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Soll und Haben

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Als der Advokat unter dem Versprechen, am Nachmittag wiederzukommen, schläfrig hinausgewankt war, bürstete Itzig mit beneidenswerter Fertigkeit seinen seidenen Hut, zog den besten Rock an, gab seinem Haar vor dem goldenen Spiegel den genialen Fall und ging nach dem Hause seines Gegners Ehrenthal.

Als er in den Hausflur trat, warf er einen scheuen Blick auf die Tür des Kontors und eilte vorüber nach der Treppe. Auf der untersten Stufe hielt er an. »Er sitzt wieder im Kontor«, sagte er horchend zu sich selbst, »ich höre ihn brummen, so brummt er oft, wenn er allein ist. Ich will’s wagen, ich gehe hinein, vielleicht ist mit ihm ein Wort zu reden.« Er schritt zögernd zu der Tür und horchte wieder, dann faßte er ein Herz und öffnete schnell. In dem dämmrigen Raume saß auf dem Lederstuhl einsam eine zusammengedrückte Gestalt, auf dem Kopfe einen unförmlichen Hut; sie nickte mit dem Kopfe vor sich hin und murmelte unverständliche Worte. Wie hatte sich Hirsch Ehrenthal in dem letzten Jahre verändert! Als er das letztemal vom Gute des Freiherrn fuhr, war er ein rundlicher Mann von ansehnlicher Art gewesen, ein wohlkonservierter Mann, der seine Busennadel anzustecken wußte, um vor den Frauen stattlich auszusehen; das Haupt, welches jetzt in nervöser Schwäche nickte, war das Haupt eines alten Mannes, und an dem faltigen Gesicht hing ein Bart, den das Schermesser wochenlang nicht berührt hatte. Er war ein Bild des kläglichen Verfalles, wo der Geist dem Körper noch vorläuft auf dem Wege zur zweiten Wiege.

Der Agent stand an der Tür und sah betroffen auf seinen früheren Brotherrn, der, in seine Träume versunken, nur noch halb der Geschäftswelt angehörte. Endlich begann er, näher tretend: »Ich will mit Ihnen reden, Herr Ehrenthal.«

Der Alte fuhr fort, mit dem Kopfe zu nicken, und antwortete mit zitternder Stimme: »Hirsch Ehrenthal bin ich, was haben Sie zu reden mit mir?«

»Ich will mit Ihnen sprechen über ein großes Geschäft«, fuhr Itzig fort.

»Ich höre«, sagte Ehrenthal, ohne aufzusehen. »Wenn es ein großes Geschäft ist, warum sprechen Sie nicht?«

»Sie kennen mich doch, Hirsch Ehrenthal?« schrie Itzig, sich zu dem Alten vorbeugend.

Der Mann im Lederstuhle sah mit müden Augen auf und starrte den andern an, endlich erkannte er ihn. Er rückte sich heftig von seinem Sitze in die Höhe und stand mit vorgebeugtem Halse da. Immer noch zitterte das Haupt, aber die Augen ruhten mit einem Blick voll Furcht und Haß auf dem Agenten. »Was wollen Sie hier in meinem Kontor?« rief er mit bebender Stimme. »Wie können Sie wagen, zu treten vor meine Augen? Gehen Sie hinaus, Sie Mensch.«

Itzig blieb stehen. »Schreien Sie nicht wie ein Hahn, ich tue Ihnen nichts, ich will mit Ihnen reden über große Sachen, wenn Sie ruhig sein wollen, wie ein Mann in Ihren Jahren sein muß.«

»Es ist der Itzig«, murmelte der Alte vor sich hin, »er will reden von großen Sachen, ich soll ruhig sein. – Wie kann ich ruhig sein«, schrie er wieder auf, »wenn ich Sie erblicke vor meinen Augen? Sie sind mein Feind, Sie haben mich ruiniert hier und haben mich ruiniert da. Sie sind gewesen für mich wie der Böse mit dem Schwerte, an welchem der Tropfen Galle hängt. Ich habe aufgetan den Mund, und Sie haben mir hineingestoßen Ihr Schwert, die Galle ist gekommen in mein Herz, und ich muß zittern, wenn ich Sie ansehe.«

»Werden Sie ruhig«, sagte Itzig, »und wenn Sie ruhig sind, dann hören Sie mich an.«

