Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Das Haus Tellier und Anderes
Das Haus Tellier

I.

Man ging je­den Abend ge­gen 11 Uhr dort­hin, ganz ein­fach wie in ein Kaf­fee­haus. Es fan­den sich ih­rer dort ge­gen sechs oder acht zu­sam­men, im­mer die­sel­ben, kei­ne Le­be­män­ner, son­dern ehr­ba­re Her­ren, jun­ge Ge­schäfts­leu­te aus der Stadt, die ihre Char­treu­se tran­ken, ein we­nig die jun­gen Mäd­chen neck­ten, oder noch lie­ber ein ver­nünf­ti­ges Ge­spräch mit »Ma­da­me« führ­ten, vor der sie alle großen Re­spekt hat­ten.

Dann ging man noch vor Mit­ter­nacht nach Hau­se, um sein Bett auf­zu­su­chen; und nur hin und wie­der blie­ben ei­ni­ge jun­ge Leu­te zu­rück.

Es war ein trau­li­ches Haus, ziem­lich klein, gelb an­ge­stri­chen und lag im Win­kel ei­ner Stras­se hin­ter der Kir­che Saint-Eti­enne; von sei­nen Fens­tern aus sah man den Ha­fen mit sei­nen Schif­fen, die der Lö­schung harr­ten, den großen schmut­zi­gen Sumpf, »la Re­te­nue« ge­nannt, und da­hin­ter den Gip­fel der Jung­frau mit sei­ner al­ten grau­en Ka­pel­le.

»Ma­da­me«, die aus gu­ter Fa­mi­lie, von Land­leu­ten im De­par­te­ment de l’Eu­re stamm­te, hat­te die­ses Me­tier eben­so über­nom­men, als wenn sie Mo­dis­tin oder Kon­fek­tio­neu­se ge­wor­den wäre. Das Brand­mal der Schan­de, wel­ches in den Städ­ten der Pro­sti­tu­ti­on so scharf und deut­lich auf­ge­prägt ist, haf­tet in der Nor­man­die der­sel­ben auf dem Lan­de nicht an. »Es ist ein ein­träg­li­ches Ge­schäft«, sagt der Land­mann, und lässt sei­ne Toch­ter in ir­gend ei­ner Stadt einen Ha­rem er­öff­nen, eben­so gut als ob sie Di­rec­tri­ce ei­nes Mäd­chen-Pen­sio­nats wür­de.

Üb­ri­gens war die­ses Haus das Erb­stück ei­nes al­ten On­kels, der es frü­her be­ses­sen hat­te. Der »Herr« und »Ma­da­me«, frü­her Wirts­leu­te in der Nähe von Yve­tot, hat­ten ei­nes Ta­ges ihr Ge­schäft ver­kauft und sich nach Fe­camp be­ge­ben, wo sie ein bes­se­res Fort­kom­men zu fin­den hoff­ten. So wa­ren sie über Nacht Ge­schäfts­lei­ter die­ses Un­ter­neh­mens ge­wor­den, wel­ches bis­her Man­gels ei­ner tüch­ti­gen Lei­tung kei­nen rech­ten Auf­schwung hat­te neh­men kön­nen.

Sie wa­ren wa­cke­re Leu­te in ih­rer Art, wel­che sich bald die Lie­be ih­rer Un­ter­ge­be­nen und der Nach­barn er­wor­ben hat­ten.

Der »Herr« starb zwei Jah­re spä­ter am Ge­hirn­schlag; sein neu­es Ge­schäft hat­te ihn be­hä­big und trä­ge ge­macht, so­dass er schliess­lich im ei­ge­nen Fett so­zu­sa­gen er­stick­te.

Seit­dem »Ma­da­me« Wit­we ge­wor­den, hat­ten sämt­li­che Stamm­gäs­te des Hau­ses ihr Glück bei ihr ver­sucht; aber all­ge­mein hiess es, dass sie sich völ­lig ehr­bar ver­hiel­te, und so­gar auch ihre Pen­sio­nä­rin­nen hat­ten nichts Ver­däch­ti­ges ent­de­cken kön­nen.

Sie war groß, wohl­ge­nährt und hübsch. Ihr Teint war in der Dun­kel­heit die­ses stets ver­schlos­se­nen Hau­ses bleich ge­wor­den und mach­te den Ein­druck, als sei er mit ei­ner Art glän­zen­den Lack über­zo­gen. Eine Gar­ni­tur falscher Haa­re in Löck­chen fri­siert um­gab ihre Stirn und ver­lieh ihr ein ju­gend­li­ches Äus­se­re, wel­ches et­was selt­sam von der üp­pi­gen Rei­fe ih­rer For­men ab­stach. Im­mer ver­gnügt und lus­tig, plau­der­te und scherz­te sie gern, wo­bei sie aber stets eine ge­wis­se Zu­rück­hal­tung zur Schau trug, die sie auch in ih­rem neu­en Ge­schäft nicht ab­ge­legt hat­te. Un­pas­sen­de Wor­te är­ger­ten sie sehr; und wenn ein schlecht er­zo­ge­ner Bur­sche ihr Haus ein­mal beim rich­ti­gen Na­men nann­te, so konn­te sie ganz wild wer­den. Da­bei hat­te sie ein zart­füh­len­des Herz und be­han­del­te auch ihre Mäd­chen als Freun­din­nen; in Be­zug auf letz­te­re sag­te sie oft:

»Es sind mei­ne Küch­lein, aber nicht alle aus ei­nem Kor­be.«

Zu­wei­len fuhr sie in der Wo­che mit ei­nem Teil ih­rer Trup­pe in ei­nem Miet­wa­gen fort, und man sah sie dann im Ufer­gra­se des klei­nen Flus­ses, der das Tal von Val­mont durch­fliesst, ihre Scher­ze trei­ben. Ihre Aus­flü­ge gli­chen de­nen von Pen­si­ons­mäd­chen, die der Schu­le ent­schlüpft sind; tö­rich­te Strei­che, kind­li­che Spie­le füll­ten die Zeit aus, in de­nen sie sich wie Klos­ter­schwes­tern dünk­ten, die nach lan­ger Zu­rück­ge­zo­gen­heit end­lich wie­der ein­mal an die fri­sche Luft kom­men. Man hol­te das Es­sen aus ei­nem Wurst­la­den und ver­zehr­te es auf dem grü­nen Ra­sen bei ei­nem Gla­se Ci­der, um dann bei sin­ken­der Nacht von an­ge­neh­mer Mü­dig­keit und stil­ler Rüh­rung um­fan­gen, nach Hau­se zu fah­ren; im Wa­gen um­arm­te man Ma­da­me wie eine ge­lieb­te für­sor­gen­de und freu­den­spen­den­de Mut­ter.


Das Haus hat­te zwei Ein­gän­ge. In der Stras­se­n­e­cke wur­de abends eine Art klei­nes Kaf­fee­haus auf­ge­macht, in wel­chem Leu­te aus dem Vol­ke und Ma­tro­sen ein­kehr­ten. Zwei weib­li­che We­sen hat­ten die­sen Teil des Ge­schäf­tes ganz spe­zi­ell un­ter ih­rer Ob­hut. Sie ser­vier­ten mit Hil­fe Fried­richs, ei­nes bart­lo­sen klei­nen aber baum­star­ken Kell­ners, die Wein­schop­pen und Bier­glä­ser an den wa­cke­li­gen Mar­mor­ti­schen, setz­ten sich auf die Knie der Trin­ker, leg­ten den Arm um ih­ren Hals und er­mun­ter­ten zu fleis­si­gem Ze­chen.

Die drei an­de­ren »Da­men« (es wa­ren ih­rer nur fünf) bil­de­ten eine Art Ari­sto­kra­tie, und blie­ben für die ers­te Ge­sell­schaft re­ser­viert, we­nigs­tens so lan­ge man ih­rer da un­ten nicht drin­gend be­durf­te und zu­fäl­lig ’mal oben ein stil­ler Abend war.

Der »Ju­pi­ter-Sa­lon«, in dem sich die Bür­ger des Or­tes ihr Stell­dich­ein ga­ben, war mit blau­er Ta­pe­te aus­ge­schla­gen und aus­ser­dem noch durch ein großes Bild, Leda mit dem Schwan dar­stel­lend, ent­spre­chend ver­ziert. Man ge­lang­te zu dem­sel­ben auf ei­ner schma­len Wen­del­trep­pe, wel­che nach der Stras­se zu durch eine enge un­an­sehn­li­che Tür ver­schlos­sen wur­de; über letz­te­rer brann­te hin­ter ei­nem Git­ter die gan­ze Nacht hin­durch eine klei­ne La­ter­ne nach Art je­ner, die man in ge­wis­sen Städ­ten heu­te noch vor klei­nen Mau­er­bild­chen an­zün­det.

Das Ge­bäu­de, alt und feucht, trug einen leich­ten Ge­ruch von Schim­mel an sich. Zu­wei­len schweb­te ein Duft von Eau de Co­lo­gne in den Gän­gen oder es schall­te auch durch eine zu­fäl­lig ge­öff­ne­te Tür das or­di­näre Ge­schrei der im Erd­ge­schoss be­find­li­chen Ze­cher wie ein Don­ner­schlag durch das gan­ze Haus und brach­te auf dem Ge­sicht der Her­ren im ers­ten Stock eine un­zu­frie­de­ne und ver­ächt­li­che Mie­ne her­vor.

»Ma­da­me«, die mit der ihr be­freun­de­ten Kund­schaft sehr ver­trau­lich tat, ver­liess den Sa­lon nicht und in­ter­es­sier­te sich sehr für je­den Stadt­klatsch, der ihr zu­ge­tra­gen wur­de. Ihre Un­ter­hal­tung hat­te für ge­wöhn­lich durch­aus kei­nen Be­zug auf ihre drei Da­men; die­sel­be bil­de­te viel­mehr eine Art Ru­he­platz für die seich­ten Scher­ze je­ner wohl­be­leib­ten Her­ren, die sich je­den Abend die klei­ne Aus­schwei­fung ge­stat­te­ten, ihr Glas Li­queur in Ge­sell­schaft die­ser öf­fent­li­chen Mäd­chen zu schlür­fen.

Die drei »Da­men« aus dem ers­ten Stock hies­sen Fer­n­an­de, Ra­phaële und Rosa la Ros­se.

Da das Per­so­nal be­schränkt war, so hat­te man Sor­ge ge­tra­gen, dass jede von den Drei­en eine Art Mus­ter, ge­wis­ser­mas­sen die Ver­tre­te­rin ei­nes be­stimm­ten weib­li­chen Ty­pus war, da­mit je­der Kun­de hier, we­nigs­tens in etwa, sein Ide­al fin­de.

