Der Luftkrieg

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IV

Es ist merkwürdig, wie dies Wiederaufleben begann. Es war wie das Kommen einer Brise an einem stillen Tag: es fing nirgends an – es kam. Man begann wieder über das Fliegen zu sprechen mit einer Miene, als hätte man das Thema überhaupt keinen Augenblick lang fallen lassen. In den Zeitungen erschienen wieder Abbildungen von Flugversuchen und Flugmaschinen; in den ernsthaften Zeitschriften mehrten und häuften sich Artikel und Berichte. In den Einschienenzügen herrschte die Frage: »Wann werden wir fliegen?« Eine neue Saat von Erfindern sprang über Nacht auf wie die Pilze. Der Aeroklub kündete eine geplante große Flugausstellung auf einem weiten Geländestück an, das durch den Abbruch der Baracken von Whitechapel verfügbar geworden war.

Die herannahende Woge erzeugte bald ein entsprechendes Plätschern in dem Geschäft in Bun Hill. Grubb buddelte seine Flugmaschine wieder aus, probte damit im Hof hinter dem Laden, quetschte auch eine Art Flug aus ihr heraus und zerschmetterte siebzehn Scheiben und neun Blumentöpfe in einem Gewächshaus im übernächsten Hof.

Dann – plötzlich – aus Nichts heraus weitergetragen, man wußte nicht wie, kam ein hartnäckiges, aufregendes Gerücht: das Problem sei gelöst, das Geheimnis ergründet. Bert platzte im Frühdämmer eines Nachmittags darauf, als er sich in einem Wirtshaus in Nutfield stärkte, wohin sein Motorrad ihn getragen hatte. Dort saß, rauchend und gedankenvoll, ein Mann in Khaki, ein Pionier, der sogleich ein Interesse für Berts Maschine faßte. Es war ein robuster Apparat, der sich bereits eine Art verbrieften Werts in jener rasch wechselnden Zeit errungen hatte; fast acht Jahre alt war er jetzt schon. Nachdem seine verschiedenen Vorzüge zur Genüge besprochen waren, schlug der Soldat ein neues Thema an.

» Mein nächstes wird ein Aeroplan – wenn's nach mir geht! Straßen und Chausseen hab' ich satt!«

»Gered't wird viel!« sagte Bert.

»Geredet – und getan!« sagte der Soldat. »Die Sache wird

» Werden tut sie immerzu!« sagte Bert. »Wenn ich's sehe, will ich's auch glauben.«

»Wird nicht mehr lang dauern«, sagte der Soldat.

Die Konversation schien in ein freundschaftliches Hin und Her von Streitereien zu verlaufen.

»Wenn ich Ihnen doch sage, daß sie fliegen!« beharrte der Soldat. »Hab's doch selber gesehen.«

»Gesehen haben wir's alle!« sagte Bert.

»Ich mein' ja nicht in die Höhe flattern und umschmeißen! Ich mein', wirklich und sicher und ruhig und gutgesteuert fliegen – gegen den Wind – und alles!«

»Das haben Sie nicht gesehen!«

» Hab' ich! In Aldershot! Sie möchten's gern geheimhalten. Aber sie haben's raus! Da können Sie Gift drauf nehmen – diesmal hält unser Kriegsministerium die Augen offen!«

Berts Unglaube war erschüttert. Er fragte und fragte, und der Soldat wurde immer ergiebiger.

»Ich sag' Ihnen, sie haben in einer Art Tal fast eine Quadratmeile eingezäunt, mit Stacheldraht, zehn Fuß hoch; und da drin sind sie dahinter her. Eine Menge Leute treiben sich da herum – und manchmal sieht man auch ein bißchen was. Und nicht bloß unsere haben's raus. Auch die Japaner – da können Sie Gift drauf nehmen –, die haben's auch raus! Und die Deutschen!«

Der Soldat stand mit weit gespreizten Beinen und stopfte nachdenklich seine Pfeife. Bert hockte auf der niedrigen Mauer, an der sein Motorrad lehnte.

