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Soll und Haben

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»Du täuschest mich nicht«, erwiderte Anton. »Ich traue nicht, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn ich mir alles recht überlege, so kann ich, trotz deinem Leugnen, den Verdacht nicht loswerden, daß du doch der Erwartete warst.«



»Du bist ein kleiner Schlaukopf«, sagte Fink gemütlich. »Du wirst mir aber ebenfalls zugestehen, daß ich, da eine Dame im Spiel ist, nichts anderes tun kann als leugnen. Denn siehst du, mein Sohn, wenn ich dir Geständnisse machte, so würde ich ja die schöne Tochter des ehrenwerten Hauses kompromittieren.«



»Leider fürchte ich«, rief Anton, »daß sie sich ohnedies kompromittiert fühlt.«



»Na«, sagte Fink ruhig, »sie wird’s ertragen.«



»Aber Fritz«, rief Anton, die Hände ringend, »hast du denn gar keine Empfindung für das Unrecht, das du an Bernhard begehst? Du verleitest die Schwester eines gebildeten und feinfühlenden Menschen zu Torheiten, die für sie verhängnisvoll werden müssen. Gerade daß sein reines Herz in einer Umgebung schlägt, die er nur ertragen kann, weil er so voll Vertrauen ist und so wenig erfahren, gerade das macht dein Unrecht für mich so bitter.«



»Deshalb wirst du am klügsten tun, wenn du das große Zartgefühl deines Freundes schonst und seiner Schwester Verschwiegenheit gönnst.«



»Nein«, erwiderte Anton zornig, »meine Pflicht gegen Bernhard zwingt mich zu etwas anderm. Ich muß von dir fordern, daß du dein Verhältnis zu Rosalie, von welcher Art es auch sei, auf der Stelle abbrichst und dich bemühst, in ihr nur das zu sehen, was sie dir immer hätte sein sollen, die Schwester meines Freundes.«



»So?« entgegnete Fink spöttisch. »Ich habe nichts dagegen, daß du diese Forderung stellst. Wenn ich aber nicht darauf eingehe, wie dann? Immer vorausgesetzt, was ich überhaupt leugne, daß ich der glückliche Erwartete war!«



»Wenn du nicht darauf eingehst«, rief Anton in großer Bewegung, »so kann ich dir diesen Streich niemals verzeihen. Das ist nicht mehr Mangel an Zartgefühl, es ist etwas Schlimmeres.«



»Und was, wenn’s beliebt?« fragte Fink kalt.



»Es ist schlecht«, rief Anton. »Es war schlimm genug, daß du die Koketterie des Mädchens benutztest, aber es ist doppelt schlecht, daß du auch jetzt nicht daran denken willst, wie du sie kennengelernt hast, nicht an ihren Bruder und nicht an mich, der ich diese unglückliche Bekanntschaft vermittelt habe.«



»Und du laß dir sagen«, erwiderte Fink, die Lampe seiner Teemaschine anzündend, »daß ich dir durchaus nicht das Recht einräume, mir solche Vorträge zu halten. Ich habe keine Lust, mit dir zu zanken, aber ich wünsche über diesen Gegenstand kein Wort weiter von dir zu hören.«



»Dann muß ich dich verlassen«, sagte Anton, »denn es ist mir unmöglich, mit dir über etwas anderes zu sprechen, solange ich die Empfindung habe, daß du frevelhaft handelst.« Er ging zur Tür. »Ich lasse dir die Wahl, entweder du brichst mit Rosalie, oder, so furchtbar mir ist, dies auszusprechen, du brichst mit mir. Wenn du mir bis morgen abend nicht die Versicherung gibst, daß deine Intrige zu Ende ist, so gehe ich zu Rosaliens Mutter.«



»Gute Nacht, dummer Tony«, sagte Fink.



Anton verließ den leichtsinnigen Freund. Es war der erste ernsthafte Streit zwischen ihm und Fink. Er war sehr unglücklich über Finks Leichtsinn und schritt bis tief in die Nacht in seinem Zimmer trostlos auf und ab. Dem harmlosen Bernhard etwas zu sagen erschien ihm bei der Persönlichkeit des Gelehrten bedenklich, er fürchtete, ihn im tiefsten Herzen zu verwunden, und traute ihm wenig Einfluß auf die Schwester zu. Auch Fink war ärgerlich über den Zufall. Er trank seinen Grog diesmal allein und dachte vielleicht mehr an Antons Groll als an den Schreck der schönen Rosalie.