Fer­n­an­de ver­trat die Klas­se der »schö­nen Blon­di­nen«; sie war sehr groß, bei­na­he et­was zu stark, aber mol­lig, ein Kind vom Lan­de, bei der die Som­mer­spros­sen nie ganz ver­schwan­den und de­ren kurz­ge­schnit­te­nes asch­blon­des Haar mit sei­nem spär­li­chen Wuchs wie ge­he­chel­ter Flachs aus­sah.

Ra­phaële, ein Mar­seil­ler Kind, die sich stets in den See­hä­fen her­um­ge­trie­ben hat­te, spiel­te die un­er­läss­li­che Rol­le der »schö­nen Jü­din« mit her­vor­ste­hen­den mäch­tig rot ge­schmink­ten Wan­gen; ihre schwar­zen Haa­re, die von Rin­der­mark-Po­ma­de glänz­ten, hin­gen in klei­nen Rin­gellöck­chen um ihre Schlä­fen. Ihre Au­gen hät­ten schön ge­nannt wer­den kön­nen, wenn das rech­te nicht einen Fleck ge­habt hät­te. Ihre Nase war kühn ge­bo­gen und aus ih­rer Ober­lip­pe tra­ten zwei neue Zäh­ne et­was her­vor, wäh­rend die üb­ri­gen im Lau­fe der Zeit die Far­be von al­tem Holz an­ge­nom­men hat­ten.


Rosa la Ros­se, ein klei­ner Fleisch­kloos mit kur­z­en Bein­chen, sang mit et­was hei­se­rer Stim­me vom Mor­gen bis zum Abend, bald hei­te­re, bald erns­te Lie­der, er­zähl­te die un­glaub­lichs­ten und sinn­lo­ses­ten Ge­schich­ten, hör­te nur mit Spre­chen auf, um zu es­sen und um­ge­kehrt, war fort­ge­setzt in Be­we­gung, und be­sass trotz ih­rer Wohl­be­leibt­heit und ih­rer klei­nen Bein­chen die Ge­wandt­heit ei­nes Eich­hörn­chens. Ihr La­chen, ei­nem Sturz­bach gel­len­der Schreie nicht un­ähn­lich, schall­te un­auf­hör­lich über dies und je­nes, bald aus ei­nem Zim­mer, bald vom Bo­den, bald un­ten aus dem Café, kurz aus al­len Ecken und ohne al­len Grund.

Die bei­den weib­li­chen We­sen im Erd­ge­schoss »Loui­se« mit dem Bein­amen »Co­co­te« und »Flo­ra«, ge­nannt die »Schau­kel«, weil sie et­was hin­k­te, sa­hen wie Kü­chen­mäd­chen aus, die sich zum Mas­ken­ball an­ge­zo­gen ha­ben. Ers­te­re zeig­te sich stets als »Frei­heits­göt­tin« mit ei­ner drei­far­bi­gen Schär­pe um­gür­tet, letz­te­re im spa­ni­schen Fan­ta­sie­ko­stüm mit kup­fer­nen Ze­chi­nen im Haa­re, wel­che bei je­dem ih­rer un­glei­chen Schrit­te Pol­ka tanz­ten. Sie un­ter­schie­den sich in Nichts von al­len and­ren Weibs­bil­dern aus dem Vol­ke, we­der an Schön­heit noch an Häss­lich­keit, und wa­ren der rich­ti­ge Ty­pus die­ser Sor­te von Kell­ne­rin­nen; im Ha­fen kann­te man sie all­ge­mein un­ter dem Spitz­na­men »die bei­den Feu­er­sprit­zen.«

 

Wenn auch un­ter al­len fünf »Da­men« eine ge­wis­se Ei­fer­sucht herrsch­te, so wur­de doch der Frie­den ih­res Zu­sam­men­le­bens, Dank der ver­mit­teln­den Für­sor­ge und der un­er­schöpf­li­chen Gut­mü­tig­keit der »Ma­da­me«, nur sel­ten ge­stört.

Da das Eta­blis­se­ment das ein­zi­ge sei­ner Art in der klei­nen Stadt war, so er­freu­te es sich ei­nes zahl­rei­chen Be­su­ches. »Ma­da­me« hat­te ihm einen so vor­neh­men An­strich zu ge­ben ge­wusst, sie zeig­te sich so lie­bens­wür­dig, so zu­vor­kom­mend ge­gen je­der­mann, ihre Gut­her­zig­keit war so be­kannt, dass sie sich ei­ner Art all­ge­mei­ner Hochach­tung er­freu­te. Die Stamm­gäs­te stürz­ten sich ih­ret­we­gen in Un­kos­ten, sie wa­ren stolz, wenn sie ih­rer be­son­de­ren Freund­schaft ge­wür­digt wur­den, und wenn sie sich tags­über in Ge­schäf­ten tra­fen, so hiess es: »Also heu­te Abend, Sie wis­sen schon«, wie man sonst sagt: »Also nach Tisch im Café, nicht wahr?«

Al­les in al­lem ge­nom­men war das Haus Tel­lier ein Zu­sam­men­kunfts­ort, des­sen täg­li­chen Be­such man nur un­gern ver­säum­te.

