Mein Begräbnis. Und andere Grotesken

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Das Eierlegen der menschlichen Frau

Die zweite Dezembernummer der Londoner »Medical Review« enthielt eine ganz kurze Notiz – die von dort aus ihren Weg durch alle Blätter der Welt nahm –, dass die beiden Birminghamer Ärzte Prof. Paidscuttle und Dr. Feesemupp nach langen Versuchen endlich das Eierlegen der menschlichen Frau (medizinisch: Anthropoovaropartus) erfunden hätten, das naturgemäß einen ungeheuren Umschwung im Leben der Menschheit hervorzurufen geeignet sei.

Die beiden Herren hüteten ihr Geheimnis vorderhand noch sorgfältig, doch stünde zu hoffen, dass sie in nicht allzu langer Zeit damit an die Öffentlichkeit treten würden.

Dieser Meldung gegenüber sehe ich mich zur Wahrung meiner sehr berechtigten Interessen genötigt, öffentlich zu erklären, dass die Idee des Eierlegens der menschlichen Frau mir gehört und von mir zuerst ausgesprochen wurde.

Leider bin ich ein solcher Esel, dass ich darauf kein Patent angemeldet habe, und so werden sich wohl für immer mein Vaterland und ich des ungeheuren Vermögens beraubt sehen, das die Verwertung meines Gedankens naturgemäß erzielt hätte. Wenigstens meinen Ruhm will ich aber retten. Da die englischen Gelehrten wahrscheinlich alles daran setzen werden, um mir meinen Gedanken streitig zu machen, so sehe ich mich genötigt, die beiden einzigen Zeugen zu nennen, denen ich von der Sache sprach.

Es sind dies: der Herr Oberlehrer Dr. Schulze in Köpenick und die Prostituierte Frieda Knäller (polizeilich unbekannten Aufenthalts).

In der Nacht vom 4. zum 5. November 1903 ging ich mit besagtem Herrn Oberlehrer gegen drei Uhr früh durch die Friedrichstraße. An der Ecke der Oranienburgerstraße trafen wir die Prostituierte Knäller, die unsere Bekanntschaft zu machen bestrebt war.

Ich fühlte das Bedürfnis, den Herrn Oberlehrer und die Prostituierte Knäller einander menschlich näherzubringen, sie zu verkuppeln, wie unzarte Leute sich auszudrücken belieben.

Ich betrat also zu dem genannten Zwecke mit dem füreinander zu erwärmenden Paare die Kellerdestille zum »Strammen Hund«, Friedrichstraße 117.

Ich kann sagen, dass ich mit meinen Vorschlägen bei dem Oberlehrer Herrn Dr. Schulze auf die größte Bereitwilligkeit stieß, während merkwürdigerweise die Prostituierte Knäller sich durchaus ablehnend verhielt. Um ihren Widerstand gegenüber dem lebhaften Wunsche des Pädagogen zu brechen, bestellte ich immer mehr anregende Getränke, was zur Folge hatte, dass unsere anfangs vielleicht leichten und nicht ganz ernsten Gespräche immer tiefer wurden und wir uns mehr und mehr in wissenschaftliche Probleme vertieften. Von der Erziehung der Jugend, die der Herr Oberlehrer reformiert wissen wollte, von der Frauenfrage, deren Lösung sich die Prostituierte Knäller durch Einführung eines Staffeltarifs (unter Berücksichtigung der notleidenden Landwirte und der akademischen Jugend) versprach, kamen wir auf immer ältere und entferntere Gebiete, bis schließlich der Herr Oberlehrer treffend sagte, dass wir auf diese Weise »auf das Ei der Leda« zurückkehrten, während man doch eigentlich von ihm ausgehen müsse.

