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Soll und Haben, Bd. 1 (2)

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VIII

Veitel Itzig war in der größten Aufregung. Er, der Nüchterne, Enthaltsame, glich in allen seinen Freistunden einem Trunkenbold. Seine Lippen bewegten sich in lebhaftem Selbstgespräch, und eine fieberische Röthe lag über seinen spitzen Backenknochen. Auf der Straße war er schon von Weitem kenntlich durch die allerauffälligste Weise der Fuß- und Armbewegungen; ruhiger Schlaf war etwas, das er kaum dem Namen nach kannte. Und das Alles, weil eine verwittwete Geheimräthin ihren Lieblingshund verloren hatte. Dieser Mops war an einem heitern Frühlingsmorgen, verführt durch den Sonnenschein oder durch das Aroma eines Fleischerjungen, mühsam zwei Treppen bis auf die Straße hinabgestiegen. Und dort war er verschwunden, im Wasser ertrunken, von Gaunern gestohlen, von Banditen geschlachtet, kurz er war verschollen; und keine Zeitungsannonce vermochte die runde Gestalt des Flüchtlings in die Räume zurückzuführen, in denen er so lange als Tyrann geherrscht hatte. Aus Aerger über diesen Verlust war die Räthin gefährlich erkrankt, und Veitel nahm einen so lebhaften Antheil an ihrem Leide, daß er selbst in Gefahr kam, seine Gesundheit einzubüßen. Leider waren Veitels Hoffnungen nicht auf das Leben der würdigen Dame gerichtet. Er hatte ein Riesengeschäft gewagt, er hatte es unternommen nach vielen Verabredungen mit seinem Rathgeber Hippus und nachdem er oft in stillen Nächten seine Brieftasche hervorgeholt und sein Vermögen überrechnet hatte. Die Speculation war eine der schönsten, welche ein Mann von Veitels Grundsätzen unternehmen konnte, sie war vielleicht ein wenig gewagt, aber so sauber, wie ein Wickelkind unter dem Badeschwamm.

Ein armer Teufel von Rittergutsbesitzer hatte schlecht gewirthschaftet und war so lange betrogen worden, bis er sein Gut auf dem traurigen Wege der nothwendigen Subhastation verloren hatte. Bei diesem Verkauf war ein Hypothekeninstrument von zwölftausend Thalern ausgefallen. Der Gläubiger, dessen Forderung durch die Verkaufssumme des Gutes nicht gedeckt werden konnte, hatte vergebens versucht, sich an die Person des verarmten Gutsbesitzers zu halten. Der Schuldner war ohne alle Mittel, das Gericht fand nichts, was ihm zu nehmen war. Er war frustra excussus, wie unsere Juristen sagen, und empfand das Behagen des Elends, seine Gläubiger nicht mehr zu fürchten; dies verzweifelte Glück war für ihn nach trüben Jahren eine Art grönländischer Sonnenschein. Der Eigenthümer der Hypothek aber sah wehmüthig auf sein zerschnittenes Document, welches unter solchen Umständen für ihn fast nur den Werth von Maculatur hatte. Den Spüraugen Itzigs blieb dies Sachverhältniß nicht unerforscht. Er stand mit dem Gutsbesitzer wohl ein Jahr lang in inniger Verbindung, er hatte die Gefälligkeit, ihm alte Röcke abzukaufen, ja sogar Geld vorzuschießen, und wurde in manches kleine Geheimniß dieses verfehlten Lebens eingeweiht. So hatte er auch erspäht, daß sein Kunde alles Segelwerk seines lecken Fahrzeugs aufspannte, sich in die Gunst und das Testament einer alten Tante zu setzen, und kam allmälig zu der Ueberzeugung, daß ihm dies gelingen werde. Zwei seidene Halstücher und ein Paar vergoldete Ohrringe mußte Veitel an die Dienstmädchen der Räthin wenden, um genaue Nachrichten zu erhalten. Der Neffe las der Tante Mordgeschichten aus den Zeitungen vor, er wurde eingeladen, wenn die Tante ihr Lieblingsgericht kochen ließ, die Tante sprach davon, ihn zu verheirathen, that es aber nicht, und endlich, als aller Lebensmuth der Tante durch einen vierwöchentlichen Regen fortgeschwemmt worden war, ließ sie Gerichtspersonen kommen, trieb ihren Neffen, der, zum Weinen gerüstet, sein Taschentuch in der Hand hielt, aus dem Zimmer und zwang durch diese auffallenden Maßregeln das Dienstmädchen, an der Kammerthür zu erlauschen, daß sie ihr Testament machte und des armen Neffen darin ehrenvoll gedachte. Als Veitel dies erkundschaftet hatte, that er den zweiten großen Schritt und kaufte dem Besitzer des ausgefallenen Instruments die Urkunde und alle Rechte, welche dieselbe an die Person des Schuldners gab, um vierhundert Thaler ab.

