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Soll und Haben, Bd. 1 (2)

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Als Fink merkte, daß es ein wenig unbequem war, die Frauen zu lebhafter Theilnahme an der Unterhaltung heranzuziehen, fing er an, in seiner Weise mit Worten zu phantasiren.

Die Mutter klagte gegen ihn über Bernhards Stubensitzen.

»Er ist ein Aristokrat,« antwortete Fink gutmüthig. »Der zehnte Mensch ist ihm nicht recht. Die Herren Gelehrten haben alle diese Eigenthümlichkeit. Wenn ich meinem Schöpfer für etwas dankbar bin, so ist es dafür, daß er mich zu einem einfachen bescheidenen Mann gemacht hat, dessen Kopf nicht stark genug ist, große Weisheit zu vertragen. Uns gewöhnlichen Menschen wird es am leichtesten, mit dieser Welt fertig zu werden, wir sind genöthigt, uns in Andere zu schicken. Wer aber berechtigt ist, große Ansprüche zu machen wegen seines Wissens oder wegen seiner Schönheit« – hier neigte er sich mit überzeugender Ehrlichkeit gegen die Tochter vom Hause – »der findet leicht die Welt nicht so, wie er sie fordert, während ich und meines Gleichen die Ueberzeugung haben, daß sie ganz vortrefflich eingerichtet ist.«

»Es ist doch viel Gemeines auf der Erde,« sagte Madame Ehrenthal.

»Daß ich nicht wüßte,« rief Fink lachend. »Ich gebe Ihnen zu, daß einige Insecten einen gemeinen Charakter haben, und daß es gemein ist, sich in Branntwein zu betrinken. Im Uebrigen kommt Vieles auf Ansichten an. Sehen Sie diese Auster. Ich wette, es giebt zahlreiche Fische und Erdbewohner, welche dies holde Geschöpf für etwas Gemeines halten, mir erscheint sie als eine der vornehmsten Erfindungen der Natur. Was verlangen wir von einem Vornehmen? Die Auster hat Alles: sie ist ruhig, sie ist still, sie sitzt fest auf ihrem Grund und Boden. Sie schließt sich ab gegen die Außenwelt, wie kein anderes Geschöpf. Wenn sie ihre Schalen zuklappt, so deutet sie auf das entschiedenste an: Ich bin für Niemand zu Hause; wenn sie ihr perlmutternes Haus öffnet, so zeigt sie den bevorzugten Ebenbürtigen ein zartes gefühlvolles Wesen. Wenn der Mensch das Recht hat, etwas Geschaffenes zu beneiden, so ist es die Auster. Sie werden sagen, daß das Seewasser kein ansprechendes Element ist. Aber da muß ich widersprechen. Wer auf die schlechte Gewohnheit verzichten kann, alle Augenblicke nach Luft zu schnappen, wie wir leider thun müssen, für den muß es dort unten auf dem Meeresgrund sehr gemüthlich sein.« Er wandte sich zu Rosalie: »Nur die musikalische Bildung der Auster ist, wie ich fürchte, ungenügend. Außer dem Heulen des Sturmwinds und dem Gerassel des Dampfschiffs dringen nicht viele Töne in ihre Behausung.«

»Treiben Sie Musik?« frug Rosalie.

»Kaum darf ich das zugeben,« erwiederte Fink verbindlich. »Ich klimpere ein wenig auf dem Flügel herum, und wenn ich zu singen versuche, meide ich Menschenwohnungen. Aber ich stehe zur Musik in dem Verhältniß eines unglücklichen Liebhabers. Ich habe ein Instrument, das ich schwärmerisch verehre, und ich würde viel darum geben, wenn ich im Stande wäre, dasselbe mit Meisterschaft zu spielen.«

»Die Violine?« frug Rosalie.