»Heißt er Itzig?« summte der Alte wieder vor sich hin. »Er nennt sich Itzig, aber wenn er in die Stadt geht, heulen die Hunde. Ich will Sie nicht sehen«, rief er, sich wieder aufrichtend, »gehn Sie hinaus, es ist mir zuwider Ihr Anblick, ich will lieber zu tun haben mit einer Spinne als mit Ihnen.«

Veitel sagte mit Ergebung: »Was geschehen ist, Ehrenthal, ist geschehen und ist darüber nicht mehr zu reden. Sie sind feindlich gewesen gegen mich, und ich habe gehandelt gegen Sie, es ist gewesen einer wie der andere.«

»Er hat gegessen alle Sonntage in meinem Hause«, grollte der Alte wieder.

»Weil Sie daran denken«, fuhr Veitel fort, »will ich auch daran denken. Ja, ich habe gegessen an Ihrem Tische, und deswegen tut es mir leid, wenn wir beide in Feindschaft gekommen sind. Ich habe immer gehabt eine große Anhänglichkeit an Ihr Haus.«

»Du hast mir gezeigt deine Anhänglichkeit, junger Itzig«, fuhr der Alte fort. »Du bist es, der gekommen ist in mein Haus und der mich hat geschlagen, noch bevor ich liege in meinem Grabe; du bist es, welcher mir macht alle Tage das Chibbut Hakkefer.«

»Was reden Sie für ungewaschenes Zeug«, rief Veitel ärgerlich, »was tun Sie immer, als ob Sie wären tot und ich der böse Geist mit dem Schwerte? Ich bin hier und will Ihnen bringen gutes Leben und nicht den Tod. Ich will machen, daß Sie wieder zu Ansehn kommen unter unsern Leuten und daß die auf der Straße wieder abnehmen den Hut, wie sie ihn abgenommen haben, bevor der Hirsch Ehrenthal kindisch wurde.«

Ehrenthal nahm mechanisch seinen Hut ab und setzte ihn wieder auf. Sein Haar war weiß geworden.

»Es soll Freundschaft werden zwischen Ihnen und mir«, fuhr Veitel beredt fort, »und Ihre Geschäfte sollen mir sein wie die meinigen. Ich habe Ihnen geschickt mehr als einen Mann aus Ihrer Verwandtschaft und habe Ihnen sagen lassen, was ich von Ihnen will, und Ihre Frau, die Madame Ehrenthal, hat Ihnen oft dasselbe gesagt. Ich bin ein Mann geworden, der seine Geschäfte mit den besten Leuten macht, ich kann Ihnen ein sicheres Kapital aufweisen, das größer sein wird, als Sie denken. Warum sollen wir nicht unser Geld zusammentun? Wenn Sie als Vater mir geben wollen Ihre Tochter Rosalie, so werde ich an Ihnen handeln können als Ihr Schwiegersohn.«

Der alte Ehrenthal sah den Freiwerber mit einem Blicke an, in dem ein Strahl der alten Schlauheit durch die blöde Schwäche blitzte. »Wenn Sie haben wollen meine Tochter Rosalie«, erwiderte er, »so sollen Sie hören die einzige Frage, die ich habe an Sie. Was können Sie mir geben, wenn ich Ihnen gebe die Rosalie?«

»Ich will’s Ihnen vorrechnen zu jeder Stund’«, rief Veitel.

»Sie können mir vorrechnen vieles«, sagte Hirsch Ehrenthal abwehrend. »Aber ich will nur eines von Ihnen fordern. Wenn Sie mir wiedergeben können meinen Sohn Bernhard, so sollen Sie haben meine Tochter. Können Sie mir nicht holen meinen Bernhard aus dem Grabe, so sage ich Ihnen, solange ich eine Stimme habe in meinem Munde: Gehen Sie hinaus, hinaus aus meinem Kontor. Hinaus!« schrie er in plötzlicher Wut und ballte seine Hände gegen den Freier. Veitel trat eilig in den Schatten der Tür, der alte Mann sank in seinen Stuhl zurück und drohte und schwatzte wieder vor sich hin.

Itzig sah von der Tür dem Treiben zu, bis die Klage des Alten aufhörte und nur undeutliche Worte von seinen Lippen fielen; dann zuckte er mit den Achseln und verließ das Zimmer.

