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Soll und Haben

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Anton nickte. »Wir wußten beide nicht recht Bescheid, und Karl mußte den Ausschlag geben.«

»Ei was! Sie haben das Geld bezahlt, ich habe ihr das erste Heu gegeben, folglich gehört sie uns beiden. – Sehen Sie sich noch einmal das schwarze Kalb an. Es ist reizend. Herr Sturm droht, er will ihm die Ohren rot anstreichen, damit es ganz aussieht wie ein kleiner Teufel.« Sie kauerte vor dem Kalbe nieder, drückte es an sich und streichelte es; plötzlich stand sie auf und rief: »Ich weiß nicht, warum ich so hübsch mit ihm tue, es ist nicht mehr mein, es gehört einem andern.« Aber hinter ihrem Zorn klang es wie Schelmerei. Sie zog ihn weiter. »Kommen Sie zum Pony«, bat sie. »Mein armes kleines Tier! Es ist alt geworden seit dem Tage, wo ich in unserm Garten hinter Ihnen herritt.«

Anton liebkoste das Tier, und der Pony wandte seinen Kopf bald zu ihm, bald zu Lenore.

»Wissen Sie, wie es damals zuging, daß ich Ihnen auf dem Pony begegnete?« fragte Lenore über den Rücken des Pferdes herüber. »Es war kein Zufall. Ich hatte Sie unter dem Strauch sitzen sehen, heut darf ich’s Ihnen sagen, und ich hatte gedacht: Wetter, das ist ein hübscher Junge, den wollen wir uns doch einmal ansehen! So war es gekommen, wie’s kam.«

»Ja«, sagte Anton, »es kamen die Erdbeeren, es kam der See. Ich stand vor Ihnen und stopfte die Beeren hinein und war etwas weinerlich; aber bei alledem war mein Herz doch voll Freude über Sie, so schön und majestätisch standen Sie vor mir, ich sehe Sie noch im flatternden Gewand mit kurzen Ärmeln, und an dem weißen Arm ein goldenes Armband.«

»Wo ist das Armband hin?« fragte Lenore ernst und stützte ihr Haupt auf den Hals des Pferdes. »Sie haben’s verkauft, böser Wohlfart.« – Die Tränen rollten ihr aus den Augen, sie faßte mit beiden Händen über den Rücken des Pony nach der Hand des Freundes. »Anton, wir konnten nicht Kinder bleiben.« Dann strich sie mit der Hand über seine Wange und rief: »Mein Herzensfreund, lebe wohl; ade, ihr Mädchenträume, ade, du leichte Frühlingszeit, ich muß jetzt lernen, ohne meinen Schutz durch die Welt zu laufen. – Ich werde Ihnen nicht Schande machen«, sprach sie ruhiger, »ich werde immer verständig sein, ich werde auch gute Wirtschaft treiben. Von morgen fange ich an, ich gehe jetzt zu Babette in die Küche, ich weiß, daß Ihnen das lieb sein wird. Und ich werde sparen. Ich will wieder das Buch machen mit drei langen Strichen auf jeder Seite, ich werde alles aufschreiben. Wir werden diese Sparsamkeit auch im Kleinen brauchen, Wohlfart. Ach, du arme Mutter!« Sie rang die Hände und sah wieder sehr bekümmert aus.

»Kommen Sie hinaus ins Freie«, bat Anton. »Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir nach dem Walde.«

»Nicht in den Wald, nicht in die Försterei«, sagte Lenore feierlich, »aber auf das neue Vorwerk gehe ich mit Ihnen.«

So zogen beide miteinander über das Feld. »Sie müssen mich heut führen«, sagte Lenore, »ich lasse Sie nicht los.«

»Lenore, Sie wollen mir den Abschied recht schwer machen.«

»Wird er Ihnen schwer?« fragte Lenore erfreut und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nein, Wohlfart, es ist nicht so, Sie haben sich in der Stille oft von mir fortgesehnt.«

Anton sah sie überrascht an.

»Ich weiß es«, rief sie vertraulich und drückte ihn leise am Arm, »ich weiß es recht gut. Auch wenn Sie mit mir zusammen waren, Ihr Herz war nicht immer bei mir. Manchmal, ja; damals im Schlitten wohl, aber häufiger noch dachten Sie an die Fremde. Wenn Sie gewisse Briefe bekamen, die lasen Sie mit einer Hast – wie heißt doch der Herr?« fragte sie.

»Baumann«, erwiderte Anton arglos.

