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Soll und Haben

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»Sie sind mit ganzer Seele Kaufmann«, sagte Bernhard freundlich, »ich möchte Sie beneiden um die reine Freude, die Sie über Ihre Arbeit haben.«

»Ja«, entgegnete Anton. »Auch der Kaufmann hat trübe Erfahrungen in Menge zu machen. Der kleine Ärger fehlt ihm nicht, und vieles Schlechte muß er erleben, aber der ganze Handel ist doch so sehr auf die Redlichkeit anderer und auf die Güte der menschlichen Natur berechnet, daß ich bei meinem Eintritt in diese Tätigkeit erstaunt war. Wer ein ehrliches Geschäft hat, kann von unserm Leben nicht schlecht denken, er wird immer Gelegenheit haben, Schönes und Großartiges darin zu finden.«

Bernhard hatte mit gesenkten Augen zugehört, jetzt blickte er schweigend zum Fenster hinaus, und Anton bemerkte, daß er verlegen und bekümmert aussah. Endlich wandte sich Bernhard um und sagte, das Gespräch abbrechend, mit bittender Stimme: »Wenn es Ihnen recht ist, Herr Wohlfart, so möchte ich mit Ihnen sogleich zum Sprachlehrer gehen. Es ist ein weiter Weg, wir sprechen im Freien mehr miteinander.«

Wie alte Bekannte traten die beiden Jünglinge aus dem finstern Haus in die warme Abendluft. Und als sie nach einer Stunde voneinander schieden, sagte Bernhard angelegentlich: »Ist Ihnen der Verkehr mit mir nicht zu uninteressant, Herr Wohlfart, so besuchen Sie mich doch manchmal in Ihren Freistunden.« Anton versprach das. Beide hatten Behagen aneinander gefunden. Anton wunderte sich noch immer, daß ein Sohn Ehrenthals so wenig Geschäftsmann sein konnte, und Bernhard war glücklich, einen Menschen zu treffen, mit dem er über vieles reden konnte, was er sonst schweigend mit sich herumtrug.

Bernhard trat am Abend vergnügt in die Familienstube und stellte sich hinter den Rücken der Schwester, welche auf einem kostbaren Flügel ein neues Modestück einübte und dabei eine große Fingerfertigkeit entwickelte. Der Bruder küßte sie leise an das Ohr, sie drehte sich schnell um und rief: »Laß mich in Ruh, Bernhard, ich muß das Stück einüben, denn auf den Sonntag ist große Soiree, und sie werden mich auffordern, zu spielen.«

»Ich weiß, daß sie dich auffordern werden«, sagte die Mutter, als Bernhard sich schweigend auf das Sofa niedersetzte und ein aufgeschlagenes Buch in die Hand nahm. »Es ist keine Gesellschaft, wo man nicht das Verlangen hat, die Rosalie zu hören. Wenn du nur einmal dich entschließen könntest, mitzukommen, Bernhard, du bist ein Mann von so viel Geist, du bist gelehrter als alle aus der ganzen Bekanntschaft. Neulich hat der Professor Starke von der Universität mit großer Hochachtung über dich gesprochen und hat gesagt, du würdest ein Stolz werden für die Wissenschaft. Es ist erfreulich für eine Mutter, wenn sie stolz sein kann auf ihre Kinder. Warum kommst du nicht in die Gesellschaft, sie wird so auserlesen sein, wie sie in unserer Stadt nur sein kann.«

»Du weißt, Mutter, ich gehe nicht gern zu fremden Leuten«, sagte der Sohn.

»Und ich will, daß mein Sohn Bernhard hat seinen eigenen Willen«, rief der Vater aus einer Nebenstube, wo er die letzten Worte Bernhards gehört hatte, da in diesem Augenblick Rosalie von ihren schweren Passagen ausruhte. Herr Ehrenthal trat in seinem verschossenen Schlafrocke zu seiner Familie. »Unser Bernhard ist nicht wie andere Leute, und der Weg, den er geht, wird immer sein ein guter Weg. Du siehst aus so bleich«, sagte er zum Sohne und strich mit der Hand über seine braunen Locken. »Du studierst zu viel, mein Sohn. Denke auf deine Gesundheit, der Doktor hat gesagt, daß dir Bewegung nötig ist, und hat dir geraten, zu nehmen ein Pferd und darauf zu reiten. Warum willst du nicht nehmen ein Pferd? Ich kann es haben, daß mein Sohn Bernhard auf dem teuersten Pferd reitet, das in der Stadt zu haben ist; tu, was der Arzt sagt, mein Bernhard, ich will dir kaufen ein Pferd.«

»Ich danke dir, lieber Vater«, erwiderte Bernhard, »es würde mir keine Freude machen und, wie ich fürchte, deshalb nicht viel helfen.« Er drückte dankbar die Hand des Vaters, der ihm wehmütig in das faltige Gesicht sah.