Ich darf wohl sagen, dass in dem Augenblick, als er diesen verhängnisvollen Satz aussprach, hundert Worte, die mir bisher nur Phrasen gewesen waren, zu handgreiflichen Wirklichkeiten wurden. Ein Schleier zerriss vor meinen Augen, ich hielt den Stein der Weisen in der Hand, ich hatte das Ei des Kolumbus gelegt. Ich seufzte dreimal tief auf, ich fühlte mit tiefer Erschütterung, dass ich in einer Sekunde die soziale Frage und alle anderen dazu gelöst hatte.

Dem Herrn Oberlehrer Dr. Schulze, dem ich das verdankte, drückte ich gerührt die Hand, dann bestellte ich die siebzehnte Runde Grog. Während das Getränk gebracht wurde, besann ich mich eine kleine Weile und lud schließlich, um noch einen weiteren Zeugen zu haben, einen am Nebentische sitzenden Droschkenkutscher zu uns ein.

Dann erhob ich mich, zog meine Uhr und hielt folgende Rede:

»Sie wollen sich, meine Damen und Herren, diesen Augenblick wohl merken, denn er bedeutet in der Lebensgeschichte der Menschheit den ungeheuersten Umschwung, den sie je gesehen hat. Es ist jetzt gerade 4 Uhr 19 Minuten! Sie wollen sich ferner meine Person eingehend betrachten und Ihrem Gedächtnisse getreu einprägen, denn vor Ihnen steht der Mann, der der Menschheit in diesem Augenblick das größte Heil bringt, das ihr je widerfahren ist. Sie aber, Fräulein Knäller, die Sie gerade grunzen, wollen meinen Worten ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, denn Ihnen hat es das Geschick gegeben, hier zu sitzen als die einzige Vertreterin Ihres Geschlechtes, das durch mich mit einem Schlage zu einer Jahrhunderttausende überspringenden Kultur hinaufgehoben wird!

Wir unterhielten uns vorhin über die Frauenfrage. Was ist es, das die Frau im Kampf ums Dasein dem Manne gegenüber immer wieder als den schwächeren Teil erscheinen lässt?

Wir wissen es alle: Es ist ihre sexuelle Funktion! Es ist die Tatsache, dass sie Kinder austragen und gebären muss, und die andere, dass sie, wenn das gerade nicht der Fall ist, doch allmonatlich in oft recht unangenehmer Weise von der Natur an ihre Weiblichkeit erinnert wird.

Ich frage: Ist dieser Zustand der Frau ein gesunder? Einfach nein!

Alle leiden darunter, die eine mehr, die andere weniger, angenehm aber ist’s keiner.

Und nun erst die Geburt! Die Schmerzen sollen ja sehr peinliche sein, und manche Frauen gehen sogar dabei zugrunde.

Weiter die Ästhetik! Die Zeit der Lucas Cranach und Holbein, die jeder Frau einen dicken Leib malten, ist Gott sei Dank vorüber, unserem Schönheitsempfinden ist so etwas direkt zuwider.

Ebenso unästhetisch wirkt das Neugeborene, ich rede aus Erfahrung, denn ich habe bei meinem Freunde J. Mehlhase einmal eins gesehen. Ich versichere Sie, es sah aus wie ein aztekischer, knallroter Frosch! Die Mama fand es freilich sehr schön: ein gewisses Zeichen dafür, dass Kinderkriegen das ästhetische Empfinden unterminiert!

Brauche ich noch mehr Beweise dafür anzuführen, dass die heutige Art des Kinderkriegens eine unwürdige, kulturwidrige, scheußliche ist?

Ich persönlich hätte ja nun gar nichts dagegen, wenn es überhaupt abgeschafft würde, da ich auf die Fortpflanzung der menschlichen Rasse keinen Wert lege. Leider legen meine Mitmenschen scheinbar umso größeren Wert darauf (weil sie Esel sind), so bleibt mir also nichts weiter übrig, als die ewige Tatsache des Kinderkriegens fortbestehen zu lassen, ihre Art aber von Grund auf zu reformieren.

Mein lieber Herr Oberlehrer, auf Ihr Wohl!

