gehen Sie doch schon. Sie haben mich schön reingesenkt.«
Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?
»Und ich weiß nicht mal, wie Sie heißen, Fräulein!?«
Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?
»Dass Sie mir noch mehr Schwierigkeiten machen!«
»Aber, Fräulein, ich kann doch wirklich nichts dafür!«
»Was soll ich bloß zu Haus sagen?«
Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?
»Fräulein, ich muss …«
»Ja, Sie gehen nach Haus, zu Ihrem Vater, der nicht schimpft. Aber ich …?«
»Bitte, geben Sie mir wenigstens die Hand.«
»Auch noch!«
»Aber wir sehen uns vielleicht nie wieder!«
»Das ist auch viel besser. Und ich hatte gedacht, es würde so nett! – O Gott, da kommt Ihr Vater!«
»Na, Söhnchen, wie ist das mit Worthalten? Guten Abend, kleine Fee. Habt ihr euch gezankt?«
»Ich…«
»Wir …«
»Hände geben! Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen!«
»Und jetzt los!«
Sie sehen sich noch einmal an.
»Ich bin an allem schuld«, sagt der Junge beteuernd, und seine Lippen zittern.
»Ja«, sagt sie, »es ist doch schon gut. Es war nur der erste Schreck. Ich schwindle mich schon durch.«
»Auseinander mit euch! Viel zu jung. Viel zu grün.«
»Also, alles Gute!«
»Ja. Ja. Alles, alles Gute Ihnen!«
»Auf Wiedersehen!«
»Ja, vielleicht sehen wir uns wieder.«
»Gute Nacht, kleines Fräulein. Komm, Willi.«
Hinter der Brücke fing der Weg an zu steigen. Der Vater rief: »Spring ab, mein Sohn.«
Und als sie miteinander neben dem Rad gingen: »Wir haben keine Eile. Wir kommen noch immer früh genug nach Haus.«
»Wann stehst du jetzt auf, Vater?«
»Wie stets im Sommer. Um vier. Man muss immer selbst nach dem Füttern und Melken sehen. Auf die Eleven ist kein Verlass.«
Und nach einer Pause fragt er leichthin: »Zur Landwirtschaft hättest du keine Lust?«
Er antwortet zögernd: »Ich glaube nicht, Vater.«
»Und sonst …?«
»Ja …«
»Ja ist gar nichts. Was kommt dahinter?«
»Am liebsten ginge ich weiter aufs Gymnasium.«
»Wird sich schlecht machen lassen. Pastor und Direktor sind zu gut Freund.«
»Und wenn du mich auf ein anderes Gymnasium schicken würdest …?«
Sie gehen eine Weile schweigend.
»Ich will dir was sagen, Willi. Es ist mir jetzt schon sauer geworden. Du weißt, ich verdiene nicht viel. Und da ist noch deine Schwester. Nun, ich hätte es durchgehalten, wie es jetzt war, aber das ist nun vorbei. Eigentlich ist es mir recht, wie es gekommen ist. Gesagt hätte ich nichts. Aber wo du dich selbst darum gebracht hast, denke ich, lassen wir es dabei.«
»Aber ich habe doch gar nichts gemacht!«
»Eine Dummheit hast du zum Mindesten gemacht. Unüberlegt bist du jedenfalls gewesen, Willi. Du musst lernen, dass im Leben Dummheiten oft ebenso viel schaden wie Schlechtigkeiten. Und dass hinter der Dummheit nicht alles so ist wie vor ihr. Man kriegt nicht alles wieder heil. Jetzt bist du noch gut weggekommen, du gehst mit deinem Vater nach Haus, und der Sturm ist vorüber. Später kannst du vielleicht einmal hinterher nicht so nach Haus gehen.«
Der Vater seufzte ein wenig und schob langsamer bergan. Der Sohn ging schweigend daneben. In ihm wogte es unklar: Der Vater hatte unrecht, denn der Sohn hatte nichts Schlechtes getan. Und doch nahm es der Vater zum Anlass, Geld zu sparen und ihn nicht mehr aufs Gymnasium zu schicken. War es so lange gegangen, hätte es auch weitergehen können. Bloß weil der Sohn auf die Straße gelaufen war mit einem leeren Briefumschlag und zu einem Mädel zehn Worte gesprochen hatte, wollte der Vater nun Schul- und Kolleggelder sparen …? Es schien keinesfalls richtig.
