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Soll und Haben, Bd. 1 (2)

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Ehrenthal mußte sich mit diesem Bescheide entfernen und sagte nur noch an der Thür: »Der gnädige Herr können sich ja die Sache überlegen, ich getraue mir durch vier Wochen das Actiengeschäft aufzuhalten, damit in dieser Zeit nichts weiter geschieht.«

Nur wer einmal in seinem Leben eine gefeierte Sängerin gewesen ist, kann sich eine Vorstellung von der Fülle unbekannter kleiner Briefe, Packete und Sendungen machen, welche der Freiherr in den nächsten vier Wochen aus der Stadt empfing. Zuerst schrieb Herr Ehrenthal: »Ich habe die Actionäre vier Wochen aufgehalten;« dann schrieb Herr Karfunkelstein, ein Actionär: »Ich höre, daß Sie wollen anlegen eine Fabrik, in diesem Falle stehe ich Ihnen nach.« Dann schrieb wieder Herr Ehrenthal: »Hier ist eine Jahresberechnung einer ähnlichen Fabrik, woraus man kann sehen, was zu gewinnen wäre.« Dann schrieb wieder ein Herr Wolfsdorf: »Es verlautet, daß der Herr umgehe mit einer Fabrik: ich habe Capitalien auszuleihen gegen mäßigen Zinsfuß und würde glücklich sein, wenn ich eine Hypothek erhielte oder am liebsten einen Antheil am Geschäft.« Zuletzt schrieb gar ein undeutlicher Herr Itzigveit: »Der Herr Baron soll das Geschäft nicht machen mit Ehrenthal, wie man in der Stadt erzählt, Ehrenthal ist ein reicher, aber ein interessirter Mann, er soll ihn wenigstens nicht annehmen zum Compagnon; ich der Briefschreiber will ihm viel bessere Capitalien verschaffen und ganz andere Theilnehmer,« worauf Herr Ehrenthal wieder genöthigt war, zu schreiben: »Es werden Intriguen gespielt von meinen Gegnern in der Stadt, um dem gnädigen Herrn anderes Geld zu seinem schönen Unternehmen zu verschaffen; Sie können thun nach Gefallen, ich bin ein ehrlicher Mann und dränge mich nicht vor.«

Der Freiherr war erstaunt zu sehen, wie leicht und massenhaft seinem Namen die Capitalien zurollten, und daß ganz unbekannte Menschen bereit waren, das Unternehmen auf seinem Grund und Boden für ein unfehlbares, glänzendes, beneidenswerthes zu halten. Er hatte in seinen Speculationen bis jetzt entschiedenes Glück gehabt, er hatte die Abneigung vor Geldgeschäften ziemlich vollständig überwunden, ja er hatte sich gewöhnt, einen gewissen Anspruch an die Capitalien Anderer zu machen. Jetzt wurde er allmälig mit dem Gedanken vertraut, das Geld zur Anlage seiner Fabrik von Fremden zu nehmen. Nur Eines widerstand seinem Stolz, den zuvorkommenden Ehrenthal als Theilnehmer zu ertragen; so weit wirkte der Brief des undeutlichen Schreibers. Und er beschloß, im Fall das Unternehmen zu Stande kommen sollte, dem Händler für sein geliehenes Geld festen Zinsfuß zu gewähren. Vier Wochen kämpfte der Freiherr mit innerer Unentschlossenheit, oft war seine Stirn umwölkt, oft sah die Baronin wieder mit stillem Schmerz die Aufregung ihres Gemahls, oft fuhr dieser nach der Stadt oder auf die Güter seiner Bekannten, um ähnliche Anlagen zu besichtigen und sich die möglichen Vortheile aus verschiedenen Anschlägen herauszunehmen. Ueber die projectirte Actiengesellschaft konnte er nichts Sicheres erfahren. Die weniger günstigen Nachrichten, welche er über die Erfolge einzelner Fabrikanten einsammelte, schrieb er auf Rechnung einer natürlichen Furcht vor seiner Concurrenz oder auf die unvortheilhafte Anlage ihres Geschäftes.

Vier Wochen vergingen, und ein neuer Brief von Ehrenthal erschien, worin der Baron dringend gebeten wurde, seinen Entschluß mitzutheilen, weil einzelne von den Actionären gar nicht mehr zu halten wären.

