Kostenlos

Soll und Haben, Bd. 1 (2)

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Wohlfart muß daran glauben,« rief Herr Specht wieder in dumpfem Flüsterton.

»Unsinn,« sagte Herr Pix, »Sie sind ein Narr!«

»Ich bin kein Narr, und ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten,« rief Herr Specht wieder flüsternd und nach dem Beispiel Antons entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.

»Schreien Sie mir nicht so in's Ohr,« sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Thür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. – Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jokei ahnungslos in irgend einer Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

»Thun Sie das nicht,« bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

»Ich bin sehr ruhig,« erwiederte Anton mit heißen Wangen; »ich werde ihm nur das Nöthige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über Alles, was Sie hier gehört haben, gegen die Andern schweigen.«

Das versprachen die Herren. Darauf ging er auf sein Zimmer und schrieb einen Brief, in dem er Herrn von Fink sein Unrecht vorhielt und ihm schließlich die Wahl ließ, ob er durch Schläger oder Pistolen das verletzte Selbstgefühl Antons ausbessern wollte. Der Brief war für einen jungen Gentleman gut genug geschrieben und wurde neben den Wachsstock des Herrn von Fink in dessen Stube niedergelegt, nachdem Herr Specht dem Bedienten noch auf der Treppe eingeschärft hatte, mit Kreide drei große Ausrufungszeichen auf den Tisch zu malen; wahrscheinlich sollten sie die Stelle der Späne vertreten, welche die Boten der heiligen Vehme aus dem Burgthor der Angeklagten zu hauen pflegten. Anton blieb den Rest des Abends auf seinem Zimmer, wo er unruhig auf und ab schritt, bald die Scene der Beleidigung, bald die zu erwartende Scene dramatisch auseinander legte und jede Art von Gefühlen durcharbeitete, welche bei einem armen Jungen vor dem ersten Duell unvermeidlich sind.

Unterdeß wurde im Zimmer des Herrn Jordan große Sitzung des gesammten Geschäfts gehalten. Da Herr Pix und Herr Specht versprochen hatten, zu schweigen, beschränkten sie sich auf so mysteriöse und finstere Andeutungen, daß bei einem Theil der Herren die Ansicht entstand, ein Mord sei entweder schon vollbracht, oder doch jeden Augenblick zu fürchten, bis endlich Herr Jordan das Wort ergriff: »Da die Differenz doch kein Geheimniß ist, und die Sache uns Alle angeht, so ist es am besten, wenn wir sie unter einander besprechen und uns sämmtlich Mühe geben, die nachtheiligen Folgen zu verhüten. Ich werde aufbleiben, bis Fink zurückkommt, und sogleich mit ihm reden. Unterdeß muß ich Wohlfart das Zeugniß geben, daß er sich so gewandt benommen hat, wie bei einem jungen Mann ohne Erfahrung nur möglich ist.« Alle stimmten eifrig bei. Darauf geriethen der Zollcommis Herr Birnbaum und Herr Specht in eine lebhafte Erörterung über die verschiedenen Arten der Duelle, und Herr Specht behauptete, beim Schießen über das Schnupftuch würden den Duellanten mit einem seidenen Taschentuch die Augen verbunden, und dieselben auf ihren Standorten so lange im Kreise herumgedreht, bis der Kampfrichter mit seinem Stock aufklopfe, worauf ihnen frei stehe, hinzuschießen, wohin sie wollten. Herr Baumann stahl sich zuerst aus der Gesellschaft fort und ging zu Anton, drückte diesem herzlich die Hand und bat ihn dringend, nicht um rauher Worte willen zwei Menschenleben auf das Spiel zu setzen. Nachdem er Abschied genommen hatte, fand Anton auf seinem Tisch ein kleines Exemplar des Neuen Testaments aufgeschlagen und darin durch ein großes Ohr den heiligen Spruch bezeichnet: »Segnet, die euch fluchen.« Anton war gerade nicht in der Stimmung, den Sinn dieser Worte zu befolgen. Aber er setzte sich doch vor das Buch und las darin die Sprüche, welche er als Kind seiner guten Mutter so oft aufgesagt hatte. Er wurde weicher und ruhiger und ging in dieser Stimmung zu Bette.

