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Soll und Haben

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Anton sah in den Brief, es waren die ungeschickten Buchstaben des Försters; erstaunt las er den Inhalt: »Mein lieber Vater, ich kann nicht zu Dir kommen, denn ein Sensenmann hat mir jetzt abgehauen, was von der Hand noch übrig war. Deshalb bitte ich Dich, sogleich nach Empfang dieses Briefes zu Deinem armen Sohn zu reisen. Du nimmst einen großen Wagen und fährst damit bis Rosmin. Dort hältst Du vor dem Roten Hirsch. Im Hirsch warten ein Wagen und ein Knecht vom Gut auf Dich. Der Knecht versteht kein Wort Deutsch, ist aber sonst ein guter Kerl, er wird Dich schon erkennen. Zu der Reise kaufst Du Dir einen Pelz, auch Pelzstiefel, diese müssen bis über die Knie gehen und unten mit Leder besetzt sein. Wenn Du für Deine großen Beine keine Stiefel findest, so muß der Gevatter Kürschner Dir noch in der Nacht über Deine Füße einen Pelz nähen. Grüße Herrn Wohlfart. Dein getreuer Karl.«

Anton hielt den Brief in seiner Hand und wußte nicht gleich, was er daraus machen sollte.

»Was sagen Sie zu diesem neuen Unglück?« fragte der Riese traurig.

»Jedenfalls müssen Sie sogleich zu Ihrem Sohn«, erwiderte Anton.

»Natürlich muß ich hin«, bestätigte der Auflader. »Das Unglück trifft mich hart, gerade jetzt, übermorgen sind’s fünfzig.«

Anton merkte den Zusammenhang. »Sind Sie denn aber auch vorbereitet, wie Karl will?«

»Ich bin’s«, sagte der Riese und schlug die Leinwanddecke zurück, »es ist alles in Ordnung, der Pelz und auch die Stiefel.« Anton sah in den Wagen und hatte Mühe, ernst zu bleiben. In einen großen Wolfspelz eingewickelt, nahm Sturm die ganze Breite des Wagens ein. Auch seine Füße waren mit einem Wolfsfell übernäht; wenn er jemals einem Ungeheuer ähnlich gewesen, so war er es jetzt. Er stieß mit seiner Mütze oben an die weiße Leinwand, und die Säulen seiner Füße füllten den ganzen Wagenraum zwischen Vorder- und Rücksitz. Er saß auf einem Bettsack und hatte einen Futtersack zur Rücklehne. Das wenige, was noch von leerem Raum in dem Wagen übrig war, wurde in Anspruch genommen durch allerlei Ballen und Eßkober, welche die Kameraden ihrem scheidenden Obersten kunstvoll zusammengeschnürt und angebunden hatten; kleine Tonnen und Kisten waren um ihn herum eingestaut, und gerade vor ihm hingen eine geräucherte Wurst und eine Reiseflasche von dem Reifen herab. So saß er wie ein Bär der Urwelt in seinem Winterlager. Ein großer Säbel lehnte an seiner Seite: »Gegen diese Sensenmänner«, sagte er und schüttelte ihn zornig. – »Jetzt habe ich noch eine große Bitte an Sie. Den Schlüssel zu meinem Hause verwahrt der Wilhelm, diese Kiste bitte ich Sie zu übernehmen, hierin steckt, was unter meinem Bett stand; heben Sie’s auf für den Karl.«

»Ich werde die Kiste Herrn Schröter übergeben«, erwiderte Anton, »er ist nach dem Bahnhof gefahren und muß jeden Augenblick zurückkehren.«

»Grüßen Sie ihn«, sagte der Riese, »ihn und Fräulein Sabine, und sagen Sie beiden, daß ich ihnen von Herzen danke für alle Freundlichkeit, die sie in meinem Leben mir und dem Karl erwiesen haben.« – Bewegt sah er in den Hausflur hinein. »Manches liebe Jahr habe ich dort drinnen hantiert; wenn die Ringe an Ihren Zentnern glatt sind wie poliert, meine Hände haben redlich dazu geholfen. Was dieses Geschäft durchgemacht hat seit dreißig Jahren, das habe ich mit durchgemacht, Gutes und Trauriges; aber ich kann wohl sagen, Herr Wohlfart, wir waren immer tüchtig. Ich werde eure Fässer nicht mehr rollen«, fuhr er, zu den Hausknechten gewandt, fort, »und ein anderer wird euch helfen die Leiterbäume an den Wagen setzen. Denkt manchmal an den alten Sturm, wenn ihr ein Zuckerfaß anbindet. Es kann nichts ewig bleiben auf der Welt, auch wer stark ist, geht zu Ende; aber diese Handlung, Herr Wohlfart, soll stehen und blühen, solange sie einen Chef hat wie diesen und Männer wie Sie und ehrliche Hände an der Waage. Dieses ist meines Herzens Wunsch.« Er faltete die Hände auf dem Weidengeflecht, und Tränen rollten über seine Wangen. »Und jetzt leben Sie wohl, Herr Wohlfart, geben Sie mir Ihre Hand.« Er zog einen großen Fausthandschuh aus und steckte seine Hand aus dem Wagen heraus. »Und ihr, Peter, Franz, Gottfried, ihr Hausknechte alle, lebt wohl und denkt freundlich an mich.« Der Hund Sabinens kam wedelnd an den Wagen und sprang an dem Weidenkorb herauf. »Da ist auch der alte Pluto!« rief Sturm und fuhr mit der Hand auf den Kopf des Hundes. »Pluto, adjes!« Der Hund leckte ihm die Hand. »Adjes, alles!« rief der Scheidende. »Nach Rosmin, Kutscher!« So zog er sich in den Wagen zurück. Der Frachtwagen rasselte über das Pflaster, nach einer Weile öffnete sich noch einmal die weiße Leinwand, der große Kopf sah noch einmal zurück, und seine Hand winkte.