Es war der Abend eines heißen Tages, als der Freiherr unruhig aus dem Wirthschaftshof in's Freie trat. Tief unten am Himmel glänzte ein gelbes blendendes Licht hinter schwarzem Dunst hervor, dicht zusammengeballt hingen die Wolken über seinem Scheitel, wie dunkle Felsen der Luft mit eisigen Gipfeln. Rings um den Herrn des Guts war Schwüle, Muthlosigkeit und bange Ahnung. Im Getreide schwirrten die Grillen lauter als sonst, unaufhörlich tönte ihr warnender Ruf in das Ohr des Herrn. Die kleinen Vögel auf den Bäumen der Landstraße kreischten in den Zweigen, flatterten von einem Baum auf den andern und riefen einander zu, daß etwas Furchtbares über ihre Felder hereinbreche: wir Kleinen werden es überstehen, schrieen sie, aber die Großen mögen sich hüten. Die Schwalben strichen tief am Boden hin und flogen dicht an dem Freiherrn vorüber, als sei er nicht mehr vorhanden, und die Stelle leer, wo er stand. Die wilden Blattpflanzen am Wege ließen saftlos ihre Blätter hängen, sie waren mit häßlichem Staub überzogen und sahen aus wie Gewächse einer untergegangenen Welt, die vor vielen Jahren einmal grün war und Blüthen trug. Eine dicke Staubwolke rollte die Landstraße entlang auf den Herrn zu, die heimkehrenden Gespanne zogen an ihm vorüber. Schwerfällig schritten die Pferde vorwärts und senkten ihre Köpfe in den Geschirren. Die häßliche gelbe Wolke wälzte sich mit ihnen fort und verhüllte die Umrisse ihres Leibes, daß nur die Hälse hervorragten und sie dem Freiherrn aussahen wie schattenhafte Gestalten, welche in der Luft dahinfahren. Nach ihnen kam langsam in drei Haufen die Schafheerde, wieder in Wolken des erstickenden Staubes gehüllt. Die Glöckchen der Thiere klangen dumpf in der dicken Luft, und wie aus weiter Entfernung tönte im Wirbel am Boden bald hier bald dort die Stimme eines geisterhaften Schäferhundes. Und als der Schäfer seinen Herrn grüßend vorüberschritt, sah der Mann so grau und schattenhaft aus, wie ein Gespenst aus dem Grabe, das einst auf der grünenden Erde wirkliche Schafe über das Brachfeld getrieben hatte.

Der Gutsherr blieb stehen an den Pferden und Schafen, er stand vor der welken Königskerze am Grabenrand, er hörte auf die Vögel im Laube, es waren unheimliche Gedanken, die sie ihm gaben. Er ging weiter auf dem Damm am Teiche, wo einst Anton den letzten Blick auf das Herrenhaus geworfen hatte. In rothem Feuer stand das Schloß mit seinen Thürmen und Mauern vor dem Freiherrn, helle Flämmchen brannten auf den Spitzen der Thürme in die Wolken hinein, im Brand leuchteten alle Fensterscheiben des Schlosses, und wie Blutstropfen lagen die rosigen Blumenbüschel auf dem schwarzgelben Laub der Kletterpflanzen. Ueber dem Schlosse aber in der Luft ballte und wälzte sich's, und immer näher kam's in schwarzen Massen heran, um mit Nacht den glänzenden Bau zu verhüllen. Kein Blatt der Bäume bewegte sich, keine Kreiswelle furchte die dunkle Wasserfläche, todt lag sie da, wie ein See der Unterwelt. Der Herr beugte sich hinab und suchte ein Zeichen des Lebens, nur eine Wasserspinne, eine Libelle, welche in dem finstern Schweigen um ihn herum sich leibhaftig regte; – da starrte ihm aus der Tiefe ein bleiches Menschengesicht entgegen, daß er zurückfuhr und ein zweites Mal hinsehen mußte, um zu lächeln und zu erkennen, daß es sein eigener Wiederschein war. Auch hier war um den Herrn des Guts Schwüle, Mutlosigkeit und bange Ahnung.

Er lehnte sich an den hohlen Weidenstamm und sah unverwandt auf sein Haus und auf die Fenster, wo seine Lieben wohnten: er suchte nach einem Umriß ihrer Gestalt, er horchte nach einem Ton von dem Flügel der Baronin, er wünschte, daß nur ein helles Band Lenorens niederflattern möchte von dem Balcon ihres Zimmers; aber kein Zeichen des Lebens war in dem Hause zu erspähen, das Schloß war ausgestorben, wüst, wie ein Bau aus uralter Zeit, durch geisterhaftes Licht beleuchtet; – noch wenig Augenblicke, und es mußte verschwinden in dem Boden. Dann konnte das Wasser darüber hinfluthen, und die Leute konnten sich erzählen, daß hier einst ein schönes Schloß war, in dem ein stolzer Baron lebte, das sei aber lange, lange her. —