Der nächste Tag war grau für beide. Sonst, wenn Fink ins Kontor trat, nickte er dem Freunde, der ihm seit einiger Zeit gegenübersaß, freundlich zu, und Anton kam dann schnell an den Stuhl des andern und fragte leise, wie Fink den letzten Abend verlebt hatte. Heut saß Anton stumm auf seinem Platz und beugte sich tief auf den Brief hinab, als Fink sich ihm gegenübersetzte. Jeder mußte, wenn er aufsah, in das Gesicht des andern blicken, heut hatten beide die Aufgabe, zu tun; als ob ihnen gegenüber ein leerer Raum sei. Es war Fink leicht gewesen, den Vater Ehrenthal als Luft zu behandeln, bei Anton war auch ihm das lästig, und Anton, der keine solche Gewandtheit im Übersehen fremder Körper hatte, fühlte sich höchst unglücklich, wenn er nach rechts und links ausschauen mußte, bei dem Kopf des andern vorbei, über ihn weg, immer gleichgültig, wie der Kriegsausbruch zwischen Schmollenden nötig macht. In der Mitte des Vormittags kam das Frühstück in das Kontor, dann wurde eine kurze Pause gemacht, die Herren standen von ihren Plätzen auf und traten zusammen. Heut blieb Anton sitzen, weil sein Platz der einzige Ort war, welcher ihn vor der Berührung mit Fink sicherte. Alles verschwor sich, beiden ihre Rollen schwer zu machen. Schmeie Tinkeles erschien im Kontor, und Fink hatte wieder eine lächerliche Verhandlung. Alle Herren sahen auf Fink und sprachen mit ihm; sonst hatte Anton dem Freunde fröhliche Zeichen des Einverständnisses gemacht, jetzt starrte er vor sich hin, als ob Tinkeles hundert Meilen entfernt wäre. Herr Schröter gab Anton einen Auftrag, bei dem er Fink um Auskunft fragen mußte. Anton war genötigt, sich vorher stark zu räuspern, damit seine Stimme nicht gepreßt klang, und als Fink eine kurze Antwort gab, kränkte ihn das, und sein Zorn gegen den Verstockten loderte wieder zu heller Flamme auf. Zum Mittagessen waren die beiden immer zusammen gegangen, Fink hatte regelmäßig gewartet, bis Anton ihn abholte. Heut kam Anton nicht. Fink ging mit Herrn Jordan ins Vorderhaus, so daß Jordan verwundert fragte: »Wo bleibt denn Wohlfart?«, und Fink mußte sagen: »Wo er will.«



Am Nachmittag konnte sich Anton nicht enthalten, einige Male heimlich von seinem Briefe aufzusehen und den Kopf und das stolze Angesicht des anderen zu betrachten. Dabei mußte er denken, wie fürchterlich es für ihn sei, von jetzt ab dem Manne fremd zu werden, an dem er so sehr hing. Aber er blieb fest. Auch jetzt, wo der erste Zorn verraucht war, fühlte er, daß er nicht anders handeln konnte. Diese Überzeugung rührte ihm das Herz. Und in solcher Stimmung vermied er nicht mehr, auf den Platz des verlorenen Freundes zu schauen. Als Fink aufblickte, sah er das Auge Antons voll Trauer auf seinem Gesicht ruhen. Der schmerzliche Ausdruck beunruhigte den Rücksichtslosen mehr als der frühere Zorn. Er erkannte daraus, daß Anton fest war, und die Waagschale, worin Rosalie saß, fuhr in die Höhe. Wenn Anton in seiner Spießbürgerlichkeit zu Rosaliens Mutter ging, so wurde ihm das Abenteuer doch verdorben. Zwar um den Zorn der Mutter kümmerte er sich wenig, Rosalie mochte sehen, wie sie mit ihr fertig wurde, aber der Gedanke an den harmlosen Bernhard war ihm unbehaglich. Und was das schlimmste war, sein eigenes Verhältnis zu Anton war für immer zerstört, sobald dieser erst mit einer dritten Person über die Angelegenheit gesprochen hatte. Diese Erwägung zog ihm die Stirn in Falten.