Sie sagten: ›Man müsse füglich vom Ei der Leda ausgehen.‹ Und Sie ahnten nicht, was Sie mit diesen Worten den Menschen schenkten. Ja, wir wollen von der Leda, diesem Musterbild der Frauen der Zukunft, ausgehen, von ihr und dem vorbildlichen Ei, das sie legte! Wir wollen zurückkehren zu ihr, und unsere Frauen sollen fürderhin so gut Eier legen können, wie die Leda es tat!

Freilich sind wir sterbliche Menschen, und wir können nicht wie Jupiter uns in Schwäne verwandeln, um unsere Frauen zum Eierlegen zu befähigen. Aber diese kleine Schwierigkeit, die für den Sänger des schönen Leda-Mythos nur ein Gott lösen konnte, vermögen wir heute leicht selber zu überwinden: Wozu haben wir denn die Wissenschaft?

Betrachten wir einmal den Vorgang bei einem Huhn.

Bei ihm ist der Teil, in dem sich die Eier entwickeln, der Darm selbst, so kommt es, dass das Huhn Eier mit Schalen legen kann, denn der mit der Nahrung aufgenommene Kalk kann durch den Magen dem Ei zugeführt werden. Bei der Frau sind Darm und Gebärmutter leider vollständig getrennt. Was müssen wir also tun?

Eine Verbindung herstellen: eine Uteroenterostomie machen, wie sie der Professor Babywater von der Harvard-Universität längst, freilich zu ganz anderen Zwecken, mit Erfolg ausgeführt hat. Die kleine Operation wird natürlich möglichst hoch ausgeführt, damit die Verbindung möglichst nahe am Magen ist.

Es kann als ausgemacht gelten, dass, wenn wir diese Operation an einer Reihe von Generationen gemacht haben, in frühester Jugend natürlich, sie bei späteren Geschlechtern überhaupt nicht mehr nötig sein wird, dank des Akklimatisationsprinzips des Organismus an diese neue Funktion.

Unsere Frauen müssen dann viel Kalk und Phosphor zu sich nehmen, um jederzeit in der Lage zu sein, die nötigen Eierschalen zu erzeugen. Auch die durch therapeutische oder mechanische Mittelchen zu bewirkende Hysterokontraktion, die wir bei den ersten Generationen wohl noch anwenden müssen, um zu einer beschleunigten Legung der jeweiligen Eier zu kommen, wird späterhin aus demselben Grunde gewiss nicht mehr nötig sein: Unsere Urenkelinnen werden so leicht und nett Eier legen können wie das beste Hühnchen. Ein ganz ähnliches Verfahren aber, wie es der berühmte französische Geflügelzüchter Poulain d’Or in Cambray zur Vergrößerung des Ovariums und zur starken Vervielfältigung seines Inhalts durch die Anwendung von Yohimbin-Rinde einerseits und Radiumbestrahlung zur Vermehrung der Wachstumsenergie andererseits mit so verblüffendem Erfolge angewandt hat, wird unsere Frauen instand setzen, nicht nur einmal monatlich, sondern jeden Tag, ja besonders kräftige Frauen sogar zweimal am Tag, mühelos ein wunderschönes Ei zu legen, etwa in der Größe eines Schwaneneis.

Man denke nur an die Bereicherung unseres Volkswohlstands durch die Tätigkeit der Ledas der Zukunft. Wir haben in Deutschland etwa 20 Millionen Frauen im Alter von fünfzehn bis fünfundvierzig Jahren, diese können täglich bequem 25 Millionen Eier legen, also einen Zuschuss zu unserem Nationalkonsum, der gerade heute bei der wirtschaftlichen Depression unserem Volkswohlstand sehr zustattenkommen wird.

