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Soll und Haben

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»Schreien Sie mir nicht so ins Ohr«, sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Tür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. – Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jockei ahnungslos in irgendeiner Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

»Tun Sie das nicht«, bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

»Ich bin sehr ruhig«, erwiderte Anton mit heißen Wangen, »ich werde ihm nur das Nötige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über alles, was Sie hier gehört haben, gegen die andern schweigen.«

Das versprachen die Herren. Darauf ging er auf sein Zimmer und schrieb einen Brief, in dem er Herrn von Fink sein Unrecht vorhielt und ihm schließlich die Wahl ließ, ob er durch Schläger oder Pistolen das verletzte Selbstgefühl Antons ausbessern wollte. Der Brief war für einen jungen Gentleman gut genug geschrieben und wurde neben den Wachsstock des Herrn von Fink in dessen Stube niedergelegt, nachdem Herr Specht dem Bedienten noch auf der Treppe eingeschärft hatte, mit Kreide drei große Ausrufungszeichen auf den Tisch zu malen; wahrscheinlich sollten sie die Stelle der Späne vertreten, welche die Boten der heiligen Feme aus dem Burgtor der Angeklagten zu hauen pflegten. Anton blieb den Rest des Abends auf seinem Zimmer, wo er unruhig auf und ab schritt, bald die Szene der Beleidigung, bald die zu erwartende Szene dramatisch auseinanderlegte und jede Art von Gefühlen durcharbeitete, welche bei einem armen Jungen vor dem ersten Duell unvermeidlich sind.

Unterdes wurde im Zimmer des Herrn Jordan große Sitzung des gesamten Geschäfts gehalten. Da Herr Pix und Herr Specht versprochen hatten zu schweigen, beschränkten sie sich auf so mysteriöse und finstere Andeutungen, daß bei einem Teil der Herren die Ansicht entstand, ein Mord sei entweder schon vollbracht oder doch jeden Augenblick zu fürchten, bis endlich Herr Jordan das Wort ergriff: »Da die Differenz doch kein Geheimnis ist und die Sache uns alle angeht, so ist es am besten, wenn wir sie untereinander besprechen und uns sämtlich Mühe geben, die nachteiligen Folgen zu verhüten. Ich werde aufbleiben, bis Fink zurückkommt, und sogleich mit ihm reden. Unterdes muß ich Wohlfart das Zeugnis geben, daß er sich so gewandt benommen hat, wie bei einem jungen Mann ohne Erfahrung nur möglich ist.« Alle stimmten eifrig bei. Darauf gerieten der Zollkommis Herr Birnbaum und Herr Specht in eine lebhafte Erörterung über die verschiedenen Arten der Duelle, und Herr Specht behauptete, beim Schießen über das Schnupftuch würden den Duellanten mit einem seidenen Taschentuch die Augen verbunden und diese auf ihren Standorten so lange im Kreise herumgedreht, bis der Kampfrichter mit seinem Stock aufklopfte, worauf ihnen freistehe, hinzuschießen, wohin sie wollten. Herr Baumann stahl sich zuerst aus der Gesellschaft fort und ging zu Anton, drückte diesem herzlich die Hand und bat ihn dringend, nicht um rauher Worte willen zwei Menschenleben auf das Spiel zu setzen. Nachdem er Abschied genommen hatte, fand Anton auf seinem Tisch ein kleines Exemplar des Neuen Testamentes aufgeschlagen und darin durch ein großes Ohr den heiligen Spruch bezeichnet: »Segnet, die euch fluchen.« Anton war gerade nicht in der Stimmung, den Sinn dieser Worte zu befolgen. Aber er setzte sich doch vor das Buch und las darin die Sprüche, welche er als Kind seiner guten Mutter so oft aufgesagt hatte. Er wurde weicher und ruhiger und ging in dieser Stimmung zu Bett.

Unterdes drang das Gerücht von einem furchtbaren Ereignis durch alle Schlüssellöcher, Ritzen und Kammern des alten Hauses.

