Das Logbuch der Silberkugel

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Aus der Reihe: HOPF Autorenkollektion #3
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Circas, der kleine nervöse Biologe mit den stechenden Augen, hing über seinem Laboratoriumstisch und sah durch das breite Beobachtungsfenster auf die vorbeihuschende Welt unter ihnen. Die tiefe Stimme des mächtigen, stets traurigen Chefmaschinisten Naccam dröhnte durch den kleinen Raum. Er stand neben Kyllos, der das Forschungsschiff steuerte. Er hielt in seiner Hand einen Schraubenschlüssel und ließ ihn schließlich achtlos fallen.

»Diese kleinen Städte, die Berge und die weiten Meere ‒ sie scheinen an der Schwelle der technischen Entwicklungen zu stehen. Ein Vergleich zwischen Sargayn und ihnen fällt zu unseren Gunsten aus.«

Valtin, der Geologe mit den abgefeilten Fangzähnen, widersprach ihm, während sich Fähnrich Sardon damit begnügte, den Gesprächen seiner Vorbilder zu lauschen.

»Nicht jede Entwicklung ist gleich deshalb schlecht oder primitiv, wenn sie nicht hoch technisiert wird. Wahrscheinlich sind sie etwas romantischer und mit der Natur verhaftet. Es ist kein Qualitätsbeweis, schnelle Raumschiffe bauen zu können. Ihre Stärke liegt vermutlich auf anderen Gebieten.«

Kapitän Kyllos sagte nichts, aber auf seinem Gesicht lag die überhebliche Verachtung Sargayns für alles, das nicht die Macht der Technik und die vollständige Beherrschung dieses Mediums anerkannte. Auch Hengor, dessen Gebiet die Reparatur sämtlicher Maschinen und der feinsten Kontrollgeräte war, zeigte Mitleid mit den Wesen dort unter ihnen.

Sie wurden abgelenkt von einem schimmernden Insekt, das mit weißen Rauchfahnen aus seinem Heck auf zwei schrägen Flügeln unter ihnen vorbeizog und merklich an Höhe verlor.

»Hinterher! Sie begreifen noch nicht, wie man einen Apparat auf der Stelle anhalten kann. Die Maschine wird auf einem der weißen Plätze landen, die wir gesehen haben. Dort sind wir an der richtigen Stelle. Außerdem werden sie es schätzen, wenn wir uns sofort nach ihren Sitten orientieren.«

Das Schiff schnellte nach vorn. Sie mussten sich festklammern, um nicht durch die Beschleunigung von den Beinen gerissen zu werden. Sengard lief in die Kammer, in der die einzige Bewaffnung des Schiffes, eine mannsgroße Strahlenschleuder mit weißen Stabprojektoren, untergebracht war. Falls das Schiff angegriffen werden sollte, würde er ihnen die Macht des Geschützes zeigen. Er setzte sich auf den Platz des Richtschützen. Vor der funkelnden Schale glitt geräuschlos eine Stahlplatte zur Seite.

Das Flugzeug flog gradlinig weiter und landete auf drei Räderpaaren. Das Schiff, das sich hinter den Apparat gesetzt hatte, bog vor der weißen Front eines Gebäudes ab und hielt in der Luft an, hundert Meter von der Rampe entfernt.

Dann, wie eine Feder, senkte es sich geräuschlos auf seinem Bremsstrahl hinunter und setzte ebenso weich auf. Sie waren auf dem Planeten gelandet.

Jetzt war es an Sherto, dem Sprachwissenschaftler, eine Verständigungsbasis herbeizuführen. Sengard würde über ihnen auf jede verdächtige Bewegung achten und eingreifen, wenn es nötig wurde. Einige Gruppen kleiner Wesen kamen an die Rampe, glitten in kleinen Wagen von ihr herunter und kamen auf das Flugfeld hinaus. Sie sahen verschieden aus und trugen bunte, knappe Gewänder. Die Kleidung der acht Forscher war ein einheitliches Blau, das schon durch den Besuch einiger Dutzend fremder Planeten sehr gelitten hatte und an einigen Stellen hässliche Flecken aufwies. Die fremden Wesen aber waren jung und unverbraucht, sie freuten sich des Lebens und zeigten es mit jeder Bewegung.