Jetzt war der Mops verschwunden, die schwer geärgerte Tante lag zu Bett, acht Tage darauf war sie gestorben, und der Neffe erbte den größten Theil ihrer Hinterlassenschaft. Veitel unterzog sich übermenschlichen Anstrengungen, um zu verhindern, daß sein Schuldner nicht durch eins von den kleinen Manövern, welche Veitel alle persönlich kannte, die Erbschaft unsichtbar machte. Wie ein Gespenst verfolgte er den unglücklichen Erben; kaum hatte dieser sich in die ersten Träume über sein künftiges Glück hineingelebt, so stand Veitel als unerbittlicher Mahner an eine finstere Vergangenheit vor ihm und schlug durch die eisige Kälte seiner Forderungen allen warmen Dampf nieder, welcher aus der hoffnungsvollen Seele des Erben aufstieg. Es war unmöglich, ihm zu entkommen, mit eisernen Zangen hielt er seinen Schuldner fest, und das Gesetz half ihm so energisch, daß der Erbe nach vielen Winkelzügen capituliren mußte. Durch achttausend Thaler, den größten Theil seiner Erbschaft, kaufte er sich von Veitel frei.

Heut war der glückliche Tag, wo der junge Geschäftsmann sein großes Capital in der Tasche nach Hause trug. Er flog über die Straße, er flog die Treppe hinauf in seine Hinterstube, ganz unsinnig vor Freude. Der Zwang, den er sich lange angethan, kalt zu scheinen, während ihm sein Herz in Angst und Erwartung wie ein Schmiedehammer pochte, war überwunden, er war wie ein Kind, wenn auch nicht so unerfahren; er sprang in der Stube umher, ja er lachte vor Freuden und frug Herrn Hippus, der ihn seit einigen Stunden erwartete: »Welche Sorte Wein wollen Sie trinken, Hippus?«

»Wein allein wird's nicht thun,« erwiederte Hippus vorsichtig. »Indeß ist es lange her, daß ich keinen Ungar gekostet habe. Hole eine Flasche alten Oberungar, oder halt, es ist draußen finster genug, ich will sie selbst holen.«

»Was kostet's?« rief Veitel.

»Zwei Thaler,« antwortete Hippus.

»Das ist viel Geld,« sagte Veitel, »aber es ist einerlei, hier sind sie.«

Mit kühner Handschwenkung holte er einen Doppelthaler aus der Tasche seines Beinkleides und warf ihn auf den Tisch.

»Schön,« nickte Hippus und griff hastig nach dem Geldstück. »Aber dies allein wird's nicht thun, mein Sohn. Ich verlange Procente von deinem Gewinn. In Erwägung, daß wir alte Bekannte sind, und daß man seine Freunde nicht drücken soll, will ich zufrieden sein mit fünf vom Hundert des Capitals, das du heut eingenommen hast.«

Veitel stand starr, sein strahlendes Gesicht wurde plötzlich sehr ernst, mit offenem Munde sah er auf den schwarzen Mann im Sopha.

»Rede nichts,« fuhr Hippus kaltblütig fort und warf über seine Brille hinweg einen bösen Blick auf Veitel, »untersteh' dich nicht, auch nur ein Wort von deinem Geschacher gegen mich vorzubringen, wir kennen einander; – ich habe gemacht, daß du das Geld gewinnen konntest, ich allein. Du brauchst mich, und du siehst, daß auch ich dich gebrauchen kann. Gieb mir auf der Stelle vierhundert von deinen achttausend.«

Veitel wollte sprechen.

»Kein Wort,« wiederholte Hippus und schlug mit dem Geldstück im Tact auf den Tisch, »gieb her das Geld.«

Veitel sah ihn an, griff endlich schweigend in die Tasche seines Rocks und legte zwei Pergamente vor Hippus auf den Tisch.

»Noch zwei,« fuhr Hippus in demselben Tone fort. Veitel legte hundert Thaler dazu. »Und jetzt das letzte, mein Sohn,« nickte der Alte ermunternd und schlug mit dem Thaler wieder auf den Tisch.

Veitel zögerte einen Augenblick und sah ängstlich auf den Alten, in welchem eine boshafte Freude mächtig geworden war. Auf diesem Antlitz war nichts Tröstendes zu finden; wieder griff Veitel in die Tasche, schob das vierte Pergament auf den Tisch und sprach mit klangloser Stimme: »Ich habe mich in Euch geirrt, Hippus.« Und darauf holte er sein Taschentuch hervor, wandte sich ab, schneuzte sich und wischte sich die nassen Augen.