Sabine war in ihrer Schatzkammer. Dies war ein Raum, unwohnlich für einen Gast, aber für jede Hausfrau ein heimliches, herzerhebendes Zimmer. An den Wänden standen mächtige Schränke von Eichen- und Nußbaumholz mit schöner eingelegter Arbeit, in der Mitte ein großer Tisch mit geschnörkelten Beinen, darum einige alte Lehnstühle. Aus den geöffneten Schränken glänzten im Lampenlicht unzählige Gedecke von Damast, hohe Terrassen von Wäsche, Linnen und bunten Stoffen, Kristallgläser, silberne Pokale, Porzellan und Fayence im Geschmack von mehr als drei Generationen. Die Luft war mit einem kräftigen Duft erfüllt, der aus uraltem Lavendel, Eau de Cologne und frischer Wäsche aufstieg. Hier herrschte Sabine allein. Nur ungern sah sie einen fremden Fuß eintreten; was aus den Schränken genommen wurde und wieder hineinkam, hob sie mit eigenen Händen; nur der treue Diener hatte das Vorrecht, ihr an schweren Tagen zu helfen, und zuweilen Karl Sturm, sein Adjutant, der gewisse rosafarbene Pappkarten zum Zeichnen der Wäsche anfertigte und prachtvolle Zahlen darauf schrieb.

Heute stand Sabine noch spät vor dem Tisch, der mit weißer Wäsche belastet war; sie suchte die Nummern des feinen Damasts zusammen, zählte und sortierte Tischdecken und Servietten, band große Bündel mit rosa Bändern zusammen und hing die Nummerkarten daran. Zuweilen hielt sie ein Stück näher an das Licht und sah mit Behagen auf die weißen Arabesken, welche die Kunst des Webers hineingewirkt hatte. Da flog ein dunkler Schatten über ihr Antlitz, und traurig sah sie auf einige wunderfeine Servietten, in welche zahlreiche kleine Löcher gestochen waren, je drei oder vier in einer Reihe. Endlich rief sie den Bedienten. »Es ist nicht mehr auszuhalten, Franz, auch in Nr. 24 sind wieder drei Servietten mit der Gabel durchstochen. Einer der Herren sticht in das Tischzeug! Das ist doch bei uns nicht nötig.«

»Nein«, sagte der Vertraute kummervoll, »ich selbst habe ja das Silberzeug unter mir, ich weiß am besten, daß es nicht nötig ist.«

»Wer von den Herren ist so rücksichtslos?« fragte Sabine streng. »Es muß einer der neuen sein.«

»Herr von Fink ist es«, klagte der Diener, »er sticht vor jedem Essen zweimal mit der Gabel durch die Serviette; es gibt mir jedesmal einen Stich durchs Herz, Fräulein Sabine. Aber Herrn von Fink kann ich doch nichts sagen.«

Sabine hing den Kopf über die zerstochenen Servietten. »Ich wußte, daß er es war«, seufzte sie. – »Aber das darf nicht so fortgehen. Ich werde Ihnen für Herrn von Fink eine besondere Nummer herausgeben, die müssen wir opfern, bis sich eine Gelegenheit findet, ihn zu bitten, daß er von seinen Angriffen abläßt.« Sie trat zu dem Schrank und suchte lange. Es war eine schwere Wahl. Zwar von den groben konnte sie ohne Schmerz einige Dutzend missen, von den feinen aber war ihr jedes Gedeck ans Herz gewachsen. Eines freilich mehr als das andere. – »Dieses mag hingehen«, sagte sie endlich betrübt, »hier fehlt ohnedies eine Serviette.« Sie sah noch einmal auf das Muster, kleine Pfauen, welche kunstvoll durch Blumengewinde schritten, und legte die Nummer auf den Arm des Dieners. »Herr von Fink bekommt keine andern Servietten als diese«, befahl sie.

