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Soll und Haben

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»Sie wissen, weshalb. – Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Ich habe bis jetzt schlecht für meine Zukunft gesorgt, denn ich bin in der Lage, mir in der Fremde als Dienender erst Zutrauen und gute Gesinnung erwerben zu müssen. – Ich bin auch an Freunden sehr arm geworden. Von allen Menschen, welche mir lieb sind, muß ich mich entfernt halten auf Jahre, auf lange Zeit. Ich habe einige Ursache, mich allein zu fühlen, und da ich mein Leben von neuem gestalten muß, so soll das so bald als möglich geschehen, denn jeder Tag, den ich hier verlebe, ist fruchtlos, er macht meine Kraft geringer und die notwendige Trennung schwerer.« So sprach er mit tiefer Bewegung; die Stimme bebte ihm, aber er verlor nicht seine ruhige Haltung. Er trat auf Sabine zu und faßte ihre Hand. »In dieser letzten Stunde bekenne ich Ihnen in Gegenwart Ihres Bruders, was zu hören Sie nicht beleidigen kann, weil Sie auch das schon längst wissen. – Die Trennung von Ihnen schmerzt mich mehr, als ich sagen kann. Leben Sie wohl!« Jetzt übermannte ihn die Rührung, er wandte sich schnell ab und trat an das Fenster.

Der Kaufmann begann nach einer Pause: »Daß Sie so eilig von uns gehen, lieber Wohlfart, kommt auch meiner Schwester ungelegen. Sabine hatte gerade jetzt den Wunsch, Sie um einen Ritterdienst zu ersuchen, wie ihn die Schwester eines Kaufmanns verlangen kann. Auch ich wünsche sehr, daß Sie diese Bitte nicht abschlagen. Sabine bittet, daß Sie ihr einige Blätter durchsehen und dabei ihren Vorteil mir gegenüber wahrnehmen. Es ist keine große Arbeit.«

Anton wandte sich mit Überwindung um und machte ein Zeichen der Einwilligung.

»Zuvor aber erfahren Sie einen Umstand, der Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist«, fuhr der Kaufmann fort. »Sabine ist seit dem Tode meines Vaters mein stiller Associé; ihr Rat und ihre Willensmeinung haben in unserm Geschäft öfter den Ausschlag gegeben, als Sie wohl meinen. Sie ist auch Ihr Chef gewesen, lieber Wohlfart.« Er winkte der Schwester und verließ das Zimmer.

Erstaunt sah Anton auf den Chef im hellen Frauengewande. Manches Jahr hatte er, ohne es zu wissen, auch ihr gehorcht und ihr zu Diensten gehandelt. Und wie in alter Zeit sich der reisige Vasall seiner jungen Lehnsherrin neigte, so verneigte auch er sich unwillkürlich vor der jungfräulichen Gestalt, welche jetzt mit geröteten Wangen auf ihn zutrat.

»Ja, Wohlfart«, sprach Sabine schüchtern. »Auch ich habe ein kleines Anrecht an Ihr Leben gehabt. Ich war’s, die Ihrem Vater versprach, hier im Hause für Sie zu sorgen. Ich war selbst noch ein unerfahrenes Kind, und das Vertrauen des fremden Gastes machte mich glücklich. Ihr Vater, der würdige alte Herr, wollte bei uns sein Samtkäppchen nicht aufsetzen, das ihm aus der Tasche guckte, bis ich es ihm herauszog und auf die weißen Locken drückte; damals dachte ich, wird mein Lehrling auch so hübsche Locken haben? Und als Sie zu uns kamen und allen gefielen und der Bruder Sie den besten unter den jüngeren Herren nannte, da war ich so stolz auf Sie, wie nur Ihr guter Vater hätte sein können.«

Anton stützte sich auf das Pult und verbarg seine Augen mit der Hand.

»Und weil ich immer empfand, daß Sie ein wenig mir gehörten, bat ich den Bruder, Sie auf der gefährlichen Reise mitzunehmen; ich wußte Sie bei ihm und fühlte mich nicht ganz von ihm getrennt. Auch für mich haben Sie in der Fremde gearbeitet, Wohlfart, und als Sie in der Schreckensnacht unter Feuer und Waffenlärm auf den Frachtwagen standen, da waren mein die Waren, die Sie retteten. Und deshalb, mein Freund, komme ich auch jetzt als Kaufmann zu Ihnen, und noch einmal bitte ich Sie, eine Arbeit für mich abzumachen. Sie sollen mir ein Konto durchsehen.«

»Ich will, Fräulein«, erwiderte Anton abgewandt, »aber nicht in dieser Stunde.«

Sabine griff in den Schrank, sie legte zwei Bücher mit goldenem Schnitt, in grünes Leder gebunden, auf das Pult. Und Anton bei der Hand fassend, bat sie mit zitternder Stimme: »Kommen Sie doch, sehen Sie mein Soll und Haben an.« Sie öffnete das erste Buch. Unter kunstvollen Schnörkeln standen die Worte: »Mit Gott.« »Geheimbuch von T. O. Schröter.«

