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Soll und Haben, Bd. 1 (2)

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»Die Vorbereitungen für den Markt sind schrecklich,« klagte Lenore, »das ganze Leben der Mutter wird verkauft, an jedem Stück hängen für sie Erinnerungen. Sehen Sie, Wohlfart, diesen Diamantenschmuck hat sie von der Prinzessin bekommen, als sie den Vater heirathete.«

»Es sind prachtvolle Brillanten,« rief Anton bewundernd.

»Dieser Ring stammt von meinem Großvater, und das hier sind Geschenke meines armen Papa's. – Ach, kein Mann versteht, wie lieb uns diese Schmucksachen sind. Es war jedesmal ein Festtag auch für mich, wenn Mama die Brillanten trug. – Jetzt kommen wir zu meinen Habseligkeiten, sie sind nicht viel werth. Ob dieses Armband gutes Gold sein mag?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wir wollen es doch zu dem Uebrigen thun,« sagte Lenore, streifte den Goldreif vom Arm und legte ihn auf den Tisch. »Ja, Sie sind ein guter Mensch, Wohlfart,« fuhr sie fort und sah ihm treuherzig in die feuchten Augen; »verlassen nur Sie uns nicht. Der Bruder hat keine Erfahrung und ist hülfloser als wir. Es ist eine furchtbare Lage auch für mich. Vor Mama mühe ich mich, gefaßt zu sein, aber ich möchte laut schreien und weinen den ganzen Tag.« Sie sank in einen Stuhl und hielt seine Hand fest. »Lieber Wohlfart, verlassen Sie uns nicht.«

Anton beugte sich über sie und sah in leidenschaftlicher Bewegung auf die schöne Gestalt, die so vertrauend aus ihren Thränen zu ihm aufsah. »Ich will Ihnen nützlich sein, wo ich kann,« sprach er in mächtiger Aufwallung seines Gefühls, »ich will Ihnen nahe sein, so oft Sie mich bedürfen. Sie haben eine zu gute Meinung von meinen Kenntnissen und meiner Kraft, ich kann Ihnen weniger helfen, als Sie glauben. Was ich aber vermag, das werde ich thun, in jeder Thätigkeit und auf allen Wegen.«

Mit einem warmen Druck lösten sich ihre Hände, ein Vertrag war geschlossen.

Die Baronin kam in das Zimmer zurück. »Unser Anwalt war heut Morgen bei mir. Jetzt bitte ich auch Sie um Ihren Rath. Wie der Anwalt mir mittheilt, ist keine Aussicht, das Familiengut dem Freiherrn zu erhalten.«

»In dieser Zeit, wo das Geld theuer und schwer zu haben ist, keine,« erwiederte Anton.

»Und auch Sie sind der Meinung, daß wir Alles anwenden müssen, um die polnische Herrschaft uns zu retten?«

»Ja,« erwiederte Anton.

»Auch dazu wird Geld nöthig sein. Vielleicht vermag ich durch meine Verwandten Ihnen eine, wenn auch geringe Summe zugänglich zu machen; sie soll mit diesem da« – sie wies auf den Koffer – »ausreichen, die Kosten der ersten Einrichtung zu decken. Ich wünsche den Schmuck nicht hier zu verkaufen, auch für die Uebernahme der Geldsumme, welche ich hoffen darf, wird eine Reise nach der Residenz nöthig sein. Der Anwalt des Freiherrn hat mit großer Achtung von Ihrer Umsicht gesprochen. Es ist auch sein Wunsch, der mich bestimmt, Ihnen ein Anerbieten zu machen. Wollen Sie uns für die nächsten Jahre, wenigstens so lange, bis die größten Schwierigkeiten überwunden sind, Ihre ganze Zeit widmen? Ich habe mit meinen Kindern berathen, beide sehen, wie ich, in Ihrer Thätigkeit die einzige Rettung. Auch der Freiherr ist damit einverstanden. Es frägt sich, ob Ihre Verhältnisse Ihnen erlauben, uns Unglücklichen Ihren dauernden Beistand zu gönnen. Unter welchen Bedingungen Sie dies auch thun, wir werden Ihnen dankbar sein. Wenn Sie irgend eine Form finden, in der wir die großen Verpflichtungen, die wir gegen Sie haben, auch in Ihrer äußern Stellung ausdrücken können, so sagen Sie mir das.«

