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Soll und Haben

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Die Frau des Vogts trat mit ihrem Knaben herzu, als die Männer aufbrachen, ihr Gesicht leuchtete vor Freude über die bevorstehende Verbesserung ihrer Lage.

»Es ist gut«, sagte Anton lächelnd, »ich hoffe, wir werden miteinander zurechtkommen. Und jetzt zu den Schafen. Wir gehen, kommt mit uns, Vogt.« Der Wagen fuhr langsam über das Feld voraus, der Vogt erklärte eifrig den Zustand der Feldstücke; nicht der vierte Teil des Ackers, welcher zu dem Vorwerk gehörte, war bestellt, lange Strecken lagen seit Jahren als Weideland in Ruhe.

Ungeduldig eilte Karl voraus, als sie sich dem wolligen Volk näherten, welches gegenwärtig fast der einzige Schatz lebender Wesen war, der dem Gute gehörte. Langsam mit breitem Schritt kam der Schäfer den Fremden entgegen, begleitet von seinen zwei Hunden, dem erfahrenen alten, welcher gleichen Schritt mit seinem Herrn hielt und, ebenso bedächtig wie sein Brotherr, das neue Schicksal des Gutes herankommen sah, und von einem jungen Köter, der als Lehrling in dem schweren Berufe eines Schäferhundes sich vergeblich bemühte, den Schein ruhiger Würde zu behaupten; er lief immer wieder in jugendlicher Hitze seinem Herrn vor und bellte die Fremden an, bis ein mißbilligendes Knurren seines erfahrenen Kameraden ihn zum Stillstehn brachte. Der Schäfer nahm mit Förmlichkeit seinen breiten Filzhut ab und erwartete die Anrede der Fremdlinge. Als denkender Mann und Naturkundiger wußte er allerdings, wen er vor sich sah, aber es hätte einem, dessen ganzes Leben darauf gerichtet war, vorschnelles Wesen an Schafen und Hunden zu bändigen, sehr schlecht gestanden, wenn er selbst die Neugierde eines Böckleins gezeigt hätte. Der Vogt stellte mit einer kreisförmigen Handbewegung dem Schäfer die beiden Herren vor, und der Schäfer neigte mehrmals seinen Kopf in einer Weise, welche anzeigte, daß er die Bedeutung der ausgesprochenen Worte vollständig begreife.

»Eine hübsche Herde, Schäfer«, redete ihn Anton an.

»Fünfhundertfünfundzwanzig Stück«, antwortete der Schäfer, »darunter sechsundachtzig Lämmer, dort hinten vierzig Masthammel.« Er suchte mit forschendem Blick in der Herde nach einem Schaf, welches die wünschenswerten Eigenschaften eines Probestücks hatte, beugte sich nieder, faßte das Tier mit schnellem Ruck an den Hinterbeinen und zeigte die Wolle. Karl begann die Untersuchung. Es waren große starkgebaute Tiere, wie sie zu den Verhältnissen des Gutes paßten, und gleichmäßiger in Bau und Wolle, als sich nach allem hoffen ließ. »Wenn sie Futter kriegen, geben sie ihre Wolle«, sagte der Schäfer stolz. »Es ist Kernwolle.«

Ein Jährling war so unvorsichtig, zu husten. Der Schäfer sah mißbilligend auf das vorlaute Tier. »Die Herde ist ganz gesund«, erklärte er.

»Wie lange seid Ihr hier im Dienst?« fragte Anton.

»Neun Jahre«, erwiderte der Mann. »Als ich herkam, war das Vieh wie die Pudel in der Stadt, mit nacktem Hinterteil. Es hat Mühe gemacht, niemand hat sich um die Herde bekümmert; es ist deswegen nicht schlechter gegangen. Wenn ich nur immer Erbsenstroh gehabt hätte und in diesem Winter die ordinären Erbsen für die Mütter.«

»Wollen sehen, was sich tun läßt«, tröstete Anton. »Es ist knapp in der Wirtschaft für diesen Winter.«