Einige von ihnen hatten das Aussehen schlankbeiniger Spinnen auf mehreren Beinen, andere waren Weiterentwicklungen von aufrecht gehenden Lurchen oder saurierartigen Geschöpfen, andere gingen auf zwei Beinen, wie die Sargayns, waren aber ungeschützt und ohne natürliche Waffen wie Hornkrallen oder Fangzähne. Sie umstanden bald in einem dünnen Kreis das stille Schiff und schienen darauf zu warten, dass sich Luken öffneten und die Insassen sich zeigten.

Kyllos knurrte verächtlich: »Machen wir den Anfang. Sie scheinen neugierig zu sein, wer ihnen hier einen Besuch abstattet. Bitte merkt euch: Mit diesen Primitiven verhandelt man am besten gutartig und schmeichelnd. Wenn sie erst unsere Freunde sind, fällt alles leichter.«

Er war aufgestanden und hatte sich seine Elektronenwaffe umgeschnallt. Die anderen sechs der Gruppe taten es ihm nach. Einer drückte den Hebel der inneren Schleusentür nieder. Unter der äußeren Platte schob sich eine schräge Laufplanke zum Boden und hielt in ihrer Bewegung an, als sie auf die hellen Platten des Belages stieß.

Sieben Mann der Truppe verließen das Schiff, und hinter ihnen glitt die gepanzerte Stahlwand des Außenschotts wieder zu. Sie standen auf der Plattform und sahen sich die acht verschiedenen Wesen an, die sich ihnen genau gegenüber befanden. Endlich schaltete Sherto die kleine Maschine ein, die in der Lage war, unbekannte Sprachen blitzschnell zu entschlüsseln und wiederzugeben. Es war das erste Mal, dass sie während dieser Fahrt in Betrieb genommen wurde. Eines der zweibeinigen Wesen trat vor und sagte langsam einige Worte, die das Gerät übersetzte. Hinter ihnen ließ eine Flugmaschine jaulend ihre Motoren an, und Sardon wandte sich um.

Der Planetarier fragte: »Ihr kommt von den Sternen. Wer hat euch die Koordinaten unseres Planeten gegeben? Wir kennen unsere Freunde, aber ihr seid noch nicht darunter. Was wünscht ihr?«

Sherto lächelte und erwiderte: »Wir entdeckten euren Planeten dadurch, dass ein Meteor ‒ ihr kennt diesen Effekt wahrscheinlich nur von weißen Lichterscheinungen am Nachthimmel her ‒ unsere Steuerzentrale traf und die Daten für einen kosmischen Sprung durcheinanderwirbelte. Ihr wurdet von uns durch einen Zufall entdeckt, gehört haben wir noch nie von eurem Planeten.«

Kyllos nahm langsam seine Hand von dem Kolben der Waffe. Die spitzen, nadelscharfen Klauen ritzten den rauen Stoff seiner Hose.

»Das, was ihr hier seht, ist der Planet der Universitäten. Die Stärke der Wesen, denen er die Heimat ist, besteht im Wissen und in der Klugheit, in der Gabe, ihr Wissen in zwanzig verschiedenen Sprachen und vierzig Dialekten allen anderen zu vermitteln, die es wünschen. Die Gastfreundschaft ist unser Gesetz. Dürfen wir euch einladen, unsere Welt zu besichtigen? Wenn ihr einen Rat sucht, dann fragt nur! Es gibt kaum etwas, was wir nicht wissen oder über das wir nicht innerhalb kürzester Zeit etwas erfahren können. Seid herzlich willkommen«, sagte der andere.

»Wir danken euch für eure Güte, aber wir haben wenig Zeit. Wir könnten zwei Mann unserer Gruppe hier lassen, ihr könnt sie in allem unterrichten, was sie nicht wissen. Von uns könnt ihr das erfahren, was euch noch dazu fehlt: die Technik zu beherrschen; das ist es, was wir können, besser als jede andere Rasse. Aber wir bleiben eine Weile hier und werden die angebotene Gastfreundschaft nicht ausschlagen. Danke.«

Sherto lauschte auf die Worte der Übersetzung und hoffte, er habe vertrauensvoll gesprochen. Er schaltete das Gerät aus und wechselte in schnellem Sargayn einige hastige Worte mit seinen Freunden. Sie schlossen sich rasch seiner Meinung an und verließen endgültig die Laufplanke, um sich unter die Anwesenden zu mischen. Sie schüttelten den Wesen, die ihnen ähnlich waren und die nötigen Arme dazu besaßen, die Hand.

