Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Die­ses Mal mach­te sie ein zor­ni­ges Ge­sicht und rief laut:

»Ich wer­de mir Ihret­we­gen noch eine Krank­heit zu­zie­hen; ich kann nicht fort, so­lan­ge Sie da sind.«

Nun stand ich auf und ging fort, nicht ohne mich öf­ters um­zu­wen­den. Als sie mich weit ge­nug ent­fernt glaub­te, stieg sie in halb­ge­bück­ter Stel­lung aus dem Was­ser her­aus, wo­bei sie mir den Rücken zu­dreh­te. Dann ver­schwand sie in ei­ner Fels­s­pal­te hin­ter ei­nem vor dem Ein­gang auf­ge­häng­ten Rock.

Am nächs­ten Tage ging ich wie­der hin. Sie war noch im Bade, aber dies­mal in voll­stän­di­gem Ko­stüm, und zeig­te mir laut la­chend ihre per­len­wei­ßen Zäh­ne.


Nach acht Ta­gen hat­ten wir uns an­ge­freun­det, und nach wei­te­ren acht Ta­gen wa­ren wir schon ganz in­tim.

Sie hiess Mar­ro­ca, zwei­felsoh­ne ein Spitz­na­me, den sie aus­sprach, wie wenn er ein Dut­zend »r« ent­hiel­te. Die Toch­ter spa­ni­scher An­sied­ler, hat­te sie einen Fran­zo­sen na­mens Pon­ta­be­ze ge­hei­ra­tet. Ihr Mann hat­te ir­gend einen Staats­pos­ten, aber ich habe nie recht er­fah­ren kön­nen, wel­cher Art ei­gent­lich sei­ne Be­schäf­ti­gung war. Ich er­fuhr nur, dass er im­mer sehr viel zu tun hat­te, und das Üb­ri­ge konn­te mir ja auch gleich­gül­tig sein.

Von nun an ver­leg­te sie ihre Ba­de­zeit und hielt je­den Tag nach dem Ga­bel­früh­stück mit mir in mei­nem Hau­se die Sies­ta. Welch eine Sies­ta! Das soll man Er­ho­lung nen­nen!

Ich habe wirk­lich sel­ten ein so herr­li­ches Weib ge­se­hen; ihr Ty­pus er­in­ner­te et­was an ein Raub­tier, aber sie war zu ent­zückend. Ihre Au­gen schie­nen im­mer vor Lei­den­schaft zu strah­len; ihr halb­of­fe­ner Mund, ihre schar­fen Zäh­ne, ja selbst ihr La­chen deu­te­te auf eine sinn­li­che Wild­heit hin. Ihre wun­der­vol­le straf­fe und hoch­ge­wölb­te Büs­te, gleich flei­schi­gen Äp­feln, war so schmieg­sam wie eine Sprung­fe­der und ver­mehr­te bei ih­rem Kör­per den Ein­druck des Tie­ri­schen, mach­te sie ge­wis­ser­mas­sen zu ei­nem un­ter­ge­ord­ne­ten und doch er­ha­be­nen Ge­schöp­fe, des­sen An­blick in mir die Vor­stel­lung von je­nen Lie­bes­göt­tin­nen des Al­ter­tums er­weck­te, de­ren Mys­te­ri­en man sich un­ge­zwun­gen in Hai­nen und Wäl­dern hin­gab.

Nie­mals schlug ein Herz mit un­be­zähm­ba­re­rem Ver­lan­gen als das im Bu­sen die­ser Frau. Ihrem flam­men­den Feu­er, das sich in wil­den Seuf­zern, im Knir­schen der Zäh­ne, in Zu­ckun­gen und in Beis­sen kund­gab, folg­te fast eben­so rasch eine tie­fe to­te­s­ähn­li­che Ohn­macht. Aber dann wach­te sie plötz­lich wie­der in mei­nen Ar­men auf, zu neu­en Lieb­ko­sun­gen und Genüs­sen be­reit, in­dem sie mich mit ih­ren Küs­sen fast er­stick­te.

Ihr Ver­stand war nicht ge­ra­de sehr her­vor­ra­gend, und ließ jede hö­he­re Bil­dung ver­mis­sen; ein hel­les La­chen ver­trat meis­tens bei ihr die Stel­le der Ge­dan­ken. In dem in­stink­ti­ven Be­wusst­sein ih­rer Schön­heit ver­ab­scheu­te sie selbst die leich­tes­te Hül­le, und in mei­nem Hau­se ging, lief und hüpf­te sie mit ei­ner eben­so harm­lo­sen wie zu­ver­sicht­li­chen Un­ge­niert­heit her­um. Wenn sie schliess­lich der Zärt­lich­keit ge­nug ge­tan hat­te, schlief sie, er­schöpft von Seuf­zern und Lie­bes­an­stren­gun­gen, ne­ben mir auf dem Di­van einen kräf­ti­gen ge­sun­den Schlaf, wäh­rend die drücken­de Hit­ze auf ih­rer brau­nen Haut klei­ne Schweiß­perl­chen her­vor­zau­ber­te. Von ih­ren un­ter dem Kopf ge­kreuz­ten Ar­men, von ih­ren Schul­tern, aus all’ den ver­bor­ge­nen Fal­ten ih­res Kör­pers ström­te je­ner un­nenn­ba­re Duft aus, der uns Män­ner so sehr be­rauscht.