»Vergebung, die Pauke. Ich frage Sie, was heißt spielen auf den anderen Instrumenten? Es ist ein ewiges unruhiges Umherrasen von der Höhe zur Tiefe und wieder umgekehrt, eine ungemüthliche Anstrengung in allen möglichen Schnelligkeiten, Triolen, Trillern, Tremolo's und wie die Quälereien alle heißen. Nur selten erscheint eine lange, dicke, ruhige Note, ein solider Ton, welcher aushallt und nicht von der nächsten Note seinen Fußtritt bekommt. Nehmen Sie dagegen den Ton der Pauke. Welche Kraft, welche Feierlichkeit und welche Wirkung! Und erst der Glückliche, dem ein solches Instrument anvertraut wird! Man sagt den übrigen Virtuosen nach, daß sie reizbar und empfindlich sind, der Pauker wird ein Held, ein großer Charakter, er bekommt eine Weltanschauung, wie sie nur auf dem erhabensten Standpunkt möglich ist. Er pausirt, dreißig, fünfzig Tacte, unterdeß rennt und quiekt das Volk der übrigen Töne durcheinander, wie die Mäuse, wenn die Katze nicht zu Hause ist. Er allein steht in einsamer Größe, scheinbar mit nichts beschäftigt, er nimmt vielleicht eine Prise oder sucht sich lächelnd die schönsten Damen im Zuhörerraum. Aber innerlich denkt er: 27, wartet nur, ihr ruppiges Notengesindel, 28, ich werde euch sogleich eins auf den Kopf geben, 29, diese Geige wird naseweis, 30, bum! er schlägt auf, und die andern Instrumente fahren aufgeregt zusammen, sie fühlen die Sprache ihres Herrn und Meisters, und alle Zuhörer athmen tief auf, das große Wort ist gesprochen.« – Rosalie lachte.

»Ich lasse mir nächstens ein Paar Pauken bauen und werde mir die Ehre geben, ein Duett für Pauke und Fortepiano zu schreiben und Ihnen, mein Fräulein, zu widmen, am liebsten ein gefühlvolles Notturno. – Beim Apoll, ein vortrefflicher Wein! Was für ein Landsmann? Ich habe noch nicht die Ehre seiner persönlichen Bekanntschaft.«

»Es ist ein Ungarwein, alter Menes,« rief Vater Ehrenthal über den Tisch, »er hat funfzig Jahre gelegen im Keller.«

»Kennen Sie die Sorte, Herr Bernhard?« frug Fink, die Worte des Vaters überhörend.

»Ich verstehe wenig vom Wein,« sagte Bernhard.

»Schade,« erwiederte Fink. »Wer ein Gönner der Poeten ist, wie Sie, der sollte auch etwas auf seinen Weinkeller halten. Aber da wir von Musik sprechen, müssen Sie uns wenigstens sagen, wie Ihre persischen Freunde, die Herren Jussuf und Sadi, ihre Lieder den schwarzäugigen Schönen vorsingen. Bitte, recitiren Sie uns ein Gedicht auf persische Weise.«

Bernhard setzte ernsthaft auseinander, daß die Musik des Orients für unser Ohr manches Auffallende habe, und hatte lange zu thun, um die angelegentlichen Bitten Finks abzuwehren, welcher durchaus einen Vortrag in Originalsprache und Melodie von ihm hören wollte.

So zog Fink die Tafel hin bis nach Mitternacht, zuletzt mußte Rosalie sich an den Flügel setzen, dann fuhr auch er mit den Fingern über die Tasten und sang ein wildes Lied in spanischer Sprache. Als die Gäste sich entfernten, war die Familie entzückt. Rosalie eilte wieder an den Flügel und suchte die Melodie des fremden Gassenhauers zu wiederholen, die Mutter war unerschöpflich im Ruhme des vornehmen Wesens; auch der von den Stühlen der Menschheit gestrichene Vater war über den Besuch des reichen Erben begeistert und wiederholte in angenehmer Weinlaune, daß er über eine Million schwer sei. Selbst Bernhards unschuldige Seele war durch die Art des gewandten Mannes mächtig gefesselt. Wohl hatte er bei den Reden Finks zuweilen ein leichtes Mißbehagen gefühlt, es war ihm vorgekommen, als mache der Fremde sich über ihn und die Seinen lustig, aber er war zu unerfahren, um das vollständig zu übersehen, und beruhigte sich damit, daß solche Gleichgültigkeit zum Wesen der Weltleute gehöre.

Nur Anton war unzufrieden mit dem Freunde und sagte ihm das auf dem Heimwege.

»Du hast gesessen wie ein Stock,« erwiderte Fink, »ich habe die Leute unterhalten, was willst du mehr? Laß dich in eine Maus verwandeln und kriech in die Löcher der aufgeputzten Stube, und du wirst hören, wie sie jetzt mein Lob singen. Kein Mensch kann mehr verlangen, als daß man ihn so behandelt, wie ihm selbst behaglich ist.«

»Ich meine,« sagte Anton, »man soll ihn so behandeln, wie es der eigenen Bildung würdig ist. Du hast dich benommen, wie ein leichtsinniger Edelmann, der morgen bei dem alten Ehrenthal eine Anleihe machen will.«

»Ich will leichtsinnig sein,« rief Fink lustig, »vielleicht will ich auch eine Anleihe bei dem Hause Ehrenthal machen. Schweig jetzt mit deinen Bußpredigten, es ist ein Uhr vorüber.«