Da fand ei­nes Ta­ges, ge­gen Ende des Mo­nats Mai, der ers­te der täg­li­chen Be­su­cher, Herr Pou­lin, Holz­händ­ler und frü­he­rer Maire, die Türe ver­schlos­sen; die klei­ne La­ter­ne brann­te nicht wie ge­wöhn­lich hin­ter ih­rem Git­ter und kein Geräusch drang aus dem In­nern, das wie aus­ge­stor­ben schi­en. Er klopf­te, erst lei­se, dann stär­ker, aber nichts rühr­te sich. Dann ging er lang­sam die Stras­se hin­un­ter und be­geg­ne­te am Markt­platz Herrn Du­vert, ei­nem Rhe­der, der sich eben­falls dort­hin be­ge­ben woll­te. Sie gin­gen zu­sam­men zu­rück, ohne je­doch ih­ren Zweck zu er­rei­chen. Aber in der Nähe er­hob sich plötz­lich großer Lärm, und als sie um das Haus her­um­gin­gen, be­merk­ten sie einen Hau­fen eng­li­scher und fran­zö­si­scher Ma­tro­sen, die mit ih­ren Fäus­ten ge­gen die ver­schlos­se­nen Lä­den des Cafés schlu­gen.

Die bei­den Bür­ger drück­ten sich schleu­nigst, um sich kei­nen Ver­le­gen­hei­ten aus­zu­set­zen, aber ein lei­ses »Pst« in ih­rer Nähe ließ sie Halt ma­chen. Es war Herr Tour­ne­vau, der Fisch­händ­ler, der sie er­kannt hat­te und sie an­rief. Sie er­zähl­ten ihm, was vor­ge­fal­len, und nie­mand war dar­über be­stürz­ter als er; denn als Ehe­mann und sorg­sa­mer Fa­mi­li­en­va­ter kam er nur Sonn­abends dort­hin, »se­cu­ri­ta­tis cau­sa«, wie er mit ei­ner klei­nen An­spie­lung auf eine ge­sund­heits­po­li­zei­li­che Mass­re­gel zu sa­gen pfleg­te, de­ren re­gel­mäs­si­ge Wie­der­kehr ihm sein Freund, der Dok­tor Bour­de, ver­ra­ten hat­te. Da es ge­ra­de Sonn­abend war, so sah er sich schon für die gan­ze Wo­che sei­nes Ver­gnü­gens be­raubt.

Die drei Her­ren mach­ten einen großen Um­weg bis zum Quai, und tra­fen auf der Stras­se einen Stamm­gast, Herrn Phil­ip­pe, den Ban­kiers­sohn, und Herrn Pim­pes­se, den Ein­neh­mer, wor­auf alle fünf durch die »Ju­den-Stras­se« zu­rück­gin­gen, um einen letz­ten Ver­such zu ma­chen. Aber die wü­ten­den Ma­tro­sen hat­ten das Haus förm­lich be­la­gert, war­fen mit Stei­nen da­nach und brüll­ten wie be­ses­sen. Dies ge­nüg­te, um die fünf Her­ren aus dem ers­ten Stock zur schleu­nigs­ten Um­kehr zu ver­an­las­sen, wor­auf sie plan­los durch die Stras­sen irr­ten.

Sie be­geg­ne­ten noch dem Ver­si­che­rungs-Agen­ten, Herrn Du­puis, dann dem Han­dels­rich­ter, Herrn Vas­se, und be­gan­nen nun einen lan­gen Spa­zier­gang, der sie schliess­lich zum Ha­fen führ­te. Sie setz­ten sich ne­ben­ein­an­der auf die Gra­nit-Mau­er und sa­hen dem Spiel der Wel­len zu. Der Schaum der auf- und nie­der­tau­chen­den Wel­len­käm­me stach mit sei­ner blen­den­den Wei­ße ei­gen­tüm­lich von der Dun­kel­heit des Was­sers ab, und das ein­för­mi­ge Brau­sen des Mee­res, wel­ches sich an den Fel­sen brach, wie­der­hall­te in der Stil­le der Nacht längs des gan­zen Ge­sta­des. Als die ver­stimm­ten Spa­zier­gän­ger dort ei­ni­ge Zeit ge­ses­sen hat­ten, er­klär­te schliess­lich Herr Tour­ne­vau:

»Sehr un­ter­hal­tend ist das nicht.«

»Wahr­haf­tig nicht«, echo­te Herr Pim­pes­se, und nun gin­gen alle lang­sam zu­rück.

Nach­dem sie der »Lin­den-Stras­se« ent­lang ge­gan­gen wa­ren, ka­men sie über die Schiff­brücke wie­der auf die Stras­se »La Re­te­nue« zu­rück, und ge­lang­ten am Bahn­hof vor­bei wie­der auf den Markt­platz, wo plötz­lich zwi­schen dem Ein­neh­mer Herrn Pim­pes­se und dem Fisch­händ­ler Herrn Tour­ne­vau ein hef­ti­ger Streit über die Ess­bar­keit ei­nes Pil­zes aus­brach, den der eine von ih­nen in der Um­ge­gend ge­fun­den ha­ben woll­te.

Da die Geis­ter in Fol­ge der Lan­ge­wei­le ge­reizt wa­ren, so wäre es fast zu sehr erns­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen ge­kom­men, wenn die Üb­ri­gen sich nicht ins Mit­tel ge­legt hät­ten. Herr Pim­pes­se zog sich sehr be­lei­digt zu­rück, und kaum war er fort, als zwi­schen dem ehe­ma­li­gen Maire, Herrn Pou­lin, und dem Ver­si­che­rungs-Agen­ten, Herrn Du­puis, ein neu­er Wort­wech­sel über den Ge­halt des Ein­neh­mers und die Aus­ga­ben aus­brach, die er sich leis­ten könn­te. Hef­ti­ge Wor­te fie­len be­reits auf bei­den Sei­ten, als plötz­lich ein wüs­tes Ge­schrei zu ih­nen drang und die Ma­tro­sen­schar, des ver­geb­li­chen War­tens müde, sich über den Platz er­goss. Sie hat­ten sich zu Zwei und Zwei im Arme und bil­de­ten so eine lan­ge wut­schnau­ben­de Pro­zes­si­on. Die Bür­ger flüch­te­ten sich un­ter einen Tor­weg und die lär­men­de Rot­te ver­schwand in der Rich­tung des Ha­fens. Lan­ge noch hör­te man ihr Ge­brüll wie das Don­nern ei­nes ab­zie­hen­den Ge­wit­ters in der Fer­ne ver­klin­gen; dann trat end­lich wie­der tie­fe Stil­le ein.