Kurz vor sieben Uhr fiel ein Schatten auf Antons Papier. Anton sah auf, Fink hielt ihm schweigend einen kleinen Brief über das Pult, die Aufschrift war an Rosalie. Anton sprang von seinem Sitz auf.



»Ich habe an sie geschrieben«, sprach der andere mit eisiger Kälte. »Da deine Freundschaft mir nur die Wahl läßt, entweder das Mädchen zu kompromittieren oder meine Studien über eine interessante Völkerseele aufzugeben, so muß ich mich zu dem letzteren verstehen. Hier ist der Brief. Ich habe nichts dagegen, daß du ihn liest. Es ist der Laufpaß.«



Anton nahm den Brief aus der Hand des Sünders, siegelte ihn in der Eile mit dem kleinen Kontorstempel und übergab ihn einem Hausknecht zur schleunigen Abgabe auf der Stadtpost.



So war die Gefahr beseitigt, aber es blieb seit diesem Tage eine Spannung zwischen den beiden Verbündeten. Fink grollte, und Anton konnte nicht vergessen, was er Verrat an seinem Freund Bernhard nannte. Und Fink trank durch einige Wochen seinen Tee nicht in Antons Gesellschaft.



7

Das Haus von T. O. Schröter hatte einen Tag im Jahr, an dem es sich unabänderlich dem Vergnügen ergab. Dies geschah zur Erinnerung an die Stunde, in welcher Herr Schröter als Teilhaber in das Geschäft seines Vaters eingetreten war. Wenn dieser Tag durch die Tücke der Kalendermacher unter die Wochentage gesetzt wurde, und es war sechs gegen eins zu wetten, daß sie dem Geschäft den Possen spielten, so wurde das Fest am nächsten Sonntag gefeiert. Es war keine Festfeier, welche übermäßig aufregte, sie hatte einen ruhigen, regelmäßigen Verlauf und einen leisen Anflug von Geschäftlichkeit. Zuerst war großes Diner des Kontors beim Prinzipal, dann fuhr die Gesellschaft nach einem nahe gelegenen Dorfe, wo der Kaufmann ein Landhaus besaß und wo eine Anzahl öffentlicher Gärten und Sommerkonzerte die Stadtbewohner anzogen. Dort wurde Kaffee getrunken, Natur genossen und am Abend zur Bürgerstunde nach der Stadt zurückgefahren.



In diesem Jahr feierte der Kaufmann das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seines Eintritts. Schon am Morgen gratulierten Deputationen der Auflader und Hausknechte, an der Mittagstafel waren heute die Kollegen im höchsten Staat versammelt. Herr Liebold in einem neuen Frack, den er, wie alle Prachtstücke seiner Garderobe, seit vielen Jahren an diesem Fest zum ersten Male trug.



