Natur Natur sein lassen

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Nationalparkbefürworter und Nationalparkgegner formieren sich

Schon vor seiner Gründung war der „Nationalpark“ also heftigem Gegenwind ausgesetzt. Zu den Gegnern zählte neben der Bayerischen Staatsforstverwaltung der „Bayerische Forstverein“, der „Bayerische Jagdschutzverband“ und der „Verein Naturschutzparke e.V.“. Letzterer befürchtete im Nationalpark eine Konkurrenz für seine Naturparke.

Die Befürworter gründeten am 6. Juli 1967 auf Anregung der Regierung von Niederbayern einen „Zweckverband zur Errichtung des Nationalpark Bayerischer Wald“. Mitglieder waren die Landkreise Grafenau, Wolfstein und Wegscheid, die Kreisstädte Grafenau und Freyung, sechs an den geplanten Nationalpark angrenzende Gemeinden, der „Bund Naturschutz in Bayern“ und die „Zoologische Gesellschaft Frankfurt“, deren Präsident Bernhard Grzimek war. Der Zweckverband erarbeitete in den folgenden Monaten ein Konzept für den Nationalpark und beantragte am 13. Dezember 1967 die Ausweisung eines mindestens 9.000 Hektar großen Gebietes um Rachel und Lusen als Nationalpark. Schon im November 1967 hatte der niederbayerische Bezirkstag die Ausweisung eines großräumigen Landschaftsschutzgebietes im Inneren Bayerischen Wald beschlossen. Ein Nationalpark könnte das Glanzstück dieses 75.000 Hektar großen Areals werden, argumentierten die Befürworter.


Werbefaltblatt des Zweckverbandes zur Errichtung des Nationalparks Bayerischer Wald aus dem Jahr 1966.

Im Mai 1968 empfing der Bayerische Landwirtschaftsminister Dr. Alois Hundhammer eine zwölfköpfige CSU-Delegation aus den Kreisverbänden Grafenau und Wolfstein, die sich für einen Nationalpark stark machten. Sie erreichten eine Weiterführung der Gespräche zwischen der Staatsregierung auf der einen und dem Zweckverband auf der anderen Seite. Zugrunde liegen sollte das seit Februar 1968 vorliegende „Gutachten zum Plan eines Nationalparks“ von Professor Dr. Wolfgang Haber, das sogenannte „Haber-Gutachten“.

Wo genau soll er liegen? Wie groß soll er sein? Wie soll er heißen? Nationalpark, Naturpark, Schutzgebiet? Im Rückblick hat man den Eindruck, der Nationalpark wäre bereits vor seiner Gründung beinahe totdiskutiert worden. Doch die Beharrlichkeit der Visionäre war größer. Und im entscheidenden Moment gab es politischen Rückenwind.

Der Wendepunkt: Dr. Hans Eisenmann wird Landwirtschaftsminister

Mit der Ernennung von Dr. Hans Eisenmann zum Bayerischen Landwirtschaftsminister im Frühjahr 1969 nahmen die Auseinandersetzungen um den Nationalpark eine positive Wendung. Ein weiterer Visionär trat auf den Plan. Vom ersten Tag an und in den nun folgenden Jahren seiner Amtszeit stellte sich Minister Eisenmann immer wieder hinter die Nationalparkidee – und zwar nicht eines Nationalparks „light“, sondern eines Nationalparks, der diesen Namen auch verdient und der auch internationalen Maßstäben entsprechen sollte. Eisenmann brachte die Auseinandersetzung um den Nationalpark rasch zu einem guten Ende. Er wurde in den darauffolgenden Jahren auch zum Wegbereiter einer zeitgemäßen Forstpolitik. Die während seiner Amtszeit entwickelte Waldfunktionsplanung und das erste „Wald“-Gesetz in Bayern waren Meilensteine der deutschen Forstgesetzgebung.


Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann hat in den Anfangsjahren den Nationalpark Bayerischer Wald entscheidend vorangebracht.

Nationalpark im Bayerischen Wald wird beschlossen

Am 11. Juni 1969 war es soweit. Der Bayerische Landtag beschloss einstimmig (!) die Errichtung des Nationalparks Bayerischer Wald. Entscheidend dazu beigetragen hat Landwirtschaftsminister Eisenmann. Auf einer Pressefahrt im Mai 1969 in den Bayerischen Wald erklärte Minister Eisenmann, dass er dem Vorschlag, dort einen Nationalpark zu errichten, grundsätzlich positiv und ohne Voreingenommenheit gegenüber stünde. Der Träger des Nationalparks sollte der Freistaat Bayern sein. Es sollte eine Nationalparkverwaltung geschaffen und zusätzlich ein Gremium gebildet werden, dem Sachverständige, Vertreter der zuständigen Behörden und Körperschaften und Mitglieder des „Zweckverbandes zur Förderung des Projektes eines Nationalparks“ angehören.

Im Landtagsbeschluss wurde die Staatsregierung ferner aufgefordert, den Nationalpark entsprechend den Vorschlägen des „Gutachtens zum Plan eines Nationalparks“ von Wolfgang Haber zu errichten. Darin war im Gebiet zwischen Rachel und Lusen die Anlage von mindestens fünf Großwild-Schaugehegen für Rothirsche, Wildschweine, Bären, Wisente und Elche vorgesehen. Als Standorte wurden Neuhütte, Guglöd, Altschönau, Weidhütte und Glashütte vorgeschlagen. Die Gehege sollten nicht zu groß sein, damit Touristen die Tiere beobachten könnten. Außerdem steht im Gutachten, dass als frei lebendes Großwild neben Rotwild und Rehwild auch Gämsen und Mufflons im Park angesiedelt werden sollten. Damit sie dort gut leben könnten, sollten neue Wildwiesen angelegt und in geeigneten Tallagen Weichholzbestände gefördert werden.

In der Anlage zum Landtagsbeschluss wurde bestimmt, dass der Wald weiterhin naturgemäß gepflegt und die Holznutzung fortgesetzt werden sollte. Diese hätte sich aber den Erfordernissen des Parks unterzuordnen, etwa durch Erhöhung der Umtriebszeit. Die Erschließung des Gebietes durch Fahr- und Wanderwege sollte ebenfalls fortgesetzt und durch Reitwege ergänzt werden. Eine kleine Anzahl von Fahrwegen sollte für den Kraftfahrzeugverkehr freigegeben und an geeigneten Stellen weitere Parkplätze angelegt werden. Durch mindestens fünf Wald- und Wildlehrpfade sollten der Wald und die Tier- und Pflanzenwelt des Bayerischen Waldes dem Besucher näher gebracht werden. Dafür könnten auch die vorhandenen Naturschutzgebiete herangezogen werden.

Die Rechtsverordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Errichtung des Nationalparks Bayerischer Wald trat am 1. August 1969 in Kraft. Es wurde festgelegt, dass das zu errichtende Nationalparkamt diesem Ministerium unmittelbar nachgeordnet werden und sein Sitz in Spiegelau sein sollte. In der Verordnung wurden dem Nationalparkamt folgende Aufgaben übertragen: Planung der Einrichtungen des Nationalparks Bayerischer Wald und ihre Koordinierung mit den Planungen und dem Betrieb der fünf örtlich zuständigen Forstämter. Die an der Nationalparkfläche beteiligten Staatsforstämter behielten die volle Zuständigkeit für die Forstwirtschaft und die Waldbehandlung. Durch die Rechtsverordnung wurde auch der „Nationalparkbeirat“ gegründet, dem insgesamt 22 Mitglieder angehörten.