Während er die Treppe hinaufstieg, den Frauen seinen Besuch zu machen, bewegte er noch oft die Achseln, um seine Verachtung des Schwächlings auszudrücken. Dann zog er an der Klingel und wurde von der Köchin mit zerknitterter Haube unter vertraulichem Lächeln eingelassen.

Unterdes eilte Eugen ratlos aus einer Offiziersstube in die andere. Er trat in die Weinstube von Feroni, die Austern waren nicht zu genießen, der Burgunder schmeckte wie Tinte. Wieder lief er die Straßen auf und ab, Angstschweiß auf der Stirn. So verging dem armen Jungen der Tag. Endlich setzte er sich todmüde in eine Konditorei und überdachte noch einmal die letzten Möglichkeiten. Wenn Wohlfart zur Stelle wäre! Aber es war zu spät, ihn zu benachrichtigen. Die Agenten hatten ihn mit unbestimmten Versprechungen einer Verlängerung hingehalten, erst gestern abend hatten sie ihm beide zu gleicher Zeit geschrieben, daß diese Forderung auf Herrn Itzig übergegangen sei. Wohl war es zu spät, an Wohlfart zu schreiben, aber hatte dieser zuverlässige Freund nicht irgendeinen Bekannten am Orte? – Als Anton den jungen Sturm empfohlen, hatte er ihm gesagt: »Der Vater des Amtmanns ist ein sicherer Mann und nicht ohne einige Mittel.« Vom Vater eines Husars, der im Dienste seiner Familie stand, konnte er vielleicht das Geld erhalten, wenn der Alte überhaupt Geld hatte. Das war die Frage. Er forderte das Adreßbuch: Johann Sturm, Auflader, Inselgasse 17. In einer Droschke fuhr er hinaus. Eilig pochte er an, ein mächtiges Herein war die Antwort. Der geängstigte Offizier überschritt die Schwelle des Aufladers.

Vater Sturm saß einsam bei seinem Bierkruge, ein kleines Tageblatt in der Hand, so klein, daß jedermann einsah, es war für den alten Sturm weder geschrieben noch gedruckt noch ausgegeben worden. »Ein Husar«, rief Sturm und blieb vor Erstaunen auf seiner Bank sitzen. Auch der Offizier war betroffen von der kolossalen Gestalt, die ihn mit großen Augen anstarrte; so sahen beide einander an.

»Richtig«, sagte der Riese, »es ist ein Husar vom Regiment meines Karl; der Rock stimmt, die Schnüre stimmen. Seid mir gegrüßt, Kamerad.« Er erhob sich. Jetzt erst erkannte er das Metall der Schnüre. »Der Tausend, ein Herr Offizier!«

»Mein Name ist Eugen von Rothsattel«, begann der Leutnant, »ich bin ein Bekannter von Herrn Wohlfart.«

»Von Herrn Wohlfart und von meinem Sohne Karl«, sagte Sturm im Eifer, »hier nehmen Sie Platz, Herr Offizier, es ist mir ausnehmende Freude und Ehre.« Er trug einen Stuhl herbei und setzte ihn in seinem Diensteifer vor Eugen hin, daß die Tür schütterte. Eugen wollte sich setzen. »Noch nicht«, sagte der alte Sturm, »erst abwischen, die Uniform könnte leiden. Seit mein Karl fort mußte, ist es hier etwas staubig.« Er wischte und glättete mit einem Tuche den Stuhl für seinen Gast. »So, mein Herr, jetzt erlauben Sie, daß ich mich Ihnen gegenübersetze. Sie bringen mir Nachricht von meinem Kleinen?«

»Keine andere«, erwiderte Eugen, »als daß er sich wohl befindet und daß mein Vater mit seiner Tätigkeit sehr zufrieden ist.«

 

»So?« rief Sturm, über das ganze Gesicht lachend, und klopfte mit seinen Fingern auf den Tisch, daß ein kleines Erdbeben in der Stube entstand. »Ich wußte, daß Ihr Herr Vater mit ihm zufrieden sein würde. Ich hätte Ihnen das schriftlich geben wollen auf Stempelpapier. Er war schon ein praktischer Junge, als er noch so groß war«, er bezeichnete mit der Hand einen Zustand menschlicher Kleinheit, welche keinem sterblichen Menschen auch nicht am ersten Tage seines sichtbaren Lebens vergönnt ist.