»Gefangen!« rief Lenore und drückte ihm wieder den Arm. »Wissen Sie, daß mich das eine Zeitlang sehr unglücklich gemacht hat? Ich war ein törichtes Kind. – Wir sind klug geworden, Wohlfart, wir sind jetzt freie Leute, und deshalb können wir miteinander Arm in Arm gehen, o Sie lieber Freund!«

Als sie auf dem neuen Vorwerk ankamen, sagte Lenore zu der Frau des Vogtes: »Er geht fort von uns. Er hat mir erzählt, daß Sie ihm die erste Freude auf dem Gute gemacht haben durch den Strauß, den Sie für ihn pflückten. Holen Sie ihm jetzt den letzten. Ich selbst habe keine Blumen, in meiner Pflege gedeihen sie nicht. Hier hinter der Scheuer hat alles geblüht, was von Gartenblumen auf dem Gute war.«

Die Vogtin band wieder einen kleinen Strauß zusammen, überreichte ihn Anton mit einem Knicks und sagte dabei wehmütig: »Es ist gerade wieder so wie vor einem Jahre.«

»Er aber geht!« rief Lenore, wandte sich ab und drückte ihr Tuch an die Augen.

Dem Vogt und dem Schäfer schüttelte Anton herzlich die Hand. »Denkt freundlich an mich, ihr braven Leute!«

»Sie haben uns immer ein gütiges Herz gezeigt«, rief die Frau des Vogtes.

»Und Futter für Menschen und Tiere«, sprach der Schäfer, seinen Hut abnehmend, »und Überlegung, und Ordnung vor allem.«

»Für eure Zukunft ist gesorgt«, sagte Anton, »ihr erhaltet einen Herrn, welcher mehr vermag als ich.« Zuletzt küßte Anton noch den krausköpfigen Knaben des Vogts, hieß ihn die kleine Sparbüchse holen, die in dem Schranke stand, und steckte ihm ein Andenken hinein. Das Kind hielt ihn am Rock fest und wollte ihn nicht fortlassen.

Auf dem Rückwege sagte Anton: »Wenn mir etwas die Trennung erleichtert, so ist es die Zukunft, welche das Gut jetzt hat. Und ahnend hoffe ich, daß auch in Ihrem Leben sich glücklich lösen wird, was noch unsicher ist.«

Lenore ging schweigend an seiner Seite, endlich fragte sie: »Darf ich mit Ihnen über den Mann reden, der jetzt Herr dieses Gutes ist? Ich möchte wissen, wie Sie sein Freund geworden sind.«

»Ich bin es geworden, weil ich mir ein Unrecht, das er mir zufügte, nicht gefallen ließ. Unser Verhältnis ist so fest geblieben, weil ich ihm in allen Kleinigkeiten gern nachgab, in größeren Dingen fest auf meiner eigenen Überzeugung stand. Er hat eine hohe Achtung vor aller Kraft und Selbständigkeit, er wird leicht hart, wo ihm die Schwäche des Urteils und des Willens entgegentritt.«

»Wie soll eine Frau Festigkeit gewinnen gegenüber einem solchen Wesen?« sagte Lenore niedergeschlagen.

»Ja«, erwiderte Anton nachdenkend, »einem Weibe, das sich ihm mit Leidenschaft ergibt, wird das viel schwerer werden. Alles, was aussieht wie Trotz und Eigensinn, wird er mit herber Strenge brechen, und die Besiegte wird er nicht schonen. Aber wo ihm ein würdiger und gehaltener Sinn entgegentritt, wird er ihn ehren. Und wenn ich jemals in die Lage käme, seiner künftigen Gattin einen Rat zu geben, so wäre es der Rat, daß sie gerade ihm gegenüber sich vor allem hüte, was bei Frauen für gewagt und keck gilt. Was ihm eine Fremde angenehm macht, weil es ihm schnell leichte Vertraulichkeit gestattet, gerade das wird er an seiner Hausfrau am wenigsten achten.«

Lenore lehnte sich fester an ihn und senkte ihr Haupt. So kehrten beide in tiefem Schweigen auf das Schloß zurück.