»Gebt ihr dem Bernhard auch immer zu essen, was er gern hat? Laß ihm Pfirsiche holen, Sidonie, es sind neue Pfirsiche angekommen beim Fruchthändler, das Stück kostet zwei gute Groschen; oder willst du haben irgend etwas anderes, so sag’s. Du sollst haben, was du gern hast; du bist mein guter Sohn Bernhard, und ich habe meine Freude an dir.«

»Er will ja nie etwas annehmen«, sprach die Mutter dazwischen, »er hat keine andere Freude als an seinen Büchern; nach Rosalie und mir fragt er manchmal den ganzen Tag nicht.«

»Liebe Mutter«, warf Bernhard bittend ein.

»Er liest zuviel in den Büchern und kümmert sich nicht um die Menschen«, fuhr die erfahrene Frau fort, »deshalb sieht er aus so bleich und verfallen wie ein Mann von sechzig Jahren. Warum will er nicht gehen auf den Sonntag in die Soiree?«

»Ich werde mitkommen, wenn du es wünschest«, sagte Bernhard traurig und setzte nach einer Weile hinzu: »Ist euch ein junger Mann bekannt, ein Herr Wohlfart, der in Schröters Geschäft ist?«

»Den kenne ich nicht«, sprach der Vater mit bestimmtem Kopfschütteln.

»Vielleicht du, Rosalie? Er ist ein hübscher Mann von gentilem Aussehen. Er scheint mir ein guter Tänzer und Gesellschafter zu sein. Bist du nicht irgendwo ihm begegnet? Ich glaube, er müßte dir aufgefallen sein.«

»Ist er blond?« fragte die Schwester, indem sie ihr Haar vor einem kleinen Handspiegel zurechtstrich.

»Er hat dunkles Haar und blaue Augen.«

»Wenn er aus einem Kontor ist, werde ich ihn wohl schwerlich kennen«, sagte Rosalie, das Haupt zurückwerfend.

»Unsere Rosalie tanzt meist mit Offizieren und Künstlern«, schaltete die Mutter erklärend ein.

»Er ist ein tüchtiger und liebenswürdiger Mensch«, fuhr Bernhard fort, »ich will mit ihm zusammen Englisch treiben und freue mich sehr, daß ich seine Bekanntschaft gemacht habe.«

»Er soll eingeladen werden zu uns«, dekretierte Herr Ehrenthal, vom Sofa aufstehend. »Wenn er unserem Bernhard gefällt, so soll er willkommen sein in meinem Hause. Laß einen guten Braten machen auf den Sonntag, Sidonie, und laß mir einladen Herrn Wohlfart zum Mittagessen, nicht um ein Uhr, sondern um zwei Uhr! Er soll von jetzt gebeten werden zu allen Gesellschaften, die wir geben; wenn er ein Freund ist von Bernhard, so soll er auch ein Freund sein von unserem Hause.«

»Er hat ja noch nicht seinen Besuch gemacht«, sagte die Mutter wieder, »wir müssen doch abwarten, bis er sein Entree macht bei der Familie?«

»Wozu Entree?« fuhr der Vater auf. »Wenn er bekannt ist mit unserem Bernhard, wozu soll er erst Entree machen bei uns?«

»Ich will noch in dieser Woche zu ihm gehen und, wenn du erlaubst, liebe Mutter, ihn auffordern, auf den Sonntag bei uns zu essen.«

Die Mutter gab ihre Einwilligung, und Rosalie setzte sich jetzt zum Bruder und fragte ihn mit größerem Interesse über Person und Wesen des neuen Bekannten aus.