»Kann er denn aber auch alles machen?« fragte er ängstlich weiter. »Wegen dem, Sie wissen schon.« Er hielt dem Leutnant seine großen Finger entgegen und machte mit diesen vertrauliche Zeichen in der Luft. »Mittelfinger und Goldfinger, ach, das war ein großes Unglück, Herr Offizier!«

Eugen erinnerte sich an den unglücklichen Zufall. »Er hat’s überwunden«, sagte er, verlegen über die Rolle, zu welcher das Vatergefühl des Riesen ihn verurteilte. »Was mich zu Ihnen führt, ist eine Bitte.«

»Eine Bitte?« lachte Sturm. »Fordern Sie, Herr Baron, das ist keine Redensart. Jeder aus dem Hause, in welchem mein Sohn wohnt und Amtmann ist, hat das Recht, von dem alten Sturm zu fordern. Das ist meine glatte Ansicht.« – Er strich mit der Hand über den Tisch.

»Um es also kurz zu sagen, Herr Sturm«, fuhr Eugen fort, »ich bin in der Lage, morgen eine große Zahlung zu machen, und bedarf dazu Geld. Die Sache ist plötzlich gekommen; ich habe keine Zeit mehr, meinen Vater zu benachrichtigen. Ich weiß hier in der Stadt niemanden, an den ich mich mit solchem Vertrauen wenden möchte, als an den Vater unsers Amtmanns.«

Sturm beugte sich vor und schlug den Offizier in seiner Freude auf das Knie. »Das war ehrlich gesprochen; Sie sind ein Herr, der auf sein Haus hält und der nicht zu Fremden geht, wenn er das Ding von seinen Leuten haben kann. Sie brauchen Geld? Mein Karl ist Amtmann bei Ihrem Herrn Vater, mein Karl hat etwas Geld, so ist alles in Ordnung. Wieviel brauchen Sie? Sind’s hundert, sind’s zweihundert Taler? Geld ist da.«

»Fast nehme ich Anstand, Herr Sturm, Ihnen die Summe zu nennen«, sagte Eugen befangen, »es sind neunzehnhundert Taler.«

»Neunzehnhundert Taler«, wiederholte der Riese erstaunt, »das ist ein Kapital, es ist ein Haus, das ist, was die Leute ein Geschäft nennen.«

»Das ist es, Herr Sturm«, fuhr Eugen bekümmert fort. »Und da Sie so freundlich gegen mich sind, so muß ich Ihnen auch sagen, es tut mir herzlich leid, daß es soviel ist. Ich bin bereit, Ihnen einen Schuldschein darüber auszustellen und das Geld, so hoch Sie wollen, zu verzinsen.«

»Wissen Sie was«, sagte Sturm nachdenkend, »über die Zinsen wollen wir nicht reden, das machen Sie mit meinem Karl ab. Was aber den Schuldschein betrifft, so ist das ein guter Gedanke von Ihnen. Ein Schein ist angenehm wegen Leben und Sterben. Sie und ich, wir brauchen das nicht gegeneinander, aber ich kann sterben vor meiner Zeit. Das würde nicht schaden, denn alsdann sind Sie da, der von der Geschichte weiß. Aber Sie könnten sterben, was ich gar nicht fürchte; im Gegenteil«, setzte er begütigend hinzu, »aber Sie könnten doch sterben, und dann müßte mein Karl Ihre Unterschrift haben, damit er hervortreten könnte und sagen: ›Mein armer junger Herr Baron hat dies hier geschrieben, folglich zahlt.‹«

»Also Sie wollen die Güte haben, mir das Geld zu leihen?«

»Es ist keine Güte«; sagte Sturm verweisend, »es ist meine Schuldigkeit, da die Sache ein Geschäft ist und mein Zwerg Ihr Amtmann ist.«

Gerührt sah Eugen in das lachende Gesicht des Riesen. »Aber Herr Sturm, ich brauche das Geld schon morgen«, sagte er.