»Komische Sache muß das sein – 'n Krieg!« sagte er.

»Die Fliegerei wird bald losgehen«, sagte der Soldat. »Und wenn's losgeht – wenn der Vorhang aufgeht – ich sag' Ihnen – alle spielen sie da mit – bei dem Theater – Na, so was von Krieg! … Solche Sachen lesen Sie wohl überhaupt nicht in den Zeitungen?«

»Ein bißchen schon«, sagte Bert.

»Naja – ist Ihnen da nie so was Ähnliches aufgefallen, wie – na, sagen wir, das plötzliche und seltsame Verschwinden des Erfinders? Des Erfinders, der wie eine Rakete in der Öffentlichkeit auftaucht, ein paar erfolgreiche Experimente losläßt und – verschwindet?«

»Nicht, daß ich's behaupten könnt' …«, sagte Bert.

»Naja – aber ich! Setz' den Fall, es kommt einer daher, der irgendwas Besonderes leistet in der Branche – und Sie können Gift darauf nehmen – er verschwindet. Taucht einfach in aller Stille unter. Nach einer Weile hört man überhaupt nichts mehr von ihm. Sie verstehn? Einfach verschwunden. Fort – ohne Adresse. Zuerst – oh, das ist schon eine alte Geschichte jetzt – waren da die Brüder Wright drüben in Amerika. Sie glitten und glitten – Meile über Meile – und schließlich – glitten sie von der Schaubühne ab. Laß sehen – 1904 oder 1905 muß das gewesen sein, daß die verschwunden sind. Dann die Kerls in Irland – ich hab' die Namen vergessen. Alle Welt behauptete, sie könnten fliegen. Auch die – futsch! Tot sind sie nicht, soviel ich gehört hab'. Aber ebensowenig kann man behaupten, daß sie am Leben sind. Auch nicht ein Faden mehr von ihnen zu sehen! Dann der Bursche, der rings um Paris rumflog und in der Seine kenterte. De Boley – oder wie? Ich hab's vergessen, 'n großartiger Flug – trotz der unglücklichen Geschichte. Aber wo ist der Mensch hingekommen? Der Unfall damals hat ihm nichts getan. Na? Auch der ist futsch.«

Der Soldat schickte sich an, seine Pfeife anzuzünden.

»Sieht fast so aus, als wären sie einem Geheimbund in die Klauen geraten!« sagte Bert.

»Geheimbund! Nee!«

Der Soldat zündete sein Streichholz an und zog.

»Geheimbund!« wiederholte er, die Pfeife zwischen den Zähnen, während das Streichholz um die Wette flammte mit seinen Worten. »Sagen wir lieber Kriegsministerium!« Er warf das Streichholz fort und ging zu seinem Fahrrad. »Glauben Sie mir«, sagte er – »es gibt in ganz Europa oder Asien oder Amerika oder Afrika keine Großmacht, die heute nicht ganz im geheimen eine oder zwei Flugmaschinen hat! Keine! Wirkliche, richtiggehende Flugmaschinen! Die Spionage! Die Spionage und die Manöver, um rauszukriegen, was die andern haben! Ich sag' Ihnen – kein Ausländer – übrigens auch kein Einheimischer ohne Ausweis – kann sich heutzutag auf vier Meilen im Umkreis nach Lydd wagen – ganz abgesehen von unserm kleinen Privatzirkus in Aldershot und dem Experimentierlager in Galway. Unmöglich!«

»Na, schön!« sagte Bert. » Sehen möcht' ich jedenfalls mal eine. Einfach, damit ich's glauben könnt'! Wenn ich's seh', will ich's glauben – das versprech' ich Ihnen!«

»Sie werden Sie bald genug zu sehen kriegen!« sagte der Soldat und führte seine Maschine auf die Straße hinaus.

Und Bert blieb auf seiner Mauer zurück, ernst und gedankenvoll, die Mütze im Nacken, eine glimmende Zigarette im Mundwinkel.