Hippus achtete wenig auf die elegische Stimmung seines Schülers. Er befühlte das Pergament, wie man eine Kostbarkeit in der Hand umwendet, die man vor langer Zeit verloren hat und unerwartet wiederfindet. Endlich sagte er, seine Beute einsteckend: »Wenn du dir's ruhig überlegst, wirst du einsehen, daß ich als guter Freund an dir gehandelt habe. Ich hätte viel mehr fordern können.«

Veitel stand noch immer am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Ihm war jämmerlich zu Muthe. Gleich auf dem Heimwege vom Notar hatte er an den Alten gedacht und den Entschluß gefaßt, auch diesem eine Freude zu machen; er hatte ihm eine neue Schnupftabakdose von Silber kaufen und zehn Ducaten hineinlegen wollen. Und jetzt kam ihm dieser Hippus so!

Da er vor Schmerz über das Benehmen seines Lehrers kein Wort sprach, stand Hippus gemächlich auf und sagte wohlwollend: »Laß dir's nicht zu Herzen gehen, du Dummkopf, sollte ich eher sterben als du, so mache ich dich zu meinem Erben. Dann wirst du dein Geld wieder bekommen, wenn noch etwas davon übrig ist. Jetzt gehe ich, den Wein kosten. Auf deine Gesundheit werde ich ihn trinken, gefühlvoller Itzig.« Bei diesen Worten schlich der Alte zur Thür hinaus.

Noch einmal fuhr Veitel nach seinem Taschentuch und wischte eine bittere Thräne ab, welche an seiner Wange herunterrann. Seine Freude über den Gewinn war verdorben. Es war eine unklare Empfindung und ein unreines Gefühl, das ihn bewegte, denn es war viel Schmerz um die verlorenen Pergamente dabei. Aber er hatte noch mehr verloren, als sein kostbares Geld. Der einzige Mensch auf Erden, gegen den er eine Anhänglichkeit fühlte und von dem er gute Freundschaft erwartete, hatte sich gefühllos, eigennützig, feindselig gegen ihn benommen. Zu allen andern Menschen stand er auf Kriegsfuß und erwartete auch von ihnen nichts Anderes, als Krieg, nur dem kleinen Mann mit der Brille hatte er sein Herz offen gehalten. Und dies warme Gefühl hatte der Alte durch seine rohe Forderung tödtlich beschädigt. Es war vorbei zwischen ihm und Hippus, er konnte den Mann nicht entbehren, aber von dieser Stunde ab trug er einen Groll gegen ihn mit sich herum, der Alte hatte ihn einsamer und schlechter gemacht. So erfuhr Veitel den Fluch der Argen, daß sie elend gemacht werden nicht nur durch ihre Missethaten, sondern auch durch ihre bessern Neigungen.

 