»Das ist wahr«, gab der Schäfer zu, »aber hier ist schöne Brachweide.«

»Ich glaube gern«, sagte Anton lächelnd, »daß Eure Schafe nicht unzufrieden sind. Es gibt wenig Felder, auf denen Euer Hund nicht zu jeder Jahreszeit gebellt hat. Mit Freuden habe ich gehört, wie brav Ihr die Herde für Euren neuen Herrn verteidigt habt. Sind die Leute hier Euch oft ärgerlich gewesen?«

»Ich könnt’s nicht sagen, Herr«, versetzte der Schäfer, »die Menschen sind sich überall gleich, sie wollen nicht parieren und sie haben keine Überlegung. Ich richte eher einen Hund ab für die Herde als einen Menschen.« Er stützte sich breitspurig auf seinen langen Stab und sah mit Wohlgefallen auf seinen Hund herunter, der unterdes pflichtgetreu die Herde umbellt hatte und jetzt zu seinem Herrn zurückkam, um seine Schnauze vertraulich an dessen Hosen abzuwischen. »Sehen Sie diesen Hund an! Wenn ich einen Hund zwei Jahre in der Lehre gehabt habe, so ist er entweder gut, oder er ist nicht gut. Wenn er nicht gut ist, so jage ich ihn fort und bin fertig mit ihm; wenn er einmal gut geworden ist, so kann ich mich, solange er lebt, auf ihn verlassen wie auf mich selber. Den jungen dort bei den Hammeln habe ich drei Jahre im Dienst, und ich kann keine Stunde dafür stehen, daß er nicht einen verrückten Einfall bekommt und, anstatt meine Schafe nach rechts zu treiben, selber nach links läuft. Deswegen sage ich, es ist auf Menschen kein Verlaß.«

»Und auf wen verlaßt Ihr Euch in dieser Welt?« fragte Anton.

»Zuerst auf mich selber«, sagte der Schäfer, »denn ich kenne mich, und dann auf meinen Hund Krambow, den kenne ich auch, und außerdem noch zuletzt, wie sich’s gehört« – er winkte mit dem Kopfe ein wenig nach der Höhe; dann pfiff er leise seinem Hunde, Krambow fuhr wieder im Kreise um die Herde. »Und Sie«, fuhr der Schäfer fort, »werden Sie hierbleiben bei dem Baron?«

»Ich denke, ja«, antwortete Anton.

»Und darf ich fragen, als was? Inspektor und Amtmann sind Sie nicht, denn Sie haben sich die Hammel noch nicht angesehen. Die Hammel müssen fort, es ist hohe Zeit. Also, darf ich fragen, was sind Sie bei dem neuen Herrn?«

»Wenn’s ein Titel sein soll«, erwiderte Anton, »so nennt mich Rechnungsführer.«

»Rechnungsführer«, wiederholte der Schäfer nachdenkend, »da darf ich wohl mit Ihnen über mein Deputat reden?«

»Das sollt Ihr, Schäfer, das nächste Mal, wenn ich Euch sehe.«

»Es hat keine Eile«, sagte der Schäfer, »man will nur wissen, wie? In meiner Stube ist eine Glasscheibe zerbrochen, der Glaser wird jetzt wohl wieder aufs Schloß kommen, da bitte ich, Herr Rechnungsführer, daß Sie an mich denken.«

Karl und der Vogt traten heran, Anton rief dem Kutscher: »Nach der Försterei.«

»Sie wollen zum Förster?« fragte der Vogt mit verlegener Miene.

»Er will zum Förster!« wiederholte der Schäfer und trat einige Schritte näher.

»Weshalb wundert Euch das?« forschte Anton aus dem Wagen.

»Es ist nur –«, sagte der Vogt stockend, »der Förster ist ein wunderlicher Mann. Und wenn nicht der Herr Baron selbst kommt, so wird er sich nicht ergeben.«

»Wohnt er denn in einer Festung?« fragte Anton lachend.

»Er hat sich eingeschanzt«, sagte der Vogt, »und läßt niemanden in sein Haus, er lebt auf seine eigentümliche Weise.«

»Er ist ein Waldmensch«, bestätigte der Schäfer, mit dem Kopfe nickend.

»Die Polnischen sprechen, er ist ein Schwarzkünstler«, fuhr der Vogt fort.

»Er kann verschwinden«, rief der Schäfer.