»Wenn das wahr ist, was der sagt«, dachte Bert, »so haben wir, Grubb und ich, einfach bis jetzt uns nutzlos die Zeit um die Ohren geschlagen! Und dabei noch die Kosten mit dem Gewächshaus!«

V

Während diese geheimnisvolle Unterredung noch in Bert Smallways' Phantasie nachzitterte, trat das staunenswerteste Ereignis jenes ganzen dramatischen Kapitels menschlicher Geschichte ein –: das Fliegen kam! Die Menschen reden so glatt von epochemachenden Ereignissen. Dies war ein epochemachendes Ereignis. Es war der unvorhergesehene und vollkommen geglückte Flug des Mr. Alfred Butteridge vom Kristallpalast nach Glasgow und zurück, ein Flug in einer ganz geschäftsmäßig aussehenden kleinen Maschine, schwerer als Luft – einer vollkommen lenkbaren, beherrschbaren Maschine, die so leicht und sicher flog wie eine Taube.

Es war dies – das fühlte man – nicht etwa ein neuer Schritt weiter in dieser Sache, sondern ein Riesensatz – ein Sprung. Mr. Butteridge blieb etwa neun Stunden ununterbrochen in der Luft und flog während dieses Zeitraums mit der Leichtigkeit und Sicherheit eines Vogels. Dabei war seine Maschine weder vogel- noch schmetterlingsähnlich, noch hatte sie die breite Seitenausdehnung des gewöhnlichen Aeroplans. Sie wirkte auf den Zuschauer eher wie eine Art Biene oder Wespe. Einige Teile des Apparats drehten sich ungeheuer rasch und riefen einen nebelhaften Eindruck von durchsichtigen Flügeln hervor. Andere Teile wieder, darunter zwei eigentümlich gebogene »Flügeldeckel« – wenn man dies Bild von den fliegenden Insekten entlehnen darf – blieben steif ausgestreckt. In der Mitte war ein langer, runder Körper, wie der Körper einer Motte; und auf diesem erblickte man Mr. Butteridge, rittlings sitzend, ganz ähnlich einem Mann, der zu Pferd sitzt. Die Wespengleichheit wurde noch verstärkt durch den Umstand, daß der Apparat mit einem tiefen, dröhnenden Summen flog, genau wie das Geräusch, das eine Wespe an einer Fensterscheibe macht.

Mr. Butteridge war eine Überraschung für alle Welt. Er war einer der Menschen von nirgendwo, die das Schicksal auch heute noch immer wieder – zur Anspornung der Menschheit – hervorzubringen versteht. Er kam – den verschiedenen Gerüchten nach – aus Australien – aus Amerika – aus Südfrankreich. Es hieß ferner – absolut unrichtig –, er sei der Sohn eines Mannes, der sich durch die Fabrikation von Schreibfedern und von »Butteridges Goldfüllfederhalter« ein ansehnliches Vermögen erworben hatte. Aber das war eine ganz andere Linie von Butteridges. Schon seit Jahren war er – trotz seiner lauten Stimme, seiner breitspurigen Persönlichkeit, seiner herausfordernden Großmäulerei und seiner ungehobelten Manieren ein ganz ruhmloses Mitglied der meisten damals existierenden Luftschiffer-Klubs. Dann – eines Tages – schrieb er an sämtliche Londoner Zeitungen und kündete an, daß er den Aufstieg einer Maschine vom Kristallpalast aus vorbereitet habe, der zur Genüge dartun würde, daß die bisher noch vorhandenen Schwierigkeiten in der Technik des Fliegens ein für allemal behoben seien. Nur wenige Zeitungen brachten dieses Schreiben. Und noch weniger Leute schenkten ihm Glauben. Kein Mensch regte sich auf deswegen. Nicht einmal, als ein Skandal auf der Treppe eines ersten Picadilly-Hotels, wobei Mr. Butteridge irgendeinen berühmten ausländischen Musiker aus irgendwelchen persönlichen Gründen durchzuprügeln versuchte, den verheißenen Aufstieg verzögerte. Die Zeitungen taten des Rencontres nur höchst oberflächlich Erwähnung und verstümmelten den Namen teilweise zu Betteridge und Betrigde. Tatsächlich vermochte er es bis zu seinem Flug auf keine Weise durchzusetzen, in der öffentlichen Meinung überhaupt zu existieren. Trotz all seines Geschreis waren kaum dreißig Menschen zum Zusehen erschienen, als sich eines Sommermorgens gegen sechs die Tore der großen Halle öffneten, in der er seinen Apparat montiert hatte – es war in der Nähe des großen Megatheriummodells im Kristallpalast –, und sein Rieseninsekt surrend in die ungläubige und interesselose Welt hinausflog.