Unterdeß drang das Gerücht von einem furchtbaren Ereigniß durch alle Schlüssellöcher, Ritze und Kammern des alten Hauses.

Sabine war in ihrer Schatzkammer. Dies war ein Raum, unwohnlich für einen Gast, aber für jede Hausfrau ein heimliches, herzerhebendes Zimmer. An den Wänden standen mächtige Schränke von Eichen- und Nußbaumholz mit schöner eingelegter Arbeit, in der Mitte ein großer Tisch mit geschnörkelten Beinen, darum einige alte Lehnstühle. Aus den geöffneten Schränken glänzten im Lampenlicht unzählige Gedecke von Damast, hohe Terrassen von Wäsche, Linnen und bunten Stoffen, Krystallgläser, silberne Pocale, Porcellan und Fayence im Geschmack von mehr als drei Generationen. Die Luft war mit einem kräftigen Duft erfüllt, der aus uraltem Lavendel, Eau de Cologne und frischer Wäsche aufstieg. Hier herrschte Sabine allein. Nur ungern sah sie einen fremden Fuß eintreten; was aus den Schränken genommen wurde und wieder hineinkam, hob sie mit eigenen Händen; nur der treue Diener hatte das Vorrecht, ihr an schweren Tagen zu helfen, und zuweilen Karl Sturm, sein Adjutant, der gewisse rosafarbene Pappkarten zum Zeichnen der Wäsche anfertigte und prachtvolle Zahlen darauf schrieb.

Heute stand Sabine noch spät vor dem Tisch, der mit weißer Wäsche belastet war; sie suchte die Nummern des feinen Damasts zusammen, zählte und sortirte Tischdecken und Servietten, band große Bündel mit rosa Bändern zusammen und hing die Nummerkarten daran. Zuweilen hielt sie ein Stück näher an das Licht und sah mit Behagen auf die weißen Arabesken, welche die Kunst des Webers hineingewirkt hatte. Da flog ein dunkler Schatten über ihr Antlitz und traurig sah sie auf einige wunderfeine Servietten, in welche zahlreiche kleine Löcher gestochen waren, je drei oder vier in einer Reihe. Endlich rief sie den Bedienten. »Es ist nicht mehr auszuhalten, Franz, auch in No. 24 sind wieder drei Servietten mit der Gabel durchstochen. Einer der Herren sticht in das Tischzeug! Das ist bei uns doch nicht nöthig.«

»Nein,« sagte der Vertraute kummervoll; »ich selbst habe ja das Silberzeug unter mir, ich weiß am besten, daß es nicht nöthig ist.«

»Wer von den Herren ist so rücksichtslos?« frug Sabine streng. »Es muß einer der Neuen sein.«

»Herr von Fink ist es,« klagte der Diener, »er sticht vor jedem Essen zweimal mit der Gabel durch die Serviette; es giebt mir jedesmal einen Stich durch's Herz, Fräulein Sabine. Aber Herrn von Fink kann ich doch nichts sagen.«

Sabine hing den Kopf über die zerstochenen Servietten. »Ich wußte, daß er es war,« seufzte sie. – »Aber das darf nicht so fortgehen. Ich werde Ihnen für Herrn von Fink eine besondere Nummer herausgeben, die müssen wir opfern, bis sich eine Gelegenheit findet, ihn zu bitten, daß er von seinen Angriffen abläßt.« Sie trat zu dem Schrank und suchte lange. Es war eine schwere Wahl. Zwar von den groben konnte sie ohne Schmerz einige Dutzend missen, von den feinen aber war ihr jedes Gedeck an's Herz gewachsen. Eines freilich mehr als das andere. – »Dieses mag hingehen,« sagte sie endlich betrübt, »hier fehlt ohnedies eine Serviette.« Sie sah noch einmal auf das Muster, kleine Pfauen, welche kunstvoll durch Blumengewinde schritten, und legte die Nummer auf den Arm des Dieners. »Herr von Fink bekommt keine andern Servietten, als diese,« befahl sie.