Ein gefallenes Haus, eine untergegangene Familie! – Wenn die Zeit kam, wo ein fremder Mann an seiner Stelle stand und ein neues Haus ansah, das er sich erbaut, dann lag die Wasserfläche vor dem Fremden, wie jetzt vor ihm, dieselbe Erdscholle, die sein Pflug aufwarf, trug auch dem Spätern bereitwillig Frucht. Dann gaben die Körner aus feinem Korn noch weißes Mehl, die Lämmer von seinen Schafen sprangen um denselben steinernen Wassertrog, die Ackerfläche lag vor dem Neuen da, wie jetzt vor ihm, an derselben Stelle liefen vielleicht die Wasserrinnen durch das Feld, die Binsenwurzel unter ihm trieb ebenso ihren Schaft aus dem Wasser: nur er und sein Geschlecht, die jetzt über Alles geboten, sie sollten dann verschwunden sein, verschwunden bis auf eine gleichgültige Erinnerung!

So stand der Herr des Gutes, gelähmt durch den bösen Zauber, der auf der Erde und auf seiner Seele lag, er holte tief Athem und trocknete den Schweiß von der Stirne, er war rathlos und wie gebrochen. Da fuhr ein scharfer Ton durch die Wipfel der Bäume, es war ein Jagdruf der Lüfte. Noch einmal wurde Alles still, dann raste der Sturmwind plötzlich hernieder von der Höhe, er rauschte durch die Baumwipfel, er zischte über das Wasser; tief beugten die Weiden ihre grauen Aeste, und die Staubwolken der Straße fuhren in tollen Wirbeln nach der Höhe; der gelbe Schein an den Mauern des Schlosses verschwand, bleigraue Dämmerung überzog die Landschaft. Ein zackiger Blitz fuhr durch die Finsterniß, und lang und majestätisch rollte der Donner herauf. Der wilde Jäger der Luft hielt seine Hetzjagd über die Fluren der Menschen.

Der Freiherr richtete sich hoch auf und öffnete seine Brust dem Zuge des Sturmwindes. Blätter und Baumzweige flogen um ihn und große Regentropfen schlugen auf sein Haupt, er aber starrte nach den Wolken in das Wetter hinein und auf die Blitze, welche sich kreuzten, als erwartete er von da oben eine Entscheidung. Da klapperte der Galopp eines Pferdes auf der Straße und eine fröhliche Männerstimme rief von der Höhe herab: »mein Vater!« Ein junger Reiteroffizier hielt auf der Straße.

»Mein Sohn, mein geliebter Sohn,« rief der Vater mit bebender Stimme, »du kommst zur rechten Zeit.« Er drückte den Jüngling fest an sich, und als er ihn aus der Umarmung los ließ, hielt er noch lange seine Hände fest und wurde nicht müde, ihn anzusehen. Auch der Reitersmann vor ihm war mit grauem Staube bedeckt, aber ein jugendliches Gesicht und zwei kecke Augen sprachen in diesem Augenblick entscheidende Worte zu dem Vater. Die Unsicherheit, alle trübe Ahnung war verschwunden, er fühlte sich wieder fest, wie dem Chef seines Hauses geziemte. Vor ihm stand in blühender Jugend die Zukunft seines Geschlechtes. Daß diese Erinnerung ihm gerade jetzt kam, in der Stunde, wo er einen Entschluß fassen sollte, das galt ihm für einen Befehl des Schicksals. »Und jetzt komm nach Haus,« sagte er, »es ist kein Grund mehr, daß wir unsere Begrüßung im Regen abmachen.«

 

Während die Baronin ihren Sohn auf das Sopha zog und nicht müde wurde, sich über sein männliches Aussehen zu freuen, und während Lenore sogleich mit dem Bruder ein leichtes Wortgefecht begann, ging der Freiherr in der Familienstube auf und ab und sah zuweilen durch den strömenden Regen in die Landschaft hinaus. Immer schneller fuhren die Blitze durcheinander, und immer kürzer wurden die Pausen, in denen der Donner dem Zucken des Feuerstrahls folgte.

»Schließe das Fenster,« bat die Baronin, »das Wetter kommt herauf.«

»Es wird unserm Hause nichts thun,« antwortete der Freiherr beruhigend. »Der Leiter steht oben auf dem Dach, er glänzte vorhin hell wie ein Licht durch die dunkeln Wolken. Sieh dorthin, wo die Wolken am schwärzesten zusammengeballt sind, dort über der hellen Esche.«

»Ich sehe die Stelle,« sagte die Baronin.