Einige Tage später erinnerte sich Anton nach dem Schluß des Comtoirs, daß er dem jungen Gelehrten die Uebersendung eines Buches versprochen hatte. Da Fink schon vor einer Stunde weggegangen war und, wie er oft that, den Paletot Antons mitgeführt hatte, so wickelte dieser sich in Finks Burnus, der auf seiner Stube lag, und eilte in Ehrenthals Haus. Er trat an die weiße Thür und war nicht wenig verwundert, als die Thür geräuschlos aufging und eine verhüllte Gestalt herausschlüpfte. Ein weicher Arm legte sich in den seinen und eine leise Stimme sprach: »Kommen Sie schnell, ich erwarte Sie schon lange.« Anton erkannte Rosaliens Stimme. Er stand starr wie eine Bildsäule und erwiederte endlich mit dem Erstaunen, das in solcher Lage verzeihlich ist: »Sie verkennen mich, mein Fräulein.« Mit einem unterdrückten Schrei huschte die junge Dame die Stufen hinab, Anton trat kaum weniger erschrocken in Bernhards Zimmer. Er hatte in der Verwirrung den Mantel nicht abgenommen, und erlebte jetzt das Leid, daß der kurzsichtige Bernhard auf ihn zutrat und ihn Herr von Fink anredete. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf, er schützte gegen Bernhard große Eile vor und trug den unglücklichen Mantel schnell nach Hause über einem Herzen voll Schmerz und Aerger. Wenn es Fink war, der von der schönen Tochter Ehrenthals zu so vertraulichem Abholen erwartet wurde! Je länger Anton auf den Abwesenden wartete, desto höher stieg sein Unwille. Endlich hörte er Finks Tritt auf den Steinen des Hofes und eilte mit dem Mantel zu ihm hinab. Er erzählte kurz, was ihm begegnet war, und schloß mit den Worten: »Sieh, ich hatte deinen Mantel um, und es war dunkel, ich habe den häßlichen Verdacht, daß sie mich für dich gehalten hat, und daß du das Vertrauen Bernhards in unverantwortlicher Weise gemißbraucht hast.«

»Ei, ei,« sagte Fink kopfschüttelnd, »da sieht man, wie schnell der Tugendhafte bereit ist, seine Steine auf Andere zu werfen. Du bist ein Kindskopf. Es giebt mehr weiße Mäntel in der Stadt, wie kannst du beweisen, daß es gerade mein Mantel war, der erwartet wurde? Und dann erlaube mir die Bemerkung, daß du selbst dich bei diesem Abenteuer in einer Weise benommen hast, die weder artig, noch entschlossen, noch irgend etwas Anderes war, als täppisch. Warum hast du nicht das Fräulein die Treppe herunter geführt? Und wenn die Verwechselung unten nicht mehr zu verbergen war, konntest du nicht sagen: Zwar bin ich nicht der, für den Sie mich halten, aber ich bin ebenfalls bereit, in Ihrem Dienst zu sterben, und so weiter?«

 

»Du täuschest mich nicht,« erwiederte Anton. »Ich traue nicht, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn ich mir Alles recht überlege, so kann ich, trotz deinem Leugnen, den Verdacht nicht los werden, daß du doch der Erwartete warst.«

»Du bist ein kleiner Schlaukopf,« sagte Fink gemüthlich, »du wirst mir aber ebenfalls zugestehen, daß ich, da eine Dame im Spiel ist, nichts Anderes thun kann, als leugnen. Denn siehst du, mein Sohn, wenn ich dir Geständnisse machte, so würde ich ja die schöne Tochter des ehrenwerthen Hauses compromittiren.«

»Leider fürchte ich,« rief Anton, »daß sie sich ohnedies compromittirt fühlt.«

»Na,« sagte Fink ruhig, »sie wird's ertragen.«

»Aber Fritz,« rief Anton die Hände ringend, »hast du denn gar keine Empfindung für das Unrecht, was du an Bernhard begehst? Du verleitest die Schwester eines gebildeten und feinfühlenden Menschen zu Thorheiten, die für sie verhängnißvoll werden müssen. Gerade daß sein reines Herz in einer Umgebung schlägt, die er nur ertragen kann, weil er so voll Vertrauen ist und so wenig erfahren, gerade das macht dein Unrecht für mich so bitter.«

»Deßhalb wirst du am klügsten thun, wenn du das große Zartgefühl deines Freundes schonst und seiner Schwester Verschwiegenheit gönnst.«