Die Straße stieg und stieg, zwischen hohen Böschungen, die von Wald bestanden waren. Oben über ihnen, schnurgerade in der Richtung des Weges, war der Nachthimmel wie ein heller, sanft aus sich heraus leuchtender Streif.
»Wie wäre es mit Kaufmann?« fragte der Vater schließlich.
»Ach nein!« rief der Junge enttäuscht.
»Kein Laden«, sagte der Vater beruhigend. »Ich hatte an eine Bank gedacht.«
»Ach so«, sagte der Junge.
»Nun?« ermunterte der Vater.
»Ich weiß doch nicht«, sagte der Sohn zögernd.
»Wenn man«, sagte der Vater, »was auf den Deckel gekriegt hat, soll man nicht lange brummen, man überlegt sich den Fall, erkennt, was falsch war, und macht’s nun richtig. – Übrigens kannst du ruhig zwei, drei Wochen zu Haus sitzen. Du kannst mir schön beim Lohnausrechnen helfen. Jetzt in der Ernte habe ich nie Zeit dafür.
So, und nun steig wieder auf, jetzt können wir einen langen Zug machen.«
Der Schüler stand hinten auf dem Rad, die Hände auf den Schultern des Vaters. Das Rad surrte eilig bergab, der Luftzug stieß kühl und erfrischend ins Gesicht.
»Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt«, rief der Sohn plötzlich.
»Wie?« schrie der Vater, der bei der raschen Fahrt nicht recht verstanden hatte.
»Ich weiß nicht mal ihren Namen!«
»Wessen Namen …?«
»Von dem Mädchen!«
Der Vater trat so scharf auf die Rücktrittbremse, dass der Sohn mit einem Ruck gegen seine Schultern flog. Das Rad hielt fast ganz an. »Ich möchte dich«, sagte der Vater, langsam fahrend, »beinahe bitten, abzusteigen und zu Fuß allein nach Haus zu gehen. Damit du nachdenken kannst. Denkst du jetzt rückwärts? Möchtest du fortsetzen, was eine Dummheit gewesen ist, die dir nur Schaden gebracht hat? O Willi, Willi, ich fürchte, ich mache es dir wieder einmal zu leicht. Wenn es dir nur nicht eines Tages zu schwer werden wird.«
Das Rad fuhr schneller, der Sohn antwortete nichts.
Dann ging es über eine Brücke, einen Augenblick hörte man Wasser plätschern, die Straße drehte sich, der Lichtschein der Fahrradlampe leuchtete eine Waldwand ab, dann tauchte etwas Schwarzes, Hohes, Massiges auf.
Der Vater klingelte.
»Jetzt kann uns Mutter schon hören.«
Es ging durch das Tor der massigen Mauer, die beiden Fenster im Inspektorenhaus rechts waren hell. Nun, während sie darauf zufuhren, ging die Tür auf, ein Lichtschein fiel heraus, die Mutter stand in ihm …
Knirschend hielt das Rad an.