Anton war durch mehrere Tage in lebhafter Besorgnis um das Schicksal Sturms. Endlich kam ein Brief von Karls Hand.

»Lieber Herr Wohlfart«, schrieb Karl, »Sie werden wohl gemerkt haben, weshalb ich die letzten Zeilen an meinen Goliath schrieb. Er mußte fort aus seiner Stube, und ich mußte ihn von seinem Eigensinn wegen des Geburtstages abbringen. Deshalb erdachte ich in meiner Angst eine Notlüge. Es kam also folgendermaßen:

Am Tage vor seinem Geburtstage erwartete ihn der Knecht zu Rosmin im Hirsch. Ich selber war in die Schenke gegenüber geritten, um zu sehen, wie der Vater ankam und wie er aussah. Ich hielt mich versteckt. Gegen Mittag kam der Wagen langsam angerasselt. Der Fuhrmann half dem Vater vom Wagen, denn das Absteigen wurde ihm sehr sauer, so daß ich wegen der Beine große Furcht bekam, es war aber mehr der Pelz und das Schütteln des Wagens schuld. Der Alte nahm auf der Straße einen Brief in die Hand und las darin, dann stellte er sich vor den Jasch, der zum Wagen gelaufen war und der tun sollte, als verstehe er kein Wort Deutsch, und machte vor ihm verschiedene Zeichen und erschreckliche Bewegungen mit den Händen. Er hielt seine Hand zwei Fuß vom Steinpflaster, und als der Knecht mit dem Kopfe schüttelte, duckte der Alte sich selbst auf die Erde. Dies sollte soviel bedeuten wie ›mein Zwerg‹, aber der Jasch konnte es nicht verstehen; dann packte der Vater das Gelenk seiner einen Hand mit der andern und schüttelte die Hand heftig vor Jaschs Nase, so daß der Knecht, der ohnedies über den großen Mann erschrocken war, beinahe weggelaufen wäre. Endlich aber wurde der Vater mit seinen Sachen in unsern Korbwagen geschafft, nachdem er noch einigemal um den Wagen herumgegangen war und ihn mit Mißtrauen befühlt hatte. So fuhr er ab. Dem Knecht hatte ich gesagt, er sollte auf geradem Weg nach der Försterei fahren, und hatte mit dem Förster alles verabredet. Ich ritt auf einem Seitenwege vor, und als der Wagen gegen Abend ankam, sprang ich in des Försters Bett und ließ mir die Hand unter der Bettdecke festbinden. um sie nicht in der Freude herauszustecken. Als der Alte zu meinem Bett trat, war er so gerührt, daß er weinte, und es tat mir in der Seele weh, daß ich ihn täuschen mußte. Ich erzählte ihm, daß es schon wieder besser wäre und daß mir der Arzt erlaubt hätte, am nächsten Tag aufzustehen. Darauf wurde er ruhiger und sagte mir mit wichtiger Miene, das wäre ihm lieb, denn morgen wäre für ihn ein großer Tag, morgen müßte ich an sein Bett. Somit fing er wieder von seinem Unsinn an. Aber nicht lange, so wurde er lustig, der Förster kam dazu, und wir aßen, was das gnädige Fräulein mir vom Schloß geschickt hatte. Ich setzte dem Alten Bier vor, welches er sehr schlecht fand, darauf machte der Förster Punsch, und wir tranken alle drei recht tapfer, der Vater mit seinem verzweifelten Gedanken, ich mit der abgehauenen Hand und der Förster.