Am Nachmittag ging Anton an Karls Seite noch einmal durch Feld und Wald. Immer hatte er das Leben auf dem Gute als einen Aufenthalt in der Fremde empfunden, und jetzt, wo er scheiden sollte, erschien ihm alles so vertraut wie in seiner Heimat. Überall fand er etwas, worüber er in dem Jahre gesorgt hatte; an den Ackerstücken, den Häusern, den Tieren und dem Gerät haftete seine Arbeit. Er hatte den Weizen gekauft, der auf diesem Stücke stand, er hatte die neuen Pflüge besorgt, womit der Knecht, den er in Dienst genommen, ackerte. Dort hatte er ein Dach gedeckt, hier eine schadhafte Brücke ausgebessert. Und wie jeder, der neu in eine Tätigkeit hineinkommt, hatte er auf das frischerworbene Wissen gern Pläne gebaut, über allen Teilen des Gutes schwebten Entwürfe, Hoffnungen und Glück verheißende Projekte. Stets hatte er beklagt, daß er zu wenig für die Geschäfte vorbereitet war, die er so schnell übernommen hatte; jetzt, wo er sich von ihnen löste, empfand er nur, wie lieb sie ihm waren. – In der Försterei saß er noch eine Stunde mit dem ehrlichen Alten zusammen. Draußen warf der Herbst die Blätter von den Bäumen und entfärbte das lustige Grün der Natur. Hier um den Alten grünte der Wald, und in der vollen Kraft der späten Mannesjahre saß der trotzige Waldmann ihm gegenüber. Beim Abschied an der Pforte sagte der Förster: »Als Sie zuerst die Hand an diese Tür legten, dachte ich nicht, daß die Bäume über uns so fest stehen würden und daß ich noch einmal anfangen sollte, mit andern Menschen zu leben. Sie haben einem alten Mann das Sterben schwer gemacht, Herr Wohlfart.«

Die Trennungstunde kam. Anton suchte den Freiherrn in seinem Zimmer auf und nahm von ihm einen kurzen und förmlichen Abschied, Lenore war ganz aufgelöst in weichem Gefühl und Fink herzlich gegen ihn wie gegen einen Bruder. Als Anton neben ihm stand und mit Rührung auf Lenore hinsah, sagte Fink: »Sei ruhig, mein Freund, hier wenigstens werde ich versuchen zu sein, wie du warst.« Fink und Lenore begleiteten den Scheidenden zum Wagen, noch einen Blick warf Anton auf das Schloß, das an dem grauen Herbsttage so finster in der öden Ebene stand wie damals, wo er eingekehrt war. Dann sprang er in den Wagen, ein letzter Händedruck, ein Lebewohl; Karl ergriff die Zügel, sie lenkten bei der Scheuer in den Dorfweg, das Dorf war verschwunden. Die Reihe der schlechten Dorfhütten, die Brücke am Bach, den Wald, alles sah er zum letztenmal für lange Zeit. Am Ende des Waldes, an der Grenze des Gutes, dort, wo der Weg nach Kunau und Neudorf abgeht, hielt Karl an. Ein Trupp Männer stand am Grenzstein. Es waren Leute vom Gut, der Förster, der Vogt und der Schäfer, dann der Schmied von Kunau mit einigen Nachbarn und der Sohn des Schulzen von Neudorf. Erfreut sprang Anton vom Wagen und begrüßte noch einmal die Genossen:

»Der Vater schickt mich, Sie zu grüßen«, sprach der Schulzensohn; »es geht besser mit seinen Wunden, aber er darf noch nicht aus der Stube«; und der Kunauer Schmied rief ihm als letztes Lebewohl nach: »Grüßen Sie unsere Landsleute da drin im Deutschen, und sie sollen uns niemals vergessen.«

 

Schweigend, wie am Tage seiner Ankunft, fuhr Anton neben seinem Getreuen auf der Landstraße dahin. Er war jetzt frei, frei von dem Zauber, der ihn hierhergelockt hatte, frei von manchem Vorurteil, aber er war frei wie ein Vogel in der Luft. Er hatte ein Jahr rastlos gearbeitet, und er mußte sich jetzt lösen von allem, was ihn hier beschäftigt hatte; er hatte die gerade Linie seines Lebens verlassen, um für andere tätig zu sein, und er ging jetzt, sich selbst neue Arbeit zu suchen, er mußte von vorn anfangen. Ob er seine eigene Zukunft durch dieses Jahr stärker oder schwächer gemacht hatte, das war noch die Frage. Er hatte kennengelernt, wie hohen Wert ein sicheres, geformtes und gesundes Leben in selbständiger Tätigkeit habe, und er fühlte jetzt, daß er diesem Ziel ferner stehe als vor einem Jahre. Er erkannte, daß er mit seiner eigenen Kraft ein keckes Spiel gewagt, und der Gedanke fiel wie ein trüber Hauch auf den Spiegel, in dem er die Gestalten der letzten Vergangenheit sah. Aber er bereute nicht, was er getan. Er hatte Verluste gehabt, aber auch gewonnen, er hatte durchgesetzt, daß auf unkultivierter Fläche ein neues Leben aufgrünte; er hatte geholfen, eine neue Kolonie seines Volkes zu gründen, er hatte den Menschen, die er liebte, den Weg zu einer sichern Zukunft gebahnt; er selbst fühlte sich reifer, erfahrener, ruhiger. Und so sah er über die Häupter der Pferde, die ihn seiner Heimat zuführten, und sagte zu sich selbst: »Vorwärts! ich bin frei, und mein Weg ist jetzt klar.«