»Ihr könnt hier bleiben. Wir haben für unsere Gäste spezielle Unterkünfte geschaffen, damit sie sich wohlfühlen. Wir zeigen euch unseren Planeten und die Universitäten, in denen unsere Schüler lernen. Wie viel Zeit habt ihr?«

»Wie lange braucht euer Planet, um sich einmal zu drehen? Ich meine, wie viele Stunden dauert euer Tag?«, fragte Sherto.

»Ihr seid eine Stunde lang hier. Etwa ein Viertelhundert dieser Abschnitte sind ein vollständiger Tag und eine Nacht. Wir können euch viel zeigen und sagen.«

»Dann bleiben wir fünfzig Tage lang und lassen euch diese beiden Leute hier, um sie an eurem Wissen teilnehmen zu lassen. Dann fliegen wir zurück in unsere Heimat und holen diese beiden nach zwei Sonnenumläufen wieder ab. Was dürfen wir euch an Gegenwerten anbieten?«

»Ihr habt den Hyperraumantrieb?«

»Seit hundert Jahren fliegen wir mit ihm.«

»Wir verlangen ihn nicht, aber wenn ihr ihn uns geben könntet, dann würden wir uns sehr darüber freuen. Er ist ein wertvolles Geschenk für uns.«

»Wir werden unseren Autarchen fragen; von seinem Willen hängt es ab. Aber ich sehe keinen Grund, warum ihr nicht die Geheimnisse des Überlichtfluges kennenlernen sollt.«

»Wie heißen diese beiden Schüler?«

»Hier ist Fähnrich Shardon, dessen Spezialgebiet die Technik der Raumschiffe ist, und das ist Velton, der Geologe. Sie werden, so hoffe ich, unserem Volk keine Schande bereiten. Sie sind noch verhältnismäßig jung und wissensdurstig, sie lassen sich gut führen und lernen sicher gut. Was wollt ihr sie lehren?«

Kyllos entblößte die Fangzähne. »Alles, was sie brauchen und alles, wonach sie uns fragen.«

»Das ist gut. Sie werden lernen.«

Kyllos gab den beiden einen Wink. Die Astronauten wurden freudig von den anderen Studenten begrüßt und in ihrer Mitte aufgenommen. Immer noch wachte Sengard hinter seiner Strahlenschleuder über die Sicherheit seiner Freunde. Aber hier drohte keine Gefahr. Sie schlossen das Schiff und ließen sich zu den Unterkünften bringen.

Das Hotel lag am Rande der Stadt, inmitten reicher Grünflächen, die von dem Murmeln eines kleinen Baches erfüllt waren. Es schien später Mittag gewesen zu sein, als sie landeten, denn nachdem sie sich gewaschen und umgezogen hatten ‒ die freundlichen Gastgeber hatten ihnen passende Bekleidung gebracht ‒ wurde es Nacht. Die Sonne verschwand langsam hinter dem Horizont, und kein Sonnenuntergang auf Sargayn war seit hundert Jahren prächtiger gewesen.

 

Die acht Mann bekamen einen großen Tisch inmitten eines Speisesaals und konnten ihre Gastgeber und deren Gäste genügend lange und intensiv betrachten. Die Gäste waren die seltsamsten Wesen, die das Leben auf anderen Planeten, verteilt über die gesamte Galaxis, hervorgebracht hatte. Sie erschienen in allen Formen, die sich die Fantasie der Sargayns nicht hätte ausmalen können. Sie schillerten in allen Farben, von einem opalisierenden Grün bis hinunter zu Tiefblau. Der Saal war riesig, die Speisen schmeckten ihnen, was immer sie wünschten. Die Übersetzungsmaschine sprudelte Fontänen fremder und eigener Laute hervor, die sehr gut verstanden wurden. Die Vielfalt der technischen Entwicklung auf Sargayn hatte wieder ein Wunderwerk geschaffen.

Dann wurden ihnen Zimmer angewiesen, und sie setzten sich an das weit offene Fenster. Sie beratschlagten, was sie als Nächstes unternehmen mussten, um zu den gewünschten Resultaten zu kommen. Sardon brach zuerst in die teilweise übersteigerten Vorstellungen der Älteren ein und entwarf einen Plan, der später auf Sargayn als der Große Plan die Herzen eines jeden Bewohners entzünden würde. Er empfahl seinen Freunden, mit einer kleinen Gruppe der Gastgeber in deren Maschinen über den gesamten Planeten zu fliegen und mit den Mikroempfängern jeden Eindruck festzuhalten, der ihnen wichtig erschien. Dann sollten sie sich herzlich bedanken und wieder abfliegen. Einige spezielle Wünsche äußerte Sardon, und alle hörten ihm gebannt zu. Er entwarf einen gigantischen Plan, der sie innerhalb von zehn Jahren zu einem Angriff auf diesen Planeten befähigen würde. Fabriken mussten in der Zwischenzeit auf Sargayn entstehen und Ingenieure sollten die Forschungen für den Bau bewaffneter Raumschiffe vorantreiben.