Bernhard schilderte mit Wärme den angenehmen Eindruck, den Anton auf ihn gemacht hatte, so daß die Mutter daran dachte, auf den Sonntag die große Silbervase herauszugeben und aufputzen zu lassen. Rosalie überlegte, in welchem Kleide und durch welche Seite ihrer Bildung sie auf den Fremden Eindruck machen wolle, und der Vater erklärte wiederholt, daß er Herrn Wohlfart zu jeder Tageszeit und bei jedem ausgezeichneten Bratenstück in seinem Hause zu sehen wünsche.

Wie kam es doch, daß Bernhard seiner Familie nicht den Inhalt des Gesprächs mitteilte, welches ihm den neuen Bekannten so lieb gemacht hatte? Wie kam es doch, daß er kurz darauf wieder in tiefes Schweigen verfiel und in sein Arbeitszimmer zurückging? Daß er dort seinen Kopf über eine Handschrift lehnte und lange auf die krausen Züge hinstarrte, bis ihm große Tränen herabfielen, welche die Tusche der Buchstaben, auf die er so viel hielt, auflösten und verdarben, ohne daß er’s merkte? Wie kam es doch, daß der junge Mann, auf den die Mutter so gern stolz sein wollte und den der Vater so sehr verehrte, allein in seiner Stube saß und die bittersten Tränen vergoß, die ein guter Mensch weinen kann? Und woher kam es, daß er endlich mit rotgeweinten Augen am späten Abend sich zusammenfaßte und eifrig den Kopf in seine Bücher senkte, während seine schöne Schwester in der andern Ecke der Wohnung noch immer mit ihren runden Fingern über die Tasten fuhr und das schwere Stück einübte, welches bestimmt war, bei der nächsten Soiree zu wirken?

Mit diesem Tage begann für Anton und Bernhard ein Verhältnis, welches für beide Wert erhielt. Bei der Unterhaltung über das Schöne, welches die Kraft eines fremden Volkes geschaffen hatte, genossen sie die Freude, auch das Gute liebzugewinnen, das jeder in dem andern fand. Bernhards Sprachkenntnisse waren größer, und sein Gefühl für das Reizende in fremder Poesie bis zum Übermaß fein, in Antons Seele war alles geordnet und sicher. Wenn Bernhard für Byron kämpfte, so vertrat Anton die ruhige Klarheit Walter Scotts, und beide waren glücklich, als ihre Begeisterung sich vor dem größten dramatischen Dichter vereinigte.

Anton schilderte die ungewöhnliche Bildung Bernhards dem gleichgültigen Fink. Er freute sich darauf, beide miteinander bekannt zu machen, und als er einst Bernhard zu sich geladen hatte, bat er auch Fink, heraufzukommen.

»Wenn dir’s Spaß macht, Tony«, sagte Fink achselzuckend, »so will ich kommen. Ich sage dir aber im voraus, daß ich unter allen Kreaturen Büchereulen am wenigsten leiden kann. Es gibt kein Volk, welches selbstgefälliger über alles mögliche aburteilt, und keines, das sich törichter benimmt, wenn es selbst etwas tun soll. Und vollends ein Sohn des würdigen Ehrenthal! Nimm mir’s nicht übel, wenn ich euch bald entlaufe.«

Bernhard saß erwartungsvoll auf dem Sofa Antons und sah mit Befangenheit der Ankunft des berühmten Mannes entgegen, über welchen manche Sage sogar in seine stille Studierstube gedrungen war. Als Fink eintrat und die tiefe Verbeugung Bernhards mit einem leichten Kopfnicken beantwortete, sich einen Stuhl zum Tisch zog und den schwachen Tee, den Bernhard so erbeten hatte, durch allerlei Zutaten trinkbar zu machen suchte, da empfand Anton mit Betrübnis, daß diese beiden schwerlich zueinander passen würden. Kein größerer Gegensatz war möglich als ihr Wesen. Die magere durchsichtige Hand Bernhards und der kräftige Fleischton in den Muskeln Finks, die gedrückte Haltung des einen, die elastische Kraft des andern, dort ein faltiges Gesicht mit träumenden Augen, hier stolze Züge mit einem Blick, der dem eines Adlers glich: das paßte nimmermehr zusammen. Doch ging es besser, als Anton gedacht hatte. Bernhard hörte mit Achtung an, was der Jockei erzählte, und da Anton eifrig bemüht war, das Gespräch auf ein Gebiet zu bringen, wo auch Bernhard teilnehmen konnte, blieb die Unterhaltung in Fluß.

 

»Fink hat auch Indianer gesehen«, sagte Anton zu Bernhard.