»Nein,« erwarte Anton zornig, »meine Pflicht gegen Bernhard zwingt mich zu etwas Anderem. Ich muß von dir fordern, daß du dein Verhältniß zu Rosalie, von welcher Art es auch sei, auf der Stelle abbrichst und dich bemühst, in ihr nur das zu sehen, was sie dir immer hätte sein sollen, die Schwester meines Freundes.«

»So?« entgegnete Fink spöttisch, »ich habe nichts dawider, daß du diese Forderung stellst. Wenn ich aber nicht darauf eingehe, wie dann? Immer vorausgesetzt, was ich überhaupt leugne, daß ich der glückliche Erwartete war.«

»Wenn du nicht darauf eingehst,« rief Anton in großer Bewegung, »so kann ich dir diesen Streich niemals verzeihen. Das ist nicht mehr Mangel an Zartgefühl, es ist etwas Schlimmeres.«

»Und was, wenn's beliebt?« frug Fink kalt.

»Es ist schlecht,« rief Anton. »Es war schon schlimm genug, daß du die Koketterie des Mädchens benutztest, aber es ist doppelt schlecht, daß du auch jetzt nicht daran denken willst, wie du sie kennen gelernt hast, nicht an ihren Bruder und nicht an mich, der ich diese unglückliche Bekanntschaft vermittelt habe.«

»Und du laß dir sagen,« erwiederte Fink, die Lampe seiner Theemaschine anzündend, »daß ich dir durchaus nicht das Recht einräume, mir solche Vorträge zu halten. Ich habe keine Lust, mit dir zu zanken, aber ich wünsche über diesen Gegenstand kein Wort weiter von dir zu hören.«

»Dann muß ich dich verlassen,« sagte Anton, »denn es ist mir unmöglich, mit dir über Anderes zu sprechen, so lange ich die Empfindung habe, daß du frevelhaft handelst.« Er ging zur Thür. »Ich lasse dir die Wahl, entweder du brichst mit Rosalie, oder, so furchtbar mir ist, das auszusprechen, du brichst mit mir. Wenn du mir bis morgen Abend nicht die Versicherung giebst, daß deine Intrigue zu Ende ist, so gehe ich zu Rosaliens Mutter.«

»Gute Nacht, dummer Tony,« sagte Fink.

Anton verließ den leichtsinnigen Freund. Es war der erste ernsthafte Streit zwischen ihm und Fink. Er war sehr unglücklich über Finks Leichtsinn und schritt bis tief in die Nacht in seinem Zimmer trostlos auf und ab. Dem harmlosen Bernhard etwas zu sagen, erschien ihm bei der Persönlichkeit des Gelehrten bedenklich, er fürchtete, ihn im tiefsten Herzen zu verwunden, und traute ihm wenig Einfluß auf die Schwester zu. Auch Fink war ärgerlich über den Zufall. Er trank seinen Grog diesmal allein und dachte vielleicht mehr an Antons Groll, als an den Schreck der schönen Rosalie.

Der nächste Tag war grau für Beide. Sonst wenn Fink in's Comtoir trat, nickte er dem Freunde, der ihm seit einiger Zeit gegenüber saß, freundlich zu, und Anton kam dann schnell an den Stuhl des Andern und frug leise, wie Fink den letzten Abend verlebt hatte. Heut saß Anton stumm auf seinem Platz und beugte sich tief auf den Brief hinab, als Fink sich ihm gegenüber setzte. Jeder mußte, wenn er aufsah, in das Gesicht des Andern blicken, heut hatten Beide die Aufgabe, zu thun, als ob ihnen gegenüber ein leerer Raum sei. Es war Fink leicht gewesen, den Vater Ehrenthal als Luft zu behandeln, bei Anton war auch ihm das lästig, und Anton, der keine solche Gewandtheit im Uebersehen fremder Körper hatte, fühlte sich höchst unglücklich, wenn er nach rechts und links ausschauen mußte, bei dem Kopf des Andern vorbei, über ihn weg, immer gleichgültig, wie der Kriegsbrauch zwischen Schmollenden nöthig macht. In der Mitte des Vormittags kam das Frühstück in das Comtoir, dann wurde eine kurze Pause gemacht, die Herren standen von ihren Plätzen auf und traten zusammen. Heut blieb Anton sitzen, weil sein Platz der einzige Ort war, welcher ihn vor der Berührung mit Fink sicherte. Alles verschwor sich, Beiden ihre Rolle schwer zu machen. Schmeie Tinkeles erschien im Comtoir, und Fink hatte wieder eine lächerliche Verhandlung. Alle Herren sahen auf Fink und sprachen mit ihm; sonst hatte Anton dem Freunde fröhliche Zeichen des Einverständnisses gemacht, jetzt starrte er vor sich hin, als ob Tinkeles hundert Meilen entfernt wäre. Herr Schröter gab Anton einen Auftrag, bei dem er Fink um Auskunft fragen mußte. Anton war genöthigt, sich vorher stark zu räuspern, damit seine Stimme nicht gepreßt klang, und als Fink eine kurze Antwort gab, kränkte ihn das, und sein Zorn gegen den Verstockten loderte wieder zu heller Flamme auf. Zum Mittagessen waren die Beiden immer zusammen gegangen, Fink hatte regelmäßig gewartet, bis Anton ihn abholte. Heut kam Anton nicht. Fink ging mit Herrn Jordan in's Vorderhaus, so daß Jordan verwundert frug: »Wo bleibt denn Wohlfart?« und Fink mußte sagen: »Wo er will.«