 

Aber noch ehe er seine zweite Runde um die Türme des Kristallpalasts vollendet hatte, hob Fama ihre Posaune … Tief holte sie Atem. Die aufgeschreckten Vagabunden, die auf den Bänken des Parks schliefen, erwachten durch das Schwirren und sahen ihn um die Nelsonsäule kreisen. Als er bis Birmingham gelangt war – so gegen halb elf – hallte betäubender Schall durchs ganze Land. Geglückt war, woran man bisher verzweifelte … Ein Mensch flog – flog sicher und ruhig. Schottland harrte seiner mit offenem Mund. Gegen eins erreichte er Glasgow, und die Berichte erzählen, kaum eine Werft oder Fabrik in diesem emsigen Industrie- Bienenkorb habe vor halb zwei die Arbeit wieder aufgenommen. Die öffentliche Meinung war just so weit zum Glauben an die Unmöglichkeit des Fliegens erzogen, um Mr. Butteridge in seinem vollen Wert würdigen zu können. Er umkreiste die Universitätsgebäude und senkte sich in Rufweite auf die Menge im Westendpark und den Abhang der Gilmorehöhe herab. Die Maschine flog vollkommen ruhig – in einer Geschwindigkeit von drei Meilen die Stunde – in einem weiten Bogen, mit einem tiefen Summen, das Mr. Butteridges kräftige, sonore Stimme völlig übertönt haben würde, wäre er nicht mit einem Megaphon versehen gewesen. Während er redete, wich er mit größter Behendigkeit Kirchen, hohen Gebäuden und Einschienenkabeln aus …

»Mein Name ist Butteridge!« brüllte er. »B-u-t-t-e-r-i-d-g-e! Haben Sie's? Meine Mutter war Schottin …«

Und nachdem er sich vergewissert hatte, daß man ihn verstanden habe, stieg er unter Hochrufen und Geschrei und patriotischem Hurragebrüll wieder auf und flog sehr rasch und leicht nach dem südwestlichen Himmel, wobei er in seltsam wespenähnlicher Weise in langen Wellenlinien sich hob und senkte.

Seine Rückkehr nach London – er besuchte auf dem Weg Manchester, Liverpool und Oxford, blieb über jeder Stadt stehen und buchstabierte seinen Namen – war ein Ereignis von beispiellosester Sensation. Alle Welt starrte gen Himmel. In den Straßen wurden an diesem einen Tag mehr Menschen überfahren, als sonst in drei Monaten; und ein Dampfer, die »Isaac Walton«, kollidierte mit einem Pfeiler der Westminsterbrücke und rettete sich nur mit knapper Not, indem er – es war Tiefwasserstand – an der Südseite in den Schlamm auflief. Gegen Sonnenuntergang kehrte Mr. Butteridge zum Kristallpalast, diesem klassischen Ausgangspunkt aeronautischer Abenteuer, zurück, lief ohne Unfall wieder in die Halle ein und ließ sofort all den Fotografen und Journalisten, die auf seine Rückkehr gewartet hatten, die Tür vor der Nase zumachen. »Schaut her, Jungens«, sagte er, während sein Assistent dies besorgte, »ich bin todmüde und habe Reitweh. Ich kann tatsächlich kein Wort mehr reden. Bin zu zermürbt. Mein Name ist Butteridge, B-u-t-t-er-i-d-g-e. Merkt's euch. Ich bin ein Empire-Engländer. Morgen will ich zu euch allen sprechen.«