Franz zögerte zu gehen. »Er hat auch in seiner Schlafstube eine Gardine angebrannt«, sagte er unruhig. »Der Flügel wird nicht mehr zu gebrauchen sein.«

»Und sie war ganz neu«, klagte Sabine. »Morgen früh nehmen Sie die Gardine ab. – Was haben Sie noch, Franz? Ist etwas vorgefallen?«

»Ach, Fräulein«, erwiderte der Diener geheimnisvoll, »drüben bei den Herren geht alles durcheinander. Herr von Fink hat Herrn Wohlfart sehr beleidigt, Herr Wohlfart ist wütend, es wird ein Duell geben, sagt Herr Specht, die Herren fürchten ein großes Unglück.«

»Ein Duell?« rief Sabine. »Zwischen Fink und Wohlfart?« – Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben wohl Herrn Specht mißverstanden«, fügte sie lächelnd hinzu.

»Nein, Fräulein Sabine, diesmal ist es ernsthaft. – Es wird ein Unglück geben, Herr Wohlfart ging im größten Zorn an mir vorüber, und er hat seinen Tee nicht angerührt.«

»Ist mein Bruder noch nicht zurück?«

»Er kommt heut spät nach Hause, er ist im Komitee.«

»Es ist gut«, schloß Sabine. »Sie schweigen gegen jedermann, Franz, hören Sie?«

Sabine setzte sich wieder an den Tisch, aber ihr Damast war vergessen. Sie blickte starr hinaus in den dunklen Hof nach den Fenstern des Volontärs. »Er sticht durch die Servietten«, klagte sie leise, »er wird sich auch kein Gewissen daraus machen, eine Menschenbrust zu durchbohren! Das also war der Schmerz des armen Wohlfart! – Er kam zu uns, der wilde Gast, wie ein Wirbelwind über den blühenden Busch; wo er anschlägt, fallen die Blüten zur Erde. Sein Leben ist Wirrwarr, Aufregung, Getöse. Was ihm nahe kommt, zieht er in seinen tollen Tanz. Auch mich! Auch mich! Du stolzer und verwegener Gast, auch mir hast du die Seele aufgeregt. Ich mühe mich, ich ringe Tag für Tag, aber immer wieder erfaßt mich sein Zauber. So schön, so glänzend, so seltsam ist er! Er ärgert mich täglich, und alle Tage muß ich an ihn denken, um ihn sorgen, über ihn trauern. O meine Mutter, hier war’s, wo ich zum letztenmal zu deinen Füßen saß, hier übergabst du mir die Schlüssel des Hauses! Du hieltest die Hände segnend auf mein Herz. ›Der Himmel behüte dir jeden Schlag‹, sagtest du unter Tränen und Küssen. Jetzt schütze die Tochter, Geliebte, du mein Vorbild für alle Überlegung, für die Ordnung deines Hauses, für sicheres Pflichtgefühl, behüte mir das laut pochende Herz. Mache mich fest gegen ihn, gegen sein verführerisches Lachen, gegen seinen übermütigen Spott.« So betete Sabine. Lange saß sie in feierlicher Beratung mit den guten Geistern des Hauses, dann fuhr sie mit dem Tuch über die Augen, trat entschlossen an den Tisch und fuhr fort, den Damast zu zählen und aufzuheben.

Anton war bereits ausgekleidet und im Begriff, sein Licht auszulöschen, als kräftig an die Tür geklopft wurde und der Mann eintrat, den er in diesem Augenblick am wenigsten von allen Sterblichen erwartete. Es war Herr von Fink mit seiner Reitpeitsche und seinem nachlässigen Wesen.

 

»Ah, Sie sind schon zu Bett«, sagte der Jockei und setzte sich rittlings auf einen Stuhl in der Nähe, »lassen Sie sich nicht stören! Sie haben mir einen gefühlvollen Brief geschrieben, und Jordan hat mir das übrige erzählt; ich komme, Ihnen mündlich zu antworten.« Anton schwieg und sah von seinem Kopfkissen finster auf den Gegner. »Ihr seid hier alle sehr tugendhafte und sehr empfindliche Leute«, fuhr Fink fort und schlug mit seiner Peitsche an das Stuhlbein. »Es tut mir leid, daß Sie sich meine Reden so zu Herzen genommen haben. Es freut mich aber, daß Sie so entschlossen sind. Sie haben den ehrlichen Jordan in einen wahren Werwolf verwandelt«, fügte er lächelnd hinzu.