Er und Velton aber nutzten dann die Zeit ihres Studiums, um den Rest der notwendigen Punkte zu klären. Sie würden spionieren und mit groß angelegten Untersuchungen zurückkommen ‒ sie kannten dann jede Schwäche dieses Planeten genau.

So, wie Sardon es vorgeschlagen hatte, wurde es auch gemacht. Die aufmerksamen Augen von sechs Sargayns, geschult durch jahrelange kosmische Irrfahrten, überblickten das gesamte Gebiet der Welt, die man ihnen offenbarte. Die Schönheiten und die Reichtümer des Universitätsplaneten fielen ihnen ebenso auf wie das Fehlen von Raumflotten.

Die Zwischenstationen lagen in den Händen von fremden Kaufleuten, und nur die Gäste, die Schüler der klugen Bewohner, waren in eigenen Schiffen gekommen. Sie sahen die eisbedeckten Polkappen, die bewässerten Wüsten, in denen Oasen langsam aneinanderwuchsen, und die tropischen Urwälder voller rätselhafter Tiere.

Sie glitten in stromlinienförmigen Booten unter die Oberfläche der Meere und sahen die Fische und die anderen Wasserwesen. Dann hatten sie alles gesehen, bedankten sich überschwänglich und verabschiedeten sich. Vom Rande des Flugfeldes sahen ihnen Velton und Sardon zu, wie sie in der Weite des blauen Himmels verschwanden. Das Schiff war fort und hatte sie für zwei lange Jahre zurückgelassen.

*

Sie verloren keine Zeit und machten sich mit der Zielstrebigkeit und der Klugheit von Forschern an die Arbeit. Sie nahmen mit, was sich ihnen bot ‒ und dieser Planet war reich an allem. Sie schlichen durch die Raumschiffe der fremden Gäste und kopierten deren Inneneinrichtung, wo sie der eigenen überlegen waren. Sie stahlen die Reparaturpläne der mächtigen Motoren, die den fremden Schiffen geholfen hatten, die Lichtjahre bis zu dieser Welt zu überbrücken.

Die Sprachen der Gäste und der Gastgeber lernten sie innerhalb eines halben Jahres. Sie lernten vergleichen und beobachten. Nach einem Jahr war ihnen die Oberfläche des Planeten vertrauter als manchem, der schon länger hier war als sie. Der Eifer des jüngeren Sardon riss den gesetzteren Velton mit. Er arbeitete schnell und zuverlässig. Aber sie konnten sich keinen Fehler erlauben. Es gelang ihnen, sich als die staunenden und vor der Klugheit der Lehrer beugenden Fremdlinge zu behaupten.

Nach zwei Jahren hatten sie erfahren, was in ihrer Macht lag. Es gab nichts mehr, was sie noch zu finden hatten. Ihnen wurden während dieser Zeit die Archive der Büchereien geöffnet, die Sammlungen und Lexika. Sie sahen Filme, in denen sie mit den verschiedensten Wissenschaften bekannt gemacht wurden. Sie flossen fast über von Wissen.

*

Aber etwas hatten sie übersehen.

Sie, die in einigen Jahren für den Universitätsplaneten eine unbedingt tödliche Gefahr darstellen würden, beachteten nicht, dass es außer den Sprachen und der optischen Verständigung noch andere Methoden gab, mit denen sich denkende Wesen miteinander verständigen konnten. Hätten sie es geahnt, es hätte nichts geholfen, dass einige der Gastrassen miteinander durch Telepathie korrespondierten und darum keine Sprache benötigten. Sie konnten einen Gedanken fassen, und der Nachbar ‒ oder wer immer mithörte ‒ verstand ihn wortlos. Auch die Gedanken der beiden Sargayns lagen offen vor diesen Telepathen. Und daher kam es, dass ihre Pläne nicht unbemerkt blieben.