Nach dem Mittagessen fuhren einige Wagen vor das Haus, die Gesellschaft ins Freie zu schaffen. Herr Schröter stieg mit Sabine in den ersten Wagen, und da die Tante als Krankenpflegerin einer Verwandten abwesend war, sah sich der Prinzipal unter den Herren um, welche massenhaft um den Wagen standen und das Einsteigen Sabinens durch heftige Dienstbeflissenheit wenigstens moralisch unterstützten. Fink saß bereits auf seinem Reitpferd, und so rief der Prinzipal Herrn Liebold und Herrn Jordan auf den Rücksitz des Staatswagens. Beide Herren verneigten sich, Herr Liebold nahm mit feierlichem Lächeln gegenüber dem Fräulein Platz. Ach, aber seine Freude war nicht ohne den Bodensatz heimlicher Angst. Es war allen Kollegen wohlbekannt und ihm am besten, daß er das Rückwärtsfahren durchaus nicht vertragen konnte. Nie hatte er nach Ehrenplätzen gestrebt, sein ganzes Leben durch war er auf der Rückseite von Fortunas Karosse fortgeschafft worden, aber in einem gewöhnlichen Wagen empörte sich augenblicklich sein ganzes Innere, wenn er nicht vornehm im Fond saß. Auch heute sah er das Unglück kommen, gerade heut, wo er der angebeteten Herrin des Hauses gegenübersaß. Wie gern hätte er seinen Platz geopfert, aber das war unmöglich, die Ehre war zu groß, und seine Weigerung wäre ihm falsch ausgelegt worden. So saß er als Märtyrer, auf das Ärgste gefaßt, dem Fräulein gegenüber, er versuchte vergebens, unbefangen auszusehen und auf die Seite zu blicken, wo Häuser und Bäume, Menschen und Hunde an ihm vorbeitanzten. Dies fürchterliche Tanzen kannte er, das war immer der Anfang. Er mußte also gerade vor sich hinsehen, und da es unpassend gewesen wäre, dem Fräulein ins Gesicht zu blicken, so starrte er über sie weg. Noch lächelte sein Mund, aber sein Auge sah stier, und seine Wangen wurden blaß, blutlos, erdfarben. Jordan sah ihn von der Seite an und konnte das Lachen nicht verbergen. Das brachte Sabine zu der besorgten Frage: »Fehlt Ihnen etwas, Herr Liebold?« Da Liebold die Augen nicht vom Himmel wegwenden durfte, so bohrte er sich an einer ruhigen Wolke fest und murmelte die Versicherung, daß ihm sehr wohl sei. Dabei erhielt sein Gesicht aber den Ausdruck stumpfer Verzweiflung, so daß Sabine sich ängstlich an Herrn Jordan wandte.

 



»Er kann nicht vertragen, rückwärts zu sitzen«, sagte dieser.



»Dann wechseln wir die Plätze«, rief Sabine. Herr Liebold schüttelte erschrocken den Kopf und machte schweigend allerlei Bewegungen, um seinen Abscheu gegen eine solche Zumutung auszudrücken. »Bitte, Herr Jordan, lassen Sie den Kutscher halten«, rief Sabine. Der Wagen stand, das Fräulein erhob sich. »Schnell, Herr Liebold«, rief sie. Dieser versuchte noch zu protestieren, aber Jordan rückte ihn kräftig in die Höhe, und ehe er wußte, wie ihm geschah, saß er im Fond und das Fräulein ihm gegenüber auf dem Rücksitz. Die Spannung in seinen Zügen ließ nach, eine feine Röte zog verklärend über sein Gesicht. Aber in welcher Lage war er! Was mußten die Vorübergehenden von ihm und seiner Stellung im Hause denken! Fremde konnten ihn für den Onkel der Dame halten, aber jeder, der sie kannte – und wer kannte die schöne Sabine Schröter nicht –, mußte auf die abenteuerlichsten Gedanken kommen. Daß er mit ihr verlobt sei, war noch viel zu wenig, als Verlobter hätte er nicht im Fond sitzen dürfen, nein, er saß da wie mit ihr verheiratet. Der Gedanke trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, er sah demütig auf das Fräulein und bat sie mit leiser Stimme um Verzeihung wegen des Skandals, den er verursachte. Sabine streckte zur Antwort ihre Hand aus und schüttelte ihm die seine kräftig. Da übermannte ihn die Freude, er beugte sich schon ein wenig herab in der kühnen Absicht, ihr den Handschuh zu küssen. Und in demselben Augenblick fuhren sie bei dem Buchhalter von Strumpf und Kniesohl vorüber, Herr Liebold schnellte stracks in die Höh, jetzt war das Unglück geschehen, Sabine und er waren das Opfer eines unerhörten Irrtums. Es war unnütz, noch gegen das Schicksal anzukämpfen. Er saß fortan verklärt und stillselig, bis die Wagen vor der großen Restauration des Dorfes anhielten. Man stieg aus, die Herren sammelten sich um das seidene Gewand ihres Fräuleins, rauschende Musik scholl ihnen entgegen, sie traten in die Buchengänge des geschmückten Gartens, welcher heut mit den glänzenden Toiletten der Städter angefüllt war.