Zu­wei­len kam sie abends noch­mals wie­der, wenn ihr Mann ir­gend­wo dienst­lich ab­ge­hal­ten war. Wir mach­ten es uns dann, nur not­dürf­tig mit den fei­nen fal­ti­gen Ge­we­ben des Ori­ents be­klei­det, auf der Ter­ras­se be­quem.

Wenn der vol­le leuch­ten­de Mond der Tro­pen­län­der am ho­hen Him­mel stand und Stadt und Golf mit der sie ein­sch­lies­sen­den Ge­birgs­ket­te ver­klär­te, dann sa­hen wir auf all’ den an­de­ren Ter­ras­sen ein Heer von stum­men Geis­ter­ge­stal­ten lie­gen, wie­der auf­ste­hen, ihre Plät­ze wech­seln und sich bei der er­schlaf­fen­den Schwü­le der wind­stil­len Nacht wie­der nie­der­le­gen.

Trotz der Hel­lig­keit die­ser süd­li­chen Näch­te be­stand Mar­ro­ca stets dar­auf, sich ohne jede Klei­dung und noch dazu im volls­ten Mond­licht nie­der­zu­le­gen. Ihr war es gleich­gül­tig, ob an­de­re uns viel­leicht se­hen könn­ten; und zu­wei­len schall­ten trotz mei­ner ängst­li­chen Bit­ten ihre lau­ten Schreie durch die Nacht, wor­auf dann in der Fer­ne die Hun­de heu­lend Ant­wort ga­ben.

Als ich ei­nes Abends un­ter dem ho­hen stern­be­sä­e­ten Him­mels­zelt schon ent­schlum­mert war, knie­te sie vor mir auf dem Tep­pich nie­der, und in­dem sie ihre großen vol­len Lip­pen mei­nem Mun­de nä­her­te, sag­te sie:

»Du musst ein­mal bei mir zu Hau­se schla­fen.«

»Wie? Bei Dir?« frag­te ich ver­ständ­nis­los.

»Ja, wenn mein Mann fort­ge­gan­gen ist, sollst Du sei­nen Platz ein­neh­men.«

Ich konn­te ein lau­tes La­chen nicht un­ter­drücken.

»Aber warum das nur, wo Du ja im­mer hier­her kommst?«

Sie sprach mir ihre Ant­wort fast in den Mund hin­ein, so­dass ihr war­mer Odem mir in die Keh­le drang und sein Hauch mei­nen Schnurr­bart be­feuch­te­te:

»Ich muss eine Erin­ne­rung an Dich ha­ben.« Und das »r« in dem Wort Erin­ne­rung roll­te über ihre Lip­pen wie ein Giess­bach, der über Fel­sen stürzt.

Ich ver­stand im­mer noch nicht, was sie ei­gent­lich woll­te.

»Wenn Du nicht mehr da sein wirst«, sag­te sie, ihre Arme um mei­nen Na­cken schlin­gend, »wer­de ich im­mer dar­an den­ken; und wenn ich mei­nen Mann küs­se, wer­de ich glau­ben, Du wärst es.«

Und die »arrr« und »errr« klan­gen bei ih­rer Art zu spre­chen jetzt fast wie ent­fern­ter Don­ner.

»Du bist nicht bei Sin­nen«, sag­te ich halb ge­rührt, halb be­lus­tigt. »Ich zie­he es doch vor, in mei­nem Hau­se zu blei­ben.«

Ich muss näm­lich ge­ste­hen, dass ich an die­sen Ren­dez­vous un­ter dem Da­che des Gat­ten gar kei­nen Ge­schmack fin­de; es sind dies die Mäu­se­fal­len, in de­nen man die Dum­men fängt. Sie aber ließ mit Bit­ten und Fle­hen nicht nach und wein­te so­gar schliess­lich.

»Du wirst se­hen, wie zärt­lich ich mit Dir sein wer­de«, füg­te sie hin­zu.

Das »zärrrt­lich« klang wie der Wir­bel ei­nes Tam­bours, der zum Stur­me schlägt.

Ihr Wunsch kam mir so merk­wür­dig vor, dass ich mir ihn gar nicht er­klä­ren konn­te; bei län­ge­rem Nach­den­ken glaub­te ich je­doch, es sei ir­gend ein tiefer Hass ge­gen ih­ren Mann dar­un­ter ver­bor­gen, die stil­le Rach­sucht viel­leicht ei­ner Frau, die mit Won­ne den ihr wi­der­wär­ti­gen Gat­ten be­trügt, und die­sen Be­trug noch ver­grös­sern möch­te, in­dem sie den­sel­ben in sei­nem Hau­se, auf sei­nen Mö­beln, in sei­nen Kis­sen voll­zieht.

»Ist Dein Mann sehr schlecht ge­gen Dich?« frag­te ich sie.

»O nein«, ent­geg­ne­te sie mit er­staun­ter Mie­ne, »so­gar sehr gut.«

»Aber Du liebst ihn wohl Dei­ner­seits nicht?«

Sie sah mich mit ih­ren großen fra­gen­den Au­gen an:

»Doch, ich lie­be ihn sehr, im Ge­gen­teil, so­gar ganz aus­ser­or­dent­lich; aber nicht so sehr, wie ich Dich lie­be, mein Herrrz!«

Ich ver­stand von al­le­dem nichts, und wäh­rend ich noch über des Rät­sels Lö­sung nach­dach­te, er­drück­te sie mei­nen Mund mit ei­ner je­ner Schmei­che­lei­en, de­ren Ein­fluss auf mich sie hin­rei­chend kann­te.