Aber keiner, weder die Gastgeber noch andere Studenten, reagierten darauf. Sie ließen Velton und Sardon arbeiten, und sie ließen sie auch wieder mit dem Schiff abfliegen, das sich pünktlich einstellte. Die Mannschaft brachte umfangreiche Pläne mit, nach denen die Lehrer mühelos einen Interstellarantrieb bauen konnten. Aber sie würden ihn nie zum Funktionieren bringen, denn die Ingenieure auf Sargayn hatten kleine Fallen eingebaut, die nie gefunden werden konnten.

Die Gastgeber dankten höflich und ließen ihre Gäste ziehen. Das Schiff startete und verließ den blauen Planeten, um zurückzufliegen nach der sterbenden Welt, auf der schon die Flotte auf Kiel gelegt worden war. Sardon staunte, als er die erste Phase seines Planes bemerkte. Der Planet rüstete in einem beängstigenden Maße auf.

*

Dann nahm alles seinen Lauf. Sie bauten Schiffe, die das Letzte an Fortschritt, Bewaffnung und Schnelligkeit darstellten. Sie arbeiteten Tag und Nacht. Drei Jahre später hatten die Menschen des Planeten Sargayn Sardon zum Autarchen gewählt. Sein Weg war frei. Er ging ihn mit der gleichen Unbedingtheit, mit der er sich seinem Plan verschrieben hatte.

Innerhalb der ersten acht Jahre bauten sie dreihundert Raumschiffe. Die Maschine des ersten Expansionskrieges der Sargayn lief schneller. Sie drehte sich in einem rasenden Wirbel, der sich erst dann beruhigen würde, wenn das Kurierschiff mit der Siegesmeldung eintraf.

Die nächsten beiden Jahre wurden die Mannschaft der Flotte und die Invasionstruppen gedrillt. Sardon selbst führte die Manöver. Die einzelnen Mannschaften waren so weit, dass sie wie im Schlaf die Schlachtordnungen einnahmen, nach denen sie kämpfen würden. Sie schossen mit den mörderischen Strahlenschleudern sicher, und die Torpedos und die fast lichtschnellen Raketen trafen stets die nachgeschleppten oder ferngesteuerten Ziele. Noch einige Monate, und dann würde der Plan im ersten Abschnitt erfüllt sein. Die Fabriken schufen Auswandererschiffe, in denen halbe Städte untergebracht werden konnten. Sie konstruierten Lastenboote, mit denen sie sich auf den Weg machen würden, wenn der Universitätsplanet, frei von jedem fremden Organismus, zu ihren Füßen lag. Sie vertrauten Sardon, und er tat nichts, um ihre Hoffnungen zu zerstören. Sie jubelten erleichtert auf, als die Flotte gestartet war, und sie warteten vierzig Tage auf eine Botschaft. Denn selbst ihre außerordentlich weitreichenden Funkstationen erreichten die Flotte nach dem ersten Sprung in den Hyperraum nicht mehr.

Das war es, woran der Autarch dachte, als sie ereignislos durch den verzerrten Raum flogen. Die Spulen des Gerätes zeichneten mit perfekter Genauigkeit alles auf, was sein Hirn dachte, und einst sollte dieses Band das Buch der Geschichte sein, das die Überschrift »Sardon, Autarch von Sargayn« trug.

Es war sein Kampf gewesen, sein Lebenswerk, und es würde auch sein Sieg werden.

Er hatte nichts als den bloßen Ruhm davon, aber er war der Kämpfer. Nur seine Rasse war wichtig, aber nicht der Einzelne. Warum auch mussten die fast dreihundert Deserteure ihn verlassen? Er wünschte sich mehr Leute von der Kraft und der Gerechtigkeit des Bürgermeisters Shann. Aber, sie würden jetzt vielleicht schon ihren ersten Acker ausgehoben haben und den ersten Wald roden. Sie waren keine Soldaten ‒ Pazifisten, die den Blitz eines schnellen Sieges nicht vertrugen und sich mit dem Licht einer fremden Sonne begnügten. Nun, es war nicht mehr länger seine Sache.

Sein war der Kampf.

Sardons Gedanken kamen in die Wirklichkeit zurück …

*

Das Schiff zog weiter an der Spitze der Armada durch den Hyperraum. Nach einem halben Tag Fahrt rematerialisierten sie in einem fremden Sektor des Alls. Schon während der Manöver war Sardon das Schiff SARDONY aufgefallen. Er hatte es sich als Flaggschiff bestimmt, und er hatte es auch erhalten. Nun saß er in diesem Wunder aus Stahl, Glas und Kunststoff und konnte immer noch nichts anderes, als die Konstrukteure und ihre großartigen Fähigkeiten bewundern.