Sabine schwebte in einer Wolke von Herren dahin. Es ist möglich, daß dieser wandelnde Hof mancher Mitschwester größere Freude gemacht haben würde als ihr. Jedenfalls sah es stattlich aus, als sie am Arm des Bruders durch die Gänge schritt, auf beiden Seiten und hinter ihr diensteifrige Herren, alle bemüht, sich mit ihr als dem Mittelpunkt in Verbindung zu halten, zumal heut, wo das Haus in Masse unter den Vornehmen der Stadt auftrat und jeder einzelne als Mitglied des berühmten Geschäfts zu repräsentieren hatte. Liebold war in einem beständigen Lächeln begriffen, welches er auf der Außenseite seines Gesichts allerdings zu bewältigen suchte, um bei den Vorübergehenden nicht den Argwohn zu erregen, daß er sie auslache. Aber um so stärker arbeitete es in seinem Innern und fuhr zuweilen im gleichgültigen Gespräch wie ein Wetterleuchten über sein Gesicht, dehnte ihm plötzlich Nase und Mund aus und machte die Augen klein und glänzend. Er trug heut als Bevorzugter den Schal des Fräuleins, schritt in angemessener Entfernung hinter ihr her und bezeichnete so die zweite von den Linien, welche die Firma im grünen Hauptbuch der Natur einnahm. Durch eine kühne Handbewegung hatte sich Herr Specht in Besitz des Sonnenschirms gesetzt und umgab mit diesem Sabine von allen Seiten, in der Regel marschierte er wie ein Fähnrich voran am Rand des Gehölzes. Mit verlangendem Blick sah er in das Gebüsch, ob ihm nicht eine auffallende Blume oder ein Schmetterling Veranlassung geben könnte, mit dem Fräulein eine Unterhaltung anzufangen. Jedenfalls war das nicht leicht, denn Fink ging neben ihr. Dieser war heut in boshafter Stimmung, und wider Willen lachte Sabine über die unbarmherzigen Glossen, welche er auffallenden Gestalten unter den Spaziergängern gönnte. Auch den massenhaften Aufmarsch der Firma machte er lächerlich, aber er selbst verschmähte nicht, etwas von dem exklusiven Stolz der Handlung zu empfinden.



Um sie herum zogen, trippelten und rauschten die Schwärme der Lustwandelnden. Es war ein unaufhörliches Anstarren, Grüßen, Ausweichen, der Kaufmann mußte immer wieder nach dem Hut greifen, und sooft er grüßte, gerieten die vierzehn Hüte der Kollegen ebenfalls in Bewegung und erregten in der Luft zahlreiche kleine Wirbelwinde. Das machte einen großartigen Eindruck.



Als die Hausgenossen einige Zeit in der Strömung fortgeschwommen waren, äußerte Sabine den Wunsch, auszuruhen. Sogleich flogen Tirailleure der Herren unter die Bankreihen und belegten einen Tisch. Man nahm Platz, die Kellner schleppten eine riesige Kaffeekanne mit der entsprechenden Anzahl Tassen herbei. Jetzt war es eine Freude, der Handlung zuzusehen, wie jeder der Herren bemüht war, dem Fräulein das Eingießen abzunehmen, weil die Kanne für sie zu schwer war, wie Sabine sich Anton zum Adjutanten erwählte, weil er im Salon der Kollegen das Geschäft des Eingießens verrichtete, wie die Kollegen sich freuten, daß man im Vorderhause auch das von ihnen wußte, ferner, wie verbindlich Sabine jedem der Herren den Kuchen präsentierte und wie sie immer ein Auge darauf hatte, daß die Zuckerschale und der Sahnetopf in ihrem Lauf um den Tisch nicht unterbrochen wurden, und endlich, wie alle Kollegen den braunen Trank des Wirts mit der stillen Überlegenheit von Leuten einnahmen, welche besser wissen, was guter Kaffee ist. Es war kein ruhiger Sitz, und Sabine hatte viel zu tun, die vorbeiziehenden Bekannten zu grüßen und den Freunden des Bruders, welche an sie herantreten, Rede zu stehen. Sie war allerliebst in dieser unaufhörlichen Bewegung. Mit einer hausmütterlichen Haltung sprach sie mit den Herren vom Kontor, und mit einfacher Herzlichkeit erhob sie sich und bewillkommnete die Herantretenden. Sie grüßte, scherzte und waltete über dem Kaffeebrett, sie sah auf die Spaziergänger und hatte noch Zeit, prüfende Blicke in das Innere der Tassen zu werfen, welche sie Anton zureichte. Anton und Fink, beide empfanden, wie gut ihr das sichere Wesen stand, und Fink sagte ihr das: »Wenn das ein Tag der Erholung ist, Fräulein Sabine, so beneide ich Sie nicht um Ihre Arbeitstage. Keine Prinzeß hat im Empfangssaal so viele Rücksichten zu nehmen, so viel mit dem Kopf zu nicken, zu lächeln und Artiges zu sagen wie Sie. Es geht vortrefflich, Sie haben das jedenfalls einstudiert. Da kommt der Bürgermeister selbst, er wird Sie sogleich anreden. Jetzt tun Sie mir leid, mit dem Ohr sollen Sie auf mich hören, in der Hand halten Sie Liebolds Tasse, und mit den Augen müssen Sie achtungsvoll den Großwürdenträger empfangen. Ich bin neugierig, ob Sie noch meine Worte verstehen.«