»Haben Sie etwas von ihren Liedern gehört?« fragte der Gelehrte.

»Ich habe sie einige Male gehört. Möglich, daß klügere Leute etwas Erbauliches in ihrem Gesange finden, mir ist er nie anders vorgekommen als kläglich. Schlagen Sie auf ein altes Blech und singen Sie dazu durch die Nase mit allerlei Nebentönen: ›Tum, tum, te – ticke, ticke, te, – och, och, tum, tum, te‹, so haben Sie ihren Gesang, der auf deutsch ungefähr bedeuten würde: ›Guter Geist, gib Büffel, Büffel, Büffel. Dicke Büffel gib uns, guter Geist.‹« – Seine Zuhörer lachten. – »Und wozu sollen diese Geschöpfe kunstvolle Lieder machen? Entweder sind sie auf der Jagd, oder sie suchen Skalpe, oder sie essen und schlafen, oder sie halten Parlamentsreden, wozu sie allerdings große Neigung haben.«

»Aber die Frauen?« fragte Bernhard lächelnd.

»Wie es bei denen mit der Poesie steht, weiß ich nicht, mir rochen sie immer zu sehr nach Fett. Freilich, wenn man nichts anderes hat, gewöhnt man sich auch daran. Doch ist mit den Männern noch besser zu verkehren. So ein nackter Bursch auf seinem halbwilden Pferde ist kein übler Anblick.«

»Die erste Begegnung muß doch sehr imponieren, ihre auffallende Tracht und ihr stolzes Wesen«, warf Bernhard ein.

»Das kann ich nicht sagen«, versetzte Fink. »Vor Jahren machte ich mit meinem Onkel eine Reise nach der Agentur einer Pelzwarenkompanie, bei der er beteiligt war. Als wir von dem Dampfer ans Ufer stiegen, fanden wir am Landungsplatze eine Gesellschaft der rötlichen Herren, welche stark betrunken war. Ein langer Schlingel schritt auf meinen Onkel zu und hielt ihm eine Rede, die, wie der Dolmetsch erklärte, die Versicherung enthielt, daß sie sämtlich große Krieger wären, und nach jedem Satze bellte die Bande ein lautes Hau, hau, das in ihrer Sprache soviel wie ja bedeutet. Es war ein Trupp Schwarzfüße.«

»Es waren Sioux«, verbesserte Bernhard bescheiden.

Fink legte den Teelöffel hin und sah Bernhard groß an. »Ich kalkuliere, Herr, es waren Schwarzfüße.«

»Es waren doch wohl Sioux«, wiederholte Bernhard. »Bei den Schwarzfüßen lautet das Ja anders.«

»Wetter«, rief Fink, »wenn Sie mit den roten Teufeln so bekannt sind, wozu lassen Sie mich hier meine Jagdgeschichten erzählen?«

»Ich habe mich nur ein wenig um ihre Sprache gekümmert«, erwiderte Bernhard. »Es ist ein Zufall, daß ich vor kurzem einige Wörterverzeichnisse verschiedener Stämme durchgesehen habe.«

»Und wozu haben Sie sich die unnütze Mühe gemacht? Es wird dort drüben schnell aufgeräumt; bevor Sie eine Sprache erlernen, ist der Stamm ausgerottet, der sie sprach,«

Jetzt wurde Bernhard beredt. Er sagte, daß die Kenntnis der Sprachen für die Wissenschaft die beste Hilfe sei, um das Höchste zu verstehen, was der Mensch überhaupt begreifen könne, die Seelen der Völker.

Die vom Geschäft hörten aufmerksam zu. Als Bernhard sich entfernt hatte, rief Fink noch immer verwundert: »Er geht mit unserm alten Herrgott um wie mit einem Duzbruder und konnte vorhin rechts und links nicht unterscheiden.«

Die Folge dieses Abends war, daß Bernhard einige Tage später sogar auf den Polsterstuhl Finks zu sitzen kam und daß er selbst den Mut faßte, mit Anton auch Fink zu sich einzuladen. »Es ist keine Gesellschaft«, fügte er hinzu, »ich möchte nur Sie beide einmal auf meinem Zimmer sehen.«

Fink sagte zu.