»Glaubt Ihr das auch?« fragte Karl erfreut.

»Es gibt keine Hexriche«, erklärte der Schäfer mit starker Mißbilligung seines Vorurteils, »die im Dorfe halten manchen dafür. Der Förster ist ein natürlicher Mann.«

»Er ist im Grunde ein guter Mann, aber er hat seinen Eigensinn«, sagte der Vogt.

»Ich hoffe, er wird meine Vollmacht respektieren«, entgegnete Anton, »es wäre sein Schade, wenn er es nicht täte.«

»Es wird doch besser sein, wenn ich mit dem Förster spreche«, bat der Vogt. »Wenn Sie mir erlauben wollen, mit Ihnen zu fahren; er hat zu mir ein gutes Zutrauen.«

»Meinetwegen«, schloß Anton, »nehmt die Zügel, der Knecht mag unterdes den Pflug führen, auf dem Rückwege setzen wir Euch ab. Und jetzt vorwärts zu dem gefährlichen Mann.«

Der Vogt lenkte in einen Feldweg, der in den Wald zwischen junges Kiefernholz führte. Der Boden war wieder Sand, der Baumwuchs kümmerlich. Über Wurzeln und Steine ging es auf einem Seitenwege tiefer in den Wald hinein; an einem Schlage von fünfzehnjährigem Holz hörte der Fahrweg auf, der Vogt schlang die Zügel um einen Baumstamm und bat die Herren auszusteigen. Auf schmalem Fußpfade schritten sie durch dickes Kieferngebüsch vorwärts, die langen Nadeln streiften an ihre Kleider, die eingeschlossene Luft war mit kräftigem Waldgeruch angefüllt. Hinter dem jungen Holz senkte sich der Boden, der Grund wurde feucht, grünes Moos hatte seine weichen Polster ausgebreitet, und eine Gruppe mächtiger Föhren streckte ihre dunklen Kronen hoch in die Luft. Hier lag das Försterhaus, von den braunen Ästen der Waldbäume überdacht, ein niedriger Holzbau, von einem starken Bretterzaun umgeben, um dessen Außenseite eine dreifache Reihe junger Fichten als Hecke gepflanzt war. Ein kleiner Quell rieselte unter dem Holz des Zauns hervor, von den Wedeln großer Farnkräuter bedeckt, fiel er murmelnd auf einige Steine. Unten das saftige Moosgrün, darüber die Stämme hundertjähriger Bäume, mit bärtigen Flechten bewachsen, und darin das Haus hinter grünendem Zaune versteckt, das war ein Anblick, der zwischen Sand und Heide wohl erfreuen mußte. Nirgends war ein Weg zu sehen, auf dem Moose nicht einmal die Spuren eines Fußtritts, nur das Hundegebell im Hof verkündete, daß nicht Frau Holle oder die sieben kleinen Zwerge in der Hütte wohnten, sondern leibhaftige Menschen.

Die Männer gingen um den Zaun herum, bis sie an eine schmale Tür kamen, die aus starken Bohlen zusammengenagelt und fest verschlossen war.

»Sein Dompfaff sitzt oben am Fenster«, sagte der Vogt, »er ist zu Hause.«

»So ruft ihn an«, befahl Anton.

»Er weiß längst, daß wir hier sind«, erwiderte der Vogt und wies auf eine Reihe kleiner Öffnungen im Zaune. »Sehen Sie die Gucklöcher? Er beobachtet uns schon, aber das ist seine Art so. Ich muß mein Zeichen geben, sonst wird er nicht aufmachen.« Der Vogt steckte zwei Finger in den Mund und pfiff dreimal, aber alles blieb still. »Er ist tückisch«, sagte der Vogt bekümmert. Wieder tönte sein gellender Pfiff, bis das Gebell der Hunde in Geheul überging und der Dompfaff am Dachfenster mit den Flügeln um sich schlug.