»Bevor ich Sie weiter anhöre«, sagte Anton grollend, »muß ich wissen, ob Sie die Absicht haben, mir für Ihre Beleidigung eine Erklärung vor den übrigen Herren zu geben. Ich weiß nicht, ob nach der schweren Kränkung, die Sie mir zugefügt haben, ein anderer, der mehr Erfahrung in Ehrensachen hat, sich mit einer solchen Erklärung begnügen würde. Ich habe das Gefühl, daß ich damit zufrieden sein müßte.«

»Da fühlen Sie richtig«, sagte Fink kopfnickend, »Sie können damit zufrieden sein.«

»Wollen Sie mir morgen diese Erklärung geben?« fragte Anton.

»Warum denn nicht?« sagte Fink gleichgültig. »Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu schießen, ich will Ihnen gern vor sämtlichen Korrespondenten und Prokuristen der Firma die Erklärung ausstellen, daß Sie ein verständiger und hoffnungsvoller junger Mann sind und daß ich unrecht getan habe, jemanden zu kränken, der jünger und, verzeihen Sie den Ausdruck, um vieles grüner ist als ich.«

Unser Held hörte diese Worte mit gemischten Empfindungen; es wurde ihm doch leichter ums Herz; aber die Manier Finks ärgerte ihn doch wieder sehr, und er sagte, sich im Bett aufrichtend, entschlossen: »Ich bin mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden, Herr von Fink.«

»Ei«, sagte Fink, »was verlangen Sie noch?«

»Sie gefallen mir auch in diesem Augenblick nicht«, sprach Anton, »Sie sind wieder rücksichtsloser gegen mich, als gegen einen Fremden schicklich ist. Ich weiß, daß ich noch jung bin und wenig von der Welt kenne, und ich glaube, daß Sie mich in vielen Dingen übersehen; aber ebendeshalb wäre es hübscher von Ihnen, wenn Sie freundlich und gütig gegen mich wären.« Anton sagte dies mit einer Bewegung, welche seinem Gegner nicht entging. Fink streckte seine geöffnete Hand gutmütig über das Bett und sprach: »Seien Sie nur nicht wieder böse, und geben Sie mir Ihre Hand.«

»Ich möchte gern«, rief Anton mit hervorbrechender Rührung, »aber ich kann noch nicht; sagen Sie mir zuvor, daß Sie den Streit mit mir nicht deswegen so leicht behandeln, weil Sie mich für zu jung und zu gering halten oder weil Sie von Adel sind und ich nicht.«

»Hört, Master Wohlfart«, sagte Fink, »Ihr setzet mir das Messer verzweifelt an die Kehle. Weil Ihr aber in Eurem reinen weißen Hemdchen so unschuldig vor mir liegt, so will ich ein übriges tun und wegen dieser Punkte mit Euch kapitulieren. Was meinen deutschen Adel betrifft, so viel drauf!« – hier schnalzte er mit den Fingern – »er hat für mich ungefähr denselben Wert wie ein Paar gute Glanzstiefel und neue Glacéhandschuhe. Was aber meine Scheu vor Ihrer Jugend und der hoffnungsvollen Würde eines Lehrlings betrifft, so will ich mich wenigstens zu dem Bekenntnis verstehen, daß ich nach dem, was ich heut abend an Ihnen kennengelernt habe, Ihnen fortan bei jedem neuen Zank, in den wir geraten werden, mit jedem Mordwerkzeug, das Sie vorschlagen, jede mögliche Genugtuung geben will. Damit können Sie sich begnügen.« – Nach diesem Trost hielt ihm Fink zum zweitenmal die Hand hin und sagte: »Jetzt schlagen Sie ein, es ist jetzt alles in Ordnung.«

Anton legte seine Hand in die dargebotene, und der Jockei schüttelte sie ihm kräftig und sagte: »Wir sind heute so offenherzig gegeneinander gewesen, daß es gut sein wird, wenn wir eine Pause machen, sonst haben wir einander gar nichts mehr zu erzählen. Schlafen Sie wohl, morgen mehr davon.« Dabei ergriff er seine Mütze, nickte mit dem Kopf und schritt klirrend zur Tür hinaus.