»Natürlich«, erwiderte Sturm, »das ist gerade, was mir recht ist. Kommen Sie, Herr Baron.« Er nahm das Licht und führte ihn in die Kammer. »Entschuldigen Sie nur, daß es hier so unordentlich aussieht, ich bin ein einzelner Mann und den ganzen Tag bei meiner Arbeit. Sehen Sie, hier ist mein Geldkasten.« Er zog den eisernen Kasten hervor. »Vor Spitzbuben ist er sicher«, setzte er mit Selbstgefühl hinzu. »Niemand in der Stadt kann ihn von der Stelle rücken als ich, niemand kann ihn aufschließen, denn das Schloß ist das Meisterstück von dem Vater meiner seligen Frau. Es können wenige den Deckel aufheben außer mir, und wenn ihrer viele kommen, so finden sie Arbeit, die ihnen zu heiß wird. Glauben Sie, daß das Geld hier sicher ist vor den Gaunern und solchem Volk?« fragte er triumphierend. Er war im Begriff, den Schlüssel ins Schloß zu stecken. »Halt«, unterbrach er sich, »noch eins: ich habe ein Vertrauen zu Ihnen, Herr Baron, wie zu meinem Karl, das versteht sich, aber beantworten Sie mir zuvor diese Frage: Sind Sie auch der junge Herr Baron?«

Jetzt konnte Eugen lächeln, er griff in seine Tasche: »Hier ist mein Patent.«

»Ah, viel Ehre!« entgegnete Sturm, faßte das Papier behutsam und las bedächtig den Namen, dann sah er auf die Züge, die darunter standen, neigte sein Haupt und gab es mit zwei Fingern in großem Respekt zurück.

»Und hier«, fuhr Eugen fort, »habe ich zufällig einen Brief Wohlfarts in der Tasche.«

»Versteht sich«, rief Sturm, auf die Adresse blickend, dieses ist seine leibhaftige Hand.

»Und hier seine Unterschrift«, sagte Eugen.

»Ihr ergebenster Wohlfart«, las der Riese. »Ja, wenn der das schreibt, so können Sie glauben, daß es wahr ist. – So, jetzt ist das Geschäftliche abgemacht«, erklärte er und schloß den Kasten auf. »Hier ist Geld. Also neunzehnhundert Taler.« Er hob fünf große Beutel aus dem Kasten, faßte sie gemächlich mit einer Hand und überreichte sie Eugen. – »Hier tausend.«

Eugen versuchte vergebens, die Beutel festzuhalten.

»Ja so«, bemerkte der Riese, »ich werde sie Ihnen schon in den Wagen tragen; das andere muß ich Ihnen in Pfandbriefen geben. Diese sind etwas weniger wert als hundert Taler, das wissen Sie natürlich.«

»Es tut nichts«, sagte Eugen.

»Nein«, antwortete der Riese, »Sie bemerken’s in dem Schuldschein. So ist das Geschäft glücklich abgemacht.« Er schloß den Kasten wieder zu und schob ihn unter das Bett.

Eugen trat mit leichtem Herzen in das Zimmer. »Jetzt trage ich ihnen die Säcke nach dem Wagen«, erbot sich Sturm.

»Noch den Schuldschein«, erinnerte Eugen.

»Richtig«, nickte der Riese, »Ordnung muß sein. Sehen Sie zu, ob Sie mit meiner groben Feder schreiben können. Hätte ich gewußt, daß ich einen so feinen Besuch haben würde, so hätte ich mir eine bessere von Herrn Schröter mitgebracht.«

Eugen verfaßte einen Schuldschein, Sturm saß unterdes neben seinem Bierkruge ihm gegenüber und sah ihm in behaglicher Stimmung zu. Dann begleitete er ihn zum Wagen und sagte beim Abschied: »Grüßen Sie mir recht herzlich meinen Kleinen und Herrn Wohlfart. Ich hatte dem Karl versprochen, zu Weihnachten zu ihm zu kommen wegen des Christbaums. Aber es geht nicht mehr recht mit meiner Gesundheit. Neunundvierzig sind vorbei!«

Einige Zeit darauf schrieb Eugen an Anton und zeigte ihm kurz an, daß er von dem Vater Sturm neunzehnhundert Taler gegen einen Schuldschein geliehen habe. »Suchen Sie die Sache zu arrangieren«, schloß der Brief, »natürlich darf mein Vater nichts davon erfahren. Ein gutherziger, närrischer Teufel, der alte Sturm; denken Sie auf etwas Hübsches für seinen Sohn, den Husar, das ich ihm mitbringen kann, sobald ich zu Euch komme.«

Empört warf Anton den Brief auf den Tisch. »Es ist ihnen nicht zu helfen, der Prinzipal hatte recht. In goldenen Armbändern für eine feile Tänzerin, mit den Würfeln unter zuchtlosen Kameraden hat er das Geld vergeudet und bezahlt seine Wucherschulden mit dem sauren Verdienst eines ehrlichen Arbeiters.« Er rief Karl in sein Zimmer.