Endlich erklang eine rauhe Stimme von der andern Seite der Wand: »Wen, zum Henker, bringt Ihr mit Euch?«

 

»Macht auf, Förster«, rief der Vogt, »die neue Herrschaft ist da.«

»Geht zum Teufel mit Eurer Herrschaft«, antwortete die Stimme unwillig, »ich habe die Zucht satt.«

Der Vogt sah bestürzt auf Anton. »Öffnen Sie das Tor«, befahl dieser, »es wird Ihnen nützlich sein, wenn Sie freiwillig tun, wozu ich Sie zwingen kann.«

»Zwingen?« fragte die Stimme. »Seht zu, ob Ihr mit dem fertig werdet.« Der Lauf der Doppelflinte schob sich durch das Loch in der Tür und bewegte sich gemächlich hin und her.

»Das Gewehr wird Euch nichts helfen«, erwiderte Anton, »Wir haben etwas bei uns, was von heut ab in diesem Wald stärker sein soll als die Gewalt, und das ist unser Recht und das Gesetz.«

»So?« fragte die Stimme. »Und wer sind Sie denn?«

»Ich bin der Bevollmächtigte des neuen Gutsherrn und befehle Euch, diese Tür zu öffnen.«

»Heißen Sie Moses oder Levi?« rief die Stimme wieder. »Ich will mit keinem Bevollmächtigten der Welt zu tun haben. Wer als Bevollmächtigter zu mir kommt, den halte ich für einen Spitzbuben.«

»I so soll doch das Donnerwetter auf Euren harten Kopf fahren«, rief Karl in tiefster Entrüstung. »Wie könnt Ihr Euch unterstehen, von meinem Herrn so despektierlich zu reden, Ihr verrückter Kommißstiefel?«

»Kommißstiefel?« fragte die Stimme. »Das lasse ich mir gefallen, das ist das verständigste Wort, welches ich seit langer Zeit gehört habe.« Der Riegel schob sich zurück, und der Förster trat vor die Tür, die er wieder hinter sich zuzog. Er war ein kleiner breitschultriger Mann mit grauem Haar und einem langen grauen Bart, der ihm bis auf die Brust herabhing; in dem runzligen Gesicht glänzten zwei schlaue Augen wie Kohlen; er trug einen dicken abgeschabten Rock, dem Sonne und Regen jede Farbe ausgesogen hatten, hielt seine Doppelflinte in der Hand und blickte trotzig auf die Fremden. So glich er einem Stück Baumstamm aus dem Walde. Endlich fragte er: »Wer hat hier geschimpft?«

»Ich«, antwortete Karl hervortretend, »und Ihr sollt mehr erhalten als schwere Worte, wenn Ihr in Eurer Insubordination fortfahrt.«

»Was tragt Ihr für eine Mütze?« fragte der Alte, Karl aufmerksam betrachtend.

»Seid Ihr ein Pilz geworden in Eurem Walde, daß Ihr die nicht kennt?« versetzte Karl und schwenkte seine Soldatenmütze um den Kopf.

»Husar?« fragte der Alte.

»Invalide«, erwiderte Karl.

Der Alte wies auf ein kleines Band an seinem Rocke. »Landwehr«, sagte er, »1813 und 1814«.

Karl griff an die Mütze und salutierte: »Respekt, Alter; aber ein Grobian seid Ihr doch.«

»Na, Euch hört man’s auch nicht an, daß Ihr Invalide seid«, sagte der Förster. »Ihr seht toll genug aus, und fluchen könnt Ihr auch. Also Sie sind keine Händler und keine Agenten?« fragte er, zu Anton gewandt.

»So nehmt doch Vernunft an«, rief der Vogt. »Dieser Herr hier hat den Auftrag, das ganze Gut zu übernehmen und von jetzt ab zu verwalten, bis die Herrschaft selber kommt. Es wird bessere Zeit werden, Förster, der Herr ist anders, als die in der letzten Zeit hier waren. Ihr stürzt Euch ja ins tiefste Unglück mit Eurem widerhaarigen Wesen.«