2

Unterdes stand Antons Hausgeist, die lederfarbene Katze, traurig auf ihrem Postament. Ein Jahr voll Grimm und Getöse war vergangen, die Katze hatte nichts davon gemerkt. Mit gesenktem Haupte sah sie in die leere Stube. Die Rouleaus waren niedergelassen, und kein Sonnenstrahl streifte ihr an die kleinen Ohren. Nichts regte sich in dem Zimmer als der Staub, welcher zu den Fenstern eindrang, eine Weile um die Katze wirbelte und endlich müde dahinsank auf ihr Gipsfell, auf den Schreibtisch und auf den Teppich des Fußbodens. Es war ein schlimmes Jahr für den Gips, und er wäre in der Einsamkeit untergegangen, daß man seine schlauen Äuglein und sein glattes Fell unter mißfarbigem Staub nimmermehr erkannt hätte, wenn ihm nicht manchmal ein freundschaftlicher Besuch zu Hilfe gekommen wäre. Denn an stillen Abenden vergoldete der Schein einer wandernden Lampe das Barthaar der Katze. Dann fuhr eine weiche Hand liebkosend über das Fell, die Fenster der Stube wurden auf eine Viertelstunde geöffnet, etwas Mondschein drang in das Zimmer, und einige Schwämme und Bürsten dienstbarer Mädchen fuhren schnell über den Fußboden. Dann schnurrte die Katze ein wenig, aber gleich darauf fiel ihr die Verlassenheit schwer aufs Herz, und sie versank wieder in ihren regungslosen Zustand.

Heute ist eine frische Mondnacht, alles im Hause schläft, in allen Stuben und Kammern sind die Menschen zur Ruhe gegangen, alles schläft, und niemand denkt daran, daß er sich zur Heimkehr bereitet, der schon ein Kind der Handlung war, als ihn sein alter Vater mit dem Samtkäppchen noch auf dem Knie hielt. Kein Mensch im Hause denkt daran, und wer weiß, ob viele es wünschen. Aber das große Haus weiß es, und in der Nacht rührt sich’s in allen Winkeln, und es knistert im Holz, und es summt in den Galerien, und es arbeitet leise in allen Wandverschlägen, der Mondschein überzieht heut alle Gänge mit mattem Silber, und in den geheimsten Winkeln zittert ein dämmriges Licht.

Wer heut nacht die gelbe Katze sehen könnte, der würde sich wohl wundern. Sie leckt sich und strählt sich, sie streckt die steifen Beinchen und hebt den Schwanz lustig in die Höhe; endlich springt sie vom Schreibtisch herunter und zur Stubentür hinaus in den Hof. Feierlich schreitet sie durch alle Gänge und Löcher des Hauses. Und wo sie hinkommt, da wird es lebendig, und alles kleine Gesindel von Hausgeistern, das in einem solchen Baue unvermeidlich ist, das rührt sich und fährt aufgeregt durcheinander. Graue schattenhafte Kerlchen kommen aus den Ofenlöchern und unter den Pulten der Schreibstube hervorgeschlüpft, sie fegen die Treppen und die Gänge rein und fahren um den alten Pluto herum, der neben dem schlafenden Hausknecht die Wache hält, so daß der große Hund nicht einschlafen kann und mit Knurren und leisem Gebell auf die Arbeit der Heimlichen hinblickt.

Und die Katze kommt bei der Schlafkammer Sabinens vorbei und miaut leise, für Menschen unhörbar; aber das Wichtelmännchen, das dort in der Höhlung von Sabinens Lampe wohnt, kommt nicht heraus, es schüttelt mit dem Kopfe und murmelt: »Wir wollen uns nicht freuen«; und im Zimmer des Kaufmanns ist auch kein guter Wille, die Ankunft des Entfernten zu feiern, ja was von dem stillen Volke dort wohnt, das ist stolz und schimpft durchs Schlüsselloch auf die Katze. Aber der Gips läßt sich nicht stören; und das ganze übrige Haus läßt sich nicht stören. Und auf der großen Waage sitzt eine zahlreiche lustige Gesellschaft. Was von Wichtelmännchen im Hause ist, und es gibt viel solches Zeug in dem fleißigen Hause, das ist heut zu großer Festfeier versammelt, und in der Mitte sitzt die Katze, schnurrend und glänzend, und sie leckt sich vor Freude, und die Lustigsten der Sozietät klettern hinauf zu dem Balken der Waage und schneiden von da Gesichter gegen die Stube des Prinzipals, ja auch gegen ihren Liebling Sabine.