Anton stand erstarrt. Was die Baronin von ihm forderte, war Trennung von dem Geschäft und Trennung von seinem Chef und Sabine. War ihm derselbe Gedanke schon früher gekommen, wenn er vor Lenore stand oder wenn er sich über die Briefe des Freiherrn beugte? – Jetzt, wo das Wort ausgesprochen wurde, erschütterte es ihn. Er sah auf Lenore, welche hinter der Mutter ihre Hände bittend zusammenlegte. »Ich stehe in einem Verhältniß,« erwiederte er endlich, »welches ich nicht ohne Einwilligung Anderer lösen darf, ich bin auf diesen Antrag nicht vorbereitet und bitte Sie, gnädige Frau, mir Zeit zur Ueberlegung zu lassen. Es ist ein Schritt, der über meine Zukunft entscheidet.«

»Ich dränge nicht,« sagte die Baronin, »ich bitte nur. Wie Ihre Entscheidung auch ausfalle, unser warmer Dank wird Ihnen bleiben; wenn Sie außer Stande sind, unsere schwache Kraft zu stützen, so fürchte ich, finden wir Niemanden. Denken Sie auch daran,« bat sie flehend.

Mit glühenden Wangen eilte Anton über die Straße. Der bittende Blick der Edelfrau, die gerungenen Hände Lenorens winkten ihm hinaus aus dem dunkeln Comtoir in größere Freiheit, in eine ungewöhnliche Zukunft, aus deren Dunkel einzelne Bilder leuchtend vor ihm aufblitzten. Mit großem Sinn war eine Forderung an ihn gestellt, und es zog ihn mächtig, ihr gerecht zu werden. Ein unermüdlicher, aufopfernder Helfer war den Frauen nöthig, um sie vor dem letzten Unheil zu bewahren. Und er that ein gutes Werk, wenn er dem Drange folgte, er erfüllte eine Pflicht.

So trat er in das Haus der Handlung. Ach! was hier sein Auge ansah, streckte eine Hand aus, ihn festzuhalten. Er sah in das dämmrige Waarengewölbe, in die treuen Gesichter der Hausknechte, auf die Ketten der großen Waage und über den Farbentopf des ehrlichen Pix, und empfand wieder, daß er hierher gehörte. Der Hund Sabinens küßte seine Hand mit feuchter Schnauze und lief hinter ihm her bis an sein Zimmer. Sein und Finks Zimmer! Hier hatte das kindische Herz des verwaisten Knaben einen Freund gefunden, gute Kameraden, eine Heimath, ein festes ehrenhaftes Ziel für sein Leben. Und er sah durch das Fenster hinab in den Hof, auf die Winkel und Vorsprünge des mächtigen Hauses, auf das Gitterfenster, hinter welchem Herr Liebold am Hauptbuch saß, in das Comtoir, wo sein Pult stand, und auf die kleine Stube, wo Er arbeitete, der ihm jetzt zürnte und der jahrelang sein väterlicher Freund gewesen war. Da fiel sein Blick auch auf das Fenster von Sabinens Vorrathsstube; oft hatte sein Auge dort einen wandernden Lichtschimmer gesucht, der das ganze große Haus erhellte und auch Behagen in sein Zimmer sandte. Und schnell aufgerichtet sprach er zu sich selbst: »Sie soll entscheiden.«

Sabine erhob sich überrascht, als Anton mit schnellem Schritt vor sie trat. »Es treibt mich unwiderstehlich zu Ihnen,« rief er. »Ich soll über meine Zukunft einen Entschluß fassen, und ich fühle mich unsicher und traue meinem Urtheil nicht mehr. Sie sind mir immer eine gütige Freundin gewesen, vom ersten Tage meines Eintritts. Ich bin gewöhnt, auf Sie zu sehen und an Sie zu denken bei Allem, was in diesem Hause mein Herz erregt. Lassen Sie mich auch heut aus Ihrem Munde hören, was Sie für gut halten. Mir ist von Frau von Rothsattel der Antrag gemacht worden, als Bevollmächtigter des Freiherrn in ein festes Verhältniß zu ihm zu treten. Soll ich annehmen oder soll ich hier bleiben? Ich weiß es nicht; sagen Sie mir, was recht ist für mich und für Andere.«

»Nicht ich,« sagte Sabine zurücktretend, und ihre Wange erblich. »Ich darf nicht wagen, darüber zu entscheiden. – Und Sie selbst wollen das nicht, Wohlfart, denn Sie haben bereits entschieden.«

Anton sah vor sich hin.