Einzelne nebelhafte Berichte, die dies Ereignis überliefern, existieren noch heute. Sein Assistent inmitten einer anstürmenden Brandung von jungen Leuten in Schlapphüten und unternehmungslustigen Krawatten, mit Notizbüchern und hocherhobenen Kameras in Händen. Er selbst unter der Tür, eine große, breite Erscheinung, mit einem Riesenmaul – einer beredten Höhlung unter einem kolossalen schwarzen Schnauzbart –, verzerrt von dem lauten Schreien, womit er die hartnäckigen Agenten der Öffentlichkeit im Zaum hielt. Da steht er, der berühmteste Mann im ganzen Land. Und – fast symbolisch – hält er in der linken gestikulierenden Hand ein Megaphon …

VI

Tom und Bert Smallways sahen diese Rückkehr beide mit an. Sie standen auf der Höhe von Bun Hill, von wo aus sie so oft die Feuerwerke des Kristallpalastes beobachtet hatten. Bert war aufgeregt; Tom blieb ruhig und schläfrig; aber keiner von beiden begriff, wie dereinst die Früchte dieses Beginnens in ihr eigenes Leben eingreifen würden. »Vielleicht, daß Grubb jetzt 'n bißchen mehr auf seinen Laden aufpaßt«, sagte er, »und sein verdammtes Modell ins Feuer schmeißt. Nicht als ob uns das noch retten könnt', wenn nicht Steinhart seine Forderung stundet.«

Bert wußte genug von der Welt und den Problemen der Aeronautik, um zu begreifen, daß über diese Riesenimitation einer Biene »die Zeitungen den Veitstanz kriegen würden« – um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen. Schon der nächste Tag zeigte klar und deutlich, daß sie wirklich »den Veitstanz« hatten; ihre Spalten waren schwarz von Abbildungen; die Berichte waren überschwenglich; die Titelzeilen schäumten geradezu über. Am folgenden Tag war's noch ärger. Und noch vor Ende der Woche wurden die Zeitungen nicht mehr herausgegeben, sondern gellend und schrillend in den Straßen ausgetragen … Die dominierende Rolle in all dem Aufruhr spielten Mr. Butteridges ungewöhnliche Persönlichkeit und die unerhörten Forderungen, die er für das Geheimnis seiner Maschine stellte …

Denn ein Geheimnis war es, und er wahrte dies Geheimnis aufs sorgfältigste. Er hatte seinen Apparat selbst gebaut, in der sicheren Abgeschlossenheit der großen Kristallpalasthallen und unter Beihilfe stumpfer und gleichgültiger Arbeiter; und am Tag nach seinem Flug nahm er ihn ganz allein auseinander, verpackte gewisse Teile und nahm dann für Verpackung und Verschickung der übrigen technisch unausgebildete und gedankenlose Hilfskräfte. Versiegelte Kisten gingen nach Norden, Osten und Westen an verschiedene Maschinenwerkstätten ab; die Maschinen wurden unter ganz besonderer Sorgfalt versandt. Augenscheinlich waren diese Vorsichtsmaßregeln auch keineswegs überflüssig – angesichts der heftigen Nachfrage nach Fotografien oder irgendwelchen sonstigen Abbildungen der Maschine. Aber Mr. Butteridge war, nach seiner einmaligen Demonstration, augenscheinlich fest entschlossen, sein Geheimnis auf keine Weise durchsickern zu lassen. Er stellte dem britischen Volk einfach die Frage: Wollte es sein Geheimnis oder nicht? Er war, wie er immer wieder erklärte, ein »Empire-Engländer«; und sein erster und letzter Wunsch war, seine Erfindung als Privileg und Monopol des Empire zu sehen. Nur …

Und hier saß der Haken.