Franz zögerte zu gehen. »Er hat auch in seiner Schlafstube eine Gardine angebrannt,« sagte er unruhig. »Der Flügel wird nicht mehr zu brauchen sein.«

»Und sie war ganz neu,« klagte Sabine. »Morgen früh nehmen Sie die Gardine ab. – Was haben Sie noch, Franz? Ist etwas vorgefallen?« —

»Ach, Fräulein,« erwiederte der Diener geheimnißvoll, »drüben bei den Herren geht Alles durcheinander. Herr von Fink hat Herrn Wohlfart sehr beleidigt, Herr Wohlfart ist wüthend, es wird ein Duell geben, sagt Herr Specht, die Herren fürchten ein großes Unglück.«

»Ein Duell,« rief Sabine, »zwischen Fink und Wohlfart?« – Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben wohl Herrn Specht mißverstanden,« fügte sie lächelnd hinzu.

»Nein, Fräulein Sabine, diesmal ist es ernsthaft. – Es wird ein Unglück geben, Herr Wohlfart ging im größten Zorn an mir vorüber, und er hat seinen Thee nicht angerührt.«

»Ist mein Bruder noch nicht zurück?«

»Er kommt heut spät nach Hause, er ist im Comité.«

»Es ist gut,« schloß Sabine. »Sie schweigen gegen Jedermann, Franz, hören Sie?«

Sabine setzte sich wieder an den Tisch, aber ihr Damast war vergessen. Sie blickte starr hinaus in den dunkeln Hof nach den Fenstern des Volontairs. »Er sticht durch die Servietten,« klagte sie leise, »er wird sich auch kein Gewissen daraus machen, eine Menschenbrust zu durchbohren! Das also war der Schmerz des armen Wohlfart! – Er kam zu uns, der wilde Gast, wie ein Wirbelwind über den blühenden Busch; wo er anschlägt, fallen die Blüthen zur Erde. Sein Leben ist Wirrwarr, Aufregung, Getöse. Was ihm nahe kommt, zieht er in seinen tollen Tanz. Auch mich! auch mich! Du stolzer und verwegener Geist, auch mir hast du die Seele aufgeregt. Ich mühe mich, ich ringe Tag für Tag, aber immer wieder erfaßt mich sein Zauber. So schön, so glänzend, so seltsam ist er! Er ärgert mich täglich und alle Tage muß ich an ihn denken, um ihn sorgen, über ihn trauern. O meine Mutter, hier war's, wo ich zum letzten Mal zu deinen Füßen saß, hier übergabst du mir die Schlüssel des Hauses! Du hieltest die Hände segnend auf mein Herz. »Der Himmel behüte dir jeden Schlag,« sagtest du unter Thränen und Küssen. Jetzt schütze die Tochter, Geliebte, du mein Vorbild für alle Ueberlegung, für die Ordnung deines Hauses, für sicheres Pflichtgefühl, behüte mir das laut pochende Herz. Mache mich fest gegen ihn, gegen sein verführerisches Lachen, gegen seinen übermüthigen Spott.«

 

So betete Sabine. Lange saß sie in feierlicher Berathung mit den guten Geistern des Hauses, dann fuhr sie mit dem Tuch über die Augen, trat entschlossen an den Tisch und fuhr fort, den Damast zu zählen und aufzuheben.

Anton war bereits ausgekleidet und im Begriff, sein Licht auszulöschen, als kräftig an die Thür geklopft wurde und der Mann eintrat, den er in diesem Augenblick am wenigsten von allen Sterblichen erwartete. Es war Herr von Fink mit seiner Reitpeitsche und seinem nachlässigen Wesen.

»Ah, Sie sind schon zu Bett,« sagte der Jokei und setzte sich rittlings auf einen Stuhl in der Nähe, »lassen Sie sich nicht stören! Sie haben mir einen gefühlvollen Brief geschrieben, und Jordan hat mir das Uebrige erzählt; ich komme, Ihnen mündlich zu antworten.« Anton schwieg und sah von seinem Kopfkissen finster auf den Gegner. »Ihr seid hier alle sehr tugendhafte und sehr empfindliche Leute,« fuhr Fink fort und schlug mit seiner Peitsche an das Stuhlbein. »Es thut mir leid, daß Sie sich meine Reden so zu Herzen genommen haben. Es freut mich aber, daß sie so entschlossen sind. Sie haben den ehrlichen Jordan in einen wahren Wärwolf verwandelt,« fügte er lächelnd hinzu.