»Nehmen Sie nur den Käfer aus Ihrer Tasse, ich werde Ihnen sogleich eingießen«, sagte Sabine lachend und stand auf, den Bekannten des Hauses zu begrüßen.



Unterdes belustigte sich Anton, die Urteile der Vorübergehenden über seine Gesellschaft zu erlauschen. »Da ist Herr von Fink«, wisperte eine junge Dame ihrer Begleiterin zu. »Ein nettes Gesicht, famose Taille«, schnarrte ein Leutnant. »Was ist ein Fisch unter so viele Hungrige?« brummte ein Ruchloser. »Still, da sind die von Schröters«, stieß ein Kommis den andern an. Als Anton aufblickte, sah er zwei hohe, üppige Gestalten langsam heranziehen. Es waren Dame Ehrenthal und Rosalie, Rosalie schritt auf der Seite des Tisches. Ihr Gesicht überzog sich langsam mit einer dunkeln Röte, als sie in dem Gedränge dicht an seinem und Finks Platz vorüberkam. Unruhig sah er auf Fink, der wieder in lebhaftem Gespräch mit Sabine doch Augen genug hatte, die Nahenden zu bemerken. Anton erhob sich grüßend, der unerschütterliche Fink griff nachlässig an seinen Hut und blickte von seinem Sitze so kalt auf die beiden Frauen, als hätte er nie die Armbänder an dem weißen Arm der schönen Rosalie bewundert. Der Gruß Antons, die Schönheit Rosaliens, vielleicht einiges Auffallende ihrer Toilette bewirkten, daß auch Sabine die beiden Frauen aufmerksam ansah.



Die Tochter Ehrenthals achtete nicht auf Antons Gruß, ihre dunkeln Augen hefteten sich fest auf Sabine. Ein Flammenblitz voll Haß und Zorn fiel auf das Mädchen, welches sie für ihre glückliche Nebenbuhlerin hielt, so daß Sabine sich erschrocken zurückbeugte, wie um dem Anfall eines Raubtieres zu entgehen.



Mit zusammengepreßten Lippen, unsäglichen Widerwillen auf allen Zügen, rauschte Rosalie vorüber. Finks Lippen kräuselten sich, und er zog seine Schultern ein wenig in die Höhe. Als die Frauen vorüber waren, sah Sabine erstaunt auf Anton und Fink und fragte: »Wer war das?«



»Eine von den Bekanntschaften Antons«, sprach Fink höhnend.



»Madame Ehrenthal und ihre Tochter«, erwiderte Anton verlegen, »die junge Dame ist die Schwester des Gelehrten, von dem ich Ihnen neulich erzählt habe.« Aber unwillkürlich sah er auf Fink, während er sprach, und beide tauschten einen finstern Blick miteinander aus.