»Mache dich gefaßt,« fuhr der Freiherr lächelnd fort, »daß dein blauer Himmel dort für immer durch graue Wolken bedeckt wird, dort wird der Schornstein der Fabrik über die Bäume ragen.«

»Du willst bauen?« fragte die Baronin besorgt.

»Du willst eine Fabrik errichten?« rief der Lieutnant vorwurfsvoll.

»Ja,« sagte der Freiherr zu seiner Gemahlin, »das Unternehmen wird viel Unangenehmes haben für dich und mich, und wird meine Kräfte in jeder Beziehung in Anspruch nehmen. Wenn ich es doch wage, so geschieht es nicht um unsertwillen, sondern für die Kinder, für die Familie. Ich will das Gut befestigen bei unserm Hause, ich will seine Einkünfte so vermehren, daß der Herr dieses Schlosses in der Lage ist, auch für die Zukunft der Lieben zu sorgen, denen er nach dem alten Recht der Erstgeburt und der männlichen Nachfolge das Gut nicht überlassen kann. Es hat mich langen Kampf gekostet, heut hab' ich mich entschlossen.«

IX

Der Freiherr trieb mit Feuer die Anlage seiner Fabrik. Er suchte wenigstens einen Theil der Ziegel selbst zu brennen, er bezeichnete die Stämme des Waldes, welche im Winter zu Bauholz geschlagen werden sollten. Ein Baumeister wurde durch Ehrenthal empfohlen, und ein Techniker von dem Freiherrn selbst angeworben. Er erkundigte sich sorgfältig nach der Vergangenheit des Mannes, dem er Einrichtung und Betrieb seiner Fabrik übergeben wollte, und wünschte sich Glück, als er nach langem Suchen einen redlichen Mann fand, der eine ungewöhnliche theoretische Bildung besaß. Vielleicht war gerade diese letztere Eigenschaft vom Standpunkte des Barons nicht ohne Bedenken, denn dem Erwählten wurde von zähen Praktikern nachgesagt, daß er nie eine Fabrik in ruhigem Betriebe lassen könne, sondern durch hastige Einführung neuer Erfindungen die tägliche Arbeit zu oft störe. Daher galt er für kostspielig und unsicher. Dem Freiherrn war die Intelligenz und Redlichkeit des Mannes natürlich die Hauptsache, mehr noch als jedem Andern, weil er im Stillen die Empfindung hatte, daß diese Eigenschaften des Technikers die Mängel seiner eigenen Leitung ausgleichen müßten.

So froh aber diese Aussichten waren, ein Uebelstand war doch dabei. Ordnung und Behagen waren auf dem Gut nicht mehr zu finden, sie waren mitten im Sommer fortgeflogen, wie die Störche, welche seit vielen Jahren hinter der großen Scheuer genistet hatten. Alle Welt wurde durch die neue Anlage belästigt. Die Baronin verlor eine Ecke des Parks, sie erlebte das Herzeleid, daß ihr ein Dutzend mächtiger alter Bäume niederschlagen wurden. Ein Haufe fremder Arbeiter zog mit Hacke, Schaufel und Karren wie ein Heuschreckenschwarm über das Gut. Sie zertraten die Grasplätze des Parks, sie lagerten in ihren Eßstunden in der Nähe des Schlosses und genirten die Frauen oft durch ihren Mangel an Rücksicht. Der Gärtner rang die Hände über die zahlreichen Diebstähle an Obst und Gemüse. Der Amtmann war in lauter Verzweiflung über die Unordnung, welche in seiner Wirthschaft einriß. Die neuen Leute, welche er angenommen hatte, erschwerten ihm die Aufsicht über das Gesinde. Die neuen Zugthiere, in der Eile gekauft, reichten nicht aus. Die Ackerpferde wurden ihm zu Fuhren verwandt, wenn er sie am notwendigsten im Felde brauchte, seine guten Zugochsen waren für ihn gar nicht mehr vorhanden. Der Bedarf der Wirthschaft wurde größer, die Einnahmen drohten geringer zu werden. Auch die Bodenfläche, welche für die Rübencultur bestimmt war, machte dem alten Mann schwere Arbeit. In der Fruchtfolge mußte Vieles geändert, die Taglöhner sollten für den neuen Bau angelernt werden. Lenore hatte viel zu trösten und brachte ihm manches Pfund Tabak aus der Stadt, damit er seinen Kummer mit den blauen Wolken in die Luft blasen konnte. Die schwerste Last trug natürlich der Freiherr selbst. Sein Arbeitszimmer, sonst nur von einzelnen Bittstellern oder dem Amtmann besucht, wurde jetzt ein Gemeinplatz, wie der Laden eines Krämers. Nach zehn Seiten sollte er Rath schaffen, Aufschluß geben, Schwierigkeiten überwinden. Fast täglich jagte er nach der Stadt, und wenn er am Friede bringenden Abend auf dem Gute war, erschien er im Familienkreise sorgenvoll, mürrisch, abgespannt. Es war eine große Hoffnung, die ihn erfüllte, aber es war sehr schwierig, sie in Wirklichkeit zu verwandeln.