Herr Pou­lin und Herr Du­puis, de­ren ge­gen­sei­ti­ger Zorn sich noch nicht ge­legt hat­te, gin­gen, ohne sich zu grüs­sen, je­der ih­res We­ges.

Die vier Üb­ri­gen nah­men ih­ren Spa­zier­gang wie­der auf und wen­de­ten die Schrit­te un­will­kür­lich wie­der dem Hau­se Tel­lier zu. Es war im­mer noch ver­schlos­sen und lag in un­durch­dring­li­chem Schwei­gen gehüllt. Ein Be­trun­ke­ner poch­te hart­nä­ckig in kur­z­en Zwi­schen­räu­men an die Vor­tü­re des Cafés, hin und wie­der mit lei­ser Stim­me den Kell­ner Fried­rich ru­fend. Als er ab­so­lut kei­ne Ant­wort er­hielt, setz­te er sich ru­hig auf die Tür­schwel­le und harr­te der Din­ge, die kom­men wür­den.

Plötz­lich er­schi­en die wüs­te Rot­te der Ma­tro­sen von Neu­em am Ende der Stras­se, und un­se­re Bür­ger zo­gen sich aber­mals zu­rück. Die fran­zö­si­schen Ma­tro­sen brüll­ten die »Mar­seil­lai­se«, die eng­li­schen das »Rule Brit­ta­nia«; es war ein Haupt­spek­ta­kel. Dann nahm die tol­le Ge­sell­schaft aber­mals ih­ren Weg nach dem Quai zu, wo sich eine Schlacht zwi­schen den See­leu­ten bei­der Na­tio­nen ent­wi­ckel­te; hier­bei brach ein Eng­län­der den Arm und ei­nem Fran­zo­sen wur­de die Nase ent­zwei ge­schla­gen.

Der Be­trun­ke­ne auf der Tür­schwel­le fing jetzt an zu wei­nen wie ein un­ge­zo­ge­nes Kind, dem man nicht den Wil­len tut.

Die Her­ren aus dem ers­ten Stock gin­gen schliess­lich ih­rer Wege.

All­mäh­lich wur­de es still in den vor­hin noch so un­ru­hi­gen Stras­sen; zu­wei­len hör­te man noch hier und da ein Stim­men­ge­räusch, bis end­lich auch der letz­te Ton ver­stumm­te.

Nur ein Mann irr­te noch um­her, Tour­ne­vau, der Fisch­händ­ler, dem es nicht in den Kopf woll­te, dass er bis zum nächs­ten Sonn­abend war­ten soll­te. Er hoff­te im­mer noch auf ir­gend einen glück­li­chen Zu­fall, er be­griff nicht, ja er ta­del­te es so­gar hef­tig, dass die Po­li­zei die Sch­lies­sung ei­nes so nütz­li­chen öf­fent­li­chen Lo­ka­les zu­liess, wel­ches sie doch zu über­wa­chen und zu schüt­zen hat­te.

Er kehr­te noch­mals da­hin zu­rück und tas­te­te, nach der Ur­sa­che su­chend, an den Mau­ern her­um; da be­merk­te er schliess­lich, dass an dem Schutz­da­che über der Tür ein Pla­kat an­ge­hef­tet war. Schleu­nigst zün­de­te er ein Streich­holz an und las die mit großer un­ge­üb­ter Hand ge­schrie­be­nen Wor­te: »We­gen der ers­ten Kom­mu­ni­on ge­schlos­sen.«


Da ging er fort mit dem Be­wusst­sein, dass er kei­ne Aus­sicht mehr hät­te.

Der Be­trun­ke­ne schlief jetzt der Län­ge nach aus­ge­streckt auf der un­gast­li­chen Schwel­le.

Am an­de­ren Tage fan­den sämt­li­che Stamm­gäs­te, ei­ner nach dem and­ren, ir­gend einen Grund, über die Stras­se zu ge­hen; sie tru­gen ir­gen­det­was un­term Arm, um sich einen ge­schäft­li­chen An­strich zu ge­ben. Je­der warf im Vor­bei­kom­men einen flüch­ti­gen Blick auf die ge­heim­nis­vol­len Wor­te: »We­gen der ers­ten Kom­mu­ni­on ge­schlos­sen.«

*

II.