»So?« sagte der Förster. »Um mein Unglück kümmert Euch nicht, ich werde schon allein damit fertig. Also Sie sind ein Bevollmächtigter? In den letzten Jahren ist alle Augenblicke ein anderer gekommen mit einer Vollmacht. Und das will ich Ihnen sagen«, fuhr er zornig fort und trat einige Schritte vor: »Bücher und Rechnungen finden Sie nicht bei mir. Meine Sache steht so: seit fünf Jahren habe ich als Förster, der über diesen Wald gesetzt ist, mich mit den Vollmachten herumgezankt, jede Vollmacht hat Klaftern geschlagen in ihre Tasche, und zuletzt sind die Bauern gekommen aus allen Dörfern und haben sich Holz geholt, soviel sie wollten, und wenn ich ihnen mein Eisen unter die Nase hielt, so hielten sie mir einen Spitzbubenzettel von einem Bevollmächtigten unter die Nase, der ihnen alles erlaubte. Ich hab’ nichts mehr zu sagen gehabt und habe hier für mich gelebt. Wild gibt’s wenig; was ich geschossen habe, habe ich aufgegessen und Haut und Balg verkauft, denn der Mensch muß leben. Seit fünf Jahren habe ich keinen Pfennig Salär erhalten, ich habe mir’s selbst genommen. Alle Jahre fünfzehn Stämme von diesen hier. So weit Sie dort die Lichtung sehen, stand neunzigjähriges Holz, fünfmal fünfzehn Stämme habe ich für mich niedergeschlagen, noch drei Winter reichen die Stämme, die hier stehen, auf solange geht meine Rechnung. Wenn der letzte niedergeschlagen war, dann wollte ich meine Hunde totschießen und mir einen stillen Platz im Walde aussuchen.« Er sah finster auf seine Flinte. »Dreißig Jahre habe ich hier gelebt, ich habe mein Weib und meine Kinder auf dem deutschen Kirchhofe begraben; was jetzt mit mir geschieht, bekümmert mich nicht. So weit um dieses Haus herum der Blaff meiner Hunde reicht und meine Kugel trägt, ist der Wald in Stand, das andere hat den Bevollmächtigten gehört. Das ist meine Rechnung, und jetzt machen Sie mit mir, was Sie wollen.« Er stampfte in großer Aufregung den Kolben auf die Erde.

»Auf das, was Sie mir gesagt haben«, erwiderte Anton, »werde ich Ihnen antworten in der Försterei und in der Stube, welche von jetzt ab Ihrem Brotherrn, dem Freiherrn von Rothsattel, gehört.« Er schritt zu der Tür und legte die Hand an den hölzernen Riegel: »So ergreife ich Besitz von dem Eigentum des neuen Brotherrn.« Er öffnete die Tür und winkte dem Förster: »Halten Sie Ihre Hunde zurück und führen Sie uns in Ihre Zimmer, wie es sich schickt.«

Der Förster widersprach nicht, er ging langsam voran, rief die Hunde ab und öffnete die Klinke seiner Haustür.

Anton trat mit seinen Begleitern in die Stube. »Jetzt, Förster«, sagte er, »da Sie uns dies Haus geöffnet haben, will ich Ihnen zur Stelle Bescheid sagen. Was bis zu diesem Tage an dem Walde von Ihnen geschehen ist, das ist nicht zu ändern, und darüber soll fortan keine Rede sein. Von heut ab erhalten Sie wieder festes Gehalt und Ihr Deputat, und wir werden deshalb untereinander einen neuen Vertrag machen. Und von heute stelle ich den Wald des Gutes und alles, was zur Wald- und Jagdgerechtigkeit gehört, unter Ihre Aufsicht. Ihre Pflicht ist, als braver Förster dem Gutsherrn zu stehen für sein Recht, und von dieser Stunde an mache ich Sie dafür verantwortlich. Ich werde Sie schützen bei jedem gesetzlichen Tun; wo ich selbst dies nicht vermag, werde ich die Hilfe des Gesetzes für uns fordern. Gegen jedes Unrecht, das an dem Walde verübt wird, werden wir strenge sein, damit die Unordnung aufhöre. Eine bessere Zucht soll auf diesen verwilderten Gütern eingeführt werden, und der neue Herr erwartet von Ihnen, daß Sie als gehorsamer und getreuer Mann ihm dabei helfen. Auch das wilde Leben im Busch, das Sie in den letzten Jahren geführt, soll aufhören; wir sind Landsleute, Sie werden regelmäßig auf das Schloß kommen und über den Wald Rapport bringen, und wir werden dafür sorgen, daß Sie sich in Ihren alten Tagen nicht verlassen fühlen. Wollen Sie ehrlich alles tun, was ich von Ihnen verlange, so reichen Sie mir Ihre Hand.«