Von der langen Reise, der warmen Stube und dem Punsch wurde der Vater bald schläfrig. Ich hatte für eine große Bettstelle gesorgt, die in des Försters Stube aufgestellt war. Er küßte mich beim Gutenachtgruß noch auf den Kopf, klopfte auf die Bettdecke und sagte: ›Also morgen, mein Zwerg.‹ Gleich darauf war er eingeschlafen. Und wie fest schlief er! Ich fuhr aus des Försters Bett und wachte die Nacht bei ihm in der Stube; es war eine bange Nacht, und ich mußte immer wieder auf seinen Atemzug hören. Spät am andern Morgen wachte er auf. Sobald der Alte sich im Bett rührte, trat der Förster in die Stube, und schon an der Tür schlug er die Hände zusammen und rief ein Mal über das andere: ›Aber Herr Sturm, was haben Sie gemacht!‹ ›Was habe ich denn gemacht?‹ fragte mein Goliath noch halb im Schlaf und sah sich ganz erstaunt in der Stube um. Es war ein großes Geschrei der Vögel, und die ganze Wirtschaft kam ihm so fremd vor, daß er gar nicht wußte, ob er noch auf der Erde war. ›Wo bin ich denn?‹ rief er. ›Dieser Ort steht nicht in der Bibel.‹ Der Förster aber rief immerzu: ›Nein, so etwas ist noch nicht gehört worden!‹, bis der Alte ganz erschrocken wurde und ängstlich fragte: ›Na, was denn?‹ – ›Was haben Sie gemacht, Herr Sturm!‹ rief der Förster, ›Sie haben eine Nacht und einen Tag und wieder eine Nacht geschlafen.‹ ›Warum nicht gar‹, sagte mein Alter, ›heut ist der Dreizehnte, es ist Mittwoch.‹ ›Nein‹, sagte der Förster, ›heut ist der Vierzehnte, es ist Donnerstag.‹ So zankten die beiden miteinander. Endlich holte der Förster seinen Kalender, in welchem er alle vergangenen Tage ausgestrichen und auch den gegenwärtigen Mittwoch mit einem dicken Strich, und hatte zum Dienstag unter seine Bemerkungen geschrieben: ›Heut 7 Uhr ist der Vater des Amtmanns Sturm angekommen, ein großer Mann, kann viel Punsch vertragen‹, und Mittwoch: ›Heut hat dieser Vater den ganzen Tag über geschlafen.‹ Mein Alter sah hinein und sagte endlich ganz verwirrt: ›Es ist richtig. Hier haben wir’s schriftlich. Dienstag um sieben Uhr bin ich gekommen, die Größe und der Punsch, alles stimmt, der Mittwoch ist quittiert, es ist heut Donnerstag, es ist der Vierzehnte.‹ Er legte den Kalender hin und saß ganz betreten in seinem Bett. ›Wo ist mein Sohn Karl?‹ rief er endlich. Jetzt trat ich in die Stube, ich hatte meine Hand unter den Rock gebunden und verstellte mich ebenso wie der Förster, bis der Alte endlich rief: ›Ich bin wie behext, ich weiß nicht, was ich denken soll.‹ ›Siehst du denn nicht‹, sprach ich, ›daß ich außer Bett bin? Gestern, als du schliefst, war der Doktor hier und hat mir erlaubt aufzustehen. Jetzt bin ich schon so stark, daß ich den Stuhl hier mit steifem Arm heben kann.‹ ›Nur nichts Schweres mehr‹, sagte der Alte. ›Und auch deinetwegen habe ich mit dem Doktor gesprochen‹, redete ich weiter, ›er ist ein kluger Mann und hat uns gesagt: entweder – oder; entweder er geht drauf, oder er schläft sich durch. Wenn er den ganzen Tag schläft, hat er’s überstanden. Es ist gefährlich für ihn, es kommen manchmal solche Zufälle bei den Menschen vor.‹ ›Bei uns Aufladern‹, sagte der Alte. So brachten wir ihn dazu, daß er aus dem Bett aufstand. Und er war recht munter. Aber ich hatte doch den ganzen Tag große Sorge und ging ihm nicht von der Tasche. Er durfte nicht aus dem Hof heraus. Und doch wäre am Nachmittag bald alles verloren gewesen, als der Vogt kam, mich zu sprechen. Glücklicherweise hielt der Förster die Hoftür verschlossen, er ging hinaus und unterwies den Vogt. Als dieser hereinkam, rief ihm mein Vater schon von weitem entgegen: ›Welcher Tag ist heut, Kamerad?‹ ›Donnerstag‹, sagte der Vogt, ›der Vierzehnte.‹ Da lachte der Vater über das ganze Gesicht und rief: ›Jetzt ist’s sicher, jetzt glaub’ ich’s.‹ Noch eine Nacht schlief er beim Förster, bis der Geburtstag überstanden war.