Ma­da­me hat­te einen Bru­der, der in ih­rer Hei­mat, Vir­ville im Eure-De­par­te­ment, als Tisch­ler eta­bliert war, und des­sen Toch­ter sie, als ihr noch das Gast­haus zu Yve­tot ge­hör­te, über die Tau­fe ge­hal­ten hat­te. Das Kind hiess Con­stan­ze, Con­stan­ze Ri­vet; sie selbst war vä­ter­li­cher­seits eine Ri­vet. Der Tisch­ler, der die gu­ten Ver­hält­nis­se sei­ner Schwes­ter kann­te, hat­te sie nicht aus den Au­gen ver­lo­ren, ob­gleich sie sich nicht oft sa­hen, da je­des durch sein Ge­schäft ge­bun­den war und sie aus­ser­dem ziem­lich weit von­ein­an­der wohn­ten. Als aber sei­ne Toch­ter das zwölf­te Jahr er­reich­te und zum ers­ten Male zur Kom­mu­ni­on ge­hen soll­te, be­nutz­te der Tisch­ler die­se Ge­le­gen­heit der Wie­deran­nä­he­rung und schrieb sei­ner Schwes­ter, er zäh­le bei der Fei­er­lich­keit auf ihre Ge­gen­wart. Die Gro­ß­el­tern wa­ren tot, sie konn­te es ih­rer Nich­te nicht ab­schla­gen und nahm also an. Ihr Bru­der Jo­seph hoff­te, mit al­ler­lei Lie­bens­wür­dig­keit bei die­ser Ge­le­gen­heit die Er­rich­tung ei­nes Te­sta­ments zu Guns­ten sei­ner Toch­ter zu er­zie­len, da Ma­da­me kei­ne Kin­der hat­te.

Das Ge­wer­be sei­ner Schwes­ter mach­te ihm kei­ner­lei Be­den­ken und im Üb­ri­gen wuss­te auf dem Lan­de nie­mand et­was da­von; »Ma­da­me Tel­lier ist Bür­ge­rin von Fe­camp,« hiess es ein­fach mit ei­nem ge­wis­sen Bei­ge­schmack, als lebe sie von ih­ren Ren­ten. Von Fe­camp bis Vir­ville wa­ren min­des­tens zwan­zig Mei­len We­ges, und zwan­zig Mei­len über Land dünkt dem Bau­er min­des­tens eben­so weit, wie dem Städ­ter eine Fahrt über den Ozean. Die Be­woh­ner wa­ren nie­mals über Rou­en her­aus­ge­kom­men, und um­ge­kehrt gab es nichts, was die Be­woh­ner Fe­camps nach ei­nem klei­nen Dörf­chen von fünf­hun­dert See­len her­aus­ge­lockt hät­te, des­sen Lage mit­ten im fla­chen Lan­de durch­aus nichts An­zie­hen­des bot, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass es zu ei­nem an­de­ren De­par­te­ment ge­hör­te. Mit ei­nem Wort: Man wuss­te Nichts.

Als aber die Zeit der Kom­mu­ni­on her­an­nah­te, be­fand sich Ma­da­me in großer Ver­le­gen­heit. Sie hat­te kei­ne Wirt­schaf­te­rin und ge­trau­te sich nicht, ihr Haus auch nur einen Tag al­lein zu las­sen. Alle al­ten Zän­ke­rei­en zwi­schen den »Da­men« von oben und de­nen von un­ten wä­ren un­fehl­bar aufs Neue zum Aus­bruch ge­kom­men; so­dann hät­te sich Fried­rich ohne Zwei­fel be­trun­ken und wenn er be­trun­ken war, schlug er um ei­nes Au­gen­zwin­kerns hal­ber die Leu­te nie­der. So ent­schloss sie sich schliess­lich, ihr ge­sam­tes Per­so­nal mit her­aus zu neh­men bis auf Fried­rich, der bis zum über­nächs­ten Tage Ur­laub er­hielt.

Der Bru­der hat­te nichts ein­zu­wen­den als sie ihm des­halb schrieb und nahm es auf sich, die gan­ze Ge­sell­schaft für eine Nacht un­ter­zu­brin­gen. So führ­te denn der Eil­zug am Sams­tag Mor­gen um acht Uhr Ma­da­me und die Ih­ri­gen in ei­nem Wa­gen­ab­teil zwei­ter Klas­se von dan­nen.

Bis Beu­ze­ville fuh­ren sie al­lein und scha­cker­ten zu­sam­men wie die Els­tern; hier aber stieg ein Paar ein. Der Mann, ein al­ter Land­mann in blau­er Blou­se mit Um­schlag­kra­gen, brei­ten an den Faust­ge­len­ken zu­sam­men­ge­schnür­ten und mit klei­ner wei­ßer Sti­cke­rei ver­zier­ten Är­meln, auf dem Kop­fe einen ho­hen alt­mo­di­schen Hut, des­sen fuch­si­ges Haar ganz bors­tig schi­en, trug in der einen Hand einen un­ge­heu­ren grü­nen Re­gen­schirm und in der an­de­ren einen mäch­ti­gen Korb, aus dem die be­stürz­ten Köp­fe drei­er En­ten her­aus­lug­ten. Die Frau in ih­rer stei­fen länd­li­chen Tracht hat­te mit ih­rer Nase wie ein Schna­bel das Aus­se­hen ei­ner Hen­ne. Sie setz­te sich ih­rem Man­ne ge­gen­über und rühr­te sich nicht; of­fen­bar fühl­te sie sich in so hüb­scher Ge­sell­schaft aus­ser­or­dent­lich ver­le­gen.

 

Und in der Tat wirk­te die Far­ben­pracht, die sich in die­sem Wa­gen­ab­teil ent­wi­ckel­te, ge­ra­de­zu blen­dend. Ma­da­me trug sich blau, von oben bis un­ten in blau­er Sei­de, und dar­über einen grell­ro­ten blen­den­den Shawl aus falschem fran­zö­si­schen Kasch­mir. Fer­n­an­de er­stick­te fast in ei­ner schot­ti­schen Robe, de­ren Tail­le nur un­ter Auf­bie­tung al­ler Kräf­te von ih­ren Ge­fähr­tin­nen zu­ge­schnürt war und nun ihre straf­fen Kör­per­for­men in zwei­fa­cher Wöl­bung her­vor­tre­ten ließ. Die­sel­ben wog­ten un­ter der Klei­dung hin und her, als be­stän­den sie aus ei­ner flüs­si­gen Mas­se.