Kein Mensch weiß, daß er zurückkommen wird, aber das Haus merkt es, und es schmückt sich und öffnet seine Türen, den heimkehrenden Freund zu empfangen.

Es ist den Tag darauf gegen Abend, Sabine steht in ihrer Schatzkammer vor den geöffneten Schränken, sie ordnet die neue Wäsche und bindet wieder rosafarbene Zettel um die Nummern der Gedecke. Natürlich weiß sie von nichts und sie ahnt nichts. Ihr weißer Damast glänzt heut wie Silber und Atlas, der geschliffene Glasdeckel, den sie von dem alten Familienpokal hebt, gibt einen fröhlichen Klang gleich einer Glocke, und lange noch zittern die Schwingungen in dem Holze des großen Schrankes nach. Alle gemalten Köpfe auf ihren Porzellantassen sehen heut ausnehmend lustig aus, Doktor Martinus Luther und der Schwarzkünstler Faust verziehen die Gesichter und lachen, sogar der Goethe lächelt, und es ist gar nicht zu sagen, wie sehr der Alte Fritz lacht. Es blinkt und schimmert in allen Fächern der Schränke, jeder alte Glasnapf verspürt ein heimliches Ziehen und Klingen; nur Sabine merkt nichts, die kluge Herrin des Hauses weiß gar nicht, was alle Kleinen wissen. Oder ahnt sie doch etwas? Horch, sie singt. Lange ist kein fröhliches Lied von ihren Lippen geflogen, heut aber ist ihr leicht ums Herz, und wenn sie auf das glänzende Heer von Glas und Silber sieht, das vor ihr im Schranke aufgestellt ist, fällt etwas von dem bunten Glanz in ihre Seele; ihre Lippen bewegen sich, und leise, wie der Gesang eines Waldvogels, klingt ein Lied aus der Kinderzeit in der kleinen Stube. Und von dem Schrank tritt sie plötzlich ans Fenster, wo das Bild ihrer Mutter über dem Lehnstuhl hängt, sie sieht das Bild fröhlich an und singt vor dem Angesicht der Mutter dasselbe Kinderlied, das die Mutter einst vom Lehnstuhl aus der kleinen Sabine gesungen.

Da gleitet eine verhüllte Gestalt durch den Hausflur. Im offenen Warengewölbe steht Balbus, der jetzt im Kreis der großen Waage befiehlt, er sieht mit halbem Blick auf die Gestalt und denkt verwundert: ›Der sieht ein wenig Anton ähnlich.‹ Die Hausknechte schlagen eine Kiste zu, und der älteste wendet sich zufällig herum und sieht einen Schatten, der durch die Laterne an die Wand geworfen wird, und hält einen Augenblick mit Schlagen inne und sagt: »Das war fast, als wenn’s Herr Wohlfart wäre.« Und hinten im Hofe hört man ein lautes Bellen und das Springen des Hundes, und Pluto kommt außer sich zu den Hausknechten gelaufen und schlägt mit dem Schwanze, bellt und leckt ihre Hände und erzählt in seiner Art die ganze Geschichte. Aber auch die Hausknechte wissen von nichts, und einer sagt: »Es war ein Geist, man sieht nichts mehr.«

Da öffnet sich die Tür zu Sabinens Kammer. »Sind Sie’s, Franz?« fragt Sabine, sich unterbrechend. Niemand antwortet. Sie wendet sich um, ihr Auge blickt gespannt und ängstlich auf die Männergestalt, welche an der Tür steht. Da zittert ihre Hand und faßt nach der Lehne des Stuhls, sie hält sich fest, und er eilt auf sie zu, und in leidenschaftlicher Bewegung, ohne daß er weiß, was er tut, kniet er neben dem Stuhl nieder, in den sie gesunken ist, und legt sein Haupt auf ihre Hand.

Das war Anton. Keines sprach ein Wort. Wie auf eine holde Erscheinung sah Sabine auf den Knienden nieder, und leise legte sie die andere Hand auf seine Schulter. Und in dem Raume blinkt und klingt es fort; die Lampe wirft ihren hellen Schein auf die beiden Kinder der Handlung, und das Bild der Hausfrau über dem Armstuhl sieht freundlich auf die Gruppe herab.

Sie fragt nicht, weshalb er kam, nicht, ob er frei war von dem Zauber, der ihn fortgetrieben hatte. Als er vor ihr kniete und sie in sein offenes Auge sah, das ängstlich und voll Zärtlichkeit das ihre suchte, da verstand sie, daß er zurückkehrte zu dem Hause, zum Bruder, zu ihr.