»Da bist du ja, Willi«, sagte die Mutter. »Komm schnell rein. Sicher hast du schrecklichen Hunger. Ich habe dir Erbsensuppe vom Mittag aufbewahrt.«
Eines schönen Frühjahrsmorgens sagt Staatsanwaltschaftsrat Gröschke zu seinem Assessor: »Ich habe da am Freitag den Fall Kufalt. Sehen Sie doch mal die Akten ein, und arbeiten Sie mir einen Boden aus. Nehmen Sie jede Straftat genau unter die Lupe. Und zeichnen Sie mir den Strafrahmen auf, der für jede Tat ausgeworfen ist. Ich möchte für die Strafanträge ganz klarsehen.«
»Wird tadellos gemacht«, sagt der Staatsanwaltschaftsassessor Söhnlein und kniet sich in die Akten.
Söhnlein hat zwei Leidenschaften: Kakteenzucht und Strafrecht. Aber die zweite ist die größere. Er ist gewissermaßen ein Arithmetiker des Gesetzes: Die Menschen verflüchtigen sich unter seinen Händen, die Paragrafen bleiben. Dann lösen sich auch die Paragrafen auf und werden zu Zahlen. Dinge sind geschehen, Leidenschaften waren los, Wünsche, Begierden, Kämpfe – nun werden Zahlen daraus, nur Zahlen. Und am Freitag wird Herr Staatsanwaltschaftsrat Gröschke diese Zahlen benutzen.
Da ist nun der Fall Wilhelm (nicht Willi) Kufalt.
Söhnlein schreibt:
»Vorbestraft 1924 mit 5 Jahren Gefängnis wegen Unterschlagung aus § 246 StGB. Schwere Urkundenfälschung in verschiedenen Fällen aus § 268 StGB.«
»Schön, schön, sehen wir weiter, was er diesmal auf der Schippe hat.«
Der Assessor schreibt:
»1. 14–15 ›selbstständige‹ Handtaschendiebstähle, da der Täter jedes Mal neu den Entschluss zu einer Wegnahme fasst …«
»Kommt hier unzweifelhaft in Frage.«
»§ 249 StGB. (Raub) und gleichzeitig § 223 StGB. (Körperverletzung), und zwar § 223 a StGB., da die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls begangen wurde. Der in Frage kommende Strafrahmen ist nach § 73 StGB. nur aus § 249 StGB. zu entnehmen. Es liegt bei Raub und Körperverletzung nur eine Handlung vor, die nur nach einem Delikttatbestand zu bestrafen ist: 1–15 Jahre Zuchthaus, bei mildernden Umständen 6 Monate bis 5 Jahre Gefängnis.«
»Aber der Raub ist ja auf öffentlichen Wegen begangen!«
Er schreibt:
»Also nicht § 249 StGB., sondern § 250 Ziffer 3 StGB.: 5–15 Jahre Zuchthaus, bei mildernden Umständen 1–5 Jahre Gefängnis.«
»Kommt Nummer 2. Also …«
Er schreibt:
»2. ›Diebstahl‹ des Sparkassenbuchs und von 37,56 RM Bargeld ist ein ›räuberischer Diebstahl‹. Der Täter ist nach § 252 StGB. wie ein Räuber zu bestrafen (s. o. § 249 StGB.).
3. Tipp für Schaufenstereinbruch gleich Beihilfe zu Einbruchsdiebstahl: §§ 243 Abs. 1 Ziffer 2, 49 StGB.: 4 Monate 15 Tage bis 1 Jahr 4 Monate 15 Tage Gefängnis. Oder: 1 Jahr bis 9 Jahre 11 Monate Gefängnis, bei mildernden Umständen 22 Tage Gefängnis bis 4 Jahre 11 Monate 29/30 Tage Gefängnis.
Auch wenn das Verbrechen gegen den Willen des Gehilfen zustande kommt, ist es zu bestrafen.
Ein von Strafe befreiender Rücktritt des Gehilfen liegt nicht vor, da er nicht die Förderlichkeit seiner Tätigkeit für die Haupttat beseitigt hat.