Darüber entstand in der Familie Ehrenthal große Aufregung. Bernhard stäubte selbst seine Bücher ab und stellte die verkehrten zurecht, und es geschah das Unerhörte, daß er sich um die Wirtschaft kümmerte. »Es muß Tee sein, Abendessen, Wein, auch Zigarren.«

»Du sollst um nichts sorgen«, beruhigte ihn die Mutter. »Wenn der Herr von Fink dein Gast ist, so soll er sehen, wie es in unserm Hause zugeht.«

»Die Zigarren werde ich dir kaufen«, rief der Vater, »wie sie rauchen die jungen Herren, etwas Feines, und ich werde dir auch besorgen den Wein. Laß Fasanen holen, Sidonie.«

»Wir wollen einen Lohndiener annehmen«, sagte die Mutter.

»So will ich’s nicht«, widersprach Bernhard ängstlich, »die Herren kommen zu mir als gute Freunde, und so sollen sie aufgenommen werden, in meiner Stube und ohne fremden Diener.«

Und als die Stunde des Besuchs herankam, wie wurde da Bernhard eifrig; ja er wurde ärgerlich, nichts war ihm in Ordnung. »Wo ist der Teekessel? Noch steht kein Kessel in meiner Stube«, rief er der Mutter zu.

»Ich werde dir den Tee eingießen und hineinschicken, wie sich’s bei Herrengesellschaft paßt«, sagte die Mutter, die im neuen Seidenkleide auf und ab rauschte.

»Nein«, entgegnete Bernhard eigensinnig, »ich selbst will den Tee machen, Wohlfart macht ihn, und Herr von Fink macht ihn.«

»Der Bernhard will selbst den Tee machen!« rief die Mutter verwundert Rosalien zu. »Ein Wunder, er will selbst den Tee machen!« rief Ehrenthal in seiner Schlafstube, in der er gerade unter den Stiefeln klapperte. »Er will Tee machen!« rief die Köchin in der Küche und schlug die Hände zusammen.

Und wieder kam Bernhard in die Wohnstube gerannt, eine geschliffene Flasche in der Hand. »Was ist das hier?« fragte er im Eifer.

»Arrak«, sagte die Mutter.

»Es muß Rum sein, Fink trinkt keinen Arrak im Tee.«

»Ich werde selbst gehen Rum holen«, rief Ehrenthal, ergriff seinen Hut und lief mit der Flasche zum Nachbar Goldstein, dem Weinhändler.

Auf dem Wege sagte Anton zu Fink: »Es ist hübsch von dir, Fritz, daß du mitkommst. Bernhard wird eine große Freude darüber haben.«

»Der Mensch muß Opfer bringen«, erwiderte Fink. »Ich habe mir die Freiheit genommen, im voraus zu Abend zu essen, denn ich habe einen Abscheu vor Gänsefett. Aber das schönste Mädchen der Stadt ist schon eine Entsagung wert. Ich habe sie neulich wieder im Konzert gesehen, ein prachtvoller Leib. Und welche Augen! Ihr Vater, der alte Wucherer, hat nie einen Edelstein unter seinen Händen gehabt, der so funkelt.«

»Wir sind zu Bernhard eingeladen«, versetzte Anton mit leisem Vorwurf.

»Jedenfalls wird doch die Schwester zu sehen sein«, sagte Fink, »wo nicht, so zwingen wir ihn, sie vorzuführen.«

»Ich hoffe, sie wird unsichtbar bleiben«, seufzte Anton.

Die Tür öffnete sich, das Entree war durch zwei prachtvolle Lampen erleuchtet, Bernhards Stube war festlich geschmückt. Eine große Blumenvase stand auf dem Tisch, daneben buntes Porzellan, vergoldete Löffel auf seidener Tischdecke und ein großes Bund Imperials von riesigem Format, wahre Stangen, die man ohne Stütze zwischen den Lippen nicht halten konnte. Auf dem Boden war ein neuer Teppich ausgebreitet, es war alles sehr anständig. Und wie liebenswürdig war Bernhard als Wirt! Er machte den Tee. Er bat in rührender Hilflosigkeit Fink um Rat, wieviel Tee er einschütten solle, er drehte den Hahn so künstlich herum, daß lange Zeit gar nichts aus der Öffnung floß und dann wieder die Flut nicht zu bändigen war. Errötend scherzte er über seine eigene Ungeschicklichkeit, und seine Augen leuchteten vor Freude, als Fink entschied, der Tee sei vortrefflich. Eifrig bot er die Zigarren, andächtig hörte er die Belehrung, die ihm Fink über das schickliche Maß hielt, in welchem diese Erfindung menschlichen Scharfsinnes geformt werden müsse. Und ganz glücklich wurde er, da Anton endlich bat, dem Freund seine Bücherschätze zu zeigen, und da Fink über das Aussehen der fremden Buchstaben humoristische Glossen machte. Als gute Leute saßen die drei zusammen und plauderten eine Stunde in bester Eintracht. Fink war in der menschenfreundlichsten Stimmung, und Anton bat die Götter im Stillen, die schöne Schwester nur heut von ihrem Tische fernzuhalten.