Der Förster hatte verdutzt mit abgezogener Mütze die Rede Antons gehört, jetzt schlug er in die dargebotene Hand und sagte: »Ich will.«

»Mit diesem Handschlag«, fuhr Anton fort, »nehme ich Sie in Pflicht und Dienst im Namen des Gutsherrn.«

Der Förster hielt lange mit beiden Händen die Hand Antons fest und rief endlich: »Wenn ich’s noch erlebe, daß es auf diesem Gute besser wird, so soll mich’s freuen. Ich will tun, was ich kann; aber ich sage Ihnen im voraus, es wird harten Tanz setzen; durch die Verwalter und die liederliche Wirtschaft sind die Gutsleute wie die Räuber geworden, und ich fürchte, meine alte Flinte wird mehr als einmal das letzte Wort sprechen müssen.«

»Wir werden kein Unrecht ertragen und kein Unrecht tun; den Erfolg müssen wir abwarten«, erwiderte Anton ernst. »Und jetzt, Förster, zeigen Sie uns Ihre Wohnung und machen Sie sich zurecht, uns in den Wald zu begleiten.« Anton durchschritt das kleine Haus. Es war von Balken gezimmert, die Stube von innen mit Brettern verschlagen. Durch die kleinen Fensterscheiben fiel das Licht trübe herein, die braune Farbe der Bretterwände und die schwarze Balkendecke vermehrten die Dunkelheit und gaben dem Zimmer ein geheimnisvolles Aussehen. Nur undeutlich war zu erkennen, was rundum an der Wand befestigt war, Geweihe, Hundehalsbänder, Jagdgerät und ausgestopfte Vögel. Am Ofen stand ein kleiner Schrank mit Küchengeschirr. »Ich koche mir selbst«, sagte der Förster; »was ich brauche, hole ich aus der Schenke.« An den Fenstern hingen Vogelbauer zu zweien und dreien übereinander, und das Gezwitscher der kleinen Waldvögel, ein unaufhörliches Zanken, Locken und Schwatzen, klang wie eine heimliche Unterredung, die der Wald selbst mit seinem alten Wächter hielt. In der Nähe des Ofens saß ein Rabe mit struppigem Gefieder, weiße Federn schimmerten an seinem Kopfe und den Flügeln und bewiesen das hohe Alter des Vogels. Er hatte seinen Hals zusammengezogen und schien ganz in sich versunken, aber seine glänzenden Augen beobachteten jede Bewegung der Fremden. Neben der Wohnstube war die Schlafkammer, dort hingen die Gewehre, an dem Bett stand eine hölzerne Lade. Ein Gitter vor dem Fenster verriet, daß hier die Zitadelle des Hauses war.

»Wohin führt diese Tür?« fragte Anton, auf eine Falltür im Boden deutend.

»Es ist ein Kellerloch«, erwiderte der Förster zögernd.

»Ist es gewölbt?« fragte Anton.

»Ich führe Sie wohl hinunter«, sagte der Förster, »wenn Sie allein kommen wollen.«

»Erwartet uns im Hofe«, rief Anton seinen Begleitern in die Stube hinein.

Der Förster zündete eine Lampe an, verriegelte sorgfältig die Kammertür und ging mit dem Licht voran. »Ich hätte nicht gedacht«, sagte er, »daß bei meinen Lebzeiten ein fremdes Auge mein Geheimnis sehen sollte.« Wenige Stufen führten hinunter in ein enges Gewölbe, das durch einen Mauerritz notdürftig Licht erhielt. An der einen Seite aber war die Grundmauer durchbrochen, ein niedriger Stollen führte in die Erde. Er war durch Baumstämme abgestützt, die in spitzem Winkel aneinander ruhten.