»Es hat mir manchmal leid getan, daß ich dich in diese Unordnung hereingezogen habe, heut fühle ich tief, daß es ein Unrecht war. Ich schäme mich, dir zu sagen, was geschehen ist. Der junge Rothsattel hat die Gutherzigkeit deines Vaters benutzt, ihm neunzehnhundert Taler abzuborgen.«

»Neunzehnhundert Taler von meinem Alten!« rief Karl erstaunt. »Hat mein Goliath so viel Geld zu verleihen? Gegen mich hat er immer getan, als verstände er nicht zu sparen.«

»Ein Teil deines Erbes ist hingegeben gegen einen wertlosen Schuldschein, und die Sache wird noch empörender durch die Gleichgültigkeit, mit welcher der leichtsinnige Borger sie behandelt. Hat dir denn dein Vater gar nichts darüber geschrieben?«

»Der«, rief Karl, »das tut er sicher nicht. – Mir ist nur unlieb, daß Sie sich über die Geschichte so sehr ärgern. Ich bitte Sie um alles, machen Sie keinen Lärm. Sie wissen am besten, wieviel Wolken über diesem Hause stehen, vergrößern Sie den Kummer der Eltern nicht um meinetwillen.«

»Hier schweigen«, erwiderte Anton, »heißt sich zum Mitschuldigen eines schlechten Streichs machen. Du, schreib deinem Vater auf der Stelle, er soll in Zukunft niemals wieder so gefällig sein; denn der Kavalier ist imstande, bei nächster Gelegenheit wieder zu deinem Vater zu gehn.«

Darauf schrieb Anton an Eugen: ›Ein Arrangieren Ihrer Schuld ist unmöglich, wenn ich Ihrem Herrn Vater davon nichts mitteilen soll, und selbst in diesem Falle weiß ich wenigstens nicht, wo eine Deckung derselben gefunden werden kann. Ich verschweige Ihnen nicht, daß ich Ihre Anleihe bei dem Vater des Amtmanns Sturm für sehr unrecht halte. Sie und Ihr Herr Vater haben der aufopfernden Tätigkeit des Sohnes ohnedies so viel zu danken, daß das geringe Gehalt, das dieser unter den hiesigen Verhältnissen erhalten kann, nur als eine ungenügende Vergütung erscheint. Deshalb muß ich Sie dringend bitten, dem Auflader Sturm wenigstens so viel Sicherheit zu verschaffen, als ihm gegeben werden kann. Diese Sicherheit liegt in der Anerkennung der Schuld durch Ihren Herrn Vater. Sie werden mit mir einverstanden sein, daß am zweckmäßigsten Sie selbst dem Herrn Freiherrn die nötigen Mitteilungen machen. Ich bitte, dies nicht bis zu Ihrem Besuch hinauszuschieben, weil mir jede Woche, in welcher die Angelegenheit unerledigt bleibt, als Verlängerung einer Täuschung erscheint, welche Ihrer nicht würdig ist.‹

Und zu Karl sagte Anton: »Wenn er seinem Vater kein Bekenntnis macht, so werde ich am ersten Tage seines Besuchs den Freiherrn in seiner Gegenwart von dem Schuldschein unterrichten. Sprich nicht dagegen, du bist gerade wie dein Vater.«

Die Folge dieses Briefes war, daß Eugen an Anton gar nicht mehr schrieb und dem nächsten Brief an seinen Vater einige nicht ganz verständliche Sätze zufügte. Wohlfart sei ein Mann, gegen den sie wohl einige Verpflichtungen hätten, das Schlimme sei nur, daß bei solchen Leuten dadurch Dünkel entstehe und ein Hofmeisterton, der unerträglich werden könne. Am besten sei, sich dergleichen Menschen mit gutem Abstand vom Halse zu schaffen. Diese Ansicht war sehr nach dem Herzen des Freiherrn, und er lobte sie höchlich: »Eugen hat immer ein richtiges Urteil«, sagte er, »auch ich wünsche sehnlich, daß der Tag redet bald kommt, wo ich selbst wieder imstande bin, die Wirtschaft zu übersehen und unsern Herrn Wohlfart zu entlassen.«

Die Baronin, welche den Brief ihrem Gemahl vorgelesen hatte, entgegnete: »Du würdest Wohlfart doch sehr vermissen, wenn er je von uns scheiden sollte.« Dann legte sie den Brief zusammen und verbarg ihn in der Tasche ihres Kleides.