Am Nachmittag konnte sich Anton nicht enthalten, einige Mal heimlich von seinem Briefe aufzusehen und den Kopf und das stolze Angesicht des Anderen zu betrachten. Dabei mußte er denken, wie fürchterlich es für ihn sei, von jetzt ab dem Manne fremd zu werden, an dem er so sehr hing. Aber er blieb fest. Auch jetzt, wo der erste Zorn verraucht war, fühlte er, daß er nicht anders handeln konnte. Diese Ueberzeugung rührte ihm das Herz. Und in solcher Stimmung vermied er nicht mehr auf den Platz des verlorenen Freundes zu schauen. Als Fink aufblickte, sah er das Auge Antons voll Trauer auf seinem Gesichte ruhen. Der schmerzliche Ausdruck beunruhigte den Rücksichtslosen mehr, als der frühere Zorn. Er erkannte daraus, daß Anton fest war, und die Waagschaale, worin Rosalie saß, fuhr in die Höhe. Wenn Anton in seiner Spießbürgerlichkeit zu Rosaliens Mutter ging, so wurde ihm das Abenteuer doch verdorben. Zwar um den Zorn der Mutter kümmerte er sich wenig, Rosalie mochte sehen, wie sie mit ihr fertig wurde, aber der Gedanke an den harmlosen Bernhard war ihm unbehaglich. Und was das Schlimmste war, sein eigenes Verhältniß zu Anton war für immer zerstört, sobald dieser erst mit einer dritten Person über die Liaison gesprochen hatte. Diese Erwägung zog ihm die Stirn in Falten.

Kurz vor sieben Uhr fiel ein Schatten auf Antons Papier. Anton sah auf, Fink hielt ihm schweigend einen kleinen Brief über das Pult, die Aufschrift war an Rosalie. Anton sprang von seinem Sitz auf.

»Ich habe an sie geschrieben,« sprach der Andere mit eisiger Kälte; »da deine Freundschaft mir nur die Wahl läßt, entweder das Mädchen zu compromittiren oder meine Studien über eine interessante Völkerseele aufzugeben, so muß ich mich zu dem Letzteren verstehen. Hier ist der Brief. Ich habe nichts dagegen, daß du ihn liest. Es ist ihr Laufpaß.«

Anton nahm den Brief aus der Hand des Sünders, siegelte ihn in der Eile mit dem kleinen Comtoirstempel und übergab ihn einem Hausknecht zur schleunigen Abgabe auf der Stadtpost.

So war die Gefahr beseitigt, aber es blieb seit diesem Tage eine Spannung zwischen den beiden Verbündeten. Fink grollte, und Anton konnte nicht vergessen, was er Verrath an seinem Freund Bernhard nannte. Und Fink trank durch einige Wochen seinen Thee nicht in Antons Gesellschaft.

VII

Das Haus von T. O. Schröter hatte einen Tag im Jahre, an dem es sich unabänderlich dem Vergnügen ergab. Dies geschah zur Erinnerung an die Stunde, in welcher Herr Schröter als Theilhaber in das Geschäft seines Vaters eingetreten war. Wenn dieser Tag durch die Tücke der Kalendermacher unter die Wochentage gesetzt wurde (und es war sechs gegen eins zu wetten, daß sie dem Geschäft den Possen spielten), so wurde das Fest am nächsten Sonntag gefeiert. Es war keine Festfeier, welche übermäßig aufregte, sie hatte einen ruhigen regelmäßigen Verlauf und einen leisen Anflug von Geschäftlichkeit. Zuerst war großes Diner des Comtoirs beim Prinzipal, dann fuhr die Gesellschaft nach einem nahe gelegenen Dorfe, wo der Kaufmann ein Landhaus besaß, und wo eine Anzahl öffentlicher Gärten und Sommerconcerte die Stadtbewohner anzogen. Dort wurde Kaffe getrunken, Natur genossen, und am Abend zur Bürgerstunde nach der Stadt zurückgefahren.