»Sag’, wirst Du kom­men?« frag­te sie lei­se.

Ich konn­te mich aber nicht ent­sch­lies­sen. Da klei­de­te sie sich schleu­nigst an und ging fort.

Acht Tage ver­stri­chen, ohne dass ich sie zu se­hen be­kam. Am neun­ten er­schi­en sie wie­der, blieb mit erns­ter Mie­ne auf der Schwel­le ste­hen und frag­te:

»Willst Du die­se Nacht bei mirr in mei­nen Arrr­men rru­hen? Kommst Du nicht, so war ich zum letz­ten Male hier.«

Acht Tage, lie­ber Freund, ist eine lan­ge Zeit, und in Afri­ka kom­men sie ei­nem wie ein Mo­nat vor.

»Ja!« rief ich, die Arme öff­nend, in die sie sich mit ei­nem Freu­den­schrei stürz­te.

Als die Nacht her­ein­ge­bro­chen war, war­te­te sie in ei­ner be­nach­bar­ten Stras­se auf mich und ge­lei­te­te mich zu ih­rem Heim.

Sie be­wohn­ten in der Nähe des Ha­fens ein klei­nes nied­ri­ges Haus. Wir durch­schrit­ten zu­erst eine Kü­che, die zu­gleich als Spei­se­zim­mer diente, und ge­lang­ten dann in ein weiß­ge­tünch­tes sau­be­res Ge­mach mit Fo­to­gra­fi­en der Ver­wand­ten an den Wän­den und Pa­pier­blu­men un­ter Glas­glo­cken. Mar­ro­ca schi­en vor Freu­de när­risch ge­wor­den zu sein.

»Jetzt bist Du hier, jetzt bist Du zu Hau­se!« rief sie, im Zim­mer um­her­tan­zend, ein über das an­de­re Mal aus.

Und ich tat wirk­lich, als ob ich zu Hau­se wäre. An­fangs war ich et­was ver­le­gen, das muss ich ge­ste­hen, ja so­gar et­was ängst­lich. Als ich zö­ger­te, in die­ser frem­den Woh­nung mich ei­nes ge­wis­sen Klei­dungs­stückes zu ent­le­di­gen, ohne dass ein Mann, wenn er über­rascht wird, eben­so lin­kisch wie lä­cher­lich er­scheint und zu je­der Hand­lungs­wei­se un­fä­hig wird, ent­riss sie es mir mit Ge­walt und trug es mit mei­nen an­de­ren Sa­chen in das be­nach­bar­te Ge­mach.

End­lich fand ich mei­ne Si­cher­heit wie­der und such­te ihr dies nach Kräf­ten und so gut zu be­wei­sen, dass wir nach Ver­lauf von zwei Stun­den noch nicht an Ruhe dach­ten, als plötz­lich lau­te Schlä­ge ge­gen die Türe uns er­zit­tern Hes­sen.

 

»Ich bin’s, Mar­ro­ca!« rief eine star­ke männ­li­che Stim­me.

»Mein Mann! Schnell, ver­birg Dich un­term Bett!« flüs­ter­te sie, in die Höhe fah­rend. Ganz ver­wirrt such­te ich nach mei­nen Bein­klei­dern, aber sie dräng­te mich: »Geh doch, geh doch!«

Ich streck­te mich der Län­ge nach auf dem Bau­che aus und lag nun laut­los un­ter die­sem Bet­te, auf wel­chem es mir so wohl ge­we­sen war.

Sie schlüpf­te in die Kü­che. Ich hör­te, wie sie einen Schrank öff­ne­te, ihn wie­der schloss und ir­gen­det­was her­bei­brach­te, das ich nicht se­hen konn­te, das sie aber schnell ir­gend wo­hin leg­te; dann, als ihr Mann un­ge­dul­dig wur­de, ant­wor­te­te sie mit fes­ter ru­hi­ger Stim­me: »Ich fin­de die Streich­höl­zerrr nicht.«

»Ah, jetzt habe ich sie«, rief sie dann plötz­lich, »ich öff­ne schon.« Und sie ging hin­aus.

Ihr Mann kam her­ein. Ich sah nur sei­ne Füs­se, zwei enor­me Füs­se. Wenn das Üb­ri­ge dazu im Ver­hält­nis stand, so müss­te es ein wah­rer Hüne sein.

Ich hör­te Küs­se, dann einen Patsch auf die blos­se Haut und La­chen.

»Ich habe mei­ne Bör­se ver­ges­sen«, sag­te er mit Mar­seil­ler Ak­zent, »des­halb muss­te ich um­keh­ren. Hof­fent­lich kannst Du nach­her ru­hig schla­fen.«

Er be­gab sich an die Kom­mo­de und such­te lan­ge, was ihm fehl­te, wäh­rend Mar­ro­ca sich auf ihr Bett warf, als käme sie vor Mü­dig­keit um. Hier­auf ging er wie­der zu ihr hin und ver­such­te zwei­fel­los sei­ne Zärt­lich­keit an ihr, denn sie über­häuf­te ihn in wir­ren Re­dens­ar­ten mit ei­ner Flut von rol­len­den »r«.

Ihre Füs­se wa­ren mir so nahe, dass mich ein tö­rich­tes, sinn­lo­ses und un­er­klär­li­ches Ver­lan­gen er­griff, sie lei­se zu strei­cheln. Glück­li­cher­wei­se konn­te ich mich noch be­herr­schen.