Die SARDONY maß von der Spitze, die aus der vollkommenen Rundung des eigentlichen Schiffskörpers aufragte, bis zum Ende der Startdüsen einhundertzwanzig Meter. Hinter dieser Spitze lag die Steuerkabine, unter ihr des Autarchen Privaträume, und unter diesen die Vorratslager und Wassertanks. Dann kamen die Zimmer der Soldaten und der breite Ring der Geschützkammern. Zahllose Nebengänge verbanden, durch Luftschleusen und schwere Panzertüren getrennt, die Hauptkorridore des Schiffs. Weiter unten lagen die vollautomatische Steuerapparatur und die Maschinerie, die das Schiff mit einer Geschwindigkeit durch das All stieß, die schneller war als das Licht.

Die hohe Geschwindigkeit bedingte eine lange Zeit der Steigerung. Sie brauchten mit der Armada zwanzig Tage, bis sie die Grenze der vierten Dimension erreichten. Dann schwammen sie zehn Tage lang im Hyperraum. Sardons Lippen pressten sich zusammen, als er an den bevorstehenden Kampf dachte. Er würde nicht unbemerkt siegen ‒ die Bewohner der Universitätsplaneten würden sich verteidigen, so gut es eben ging. Freilich waren ihre Mittel sehr beschränkt, aber die Todesangst konnte auch aus ihnen gefährliche Kämpfer machen. Die Bomben aber, die große Erfindung der Sargaynschen Bakteriologen, würden ihnen das Sterben leicht machen.

Eine Hand ergriff seine Schulter und schüttelte sie leicht. Velton weckte den Autarchen aus seiner Nachdenklichkeit.

Sardon betätigte einen Schalter, und die Apparatur schaltete sich um. Sie nahm nicht mehr die Eindrücke Sardons aus dem Metallstreifen auf, sondern ihre vielgestaltigen Linsen drehten sich so, dass alle Schiffe und alle Personen wie die Akteure eines größenwahnsinnigen Theaterdichters agierten. Sie waren alle Schauspieler in der Chronik der Schlacht Sarkais. Die Bänder liefen weiter und verzeichneten getreu jedes Wort, das hier im Raum gesprochen wurde, jedes, das über die Lautsprecher von den anderen Geschwaderführern kam und jede Geste, die vollzogen wurde.

»Was gibt es, Velton?«, fragte Sardon.

»Unser Ziel nähert sich. Eben setzen die Maschinen der Armada zum Vorstoß aus dem Hyperraum an. Wir werden Milliarden Kilometer vor dem fremden Planeten rematerialisieren. Das nächste Bild, das hier auftaucht ‒« sein langer Arm wies auf die leeren Fensterplatten ‒ »zeigt uns den Teil der Milchstraße, in dem wir die fremde Sonne entdecken werden.«

In dieser Sekunde sprangen die Schiffe hintereinander aus dem schwarzen Nichts hinaus in den Weltraum. Vor ihnen drehten sich die Sternengruppen des großen Spiralnebels, und dessen Äste gliederten sich in Milliarden einzelner Sterne auf. Sardon starrte gebannt auf diese Pracht, die so gänzlich verschieden war von den Nebelfetzen des Alls um Sargayn. Vor ihnen flammte ein gelber Stern mit einer feinen Korona, die durch die abgeblendeten Scheiben funkelte.

»Das ist das System, das wir erbeuten wollen. Warte …« Velton grinste.

Eine Riesenlinse drehte sich in Kugellagern und vergrößerte die Bilder eines Farbschirms. Vor der Sonne tauchten zwei Planeten auf, jetzt erst durch Gläser als kleine, farbige Scheiben zu erkennen.

»Welcher ist unser Ziel?«

Einer der beiden Offiziere hatte sich vorgebeugt und starrte mit Augen, deren Schlitze zusammengezogen waren, auf die Pracht. Unten im Schiff begannen Kraftumwandler zu heulen, Schaltungsgeräusche fallender Relais waren hörbar. Die Geschwindigkeit aller Schiffe wurde abgebremst.