Einigen Trost fand der Freiherr in der lebhaften Anhänglichkeit Ehrenthals. Dieser wußte sich überall nützlich zu machen, hatte stets einen guten Rath bei der Hand und war um Auskunft niemals verlegen. Oft besuchte er das Herrenhaus, dem Baron ein willkommener Gast, weniger den Frauen. Diese gönnten ihm den Argwohn, daß seine Beschwörung die Fluth von Geschäften heraufführe, welche sich durch alle Fenster und Thüren des Schlosses ergoß. Glücklicherweise dauerten seine Besuche immer nur kurze Zeit, und wenn man ihm auch ansah, daß er sich auf dem Gut nicht unbehaglich fühlte, so war sein Benehmen in Betreff der Ehrerbietung doch durchaus untadelhaft.

An einem sonnigen Mittag trat Ehrenthal mit Brillantnadel und Busenkrause in das Zimmer seines Sohnes. »Willst du heut mitfahren auf das Gut der Rothsattel, mein Bernhard? Ich habe dem Baron gesagt, daß ich dich mitbringen werde, um dich zu präsentiren der Familie.«

Bernhard sprang von seinem Sitze auf. »Aber Vater, ich bin den Herrschaften ja ganz fremd.«

»Wenn du das Gut gesehen haben wirst, wird es dir nicht mehr fremd sein, und wenn du gesprochen haben wirst den Baron, die Baronin und das Fräulein, so wirst du sie kennen. Es sind gute Leute,« fügte er wohlwollend hinzu.

Der Sohn hatte noch viele schüchterne Bedenken, aber der Vater schlug sie durch die bestimmte Erklärung nieder, daß der Freiherr ihn erwarte.

Bernhard saß im Wagen, über ihm hoch in der Luft flogen die Vögel, die Pappeln an der Landstraße schnurrten wie durch ein Band gezogen hinter ihn, lachend schien die Sonne in sein bleiches Gesicht und frug: wo kommst du her, Mann, dich kenne ich nicht; er rückte sich auf seinem Sitze in unruhiger Spannung zurecht. Seit er Anton kannte, ja länger, seit er seine Dichter las, hatte er von der kleinen einsamen Stube sehnsüchtig auf das fröhliche Treiben Solcher gesehen, welche darauf los leben und unnützes Grübeln hassen. Heut kam ihm vor, als ob er selbst ein wenig darauf los lebe, heut jagte er in die Welt hinein zu einem unbekannten Edelmann in das Haus einer berühmten Schönheit, die er sich ansehen wollte. Er zog seinen Hemdkragen zurecht, drückte den Hut entschlossen in die Stirn und schlug die Arme unter. Mit scharfem Blick musterte er die vorübergehenden Reisenden, und die Frau vom Zollhause, welche das Geld abnahm, fixirte er so unternehmend, daß sie ihr Brusttuch zurecht zog und ihn lächelnd anblinzte. Unterdeß floß das Herz des alten Ehrenthal von Lobreden auf den Freiherrn und seine Familie über. »Noble Leute,« rief er; »wenn du gesehen haben wirst diese Baronin, wie sie ist, wenn sie ist in ihrer Spitzenhaube, Alles so fein und Alles so honett! Zu honett für die Welt, wie diese Welt einmal ist! Die Stücke Zucker sind zu groß, und der Wein, den man bei Tische trinkt, ist zu theuer, aber es ist ihre Qualität, es steht ihnen gut.«

»Fräulein Lenore soll eine große Schönheit sein,« frug Bernhard. »Ist sie so stolz, wie junge Damen von ihrem Stande zu sein pflegen?« – Mein armer Bernhard kannte nicht viele junge Damen, weder aus diesem noch aus einem andern Stande.

»Sie ist stolz,« sagte der Vater, »aber es ist wahr, sie ist schön. Unter uns gesagt, sie gefällt mir besser, als die Rosalie.«

»Ist sie blond?« Herr Ehrenthal dachte nach. – »Was soll sie anders sein, als blond oder braun, freilich hat sie blonde Augen. Du kannst dir auch ansehen die Heerde auf dem Gute und vergiß nicht herumzugehen im Park. Sieh dich um, ob du einen Platz findest, wo du gern sitzen möchtest mit deinem Buche.«

Der arglose Bernhard schwieg und sah mit glänzenden Augen auf die dunkeln Umrisse des Parks, der am Horizont aufstieg.