Er schi­en sei­nen Zweck üb­ri­gens nicht zu er­rei­chen, denn er wur­de är­ger­lich und sag­te:

»Du bist sehr un­lie­bens­wür­dig heu­te.« Aber schliess­lich muss­te er ge­hen. »Adieu Klei­ne.«

Ein neu­er Kuss, die großen Füs­se wand­ten sich fort und ver­schwan­den in der Kü­che. Die Hau­stü­re schloss sich wie­der.

Ich war er­löst!

Lang­sam, be­schämt und nie­der­ge­schla­gen ver­liess ich mein Ver­steck; und wäh­rend Mar­ro­ca, im­mer noch ganz un­be­klei­det, laut la­chend und mit den Hän­den klat­schend um mich her­um­tanz­te, ließ ich mich schwer­fäl­lig auf einen Stuhl fal­len. Aber mit ei­nem Sat­ze sprang ich wie­der in die Höhe; et­was Kal­tes lag un­ter mir, und da ich nicht mehr an hat­te, als mei­ne Ge­fähr­tin, so war mir die­se Berüh­rung sehr emp­find­lich ge­we­sen.

Als ich mich um­wand­te, sah ich, dass ich mich auf ein klei­nes Beil ge­setzt hat­te, scharf wie eine Mes­ser­klin­ge, wie man es zum Holz­spal­ten ge­braucht. Wie war es da­hin ge­kom­men? Beim Ein­tre­ten hat­te ich es noch nicht be­merkt.

Mar­ro­ca sah mei­nen er­staun­ten Blick und lach­te über­laut, sie schrie vor Ver­gnü­gen, wäh­rend sie sich vor La­chen die Sei­ten hielt.

Ich fand die­ses La­chen sehr we­nig am Plat­ze; es är­ger­te mich or­dent­lich. Wir hat­ten doch ein­fach um un­ser Le­ben ge­spielt; es über­lief mich noch kalt, wenn ich dar­an dach­te. Und nun die­ses fast be­lei­di­gen­de La­chen!


»Wenn Dein Mann mich nun aber ent­deckt hät­te?« frag­te ich.

»Kei­ne Not«, ant­wor­te­te sie kurz.

»Was, kei­ne Not?« Sie ist när­risch ge­wor­den, dach­te ich. »Er brauch­te sich doch nur zu bücken, um mich zu be­mer­ken!«

Sie lach­te nicht mehr; sie lä­chel­te nur noch, in­dem sie mich mit ih­ren großen star­ren Au­gen an­sah, in de­nen neue Be­gehr­lich­keit auf­flamm­te.

»Er hät­te sich nicht ge­bückt.«

»Aber er­lau­be ’mal«, fuhr ich fort, »er brauch­te z. B. nur sei­nen Hut fal­len zu las­sen. Er hät­te ihn doch si­cher auf­ge­ho­ben, und dann … mir wäre es nett ge­gan­gen in die­sem Ko­stüm da.«

Sie leg­te ihre run­den kräf­ti­gen Arme auf mei­ne Schul­tern, und ihre Stim­me mäs­si­gend, als woll­te sie sa­gen, »ich bete Dich an«, mur­mel­te sie lei­se:

»Errr hät­te sich nicht wie­derr auf­gerr­rich­tet.«

»Wie­so denn?« frag­te ich ver­ständ­nis­los.

Sie zwin­ker­te bos­haft mit ei­nem Auge und streck­te ihre Hand nach dem Stuh­le aus, auf dem ich sass. Ihre ge­krümm­ten Fin­ger, die Fal­ten auf ih­ren Wan­gen, die spit­zen glän­zen­den Raub­tier­zäh­ne, das al­les zeig­te mir schon, wozu das klei­ne Holz­beil die­nen soll­te, des­sen schar­fe Schnei­de im Lich­te glänz­te.

Sie tat, als ob sie es er­grif­fe, zog mich mit der lin­ken Hand ganz nahe an sich her­an, press­te ihre Hüf­te an die mei­ni­ge und führ­te mit der rech­ten eine Be­we­gung aus, wie wenn man ei­nem kni­en­den Men­schen den Kopf spal­tet …

*

Nun weißt Du, lie­ber Freund, was man hier­zu­lan­de un­ter ehe­li­cher Treue, Lie­be und Gast­freund­schaft ver­steht.

*

Mohammed Cripouille

Wol­len wir den Kaf­fee auf dem Da­che ein­neh­men?« frag­te mich der Ka­pi­tän.

»Na­tür­lich, sehr gern«, ant­wor­te­te ich. Er er­hob sich. Es wur­de in dem nach mau­ri­scher Bau­art nur vom Hofe her er­leuch­te­ten Saa­le schon fins­ter. Vor den ho­hen Spitz­bo­gen­fens­tern rank­ten sich die Lia­nen von der großen Ter­ras­se her­un­ter, auf der man die war­men Som­mer­aben­de zu­zu­brin­gen pfleg­te. Auf der Ta­fel stan­den nur noch Früch­te, die rie­si­gen Früch­te Afri­kas, Wein­trau­ben von Pflau­men­grös­se, Fei­gen so weich, dass die Haut vio­lett war, gel­be Bir­nen, schlan­ke und di­cke Bana­nen, schliess­lich in ei­nem sil­ber­nen Körb­chen die köst­li­chen Dat­teln von Tu­gurt.

Der mau­ri­sche Die­ner öff­ne­te die Tür und ich stieg die Trep­pe her­auf, de­ren Wän­de durch das von oben ein­fal­len­de Licht des sin­ken­den Ta­ges­ge­stirns azur­far­ben leuch­te­ten.