»Es ist die hellblaue, opalisierende Scheibe mit den weißen Flecken darauf.«

 

»Wann sind wir dort?«, fragte Sardon.

»In nicht ganz neun Tagen Schiffszeit. Lassen wir alle Stationen besetzen!«

Sardon hob eine Hand und bemerkte, dass sich die erwartungsvollen Gesichter der Geschwaderführer konzentrierten. Sie sahen durch die Verbindungsgeräte ihren Autarchen. Er senkte die Hand mit einer bestimmten Geste. In den anderen Schiffen und in der SARDONY wurden Befehle gegeben. Ordonnanzen rannten durch die Gänge. Lautsprecher knatterten. Ladeautomatiken begannen zu arbeiten, die Spulen der Elektronenschleudern luden sich auf und speicherten in ihren Tausenden von feinsten Windungen, die den Panzer eines Schiffes durchschmelzen konnten.

Sie hatten noch neun Tage zu warten.

*

Es dauerte Minuten, bis sich der Autarch in die Kampfkleidung gezwängt hatte. Er steckte bis zum Kopf in einem blauschillernden Panzer aus Metallplättchen, die auf Stoff aufgepresst worden waren. Arme und Beine waren hinter dünnen Schienen verborgen. Den Kopf bedeckte bei den anderen Männern ein runder Helm. Der Autarch trug nur das Sargaynzeichen seiner Macht, den weißen Stirnreif. Er stand mitten in der Steuerkabine der SARDONY, wie ein Bild einer verdämmerten Mythologie. An seinen Händen glänzten die Ringe.

Die Schirme flammten auf und zeigten den Männern die Umgebung in einem Winkel von hundertachtzig Grad. Sie wölbten sich aus den Wänden wie eine konkave Schale. Die Männer standen inmitten der Sterne. Vor ihnen lag der Planet: ihr Ziel, ihre Beute. Das Bild bewirkte, dass die Männer stumm wurden. Eine Reihe von scharfen Befehlen verließ die Kommunikatoren, als sich Sardon einschaltete.

Jede Schiffszentrale war nur ein Faden innerhalb eines gigantischen Netzes.

Jeder Befehl des Autarchen erreichte die Kommandanten eines jeden Schiffes gleichzeitig. Wieder stieß er seine geballte Faust in die Luft, und als er die Hand spreizte, formierten sich die Schiffe zu einer Angriffsposition, die sie rund um Sargayn Hunderte von Malen geübt hatten.

Die Keilformation gliederte sich auf, und die Armada streckte langsam fünf Arme aus. Die Schiffe staffelten sich hintereinander, und in ihrem Mittelpunkt flog die SARDONY. Hinter ihnen versank die Scheibe eines roten Planeten in der Nacht.

Die Schlagschatten der Sonne brachen runde Flächen aus dem Silber der dreihundert Schiffe. Sie standen im All still, einhundertfünfzig Millionen Kilometer vor dem Planeten. Jeder Schütze war auf seinem Platz. Tausende von Augen starrten durch Luken, durch eingefahrene Blenden und Zielfernrohre in die Schwärze hinaus. Die Gefechtsstationen fieberten den letzten Befehlen entgegen. Die Maschinen arbeiteten im Leerlauf. Aus den Lautsprechern klang das Murmeln der vielen hundert Krieger. Irgendwo arbeitete eine elektronische Rechenmaschine mit klapperndem Stakkato, brach ab und verstummte. Der Autarch streckte die Rechte aus und wies auf den Planeten.

In den zusammengeschalteten Lautsprechern erklang eine dröhnende Stimme in reinem Sargayn. Lähmendes Entsetzen kroch an allen hoch.

›Sardon, Autarch von Sargayn. Wir wissen, was du in diesen Minuten planst, und unsere Geräte konnten dich schon seit neun Tagen beobachten. Du streckst deine Hand aus, um unsere Welt zu erobern. Wir wollen dich warnen.

Wir, die Menschen dieses Planeten, den wir Erde nennen, durchschauten dich und deinen Freund schon, als ihr bei uns lerntet. Wir sehen jetzt jede Bewegung deines Gesichtes. Unsere Studenten konnten eure Gedanken lesen und sagten uns, welche Gefahr ihr darstelltet. Wir haben keine Angst vor einer bewaffneten Auseinandersetzung, aber siegen werden wir auf jeden Fall.‹

Die Stimme von Terra verstummte.