Lenore aber war außerstande, ihren Unwillen zu beherrschen, sie verließ schweigend das Zimmer und suchte Anton in dem Wirtschaftshofe auf.

»Was haben Sie mit Eugen?« rief sie ihm entgegen.

»Hat er mich bei Ihnen verklagt?« fragte Anton.

»Bei mir nicht«, versetzte Lenore, »aber er spricht in seinem Briefe an die Eltern nicht in der Weise von ihnen, die ihm sonst so gut stand.«

»Vielleicht ist’s Zufall«, erwiderte Anton, »oder eine Verstimmung, die sich wohl geben wird.«

»Nein, es ist mehr, und ich will es wissen.«

»Wenn es mehr ist, so können Sie es nur von ihm selbst erfahren.«

»Dann, Wohlfart«, rief Lenore, »hat Eugen etwas Unrechtes getan, und Sie wissen davon.«

»Was es auch sein mag«, entgegnete Anton ernst, »es ist nicht mein Geheimnis, sonst würde ich es Ihnen nicht verschweigen. Ich bitte Sie zu glauben, daß ich gegen Ihren Bruder ehrlich gehandelt habe.«

»Was ich glaube, kann Ihnen nichts nützen«, rief Lenore. »Ich soll von nichts wissen, ich verstehe nichts, ich kann in dieser angstvollen Zeit nichts tun, als mich ärgern, wenn man ungerecht gegen Sie ist.«

»Oft«, fuhr Anton fort, »fühle ich die Verantwortlichkeit, welche mir durch die Krankheit Ihres Herrn Vaters aufgelegt wird, als eine gefährliche Last; seine Verstimmung richtet sich natürlich auch manchmal gegen mich, der ich ihm Unwillkommenes mitteilen muß. Das ist nicht zu vermeiden. Ich habe den Mut, auch peinliche Stunden durchzumachen, solange Sie und die Frau Baronin sich die Überzeugung nicht erschüttern lassen, daß ich immer in Ihrem Interesse handle, so gut ich es verstehe.«

 

»Meine Mutter weiß, was Sie uns sind«, sagte Lenore. »Niemals spricht sie zu mir von Ihnen, aber ich sehe es an ihrem Blick, wenn sie über den Tisch auf Ihr Gesicht sieht. Sie hat immer zu verbergen gewußt, was sie dachte, ihren Schmerz und ihre Sorgen, jetzt verhüllt sie sich noch mehr als sonst. Auch vor mir. Wie hinter einem weißen Schleier sehe ich ihr reines Bild; ihr Körper ist so schwach geworden, daß mir manchmal die Tränen in die Augen steigen, wenn ich sie ansehe. Sie spricht immer das Gute und Verständige, aber sie scheint teilnahmslos für vieles, und wenn sie bei meinen Reden lächelt, so ist mir, als mache auch die Heiterkeit ihr innern Schmerz.«

»Ja, so ist sie«, rief Anton traurig.

»Sie lebt nur noch für die Pflege des Vaters; was sie innerlich leidet, das erfährt niemand, auch ihre Tochter nicht. Sie ist wie ein Engel, Wohlfart, der nur noch ungern auf dieser Erde verweilt. Ich kann ihr nur wenig sein, und ich fühle das; ich bin so unbehilflich, und mir fehlt alles, was meine Mutter so schön macht, die Selbstbeherrschung, ihre ruhige Haltung, die reizende Form. – Die Krankheit des Vaters, der leichte Sinn des Bruders, und meine Mutter bei aller Liebe verschlossen gegen mich: Wohlfart, ich bin recht allein.« Sie lehnte sich auf den Brunnenrand und weinte.

»Vielleicht mußte es so kommen zu Ihrem Besten«, tröstete Anton mit warmem Mitgefühl von der andern Seite des Brunnens. »Sie sind eine kräftige Natur, und ich glaube, Sie können sehr leidenschaftlich empfinden.«

»Ich kann sehr böse sein«, sagte Lenore, unter Tränen beistimmend, »und wieder sehr ausgelassen.«

»Sie waren aufgewachsen, sorglos, in glücklichen Verhältnissen, und Ihr Leben war leicht wie ein Spiel.«

»Das Lernen ist mir schwer genug geworden«, schaltete Lenore ein.