Anton trat erschrocken zurück: »Es ist das Geheimbuch der Handlung!« rief er. »Das ist ein Irrtum.«

»Es ist kein Irrtum«, sagte Sabine, »ich wünsche, daß Sie es durchsehen.«

»Das ist unmöglich, Fräulein!« rief Anton. »Nicht Ihr Herr Bruder und nicht Sie können das im Ernst wollen. Verhüte Gott, daß sich ein anderer an dieses Buch wage als die Herren des Geschäfts. Solange eine Handlung steht, sind diese Blätter für keines Menschen Auge als für die Augen der Herren und nach ihrem Tode für die nächsten Erben. Wer in dies Buch gesehen hat, der weiß, was nie ein Fremder erfahren darf. Und diesem Buche gegenüber ist auch der treuste Freund ein Fremder. Als Kaufmann und redlicher Mensch darf ich Ihren Wunsch nicht erfüllen.«

Sabine hielt seine Hand fest. »Sehen Sie doch hinein, Wohlfart«, bat sie, »sehen Sie wenigstens die Aufschrift an.« Sie schlug den Deckel zurück. »In diesem Buche steht: T. O. Schröter«, sie fuhr mit der Hand über die Blätter. »Es sind nur noch wenige leere Seiten darin, das Buch geht mit dem Jahre zu Ende.« Sie schlug den Deckel des zweiten Bandes auf und sprach: »Dies Buch ist leer; hier aber steht eine andere Firma. Was steht hier?«

Anton las: »Mit Gott.« »Geheimbuch von T. O. Schröter und Kompanie.«

Sabine drückte seine Hand und sprach leise und bittend: »Und der neue Kompagnon sollen Sie sein, mein Freund.«

Anton stand regungslos, aber sein Herz pochte laut, und hell stieg die Röte auf seine Wangen. Noch immer hielt Sabine ihn bei der Hand, er sah ihr Antlitz nahe an dem seinen, und wie einen Hauch fühlte er ihren leisen Kuß auf seinen Lippen. Da schlang er den Arm um die Geliebte, und lautlos hielten die Glücklichen einander umfaßt.

Die Tür öffnete sich, der Kaufmann stand auf der Schwelle. »Halt ihn fest, den Flüchtling!« rief er. »Ja, Anton, seit Jahren habe ich diese Stunde ersehnt. Seit du in der Fremde an meinem Lager knietest und meine Wunde verbandest, trug ich im Herzen den Wunsch, dich für immer mit unserm Leben zu vereinigen. Als du von uns gingst, sah ich mit Zorn meine liebste Hoffnung zerstört. Jetzt halten wir dich, du Schwärmender, in den Blättern des Geheimbuches und in unsern Armen.« Er zog die Liebenden an sich.

»Du hast dir einen armen Kompagnon gewählt!« rief Anton am Herzen des neuen Bruders.

»Nein, mein Bruder, Sabine hat als kluger Kaufmann gehandelt. Besitz und Wohlstand haben keinen Wert, nicht für den einzelnen und nicht für den Staat, ohne die gesunde Kraft, welche das tote Metall in Leben schaffender Bewegung erhält. Du bringst in das Haus die rüstige Jugendkraft und einen geprüften Sinn. Sei willkommen in diesem Hause und in unsern Herzen!«

Und strahlend vor Freude hielt Sabine beide Hände des Verlobten fest. »Kaum konnte ich länger ertragen, dich so still und traurig zu sehen. Jeden Mittag, wenn du den Stuhl rücktest, war mir, als müßte ich dir nachfliegen und dir sagen, daß du zu uns gehörst für immer. – Du hast nicht gesehen, du Blinder, was in mir vorging und Lenorens Bräutigam hat doch alles gewußt.«

»Er?« fragte Anton. »Ich habe zu ihm niemals von dir gesprochen.«

»Sieh her!« rief Sabine und zog den Zettel Finks aus der Tasche. Es stand nichts darin als die Worte: »Gute Freundschaft, Frau Schwägerin.«

Und wieder schloß der glückliche Anton die Geliebte in seine Arme. –

Schmücke dich, du altes Patrizierhaus, freue dich, sorgliche Tante, tanzet, ihr fleißigen Hausgeister im dämmerigen Flur, schlage Purzelbäume auf deinem Schreibtisch, du lustiger Gips! Die poetischen Träume, welche der Knabe Anton in seinem Vaterhause unter den Segenswünschen guter Eltern gehegt hat, sind ehrliche Träume gewesen. Ihnen wurde Erfüllung. Was ihn verlockte und störte und im Leben umherwarf, das hat er mit männlichem Gemüt überwunden. Das alte Buch seines Lebens ist zu Ende, und in eurem Geheimbuch, ihr guten Geister des Hauses, wird fortan »Mit Gott« verzeichnet: sein neues Soll und Haben.

*    *    *