In diesem Jahr feierte der Kaufmann das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seines Eintritts. Schon am Morgen gratulirten Deputationen der Auflader und Hausknechte, an der Mittagstafel waren heut die Collegen im höchsten Staat versammelt, Herr Liebold in einem neuen Frack, den er, wie alle Prachtstücke seiner Garderobe, seit vielen Jahren an diesem Fest zum ersten Mal trug.

Nach dem Mittagessen fuhren einige Wagen vor das Haus, die Gesellschaft in's Freie zu schaffen. Herr Schröter stieg mit Sabine in den ersten Wagen, und da die Tante als Krankenpflegerin einer Verwandten abwesend war, sah sich der Prinzipal unter den Herren um, welche massenhaft um den Wagen standen und das Einsteigen Sabinens durch heftige Dienstbeflissenheit wenigstes moralisch unterstützten. Fink saß bereits auf seinem Reitpferd, und so rief der Prinzipal Herrn Liebold und Herrn Jordan auf den Rücksitz des Staatswagens. Beide Herren verneigten sich, Herr Liebold nahm mit feierlichem Lächeln gegenüber dem Fräulein Platz. Ach, aber seine Freude war nicht ohne den Bodensatz heimlicher Angst. Es war allen Collegen wohl bekannt und ihm am besten, daß er das Rückwärtsfahren durchaus nicht vertragen konnte. Nie hatte er nach Ehrenplätzen gestrebt, sein ganzes Leben durch war er auf der Rückseite von Fortuna's Carrosse fortgeschafft worden, aber in einem gewöhnlichen Wagen empörte sich augenblicklich sein ganzes Innere, wenn er nicht vornehm im Fond saß. Auch heut sah er das Unglück kommen, gerade heut, wo er der angebeteten Herrin des Hauses gegenüber saß. Wie gern hätte er seinen Platz geopfert, aber das war unmöglich, die Ehre war zu groß, und seine Weigerung wäre ihm falsch ausgelegt worden. So saß er als Märtyrer, auf das Aergste gefaßt, dem Fräulein gegenüber, er versuchte vergebens unbefangen auszusehen und auf die Seite zu blicken, wo Häuser und Bäume, Menschen und Hunde bei ihm vorbeitanzten. Dies fürchterliche Tanzen kannte er, das war immer der Anfang. Er mußte also gerade vor sich hin sehen, und da es unpassend gewesen wäre, dem Fräulein in's Gesicht zu blicken, so starrte er über sie weg. Noch lächelte sein Mund, aber sein Auge sah stier und seine Wangen wurden blaß, blutlos, erdfarben. Jordan sah ihn von der Seite an und konnte das Lachen nicht verbergen. Das brachte Sabine zu der besorgten Frage: »Fehlt Ihnen etwas, Herr Liebold?« Da Liebold die Augen nicht vom Himmel wegwenden durfte, so bohrte er sie an einer ruhigen Wolke fest und murmelte die Versicherung, daß ihm sehr wohl sei. Dabei erhielt sein Gesicht aber den Ausdruck stumpfer Verzweiflung, so daß Sabine sich ängstlich an Herrn Jordan wandte.

»Er kann nicht vertragen rückwärts zu sitzen,« sagte dieser.