Sardon sah schnell von den Schirmen weg durch das Fenster und spürte, wie sein Herz aufhören wollte zu schlagen. Der Kragen der metallgefassten Halsblende wurde zu eng, und die Kampfuniform schien ihn zu erdrücken.

Im Kern der fünf Arme der Armada schwebte ein einzelnes Schiff, ruhig und still. Es war eine spitze Metallnadel mit drei gepfeilten Flügeln und einem seltsamen Leuchten, das von dem Material der Hülle auszugehen schien. Sardon diente nur seinem Planeten, treu und zuverlässig, und mit dieser Einstellung würde er auch sterben. Getreu seines jahrelangen Vorsatzes wollte er siegen. Er musste sich zum Kampfe stellen, sonst verlor er eine Schlacht in seinem Inneren.

Er krümmte sich ein wenig wie im Fieber zusammen und richtete sich kerzengerade auf. Seine Stimme war leise, aber fest, und in jedem Wort spiegelte sich der Entschluss, lieber kämpfend zu sterben, als zurückzugehen. Er schrie:

»Ich verstehe nicht, wie ich übersehen konnte, dass ihr Schiffe besitzt. Dass ihr Kriegsschiffe haben könntet, kam mir nie in den Sinn. Ich sah nur die Passagierschiffe fremder Studenten und eure zurückgebliebene Technik. Warte, Gegner, ich habe auch Waffen …«

Blitzschnell senkte sich seine Hand, und die Schützen reagierten ebenso schnell. Fünf Elektronenschleudern entluden sich und erfüllten die Schiffe mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Sekundenlang war das feindliche Schiff in eine flammende Wolke gehüllt, deren Anfang fünf feine Strahlen aus fünf Geschützen waren. Die SARDONY feuerte drei Raketen ab, die in die Wolke eindrangen und einen weißlodernden Nebel hinterließ. Dann explodierten sie, und der Druck ließ das feindliche Schiff einige Kilometer vorschießen. Die SARDONY schob sich blitzschnell nach vorn.

Das Schiff war völlig unversehrt, nicht einmal seine Sendeantennen waren verletzt worden. Die Sonne spiegelte sich in dem unheimlichen Material des angreifenden Kreuzers.

›Du siehst, Autarch, dass deine Waffen uns nichts anhaben können. Unsere Waffen sind furchtbarer, als du dir vorstellen kannst. Deine Männer und du sind nach unserem Angriff tot und deine Schiffe unsere Beute. Überlege es dir, und wir werden helfen, wenn wir können. Kampf muss nicht sein.‹

Fünf haarfeine Strahlenfinger griffen nach den vorgeschobenen Schiffen, nach verschiedenen Richtungen. Als sie nach Sekunden erloschen, waren an den Stellen, wo sich vorher noch Vernichtungsmaschinen befunden hatten, fünf weißglühende Wracks zu sehen, deren Verstrebungen sich dunkel von dem hellen Metall abhoben. Sardon schauderte, aber er konnte jetzt nicht mehr zurück.

›Unser Planet beherbergt keinerlei Kriegsschiffe und nur wenige Passagierboote. Wir sind ein Planet der Schulen, und aus allen Teilen des Weltalls kommen die verschiedensten Wesen, um von unserem gesammelten Wissen zu lernen. Ihr hättet, wenn ihr nicht schon mit schlechten Gedanken gekommen wäret, auch sicher einen Rat von uns erhalten ‒ den Hinweis auf einen Planeten, den ihr hättet besiedeln können.

Aber auf dem roten Planeten hinter deinem Rücken ‒ wir nennen ihn Mars, den Gott des Krieges ‒ haben wir unsere Flotte stationiert. Wir vermögen jeden Angriff zurückzuschlagen, ganz gleich, aus welcher Richtung er erfolgt. Noch kannst du zurück, aber wenn du Kampf willst, sind deine Flotte und deine Rasse auf Sargayn verloren. Ich will dir keine Furcht einflößen, aber so wird es geschehen.‹

Sardon dachte kurz an die Warnung Shanns und vergaß sie sofort wieder. Innerhalb einer langen Sekunde fasste der Autarch seinen Entschluss. Er senkte explosiv den Arm, und dreihundert Schubsätze flammten in demselben Augenblick auf. Die Riesenspinne tobte gereizt los, und ihre tödlichen Klauen schlossen sich unbarmherzig um das einzelne Schiff. Dieses zog sich außer Reichweite zurück und entging dem Hagel aus den Elektronenschleudern.

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