Der Wagen hielt vor dem Schlosse. Der Bediente trat an den Schlag. Die Gäste erfuhren, daß der Freiherr in seinem Zimmer und die gnädige Frau im Augenblick nicht zu sprechen war, das Fräulein aber spazierte im Garten. Ehrenthal schritt um das Haus, Bernhard neugierig hinter ihm her. Ueber den Grasplatz kam die hohe Gestalt Lenorens langsam auf die Fremden zu. Ehrenthal stellte sich auf, bog seinen linken Arm zu einem Kreise zusammen, steckte seinen Hut hinein und präsentirte: »Mein Sohn Bernhard, dies ist das gnädige Fräulein.« Bernhard verneigte sich tief. Es war nur ein kühler Gruß, den Lenore dem Gelehrten schenkte. »Wenn Sie zu meinem Vater wollen, er ist oben in seinem Zimmer.«

»Ich werde hinaufgehen,« sagte Ehrenthal gehorsam. »Bernhard, du kannst unterdeß zurückbleiben bei dem gnädigen Fräulein.«

In dem Zimmer des Freiherrn legte der Händler einige tausend Thaler auf den Tisch und sagte: »Hier ist das erste Geld. Und wie wollen der Herr Baron es mit der Sicherheit halten?«

»Nach unserer Verabredung muß ich Ihnen dafür Hypothek auf das Gut geben,« erwiederte der Freiherr.

»Wissen Sie was, Herr Baron, um jedes Tausend Thaler, das ich Ihnen zahle, können Sie mir nicht immer bestellen eine Hypothek, das macht viel Kosten und bringt das Gut in schlechtes Renommée. Lassen Sie vom Gericht ausstellen ein Hypothekeninstrument, welches auf eine große Summe lautet, ich will sagen auf zwanzigtausend Thaler. Lassen Sie es ausstellen auf den Namen der gnädigen Frau Baronin, so haben Sie eine Sicherheit, die Sie jeden Tag verkaufen können, und Ihr Gut wird noch nicht belastet durch ein neues Capital. Und mir geben Sie jedes Mal, so oft ich an Sie zahle, einen einfachen Schuldschein, worin Sie mir auf Ihr freiherrliches Wort versichern, daß ich für den Betrag der Summe, die ich Ihnen zahle, ein Anrecht haben soll an diese Hypothek von zwanzigtausend Thalern, welche im Hypothekenbuche steht zunächst hinter den Pfandbriefen. Das ist einfach, und es bleibt still zwischen uns beiden. Und wenn Sie keine weitern Vorschüsse brauchen, dann machen wir die Sache fest vor dem Notar. Sie cediren mir dann die Hypothek selbst, und ich gebe Ihnen Ihre Schuldscheine zurück und zahle Ihnen nach, wenn noch etwas fehlt an den zwanzigtausend Thalern. Ich verlange nichts von Ihnen, als Ihr Ehrenwort auf einem Blatt Papier, welches nicht größer ist, als dieses Schnitzel. Und wenn das Gericht Ihnen ausgefertigt hat das Hypothekeninstrument von zwanzigtausend Thalern, so wäre mir's lieb, wenn Sie's wollten aufheben in meinem Hause.«

Als der Freiherr bei der letzten Bedingung unwillig aufsah, legte Ehrenthal seine Hand auf den Arm des Herrn und sagte vertraulich: »Seien Sie ruhig, Herr Baron; dagegen, daß ich selbst aufheben will das Hypothekeninstrument, dürfen Sie nichts einwenden. Ich kann keinen Mißbrauch damit treiben, und es ist mir eine Beruhigung. Jeder Jurist wird Ihnen sagen, daß ich in diesen Sachen gegen Sie verfahre, wie es selten vorkommt im Geschäft. Oft wird ein Wort gebrochen, das Einer dem Andern gegeben hat, aber wenn es etwas gibt, was fest ist auf dieser Welt, so ist es für mich, wenn Sie mir geben Ihr Ehrenwort. Ist es nicht geschäftlich, Herr Baron, daß ich so denke, so ist es doch freundschaftlich.«