»Dann wechseln wir die Plätze,« rief Sabine. Herr Liebold schüttelte erschrocken den Kopf und machte schweigend allerlei Bewegungen, um seinen Abscheu gegen eine solche Zumuthung auszudrücken. »Bitte, Herr Jordan, lassen Sie den Kutscher halten,« rief Sabine. Der Wagen stand, das Fräulein erhob sich. »Schnell, Herr Liebold,« rief sie. Dieser versuchte noch zu protestiren, aber Jordan rückte ihn kräftig in die Höhe, und ehe er wußte, wie ihm geschah, saß er im Fond, und das Fräulein ihm gegenüber auf dem Rücksitz. Die Spannung in seinen Zügen ließ nach, eine feine Röthe zog verklärend über sein Gesicht. Aber in welcher Lage war er! Was mußten die Vorübergehenden von ihm und seiner Stellung im Hause denken! Fremde konnten ihn für den Onkel der Dame halten, aber Jeder, der sie kannte, – und wer kannte die schöne Sabine Schröter nicht? – der mußte auf die abenteuerlichsten Gedanken kommen. Daß er mit ihr verlobt sei, war noch viel zu wenig, als Verlobter hätte er nicht im Fond sitzen dürfen, nein, er saß da, wie mit ihr verheirathet. Der Gedanke trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, er sah demüthig auf das Fräulein und bat sie mit leiser Stimme um Verzeihung wegen des Scandals, den er verursache. Sabine streckte zur Antwort ihre Hand aus und schüttelte ihm die seine kräftig. Da übermannte ihn die Freude, er beugte sich schon ein wenig herab, in der kühnen Absicht ihr den Handschuh zu küssen. Und in demselben Augenblick fuhren sie bei dem Buchhalter von Strumpf und Kniesohl vorüber, Herr Liebold schnellte stracks in die Höh, jetzt war das Unglück geschehen, Sabine und er waren das Opfer eines unerhörten Irrthums. Es war unnütz, noch gegen das Schicksal anzukämpfen. Er saß fortan verklärt und still selig, bis die Wagen vor der großen Restauration des Dorfes anhielten. Man stieg aus, die Herren sammelten sich um das seidene Gewand ihres Fräuleins, rauschende Musik scholl ihnen entgegen, sie traten in die Buchengänge des geschmückten Gartens, welcher heut mit den glänzenden Toiletten der Städter angefüllt war.

 

Sabine schwebte in einer Wolke von Herren dahin. Es ist möglich, daß dieser wandelnde Hof mancher Mitschwester größere Freude gemacht haben würde, als ihr. Jedenfalls sah es stattlich aus, als sie am Arm des Bruders durch die Gänge schritt, auf beiden Seiten und hinter ihr diensteifrige Herren, alle bemüht, sich mit ihr als dem Mittelpunkt in Verbindung zu halten, zumal heut, wo das Haus in Masse unter der Fashion der Stadt auftrat, und jeder Einzelne als Mitglied des berühmten Geschäfts zu repräsentiren hatte. Liebold war in einem beständigen Lächeln begriffen, welches er auf der Außenseite seines Gesichts allerdings zu bewältigen suchte, um bei den Vorübergehenden nicht den Argwohn zu erregen, daß er sie auslache. Aber um so stärker arbeitete es in seinem Innern und fuhr zuweilen im gleichgültigen Gespräch wie ein Wetterleuchten über sein Gesicht, dehnte ihm plötzlich Nase und Mund aus, und machte die Augen klein und glänzend. Er trug heut als Bevorzugter den Shawl des Fräuleins, schritt in angemessener Entfernung hinter ihr her und bezeichnete so die zweite von den Linien, welche die Firma im grünen Hauptbuch der Natur einnahm. Durch eine kühne Handbewegung hatte sich Herr Specht in Besitz des Sonnenschirms gesetzt und umgab mit diesem Sabine von allen Seiten, in der Regel marschirte er wie ein Fähnrich voran am Rand des Gehölzes. Mit verlangendem Blick sah er in das Gebüsch, ob ihm nicht eine auffallende Blume oder ein Schmetterling Veranlassung geben könnten, mit dem Fräulein eine Unterhaltung anzufangen. Jedenfalls war das nicht leicht, denn Fink ging neben ihr. Dieser war heut in boshafter Stimmung, und wider Willen lachte Sabine über die unbarmherzigen Glossen, welche er auffallenden Gestalten unter den Spaziergängern gönnte. Auch den massenhaften Aufmarsch der Firma machte er lächerlich, aber er selbst verschmähte nicht, etwas von dem exclusiven Stolz der Handlung zu empfinden.

Um sie herum zogen, trippelten und rauschten die Schwärme der Lustwandelnden. Es war ein unaufhörliches Anstarren, Grüßen, Ausweichen, der Kaufmann mußte immer wieder nach dem Hut greifen, und so oft er grüßte, geriethen die vierzehn Hüte der Collegen ebenfalls in Bewegung und erregten in der Luft zahlreiche kleine Wirbelwinde. Das machte einen großartigen Eindruck.