Am 2. Oktober 1969 fand die erste Sitzung des „Nationalparkbeirates“ unter Vorsitz von Minister Eisenmann statt. Übereinstimmend wurde festgelegt, dass das Nationalparkgebiet 10.160 Hektar umfassen sollte. Südgrenze war die heutige Nationalparkstraße zwischen Spiegelau und Mauth. Auf Antrag des „Nationalparkzweckverbandes“ wurde dann die Nationalparkgrenze bereits 1970 über die Straße hinaus an die Staatswaldgrenze nach Süden verlegt und der Kleine Rachel einbezogen. Damit wurde das Gebiet auf 13.000 Hektar erweitert.

Ein Naturpark erhält den Namen Nationalpark

Abschließend muss allerdings noch einmal zusammenfassend daran erinnert werden, dass Wolfgang Haber in seinem Gutachten, welches er im Auftrag des „Deutschen Rates für Landespflege“ erarbeitete und das die fachliche Grundlage für den Landtagsbeschluss war, forderte, dass eine bestmögliche touristische Nutzung des Gebietes erzielt werden sollte. Sowohl größere Besucherströme als auch einzelne Ruhesuchende und wildbeobachtende Wanderer sollten auf ihre Kosten kommen und dem Gebiet eine dauerhafte Beliebtheit sichern. Wörtlich heißt es im Gutachten: „Sobald ein Naturschutzgebiet dem Fremdenverkehr erschlossen werden soll, sei es als Nationalpark oder unter anderem Namen, ist ein Vollnaturschutz weder durchführbar noch sinnvoll.“

Nach Habers damaliger Überzeugung wünschte sich der erholungssuchende Tourist und Naturfreund eine naturgemäße und abwechslungsreich erschlossene Landschaft. Diese aber, so der Gutachter, könne nur unter Verzicht auf strengen Naturschutz erreicht werden. Deshalb plädierte Haber dafür, im Bayerischen Wald nicht einen Nationalpark, sondern einen Naturpark zu gründen – nach dem Muster der 30 in Deutschland bereits vorhandenen Naturparke. Sein Gutachten endet mit der Feststellung: „Sorgfältige forstliche Waldpflege und auch naturgemäße Holznutzung – nach den bewährten Grundsätzen der naturnahen Waldwirtschaft in den Staatsforsten des Bayerischen Waldes – müssen auch aus landschaftspflegerischen Erwägungen gewährleistet bleiben“. Ergänzend heißt es, dass „Vollnaturschutz und Fremdenverkehr nur dort einigermaßen vereinbar sind, wo eine kleinräumige landschaftliche Vielfalt eine hohe natürliche Selbstregulierungskraft bewirkt. In allen anderen Fällen muss die Natur durch überlegte Pflege und Gestaltung dem touristischen Gebrauch angepasst werden. Das aber ist das wesentliche Prinzip der Naturparke, dem auch der im Bayerischen Wald geplante Park einzuordnen wäre und seine Bezeichnung als Nationalpark mehr zu einer Vokabelfrage macht.“

2 |WIR TUN DREI JAHRE SO ALS OB…
DER AUFBAU DES NATIONALPARKS BEGINNT

Auf Vorschlag von Minister Eisenmann wurde ich am 2. Oktober 1969 in der ersten Sitzung des vom Landtag errichteten Nationalparkbeirates zum Leiter des Nationalparkamtes Spiegelau berufen. Mein Schulfreund Dr. Georg Sperber wurde von der Ministerialforstabteilung zu meinem Stellvertreter ernannt. Unser Dienst in Spiegelau begann am 2. November 1969. Trotz des einstimmigen Landtagsbeschlusses, einen Nationalpark einzurichten, gab die Ministerialforstabteilung in München den Widerstand gegen das Projekt nicht auf. Weder Georg Sperber noch ich hatten auch nur die geringste Ahnung, was da auf uns zukommen würde. Als wir am 5. November 1969 in Spiegelau von Regierungsdirektor Kilian Baumgart aus München in den Dienst eingeführt wurden, verabschiedete er sich mit den Worten: „Herr Dr. Bibelriether, da tun wir jetzt mal drei Jahre so als ob, dann erledigt sich das von selber.“ Ich hatte nur eine sehr beschränkte Vorstellung davon, was ein Nationalpark war, geschweige denn, wie ein solcher aufzubauen sei. Meine Bewerbung um den Posten hatte vor allem den Grund, endlich aus München weg zu kommen. Raus aufs Land, raus in die Natur – das war mein Wunsch! In meiner Jugend hatte sich dieser Wunsch entwickelt.