 

Am nächsten Morgen ließ ich den Wagen kommen, fuhr den Vater nach dem Hof und führte ihn in die Stube gegenüber der meinen, wo der Techniker gewohnt hat. Ich hatte ihm die Stube schnell eingerichtet, Herr von Fink, welcher von allem wußte, hatte handfeste Möbel aus dem Schloß herüberschaffen lassen, ich hatte dem Vater den alten Blücher an die Wand gehängt, hatte die Rotkehlchen hereingelassen, die Hobelbank aufgestellt und einiges Werkzeug dazu, damit die Stube für ihn bequem war. Und jetzt sagte ich ihm: ›Dies ist deine Wohnung, Alter. Du mußt jetzt bei mir bleiben.‹ ›Oho‹, sagte er, ›dieses geht nicht, mein Zwerg.‹ ›Es wird nichts anders sein‹, sage ich wieder, ›ich will es, Herr von Fink will es, Herr Wohlfart will es, Herr Schröter will es. Du mußt dich ergeben. Wir werden uns nicht mehr trennen, solange wir beide noch zusammen auf dieser Erde sind.‹ Und darauf zog ich meine Hand aus dem Rock und hielt ihm eine tüchtige Strafrede, wie ungesund sein Leben gewesen sei und daß er seiner Einbildung wegen mich verlassen wolle, so lange, bis er ganz weichherzig wurde und mir alles mögliche Gute versprach. Darauf kam Herr von Fink herüber und begrüßte den Vater in seiner lustigen Weise, und am Nachmittag kam das Fräulein und brachte den Herrn Baron geführt. Der blinde Herr freute sich außerordentlich über den Vater, seine Stimme gefiel ihm sehr, und er fühlte oft nach der Größe, und beim Abschied nannte er ihn einen Mann nach seinem Herzen. Und das muß wohl sein, denn der Herr kommt seitdem alle Nachmittage zum Vater in die kleine Stube und hört zu, wie der Vater schnitzt und pocht.

Noch ist der Vater verwundert über alles, was er hier sieht; auch mit dem Tage, den er verschlafen hat, ist er noch nicht ganz im reinen, obgleich er’s merkt; denn er faßt mich manchmal mitten in der Unterredung beim Kopf und nennt mich einen Spitzbuben. Dieses Wort wird er jetzt wohl gleich an Stelle des alten ›Zwerg‹ in seiner Rede einführen, obgleich es für einen Amtmann noch schlimmer ist. Er will sich auf die Stellmacherei legen, er hat heut bereits über Radspeichen geschnitzt. Ich fürchte nur, er wird sehr ins Schwere arbeiten. Ich bin froh, daß ich ihn hier habe und daß alles so abgelaufen ist; wenn er nur erst den Winter überstanden hat, wird er die Schwäche in seinen Füßen schon auslaufen. Das kleine Haus will er verkaufen, aber nur an einen Auflader. Er läßt Sie bitten, dasselbe dem Wilhelm anzufragen, welcher zur Miete wohnt, dieser soll’s billiger haben als ein Fremder.«

6

Einige Tage nach dem traurigen Ende des Advokaten saß Anton in seinem Zimmer und schrieb an Fink. Er teilte diesem mit, daß man den Leichnam des Advokaten am Ende der Stadt beim Wehr aus dem Wasser gezogen habe, die Ursache seines Todes sei nicht klar. Ein Kind aus dem Hause, in welchem der Tote gewohnt, hatte erzählt, daß es ihm am Abende der Haussuchung nahe bei seiner Wohnung auf der Straße begegnet war; seitdem war er nicht wieder erblickt worden. Unter diesen Umständen sei ein Selbstmord nicht unmöglich. Der Polizeibeamte jedoch halte die Ansicht fest, daß der herabgeschlagene Hut eine fremde Hand verrate. Beim Durchsuchen der Wohnung habe man die Papiere nicht gefunden. Die weiteren Nachforschungen der Polizei seien bis jetzt ohne Erfolg gewesen. Seine eigene Meinung über den furchtbaren Zwischenfall gehe dahin, daß Itzig auch hierbei eine Schuld habe.

Da wurde die Tür geöffnet, der Galizier trat hastig in das Zimmer und legte, ohne zu sprechen, eine alte Brille mit rostiger Stahleinfassung vor Anton auf den Tisch. Anton sah in das verstörte Gesicht des Mannes und sprang auf.

»Seine Brille«, flüsterte Tinkeles in heiserem Tone, »ich habe sie gefunden beim Wasser. Gerechter Gott, daß man muß erleben solchen Schreck!«

»Wessen ist die Brille, und wo habt Ihr sie gefunden?« fragte Anton; ihm ahnte, was der Galizier zu sagen nicht die Kraft hatte, und sein Auge sah scheu nach den trüben Gläsern. »Faßt Euch, Tinkeles, und sprecht.«