Anton war, die Wahrheit zu gestehen, über diesen unerwartet friedlichen Ausgang so vergnügt, daß er lange nicht einschlafen konnte. Herr Baumann, der in seiner Schlafkammer das Bett an derselben Wand hatte, konnte sich nicht enthalten, nach Finks Abgang seinen Glückwunsch durch Klopfen an der Wand auszudrücken, und Anton beantwortete das Signal sofort durch ein ähnliches Klopfen, welches seinen Dank für die Teilnahme anzeigen sollte.

Am andern Morgen war das Kontor eine Viertelstunde vor der Ankunft des Prinzipals vollzählig versammelt. Fink erschien als letzter und sagte mit lauter Stimme: »Mylords und Gentlemen aus dem Export- und Provinzialgeschäft, ich habe gestern Herrn Wohlfart von hier in einer Weise behandelt, die mir jetzt, nach dem, was ich von ihm kennengelernt habe, aufrichtig leid tut. Ich habe ihm gestern bereits meine Erklärung gemacht und bitte ihn heute in Ihrer Gegenwart freiwillig nochmals um Verzeihung. Zu gleicher Zeit bemerke ich, daß unser Wohlfart sich bei diesem Streit durchaus respektabel benommen hat und daß ich mich freue, mit ihm in Geschäftsverbindung getreten zu sein.« Das Kontor lächelte, Anton ging auf Fink zu und schüttelte ihm wieder die Hand, Herr Jordan tat mit beiden Parteien dasselbe, und die Sache war abgemacht.

Doch blieb sie nicht ohne Folgen. Auch die Kunde von der ehrlichen Sühne, welche Fink dem Lehrling gab, und von der freundlichen Ausgleichung gelangte in das Vorderhaus. Und als Anton zusammen mit Fink beim Mittagessen erschien, ruhten die Blicke der Damen mit Teilnahme und Neugier auf ihm, und der Prinzipal verbarg nicht ein freundliches Lächeln. Aber auch auf Fink fiel Sabinens Auge mit freudigem Glanz, und sooft sie zu ihm aufsah, war ihr, als hätte sie ihm etwas Großes abzubitten.

Bei den Herren vom Kontor war die Stellung Wohlfarts auf einmal eine ganz andere geworden, er wurde von allen mit einer Achtung behandelt, welche ein Lehrling sonst nicht durchzusetzen pflegt; Herr Specht erklärte ihn bei sämtlichen Kommis seiner Bekanntschaft – und seine Bekanntschaft war groß – für einen modernen Bayard, für den letzten Ritter Europas, für einen furchtbaren Haudegen im Reiche der Kontokurrenten; Herr Liebold wurde wahrhaft kühn in seinen Behauptungen, wenn er merkte, daß Anton auf seiner Seite stand, und sogar Herr Pix gönnte seinem Zögling von diesem Tage an augenscheinliche Hochachtung, er vertraute den Beobachtungen, welche Anton am Zünglein der großen Waage machte, ebenso fest wie seinen eigenen und überließ ihm zuweilen sogar den schwarzen Pinsel, sein geliebtes Zepter, das Zeichen seiner Herrschermacht.

Die größte Veränderung aber wurde in Antons Verhältnis zu Fink hervorgebracht. Denn einige Tage nach dem Streit, als Anton hinter dem Jockei die Treppe des Hinterhauses hinaufstieg, hielt Fink auf den Stufen an und fragte: »Wollen Sie nicht bei mir eintreten? Sie sollen mir heut Ihren Besuch machen und meine Zigarren probieren.«

Zum erstenmal überschritt Anton die Schwelle des Volontärs und blieb verwundert an der Tür stehen, denn das Zimmer sah sehr fremdartig aus. Elegante Möbel standen unordentlich umher, ein dicker Teppich, weich wie Moos, bedeckte den Fußboden, und der ordentliche Anton sah mit Betrübnis, wie rücksichtslos die Zigarrenasche auf die prächtigen Blumen desselben geworfen war. An der einen Wand stand ein großer Gewehrschrank, darüber hing ein ausländischer Sattel und pfundschwere silberne Sporen; die andere Wand verdeckte ein ebenso großer Bücherschrank aus kostbarem Holz, voll von Büchern in braunem Lederband, und über den Schrank reichten riesige Flederwische, die schwarzen Flügel eines ungeheuren Vogels, von einer Stubenwand bis zur andern.