Bald hat­te ich die Ter­ras­se er­klom­men, nicht ohne einen leb­haf­ten Ruf der Be­frie­di­gung aus­zu­stos­sen. Denn man sah von hier aus Al­gier, den Ha­fen, die Rhe­de und so­gar die ent­fern­ter lie­gen­den Küs­ten.

Das Haus, wel­ches sich der Ka­pi­tän ge­kauft hat­te, war eine alte ara­bi­sche Woh­nung und lag im Zen­trum der Stadt zwi­schen den la­by­rinthar­ti­gen Gäss­chen, in de­nen die ein­ge­bo­re­ne Be­völ­ke­rung der afri­ka­ni­schen Küs­te hau­set.

Un­ter uns stie­gen die fla­chen vier­e­cki­gen Dä­cher wie rie­si­ge Stu­fen bis zu den schrä­gen Dä­chern der eu­ro­päi­schen Stadt em­por. Hin­ter die­sen be­merk­te man die Mas­ten ver­an­ker­ter Schif­fe, dann sah man schliess­lich das Meer in sei­ner vol­len Grös­se blau und ru­hig un­ter dem blau­en und ru­hi­gen Him­mel.

Wir streck­ten uns auf wei­chen Mat­ten, den Kopf von Kis­sen ge­stützt; und lang­sam den köst­li­chen Kaf­fee zur Nei­ge schlür­fend, sah ich dem Er­schei­nen der ers­ten Ster­ne am dunklen Ho­ri­zont zu. Man be­merk­te sie kaum erst, so weit ent­fernt und fahl, wie eben an­ge­zün­de­te Lämp­chen sa­hen sie aus.

Eine leich­te Wär­me, bes­ser ge­sagt eine ge­flü­gel­te Wär­me, um­schmei­chel­te die Schlä­fen. Zu­wei­len kam ein heis­se­rer, drücken­de­rer Hauch mit ei­nem un­be­stimm­ba­ren Duf­te, dem Duft Afri­kas, zu uns her­über; es war der Odem der na­hen Wüs­te, der über die Hü­gel des At­las her uns um­weh­te.

»Welch ein Land!« sag­te der Ka­pi­tän, be­hag­lich auf dem Rücken lie­gend. »Wie an­ge­nehm ist das Le­ben, wie er­qui­ckend, wie wohl­tu­end die Ruhe! Sind die­se Näch­te nicht zum Träu­men ge­schaf­fen?«

Ich be­trach­te­te im­mer noch die auf­ge­hen­den Ster­ne mit ei­ner be­hag­li­chen und zu­gleich leb­haf­ten Neu­gier­de, mit ei­ner Art ein­schlä­fern­den Wohl­be­fin­dens.

»Sie könn­ten mir ei­gent­lich wohl et­was aus Ihrem Le­ben im Sü­den er­zäh­len«, sag­te ich.

Ka­pi­tän Mar­ret war ei­ner der äl­tes­ten Afri­ka­ner un­se­rer Ar­mee, ein al­ter Spa­hi, der von der Pike auf ge­dient und sich mit dem Sä­bel in der Faust sei­nen jet­zi­gen Rang er­wor­ben hat­te.

Sei­nen Lie­bens­wür­dig­kei­ten, sei­nen freund­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen ver­dank­te ich eine herr­li­che Wüs­ten­rei­se, und ich hat­te ihm die­sen Abend für al­les dan­ken wol­len, ehe ich nach Frank­reich zu­rück­kehr­te.

»Wel­che Art von Ge­schich­ten zie­hen Sie vor?« frag­te er; »es sind mir wäh­rend der zwölf Jah­re Wüs­ten­le­bens so vie­le Aben­teu­er pas­siert, dass ich sie fast schon ver­ges­sen habe.«

»Er­zäh­len Sie mir von den ara­bi­schen Frau­en«, bat ich.

Er ant­wor­te­te nicht, son­dern blieb, die Hän­de rück­wärts un­ter den Kopf ge­legt, auf sei­ner Mat­te lie­gen. Ich ver­spür­te nur zu­wei­len den Rauch sei­ner vor­treff­li­chen Zi­gar­re, der sich ker­zen­gra­de in die­ser wind­stil­len Nacht em­por­rin­gel­te. Dann brach er plötz­lich in ein herz­li­ches La­chen aus:

»Ach ja! Eine ko­mi­sche Ge­schich­te aus mei­ner ers­ten Zeit in Afri­ka muss ich Ih­nen er­zäh­len.

Wir hat­ten da­mals in der afri­ka­ni­schen Ar­mee noch ganz son­der­ba­re Käu­ze, wie man sie jetzt nicht mehr kennt; Leu­te, de­ren Ty­pus Sie so er­götzt hät­te, dass Sie Ihr gan­zes Le­ben hät­ten in die­sem Lan­de zu­brin­gen mö­gen.

Ich war da­mals noch ein­fa­cher Spa­hi, ein klei­ner Spa­hi von zwan­zig Jah­ren, ganz blond, ein Toll­kopf, da­bei ge­schmei­dig und kräf­tig, kurz ein Sol­dat, lie­ber Freund, wie man sie in Afri­ka braucht. Man hat­te mich dem Mi­li­tär­pos­ten von Bo­g­har zu­ge­teilt. Sie ken­nen Bo­g­har, das man den Al­tan des Sü­dens nennt; Sie ha­ben von der Spit­ze des Forts die­ses glü­hen­de, aus­ge­saug­te, nack­te, von Win­den durch­weh­te, stei­ni­ge und raue Land ge­se­hen. Es ist wirk­lich das Vor­zim­mer der Wüs­te, die glü­hen­de stol­ze Gren­ze der un­er­mess­li­chen Re­gi­on der gel­ben Ein­sam­keit.