»So lange waren Sie in der Fremde«, sagte sie klagend, aber mit einem seligen Lächeln auf ihrem Antlitz.

»Immer war ich hier«, rief Anton leidenschaftlich. »Schon in der Stunde, wo ich von diesen Mauern schied, ahnte ich, daß ich alles aufgab, was für mich Friede und Glück heißt. Jetzt treibt es mich unwiderstehlich in Ihre Nähe, ich muß Ihnen sagen, wie es in mir aussieht. Sie habe ich verehrt wie ein geweihtes Bild, solange ich in ihrer Nähe lebte. Der Gedanke an Sie war auch in der Fremde mein Schutz. Er behütete mich in der Einsamkeit, in einem ungeordneten Leben, in großer Versuchung. Ihre Gestalt stellte sich rettend zwischen mich und eine andere. Oft sah ich Ihr Auge auf mich gerichtet, wie damals, wo ich bei Ihnen Hilfe suchte vor mir selbst; oft erhob sich Ihre Hand, sie winkte und warnte vor der Gefahr, die mich lockte. Wenn ich mich nicht verloren habe, Ihnen, Sabine, danke ich das.«

In dem gleichmäßigen Leben des Hauses hat sie jahrelang eine herzliche Neigung zu Anton herumgetragen. Seit er von ihr gezogen, weiß sie, daß sie ihn liebt, mit stiller Fassung hat sie wieder den Schmerz in sich verschlossen. Weder ihre Liebe noch ihre Entsagung ist in dem regelmäßigen Hause sichtbar geworden. Kaum durch einen Blick, durch keine Miene hat sie verraten, was in ihr vorgeht, wie sich für ein Kind der Handlung schickt, in welcher das Soll und Haben der Menschen pünktlich und ohne alles Gefühl gebucht wird. Jetzt, in der Freude des Wiedersehens, bricht aus ihrem gehaltenen Wesen die Blüte der Leidenschaft. Sie erhebt sich in strahlender Freude und denkt an nichts als das Glück, ihn wiederzuhaben, und sie merkt in ihrer Freude nicht, daß in Antons bleichen Zügen noch eine andere Empfindung zuckt. Er hat sie gefunden, aber nur, um sie für immer zu verlieren.

Noch immer hält Sabine ihn an der Hand, und sie zieht ihn fort durch die Glasgalerie über den Flur bis an das Arbeitszimmer des Bruders.

Was tust du, Sabine? Dies Haus ist ein gutes Haus, aber es ist keins, wo man poetisch fühlt und sich leicht rühren läßt, die Arme schnell öffnet und den ans Herz drückt, der gerade kommt, um hereinzufallen. Es ist ein nüchternes, prosaisches Haus! Mit kurzen Worten wird hier gefordert und verweigert. Und es ist ein stolzes und strenges Haus! Denke daran! Kein zärtlicher Willkommen wird es sein, zu dem du deinen Freund führst.

Das empfand auch Sabine, und ihr Fuß zögerte einen Augenblick, ehe sie die Tür öffnete, aber sie entschloß sich schnell, und Antons Hand festhaltend, zog sie ihn über die Schwelle, und mit glücklichem Antlitz rief sie dem Bruder zu: »Hier ist er, er kommt zu uns zurück!«

Der Kaufmann erhob sich von seinem Arbeitstisch, aber er blieb am Tisch stehen, und was er zuerst sprach, ruhig, kalt, im Ton des Befehls, das waren die Worte: »Lassen Sie die Hand meiner Schwester los, Herr Wohlfart.«

Sabine trat zurück, Anton stand allein in der Mitte des Zimmers und sah erschüttert auf den Kaufmann. Die kräftige Gestalt des Mannes war in dem letzten Jahr gealtert, sein Haar ergraut, die Züge noch tiefer gefurcht. Nicht klein war der Kampf gewesen, der ihn so verändert hatte. »Daß ich auf die Gefahr, Ihnen unwillkommen zu sein, hier eintrete«, sprach Anton, »wird Ihnen zeigen, wie stark meine Sehnsucht war, Sie und die Handlung wiederzusehen. Habe ich einst Ihre Unzufriedenheit erregt, lassen Sie mich das nicht in dieser Stunde fühlen.«