 

Große Freiheit mit zwölf Jahren

Bei Kriegsende 1945 war ich zwölf Jahre alt und brauchte ein Jahr lang nicht zur Schule zu gehen! Fernsehen oder Computerspiele gab es damals noch nicht, nur endlose Wälder, Wiesen und Feldfluren um mein Elternhaus in Ezelheim in Mittelfranken. Es war Frühling. Mein Bruder Martin und ich kundschafteten Vogelnester aus – etwa von Habicht und Krähe, Rotkehlchen und Rebhuhn. Am Ende der Brutzeit besaßen wir eine stattliche Eiersammlung von über 50 Vogelarten. Unvergessen sind mir unsere riskanten Klettertouren in die Gipfel alter Eichen, wo Mäusebussard und Gabelweihe, der Rote Milan, brüteten.

Als Jäger aus der Gefangenschaft heimkehrten, mussten sie ihre Gewehre abliefern und es gab jahrelang keine Jagd. So wurden Rehe und Wildschweine fast zahm. Ich sehe sie noch vor mir, am helllichten Nachmittag: Rotten feister Schweine, denen wir im Wald nachgespürt hatten. Zehn Meter vor uns erhoben sie sich grunzend von ihren Lagern auf und suchten eher beleidigt als ängstlich das Weite. Tagtäglich waren wir unterwegs. Nur das Unkrauthacken in den Kartoffel- und Rübenfeldern, das Zusammenrechen von Gras und Heu oder im Herbst die Kartoffel- und Rübenernte hielten uns von unseren Entdeckungstouren ab. Beim Kühe hüten dagegen blieb genug Zeit, den Forellen, Weißfischen und Krebsen im Bach nachzustellen.

Im Frühjahr 1946 war es dann zwar mit der großen Freiheit zu Ende. Wir mussten zurück auf die Schulbank. Aber die kleine Freiheit blieb. Die Rückfahrt mit dem Fahrrad aus der zwölf Kilometer entfernten Oberschule in Scheinfeld zog sich manchmal bis vier Uhr nachmittags hin. Schließlich wollten wir wissen, ob die jungen Waldohreulen schon ausgeflogen, die Walderdbeeren schon reif waren oder die Bekassinen noch in den Sumpfwiesen hockten. In mir wuchs in dieser Zeit nicht nur die Liebe zur Natur, sondern ganz besonders zum Wald. Das war auch der Grund, weshalb ich Forstwirtschaft studierte und Förster werden wollte. Dieses enge Band, das mich seit meiner Jugendzeit mit der Natur verbindet, hält bis heute. Und ich bin mir sicher: Das eine schulfreie Jahr hat mich mehr geprägt als zwölf Jahre Schule!

Stark durch Gemeinsamkeit

Schon bald nach unserem Dienstantritt im Nationalparkamt gab es erste Konflikte zwischen Georg Sperber und mir mit der Ministerialforstabteilung, weil wir den Aufbau des Nationalparks wirklich voranbringen wollten. Sie häuften sich und Ministerialdirektor Hermann Haagen stellte schon nach einem Jahr fest, es sei seine größte personalpolitische Fehlentscheidung gewesen, Georg Sperber und mich gemeinsam nach Spiegelau zu versetzen. Deshalb hat man auch versucht, Georg Sperber im September 1970 zur Bewerbung als Amtsvorstand an das freigewordene Forstamt Nürnberg-Süd zu überreden. Im Rückblick ist mir klar geworden: Einer allein hätte diese Anfangszeit nicht durchgestanden.