»Bevor ich Sie weiter anhöre,« sagte Anton grollend, »muß ich wissen, ob Sie die Absicht haben, mir für Ihre Beleidigung eine Erklärung vor den übrigen Herren zu geben. Ich weiß nicht, ob nach der schweren Kränkung, die Sie mir zugefügt haben, ein Anderer, der mehr Erfahrung in Ehrensachen hat, sich mit einer solchen Erklärung begnügen würde. Ich habe das Gefühl, daß ich damit zufrieden sein müßte.«

»Da fühlen Sie richtig,« sagte Fink kopfnickend; »Sie können damit zufrieden sein.«

»Wollen Sie mir morgen diese Erklärung geben?« frug Anton.

»Warum denn nicht?« sagte Fink gleichgültig; »ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu schießen, ich will Ihnen gern vor sämmtlichen Correspondenten und Procuristen der Firma die Erklärung ausstellen, daß Sie ein verständiger und hoffnungsvoller junger Mann sind, und daß ich Unrecht gethan habe, Jemanden zu kränken, der jünger, und verzeihen Sie den Ausdruck, um Vieles grüner ist, als ich.«

Unser Held hörte diese Worte mit gemischten Empfindungen; es wurde ihm doch leichter um's Herz; aber die Manier Finks ärgerte ihn wieder sehr und er sagte sich im Bette aufrichtend entschlossen: »Ich bin mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden, Herr von Fink.«

»Ei,« sagte Fink, »was verlangen Sie noch?«

»Sie gefallen mir auch in diesem Augenblick nicht,« sprach Anton, »Sie sind wieder rücksichtsloser gegen mich, als gegen einen Fremden schicklich ist. Ich weiß, daß ich noch jung bin und wenig von der Welt kenne, und ich glaube, daß Sie mich in vielen Dingen übersehen, aber eben deshalb wäre es hübscher von Ihnen, wenn Sie freundlich und gütig gegen mich wären.« Anton sagte dies mit einer Bewegung, welche seinem Gegner nicht entging. Fink streckte seine geöffnete Hand gutmüthig über das Bett und sprach: »Seien Sie nur nicht wieder böse und geben Sie mir Ihre Hand.«

»Ich möchte gern,« rief Anton mit hervorbrechender Rührung, »aber ich kann noch nicht; sagen Sie mir zuvor, daß Sie den Streit mit mir nicht deswegen so leicht behandeln, weil Sie mich für zu jung und zu gering halten, oder weil Sie von Adel sind und ich nicht.«

»Hört, Master Wohlfart,« sagte Fink, »Ihr setzet mir das Messer verzweifelt an die Kehle. Weil Ihr aber in Eurem reinen weißen Hemdchen so unschuldig vor mir liegt, so will ich ein Uebriges thun und wegen dieser Punkte mit Euch capituliren. Was meinen deutschen Adel betrifft, so viel darauf!« – hier schnalzte er mit den Fingern, – »er hat für mich ungefähr denselben Werth, wie ein Paar gute Glanzstiefeln und neue Glacéhandschuhe. Was aber meine Scheu vor Ihrer Jugend und der hoffnungsvollen Würde eines Lehrlings betrifft, so will ich mich wenigstens zu dem Bekenntniß verstehen, daß ich nach dem, was ich heut Abend an Ihnen kennen gelernt habe, Ihnen fortan bei jedem neuen Zank, in den wir gerathen werden, mit jedem Mordwerkzeug, das Sie vorschlagen, jede mögliche Genugthuung geben will. Damit können Sie sich begnügen.« – Nach diesem Trost hielt ihm Fink zum zweiten Mal die Hand hin und sagte: »Jetzt schlagen Sie ein, es ist jetzt Alles in Ordnung.«

Anton legte seine Hand in die dargebotene, und der Jokei schüttelte sie ihm kräftig und sagte: »Wir sind heut so offenherzig gegen einander gewesen, daß es gut sein wird, wenn wir eine Pause machen, sonst haben wir einander gar nichts mehr zu erzählen. Schlafen Sie wohl, morgen mehr davon.« Dabei ergriff er seine Mütze, nickte mit dem Kopf und schritt klirrend zur Thür hinaus.