Mr. Butteridge war, wie sich zeigte, ein von jeglicher falscher Bescheidenheit – überhaupt von jeglicher Bescheidenheit – freier Mensch; war stets gewillt, Berichterstatter zu empfangen, Fragen jeglicher Art – ausgenommen aeronautische – zu beantworten, Ansichten und Meinungen zu äußern, autographische Notizen, Porträts und Fotografien zu liefern, überhaupt mit seiner Persönlichkeit den ganzen irdischen Himmel zu füllen. Die Bilder, die veröffentlicht wurden, zeigten als Hauptzug immer einen kolossalen schwarzen Schnurrbart und hinter dem Schnurrbart ein grimmigtrotziges Gesicht. Im allgemeinen hatten alle Leute den Eindruck, Butteridge müsse ein kleiner Mann sein. Kein großer Mann, das fühlte man, konnte einen so bösartig herausfordernden Ausdruck haben; obgleich Butteridge in Wirklichkeit eine Höhe von sechs Fuß zwei Zoll und ein dementsprechendes Gewicht besaß. Außerdem hatte er einen Liebeshandel von ungewöhnlichster Ausdehnung und seltsamster Art, und das in der Masse immerhin noch recht anständige englische Volk erfuhr mit Widerwillen und Entsetzen, daß eine mitfühlende Anerkennung dieser Liebesaffäre eine unumgängliche Bedingung für den ausschließlichen Ankauf des unbezahlbaren Geheimnisses seitens des Britischen Empire war. Die Einzelheiten des seltsamen Handels kamen überhaupt nie recht ans Licht. Aber augenscheinlich war die Dame, in einem Moment großzügiger Gedankenlosigkeit, eine Ehe eingegangen mit – ich zitiere einen nicht veröffentlichten Ausspruch Mr. Butteridges – »einem feigherzigen Stinktier«; und dies zoologische Phänomen war – gesetzlicher- und ärgerlicherweise – ein Hindernis für ihr gesellschaftliches Wohlbefinden. Er – Mr. Butteridge – versteifte sich darauf, darüber zu sprechen und die Größe ihres Charakters in der Beleuchtung dieser Unerfreulichkeiten zu demonstrieren. Es war in der Tat eine große Verlegenheit für die Presse, die doch bisher stets mit größter Diskretion gearbeitet hatte, die wohl gewisse »Personalien« – im modernen Sinn – verlangte, aber doch nichts zu Persönliches. Ich wiederhole, es war eine Verlegenheit, so ganz unerbittlich mit Mr. Butteridge großem Herzen konfrontiert zu werden, seine fortwährende Selbstvivisektion mit anzusehen …

Aber Konfrontationen fanden statt – ohne Gnade und Barmherzigkeit. Mr. Butteridge versteifte sich darauf, seinen fürchterlichen Herzmuskel vor den erschreckten Journalisten schlagen und spielen zu lassen – jeglichen Versuch, ihm zu entwischen, vereitelte er. »Seine Liebe sei sein Ruhm«, behauptete er und zwang sie, das niederzuschreiben.

»Das ist ja natürlich eine Privatangelegenheit, Mr. Butteridge«, pflegten sie einzuwenden.

»Ungerechtigkeit, mein Herr, ist immer öffentlich. Was liegt mir daran, ob ich gegen einzelne Persönlichkeiten oder ganze Staaten kämpfe. Was liegt mir daran, ob ich gegen das Weltall ankämpfe. Ich verfechte die Sache eines Weibes, mein Herr, eines Weibes, das ich liebe, mein Herr – eines edlen Weibes – eines unverstandenen Weibes. Und ich werde sie verteidigen, mein Herr, gegen alle vier Winde des Himmels!«

»Ich liebe England!« pflegte er zu sagen, »ich liebe England. Aber den Puritanismus verabscheue ich, mein Herr! Er erfüllt mich mit Abscheu! Er macht mir übel, mein Herr! Nehmen Sie bloß meinen eigenen Fall!«