Doch Punkt neun Uhr öffnete sich die Tür des Nebenzimmers, und Frau Sidonie überschritt majestätisch die Schwelle. »Bathseba tritt ein zu König David«, sagte Fink leise zu Anton, erzürnt drückte ihm Anton den Fuß. Bernhard stellte verlegen vor, die Frau vom Hause lud in das Nebenzimmer, Herr Ehrenthal und Rosalie präsentierten sich. Fink trat zu dem schönen Mädchen, nannte sie gnädiges Fräulein und erzählte ihr, daß er eine alte Bekanntschaft erneuere, da er sie bereits in der Akademie gesehen habe. Er setzte sich zwischen Mutter und Tochter zu Tisch, er sagte ihnen im gleichgültigsten Ton so viele Artigkeiten, daß beide bezaubert wurden. Er rühmte gegen die Mutter die entfernte Residenz, gegen welche diese Stadt ein kleinlicher Haufe von Ziegelsteinen sei, er ließ sich mit Rosalie in eine lebhafte Unterhaltung über Musik ein, für die er sonst wenig Herz hatte, er versprach ihr beim nächsten Wettrennen einen guten Platz auf der Tribüne, er erzählte kleine Geschichten aus der besten Gesellschaft, in denen er mit Humor die Schwächen derselben karikierte. Er entzückte dadurch die Frauen, die mit Eifersucht auf die Kreise hinsahen, die sich gegen Leute von Bildung so sehr abschlossen, er erfreute dadurch auch Bernhard, der auf diese Berichte lauschte wie auf die Kunde aus fremder Welt. Es war von einer Fürstin die Rede, welche für eine berühmte Schönheit galt, Fink war ihr irgendeinmal vorgestellt worden und fand, daß sie dem Fräulein vor ihm zum Verwechseln ähnlich sah, etwas kleiner war die Fürstin, die Gestalt weniger edel; er bewunderte dreist eine Mosaikbrosche an der Brust von Frau Sidonie und verglich sie mit einem kostbaren Kunstwerk in einem Museum. Nur Vater Ehrenthal war für ihn nicht vorhanden. Nach den ersten Begrüßungen mit Anton machte der Händler einige vergebliche Versuche, mit Fink eine Unterhaltung anzuknüpfen. Aber Fink sprach über ihn weg, als ob ein Stück Luft auf dem Stuhl des Hausherrn sitze. Und doch war er nicht unartig, jedem war, als müßte es so sein. Ehrenthal selbst fand sich mit Demut in die bescheidene Rolle, zu der er verurteilt war, und rächte sich dadurch, daß er einen ganzen Fasan verzehrte.

Als Fink merkte, daß es ein wenig unbequem war, die Frauen zu lebhafter Teilnahme an der Unterhaltung heranzuziehen, fing er an, in seiner Weise mit Worten zu phantasieren.

Die Mutter klagte gegen ihn über Bernhards Stubensitzen.

»Er ist ein Aristokrat«, antwortete Fink gutmütig. »Der zehnte Mensch ist ihm nicht recht. Die Herren Gelehrten haben alle diese Eigentümlichkeit. Wenn ich meinem Schöpfer für etwas dankbar bin, so ist es dafür, daß er mich zu einem einfachen bescheidenen Manne gemacht hat, dessen Kopf nicht stark genug ist, große Weisheit zu vertragen. Uns gewöhnlichen Menschen wird es am leichtesten, mit dieser Welt fertig zu werden, wir sind genötigt, uns in andere zu schicken. Wer aber berechtigt ist, große Ansprüche zu machen wegen seines Wissens oder wegen seiner Schönheit« – hier neigte er sich mit überzeugender Ehrlichkeit gegen die Tochter vom Hause –, »der findet leicht die Welt nicht so, wie er sie fordert, während ich und meinesgleichen die Überzeugung haben, daß sie ganz vortrefflich ist.«

»Es ist doch vieles Gemeine auf der Erde«, sagte Madame Ehrenthal.