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Georg Sperber und ich uns beide um den Posten des Nationalparkleiters bemüht hatten? Mit Georg Sperber saß ich 1943 bis 1945 zusammen auf einer Schulbank in der Oberrealschule in Neustadt an der Aisch und als ich 1953 in München das Forststudium begann, traf ich ihn am ersten Tag im Hof der Forstabteilung der Universität in der Amalienstraße wieder. Unsere Schulfreundschaft wuchs in eine enge persönliche Beziehung. Im Studentenheim teilten wir uns eine Bude. Auf einer Exkursion im Herbst 1956 mit Waldbauprofessor Josef Köstler hörten wir im Bus hinter ihm sitzend, wie unser Studienkollege Karl Kreuzer mit Professor Köstler sprach, um bei ihm zu promovieren. Georg Sperber sagte am Abend zu mir, dass wir doch eigentlich auch promovieren könnten. Allerdings waren wir uns einig: Nur dann, wenn wir gemeinsam irgendwo die Außenarbeiten erledigen könnten. Wir trugen unser Anliegen Professor Köstler vor. Einige Wochen später sagte er uns, dass wir über die Lärche und die Weymouthskiefer im Spessart promovieren könnten. So begannen wir 1957 mit den Außenaufnahmen in Heigenbrücken im Spessart. Wir kauften uns gemeinsam einen gebrauchten VW-Käfer, arbeiteten einige Monate an Waldbestandsanalysen und Bodenuntersuchungen und promovierten beide im Jahr 1960 an der Universität in München.

Georg Sperber begann die dreijährige Referendarzeit erst 1958. Er kartierte, um Geld zu verdienen, nach seinem Studienabschluss einige Monate lang Waldstandorte im Forstbetrieb Öttingen/Spielberg. Dadurch machte er ein Jahr später als ich das Staatsexamen und lernte in dieser Zeit Hubert Weinzierl kennen. Sie freundeten sich an, da mein Freund Sperber – auch er hatte ein Jahr lang nicht in die Schule gehen müssen – bereits seit seiner Kinderzeit sehr an der Natur, vor allem der Vogelwelt interessiert war und mit Hubert Weinzierl diese Leidenschaft teilte.

Als im Juni 1969 der Landtag beschloss, den Nationalpark einzurichten und ein Nationalparkamt in Spiegelau zu schaffen, wurde er der Wunschkandidat von Hubert Weinzierl für die Amtsleitung. Ich selbst war damals noch in München im Dienst und traf in der Kantine des Landwirtschaftsministeriums Regierungsdirektor Kilian Baumgart beim Mittagessen. Ich sagte ihm: „Wenn sie jemand suchen, der in den Bayerischen Wald nach Spiegelau ginge, ich wäre daran interessiert.“ So wurde ich zum Kandidaten der Forstverwaltung. Dann trafen Georg Sperber und ich uns im August 1969 bei der Bayerischen Forstvereinstagung in Augsburg und beschlossen zu versuchen, diese Aufgabe wiederum gemeinsam zu übernehmen. Wir fuhren am Abend zu Hubert Weinzierl nach Ingolstadt – ich traf ihn da zum ersten Mal – und er war einverstanden, dass wir beide nach Spiegelau versetzt werden sollten.

Am nächsten Tag suchten wir während der Forstvereinstagung ein Gespräch mit Ministerialdirektor Hermann Haagen und schlugen ihm vor, dass nicht nur einer, sondern zwei Förster nach Spiegelau versetzt werden sollten. Denn wenn einer krank wäre, wäre das Amt führungslos. Er meinte, dass er dies auch für sinnvoll hielte. Wir sagten ihm, es wäre uns gleich, wer Leiter und wer Stellvertreter werden würde. So kam es, dass wir gemeinsam die schwierige Aufgabe, einen Nationalpark einzurichten, der keiner werden sollte, übernehmen konnten.