»Welche Menge von Büchern Sie haben!« rief Anton erfreut.

»Es sind Erinnerungen an eine Welt, in der ich nicht mehr lebe«, sagte Fink.

»Und diese Flügel, gehören sie auch zu Ihren Erinnerungen?«

»Ja, Herr, es sind die Fittiche eines Kondors; Sie sehen, ich bin stolz auf diese Jagdbeute«, antwortete Fink und hielt unserm Anton ein Paket mit Zigarren hin. »Setzen Sie sich, Wohlfart, lassen Sie uns plaudern und zeigen Sie, ob Herr Specht recht hat, wenn er Sie als liebenswürdigen Gesellschafter rühmt.« Er schob unserm Helden mit dem Fuße einen großen Fauteuil zu. Anton sank behaglich in die weichen Kissen und blies blaue Wolken nach der Decke, während Fink die Lampe des silbernen Teekessels anzündete. »Sie haben mir neulich gefallen, Wohlfart«, sagte Fink, sich der Länge nach auf dem Sofa ausstreckend, »verstehen Sie sich auf Pferde?«

»Nein«, sagte Anton.

»Sind Sie Jäger?«

»Auch nicht.«

»Treiben Sie Musik?«

»Nur wenig«, sagte Anton.

»Nun also, in Teufels Namen, welche menschliche Eigenschaft haben Sie denn?«

»In Ihrem Sinne keine«, antwortete Anton ärgerlich. »Ich kann die Leute lieben, welche mir gefallen, und ich glaube, ich kann ein treuer Freund sein; wenn mich aber jemand übermütig behandelt, so empöre ich mich.«

»Schon gut«, sagte Fink, »von der Seite kenne ich Sie. Für einen Anfänger war Ihr Debüt gar nicht übel. Ich sehe, es ist Rasse in Ihnen. Lassen Sie hören, wer Sie sind. Von welchem Volke der sterblichen Menschen stammen Sie, und welches Schicksal hat Sie hierher geschleudert in dieses traurige Mühlwerk, wo jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird, wie Liebold oder im besten Fall wie der pünktliche Jordan?«

»Es war doch ein gutmütiges Schicksal«, antwortete Anton und begann von seiner Heimat und seinen Eltern zu erzählen. Mit Wärme schilderte er den kleinen Kreis, in dem er aufgewachsen war, die Abenteuer seiner Schulzeit und einige närrische Leute aus Ostrau, mit denen er verkehrt hatte. »Und so ist für mich ein großes Glück, was Sie für ein Unglück halten«, schloß er, »daß ich hierhergekommen bin.«

Fink nickte beistimmend und sagte: »Zuletzt ist der größte Unterschied zwischen uns beiden, daß Sie Ihre Mutter gekannt haben und ich die meine nicht. Übrigens ist es ziemlich gleichgültig, in welchem Nest einer aufwächst, man kann fast unter allen Umständen ein tüchtiger Gesell werden. – Ich habe Leute gekannt, die weniger Liebe in ihrem Vaterhause gefunden haben als Sie.«

»Sie haben so viel von der Welt gesehen«, sagte Anton rücksichtsvoll, »ich bitte Sie, mir zu sagen, wie Sie dazugekommen sind.«