Anton war, die Wahrheit zu gestehen, über diesen unerwartet friedlichen Ausgang so vergnügt, daß er lange nicht einschlafen konnte. Herr Baumann, der in seiner Schlafkammer das Bett an derselben Wand hatte, konnte sich nicht enthalten, nach Finks Abgang seinen Glückwunsch durch Klopfen an der Wand auszudrücken, und Anton beantwortete das Signal sofort durch ein ähnliches Klopfen, welches seinen Dank für die Theilnahme anzeigen sollte.

Am andern Morgen war das Comtoir eine Viertelstunde vor der Ankunft des Prinzipals vollzählig versammelt. Fink erschien als Letzter und sagte mit lauter Stimme: »Mylords und Gentlemen aus dem Export- und Provinzialgeschäft, ich habe gestern Herrn Wohlfart von hier in einer Weise behandelt, die mir jetzt, nach dem, was ich von ihm kennen gelernt habe, aufrichtig leid thut. Ich habe ihm gestern bereits meine Erklärung gemacht und bitte ihn heute in Ihrer Gegenwart freiwillig nochmals um Verzeihung. Zu gleicher Zeit bemerke ich, daß unser Wohlfart sich bei diesem Streit durchaus respectabel benommen hat, und daß ich mich freue, mit ihm in Geschäftsverbindung getreten zu sein.« Das Comtoir lächelte, Anton ging auf Fink zu und schüttelte ihm wieder die Hand, Herr Jordan that mit beiden Parteien dasselbe, und die Sache war abgemacht.

Doch blieb sie nicht ohne Folgen. Auch die Kunde von der ehrlichen Sühne, welche Fink dem Lehrling gab, und von der freundlichen Ausgleichung gelangte in das Vorderhaus. Und als Anton zusammen mit Fink beim Mittagtisch erschien, ruhten die Blicke der Damen mit Theilnahme und Neugier auf ihm, und der Prinzipal verbarg nicht ein freundliches Lächeln. Aber auch auf Fink fiel Sabinens Auge mit freudigem Glanz, und so oft sie zu ihm aufsah, war ihr, als hätte sie ihm etwas Großes abzubitten.

Bei den Herren vom Comtoir war die Stellung Wohlfarts auf einmal eine ganz andere geworden, er wurde von Allen mit einer Achtung behandelt, welche ein Lehrling sonst nicht durchzusetzen pflegt; Herr Specht erklärte ihn bei sämmtlichen Commis seiner Bekanntschaft – und seine Bekanntschaft war groß – für einen modernen Bayard, für den letzten Ritter Europa's, für einen furchtbaren Haudegen im Reiche der Conticurrenten; Herr Liebold wurde wahrhaft kühn in seinen Behauptungen, wenn er merkte, daß Anton auf seiner Seite stand, und sogar Herr Pix gönnte seinem Zögling von diesem Tage an augenscheinliche Hochachtung, er vertraute den Beobachtungen, welche Anton am Zünglein der großen Waage machte, eben so fest, wie seinen eigenen, und überließ ihm zuweilen sogar den schwarzen Pinsel, seinen geliebten Scepter, das Zeichen seiner Herrschermacht.

Die größte Veränderung aber trat in Antons Verhältniß zu Fink ein. Denn einige Tage nach dem Streit, als Anton hinter dem Jokei die Treppe des Hinterhauses hinaufstieg, blieb Fink an seiner Thür stehen und frug: »Wollen Sie nicht bei mir eintreten? Sie sollen mir heut Ihren Besuch machen und meine Cigarren probiren.«

Zum ersten Mal überschritt Anton die Schwelle des Volontairs und blieb verwundert an der Thür stehen, denn das Zimmer sah sehr fremdartig aus. Elegante Möbel standen unordentlich umher, ein dicker Teppich, weich wie Moos, bedeckte den Fußboden, und der ordentliche Anton sah mit Betrübniß, wie rücksichtslos die Cigarrenasche auf die prächtigen Blumen desselben geworfen war. An der einen Wand stand ein großer Gewehrschrank, darüber hing ein ausländischer Sattel und pfundschwere silberne Sporen; die andere Wand verdeckte ein eben so großer Bücherschrank aus kostbarem Holz, voll von Büchern in braunem Lederband, und über dem Schrank reichten riesige Flederwische, die schwarzen Flügel eines ungeheuren Vogels, von einer Stubenwand bis zur andern.