»Dies ist mein Dachsbau«, sagte der Förster und hielt die Lampe in die dreieckige schwarze Öffnung; »der Weg führt unter der Erde fort bis in das junge Holz. Er ist über vierzig Schritte lang, und ich habe lange Zeit gebraucht, ihn auszugraben. Auf dem Wege krieche ich aus dem Hause und wieder herein, ohne daß es jemand merkt; und ihm verdanke ich, daß ich hier ausgehalten habe, denn er ist Ursache, daß die dummen Bauern mich als einen Hexenmeister fürchten. Wenn sie mich belauert hatten, daß ich in den Hof hineinging, und sich sicher glaubten bei einer Dieberei, stand ich auf einmal wieder hinter ihnen. Es sind jetzt zehn Jahre her, da überfiel eine Bande mein Haus, ich aber fuhr als Dachs durch die Röhre. Verraten Sie niemandem, was ich Ihnen gezeigt habe.«

Das versprach Anton, und sie kehrten zurück in den Hofraum. Dort fanden sie Karl beschäftigt, den hölzernen Trog eines jungen Fuchses zwischen vier Pflöcken festzuklammern, die er in den Boden schlug. Der Fuchs war unempfindlich gegen die Aufmerksamkeit des Husars, er fauchte ihn wütend an, rasselte mit seiner Kette und suchte fortwährend unter dem Brett, durch welches ihn Karl in die Hütte eingeschlossen hatte, die Hände und Waden des Arbeitenden anzufallen. »Willst du mir die Hand küssen, kleiner Rotkopf?« rief Karl hämmernd, »du bist ein artiger Junge, was du für treuherzige sanfte Augen hast! So, fertig; jetzt spring herüber und wieder zurück. Er folgt aufs Wort, Förster. Ein gutmütiges Tier, ganz Euer Naturell, Kamerad.«

Der Förster lachte. »Versteht Ihr mit einem Fuchseisen umzugehen?«

»Ich denke«, sagte Karl.

»Es sind mehr solche Burschen hier«, fuhr der Förster fort. »Wenn’s Euch recht ist, unternehmen wir’s den nächsten Sonntag.«

So schritten alle im besten Einvernehmen durch das Holz. Anton rief den Förster neben sich und ließ sich von ihm die nötigste Auskunft geben. Was der Alte berichtete, war freilich nicht gut, von schlagbarem Holze war kaum so viel vorhanden, als die Wirtschaft selbst bedurfte. Das alte Plünderungssystem hatte in rohester Weise den Forst verwüstet. Als der Förster am Rande des Waldes seine Mütze zog und respektvoll fragte, zu welcher Stunde er morgen auf das Schloß kommen dürfe, da empfand Anton mit Freude, daß es ihm gelungen war, die innere Unsicherheit zu verbergen, die ihn in den neuen Verhältnissen so sehr störte.

»Sieh«, sagte er zu seinem Getreuen, als beide am Abend vor dem grünen Kachelofen saßen, »das ist es, was mir hier die größte Sorge macht; ich fühle mich unwissend und hilflos jedem Knecht gegenüber, und ich habe doch die Aufgabe, auch die Wirtschaft in Respekt zu halten. Wie wenig der gute Wille allein nützt, habe ich in diesen beiden Tagen deutlich erkannt. Jetzt gib guten Rat. Was sollen wir zunächst in der Wirtschaft tun?«

 

»Was von Vieh unbrauchbar ist, verkaufen Sie; die schlechten Leute bei den Kühen entlassen Sie auf der Stelle. Rindvieh und Pferde bringen Sie auf den großen Hof zusammen, damit sie unter Aufsicht sind. Was von Feldbestellung mit den geringen Kräften noch geschafft werden kann, das wird regelmäßig gemacht, nichts übereilt. Gekauft muß jetzt werden Stroh und Hafer. Hier auf dem Hofe übergeben Sie bis zum nächsten Frühjahr, wo ein ordentlicher Beamter notwendig wird, mir die Aufsicht; ich werde meine Sache nicht gut machen, aber besser als ein anderer von Ihren Leuten.«

Es war spät am Abend, als man eilige Tritte auf der Treppe hörte. Mit einer großen Stallaterne und einem Gesicht voll von argen Neuigkeiten trat der Schankwirt in Antons Stube. »Ich wollte dem Herrn doch melden, was ich gehört habe. Ein Deutscher aus Kunau, der soeben hier durchkam, hat die Nachricht gebracht, daß der Bratzky gestern nicht in Rosmin angekommen ist.«

»Nicht angekommen?« rief Anton aufspringend.