4. Erpressungsversuch beim Führer der Einbrecherbande §§ 253, 43 ff. StGB.: 7 Tage bis 4 Jahre 11 Monate 29/30 Tage Gefängnis.«
»Na also«, sagt Herr Assessor Söhnlein vergnügt zu sich. »Das ist ja fein fix gegangen. Wollen wir also die Zusammenstellung für die Strafbemessung machen. Strafverschärfende Voraussetzungen liegen kaum vor. Also …« Er schreibt eifrig, er rechnet:
»1. Raub in Idealkonkurrenz mit Körperverletzung, 15 verschiedene Handlungen, mildernde Umstände: davon als Gesamtstrafe: 10 Jahre Gefängnis.«
»So«, sagt der Assessor Söhnlein und betrachtet liebevoll sein Werk, »das wird ungefähr stimmen. Ein bisschen hochgerechnet, aber es kommt ja doch immer was runter.«
Das große, geschlossene, grüne Auto hupte einmal gellend vor dem Anstaltstor, am Fenster des Torhauses erschien ein Wachtmeistergesicht, nickte dem Schupo-Chauffeur1 zu, und kurz darauf öffnete sich langsam das große, zweiflügelige Tor. Das Transportauto fuhr durch den Torweg, über einen Platz und hielt vor dem Verwaltungsgebäude.
Vorne kletterte der Chauffeur heraus, dann kamen hinten aus dem Wagen zwei Schupos, und aus dem Verwaltungsgebäude traten fast gleichzeitig vier Beamte, davon einer in Zivil.
»Die Einlieferung«, sagte der Schupo.
»Wie viele?« fragte der Zivilist.
»Fünf Mann«, sagte der Schupo.
»Schön«, sagte der Zivilist. »Was Längeres dabei?«
»Weiß ich nicht, habe ich mir nicht so genau angesehen. Einen haben wir fesseln müssen, hat rote Papiere.«
»Heißt?«
»Warten Sie mal. Hier. Kufalt. Sieben Jahre hat er. Raub, Einbruchsdiebstahl, hat das ganze Strafgesetzbuch.«
»Hat wohl türmen wollen?«
»Möglich. Keine Ahnung. Im Wagen war er friedlich.«
»Also los.«
Die beiden Schupos gehen in den Wagen und schließen die Zellen auf. Eine Wolke von grauem, stinkendem Tabaksqualm dringt heraus.
»Schweine«, sagt der Schupo. »Ich hab euch das Rauchen doch extra verboten.«
Dann kommen die Gefangenen.
Erst ein kleiner alter Mann mit einem weißen Totenkopf, der sich angstvoll umsieht. Dann ein junger Mensch, mit schwarzem, krausem Haar, sehr schick gekleidet, tadellose Bügelfalte, der überlegen die Beamten mustert und dann leise pfeifend die Hände in die Taschen steckt.
»Nehmen Sie die Hände aus den Taschen, sofort!«
Der Mann tut es absichtlich langsam.
»Frisch heute Morgen, Herr Inspektor«, sagt er. »Ich glaub, der alte Wackelkopf hat vor Angst in die Hosen geschissen.«
»Wie …?!«
»Er stinkt jedenfalls wie ’ne ganze Latrine.«
»Hören Sie mal«, sagt der Beamte drohend zu dem zitternden alten Mann, »ist das wahr, was der sagt …? Haben Sie in die Hosen …?«
»Ogottogott«, wimmert der Alte, »tun Sie mir bloß nichts, Herr … Ich kann nichts dafür …«
»Stellen Sie sich da drüben hin. Na, der Hausvater wird sich über Sie freuen, da können Sie was erleben …«
Unterdes sind Nummer drei und vier aus dem Wagen geklettert.
Drei ist ein langer, schlottriger Mann, in ganz verbrauchtem Anzug. »Morrrgen, Panje Inspektor!« sagt er.