»Welche Menge von Büchern Sie haben!« rief Anton erfreut.

»Es sind Erinnerungen an eine Welt, in der ich nicht mehr lebe,« sagte Fink.

»Und diese Flügel, gehören sie auch zu Ihren Erinnerungen?«

»Ja, Herr, es sind die Fittige eines Condors; Sie sehen, ich bin stolz auf diese Jagdbeute,« antwortete Fink und hielt unserm Anton ein Packet mit Cigarren hin. »Setzen Sie sich, Wohlfart, lassen Sie uns plaudern, und zeigen Sie, ob Herr Specht Recht hat, wenn er Sie als liebenswürdigen Gesellschafter rühmt.« Er schob unserm Helden mit dem Fuße einen großen Fauteuil zu. Anton sank behaglich in die weichen Kissen und blies blaue Wolken nach der Decke, während Fink die Lampe des silbernen Theekessels anzündete. »Sie haben mir neulich gefallen, Wohlfart,« sagte Fink, sich der Länge nach auf dem Sopha ausstreckend, »verstehen Sie sich auf Pferde?«

»Nein,« sagte Anton.

»Sind Sie Jäger?«

»Auch nicht.«

»Treiben Sie Musik?«

»Nur wenig,« sagte Anton.

»Nun also, in Teufels Namen, welche menschliche Eigenschaft haben Sie denn?«

»In Ihrem Sinne wenig,« antwortete Anton ärgerlich. »Ich kann die Leute lieben, welche mir gefallen, und ich glaube ich kann ein treuer Freund sein; wenn mich aber Jemand übermüthig behandelt, so empöre ich mich.«

»Schon gut,« sagte Fink, »von der Seite kenne ich Sie. Für einen Anfänger war Ihr Debut gar nicht übel. Ich sehe, es ist Race in Ihnen. Lassen Sie hören, wer Sie sind. Von welchem Volke der sterblichen Menschen stammen Sie, und welches Schicksal hat Sie hierher geschleudert in dieses traurige Mühlwerk, wo Jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird, wie Liebold, oder im besten Fall wie der pünktliche Jordan?«

»Es war doch ein gutmüthiges Schicksal,« antwortete Anton und begann von seiner Heimath und seinen Eltern zu erzählen. Mit Wärme schilderte er den kleinen Kreis, in dem er aufgewachsen war, die Abenteuer seiner Schulzeit und einige närrische Leute aus Ostrau, mit denen er verkehrt hatte. »Und so ist für mich ein großes Glück, was Sie für ein Unglück halten,« schloß er, »daß ich hierher gekommen bin.«

Fink nickte beistimmend und sagte: »Zuletzt ist der größte Unterschied zwischen uns Beiden, daß Sie Ihre Mutter gekannt haben und ich die meine nicht. Uebrigens ist es ziemlich gleichgültig, in welchem Nest Einer aufwächst, man kann fast unter allen Umständen ein tüchtiger Gesell werden. – Ich habe Leute gekannt, die weniger Liebe in ihrem Vaterhause gefunden haben, als Sie.«

»Sie haben so viel von der Welt gesehen,« sagte Anton rücksichtsvoll, »ich bitte Sie, mir zu sagen, wie Sie dazu gekommen sind.«