»Daß ich nicht wüßte«, rief Fink lachend. »Ich gebe Ihnen zu, daß einige Insekten einen gemeinen Charakter haben und daß es gemein ist, sich mit Branntwein zu betrinken. Im übrigen kommt vieles auf Ansichten an. Sehen Sie diese Auster. Ich wette, es gibt zahlreiche Fische und Erdbewohner, welche dies holde Geschöpf für etwas Gemeines halten, mir erscheint sie als eine der vornehmsten Erfindungen der Natur. Was verlangen wir von einem Vornehmen? Die Auster hat alles: sie ist ruhig, sie ist still, sie sitzt fest auf ihrem Grund und Boden. Sie schließt sich ab gegen die Außenwelt wie kein anderes Geschöpf. Wenn sie ihre Schalen zuklappt, so deutet sie auf das entschiedenste an: Ich bin für niemand zu Hause; wenn sie ihr perlmutternes Haus öffnet, so zeigt sie den bevorzugten Ebenbürtigen ein zartes gefühlvolles Wesen. Wenn der Mensch das Recht hat, etwas Geschaffenes zu beneiden, so ist es die Auster. Sie werden sagen, daß das Seewasser kein ansprechendes Element ist. Aber da muß ich widersprechen. Wer auf die schlechte Gewohnheit verzichten kann, alle Augenblicke nach Luft zu schnappen, wie wir leider tun müssen, für den muß es dort unten auf dem Meeresgrund sehr gemütlich sein.« Er wandte sich zu Rosalie: »Nur die musikalische Bildung der Auster ist, wie ich fürchte, ungenügend. Außer dem Heulen des Sturmwinds und dem Gerassel des Dampfschiffs dringen nicht viele Töne in ihre Behausung.«

 

»Treiben Sie Musik?« fragte Rosalie.

»Kaum darf ich das zugeben«, erwiderte Fink verbindlich. »Ich klimpere ein wenig auf dem Flügel herum, und wenn ich zu singen versuche, meide ich Menschenwohnungen. Aber ich stehe zur Musik in dem Verhältnis eines unglücklichen Liebhabers. Ich habe ein Instrument, das ich schwärmerisch verehre, und ich würde viel darum geben, wenn ich imstande wäre, dieses mit Meisterschaft zu spielen.«

»Die Violine?« fragte Rosalie.

»Vergebung, die Pauke. Ich frage Sie, was heißt spielen auf den andern Instrumenten? Es ist ein ewiges unruhiges Umherrasen von der Höhe zur Tiefe und wieder umgekehrt, eine ungemütliche Anstrengung in allen möglichen Schnelligkeiten, Triolen, Trillern, Tremolos und wie die Quälereien alle heißen. Nur selten erscheint eine lange, dicke, ruhige Note, ein solider Ton, welcher aushallt und nicht von der nächsten Note seinen Fußtritt bekommt. Nehmen Sie dagegen den Ton der Pauke. Welche Kraft, welche Feierlichkeit und welche Wirkung! Und erst der Glückliche, dem ein solches Instrument anvertraut wird! Man sagt den übrigen Virtuosen nach, daß sie reizbar und empfindlich sind, der Pauker wird ein Held, ein großer Charakter, er bekommt eine Weltanschauung, wie sie nur auf dem erhabensten Standpunkt möglich ist. Er pausiert, dreißig, fünfzig Takte, unterdes rennt und quiekt das Volk der übrigen Töne durcheinander, wie die Mäuse, wenn die Katze nicht zu Hause ist. Er allein steht in einsamer Größe, scheinbar mit nichts beschäftigt, er nimmt vielleicht eine Prise oder sucht sich lächelnd die schönsten Damen im Zuhörerraum. Aber innerlich denkt er: 27, wartet nur, ihr ruppiges Notengesindel, 28, ich werde euch sogleich eins auf den Kopf geben, 29, diese Geige wird naseweis, 30, bum! Er schlägt auf, und die andern Instrumente fahren aufgeregt zusammen, sie fühlen die Sprache ihres Herrn und Meisters, und alle Zuhörer atmen tief auf, das große Wort ist gesprochen.« – Rosalie lachte.