»Halt ’s Maul. Polski, was? Brauche von dir keinen guten Morgen!«
Aber der vierte, ein dicker, behäbiger Mann, wie ein friedlicher Stammtischsitzer: »Tag, Herr Oberinspektor Fröschlein. Tag, Herr Fritze. Tag, Herr Haubold. Tag, Herr Wenk. Sie sind Oberwachtmeister geworden? Fein, ich gratuliere schön.«
Dann mit einem entschuldigenden Lächeln: »Ich bin auch mal wieder da, aber nur eine Kleinigkeit diesmal. Neun Monate. Kleiner Betriebsunfall.«
Die Beamten grinsen alle erfreut.
»Na, Häberlein, was war’s denn diesmal?«
»Och, och, reden wir nicht davon, die Menschen sind ja saudumm. Verstehen keinen Spaß mehr.«
Plötzlich sehr besorgt: »Ob ich meinen Posten in der Küche wiederkriege? Sie wissen doch, Herr Oberinspektor, keiner kocht so gut wie ich.«
»Und keiner frisst so viel wie Sie, Häberlein. Na, ich werde mal mit dem Arbeitsinspektor reden. – Los, der letzte Mann. O Gott, sieht der aus!«
»Das kann man wohl sagen«, brummt ein Wachtmeister. Mühsam klettert Kufalt aus dem Wagen. Sein Anzug hängt in Fetzen, sein halber Kopf steckt in einem weißen Verband, der von Blut durchtränkt ist, sein einer Arm ist in einer Binde.
»Was haben Sie denn gemacht, Menschenskind?«
»Ich hab mich geprügelt mit einem«, sagt Kufalt.
»Sieht mehr so aus, als wenn der Sie geprügelt hätte«, stellt der Beamte fest. »Na, Wachtmeister, nehmen Sie ihm die Kette ab, er wird schon nicht türmen.«
»Will überhaupt nicht türmen«, sagt Kufalt. »Bin froh, dass ich hier bin.«
»Jemanden in die Pfanne gehauen, was?« fragt der Beamte. »Kommt Ihr Freund nicht auch hierher?«
»Glaube ich nicht. Hat Zet gekriegt.«
»Seien Sie froh, der schreibt eine kräftige Handschrift. – Abrücken!«
1 Schupo=Schutzpolizei <<<
»Was mache ich nun mit Ihnen«, sagt der Hausvater gedankenvoll. »Baden bei der Aufnahme ist Vorschrift. Aber es geht doch nicht, so verbunden wie Sie sind.«
»Oh, das geht schon, Herr Hauptwachtmeister«, schmeichelt Kufalt. »Das sieht nur so schlimm aus. Ein Bad möchte ich gerne haben. Im Untersuchungsgefängnis verdreckt man immer.«
»Na, meinethalben. Peter, bade ihn. Aber nicht unter der Brause. Diesmal können wir schon die Wanne nehmen.«
»Jawohl«, sagt der Hausvater-Kalfaktor, ein alter Glatzkopf, »komm, Neuer.«
»Ist ein Wachtmeister beim Baden bei?« flüstert Kufalt.