Doch nicht lange dauerte die Schwermuth des Geschäftsmannes, bald griff er entschlossen in die Tasche, holte den übrig gebliebenen Schatz hervor, untersuchte jedes einzelne Pergament von allen Seiten und notirte die Nummern zuerst in seine Brieftasche und dann auf einen Zettel. Den Zettel versteckte er in einem Ritz der Diele. Diese Beschäftigung tröstete ihn wieder etwas. Und jetzt wandte er seine Gedanken auf die Zukunft. Wieder rannte er in dem Zimmer auf und ab und machte Pläne. Seine Weltstellung war mit einem Schlage geändert. Als Eigenthümer von baaren achttausend Thalern – ach, es waren nur siebentausend sechshundert – stand er unter den Geschäftsleuten seiner Art da als ein kleiner Crösus. Viele Andere machten Geschäfte mit Hunderttausenden, ohne so viel Vermögen zu besitzen als er; die Welt lag widerstandslos vor ihm, wie eine Perlmuschel auf dem Teller, es kam nur darauf an, mit welchem Hebel er sie öffnen wollte. Wie sollte er sein Capital anlegen, verdoppeln, verzehnfachen? Jetzt mußte er wählen, und er mußte dies allein thun. Es gab wohl zehn verschiedene Wege für ihn: er konnte fortfahren, Geld gegen hohe Interessen zu leihen, er konnte in Actien speculiren, er konnte das Woll- oder Getreidegeschäft betreiben, und mit einem Gefühl von Stolz sagte sich der Schelm, daß er auf jedem von diesen Wegen so gut vorwärts kommen könnte, wie der verschlagenste unter seinen Genossen. Aber jede von diesen Tätigkeiten brachte ihm das geliebte Capital in Gefahr, er konnte dabei ein reicher Mann werden, er konnte aber auch Alles verlieren; und dieser Gedanke war ihm so schrecklich, daß er sofort alle diese Pläne bei Seite warf. Eine Beschäftigung gab es, bei der ein schlauer Mann viel gewinnen konnte, und bei der es wohl möglich war, große Verluste zu vermeiden. Von seiner Heimath aus war er als umherziehender Trödler auf die Höfe der Gutsherren gekommen, zur Zeit des Wollmarktes hatte er in den Straßen der Stadt den vornehmen Herren mit Schnurrbart und Ordensband seine Dienste angeboten, im Comtoir seines Brodherrn hatte er sich unaufhörlich mit dem Vermögen und den Geldgeschäften des Landadels beschäftigt. Wie genau kannte er die stille Sehnsucht des alten Ehrenthal, ein gewisses Rittergut zu besitzen, wie oft hatte ihm der Mann mit der Brille in höhnischem Scherz gerathen, er solle sich zum Rittergutsbesitzer machen. Und wie kam es doch, daß ihm in seinem Schmerz über den Alten plötzlich sein Schulkamerad Anton einfiel und der Tag, wo er zum letzten Male mit diesem verkehrt hatte? Auch damals, als er zur Stadt zog und mit Anton zusammentraf, war er auf dem Gute des Freiherrn umhergestrichen, hatte vor der Thür des Kuhstalls gestanden und die lange Doppelreihe der gehörnten Rinder abgeschätzt, bis die Großmagd ihn herrisch wegwies. Und wie ein heißer Strahl schoß es in seinen Kopf: er selbst konnte der Rittergutsbesitzer werden, so gut wie Ehrenthal, er selbst konnte Andere seine weiße Wolle waschen lassen und mit zwei, ja mit vier Pferden nach der Stadt fahren. Er griff mit den Händen heftig in die Tischplatte und rief laut: »Ich werde es thun!« setzte sich auf dem Stuhl fest und schlug die hagern Arme übereinander. Und von dem Augenblick an wollte er etwas und begann seine Arbeit.

Und er speculirte schlau. Er hatte nach seiner Meinung ein Recht an das Gut des Freiherrn gewonnen durch seinen Entschluß, er wollte dies Recht auch erwerben durch sein Geld, er wollte für sich eine Hypothek auf dem Gute des Barons. So wollte er sein Capital sicher stellen auf Jahre, ruhig wollte er arbeiten, bis der große Tag käme, wo er mit seinem Capital das ganze Gut in seine Hände brächte. Und im schlimmsten Falle, wenn sein Plan nicht gelang, der jetzt der stille Zweck seines Lebens werden sollte, dann war wenigstens sein Geld nicht verloren. Unterdeß wollte er Agent und Commissionair werden, er wollte Käufe und Verkäufe vermitteln, wie so viele Andere thaten, arme Teufel, die einander die halben Procente gegenseitig beneideten, und vornehme Herren mit großen Titeln, welche den Güterschacher in's Große treiben und Hunderttausende dabei gewinnen durch List, Bestechung und Schleichwege. Veitel wußte, daß es wenig Wege gab, auf denen er nicht bekannt war. So wollte er anfangen, zunächst mußte er als Factotum bei Ehrenthal bleiben, so lange er den Alten benutzen konnte. Die Rosalie war schön und sie war reich, denn Bernhard war nicht zu rechnen als Erbe des Vaters. Vielleicht wollte er werden der Schwiegersohn des alten Ehrenthal, vielleicht wollte er auch nicht; dies Geschäft hatte keine Eile. Und noch Einer war, mit dem er sich stellen mußte: der kleine schwarze Mann, welcher jetzt drüben in der Gaststube seinen theuren Wein trank. Auch mit ihm mußte er von heut ab Rechnung halten, er wollte ihn bezahlen für jeden Dienst, den ihm der Alte that, und wollte ihm nur so weit sein Vertrauen geben, als es nöthig war.

Das waren die Entschlüsse, zu denen Veitel kam, und als er seinen Plan überlegt hatte, wie ein Gelehrter das Buch, das er schreiben will, da trug er seine Pfandbriefe unter das Kopfkissen, verschloß seine Thüre, lehnte einen schweren Stuhl dagegen und warf sich erschöpft durch die Anstrengung des Tages auf sein hartes Lager, er, der neue wild aufgeschossene Agnat der Rothsattel, der Mitbesitzer ihres schönen Gutes. Vielleicht war es die aberwitzige Phantasie eines Thoren, was der Händler auf seiner ärmlichen Stube in unruhiger Seele umhergewälzt hatte, vielleicht wurde es der Anfang einer Reihe von entschlossenen und consequenten Thaten, ein finsteres Schicksal für den Freiherrn und seine Familie. Der Freiherr selbst sollte darüber entscheiden.