Ehrenthal sagte das mit einem Ausdrucke von Herzlichkeit, der nicht ganz erlogen war. Was er anbot, zeigte in der That ein großes Vertrauen. Nach vielen Berathungen mit Veitel Itzig war er auf diese Maßregel gekommen. Er wußte, daß der Freiherr außer den zwanzigtausend Thalern noch manches andere Capital für die Fabrik brauchen würde. Es lag im Interesse auch des Händlers, daß der Freiherr noch andere Summen ohne Schwierigkeit erhielt. Und er traute dem Edelmann; er, der durchtriebene Schelm, hatte einen festen Glauben an den adeligen Sinn des Andern. Auch wenn ihn Itzig nicht unaufhörlich auf den ehrenwerthen Charakter des Gutsherrn aufmerksam gemacht hätte, er würde ihm nichts Unehrliches zugetraut haben. Was von achtungsvoller Zuneigung in seiner Seele noch Raum hatte, das war dem Freiherrn zu Theil geworden. Der Herr war seit langer Zeit der Gegenstand seiner Sorge, seiner Arbeit, seiner eifersüchtigen Wachsamkeit. Er war dem Schurken geworden, was dem Landwirth sein Acker, der Hausfrau ihr Lieblingsthier ist. Es war ein allerliebster kleiner Theil von gemüthlicher Zuneigung in dem Verhältniß. Auch die Hausfrau vertritt eifrig die Tugenden ihres vierbeinigen Pfleglings, sie betrachtet ihn mit Freude und findet sein Temperament ungewöhnlich sanft. Sie ist geneigt, ihren Liebling für das vortrefflichste Stück seiner Art zu halten, und wenn der Schlachttag kommt, vergießt sie vielleicht eine Thräne. Aber, beim heiligen Antonius! so leid es ihr auch thut, sie wird das arme Ding doch schlachten.

 

Unterdeß sagte unten Lenore zu Bernhard: »Ist Ihnen gefällig, in den Park zu gehen?« Bernhard folgte schweigend und sah scheu auf die Aristokratin, welche ihren Kopf trotzig in die Höhe warf und wenig von seiner Anwesenheit erbaut schien. An dem grünen Platz, der einst Anton so entzückt hatte, blieb sie stehen und wies auf den Kiesweg. »Dort hinab geht es zum See, und hier weiter hinein in den Garten.« Sie erhob die Hand zu einer verabschiedenden Bewegung. Bernhard aber sah staunend auf den Platz, auf die Thürmchen des Schlosses, die Schlingpflanzen des Balcons und rief: »Das habe ich schon einmal gesehen, und ich bin doch nie hier gewesen.«

Lenore blieb stehen: »Das Haus ist nicht nach der Stadt gekommen, so viel ich weiß; es mag wohl andere geben, die ähnlich aussehen.«

»Nein,« erwiederte Bernhard sich besinnend, »ich habe das Schloß auf einer Zeichnung im Zimmer eines Freundes gesehen. Er muß Sie kennen,« rief er freudig, »und er hat mir doch nie etwas davon gesagt.«

»Wie heißt dieser Herr, der Ihr Freund ist?«

»Es ist ein Herr Wohlfart.«

Das Fräulein wandte sich lebhaft zu dem Gelehrten: »Wohlfart? Ein Kaufmann bei T. O. Schröter, Colonialwaaren und Producte? Ist's dieser Herr? – Und dieser Herr ist Ihr Freund? Wie kommen Sie zu der Bekanntschaft?« frug sie streng und stellte sich vor Bernhard auf, die Hände auf dem Rücken, wie ein Lehrer, der einen kleinen Dieb wegen gestohlener Aepfel in's Verhör nimmt.

Bernhard erzählte, wie er Anton kennen gelernt hatte und wie lieb ihm der tüchtige Freund geworden war. Darüber verlor er etwas von seiner Befangenheit, und das Fräulein viel von ihrer Strenge.

»Ja, wenn Sie so sind,« sagte Lenore noch immer verwundert. »Also wie geht es Herrn Wohlfart? Erzählen Sie geschwind, wie sieht er aus, ist er lustig? Er hat wohl recht viel zu thun?«

Bernhard erzählte, er wurde immer beredter. Lenore setzte sich in die Rosenlaube und winkte ihm herablassend, gegenüber Platz zu nehmen. Als er geendet hatte, sagte sie freundlich: »Wenn Herr Wohlfart Ihr Freund ist, so gratulire ich Ihnen, er ist ein guter Mensch; ich will hoffen, daß Sie das auch sind.«

Bernhard lächelte: »Unter meinen Büchern habe ich nur wenig Gelegenheit, meinen guten Willen dafür zu erweisen. Ich lebe still vor mich hin und zirpe wie eine Grille; in dem Treiben der Welt komme ich mir oft recht unnütz vor.«

»Das viele Studiren wäre nicht meine Sache,« erwiederte Lenore. »Man sieht Ihnen auch an, daß Sie wenig in der freien Luft leben. Kommen Sie, mein Herr, ich werde Sie herumführen. So setzen Sie doch Ihren Hut auf!«

Der Bediente trat mit dem Theebret aus der Halle. Lenore winkte ihm und sah wohlwollend zu, als Bernhard den heißen Trank so eilig einschlürfte, wie ein Ritter seinen Steigbügeltrunk. »Verbrennen Sie sich nicht,« ermahnte sie.