»Es kann nicht bleiben verborgen, es schreit zum Himmel«, rief der Galizier in heftiger Bewegung. »Sie sollen hören alles, wie es verlaufen ist. Zwei Tage nachdem ich habe gesprochen mit Ihnen wegen der hundert Taler, bin ich gegangen des Abends zu Löbel Pinkus in die Schlafstelle. Wie ich bin in das Haus getreten, ist ein Mann im Finstern an mich gerannt. Ich habe gedacht, ist das der Itzig, oder ist er’s nicht? Ich habe mir gesagt, es ist der Itzig; es ist sein Laufen, wie er läuft, wenn er in Eile ist. Als ich bin gekommen hinauf in die große Stube, ist alles gewesen leer, und ich habe mich gesetzt zum Tisch und habe nachgesehen in meiner Brieftasche. Und wie ich sitze, geht draußen der Wind, und es klopft an das Geländer, und es klopft immerfort, als wenn einer draußen steht, der herein will und kann nicht öffnen die Tür. Ich habe mich erschreckt und habe meine Briefe eingepackt und habe gerufen: Ist jemand hier, so soll er sagen, daß er hier ist. Es hat keiner geantwortet, aber es hat an der Tür geklappert ohne Aufhören. Da habe ich mir gefaßt ein Herz, ich habe genommen die Lampe und bin gegangen an das Geländer und habe geleuchtet in alle Winkel. Ich habe niemand gesehen. Und wieder hat’s geklopft dicht vor mir und hat gegeben einen großen Krach; da ist aufgezogen eine Tür, welche niemals offen gewesen ist, und von der Tür hat eine Treppe hinuntergeführt ins Wasser. Als ich nun habe geleuchtet auf die Treppe, habe ich gesehen, daß ein nasser Fuß hat getreten auf die Stufen und ist heraufgekommen; die Spuren von dem Fuße sind gewesen zu sehen bis in die Stube, nasse Flecke auf dem Boden. Und ich habe mich gewundert und habe zu mir gesagt: Schmeie, habe ich gesagt, wer ist gegangen bei der Nacht aus dem Wasser herauf in die Stube und hat offen gelassen die Tür wie ein Geist? Es kümmert dich nicht, habe ich mir gesagt, es ist nicht dein Geschäft. Und ich habe mich gefürchtet.

Und eh’ ich zuschließe die Tür, habe ich mit der Lampe noch einmal auf die Treppe geleuchtet, und da habe ich unten am Wasser auf der letzten Stufe etwas gesehen, das gefunkelt hat im Licht. Und ich habe mich hinuntergewagt eine Stufe nach der andern, weh, ich kann Ihnen sagen, Herr Wohlfart, es ist gewesen eine schwere Arbeit. Der Wind hat geheult und hat geblasen um meine Lampe, und der Weg die Treppe hinunter ist gewesen so finster wie ein Brunnen. Und was ich aufgehoben habe, ist gewesen dieses da« – er wies auf die Brille –, »das Glas, das er vor seinen Augen getragen hat.«

»Und woher wißt Ihr, daß es die Brille des Toten ist?« fragte Anton gespannt.

»Sie ist zu erkennen an dem Gelenk, das verbunden ist mit schwarzem Zwirn. Ich habe ihn mit dieser Brille beim Pinkus in der Stube gesehen mehr als einmal. Darauf habe ich die Brille zu mir gesteckt, und ich habe gedacht, ich will dem Pinkus nichts sagen von der Geschichte und will das Glas geben dem Hippus selbst und sehen, ob es mir kann nützen für unser Geschäft. Und ich habe die Brille bei mir getragen bis heut und habe auf den Hippus gewartet, und als er nicht gekommen ist, habe ich den Pinkus gefragt, und dieser hat mir geantwortet: ›Weiß ich doch auch nicht, wo er steckt.‹ Und heute zum Mittag, als ich gekommen bin in die Herberge, ist mir der Pinkus entgegengelaufen und hat mir gesagt: ›Schmeie‹, hat er gesagt, ›wenn Ihr den Hippus noch sprechen wollt, so müßt Ihr gehen ins Wasser; er ist gefunden worden im Wasser.‹ Das ist mir gewesen wie ein Schuß in mein Herz, als er mir gesagt hat: Geh ins Wasser und such dir ihn. Und ich habe mich halten müssen an die Wand.«

Anton eilte an den Schreibtisch, schrieb einige Zeilen an den Beamten, der erst vor kurzem das Zimmer verlassen hatte, klingelte und gab dem Diener den Auftrag, das Billett eiligst abzugeben.

Unterdes war Tinkeles wie gebrochen auf einen Stuhl gesunken, er starrte auf die Tischplatte und murmelte vor sich in unverständlichen Tönen.

Anton ging nicht weniger ergriffen im Zimmer auf und ab. Es war ein trauriges Schweigen. Nur einmal wurde es unterbrochen, als der Galizier von seinem Gemurmel zu lauten Tönen überging und fragte: »Glauben Sie, daß die Brille wert sein wird die hundert Taler, die Sie für mich haben in Ihrem Schreibtisch?«

»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Anton kurz und setzte seinen Weg durch die Stube fort.

Schmeie verfiel wieder in Abspannung und Seufzen, schlug manchmal seine zitternden Hände ineinander und gurgelte vor sich hin. Endlich blickte er wieder auf und sagte: »Oder zum wenigsten doch fünfzig?«

»Schweigt jetzt mit Eurem Schacher«, erwiderte Anton streng.