 

Will jemand ein Ei ausbrüten lassen, so gibt er es in eine öffentliche Brutanstalt, eine Ovaroembryopädocouveuse, die eine geniale Verbindung unserer jetzigen Hühnerbrutanstalten mit den einfachen Embryocouveusen unserer Tage darstellen werden. Und man wird es natürlich vermeiden, Eier von kranken, dummen, hässlichen Frauen ausbrüten zu lassen, vielmehr dazu nur auserwählte Exemplare von besonders schönen, gesunden und klugen Frauen nehmen. Dass man durch meine Idee auch gleich ein halbes Dutzend anderer Probleme, über die sich heute alle Welt vergebens den Kopf zerbricht, im Handumdrehen so nebenher mitlösen kann, ist ohne Weiteres klar. So die soziale Frage: Sozialdemokratische Eier werden einfach nicht ausgebrütet, liberale nur in sehr beschränktem Maßstabe. Die kriminelle Frage, die religiöse Frage: Verbrechereier, Atheisteneier und Monisteneier werden nicht ausgebrütet. Am besten wäre es gewiss, überhaupt nur gut katholische Eier ausbrüten zu lassen.

Und da ja die moderne Kunst und das, was mit ihr zusammenhängt, allen Unflat und Unrat in Wort und Bild auf die Welt trägt, so kann man auch hier reinigend wirken: Eier, die zu modernen Malern und Dichtern in irgendwelcher Beziehung stehen, dürfen unter keinen Umständen ausgebrütet werden. So wird dieser Richtung einfach der Nachwuchs entzogen und die Kunst ganz von selbst in patriotische Bahnen gelenkt.

Der gute Bürger aber, der ein behördliches Zeugnis beibringen kann, das seine Eierausbrütungsberechtigung bescheinigt, trägt einfach ein schönes Ei seiner lieben Frau, oder, wenn die keine extraschönen legen kann, ein anderes prächtiges, das er geschenkt bekommen oder billig gekauft hat, in die Brutanstalt, schreibt seinen Namen darauf und lässt es in den Glaskasten legen.

Wenn man noch besonderes Interesse hat, kann man dann und wann hingehen, es zu begucken, namentlich der Moment ist gewiss lustig, wo der neue kleine Kerl seine Schale sprengt.

Sonst aber kommt man erst nach zwei Jahren wieder, denn man wird sich den Pappus ja erst abholen, wenn er ganz stubenrein ist; solange lässt man ihn in der Ovaroembryopädocouveuse.

Die ganze Indezenz des heutigen Kinderkriegverfahrens ist so vermieden; die Ästhetik triumphiert und mit ihr die Moral. Die Frauenfrage ist auch gelöst, die Frau ist dem Manne vollkommen gleich, da ihre Gesundheit durch nichts Eigentümliches mehr gestört wird. Denn das bisschen Eierlegen macht ihr keinerlei Beschwerden, im Gegenteil hat sie vor dem Manne noch einen großen ökonomischen Vorteil, denn ein oder gar zwei Eier täglich sind immerhin etwas wert!

Ferner werden auf diese Weise –«

Soweit war ich gekommen, als ich bemerkte, dass Herr Oberlehrer Dr. Schulze stark glucksende Töne ausstieß, die sich unangenehm in das zunehmende Grunzen der Prostituierten Knäller mischten. Der Droschkenkutscher hatte die während meiner Rede eingetroffene achtzehnte Runde Grog allein ausgetrunken und schlief.

Ich weckte ihn und machte ihm Vorwürfe wegen seiner Unachtsamkeit, er versöhnte mich aber wieder, sodass ich mit ihm Brüderschaft trank. Dann übernahm er es, mich nach Hause zu fahren und zu Bett zu bringen. Meinen Freund, den Oberlehrer Dr. Schulze aus Köpenick, überließen wir der Obhut der Prostituierten Knäller. Was mit ihnen dann noch wurde, kann ich nicht sagen.

Das sind die einfachen Tatsachen, denen ich nur noch eine Hypothese, die ich leider nicht beweisen kann, hinzufügen möchte: Als ich mich nämlich heute auf der Polizei nach dem jetzigen Wohnorte der Prostituierten Knäller erkundigte, deren Zeugenschaft für meine Priorität des Anthropoovaropartus natürlich wertvoll war, erfuhr ich, dass sie bereits vor zwei Jahren von Berlin fort sei und sich vermutlich nach London gewandt habe.