Sabine schwieg und rückte sich auf ihrer Bank zurück, ihre frohe Laune war dahin. Die Unterhaltung kam nicht mehr in Fluß, und als der Bruder von einem Besuch bei dem nächsten Tisch zurückkehrte, erhob sich das Fräulein und lud die Herren ein, nach ihrem Garten zu kommen. Von neuem zog sie mit ihrer Wolke dahin, aber Fink ging nicht mehr an der Seite des Fräuleins. Der glühende Blick voll Haß hatte die grünen Ranken versengt, welche sich wieder von ihr zu ihm gezogen hatten. Sabine wandte sich zu Anton und sprach mit diesem; sie mühte sich, heiter zu sein, aber Anton merkte ihr den Zwang an.



Der große Garten des Kaufmanns mit einem hübschen Gartenhaus und Glashäusern war ein Lieblingsaufenthalt Sabinens. Sommer und Winter fuhr sie hinaus, wenn das Wetter es irgend erlaubte, und besprach mit dem Gärtner alle Einzelheiten der Einrichtung und Blumenzucht. Die Kollegen bestürmten sie daher mit Fragen über Namen und Charakter ihrer Blumen, und während der Kaufmann mit Fink ein benachbartes Grundstück betrachtete, das ihm zum Kauf angeboten war, zeigte Sabine der übrigen Gesellschaft, was sie in der letzten Zeit angelegt hatte. Sie führte die Herren durch die Blumen und Rasenstücke in das Warmhaus. Der Bruder hatte ihr eine hohe Palme geschenkt, und die Palme, große Pisangblätter, tropische Farne und blühende Kakteen waren in einer Gruppe zusammengestellt, eine zierliche Bank und ein Tisch standen davor, es war ein allerliebster Wintergarten. Während Sabine erzählte, daß sie hier an sonnigen Wintertagen den Kaffee trinke und wie schön es sich dann unter den großen Blättern sitze, brachte ihr der Gärtner auf einem Teller Kuchenbrocken und Vogelfutter. »Auch wenn ich nicht so große Begleitung habe, bin ich hier nicht allein«, sagte sie lächelnd.



»Wir bitten, stellen Sie uns den Vögeln vor«, rief Anton.



»Sie müssen aber in das Gartenhaus treten und hübsch still sein«, bat Sabine, »das kleine Volk kennt zwar mich, aber die vielen Herren würden ihm doch Schrecken einjagen.«



Die Kollegen zogen nach dem Gartenhaus, Pix lenkte den aufgeregten Specht am hintersten Rockknopf zurück und drehte die Glastüre herum, Sabine streute das Futter einige Schritt von der Tür auf den Kies und schlug in die Hände. Dem Klatschen antwortete mehrstimmiger Ruf von den nächsten Bäumen und dem Dache des Hauses. Eine Menge kleiner Vögel schoß herzu und hüpfte mit lustigem Geschrei um die Krumen, sie waren so zahm, daß sie bis an die Füße Sabinens herankamen. Es war keine vornehme Gesellschaft, einige Finken, Hänflinge und ein ganzes Volk Spatzen. Sabine trat leise zur Tür und fragte durch den Spalt: »Können Sie die einzelnen unterscheiden? So ähnlich auch die Herrschaften einander sehen, sie sind doch verschieden, nicht nur im Kleide, auch in ihrem Wesen. Mehrere davon kenne ich persönlich.« Sie wies auf einen großen Sperling, ein schönes Männchen mit schwarzem Kopf und feurigem Braun auf dem Rücken: »Sehen Sie den dicken Herrn dort?«

 



»Er ist der größte von allen«, sagte Anton erfreut.



»Er ist mein ältester Bekannter, er hat sich zuerst an mich gewöhnt, von meinem Kuchen ist er so stark geworden. Er ist ausgefüttert und satt. Wie sicher er umherhüpft, und wie vornehm er in die Brocken pickt! Gleich einem reichen Bankier geht er unter den andern umher. Hören Sie ihn schreien? Seine Stimme klingt wegwerfend und aristokratisch. Er betrachtet dies Ausstreuen als eine Verpflichtung, welche die Welt gegen ihn hat. Da kräht er wieder. Wissen Sie, was er sagt: Mein Küchenmädel ist das. Dies ewige Gebäck! Was ich nicht aufessen kann, will ich den andern lassen. Ich glaube, es hängt ihm eine Berlocke an seinem kleinen Bauch herunter.«



»Es ist eine Feder«, flüsterte Herr Specht.