An demselben Abend saßen die Baronin und ihre Tochter in der Rosenlaube des Parks, Beide waren allmälig verstummt. Die Mutter sah in tiefen Gedanken auf den Tanz eines Nachtschmetterlings, der mit dem kleinen dicken Kopf durchaus in die Flamme der Kerze fahren wollte und immer wieder an die Glasglocke stieß, welche das Licht vor der Nachtluft schützte.

Lenore beugte sich über ein Buch und warf zuweilen einen forschenden Blick in das ernste Gesicht der Mutter. Da knirschte der Kies, und der alte Amtmann des Gutes trat hastig mit abgezogener Mütze heran und frug nach dem gnädigen Herrn.

»Was bringen Sie?« frug Lenore den Graukopf, »ist etwas vorgefallen?«

»Mit dem alten Rappen geht's zu Ende,« antwortete der Amtmann besorgt, »er hat wüthend um sich geschlagen und in die Krippe gebissen, jetzt liegt er und keucht wie im Sterben.«

»Das wäre der Teufel!« rief Lenore aufspringend.

»Lenore!« schalt die Mutter.

»Ich komme, selbst nachzusehen,« sagte Lenore eifrig und eilte mit dem Alten nach dem Hofe.

Das kranke Pferd lag auf seiner Streu triefend von Angstschweiß, und seine Flanken hoben und senkten sich in keuchendem Athemholen. Beim Schein der Stalllaterne standen die Knechte umher und sahen phlegmatisch auf das leidende Thier. Als Lenore eintrat, wandte das Pferd die Augen Hülfe suchend nach dem Fräulein.

»Es kennt mich noch,« rief sie und winkte den stämmigen Großknecht bei Seite.

»Es hat sich abgearbeitet,« sagte der Mann, »jetzt ist's ruhig.«

»Werft Euch sogleich auf ein Pferd und reitet zum Thierarzt,« befahl Lenore dem Knecht.

Dem Mann war es nicht behaglich, zur Nacht einige Meilen zu reiten, er antwortete zögernd: »Der Doctor ist niemals zu Hause; ehe er kommt, ist's mit dem Pferde zu Ende.«

»Gehorcht!« befahl Lenore kalt und wies nach der Thüre. Der Knecht ging widerwillig hinaus.

»Was ist das mit dem Großknecht?« frug Lenore, als sie mit dem Amtmann aus dem Stall trat.

»Er thut nicht mehr gut und müßte fort, ich habe es dem gnädigen Herrn schon oft gesagt. Aber gegen den Herrn Baron ist der Schlingel bethulich wie ein Ohrwurm; er weiß, daß er einen Stein im Bret hat; gegen alle andern Leute ist er widerhaarig, und ich habe täglich meinen Aerger mit ihm.«

»Ich will mit dem Vater sprechen,« erwiederte Lenore die Stirn faltend.

Der alte Diener blieb stehen und fuhr zutraulich fort: »Ach, gnädiges Fräulein, wenn Sie sich der Wirthschaft etwas annehmen wollten, das wäre ein wahres Glück für das Gut. Mit dem Kuhstall bin ich auch nicht zufrieden. Die neue Wirthschafterin versteht die Mägde nicht zu tractiren, sie ist zu flatterhaft, Bänder hinten und Bänder vorn. Sonst war's besser im Gange, da kam der Herr Baron manchmal selbst und besah das Butterfaß. Jetzt hat er wohl andere Geschäfte, und wenn die Leute wissen, daß der Herr nachsichtig ist, so spielen sie dem Amtmann Trumpf aus, wenn er sie scharf behandelt. – Sie können scharf sein mit den Leuten, es ist jammerschade, daß Sie kein Herr sind.«

»Ja, Sie haben Recht, es ist jammerschade,« nickte Lenore beistimmend ihrem alten Freunde zu. »Aber man muß es mit Geduld ertragen. Um die Molkerei will ich mich kümmern, ich werde von heut ab alle Tage beim Buttern sein. Wie steht das Korn jetzt? Sie haben ja neulich nach der Stadt gefahren.«