Ich bin überzeugt, dass sie auf Picadilly die Bekanntschaft entweder des Prof. Paidscuttle oder des Dr. Feesemupp gemacht und als verräterische Metze diesen beiden Herren meine Idee des Anthropoovaropartus eingeblasen hat.

Aber mögen diese Söhne Albions immerhin Kapital daraus schlagen, der große Gedanke gehört doch mir: dem ideal veranlagten, humanistisch gebildeten Deutschen.


Die vornehme Elly

Wenn man durch siebzehn Generationen hindurch alte Teppiche gestohlen hat, so ist es begreiflich, dass man in der achtzehnten sich nach Anstand, in der neunzehnten nach Wohlstand und in der zwanzigsten nach Vornehmheit sehnt.

Elly Bärwald hatte schon einen ganz anständigen Großvater und höchst wohlhabende Eltern; da war es kein Wunder, dass sie selbst wirklich vornehm war.

Ihre Schneiderin hatte einmal zu ihr gesagt: »Wenn man zu Ihnen spricht, drängt sich einem unwillkürlich das Wort ›Komtesse‹ auf die Lippen.«

Da hatte Elly Bärwald mit den Achseln gezuckt: »Nehmen Sie Ihre Maße und behalten Sie Ihre Redensarten für sich!«

Und das hatte der Schneiderin natürlich noch mehr imponiert.

Wenn Elly Bärwald ihr Kleid schürzte, um über den Straßendamm zu gehen, so fasste sie es vorn, nicht rückwärts. Sie hatte durchgesetzt, dass ihr Vater den blonden Assessor nicht mehr einlud, seitdem er sich Mosel ins Bordeauxglas eingeschenkt hatte. Sie rauchte nie, nur in der Mitte des Diners eine langgemundete Zigarette, beim Punch Romain vor dem Metzer Masthuhn.

Mit den Jahren verinnerlichte sich ihre Vornehmheit. Sie machte einen Kultus daraus, eine gewundene Ästhetik, die auf die abstrakte Linie hinauslief.

»Man muss Kopenhagen leben!«, sagte sie.

Und das tat sie auch, psychisch wenigstens. Sie träumte in milchweißen und graublauen Porzellantönen und inspirierte einen jungen Dichter zu einem sehr seltsamen Essay über die Entwickelung einer neuen Kunst aus dem Flammentanze der Füller. Sie fühlte, dass in der endlichen Überwindung aller Raumverteilung die Zukunft des Kunstgewerbes lag.

»Sie sind eben so ganz anders«, sagten ihre Verehrer.

Elly Bärwald ließ sich die Fingernägel küssen, die sie leicht mit Henna gerötet hatte.

»Das ist nicht mein Fehler«, sagte sie. »Warum sind die anderen nicht so wie ich?«

Freiherr von Habermann, der Münchner Maler, der die Kopenhagener Linie ins Porträt übersetzte, hatte einmal mit ihr geplaudert. Über »Sterben in Schönheit« hatte man sich unterhalten. Sie wusste nicht recht, ob der Maler Ernst machte oder Scherz trieb.

»Die Schönheit ist lebensbejahend«, sagte sie: »In Schönheit empfangen!«

Sie blickte ihm so ruhig ins Auge, dass der Maler sich schnell niederbeugte, weil er des Lächelns sich schämte. Er küsste ihr die Fingernägel, die leicht mit Henna gerötet waren.

Seither träumte Elly Bärwald vom Manne.

All ihr vornehmes Empfinden, ihr ästhetisches Bedürfnis, ihr tastendes Kulturgefühl wendete sich diesem einen Punkte zu. Sie wusste, wie ihr Mann aussehen würde, ehe sie ihn gesehen.