»Ja«, fuhr Sabine fort, »ich fürchte, die hat ihm seine Frau ausgehackt. Denn, so gewichtig er aussieht, er steht unter dem Pantoffel. Das graue Weibchen dort, das hellste von allen, ist seine Frau. Sehen Sie, daß sie ihn weghackt?«



Ein lebhafter Zank unter den Sperlingsleuten begann. Der Bankier, welcher gerade vornehm in einen ungewöhnlich großen Brocken pickte, bekam von seiner Frau einige Hiebe mit dem Schnabel; er fing an zu räsonieren, die Nachbarn flogen herzu, ein heftiges Geschrei begann, der allgemeine Unwille war gegen den Bankier gerichtet. Er wurde aus dem Haufen beiseite gejagt und hüpfte zerzaust, mit dem Kopfe schüttelnd, einige Schritte von den Brocken auf und ab, während seine Frau über dem eroberten Bissen stand und laut triumphierte.



Die Herren lachten.



»Jetzt kommt mein Kleiner, mein Liebling, jetzt merken Sie auf!« rief Sabine freudig. Unbehilflich, mit ausgebreiteten Flügeln tappte ein kleiner Sperling heran, ganz wie ein Kind, welches Mühe hat, im Gehen das Gleichgewicht zu behaupten. Er flatterte neben die Sperlingsfrau, sperrte den Schnabel weit auf, schrie und schlug mit den Flügeln auf die Erde. Die Mutter zerhackte den großen Bissen, faßte die Teile und steckte sie in den aufgesperrten Schnabel des Kleinen. Mitten unter der schwirrenden, tanzenden, hackenden Gesellschaft fütterte die Mutter den Schreihals. Ein Stück des eroberten Bissens nach dem andern steckte sie ihm in den Hals, während der Vater einige Schritte davon selbstgefällig auf und ab hüpfte und zuweilen von der Seite mißtrauisch auf die energische Hausfrau hinsah.



»Wie allerliebst!« rief Anton.



»Nicht wahr?« sagte Sabine. »Auch bei den Kleinen sind Charaktere und Familienleben.«



Aber die Szene wurde auf gewaltsame Weise unterbrochen. Ein leichter Schritt kam um das Haus, die Vögel flatterten auf, nur die Mutter und das Junge waren so eifrig beschäftigt, daß sie zögerten. Endlich flog auch die Sperlingsfrau auf den Baum und rief ängstlich ihr Kind. Doch der Kleine, vom genossenen Kuchen schwer und betäubt durch die Fülle des Genusses, vermochte nicht so schnell die schwachen Flügel zu heben. Ein Schmiß von der Reitpeitsche Finks erreichte ihn, der Körper fiel als Leiche in die Blumen. Ein zorniger Ruf von sämtlichen Herren wurde laut, und finster blickten alle Gesichter des Kontors auf den Mörder. Fink, der auf die Gruppen an der Salontür nicht geachtet hatte, sah verwundert den Sturm, der gegen ihn hereinbrach. Sabine eilte an ihm vorbei nach dem Beet, auf dem der Vogel lag, ergriff diesen, küßte den kleinen Kopf und sprach mit klangloser Stimme: »Er ist tot.« Sie setzte sich auf die Bank an der Türe und deckte ihr Taschentuch über den Toten.



Ein unbequemes Stillschweigen folgte. »Es war der Lieblingsvogel von Fräulein Sabine, den Sie erschlagen haben«, sagte endlich Herr Jordan vorwurfsvoll.



»Das tut mir leid«, erwiderte Fink und rückte einen Stuhl zum Tisch. »Ich habe nicht gewußt, Fräulein, daß Sie Ihre Teilnahme auch auf diese Klasse von Spitzbuben ausdehnen. Ich habe im bes