»Sie haben daran gedacht, dies Haus zu verlassen, und aus dem Gedanken ist ein Wunsch geworden. Und ich soll Ihnen Recht geben und Ihren Entschluß loben. Das wollen Sie von mir,« fuhr sie bitter fort. – »Das aber kann ich nicht, Wohlfart, denn ich traure, daß Sie von uns gehen.«

Sie wandte ihm den Rücken zu und stützte sich auf einen Stuhl.

»O zürnen Sie mir nicht, Fräulein Sabine,« flehte Anton, »das kann ich nicht ertragen. Ich habe in den letzten Wochen viel gelitten. Herr Schröter hat mir plötzlich sein Wohlwollen entzogen, das ich lange für den größten Schatz meines Lebens hielt. Ich habe seine Kälte nicht verschuldet. Nicht unrecht war, was ich in der letzten Zeit gethan habe, und mit seinem Vorwissen habe ich es gethan. Ich war wohl verwöhnt durch seine Güte, ich habe deßhalb auch seinen Unwillen um so tiefer empfunden. Und wenn ich eine Beruhigung hatte, so war es der Gedanke, daß Sie mich nicht verurtheilen. Seien Sie jetzt nicht kalt gegen mich, es würde mich elend machen für immer. Ich habe keine Seele auf Erden, die ich um Liebe bitten darf und um Verständniß für meine Zweifel. Hätte ich eine Schwester, heut würde ich ihr Herz suchen. Sie wissen nicht, was mir, dem Einsamen, Ihr Gruß, Ihr fröhlicher Handschlag bis heut gewesen ist. Wenden Sie sich nicht kalt von mir, Fräulein Sabine.«

Sabine schwieg lange, und von ihm abgewandt frug sie endlich zurück: »Was zieht Sie zu den Fremden – ist's eine frohe Hoffnung – ist's das Mitgefühl allein? – Seien Sie strenger gegen sich selbst, als ich gegen Sie bin, wenn Sie sich darauf antworten.«

»Was mir jetzt möglich macht, von hier zu scheiden, weiß ich nicht. Wenn ich für die Bewegung in mir einen Namen suche, so ist es heiße Dankbarkeit gegen Eine. – Sie war die Erste, die freundlich zu dem wandernden Knaben sprach, als er allein in die Welt zog. Ich habe sie bewundert in dem ruhigen Glanz ihres vergangenen Lebens. Ich habe oft kindisch von ihr geträumt. Es war eine Zeit, wo eine zärtliche Empfindung für sie mein ganzes Herz erfüllte, damals glaubte ich für immer an ihr Bild gefesselt zu sein. Aber die Jahre zogen ein neues Grün darüber, ich sah die Menschen und das Leben mit andern Augen an. Da fand ich sie wieder, angstvoll, unglücklich, verzweifelt, und die Rührung in mir wurde übermächtig. Wenn ich von ihr entfernt bin, weiß ich, daß sie mir eine Fremde ist, und wenn ich vor ihr stehe, fühle ich nichts, als ihren hinreißenden Schmerz. Damals, als ich aus ihrem Kreise wie ein Uebelthäter ausscheiden mußte, damals eilte sie mir nach, und vor den Augen der spöttischen Gesellschaft reichte sie mir die Hand und bekannte sich zu mir. Und jetzt kommt sie und fordert meine Hand zur Hülfe für ihren Vater. Darf ich sie ihr verweigern? Ist es ein Unrecht, daß ich so fühle? Ich weiß es nicht, und Niemand kann es mir sagen, Niemand, als nur Sie.«

 

Sabinens Haupt hatte sich herunter geneigt bis auf die Lehne des Sessels. Jetzt erhob sie sich schnell, und mit thränenvollen Augen, mit einer Stimme voll Liebe und Schmerz rief sie: »Folgen Sie der Stimme, die Sie ruft! Gehen Sie, Wohlfart, gehen Sie!«