»Eine halbe Meile von Rosmin im Walde ist der Wagen von vier Reitern überfallen worden, es war finster, der Bratzky saß gebunden im Wagen, neben ihm der Gendarm. Die Reiter aber haben den Gendarm überwältigt und selbst gebunden und den Bratzky mit allen seinen Sachen vom Wagen gehoben, und fort mit ihm auf ein Pferd und in die Büsche. Zwei Reiter sind beim Wagen geblieben und haben den Kutscher gezwungen, von der Straße abzufahren in ein Dickicht, und dort haben sie ihre Pistolen zwei Stunden lang dem Kutscher und dem Gendarm vorgehalten. Dann sind sie weggeritten. Der Kutscher sagt, die Pferde wären Herrenpferde gewesen und die Männer hätten vornehm miteinander gesprochen. Der Gendarm ist zerschunden, sonst ist ihm nichts geschehen; nur Ihren Bericht haben sie ihm genommen.«

Die Stubengenossen sahen einander betroffen an und dachten an die Reiter von gestern.

»Wo ist der Mann, der die Nachricht gebracht hat?« fragte Anton und griff nach seinem Hut.

»Er war eilig, weiterzukommen, wegen der Finsternis«, sagte der Wirt. »Morgen werden wir vieles hören von der Geschichte. Das ist nicht vorgekommen seit Jahren, daß sie zu Pferde überfallen haben einen Wagen, in welchem sitzt der Gendarm selber. Wenn sie bei uns geraubt haben, so haben sie es immer getan zu Fuß.«

»Habt Ihr einen der Reiter gekannt, welche gestern nachmittag im Dorfe waren und nach dem Inspektor riefen?« fragte Anton.

Der Wirt warf einen schlauen Blick auf Anton, zögerte aber zu antworten.

»Nun«, drängte Anton, »die Herren waren doch aus der Gegend, einen oder den andern müßt Ihr kennen.«

»Warum soll ich ihn nicht kennen?« erwiderte der Wirt unruhig. »Es ist doch der reiche Herr von Tarow selber mit seinen Gästen. Ein mächtiger Mann, Herr Wohlfart, welcher hat die oberste Polizei auch über Ihre Güter. Und was hat er zu tun gehabt mit dem Bratzky? Der Bratzky hat als Inspektor hier auch versehen die Polizei und ist manchmal gewesen ein Händler für die Edelleute beim Pferdekauf und bei andern Dingen. Wenn die Polizei mit dem Inspektor hat sprechen wollen, warum soll sie’s nicht tun? Die in Tarow sind schlaue Leute, sie wissen, was sie haben zu tun und was sie haben zu reden.« So sprach der Wirt mit großer Zungenfertigkeit, aber seine Augen und der Ausdruck seines Gesichts sagten etwas ganz anderes.

»Ihr habt einen Verdacht«, rief Anton, den Wirt scharf anblickend.

»Soll mich Gott bewahren vor allem Verdacht«, fuhr der Wirt erschrocken fort. »Und, Herr Wohlfart, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen zu sagen meine Meinung, wozu wollen auch Sie haben einen Verdacht auf jemanden? Sie werden genug zu tun haben hier im Gut und werden brauchen die Edelleute mehr als einmal. Wozu wollen Sie sich Feinde machen ohne Nutzen? Es ist hier das Land, wo die Herren auf einen Haufen reiten und wieder auseinander und ihre Köpfe zusammenstecken und wieder auseinander. Wer sich nicht darum kümmert, der handelt am klügsten.«

Als der Wirt mit einem Nachtgruß das Haus verlassen hatte, sagte Anton finster zu seinem getreuen Gefährten: »Ich fürchte, daß nicht das Gut allein uns Sorge machen wird, sondern daß noch etwas anderes um uns vorgeht, wogegen wir beide mit allem Witz nichts ausrichten werden.«

Der dreiste Überfall brachte die ganze Gegend in Aufregung. Anton wurde in den nächsten Wochen einige Male nach Rosmin beschieden, seine Aussagen hatten keinen Erfolg, es gelang den Behörden nicht, die Täter zu ermitteln oder die Person des entführten Inspektors in ihre Gewalt zu bekommen.