»Ja,« sagte der Alte gedrückt, »der gnädige Herr hatten so befohlen, ich weiß nicht, was er genommen hat. Er hat den ganzen Schüttboden schon im Winter an Händler verkauft auf Lieferung.« »Sehen Sie,« fuhr er bekümmert fort und schüttelte seinen weißen Kopf, »sonst verkaufte ich, und ich schrieb's in's Buch und strich das Geld ein und zählte es dem Herrn Baron auf, jetzt kann ich in meinem Buch die Einnahmen nicht mehr notiren; wenn die Seite zu Ende ist, mache ich einen Strich, aber ich ziehe keine Summe mehr.«

Lenore hörte, die Hände auf dem Rücken, die Klage theilnehmend an. »Hm! Es wird eine von den neuen Einrichtungen sein. Grämt Euch nur nicht darüber, mein Alter. Ich will, so oft Papa nicht da ist, Nachmittags mit Ihnen auf das Feld gehen oder Sie dort aufsuchen. Sie sollen Ihre Pfeife dabei rauchen. Wie schmeckt's in dem neuen Kopf, den ich Ihnen mitgebracht habe?«

»Er ist dick angeraucht,« sagte der Amtmann schmunzelnd und zog zur Bekräftigung seine kurze Pfeife halb aus der Tasche. »Aber um wieder auf den Rappen zu kommen, der Herr Baron wird sehr böse sein, wenn er das Malheur erfährt, und wir können doch nichts dafür.«

»Ei was,« sagte Lenore, »wenn wir nichts dafür können, wollen wir's ruhig abwarten. Gute Nacht, Amtmann. Gehen Sie mir zurück zu dem Pferde.«

»Zu Befehl, gnädiges Fräulein, und gute Nacht auch für Sie,« sagte der Amtmann.

Noch immer saß die Baronin allein unter den schwellenden Knospen der immergrünen Rose, auch sie dachte an ihren Hausherrn, der sonst selten an ihrer Seite gefehlt hatte, wenn sie die warmen Frühlingsabende im Freien zubrachte. Ihr Gemahl war anders geworden. Er war herzlich und liebevoll gegen sie, wie immer, aber er war oft zerstreut und abgespannt und wieder reizbarer und durch Kleinigkeiten verstimmt, seine Fröhlichkeit war lauter, und sein Bedürfniß nach Herrengesellschaft größer als vordem. Sein Haus, ja sie selbst, übte geringere Anziehungskraft aus als sonst, und sie frug sich immer wieder, ob solche Veränderung die trübe Folge davon sein konnte, daß der rosige Hauch der Jugend von ihrer Stirn schwand. Mit diesem Gefühl rang sie und suchte ängstlich nach anderen Gründen für die häufige Abwesenheit des geliebten Mannes.

»Ist der Vater noch nicht zurück?« frug Lenore zu ihr tretend. »Es fuhr ein Wagen auf der Landstraße.«

»Nein, mein Kind,« sagte die Mutter, »er hat wohl in der Stadt zu thun, es ist möglich, daß er erst morgen zurückkommt.«

»Ich bin nicht zufrieden damit, daß Papa jetzt so viel in der Stadt ist und bei den Nachbarn umherfährt,« sagte Lenore; »es ist lange her, daß er uns des Abends nicht mehr vorgelesen hat.«

»Er will, daß du meine Vorleserin wirst,« sagte die Mutter lächelnd. »Du sollst es auch heut Abend sein, hole ein Buch und setze dich artig neben mich, du Ungeduld.«

Lenore verzog schmollend den kleinen Mund, und statt das Buch zu ergreifen, setzte sie sich neben die Baronin, umschlang sie mit beiden Armen und sagte, das Haupt der Mutter an sich drückend und ihr das Haar streichend: »Liebes Herz, auch du bist traurig, du hast Kummer, hast du Sorge um den Vater? Er ist nicht so, wie er früher war. Ich bin kein Kind mehr, sage mir, was er treibt.«

»Du bist thöricht,« antwortete die Baronin mit ruhiger Stimme. »Ich habe nichts vor dir zu verbergen. Wenn dein Vater wirklich etwas hat, was ihn von uns fortzieht, so dürfen wir Frauen nicht darnach fragen, es ist an uns, zu warten, bis die Stunde kommt, wo der Herr des Hauses uns sein Herz öffnet.«

 

»Und unterdeß sollen wir uns ängstigen, vielleicht um ein Nichts?« rief Lenore.

»Wir sollen uns mühen, ruhig zu sein, und wenn wir vertrauen, wo wir lieben, ist das nicht schwer,« antwortete die Baronin, sich aus dem Arm Lenorens aufrichtend.

»Und doch sind deine Augen feucht und du verbirgst mir deine Sorge,« sprach die Tochter. »Wenn du schweigen willst, ich werde es nicht thun, ich werde den Vater fragen.«

»Das wirst du nicht,« sagte die Baronin in bestimmtem Ton.