»Was soll ich schweigen?« rief Tinkeles entrüstet. »Ich stehe aus eine große Angst, soll das sein um gar nichts?« Und wieder versank er in seinen Schmerz.

Die Unterhaltung wurde durch die Ankunft des Beamten unterbrochen. Der gewandte Mann ließ den Händler noch einmal seinen Bericht wiederholen, nahm die Brille, bestellte einen Wagen für sich und den widerstrebenden Tinkeles und sagte beim Abschied zu Anton: »Machen Sie sich gefaßt auf eine schnelle Entwicklung; ob ich meinen Willen durchsetze, ist noch zweifelhaft; für Sie ist aber jetzt einige Aussicht da, die Dokumente, welche Sie suchen, aufzufinden.«

»Um welchen Preis!« rief Anton schaudernd.

Die Zimmer im Hause Ehrenthals waren hell erleuchtet, durch die herabgelassenen Vorhänge fiel ein trüber Schimmer in den Sprühregen, der aus der dicken Nebelluft auf die Straße sank. Mehrere Räume waren geöffnet, schwere silberne Leuchter standen umher, glänzende Teekannen, bunte Porzellanschalen, alles Schaugerät war gebürstet, gewaschen und aufgestellt, der dunkle Fußboden war neu gebohnert, sogar die Küchenfrau trug eine neu geplättete Haube; das ganze Haus hatte sich gereinigt. Die schöne Rosalie stand mitten unter dieser Herrlichkeit in einem Kleid von gelber Seide mit purpurroten Blüten geschmückt, schön wie eine Huri des Paradieses und bereit wie diese, den Auserwählten zu empfangen. Die Mutter strich ihr die Falten des schweren Stoffes zurecht, sah freudestrahlend auf ihr Werk und sagte in einer Anwandlung von mütterlichem Gefühl: »Was du heut schön bist, Rosalie, mein einziges Kind!« Aber Rosalie war zu sehr gewöhnt an diese Huldigungen der Mutter, sie achtete wenig auf das Lob und nestelte unwirsch an einem Armband, welches auf ihrem vollen Arm durchaus nicht festhalten wollte. »Daß der Itzig mir Türkise gekauft hat, war wieder recht unpassend von ihm; er hätte auch wissen können, daß sie nicht in der Mode sind.«

»Sie sind gut gefaßt«, sagte die Mutter beruhigend, »es ist ein schweres Gold, und die Form ist nach dem neuesten Geschmack.«

»Und wo bleibt Itzig? Heut sollt’ er doch kommen zur rechten Zeit; die Familie wird da sein, und der Bräutigam wird fehlen«, fuhr Rosalie schmollend fort.

»Er wird zur Stunde kommen«, antwortete Itzigs Patronin, »du weißt, wie er sich müht und arbeitet, damit du ein glänzendes Haus machen kannst. Du bist glücklich«, schloß sie seufzend. »Du trittst jetzt in das Leben und wirst eine angesehene Frau. Ihr werdet nach der Trauung zuerst einige Wochen nach der Residenz reisen, wo der Itzig dich vorstellen wird meiner Familie und wo ihr miteinander in aller Ruhe die Flitterwochen verleben könnt. Unterdes werde ich euch dieses Quartier einrichten, und ich werde hinaufziehen in den oberen Stock. Ich werde den Rest meines Lebens den Ehrenthal pflegen und mit ihm sitzen in der leeren Stube.«

 

»Soll der Vater heut in die Gesellschaft kommen?« fragte Rosalie.

»Es muß sein wegen der Familie, daß er hereinkommt; er muß als Vater den Segen über euch sprechen.«

»Er wird uns eine Störung machen und wieder törichtes Zeug reden«, sagte die kindliche Tochter.

»Ich habe ihm gesagt, was er sprechen soll«, antwortete die Mutter, »und er hat mir zugenickt zum Zeichen, daß er es hat verstanden.«

Es klingelte, die Tür öffnete sich, die Verwandtschaft erschien. Bald füllten sich die Zimmer. Damen in schweren seidenen Kleidern mit Goldschmuck, mit blitzenden Ohrringen und Ketten besetzten das große Sofa und die Stühle der Runde. Es waren meist volle Gestalten, hier und da ein brennendes dunkles Auge, eine regelmäßige Schönheit. Sie saßen in getrennter Versammlung wie ein buntes Tulpenbeet, in welches der Gärtner vermieden hat eine dunkle Blüte zu setzen. Und wieder in Gruppen standen die Männer, schlaue Gesichter, die Hände in den Hosentaschen, weniger feierlich und weniger behaglich. So harrte die Verwandtschaft des Bräutigams, der noch immer zu kommen säumte.