Dienstanfang in Spiegelau

Nach dem Dienstantritt am 2. November 1969 in Spiegelau stand uns wochenlang nur ein Raum mit einem Schreibtisch und einem zusätzlichen Couchtisch im Forstamtsgebäude zur Verfügung. Mit nach Spiegelau versetzt wurde der Revierförsteranwärter Hartmut Strunz. Er war ein Mitstreiter der ersten Stunde. Unser Arbeitsbeginn am Morgen führte uns öfters zum Schreibwarenladen schräg gegenüber, wo wir uns Bleistifte, Radiergummi und Papier besorgten, damit wir wenigstens handschriftliche Notizen über unsere Arbeit anfertigen konnten. Die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit änderten sich erst nach Wochen schrittweise.


Spatenstich zum Bau der ersten Vogelvoliere in Spiegelau im April 1970. (v.l.n.r.:) Michael Haug, Georg Sperber, Georg Schmutzer und Hartmut Strunz.

(Foto: Hans Bibelriether)

Als erstes ging es darum, einen Überblick über das Nationalparkgebiet zu bekommen. Dr. Wolfram Elling, bei der Oberforstdirektion Regensburg Standortserkunder und interessiert am Zustandekommen des Nationalparks, begleitete uns noch Anfang November an die Schwarzbachklause und zum Steinfleckberg im Staatsforstamt Mauth-Ost. Dort bekamen wir einen ersten Eindruck vom Zustand der Natur im Nationalpark. Eine Wiese dort oben, der Kirchlinger Stand, war auf Nationalparkkosten teilweise bis zu einem Zentimeter hoch mit Kunstdünger bedeckt. Fünfzig Ballen Floratorf lagen ebenfalls dort. Man wollte sie in 1.150 Metern Höhe ausbringen, um den Graswuchs als Nahrung für das Rotwild zu fördern. Am Fuße des Steinfleckbergs war eine Forststraße neu gebaut worden, um mächtige Fichten und Tannen in einem ursprünglichen Waldteil, einem Naturschutzgebiet, einzuschlagen. Als wir den Chef des Forstamtes Mauth-Ost aufforderten, dort keine Bäume fällen zu lassen, gab es den ersten Ärger und die ersten Kompetenzstreitigkeiten. Es stellte sich heraus, dass von den 400.000 D-Mark, die nach dem Landtagsbeschluss noch im Jahr 1969 für den Nationalpark zur Verfügung gestellt worden waren, die Forstämter über die Hälfte bereits für Forstwege- und Straßenbauten ausgegeben hatten.

Sehr positiv verlief ein erstes Gespräch mit dem SPD-Landrat Karl Bayer und Hubert Weinzierl am 29. November 1969 im Hinblick auf die ersten Vorstellungen, die wir inzwischen über den Nationalpark entwickelt hatten. Vor allem ging es uns darum, in den alten, ursprünglichen Waldbeständen keine Bäume mehr fällen, keine neuen Forststraßen mehr bauen und keine seltenen Wildtiere wie Auerhähne oder Haselhühner mehr abschießen zu lassen. Beide zeigten sich damit weitgehend einverstanden und im Laufe der nächsten Monate wurde die Zusammenarbeit immer enger.