»Der Vater!« rief Lenore, »ich höre seinen Tritt.« – Die stattliche Gestalt des Freiherrn kam mit schnellen Schritten auf die Laube zu. »Guten Abend, Ihr Heimchen,« rief er schon von Weitem mit heller Stimme. Er schloß Frau und Tochter zugleich in seine Arme und sah ihnen so fröhlich in die Augen, daß die Baronin ihren Schmerz, und Lenore die Frage vergaß. »Es ist hübsch, daß du so früh zurückkommst,« sagte die Hausfrau mit heiterem Lächeln, »Lenore wollte dich heut Abend durchaus neben uns sehen. Der Abend war so schön.«

Der Freiherr setzte sich zwischen die Frauen und frug behaglich: »Kinder, bemerkt Ihr keine Veränderung an mir?«

»Du bist heiter,« sagte die Baronin ihm in's Auge sehend, »sonst wie immer.«

»Du hast deine Uniform angehabt und Besuche gemacht,« sagte Lenore, »ich sehe es an der weißen Cravatte.«

»Ihr habt beide Recht,« antwortete der Baron, »aber ich bringe doch noch etwas: der König hat die Huld gehabt, mir den Orden zu verleihen, den der Vater und Großvater getragen haben; es freut mich, daß das Kreuz in unserer Familie fast erblich wird. Und mit dem Orden kam ein gnädiges Schreiben des Prinzen, worin er mir Glück wünscht und sich sehr freundlich an die Jahre erinnert, die ich in seiner Nähe verlebte, und auch an dich, du vielumworbene Dame des Hofes. Ich wollte, er sähe dich wieder; er wird es für unmöglich halten, daß Jahre vergangen sind, seit er dein Tänzer war.«

»Welche Freude!« rief die Baronin und umschlang den Hals ihres Mannes, »ich habe deiner Toilette den Stern schon seit Jahren gewünscht.« Lenore öffnete unterdeß das Etui und drehte den Orden beim Licht der Kerze hin und her. »Wir machen ihm die Decoration um.« Die Baronin hing ihm das Kreuz um den Hals und küßte loyal erst ihn und dann das Kreuz.

»Nun, wir wissen ja,« sagte der Baron, »was in unserer Zeit von solchem Schmuck zu halten ist. Doch gestehe ich, daß gerade diese Standesdecoration mir die liebste von allen ist. Unsere Familie ist eine der ältesten, und in unserer Linie sind, was freilich ein Zufall ist, niemals Mißheirathen vorgekommen. Dies Kreuz ist gegenwärtig so ziemlich die letzte Erinnerung an die alte Zeit, wo man auf dergleichen noch großen Werth legte. Jetzt tritt eine andere Macht an die Stelle unserer Privilegien, das Geld. Und auch wir sind in der Lage, uns darum bemühen zu müssen, wenn wir unsere Familie in Ansehen erhalten wollen. In dem Briefe des Prinzen ist das Alter der Familie erwähnt und der Wunsch ausgesprochen, daß sie noch viele Generationen, wie bisher, in musterhafter Gentilität, so sind die Worte des Briefes, blühen möge. Du, Lenore, und dein Bruder, Ihr habt dafür zu sorgen.«

»Ich lebe in musterhafter Gentilität,« antwortete Lenore, die Arme übereinanderschlagend. »Und für die Ehre der Familie kann ich nichts thun. Wenn ich heirathe, wozu ich gar keine Lust habe, so muß ich doch einen andern Namen annehmen, und es wird dem alten Ahn in der Rüstung, der oben im Erkerzimmer hängt, ziemlich gleich sein, wen ich zu meinem Herrn mache. Eine Rothsattel kann ich doch nicht bleiben.«

Der Vater lachte und zog die Tochter an sich. »Wenn ich nur wüßte, woher mein Kind diese Ketzereien hat.«

»Sie ist allmählig so geworden,« sagte die Mutter.