Der Kaufmann wandte sich zu seiner Schwester: »Verlaß uns, Sabine, was ich mit Herrn Wohlfart zu besprechen habe, will ich ohne Zeugen abmachen.« Sabine eilte auf den Bruder zu und stand ihm aufgerichtet gegenüber. Sie sprach kein Wort, aber mit hellem Blick, in dem ein fester Entschluß zu lesen war, sah sie in seine zusammengezogenen Augen, dann verließ sie das Zimmer. Der Kaufmann sah ihr düster nach und wandte sich zu Anton. »Was führt Sie zu uns zurück, Wohlfart?« fragte er. »Haben Sie auf dem Lande nicht erreicht, was Ihr jugendlicher Eifer träumte, und kommen Sie jetzt her, in dem Bürgerhause das Glück zu suchen, das Ihnen einst für Ihre Ansprüche zu leicht schien? Ich höre, Ihr Freund Fink hat sich auf dem Gute des Freiherrn festgesetzt, hat er Sie in unser Haus zurückgeschickt, weil Sie ihm dort im Wege waren?«

 

Antons Stirn umwölkte sich. »Nicht als Abenteurer, welcher das Glück sucht, trete ich vor Ihre Augen. Sie sind ungerecht, wenn Sie einen solchen Verdacht aussprechen, und mir ziemt nicht, ihn zu ertragen. Es gab eine Zeit, wo Sie freundlicher über mich urteilten, an diese Zeit dachte ich, als ich Sie aufsuchte; ich denke jetzt daran, um Ihre kränkenden Worte zu verzeihen.«

»Sie haben mir einst gesagt«, fuhr der Kaufmann fort, »daß Sie sich in meiner Handlung und in diesem Hause fühlten wie in Ihrer Heimat. Und Sie hatten hier eine Heimat, Wohlfart, in unseren Herzen und im Geschäfte. In einer leichten Wallung haben Sie uns aufgegeben, und wir, trauernd und mit schwerem Herzen, haben mit Ihnen dasselbe getan. Wozu kehren Sie zurück? Sie können uns kein Fremder sein, denn wir haben Sie liebgehabt, und ich persönlich bin Ihnen tief verpflichtet. Sie können uns der alte Freund nicht mehr sein, denn Sie selbst haben gewaltsam das Band gelöst, das Sie an uns fesselte. Sie haben mich, gerade als ich so etwas am allerwenigsten erwartete, daran erinnert, daß nur ein einfaches Kontraktverhältnis Sie in meinem Kontor festhielt. Was suchen Sie jetzt? Wollen Sie wieder einen Platz in meinem Kontor, oder wollen Sie, wie es den Anschein hat, noch mehr?«

»Ich will nichts«, rief Anton in überströmendem Gefühl, »nichts als die Versöhnung mit Ihnen. Ich will keinen Platz im Kontor und nichts anderes. In der Stunde, als ich das Gut des Freiherrn verließ, stand in mir fest, daß mein erster Weg in Ihr Haus sein mußte und mein nächster wieder hinaus, um mir woanders eine Tätigkeit zu suchen. Was ich auch in diesem Jahre verloren habe, meine Selbstachtung habe ich nicht verloren, und wenn Sie mir so freundlich entgegengekommen wären, wie mein Herz mich zu Ihnen zog, ich würde Ihnen in der ersten Stunde dasselbe gesagt haben, was Sie jetzt von mir hören wollen. Ich weiß, daß ich nicht hierbleiben kann. Ich habe es schon in der Fremde gefühlt, sooft ich an dieses Haus dachte. Seit ich diese Mauern betreten habe und seit ich Ihre Schwester wiedergesehen, seitdem weiß ich, daß ich hier nicht bleiben darf, ohne unehrlich zu handeln.«