Als die Hausgenossen einige Zeit in der Strömung fortgeschwommen waren, äußerte Sabine den Wunsch, auszuruhen. Sogleich flogen Tirailleure der Herren unter die Bankreihen und belegten einen Tisch. Man nahm Platz, die Kellner schleppten eine riesige Kaffekanne mit der entsprechenden Anzahl Tassen herbei. Jetzt war eine Freude, der Handlung zuzusehen, wie jeder der Herren bemüht war, dem Fräulein das Eingießen abzunehmen, weil die Kanne für sie zu schwer war, wie Sabine sich Anton zum Adjutanten erwählte, weil er im Salon der Collegen das Geschäft des Eingießens verrichtete, wie die Collegen sich freuten, daß man im Vorderhause auch das von ihnen wußte, ferner, wie verbindlich Sabine jedem der Herren den Kuchen präsentirte, und wie sie immer ein Auge darauf hatte, daß die Zuckerschaale und der Sahntopf in ihrem Laufe um den Tisch nicht unterbrochen wurden, und endlich, wie alle Collegen den braunen Trank des Wirths mit der stillen Ueberlegenheit von Leuten einnahmen, welche besser wissen, was guter Kaffe ist. Es war kein ruhiger Sitz, und Sabine hatte viel zu thun, die vorbeiziehenden Bekannten zu grüßen und den Freunden des Bruders, welche an sie herantraten, Rede zu stehen. Sie war allerliebst in dieser unaufhörlichen Bewegung. Mit einer hausmütterlichen Haltung sprach sie mit den Herren vom Comtoir, und mit einfacher Herzlichkeit erhob sie sich und bewillkommnete die Herantretenden. Sie grüßte, scherzte und waltete über dem Kaffebret, sie sah auf die Spaziergänger und hatte noch Zeit, prüfende Blicke in das Innere der Tassen zu werfen, welche sie Anton zureichte. Anton und Fink, Beide empfanden, wie gut ihr das sichere Wesen stand, und Fink sagte ihr das: »Wenn dies ein Tag der Erholung ist, Fräulein Sabine, so beneide ich Sie nicht um Ihre Arbeitstage. Keine Prinzeß hat im Empfangsaal so viele Rücksichten zu nehmen, so viel mit dem Kopf zu nicken, zu lächeln und Artiges zu sagen, als Sie. Es geht vortrefflich, Sie haben das jedenfalls einstudirt. Da kommt der Bürgermeister selbst, er wird Sie sogleich anreden. Jetzt thun Sie mir leid, mit dem Ohr sollen Sie auf mich hören, in der Hand halten Sie Liebolds Tasse und mit den Augen müssen Sie achtungsvoll den Großwürdenträger empfangen. Ich bin neugierig, ob Sie noch meine Worte verstehen.«

»Nehmen Sie nur den Käfer aus Ihrer Tasse, ich werde Ihnen sogleich eingießen,« sagte Sabine lachend und stand auf, den Bekannten des Hauses zu begrüßen.

Unterdeß belustigte sich Anton, die Urtheile der Vorübergehenden über seine Gesellschaft zu erlauschen. »Da ist Herr von Fink,« wisperte eine junge Dame ihrer Begleiterin zu. »Ein nettes Gesicht, famose Taille,« schnarrte ein Lieutnant. »Was ist ein Fisch unter so viele Hungrige?« brummte ein Ruchloser. »Still, das sind die von Schröters,« stieß ein Commis den andern an. Als er so aufblickte, sah er zwei hohe üppige Gestalten langsam heranziehen. Es waren Dame Ehrenthal und Rosalie, Rosalie ging auf der Seite des Tisches. Ihr Gesicht überzog sich langsam mit einer dunkeln Röthe, als sie in dem Gedränge dicht an seinem und Finks Platz vorüberkam. Unruhig sah er auf Fink, der wieder in lebhaftem Gespräch mit Sabine doch Augen genug hatte, die Nahenden zu bemerken. Anton erhob sich grüßend, der unerschütterliche Fink griff nachlässig an seinen Hut und blickte von seinem Sitze so kalt auf die beiden Frauen, als hätte er nie die Armbänder an dem weißen Arm der schönen Rosalie bewundert. Der Gruß Antons, die auffallende Schönheit Rosaliens, vielleicht einiges Auffallende ihrer Toilette bewirkten, daß auch Sabine die beiden Frauen aufmerksam ansah.

Die Tochter Ehrenthals achtete nicht auf Antons Gruß, ihre dunkeln Augen hefteten sich fest auf Sabine. Ein Flammenblitz voll Haß und Zorn fiel auf das Mädchen, welches sie für ihre glückliche Nebenbuhlerin hielt, so daß Sabine sich erschrocken zurückbeugte, wie um dem Anfall eines Raubthiers zu entgehen.

Mit zusammengepreßten Lippen, unsäglichen Widerwillen auf allen Zügen, fuhr Rosalie vorüber. Finks Lippen kräuselten sich und er zog seine Schultern ein wenig in die Höhe. Als die Frauen vorüber waren, sah Sabine erstaunt auf Anton und Fink, und frug: »Wer war das?«