Gut! Wir wa­ren in Bo­g­har un­ge­fähr vier Dut­zend Spa­his, eine mun­te­re Ge­sell­schaft, fer­ner eine Es­ka­dron Chas­seurs d’Afri­que, als wir ei­nes Ta­ges hör­ten, dass der Stamm der Ou­led-Berg­hi einen eng­li­schen Rei­sen­den er­mor­det habe. Nie­mand wuss­te, wie der Mann es fer­tig ge­bracht hat­te, in das In­ne­re zu ge­lan­gen; aber die Eng­län­der ha­ben den Teu­fel im Lei­be.

Ge­rech­tig­keit muss­te nun we­gen die­ses Ver­bre­chens an ei­nem Eu­ro­pä­er ge­übt wer­den; in­des­sen der Ober­kom­man­dant zö­ger­te mit Ab­sen­dung ei­ner Ko­lon­ne, da er einen Eng­län­der viel­leicht so viel Auf­he­bens gar nicht für wert hielt.

Da plötz­lich mach­te ein Wacht­meis­ter der Spa­his, als der Kom­man­dant noch mit dem Lieu­ten­ant wäh­rend des Rap­ports über die­se An­ge­le­gen­heit sprach, den Vor­schlag, den Stamm zu züch­ti­gen, wenn man ihm nur sechs Mann mit­ge­ben wol­le.

Sie wis­sen, dass man im Sü­den et­was frei­er ist, als in den städ­ti­schen Gar­ni­so­n­en, und dass zwi­schen Of­fi­zie­ren und Mann­schaf­ten eine Art Ka­me­rad­schaft be­steht, die man sonst nicht kennt.

Bei den Wor­ten des Wacht­meis­ters lach­te der Ka­pi­tän.

»Du, mein Bra­ver?«

»Ja­wohl, mein Ka­pi­tän! Und wenn’s ver­langt wird, füh­re ich Ih­nen den gan­zen Stamm als Ge­fan­ge­ne her.«

Der Kom­man­dant, der viel auf den Zu­fall gab, nahm ihn beim Wort:

»Mor­gen früh kannst Du mit sechs Mann Dei­ner Wahl ab­mar­schie­ren, und hol’ Dich der Teu­fel, wenn Du Dein Wort nicht hältst.«

Der Un­ter­of­fi­zier lach­te in sei­nen Bart:

»Sei­en Sie un­be­sorgt, mein Kom­man­dant! Spä­tes­tens Mitt­woch Mit­tag sind die Ge­fan­ge­nen hier.«

Die­ser Wacht­meis­ter, Mo­ham­med Fri­pouil­le, wie wir ihn nann­ten, war ein äus­serst ver­schla­ge­ner Kerl, ein Tür­ke, ein ganz ech­ter, der nach ei­nem viel­be­weg­ten und zwei­fel­los et­was dunklem Le­ben in fran­zö­si­sche Diens­te ge­tre­ten war. Er war viel her­um­ge­kom­men, in Grie­chen­land, Klein­asi­en, Ägyp­ten, Pa­läs­ti­na, und moch­te auf die­sem Wege man­che hüb­sche Ge­schich­te aus­ge­fres­sen ha­ben. Er war ein ech­ter Ba­schi-Bo­zuk, kühn, zü­gel­los, wild und lus­tig, aber von der ru­hi­gen Art der Ori­en­ta­len. Er war dick, sehr dick so­gar, aber ge­wandt wie ein Affe, und ritt ganz vor­züg­lich. Sei­ne un­ver­hält­nis­mäs­sig lan­gen und di­cken Schnurr­bar­ten­den mach­ten auf mich stets den Ein­druck zwei­er ge­kreuz­ter Krumm­sä­bel. Er hass­te die Ara­ber wie die Pest und be­han­del­te sie, wo er konn­te, mit aus­ge­such­ter tücki­scher Grau­sam­keit; stets hat­te er neue Sch­li­che, ir­gend eine raf­fi­nier­te Schlech­tig­keit für sie in Be­reit­schaft.

 

Aus­ser­dem be­sass er eine rie­si­ge Kraft und einen ge­ra­de­zu toll­küh­nen Mut.

»Wäh­le Dir Dei­ne Leu­te aus, mein Bur­sche«, hat­te der Kom­man­dant zu ihm ge­sagt.

Mo­ham­med wähl­te un­ter an­de­ren mich aus; er hat­te Zu­trau­en zu mir, der Bra­ve, und ich wer­de ihm zeit­le­bens für sei­ne Wahl dank­bar sein, die mir eben­so viel Freu­de mach­te, als spä­ter das Kreuz der Ehren­le­gi­on.

Am an­de­ren Mor­gen also beim ers­ten Ta­ges­grau­en mar­schier­ten wir Sie­ben ab; es nah­men nur wir Sie­ben Teil. Mei­ne Ka­me­ra­den ge­hör­ten zu je­ner Klas­se von schlim­men Sub­jek­ten, die in der hal­b­en Welt ge­plün­dert und ge­raubt hat­ten, um schliess­lich in ei­ner Frem­den-Le­gi­on Dienst zu neh­men. Un­se­re afri­ka­ni­sche Ar­mee war da­mals voll von die­sen Kerls, aus­ge­zeich­ne­ten Sol­da­ten, aber nicht sehr ge­wis­sen­haft.