Sie führte ihn durch den Park, wie sie einst Anton geleitet hatte. Bernhard war ein Sohn der großen Stadt. Nicht die hohen Baumkronen, nicht die blühenden Beete im grünen Rasen, auch nicht die Thürmchen des Herrenhauses waren ihm etwas Ungewöhnliches, sein Auge hing nur an dem Fräulein. Es war ein klarer Abend im September. Das Sonnenlicht fiel schräge durch das Laub, der Kiesweg war gefleckt von gelben Lichtern und dunklen Schlagschatten. So oft ein Sonnenstrahl durch die Blätter auf Lenorens Haupt schoß, glänzte ihr Haar wie Gold. Das stolze Auge, der feine Mund, die schlanken Glieder des kräftigen Mädchens nahmen die Empfindung des Gelehrten gefangen. Sie lachte und zeigte die weißen kleinen Zähne, und er war entzückt; sie brach einen Zweig ab und schlug damit an die Büsche am Wege, und ihm war, als neigten sich die Zweige und Blätter vor ihr auf den Boden.

Sie kamen an die Brücke, an den Ausgang des Parks nach dem Feld. Einige Mädchen liefen an Lenore heran, knixten und küßten ihr die Hände, sie nahm diese Huldigung der Unterthanen wie eine Königin hin. Zwei kleine Dirnen hatten die hohlen Stengel des Löwenzahns in Kettenglieder zusammengebogen und eine lange Kette daraus gemacht, sie stellten sich verschämt vor Bernhard in den Weg und hielten ihm die Kette vor.

»Hinweg, Ihr unartiges Volk!« rief Lenore. »Wie könnt Ihr uns den Weg versperren, der Herr kommt ja aus dem Schloß. – Sie lernen dies Wegelagern von den fremden Arbeitern.« Und Bernhard fühlte mit Stolz, daß er in diesem Augenblicke zu ihr gehörte. Er griff in die Tasche und löste sich von den Mädchen. »Es ist lange her, daß ich eine solche Kette nicht gesehen habe,« sagte er. »Dunkel erinnere ich mich, daß ich als kleiner Knabe auch einmal auf einem grünen Platze saß und die Stiele zusammensteckte.« Er pflückte einige Stengel des Löwenzahns und versuchte die Kinderarbeit.

»Haben die gelehrten Herren auch an solchen Spielen Freude?« frug Lenore lächelnd.

»O ja,« erwiederte Bernhard. »Ich habe auch die spitzen Blüthen von Akley und Rittersporn zu runden Kränzen in einander gesteckt und in meinen Büchern gepreßt, dann trocknete ich Blätter und ganze Blumen, dann legte ich ein Herbarium an. Was uns als Erwachsene interessirt, das knüpft sich häufig an eine kleine Freude der Kinderzeit. Aus dem Kind, das zufällig einige bunte Krystalle in die Hand bekam, wird vielleicht ein Mineralog, und schon mehr als ein berühmter Reisender ist durch den Robinson Crusoe zu seinen Entdeckungen gekommen. Es ist immer eine Freude, zu erfahren, wie ein bedeutender Mann das gefunden hat, was seine Seele erfüllt.«

»Wir Frauen sehen das ganze Leben hindurch die Natur an wie die Kinder,« sagte Lenore, »wir spielen mit den glänzenden Steinen und Blüthen noch in unsern alten Tagen, gerade so wie die Mädchen vor uns. Und die Kunst ist so gefällig, uns Blumen und Steine nachzumachen, damit wir nur niemals das Spielzeug entbehren. – Wenn Sie so gut mit den Kinderspielen Bescheid wissen, dort ist etwas für Sie,« sie wies auf einen großen Klettenstrauch am Weg. »Haben Sie sich jemals eine Mütze aus Kletten gemacht?«

»Nein,« erwiederte Bernhard mit bangen Ahnungen.

»Sie sollen sogleich eine haben,« sagte Lenore. Sie gingen zu dem Klettenstrauch. Bernhard pflückte die runden Köpfe ab und reichte ihr einige Hände voll hin. Sie nestelte die Kletten an einander und machte eine Kappe mit zwei kleinen Hörnern daraus. »Das können Sie aufsetzen,« sagte sie gnädig.