Das Verhältnis zur Oberforstdirektion Regensburg, der die fünf im Nationalpark liegenden Forstämter unterstanden, wurde schon im Frühjahr 1970 immer schwieriger. Der Regensburger Forstpräsident Richard Tretzel, der uns beim ersten Zusammentreffen im November 1969 noch gesagt hatte: „Sie werden sehen, mit dem Weinzierl haben`s noch in fünf Jahren ihr`n Ärger“, stellte nun fest: „Jetzt muss ich die Inspektion in den Nationalpark-Forstämtern selbst übernehmen, damit ich sie vor dem Nationalparkamt schützen kann.“

Ein klarer Auftrag an uns war, bis zur Eröffnung des Nationalparks im Herbst 1970 mehrere Gehege zu bauen. Im April 1970 war ich eigens zwei Tage an drei verschiedenen Orten in Österreich unterwegs, um neu errichtete Wildgehege anzusehen. Damals war es gerade Mode geworden, Tiergehege nicht nur in zoologischen Gärten, sondern draußen in der Landschaft anzulegen. Vorschläge für deren Standorte waren im „Haber-Gutachten“ enthalten. Wir entschlossen uns aber, die Gehege nicht in der unmittelbaren Nähe der einzelnen Dörfer, sondern nahe beieinander in einer „Gehegezone“ in einem sehr abwechslungsreichen Waldgebiet bei Neuschönau aufzubauen.

Ein neues Konfliktfeld öffnete sich, als wir erfuhren, dass die sogenannten „Schönbrunner Häuser“ der Forstverwaltung in sehr schöner Lage unmittelbar am Nationalparkrand verkauft werden sollten. Es gelang mit Unterstützung des damaligen Landtagspräsidenten Rudolf Hanauer, dies zu verhindern, und wir schlugen vor, dort ein Waldjugendheim einzurichten – das erste in Bayern. Später werde ich noch ausführlicher darüber berichten.

In einem Gespräch im Januar 1970 hatte uns Minister Eisenmann „grünes Licht“ gegeben, dass bis zur geplanten Eröffnung im Herbst 1970 neben dem Rothirschgehege auch ein Wisent- und ein Luchsgehege eingerichtet werden sollten. Zum Ärger der Ministerialforstabteilung und der Oberforstdirektion stimmte Minister Eisenmann bereits auch grundsätzlich unserem Vorschlag zu, dass das Nationalparkamt die Zuständigkeit für die Tierbestandsregulierung erhält, d. h. für die Regulierung von Rot- und Rehwild. Wir erfuhren, dass im Nationalparkgebiet 25 Rotwildfütterungen existierten. Örtliche Förster und der Rotwildring erhofften sich eine Bestandszunahme auf sechs bis acht Stück pro 100 Hektar, insgesamt 800 bis 900 Stück im Nationalpark. Die dort herangezüchteten starken Hirsche wollte man am Nationalparkrand erlegen.

Die erste Waldinventur 1970 im Nationalpark ergab, dass auf 3.000 Hektar Schälschäden durch Rotwild vorhanden waren. Fast 700 Hektar jüngere Waldbestände waren so massiv geschädigt, dass sie zusammenzubrechen drohten. Bei einer Pressekonferenz in München zur Eröffnung des Europäischen Naturschutzjahres am 16. Februar 1970 kam die Frage auf: „Wird im Nationalpark noch gejagt?“ Minister Eisenmann ermächtigte uns zu erklären: „Im Nationalpark wird im herkömmlichen Sinn nicht mehr gejagt. Lediglich eine Wildstandsregulierung bei Wildarten ohne natürliche Feinde ist notwendig.“ (Über dieses Thema mehr im nächsten Kapitel.)

 

In einer Dienstbesprechung im Februar 1970 mit der Oberforstdirektion und der Ministerialforstabteilung vor Ort forderten wir, dass die Restbestände alter Fichten-Tannen-Buchen-Bergmischwälder von der Nutzung freigestellt werden müssten, um diese ursprünglichen Waldteile zu erhalten. Es waren nur noch wenige hundert Hektar in den fünf Forstämtern vorhanden. Eine Zustimmung konnte zunächst nicht erreicht werden. Es gelang dies aber im Laufe des Jahres mit Unterstützung von Minister Eisenmann und auch den Landräten in den Landkreisen Wolfstein und Grafenau.