Mo­ham­med hat­te je­dem von uns zehn Stück Strick-En­den von an­nä­hernd ei­nem Me­ter Län­ge mit­ge­ge­ben. Ich trug aus­ser­dem als der Jüngs­te und Leich­tes­te einen großen Strick von un­ge­fähr hun­dert Me­ter Län­ge bei mir. Als wir un­se­ren Füh­rer frag­ten, wozu dies al­les die­nen sol­le, ant­wor­te­te er mit freund­li­chem und ver­schla­ge­nen Lä­cheln:

»Für den Ara­ber-Fisch­zug.«

Hier­bei kniff er bos­haft ein Auge zu; eine Al­lu­re, die er von ei­nem al­ten Pa­ri­ser Chas­seur d’Afri­que an­ge­nom­men hat­te.

Er ritt an der Spit­ze un­se­res klei­nen Zu­ges, auf dem Kop­fe den ro­ten Tur­ban, den er stets im Fel­de trug, und lach­te viel­sa­gend in sei­nen großen Bart.

Er war in der Tat schön, die­ser große Tür­ke mit sei­nem di­cken Bau­che, den Schul­tern ei­nes Ko­los­ses und sei­ner ru­hi­gen Mie­ne. Sein Pferd war weiß, von mitt­ler­er Fi­gur, aber sehr kräf­tig; äus­ser­lich schi­en al­ler­dings sein Rei­ter zehn Mal zu groß für das Pferd.

Wir wa­ren in ein klei­nes, stei­ni­ges, nack­tes und ganz gel­bes Tal her­ein­ge­rit­ten, wel­ches in das Tal des Che­lif mün­det, und spra­chen von un­se­rer Ex­pe­di­ti­on. Mei­ne Beglei­ter re­de­ten in al­len mög­li­chen Spra­chen, denn es wa­ren un­ter ih­nen zwei Grie­chen, ein Spa­nier, ein Ame­ri­ka­ner und drei Fran­zo­sen. Mo­ham­med Fri­pouil­le selbst sprach ein tol­les Kau­der­wälsch.

Die Son­ne, die schreck­li­che Son­ne des Sü­dens, die man jen­seits des Mit­tel­mee­res nicht kennt, brann­te auf un­se­re Schul­tern und wir rit­ten, wie dort üb­lich, im Schritt vor­wärts.

Den gan­zen Tag mar­schier­ten wir wei­ter ohne einen Baum oder einen Ara­ber zu Ge­sicht zu be­kom­men.

Mit­tags 1 Uhr hat­ten wir in der Nähe ei­ner klei­nen Quel­le, wel­che aus dem Ge­stein rie­sel­te, Brot und trock­nes Ham­mel­fleisch ge­ges­sen, das wir in den Sat­tel­ta­schen mit­führ­ten, dann mach­ten wir uns nach ei­ner Ru­he­pau­se von zwan­zig Mi­nu­ten neu­er­dings auf den Weg.

End­lich ge­gen 6 Uhr abends ent­deck­ten wir nach dem end­lo­sen Marsch, den uns un­ser Füh­rer hat­te zu­rück­le­gen las­sen, hin­ter ei­nem Hü­gel einen la­gern­den Stamm. Die nied­ri­gen brau­nen Zel­te war­fen dunkle Schat­ten auf die gel­be Erde, wie große Wüs­ten-Pil­ze, wel­che die heis­se Son­ne am Fus­se des röt­li­chen Hü­gels her­vor­ge­lockt hat­te.

Es wa­ren die, die wir such­ten. Et­was wei­ter da­von wei­de­ten am Ran­de ei­ner klei­nen dun­kel­grü­nen Flä­che die zu­sam­men­ge­kop­pel­ten Pfer­de.

»Ga­lopp« rief Mo­ham­med und wie ein Or­kan wa­ren wir plötz­lich mit­ten im La­ger. In großer Ver­wir­rung durch­ein­an­der ren­nend und sich drän­gend wie eine ge­jag­te Her­de, rann­ten die mit wei­ßen flat­tern­den Fet­zen be­deck­ten Frau­en so schnell wie mög­lich den schüt­zen­den Zel­ten zu. Die Män­ner da­ge­gen ka­men von al­len Sei­ten her­bei, um sich zur Ver­tei­di­gung an­zu­schi­cken.

Wir hat­ten den Sä­bel nach dem Bei­spie­le Mo­ham­meds in der Schei­de be­hal­ten und ga­lop­pier­ten di­rekt auf das gröss­te Zelt, das des Häupt­lings, zu.

Mo­ham­meds Hal­tung war ge­ra­de­zu be­wun­de­rungs­wert. Un­be­weg­lich ganz ge­ra­de sass er auf sei­nem Schim­mel, der sich un­ter dem Druck sei­ner Schen­kel wie ra­send ge­bär­de­te. Gera­de die­ser Ge­gen­satz zwi­schen der Ruhe des Rei­ters und der Leb­haf­tig­keit des Pfer­des er­reg­te Auf­se­hen.

Als wir vor dem Zel­te des Häupt­lings an­ka­men, trat die­ser her­aus. Es war ein ho­her schlan­ker Mann von dunk­ler Haut­far­be, mit durch­drin­gen­den Au­gen, de­ren Brau­en einen Bo­gen auf der ge­wölb­ten Stirn be­schrie­ben.