»Sehr einfach,« begann Fink. »Ich besitze einen Onkel in Newyork, der dort einer von den Aristokraten der Börse ist. Dieser schrieb meinem Vater, als ich vierzehn Jahr war, ich solle eingepackt und herübergeschickt werden, er habe die Absicht, mich zu seinem Erben zu machen. Mein Vater ist sehr Kaufmann, ich wurde emballirt und abgeschickt. In Newyork wurde ich bald ein gottverdammter kleiner Schuft und Taugenichts, ich trieb jede Art von Unsinn, hielt einen Stall von Racepferden in einem Alter, wo bei uns ehrliche Jungen noch auf offener Straße ihre Buttersemmel verzehren und mit einem Papierdrachen spielen. Ich bezahlte Sängerinnen und Tänzerinnen und mißhandelte meine weißen und schwarzen Domestiken so sehr durch Fußtritte und Haarraufen, daß mein Oheim genug zu thun hatte, um Entschädigungsgelder an diese freien Bürger zu bezahlen. Sie hatten mich aus meiner Heimath fortgerissen, ohne sich um meine Gefühle zu bekümmern; ich bekümmerte mich jetzt den Teufel um die ihren. Uebrigens je toller ich's trieb, desto mehr Geld bekam ich in die Hände. Ich war bald der verrufenste unter den jungen Bengeln, welche die vornehmen Unarten jenseit des Wassers cultiviren. Einst an meinem Geburtstage kam ich um sechs Uhr früh aus einem kleinen Souper nach Hause, bei dem ich aus Caprice den Spröden gegen einige zuvorkommende Damen gespielt hatte, und unterwegs fiel mir ein, daß diese Wirthschaft ein Ende nehmen müsse oder ich selbst würde ein Ende nehmen. Ich ging nach dem Hafen statt nach Hause, steckte mich in grobe Matrosenkleider, die ich unterwegs kaufte, und bevor es Mittag war, fuhr ich als Schiffsjunge auf einem dickbäuchigen Engländer zum Hafen hinaus. Wir segelten einige tausend Meilen um Cap Horn herum und auf der andern Seite des Festlandes wieder hinauf. Als wir in Valparaiso ankamen, erklärte ich dem Capitain, daß ich ihm für die Ueberfahrt dankbar sei, tractirte die ganze Mannschaft und sprang an's Land, um mit den zwanzig Dublonen, die ich noch in der Tasche hatte, auf eigene Faust mein Glück zu machen. Ich traf bald einen verständigen Mann, der mich auf seine Hazienda brachte, wo ich als Ochsenhirt und Reitkünstler nicht geringe Lorbeeren erndtete. Ich war etwa anderthalb Jahr dort oben und befand mich sehr wohl, ich wurde als eine Art dienstthuender Gastfreund behandelt, ich war verliebt, ich war bewundert als Jäger und tummelte mich tüchtig im Sattel, was fehlte mir? – Doch alle Freude ist vergänglich. Wir hatten gerade großes Rinderschlachten, und ich war fleißig beschäftigt, von meinem Pferd die Kühe in den Schlachthof zu escortiren, als plötzlich zwei Regierungsbeamte in unser Fest hineinritten. Diese behandelten mich selber mit vieler Artigkeit wie ein junges Rind, nahmen mich sammt meinem Pferd in die Mitte und führten mich zwischen ihren Steigbügeln Trott und Galopp nach der Hauptstadt. Dort wurde ich beim amerikanischen Consul abgeliefert, und da mein Oheim Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, mich auszuspüren, und ich aus einem langen Briefe meines Vaters erkannte, daß dieser Herr sich wirklich über mein Verschwinden ängstigte, so beschloß ich, ihm den Gefallen zu thun und zurückzukehren. Ich unterhandelte mit dem Consul und reiste mit dem nächsten Schiff nach Europa ab. Als ich auf diesem bejahrten Erdhaufen ankam, erklärte ich meinem Vater, daß ich nicht Kaufmann werden wolle, sondern Landwirth. Darüber gerieth die Firma Fink und Becker außer sich, aber ich blieb fest. Endlich kam ein Vertrag zu Stande. Ich ging zunächst auf zwei Jahr in eine norddeutsche Wirthschaft, dann sollte ich einige Jahr in einem Comtoir arbeiten, dadurch hoffte man meine Capricen zu bändigen. So bin ich jetzt hier in Clausur. Aber alle Mühe ist umsonst. Ich thue meinem Vater den Gefallen, hier zu sitzen, weil ich merke, daß sich der Mann viel unnützen Kummer um mich macht, aber ich bleibe nur so lange hier, bis er sich überzeugt, daß ich Recht habe. Dann werde ich Landmann.«

 

»Wollen Sie bei uns ein Gut kaufen?« frug Anton neugierig.