Endlich erschien er, der gezeichnet war. Argwöhnisch fuhr sein Auge umher, unsicher klang sein Gruß an die Braut. Er strengte sich an bis aufs äußerste, nur einige Redensarten zu finden, die er dem schönen Mädchen hinwerfen konnte, und er selbst hätte grimmig lachen mögen über die Leere, die er in sich fühlte. Er sah nicht ihr glänzendes Auge, nicht den schönen Hals und die Pracht des Leibes; als er zu ihr trat, mußte er auf einmal an etwas anderes denken, woran er jetzt immer dachte. Er wandte sich schnell von Rosalie ab und trat in den Haufen der Herren, der nach seiner Ankunft gesprächiger wurde. Einige gleichgültige Redensarten der Jüngern wurden gehört; als: »Fräulein Rosalie sieht bezaubernd aus« und: »Ob der Ehrenthal kommen wird?« und: »Dieser lange Nebel ist ungewöhnlich, er ist ungesund, man muß Jacken von Flanell tragen«, bis aus einem Munde die Worte kamen: »Viereinhalbprozentige.« Da hörten die Fragen auf, es war ein Gespräch gefunden. Itzig war einer der Lautesten, er focht mit den Händen nach allen Seiten. Man redete von den Kursen, von der Wolle und von dem Unglück eines Geschäftsmannes, der in Papieren so viel gemacht hatte, daß er gefallen war. Die Frauen waren vergessen, und an solche Behandlung gewöhnt, hielten sie feierlich die Teetassen in der Hand, strichen die Falten an ihren Gewändern zurecht und bewegten anmutig Hals und Arm, daß ihre Ketten und Armbänder im Kerzenlicht blitzten.

Da ward die Unterhaltung durch ein Geräusch unterbrochen, eine Tür ging auf, allgemeine Stille entstand, ein schwerer Armstuhl wurde in das Zimmer gerollt.

Auf diesem Armstuhl saß ein alter Mann mit weißem Haar, ein dickes, aufgedunsenes Gesicht, zwei glotzende Augen, welche vor sich hinstarrten, der Leib gekrümmt, die Arme schlaff über die Lehne herabhängend. Das war Hirsch Ehrenthal, ein blödsinniger Greis. Als der Stuhl in der Mitte der Versammlung stand, sah der Alte sich langsam um, nickte mit dem Kopf und wiederholte die eingelernten Worte: »Guten Abend, guten Abend.« Seine Frau beugte sich zu ihm herab und rief mit lauter Stimme in sein Ohr: »Kennst du die Herrschaften, welche hier sind? Es ist die Verwandtschaft.«

»Ich weiß«, nickte die Gestalt, »es ist eine Soiree. – Sie sind alle gegangen zu einer großen Soiree, und ich bin allein geblieben in meiner Stube. – Und ich habe gesessen an seinem Bett. Wo ist der Bernhard, daß er nicht kommt zu seinem alten Vater?« Die Anwesenden, welche den Lehnstuhl umringt hatten, traten verlegen zurück, und die Hausfrau schrie dem Alten wieder ins Ohr: »Bernhard ist verreist, aber deine Tochter Rosalie ist hier.«

»Verreist ist er?« fragte der Alte traurig. »Wohin kann er doch sein verreist? Ich habe ihm wollen kaufen ein Pferd, daß er kann darauf reiten; ich habe ihm wollen kaufen ein Gut, damit er soll leben als ein anständiger Mensch, was er immer ist gewesen. Ich weiß«, rief er, »als ich ihn habe gesehen das letzte Mal, ist er gewesen auf seinem Bett. Auf dem Bett hat er gelegen, und er hat seine Hand erhoben und hat sie geschüttelt gegen seinen Vater.« Er sank in den Stuhl zurück und wimmerte leise.

»Komm her, Rosalie«, rief die Mutter, geängstigt durch diese Phantasie des Schwachsinnigen. »Wenn dich der Vater sieht, mein Kind, kommt er auf andere Gedanken.« Die Tochter trat heran und kniete, ihr Taschentuch unterbreitend, vor dem Stuhl des Vaters. »Kennst du mich, Vater?« rief sie.

»Ich kenne dich«, sprach der Alte, »du bist ein Weib. Was braucht ein Weib zu liegen auf der Erde? Gebt mir meinen Gebetmantel und sprecht die Gebete. Ich will knien an deiner Stelle und beten, denn es ist gekommen eine lange Nacht. Aber wenn sie wird vorüber sein, dann werden wir anzünden die Lichter und werden essen. Dann wird es Zeit sein, daß wir die bunten Kleider anziehen. – Was trägst du einen bunten Rock, jetzt, wo der Herr zürnt auf die Gemeinde?« – Er begann ein Gebet zu murmeln und sank wieder in sich zusammen.