»Ich denke mir, daß Sie in Gefahr waren, bei Ihrem Wesen ein wenig wild und übermütig zu werden.«

»Ich fürchte, ich war’s«, rief Lenore.

»Jetzt haben Sie schwere Leiden ertragen müssen, und die Gegenwart sieht hier recht ernsthaft aus. Und wenn ich Ihnen das sagen darf, liebes Fräulein, ich meine, Sie werden hier gerade das finden, was die Frau Baronin in der großen Welt gewonnen hat, Haltung und Innerlichkeit. Mir kommt manchmal vor, als hätten Sie sich schon verändert.«

»Ich war wohl früher ein recht unausstehlicher Wildfang«, fragte Lenore, unter Tränen lachend, und sah Anton trotz ihrer Ehrlichkeit mit mädchenhafter Schelmerei an. Anton mußte an sich halten, ihr nicht zu sagen, wie liebenswürdig sie in diesem Augenblick war. Aber der gute Junge bezwang sich tapfer und sagte so kühl als möglich: »Es war nicht so arg, liebes Fräulein.«

»Und wissen Sie, was Sie sind?« fragte Lenore scherzend. »Sie sind, wie Eugen schreibt, ein kleiner Schulmeister.«

»Also das hat er geschrieben«, rief Anton erleichtert.

Lenore wurde plötzlich ernst. »Sprechen wir nicht von ihm. Als ich seinen Brief hörte, kam ich her, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen vertraue wie niemandem sonst auf Erden, wenn es nicht meine gute Mutter ist, daß ich Ihnen immer vertrauen werde, solange ich lebe, daß nichts meinen Glauben an Sie erschüttern kann, daß ich überzeugt bin, Sie sind der einzige Freund, den wir in unserer Not haben, und daß ich Ihnen auf den Knien abbitten möchte, wenn jemand Sie in der Stille mit Worten kränkt oder auch nur durch seine Gesinnung.«

»Lenore, liebes Fräulein«, unterbrach Anton glücklich, »sprechen Sie nicht weiter.«

»Und doch wollte ich sagen«, fuhr Lenore fort, »wie ich Sie bewundere, daß Sie so sicher unter uns ihren Weg gehen und mit allen Leuten fertig werden, ohne sich etwas zu vergeben, und wie Sie allein es sind, der auf diesen Gütern Ordnung einführt und einen bessern Zustand. Das lag mir auf der Seele, und jetzt wissen Sie’s, Wohlfart.«

»Ich danke ihnen, Fräulein«, versetzte Anton, »Sie machen mir durch Ihre Worte einen frohen Tag. Aber ich bin nicht so sicher und stark, als Sie glauben. Und wenn ich dies Gut ansehe, und was darauf geschehen muß, so fühle ich alle Tage mehr, daß ich’s nicht bin, der hier gründlich helfen kann. Wenn ich jemals wünschen könnte, daß Sie nicht die Tochter des Freiherrn wären, sondern ein Mann, so ist es, wenn ich über die Äcker dieses Gutes gehe.«

»Ja, sehen Sie«, sagte Lenore, »das ist mein alter Kummer, unser früherer Amtmann hat mir das auch schon gesagt. Wenn ich über meinem Stickmuster sitze und Sie mit Herrn Sturm auf das Feld gehen sehe, dann wird mir glühend heiß, und ich werfe meinen unnützen Kram beiseite. Ich kann nichts als Brot essen und verstehe nichts als Geld für Spitzen auszugeben, und auch das verstehe ich noch nicht einmal, wie Mama sagt. Sie aber müssen sich schon die ungeschickte Lenore gefallen lassen als Ihre gute Freundin.« Dabei sah sie ihm treuherzig in die Augen.

»Seit vielen Jahren habe ich Ihre Freundschaft in meiner Seele gefühlt als ein großes Glück«, rief Anton bewegt. »Immer, bis zu dieser Stunde, ist es meines Herzens Freude gewesen, mich in der Stille als Ihren treuen Freund zu betrachten.«

»Und so soll es immer zwischen uns beiden bleiben«, sagte Lenore. »Jetzt bin ich wieder ruhig. Und jetzt ärgern Sie sich nicht mehr über Eugens dumme Streiche; ich tue es auch nicht.«

So trennten sich die beiden wie unschuldige Kinder, die ein süßes Behagen darin finden, einander das zu erzählen, was die Leidenschaft zu verbergen sucht.