»Sehr einfach«, begann Fink. »Ich besitze einen Onkel in New York, der dort einer von den Aristokraten der Börse ist. Dieser schrieb meinem Vater, als ich vierzehn Jahre war, ich solle eingepackt und herübergeschickt werden, er habe die Absicht, mich zu seinem Erben zu machen. Mein Vater ist sehr Kaufmann, ich wurde emballiert und abgeschickt. In New York wurde ich bald ein gottverdammter kleiner Schuft und Taugenichts, ich trieb jede Art von Unsinn, hielt einen Stall von Rassepferden in einem Alter, wo bei uns ehrliche Jungen noch auf offener Straße ihre Buttersemmel verzehren und mit einem Papierdrachen spielen. Ich bezahlte Sängerinnen und Tänzerinnen und mißhandelte meine weißen und schwarzen Domestiken so sehr durch Fußtritte und Haarraufen, daß mein Oheim genug zu tun hatte, um Entschädigungsgelder an diese freien Bürger zu bezahlen. Sie hatten mich aus meiner Heimat fortgerissen, ohne sich um meine Gefühle zu bekümmern; ich bekümmerte mich jetzt den Teufel um die ihren. Übrigens, je toller ich’s trieb, desto mehr Geld bekam ich in die Hände. Ich war bald der verrufenste unter den jungen Bengeln, welche die vornehmen Unarten jenseits des Wassers kultivieren. Einst an meinem Geburtstage kam ich um sechs Uhr früh von einem kleinen Souper, bei dem ich aus Kaprice den Spröden gegen einige zuvorkommende Damen gespielt hatte, und unterwegs fiel mir ein, daß diese Wirtschaft ein Ende nehmen müsse, oder ich selbst würde ein Ende nehmen. Ich ging nach dem Hafen statt nach Hause, steckte mich in grobe Matrosenkleider, die ich unterwegs kaufte, und bevor es Mittag wurde, fuhr ich als Schiffsjunge auf einem dickbäuchigen Engländer zum Hafen hinaus. Wir segelten einige tausend Meilen um Kap Horn herum und auf der andern Seite des Festlandes wieder hinauf. Als wir in Valparaiso ankamen, erklärte ich dem Kapitän, daß ich ihm für die Überfahrt dankbar sei, traktierte die ganze Mannschaft und sprang ans Land, um mit den zwanzig Dublonen, die ich noch in der Tasche hatte, auf eigene Faust mein Glück zu machen. Ich traf bald einen verständigen Mann, der mich auf seine Hazienda brachte, wo ich als Ochsenhirt und Reitkünstler nicht geringe Lorbeeren erntete. Ich war etwa anderthalb Jahre dort oben und befand mich sehr wohl, ich wurde als eine Art diensttuender Gastfreund behandelt, ich war verliebt, ich war bewundert als Jäger und tummelte mich tüchtig im Sattel, was fehlte mir? – Doch alle Freude ist vergänglich. Wir hatten gerade großes Rinderschlachten, und ich war fleißig beschäftigt, von meinem Pferd aus die Kühe in den Schlachthof zu eskortieren, als plötzlich zwei Regierungsbeamte in unser Fest hineinritten. Diese behandelten mich selber mit viel Artigkeit wie ein junges Rind, nahmen mich samt meinem Pferd in die Mitte und führten mich zwischen ihren Steigbügeln im Trott und Galopp nach der Hauptstadt. Dort wurde ich beim amerikanischen Konsul abgeliefert, und da mein Oheim Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, mich auszuspüren, und ich aus einem langen Briefe meines Vaters erkannte, daß dieser Herr sich wirklich über mein Verschwinden ängstigte, so beschloß ich, ihm den Gefallen zu tun und zurückzukehren. Ich unterhandelte mit dem Konsul und reiste mit dem nächsten Schiff nach Europa ab. Als ich auf diesem bejahrten Erdhaufen ankam, erklärte ich meinem Vater, daß ich nicht Kaufmann werden wolle, sondern Landwirt. Darüber geriet die Firma Fink und Becker außer sich, aber ich blieb fest. Endlich kam ein Vertrag zustande. Ich ging zunächst auf zwei Jahre in eine norddeutsche Wirtschaft, dann sollte ich einige Jahre in einem Kontor arbeiten, dadurch hoffte man meine Kapricen zu bändigen. So bin ich jetzt hier in Klausur. Aber alle Mühe ist umsonst. Ich tue meinem Vater den Gefallen, hier zu sitzen, weil ich merke, daß sich der Mann viel unnützen Kummer um mich macht, aber ich bleibe nur so lange hier, bis er sich überzeugt, daß ich recht habe. Dann werde ich Landmann.«

 

»Wollen Sie bei uns ein Gut kaufen?« fragte Anton neugierig.