»Nein, Herr,« antwortete Fink, »das will ich nicht. Ich würde es vorziehen, vom frühen Morgen bis gegen Mittag zu reiten, ohne an einen Grenzstein meines Landes zu stoßen.«

»Sie wollen also wieder nach Amerika zurück?«

»Oder anderswohin, ich bin in Erdtheilen nicht wählerisch. Unterdeß lebe ich in diesem Kloster als Mönch, wie Sie sehen,« sagte Fink lachend und goß aus einer großen Flasche eine Menge Rum unter ein geringeres Maß anderer Substanzen, rührte das Getränk um und trank zum geheimen Schreck Antons die feurige Mischung behaglich hinunter. »Frisch, Mann,« rief er, Anton die Flasche zuschiebend, »macht Euren Trank zurecht, und jetzt laßt uns lustig plaudern, wie sich für gute Gesellen und versöhnte Feinde schickt.«

Seit diesem Abend behandelte Fink unsern Helden mit einer Freundlichkeit, welche sehr verschieden war von dem nachlässigen Wesen, das er den übrigen Herren vom Geschäft gönnte. In Kurzem wurde Anton der Liebling des Mönchs in der Clausur, oft rief ihn Fink in sein Zimmer, ja er verschmähte sogar nicht, drei Treppen hoch in das Heiligthum der lederfarbenen Katze hinauf zu steigen, wenn er gerade gelaunt war, einen Abend im Hause zu verleben. Allerdings war das nicht oft der Fall. Anton merkte bald, daß sein neuer Freund eine in der Stadt sehr bekannte und vielbesprochene Person war, daß er unter der eleganten Jugend mit einem wahren Despotismus herrschte, und bei Herrenreiten, Jagdpartien und anderen nützlichen Thätigkeiten Anführer und vielbegehrte Autorität war. Er war jung, gewandt, von Adel, galt für unermeßlich reich und besaß eine Meisterschaft in allen Dingen, die mit einem Pferdehuf, einem Gewehrlauf und einem vergoldeten Theelöffel irgend in Verbindung gedacht werden können, und was über Allem stand, er behandelte Jeden, der in seine Nähe kam, mit der leichten Suffisance, welche von je bei dem großen Haufen unselbstständiger Menschen als Zeichen von überlegener Kraft gegolten hat. Fink war deßhalb viel in Gesellschaft und kam oft erst gegen Morgen nach Hause. Anton hörte ihn zuweilen ankommen, wenn er bereits vor seinem Buche saß; er bewunderte die Lebenskraft seines Freundes, der dann nach einer oder zwei Stunden Ruhe seinen Platz im Comtoir einnahm und während des ganzen Vormittags keine Spur von Mattigkeit zeigte. Gegen die strenge Ordnung des Hauses stach Fink auch dadurch ab, daß er sich die unerhörte Freiheit herausnahm, zuweilen eine Stunde nach Eröffnung des Comtoirs zu erscheinen und sich vor dem Schluß zu entfernen. Anton konnte nicht errathen, ob sein Prinzipal diese gelegentliche Selbstständigkeit für ein großes oder für ein kleines Verbrechen hielt. Jedenfalls schwieg er dazu.

So verging der Winter, und Anton merkte an untrüglichen Zeichen, daß der Frühling und der Sommer über das Land daherzogen. Die Fuhrleute brachten nicht mehr Schneeflocken in's Comtoir, sondern Regentropfen und braune Fußtapfen, zuweilen wagte sich ein Mädchen mit Veilchensträußen in die Nähe der unermüdlichen Wanduhr, dann schien die Sonne Herrn Liebold kriegslustig auf seine Fensterecke, dann kamen die Mäkler und erzählten von der gelben Blüthe der Oelfrucht draußen im Freien, und endlich erschien Herr Braun und trug die erste Rose in der Hand. Ein Jahr war vergangen, seit Anton mit den Schwänen über den See gefahren war. Er hatte das ganze Jahr hindurch an die Fahrt gedacht.