Er war Mitglied vom Unionklub, vom Automobilklub, vom Kaiserlichen Jachtklub. Er trug einen guten Namen und hatte irgendwoher ein klein wenig orientalisches Blut in den Adern. Er hatte gewiss große, grausame Hände und die Ohrläppchen waren angewachsen. Er war einmal Attaché gewesen, war gut zu Hause auf dieser kleinen Erde und lebte so von oben herab. Natürlich war er Künstler; Maler oder Schriftsteller, das galt ihr gleich. Nur Musiker nicht, natürlich nicht; wie kann ein vornehmer Mensch ein Musiker sein!

Vornehm – und Geräusch machen, da musste sie lächeln.

Elly Bärwald musste diesen Mann finden, und deshalb fand sie ihn. Das heißt, sie hätte ihn beinahe gefunden. Oder vielmehr, sie hatte ihn schon gefunden, und dann war er’s doch nicht.

Freiherr von Habermann, der Münchner Maler, sagte ihr später, als er von der Sache hörte: »Sterben in Schönheit ist leichter als in Schönheit empfangen.«

Da antwortete Elly Bärwald: »Halten Sie den Mund!«

Und doch hatte eigentlich ihre ganze Sehnsucht sich erfüllt.

Der Mann, der um ihre Hand bat, war Mitglied vom Unionklub, vom Automobilklub und vom Kaiserlichen Jachtklub. Er trug einen guten Namen und hatte irgendwoher ein klein wenig orientalisches Blut in den Adern. Er hatte große, grausame Hände und die Ohrläppchen waren angewachsen. Er war einmal Attaché gewesen, sogar Legationsrat, und war gut zu Hause auf dieser Handvoll Erde. Außerdem malte er, und die Leute sagten, dass er Talent habe.

»Ich bin ein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmensch«, sagte er so von oben herab, als er zum ersten Male mit ihr sprach.

Elly Bärwald fühlte, dass ihre Seele zuckte.

Die Hochzeit war so einfach wie möglich. Schon um halb zwei Uhr mittags saßen sie im Eilzug nach Wien.

***

Aber am anderen Abend schellte es wie närrisch an der Haustüre des Konsuls Bärwald.

Elly schritt schwer die Treppe hinauf.

Die Mutter kam ihr entgegen.

»Um Gottes willen, wo kommst du her, Kind?«, rief sie.

Sie antwortete nicht, nur nach einem heißen Bad verlangte sie. Die Mutter ließ sie gewähren, sie sandte ihr das Nachtmahl aufs Zimmer.

Aber am nächsten Morgen ging sie zu ihr ans Bett.

»Nun?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Elly Bärwald.

»Du hast deinen Mann verlassen?«, forschte die Mutter.

Sie nickte.

Langsam erfuhr die Mutter, dass Elly mit ihrem Mann nach Wien gefahren, dort im Grand Hotel abgestiegen war. Nach einer halben Stunde war sie aus dem Zimmer fortgelaufen, hatte am Bahnhof auf den nächsten Zug gewartet und war nach Berlin zurückgekehrt.

Mama Bärwald staunte.

Sie hielt ihrer klugen Tochter die Rede, die schon so manche Mamas ihren Töchtern vor und bisweilen auch nach der Hochzeitsnacht gehalten haben. Diese schöne Rede, die fast nie nötig ist, wenn sie gehalten wird, und die da, wo sie einmal nötig ist, immer vergessen wird. Es kommt viel von Pflicht darin vor und von Ergebenheit und von solch schönen Sachen. –

Doch Elly Bärwald schüttelte den Kopf und blickte traurig auf ihre Fingernägel, die mit Henna leicht gerötet waren.

Da verstand die Mama, dass die Rede unnütz war, und dass wohl ein anderer Grund vorliegen müsse. Aber sie fühlte, dass sie den Grund wissen musste, sonst würde sie keine glückliche Stunde mehr haben in ihrem ganzen Leben. Und sie würde nicht eher aus dem Zimmer herausgehen.

Da richtete sich Elly hoch auf in den seidenen Kissen.

Zwei große Tränen liefen ihr die Wangen herab.

»Mama!«, schluchzte sie. »Mama! Der Mensch hatte – eine Ansteckkrawatte an!«


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