»Was wünscht Ihr?« rief er uns auf Ara­bisch zu.

Kurz sein Pferd pa­rie­rend frag­te ihn Mo­ham­med in sei­ner Spra­che:

»Hast Du den eng­li­schen Rei­sen­den ge­tö­tet?«

»Dar­über bin ich Dir kei­ne Re­chen­schaft schul­dig« ant­wor­te­te stolz der Häupt­ling.

Um uns her groll­te es wie bei ei­nem na­hen­den Ge­wit­ter. Von al­len Sei­ten lie­fen die Ara­ber her­bei und um­dräng­ten uns wut­schnau­bend.

Mit ih­ren großen ge­bo­ge­nen Na­sen, dem ma­ge­ren Ge­sicht, und ih­ren flat­tern­den Ge­wän­dern sa­hen sie wie wil­de Raub­vö­gel aus, die die Flü­gel re­gen.


Mo­ham­med lä­chel­te, un­ter sei­nem Tur­ban mit den Au­gen blin­zelnd, und ich sah, wie ein Won­ne­schau­er über sei­ne her­ab­hän­gen­den, flei­schi­gen und fal­ti­gen Wan­gen husch­te.

»Tod dem Mör­der« rief er mit don­nern­der Stim­me, die das Ge­schrei der Ara­ber über­tön­te, und rich­te­te gleich­zei­tig sei­nen Re­vol­ver auf die Stirn des Häupt­lings. Ich sah eine Rauch­wol­ke auf­stei­gen und dann rie­sel­te ro­si­ger Schaum und gleich dar­auf Blut aus des­sen Stirn. Töt­lich ge­trof­fen fiel er auf den Rücken, und sei­ne weit­ge­öff­ne­ten Arme, in de­nen die Zip­fel des Bur­nus sich ver­wi­ckel­ten, sa­hen wie aus­ge­spann­te Flü­gel aus.

Jetzt glaub­te ich wahr­haf­tig un­ser letz­tes Stünd­chen ge­kom­men, so furcht­bar war der Tu­mult, der los­brach.

Mo­ham­med hat­te sei­nen Sä­bel ge­zo­gen und wir folg­ten sei­nem Bei­spie­le. Er warf mit ei­ner Wen­dung sei­nes Pfer­des sei­ne nächs­ten Geg­ner zur Sei­te und rief:

»Wer sich un­ter­wirft, bleibt am Le­ben, die an­de­ren müs­sen ster­ben.«

Mit sei­ner her­ku­li­schen Faust griff er den Nächs­ten, zog ihn auf den Sat­tel und hat­te ihm die Hän­de ge­bun­den, wäh­rend er uns zu­rief

»Macht’s eben­so und sä­belt die Wi­der­spens­ti­gen nie­der.«

In fünf Mi­nu­ten hat­ten wir ih­rer Zwan­zig ge­fan­gen, de­nen wir die Hän­de fest ver­schnür­ten. Dann ging’s an die Ver­fol­gung der Flüch­ti­gen; denn beim An­blick der ge­zo­ge­nen Sä­bel war eine all­ge­mei­ne Flucht rings­um ent­stan­den. Wir brach­ten noch ei­ni­ge dreis­sig Ge­fan­ge­ne ein.

Über die gan­ze Ebe­ne sah man wei­ße Punk­te lau­fen. Es wa­ren die Frau­en, die ihre Kin­der un­ter schreck­li­chem Ge­heul zu ret­ten such­ten.

Die gel­ben scha­ka­lar­ti­gen Hun­de wim­mel­ten knur­rend um uns her­um und fletsch­ten die wei­ßen Zäh­ne.

Mo­ham­med, der vor Freu­de när­risch ge­wor­den zu sein schi­en, ließ sein Pferd eine Ka­prio­le ma­chen und rief, den Strick er­grei­fend, den ich mit­ge­bracht hat­te:

»Ach­tung Kin­der! Zwei Mann ab­sit­zen.«

Dann ord­ne­te er et­was eben so Furcht­ba­res wie Ko­mi­sches an: Er be­fahl uns aus den Ge­fan­ge­nen oder bes­ser ge­sagt, aus den Ge­henk­ten einen Ro­sen­kranz zu ma­chen, wie er es scher­zend nann­te. In dem­sel­ben Strick, der die Hän­de des ers­ten Ge­fan­ge­nen zu­sam­men­schnür­te, mach­te er um den Hals des­sel­ben eine Sch­lin­ge, de­ren ei­nes Ende wie­der­um die Faust­ge­len­ke des fol­gen­den Ara­bers fes­sel­te und eben­falls wie­der in ei­ner um des­sen Hals ge­leg­ten Sch­lin­ge en­de­te. Un­se­re fünf­zig Ge­fan­ge­nen wa­ren bald auf die­se Wei­se der­ar­tig ver­bun­den, dass die ge­rings­te Flucht­be­we­gung des einen nicht nur ihn selbst, son­dern auch sei­nen Vor­der- und Hin­ter­mann, er­dros­seln muss­te. Jede Be­we­gung, die sie mach­ten, wirk­te auf die Hals­sch­lin­ge zu­rück und sie muss­ten in ganz gleich­mäs­si­gem Ab­stand von­ein­an­der mar­schie­ren, woll­ten sie nicht Ge­fahr lau­fen, wie ein ab­ge­nick­ter Hase hin­zu­stür­zen.