Der Kaufmann trat an das Fenster und sah schweigend in die Nacht hinaus. Als er sich umwandte, war die Härte von seinem Gesicht verschwunden, er sah mit prüfendem Blick auf Anton. »Das war ehrlich gesprochen, Wohlfart«, sagte er endlich, »und ich will hoffen, auch ehrlich gedacht; und ebenso will ich Ihnen sagen, es tut mir noch jetzt leid, daß Sie von uns gegangen sind. Ich kannte Sie, wie selten ein älterer Mann den jüngeren kennenlernt; unter meinen Augen waren Sie in der Handlung heraufgekommen, ich konnte auf die Reinheit Ihrer Empfindungen vertrauen, ich wußte, daß kein unehrenhafter Gedanke in Ihrer Seele heimisch war. Jetzt, lieber Wohlfart, sind Sie mir ein Fremder geworden. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen das sage. Ein ungeregeltes Begehren hat Sie in Verhältnisse gelockt, welche nach allem, was ich davon weiß, ungesund sein müssen für jeden, der darin lebt. Sie haben in einer Landschaft, wo die Gewissen oft weiter sind als bei uns und die menschlichen Verhältnisse weniger fest geordnet, die Verwaltung eines zerrütteten Wohlstandes gehabt, Sie sind der Vertraute eines bankrotten Schuldners gewesen, der manche Eigenschaft eines braven Mannes bewahrt haben mag, der aber in schlechten Geschäften mit verzweifelten Menschen das verloren hat, was in meiner Handlung Ehre heißt. Gern nehme ich an, daß Ihre Redlichkeit sich geweigert hat, dort etwas zu tun, was gegen Ihre Überzeugung war; aber, Wohlfart, ich wiederhole Ihnen jetzt, was ich Ihnen schon früher gesagt habe: jede fortgesetzte Tätigkeit unter Schwachen und Schlechten bringt auch den Ehrenmann in Gefahr. Allmählich, und ohne daß er es merkt, erscheint ihm erträglich, was ein anderer in sicherer Lage von sich fernhält, und die gebieterische Notwendigkeit zwingt ihn, in Maßregeln zu willigen, die er anderswo mit kurzem Entschluß abgewiesen hätte. Ich bin überzeugt, daß Sie geblieben sind, was die Welt einen ehrenhaften Geschäftsmann nennt, aber die stolze Reinheit Ihrer kaufmännischen Ehre, die leider bei vielen in unserer Geschäftswelt für eine Pedanterie gilt, ob Sie die sich bewahrt haben, das weiß ich nicht; und daß ich in der Stunde, wo ich Sie wiedersehe, daran zweifeln muß und daß ich Ihnen das sagen muß, sehen Sie, das macht mir die Zusammenkunft schmerzlich.«

Anton wurde bleich wie das Tuch, das er in der Hand hielt, und seine Lippen zitterten, als er antwortete: »Es ist genug, Herr Schröter! Daß Sie mir in der ersten Stunde das Bitterste sagen, was man einem Gegner sagt, ist mir ein Beweis, daß ich unrecht getan habe, dies Haus wieder zu betreten. Ja, Sie haben recht, in dieser ganzen Zeit hat mich das Gefühl nicht verlassen, daß die Gefahr, die Sie erwähnen, um meine Seele schwebte. In dem ganzen Jahr habe ich als das größte Unglück empfunden, daß die Geschäfte, für welche ich mich interessieren mußte, mir nicht erlaubten, den Mann hochzuachten, für den ich arbeitete. Ihnen aber darf ich, nicht weniger stolz als Sie, antworten, daß die Reinheit des Mannes, welcher sich ängstlich vor der Versuchung zurückzieht, nichts wert ist, und wenn ich etwas aus einem Jahre voll Kränkungen und bitterer Gefühle gerettet habe, so ist es gerade der Stolz, daß ich selbst geprüft worden bin und daß ich nicht mehr wie ein Knabe aus Instinkt und Gewohnheit handle, sondern als ein Mann, nach Grundsätzen. Ich habe in diesem Jahre zu mir ein Vertrauen gewonnen, das ich früher nicht hatte; und weil ich mich selbst achten gelernt habe, so sage ich Ihnen jetzt, daß ich Ihren Zweifel sehr wohl verstehe, daß ich aber, seit Sie ihn ausgesprochen, das Band für zerrissen halte, welches mich auch in der Fremde an Ihr Haus fesselte. Ich gehe, um diese Stätte nicht wieder zu betreten. Leben Sie wohl, Herr Schröter.«

Anton wandte sich zum Gehen, der Kaufmann eilte ihm nach, und seine Hand legte sich auf Antons Schulter.

»Nicht so schnell, Wohlfart«, sagte der Kaufmann weich. »Der Mann, welcher den Streich des polnischen Säbels von mir abgewandt hat, soll nicht gekränkt und im Zorn mein Haus verlassen.«

»Erinnern Sie uns beide nicht an die Vergangenheit«, sprach Anton, »das ist jetzt unnütz. Nicht ich, Sie selbst haben Kränkung und Zorn in unser Wiedersehen gebracht. Und Sie, nicht ich, haben vernichtet, was uns aus alter Zeit aneinander fesselte.«

»Nein, Wohlfart«, sagte der Kaufmann. »Wenn ich Sie durch meine Worte mehr verletzt habe, als ich wollte, so sehen Sie das meinem grauen Haar nach und meinem Herzen, welches jahrelang voll schwerer Sorgen war, auch voll Sorgen um Sie. Wir sehen uns beide nicht so wieder, wie wir uns getrennt haben, und wenn zwei Männer etwas gegeneinander auf der Seele tragen, so sollen sie das in der Stunde des Wiedersehens ehrlich aussprechen, damit ihr Verhältnis klar werde. Wären Sie mir weniger wert, so hätte ich mein Bedenken wohl zurückgehalten, und mein Gruß wäre höflicher gewesen. Jetzt aber biete ich ihnen den Willkommen. Schlagen Sie ein.«