Er beharrte eigensinnig auf seiner Herzensaffäre. Er beharrte darauf, die Berichte der Interviewer zu sehen. Hatten sie seinem erotischen Geschrei und Getue nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, so flickte er in einer schmierigen, gespreizten Handschrift alles hinein, was sie etwa ausgelassen hatten – alles – und noch mehr …

Es war wirklich eine Verlegenheit für den gesamten britischen Journalismus. Noch nie war eine aufdringlichere und uninteressantere Geschichte aufgetaucht; noch nie hatte die Welt mit weniger Gusto und Sympathie die Geschichte einer Leidenschaft angehört. Andrerseits aber war diese Welt doch voller Neugier auf Mr. Butteridges Erfindung. Wenn es jedoch gelang, Mr. Butteridge für einen Augenblick von der Sache der Dame, die er liebte, abzulenken, so redete er in der Hauptsache, und meist mit Tränen der Zärtlichkeit in der Stimme, von seiner Mutter und seiner Kindheit – seiner Mutter, die eine ganze Skala mütterlicher Tugenden noch durch den Umstand krönte, daß sie »Schottin« war. Ganz echt war sie nicht, aber fast. »Alles verdanke ich meiner Mutter«, versicherte er, »alles!« Und: »Fragen Sie doch jeden Mann, der was geleistet hat – Sie werden immer dasselbe hören. Alles, was wir haben, verdanken wir dem Weib. Das Weib – Herr – das ist die Gattung! Der Mann ist nichts als ein Traum. Er kommt und geht … Des Weibes Seele führt uns empor … und immer weiter …«

Immerzu quatschte er so …

Was er eigentlich von der Regierung verlangte für sein Geheimnis, war nicht recht klar; auch nicht, was, außer einer Geldentschädigung, in derartigen Dingen von einem modernen Staat zu erwarten war. Er wirkte im allgemeinen auf kritische Beobachter weniger wie ein Mensch, der irgend etwas erreichen will, als vielmehr wie einer, der eine seltene Gelegenheit ausnutzt, um der Welt seine eigene Persönlichkeit aufzudrängen. Allerlei Gerüchte über ihn waren im Umlauf. Einige davon behaupteten, er sei der Besitzer eines großen Hotels in Kapstadt gewesen und habe als solcher einen sehr schüchternen, freundlosen Erfinder, namens Palliser, der in einem vorgeschrittenen Stadium von Lungenschwindsucht von England nach Südafrika gekommen und dort gestorben war, beherbergt, habe ihm seine Experimente abgelauscht und schließlich seine Papiere und Pläne gestohlen. Dies war die Lesart der amerikanischen Presse. Aber weder Beweis noch Gegenbeweis drangen je in die Öffentlichkeit.

 

Mr. Butteridge ließ sich fernerhin auch in äußerst heftige Streitereien um den Besitz einer Menge von wertvollen Geldpreisen ein. Einige von ihnen waren schon im Jahr 1906 für erfolgreiches mechanisches Fliegen ausgesetzt worden. Als Mr. Butteridge seinen Erfolg erlebte, hatten sich schon eine ganz beträchtliche Anzahl von Zeitungen – verführt durch das unbestraft gebliebene Sichüberbieten zu Beginn des Spiels – verpflichtet, geradezu überwältigende Summen an die erste Person zu zahlen, die von Manchester nach Glasgow, von London nach Manchester, einhundert englische Meilen – zweihundert englische Meilen usw. fliegen würde. Die meisten hatten sich freilich hinter allerhand doppelsinnigen Bedingungen verschanzt und streikten jetzt; eine oder die andere aber zahlte glatt und trompetete dies mit Macht heraus. Und Mr. Butteridge prozessierte eifrigst mit den Widerspenstigen, während er gleichzeitig aufs heftigste agitierte, um der Regierung den Ankauf seiner Erfindung mundgerecht zu machen …