Rosalie erhob sich unwillig; die Mutter sagte in großer Verlegenheit: »Es ist heut ärger mit ihm, als es jemals gewesen ist. Ich habe gewollt, daß der Vater gegenwärtig sein sollte beim Ehrentage der Tochter, aber ich sehe, daß er die Pflichten des Hausherrn nicht erfüllen kann. So werde ich der Gesellschaft als Mutter eine frohe Mitteilung machen.« Sie faßte feierlich die Hand ihrer Tochter. »Treten Sie näher, Itzig.«

Itzig hatte bis dahin abseits unter den andern gestanden und auf den Alten gestarrt. Er hatte zuweilen mit den Achseln gezuckt und mit dem Kopfe geschüttelt über den Unsinn des Kranken, weil er fühlte, daß das bei seiner Stellung in der Familie schicklich war. Aber vor seinem Auge schwebte eine andere Gestalt; er wußte besser als die andern, wer jammerte und stöhnte, er wußte auch, wer gestorben war und nicht verziehen hatte. So trat er langsam neben die Frau vom Hause, den Blick stier auf den Alten gerichtet. Die Gäste umringten im Kreise ihn und Rosalie, die Mutter ergriff seine Hand.

Da fing der Alte in seinem Lehnstuhl wieder an zu schwatzen. »Seid still«, sagte er vernehmlich, »dort steht er, der Unsichtbare. Wir gehen heim vom Begräbnis, und er tanzt unter den Weibern. Wen er ansieht, dem schlägt er die Glieder. Dort steht er!« schrie er laut und erhob sich aus seinem Stuhl. »Dort – dort. – Stürzt eure Wasserbecken um und flieht in die Häuser. – Denn der da steht, er ist verflucht vor dem Herrn. Verflucht!« schrie er und ballte die Hände und wankte wie rasend auf Itzig zu.

Itzigs Gesicht wurde fahl, er versuchte zu lachen, aber seine Züge verzogen sich in grimmiger Angst. Da wurde schnell die Tür aufgerissen, sein Laufbursche sah ängstlich herein. Itzig warf nur einen Blick auf den Knaben, und er wußte alles, was der andere ihm sagen wollte. Er war entdeckt, er war in Gefahr. Er sprang zur Tür und war verschwunden.

Lege deinen Brautschmuck ab, schöne Rosalie, wirf das goldene Armband mit Türkisen in die finstere Ecke des Hauses, wo der Moder an den Wänden sitzt und nie ein Lichtstrahl auf Gold und Edelsteine fällt. Die Steine sollen verbleichen und das Gold unscheinbar werden im Laufe der Jahre, die Kellerasseln sollen in den Gliedern des Armrings ihr Lager aufschlagen und durch das goldene Kettengelenk schlüpfen. Langbeinige Spinnen werden darüber kriechen und werden ihre Netze daran spinnen, um einfältige Fliegen in der Finsternis zu überraschen. Wirf das Armband weit weg von dir, denn jeder Gran Gold daran ist durch eine Schurkerei bezahlt. Zieh dein hochzeitlich Gewand aus und hülle deinen schönen Leib in Trauerkleider, und von den Blumen in deinem Haar pflücke die Blätter ab und wirf sie hinaus in die Nacht, dem kalten Nachtwind zum Spiele. Sieh ihnen nach, wie sie im Lichtscheine des Fensters flattern und in dem Dunkel verschwinden; sie fallen hinab in den Schmutz der Straßen, und der Fuß der Vorübergehenden bedeckt sie mit Schlamm. Du wirst keine Verlobung, kein Hochzeitsfest feiern mit deinem vielversprechenden Bräutigam; du wirst in den nächsten Tagen mit gesenktem Haupt auf die Straßen eilen, und wo du vorübergehst, werden die Leute einander anstoßen und flüstern: »Das ist seine Braut.« Und wenn die Zeit kommt, wo die Hoffnung der Mutter dich in der Residenz sah, in lustigen Flitterwochen, da wirst du in einer fremden Stadt sitzen, wohin du fliehst, um dem Spott der Boshaften zu entrinnen. Du gehst nicht im Schmerz unter, und deine Wange erbleicht nicht; du hast ein glänzendes Aussehen, und dein Vater hat viel Geld zusammengescharrt; du findest mehr als einen, der bereit ist, der Nachfolger von Itzig zu werden. Dein Los ist, einem anheimzufallen, der dein Kapital heiratet und deine Glieder mit vergnügtem Lachen in Kauf nimmt, und du wirst ihn vom ersten Tage deiner Ehe an verachten, und du wirst ihn ertragen, wie man einen Schaden trägt, den der Arzt nicht wegschaffen kann. Neue Gewänder von rauschender Seide wirst du tragen, und ein anderer Goldschmuck wird an deinem Arm klirren, und der Inhalt deines Lebens wird sein, als geschmückte Puppe umherzuwandeln und deinen Mann höhnisch mit andern Männern zu vergleichen. Das Geld aber, welches der alte Ehrenthal durch Wucher und Schlauheit mit tausend Sorgen für seine Kinder zusammengebracht hat, das wird wieder rollen aus einer Hand in die andere, es wird dienen den Guten und Bösen und wird dahinfließen in den mächtigen Strom der Kapitalien, dessen Bewegung das Menschenleben erhält und verschönert, das Volk und den Staat groß macht und den einzelnen stark oder elend, je nach seinem Tun.