Ra­phae­le trug zu ih­rer fe­der­ge­schmück­ten Fri­sur, die das Aus­se­hen ei­nes Vo­gel­nes­tes hat­te, ein gold­ge­stick­tes Lila-Ko­stüm und ei­ni­gen ori­en­ta­li­schen Schmuck, der sehr gut zu ih­rer jü­di­schen Phy­sio­gno­mie pass­te.

Rosa la Ros­se, hat­te die Far­be ih­res Na­mens für ihre, mit brei­ten Vo­lants ver­se­he­ne Robe ge­wählt; sie sah aus wie ein zu star­kes Kind, wie ein fett­lei­bi­ger Zwerg un­ge­fähr. Die bei­den »Feu­er­sprit­zen« schie­nen ih­ren selt­sa­men Auf­putz aus al­ten Fens­ter­vor­hän­gen aus­ge­sucht zu ha­ben, die mit ih­rem Ran­ken­werk an das Re­stau­rant er­in­ner­ten.

So­bald die Da­men sich nicht mehr al­lein im Coupé be­fan­den, nah­men sie eine sehr ge­mes­se­ne Mie­ne an und spra­chen nur noch von erns­ten Din­gen, um einen gu­ten Ein­druck zu ma­chen. Aber in Bol­bec er­schi­en noch ein Herr mit blon­dem Ko­te­let­ten­bart, Rin­gen an den Fin­gern und ei­ner gol­de­nen Ket­te auf der Wes­te, der ver­schie­de­ne in Wachs­tuch gehüll­te Packe­te auf das Netz über ihm leg­te. Sein Äus­se­res ließ auf einen wit­zi­gen und gut­mü­ti­gen Men­schen schlies­sen. Er grüss­te beim Ein­stei­gen und frag­te mit leich­ten Lä­cheln: »Die Da­men wech­seln wohl die Gar­ni­son?« Die­se Fra­ge setz­te die klei­ne Ge­sell­schaft in eine pein­li­che Ver­le­gen­heit, nur Ma­da­me be­wahr­te ihre Fas­sung und ent­geg­ne­te spit­zig, um die Ehre ih­res Korps zu ret­ten: »Sie könn­ten wohl höf­li­cher sein.« Er ent­schul­dig­te sich: »Bit­te sehr um Ver­zei­hung, ich woll­te sa­gen: das Klos­ter.« Ma­da­me fand ent­we­der so­gleich kei­ne Ant­wort, oder sie moch­te auch sei­ne Recht­fer­ti­gung für hin­rei­chend hal­ten, denn sie neig­te wür­de­voll das Haupt und schwieg. Hier­auf be­gann der Herr, wel­cher zwi­schen Rosa und dem al­ten Land­mann Platz ge­nom­men hat­te, den drei En­ten, de­ren Köp­fe aus dem großen Kor­be her­vor­schau­ten, mit den Au­gen zu­zu­zwin­kern. Und als er merk­te, dass er schon die Auf­merk­sam­keit der Rei­se­ge­sell­schaft auf sich zog, kit­zel­te er die ar­men Tie­re un­term Schna­bel und hielt ih­nen da­bei scherz­haf­te An­re­den, um die Zu­hö­rer zum La­chen zu brin­gen: »Wir ha­ben un­se­re net­te klei­ne Pfüt­ze ver­las­sen! Aan! Aan! Aan! -- um die klei­ne net­te Brat­pfan­ne ken­nen zu ler­nen! Aan! Aan! Aan!« Die un­glück­li­chen Tie­re ver­dreh­ten den Hals, um den un­will­kom­me­nen Lieb­ko­sun­gen zu ent­ge­hen und mach­ten ver­zwei­fel­te An­stren­gun­gen, sich aus ih­rem Ge­fäng­nis zu be­frei­en. Dann sties­sen end­lich alle drei ein lau­tes We­he­ge­schrei aus: »Aan! Aan! Aan!« Die gan­ze Da­men­ge­sell­schaft brach in lau­tes Ge­läch­ter aus. Sie beug­ten sich vor und dräng­ten sich um bes­ser zu se­hen; es war ja auch zu när­risch mit die­sen En­ten. Der Herr ver­dop­pel­te sei­ne Lie­bens­wür­dig­keit, sei­nen Witz und sei­ne Ne­cke­rei­en.

Rosa woll­te sich be­tei­li­gen und in­dem sie sich über die Knie ih­res Nach­barn her­über­beug­te, küss­te sie die drei Tie­re auf den Schna­bel. Nun woll­te na­tür­lich jede an­de­re es eben­so ma­chen und der Herr ließ sie sich auf sei­ne Knie set­zen, schau­kel­te und kneip­te sie; dann duz­te er sie plötz­lich.

Die bei­den Land­leu­te wa­ren noch er­staun­ter, wie ihre Vö­gel; sie roll­ten die Au­gen wie be­ses­sen, wag­ten aber kein Wort zu sa­gen, und kein Lä­cheln, kein Zu­cken stahl sich über ihre run­ze­li­gen Ge­sich­ter.