Eins jedenfalls blieb durch alle Entwicklungsstadien der Sache hindurch, hinter Butteridges alberner Liebesaffäre, hinter all seiner Politik und Persönlichkeit, seinem Geschrei und Geprahle, bestehen: nämlich, daß er – soweit man wußte – im alleinigen Besitz des Geheimnisses des lenkbaren Aeroplans war, der – man mochte sagen was man wollte – der Schlüssel war zur künftigen Herrschaft der Welt. Und bald zeigte es sich – zur Bestürzung zahlreicher Leute, unter ihnen Mr. Bert Smallways –, daß alle Unterhandlungen der britischen Regierung in betreff der Erwerbung des unschätzbaren Geheimnisses ins Wasser zu fallen drohten. Das Londoner »Tägliche Requiem« war das erste Blatt, das diesem allgemeinen Alarm Ausdruck verlieh und unter dem verfänglichen Titel »Mr. Butteridge spricht sich aus« ein Interview veröffentlichte.

In diesem schüttete der Erfinder – wenn er ein Erfinder war – sein Herz aus.

»Ich bin vom Ende der Welt gekommen«, sagte er – was die Kapstadtgeschichte zu bestätigen schien –, »um meinem Mutterland das Geheimnis zu bringen, das ihm die Herrschaft der Welt sichern soll. Und was ist mein Dank?« Er machte eine Pause. »Ein Haufe von ältlichen Mandarinen rümpft über mich die Nase … Und das Weib, das ich liebe, wird behandelt wie eine Aussätzige! … Ich bin ein Empire-Engländer!« fuhr er in einem großartigen Kraftausbruch (den er nachträglich eigenhändig in das Interview hineinkorrigierte) fort. »Aber das menschliche Herz hat seine Grenzen! Es gibt noch jüngere Nationen – lebende Nationen! Nationen, die nicht in hilflosen Anfällen von Dickblütigkeit auf Betten von Formalität und rotem Siegellack schnarchen und gurgeln! Es gibt Nationen, die nicht die Herrschaft der Welt von sich werfen, nur um einen unbekannten Mann zu kränken und ein edles Weib, dessen Schuhriemen zu lösen sie nicht wert sind, zu beleidigen! Es gibt Nationen, die nicht blind sind für Wissenschaft, die nicht mit Haut und Haar dem Snobismus und verlotterten Dekadententum verfallen sind! Kurz – merken Sie auf meine Worte: – Es gibt noch andere Nationen!« …

Diese Rede war es, die auf Bert Smallways ganz besonderen Eindruck machte. »Wenn die Deutschen oder die Amerikaner die Geschichte in die Hände kriegen«, sagte er mit Nachdruck zu seinem Bruder, »so ist's mit dem Britischen Empire aus! Futsch! Und unsere Flagge ist dann kaum mehr das Zeug wert, aus dem sie zusammengeflickt ist, Tom!«

»Du könnt'st uns wohl nicht 'n bißchen helfen heut morgen«, sagte Jessika in die beredte Pause hinein. »Es ist, als ob ganz Bun Hill gleichzeitig neue Kartoffeln brauchte! Tom kann kaum die Hälfte austragen.«

»Wir leben auf einem Vulkan«, sagte Bert, dies Ansinnen glatt ignorierend. »Jeden Augenblick kann der Krieg ausbrechen – und was für ein Krieg!«

Und er schüttelte unheilverkündend sein Haupt.

»Am besten, du nimmst zuerst die da, Tom!« sagte Jessika. Dann wandte sie sich energisch zu Bert. »Hast du Zeit heut morgen?« fragte sie.

»Werd' schon!« sagte Bert. »Das Geschäft ist ruhig heut morgen … Nur daß all diese Gefahr fürs Empire mich ganz schrecklich umtreibt.«

»Wirst's schon vergessen über der Arbeit«, sagte Jessika.

Bald darauf schritt er hinaus in eine Welt des Wandels und der Wunder, tiefgebeugt unter einer Last von Kartoffeln und patriotischer Unsicherheit, die sich schließlich zu einem sehr deutlichen Ärger über das Gewicht und die Schwere und Stillosigkeit der Kartoffeln und einer durchaus klaren Empfindung von Jessikas gänzlicher Verabscheuungswürdigkeit gestaltete.