»Guckt höchstens mal rein. Hast was?«
»Vielleicht. Biste stiekum?«
»Ich geh in Ordnung«, prahlt der Glatzkopf. »Ich habe noch nie einen in die Pfanne gehauen. Mir kannste alles anvertrauen. Ich liefere dir alles ab. – Hast wohl schon mehr abgerissen?«
»Doch, doch«, sagt Kufalt. »Fünf Jahre.«
»Und jetzt?«
»Sieben.«
»Au Backe, das zieht hin.«
»Wat denn, wat denn«, sagt Kufalt. »Sieben Jährchen und Backe. Da brauche ich keine Zelle für, die reib ich auf der Treppe im Stehen ab.«
»Du hast ’nen Nerv.«
»Was denn? Wieso Nerv? – Wie ist hier der Arbeitsinspektor? Kriegt man hier leicht einen Druckposten?«
»Kommt darauf an«, sagt der Kalfaktor, die Hähne aufdrehend. Wasser stürzt in die Wanne. »Badste gerne heiß?«
»Mittel. Nu wollen wir mal sehen. Hilf mir ein bisschen beim Ausziehen. Mit dem Arm geht das noch gar nicht.«
»Wer hat dich denn so durch den Wolf gedreht?«
»Mein Kumpel. Wollte mich in der U-Haft vom dritten Stockwerk runterschmeißen.«
»Au Backe.«
»Na, was denkst du, was ich den in die Hand gebissen habe, der hat geschrien! – Wie ist denn hier der Alte?«
»So lila, wie so ’n Alter eben ist. Zu sagen hat er nicht viel. – Hat sich’s denn gelohnt?«
Kufalt sagt feierlich: »Hundertfünfzigtausend!«
»Wie? Was? Du sohlst ja!«
»Hast du nicht in der Zeitung gelesen vom Juweleneinbruch in Hamburg bei Wossidlo?«
»Natürlich! – Und?«
»Habe ich gedreht!«
»Du, Mensch?« Der Kalfaktor starrt bewundernd. Dann flüstert er: »Haste was beiseite gekriegt?«
Kufalt lächelt vielsagend. »Davon redet man nicht. Vielleicht erlebst du noch mal was mit mir. Kneiste mal, ob die Luft sauber ist.«
»Alles in Ordnung«, meldet der Kalfaktor gehorsam.
»Schön. Dann wickle die Binde von meinem Arm ab. So. Langsam, dass nichts ins Wasser fällt. Siehst du, das ist das erste Päckchen Tabak. So. Leg’s erst mal unter die Wanne. In der Blechschachtel habe ich Priem. Noch mal Tabak. Und auf ein Drittes! Blättchen habe ich auch. Streichhölzer auch. Gott sei Dank, dass ich den Arm wieder rühren kann. Er war schon ganz eingeschlafen.«
Und er bewegt feste den Arm.
Der Kalfaktor ist nur Bewunderung. »Du hast den Bogen aber raus. Ist denn gar nichts mit deinem Arm?«
»Quatsch, was soll mit dem sein? Hat mir der Lazarettkalfaktor gemacht. Für ein Paket Tabak. Hör zu, Mensch. Hältste dicht und verpfeifst mich nicht, dann kriegst du ein halbes Paket Tabak.«
»Ein ganzes«, fordert der Kalfaktor.
»Hau ab«, sagt Kufalt und steigt in die Wanne, »wo ich selbst nur drei habe.«
»Na, du kriegst doch immer frischen.«
»Weiß man nicht, muss man erst Bescheid wissen im Bau, mit wem man schieben kann. – Wann kommt der Arzt?«
»Der Arzt? Morgen!«
»Au weh! Muss ich ja meinen Verband abmachen. Werden die Zellen hier sehr gefilzt?«
»Nee. Du tust deinen Tabak am besten in die Matratze. Da wird nie nachgesehen. Nach Einschluss kannst du schön rauchen. Die Nachtwache sagt nichts.«
»Schön, schön. Also, ich will dir ein Paket Tabak geben. Ich krieg schon wieder frischen. Aber du gibst mir nachher auf der Kammer einen tadellosen Anzug.«
»Ist gemacht. Suchen wir dir gleich nachher raus.«
Wohlig aufseufzend reckt sich Kufalt in der Wanne. »Eigentlich ist es großartig, wenn man wieder drin ist. Hat man doch wieder seine Ordnung.«
»Versteht sich«, sagt der Kalfaktor. »Aber sieben Jahre – na, du wirst noch an mich denken.«
»Mensch, wo ich schon fünf Jahre abgerissen habe! Sieben ist auch nicht viel mehr. Und vielleicht kommt ’ne Amnestie. Hauptsache, dass man immer zu rauchen hat und kriegt einen Druckposten. Aber keine Bange. Ich werde schon für mich sorgen.«