Der Herr, sei­nes Zei­chens Ge­schäfts­rei­sen­der, bot jetzt zum Scherz den Da­men Ho­sen­trä­ger an, und öff­ne­te ei­nes der Packe­te, das er aus dem Netz nahm. In Wirk­lich­keit ent­hielt es Strumpf­bän­der.

Da gab es wel­che in blau­er, in rosa, in ro­ter, vio­let­ter, grau­er und ro­sen­ro­ter Sei­de, mit Me­tall­ver­schluss, aus zwei ver­gol­de­ten, sich küs­sen­den Amors her­ge­stellt. Die Mäd­chen jauchz­ten vor Ver­gnü­gen und prüf­ten die Mus­ter, ganz hin­ge­ris­sen von der Neu­gier­de, die jede Frau beim An­blick ei­nes Toi­let­te­ge­gen­stan­des emp­fin­det. Sie wink­ten sich mit den Au­gen, flüs­ter­ten sich ein­zel­ne Wor­te ins Ohr und Ma­da­me be­tas­te­te mit Wohl­ge­fal­len ein paar oran­gen­far­be­ne Strumpf­bän­der, die viel brei­ter und an­sehn­li­cher als die üb­ri­gen wa­ren; rich­ti­ge ech­te Strumpf­bän­der für eine »Ma­da­me.«

Der Herr sah war­tend zu; eine neue Idee war in ihm auf­ge­taucht. »Vor­wärts, mei­ne Kätz­chen,« sag­te er, »nun pro­biert sie an.« Das gab ein lau­tes Ge­schrei; sie press­ten ihre Rö­cke zwi­schen den Kni­en, als be­fürch­te­ten sie einen Ge­walt­streich. Er war­te­te in­des­sen ru­hig den rich­ti­gen Au­gen­blick ab: »Ihr wollt nicht, gut, dann kann ich wie­der ein­pa­cken,« Sch­liess­lich sag­te er: »Ich bie­te den­je­ni­gen ein Paar zur Aus­wahl an, die sie hier an­pro­bie­ren.« Aber sie gin­gen nicht dar­auf ein, und hiel­ten sich sehr wür­de­voll zu­rück. Die bei­den »Feu­er­sprit­zen« in­dess mach­ten ein so be­trüb­tes Ge­sicht, dass er ih­nen ge­gen­über sei­nen Vor­schlag er­neu­er­te. Schau­kel-Flo­ra vor al­lem schi­en, von leb­haf­ter Be­gier­de ge­sta­chelt, sicht­lich zu schwan­ken. »Geh doch, Mäd­chen!« dräng­te er sie, »hab nur et­was Mut; sieh nur die­ses Lila Paar müss­te herr­lich zu Dei­ner Toi­let­te pas­sen.« Da war es aus, und Flo­ra hob die Klei­der und zeig­te das di­cke, not­dürf­tig in einen gro­ben Strumpf ge­zwäng­te Bein ei­ner Kuh­magd. Der Herr beug­te sich nie­der und ver­schloss das Strumpf­band zu­erst un­ter dem Knie, dann über dem­sel­ben, wo­bei er das Mäd­chen lei­se kit­zel­te, was sie zu klei­nen Schre­ckens­schrei­en und plötz­li­chem Zu­sam­men­zu­cken ver­an­lass­te. Als er fer­tig war, gab er ihr das lila Paar und frag­te:


»Wer ist jetzt dran?«

»Ich, ich,« rie­fen alle auf ein­mal.

Er be­gann mit Rosa, wel­che ein run­des un­förm­li­ches Ding zeig­te, bei dem man nicht ein­mal die Knö­chel mehr sah, eine rich­ti­ge »Wurst von ei­nem Bein« wie Ra­phae­le sag­te. Fer­n­an­de wur­de von dem Kom­mis be­glück­wünscht, der von ih­ren mäch­ti­gen Stem­peln ganz ent­zückt war; die ma­ge­ren Stö­cke der schö­nen Jü­din da­ge­gen fan­den we­ni­ger sei­nen Bei­fall. Loui­se Co­co­te be­deck­te scher­zes­hal­ber den Kopf des Herrn mit ih­rem Rock; Ma­da­me schritt aber so­fort ein, um die­se un­ziem­li­che Spie­le­rei zu be­en­den. Sch­liess­lich bot sie selbst ihm ihr Bein hin, ein schö­nes wohl­pro­por­tio­nier­tes und mus­ku­lö­ses Nor­man­nier-Bein; der Rei­sen­de war so über­rascht und ent­zückt, dass er sei­nen Hut lüf­te­te um mit echt fran­zö­si­scher Galan­te­rie die­se Mus­ter­wa­de zu be­grüs­sen.

Die bei­den Land­leu­te wag­ten, starr vor Schre­cken, nur mit ei­nem Auge hin zu bli­cken und sie gli­chen so voll­stän­dig Hüh­nern, die auf dem Nes­te hocken, dass der Rei­sen­de, als er wie­der auf­stand, ih­nen ein lau­tes »Ki-ke-ri-ki« ins Ge­sicht kräh­te, was na­tür­lich ein neu­es stür­mi­sches Ge­läch­ter her­vor­rief.

In Mot­te­ville stie­gen die bei­den Al­ten mit ih­rem Kor­be, ih­ren En­ten und ih­rem mäch­ti­gen Re­gen­schir­me aus und man konn­te noch hö­ren, wie die Frau zu ih­rem Man­ne sag­te; »Das sind al­les die Fol­gen von die­sem Teu­fels-Pa­ris«.