»Nein, Herr«, antwortete Fink, »das will ich nicht. Ich würde es vorziehen, vom frühen Morgen bis gegen Mittag zu reiten, ohne an einen Grenzstein meines Landes zu stoßen.«

»Sie wollen also wieder nach Amerika zurück?«

»Oder anderswohin, ich bin in Erdteilen nicht wählerisch. Unterdes lebe ich in diesem Kloster als Mönch, wie Sie sehen«, sagte Fink lachend und goß aus einer großen Flasche eine Menge Rum unter ein geringes Maß andere Substanzen, rührte das Getränk um und trank zum geheimen Schreck Antons die feurige Mischung behaglich hinunter. »Frisch, Mann«, rief er, Anton die Flasche zuschiebend, »macht Euren Trunk zurecht, und jetzt laßt uns lustig plaudern, wie sich für gute Gesellen und versöhnte Feinde schickt.«

Seit diesem Abend behandelte Fink unsern Helden mit einer Freundlichkeit, welche sehr verschieden war von dem nachlässigen Wesen, das er den übrigen Herren vom Geschäft gönnte. In kurzem wurde Anton der Liebling des Mönchs in der Klausur, oft rief ihn Fink in sein Zimmer, ja er verschmähte sogar nicht, drei Treppen hoch in das Heiligtum der lederfarbenen Katze hinaufzusteigen, wenn er gerade gelaunt war, einen Abend im Hause zu verleben. Allerdings war das nicht oft der Fall. Anton merkte bald, daß sein neuer Freund eine in der Stadt sehr bekannte und vielbesprochene Person war, daß er unter der eleganten Jugend mit einem wahren Despotismus herrschte und bei Herrenreiten, Jagdpartien und anderen nützlichen Tätigkeiten Anführer und vielbegehrte Autorität war. Er war jung, gewandt, von Adel, galt für unermeßlich reich und besaß eine Meisterschaft in allen Dingen, die mit einem Pferdehuf, einem Gewehrlauf und einem vergoldeten Teelöffel irgend in Verbindung gedacht werden können, und was über allem stand, er behandelte jeden, der in seine Nähe kam, mit der leichten Süffisance, welche von je bei dem großen Haufen unselbständiger Menschen als Zeichen von überlegener Kraft gegolten hat. Fink war deshalb viel in Gesellschaft und kam oft erst gegen Morgen nach Hause. Anton hörte ihn zuweilen ankommen, wenn er bereits vor seinem Buche saß; er bewunderte die Lebenskraft seines Freundes, der dann nach ein oder zwei Stunden Ruhe seinen Platz im Kontor einnahm und während des ganzen Vormittags keine Spur von Mattigkeit zeigte. Gegen die strenge Ordnung des Hauses stach Fink auch dadurch ab, daß er sich die unerhörte Freiheit herausnahm, zuweilen eine Stunde nach Eröffnung des Kontors zu erscheinen und sich vor dem Schluß zu entfernen. Anton konnte nicht erraten, ob sein Prinzipal diese gelegentliche Selbständigkeit für ein großes oder für ein kleines Verbrechen hielt. Jedenfalls schwieg er dazu.

So verging der Winter, und Anton merkte an untrüglichen Zeichen, daß der Frühling und der Sommer über das Land daherzogen. Die Fuhrleute brachten nicht mehr Schneeflocken ins Kontor, sondern Regentropfen und braune Fußstapfen, zuweilen wagte sich ein Mädchen mit Veilchensträußchen in die Nähe der unermüdlichen Wanduhr; dann schien die Sonne Herrn Liebold kriegslustig auf seine Fensterecke, dann kamen die Mäkler und erzählten von der gelben Blüte der Ölfrucht draußen im Freien, und endlich erschien Herr Braun und trug die erste Rose in der Hand. Ein Jahr war vergangen, seit Anton mit den Schwänen über den See gefahren war. Er hatte das ganze Jahr hindurch an die Fahrt gedacht.