»Das wird sich geben,« antwortete der Vater und küßte die Tochter herzlich auf die Stirn. »Hier lies den Brief des Prinzen, ich sehe nach dem Pferde, dann essen wir zusammen im Freien.«

Das Ordenszeichen, eine niedliche Erinnerung an einen gewaltigen Bund geistlicher Ritter, welche Länder erobert und ein eigenes Reich gegründet hatten, warf in die Seele des Freiherrn ein helles Licht, so gleichgültig er sich auch dagegen stellte. Die Glückwünsche seiner zahlreichen Bekannten thaten ihm wohl, und seine Selbstachtung erhielt dadurch eine geheime Stütze, deren sie manchmal bedurfte. So fand ihn nach Verlauf einer Woche auch Ehrenthal, der Händler, als er auf seinem Wege nach einem nah gelegenen Dorfe vorfuhr, nur um dem Freiherrn zu gratuliren. Er hatte bereits seine Abschiedsverbeugung gemacht, als er noch einmal anhielt und die Worte hinwarf: »Der gnädige Herr hatten früher die Idee, eine Zuckerfabrik aus Rüben anzulegen. Ich höre, es ist jetzt im Werk, eine Compagnie zu bilden, welche eine solche Fabrik ganz in Ihrer Nähe bauen will, ich bin aufgefordert worden, an dem Geschäft Theil zu nehmen, und wollte doch erst fragen, wie der Herr Baron es noch gedenken zu halten in dieser Sache.«

Dem Freiherrn war die Nachricht sehr unangenehm. Seit Jahren hatte er sich mit dem Gedanken getragen, eine gleiche Fabrik auf seinem Grund und Boden zu errichten, er hatte eine Anzahl ähnlicher Unternehmungen besucht, hatte sich Anschläge machen lassen, mit Technikern verhandelt, ja er hatte schon den Platz bezeichnet, auf dem das Etablissement am wenigsten unschön gewesen wäre. Er hatte diesen Plan eine Zeit lang mit großem Eifer verfolgt, allmählig war er ihm weniger lockend erschienen. Die Scheu eines vorsichtigen Mannes vor der neuen und noch unsichern Industrie, die Klagen einiger Bekannten über die Menge der Kosten und vor Allem über die Unruhe und vielen Inconvenienzen, die ein solches Unternehmen in das Leben eines Gutsbesitzers und die Verwaltung seines Gutes bringe, das Alles hatte ihn bewogen, das Project liegen zu lassen und für die nächsten Jahre eine ruhige Anlage seines Capitals mit allerdings mäßigem Zinsengenuß vorzuziehen. Jetzt sollte eine Anlage, die er sich doch für die Zukunft vorbehalten hatte, von Andern ausgeführt werden; es war klar, daß sein eigenes Project dadurch zerstört wurde. Denn zwei gleiche Fabriken in unmittelbarer Nähe mußten sich zuverlässig hindern. Geärgert rief er: »Gerade jetzt, wo ich mir auf einige Jahre die Disposition über die Capitalien genommen habe.«

»Herr Baron,« sagte der Händler mit Herzlichkeit, »Sie sind ein reicher Mann und angesehen in der Gegend. Wenn Sie erklären, daß Sie selbst anlegen wollen diese Fabrik, so geht der Actienverein auseinander an demselben Tage.«

»Sie wissen, daß ich das jetzt nicht kann,« erwiederte der Freiherr unwillig.

»Wenn Sie wollen, gnädiger Herr, so können Sie auch,« entgegnete der Händler mit ehrerbietigem Lächeln. »Ich bin nicht der Mann, der Ihnen zuredet zu einer solchen Fabrik. Was haben Sie nöthig, Geld zu verdienen? Wenn Sie aber jetzt zu mir sagen, Ehrenthal, ich will anlegen eine Fabrik, so steht Ihnen Capital zu Gebot, so viel Sie haben wollen. Ich selbst habe eine Summe von sieben-, von zehntausend Thalern vorräthig, Sie können diese erhalten jeden Tag. – Und ich will Ihnen einen Vorschlag thun. Ich schaffe Ihnen das Geld, welches Sie brauchen, zu billigen Zinsen. Für die Summe, die ich selbst Ihnen gebe, lassen Sie mir einen Antheil am Geschäft bis zu dem Tage, wo Sie mir zurückzahlen mein Geld. Für das übrige Geld, das Sie brauchen, bestellen Sie Hypothek auf Ihr Gut bis Sie zurückzahlen in einigen Jahren die ganze Anleihe.«

Der Vorschlag erschien uneigennützig, ja freundschaftlich, aber der Freiherr fühlte zu lebhaft die große Veränderung, welche ein solches Geschäft in seinem ganzen Leben hervorbringen werde, er sah mit banger Sorge und einem Mißtrauen sowohl gegen sich selbst, als gegen Ehrenthal in eine Zukunft von Verwickelungen. Er verhielt sich deßhalb sehr kühl gegen Ehrenthals Antrag. »Ich danke Ihnen für das Zutrauen,« sagte er, »aber ich will nicht mit fremdem Gelde einrichten, was doch nur aus den Ueberschüssen der eigenen Einnahmen mit Segen erbaut wird.«