»Ich lasse mir nächstens ein paar Pauken bauen und werde mir die Ehre geben, ein Duett für Pauke und Fortepiano zu schreiben und ihnen, mein Fräulein, zu widmen, am liebsten ein gefühlvolles Notturno. – Beim Apoll, ein vortrefflicher Wein! Was für ein Landsmann? Ich habe noch nicht die Ehre seiner persönlichen Bekanntschaft.«

»Es ist ein Ungarwein, alter Menes«, rief Vater Ehrenthal über den Tisch, »er hat fünfzig Jahre gelegen im Keller.«

»Kennen Sie die Sorte, Herr Bernhard?« fragte Fink, die Worte des Vaters überhörend.

»Ich verstehe wenig vom Wein«, sagte Bernhard.

»Schade«, erwiderte Fink. »Wer ein Gönner der Poeten ist wie Sie, der sollte auch etwas auf seinen Weinkeller halten. Aber da wir von Musik sprechen, müssen Sie uns wenigstens sagen, wie Ihre persischen Freunde, die Herren Jussuf und Saadi, ihre Lieder den schwarzäugigen Schönen vorsingen. Bitte, rezitieren Sie uns ein Gedicht auf persische Weise.«

Bernhard setzte ernsthaft auseinander, daß die Musik des Orients für unser Ohr manches Auffallende habe, und hatte lange zu tun, um die angelegentlichen Bitten Finks abzuwehren, welcher durchaus einen Vortrag in Originalsprache und Melodie von ihm hören wollte.

So zog Fink die Tafel hin bis nach Mitternacht, zuletzt mußte Rosalie sich an den Flügel setzen, dann fuhr auch er mit den Fingern über die Tasten und sang ein wildes Lied in spanischer Sprache. Als die Gäste sich entfernten, war die Familie entzückt. Rosalie eilte wieder an den Flügel und suchte die Melodie des fremden Gassenhauers zu wiederholen, die Mutter war unerschöpflich im Ruhme des vornehmen Wesens; auch der von den Stühlen der Menschheit gestrichene Vater war über den Besuch des reichen Erben begeistert und wiederholte in angenehmer Weinlaune, daß er über eine Million schwer sei. Selbst Bernhards unschuldige Seele war durch die Art des gewandten Mannes mächtig gefesselt. Wohl hatte er bei den Reden Finks zuweilen ein leichtes Mißbehagen gefühlt, es war ihm vorgekommen, als mache der Fremde sich über ihn und die Seinen lustig, aber er war zu unerfahren, um das vollständig zu übersehen, und beruhigte sich damit, daß solche Gleichgültigkeit zum Wesen der Weltleute gehöre.

Nur Anton war unzufrieden mit dem Freunde und sagte ihm das auf dem Heimwege.

»Du hast gesessen wie ein Stock«, erwiderte Fink, »ich habe die Leute unterhalten, was willst du mehr? Laß dich in eine Maus verwandeln und kriech in die Löcher der aufgeputzten Stube, und du wirst hören, wie sie jetzt mein Lob singen. Kein Mensch kann mehr verlangen, als daß man ihn so behandelt, wie ihm selbst behaglich ist.«

»Ich meine«, sagte Anton, »man soll ihn so behandeln, wie es der eigenen Bildung würdig ist. Du hast dich benommen wie ein leichtsinniger Edelmann, der morgen bei dem alten Ehrenthal eine Anleihe machen will.«

»Ich will leichtsinnig sein«, rief Fink lustig, »vielleicht will ich auch eine Anleihe bei dem Hause Ehrenthal machen. Schweig jetzt mit den Bußpredigten, es ist ein Uhr vorüber.«

Einige Tage später erinnerte sich Anton nach dem Schluß des Kontors, daß er dem jungen Gelehrten die Übersendung eines Buches versprochen hatte. Da Fink schon vor einer Stunde weggegangen war und, wie er oft tat, den Paletot Antons mitgeführt hatte, so wickelte dieser sich in Finks Burnus, der auf seiner Stube lag, und eilte in Ehrenthals Haus. Er trat an die weiße Tür und war nicht wenig verwundert, als die Tür geräuschlos aufging und eine verhüllte Gestalt herausschlüpfte. Ein weicher Arm legte sich in den seinen, und eine leise Stimme sprach: »Kommen Sie schnell, ich erwarte Sie schon lange.« Anton erkannte Rosaliens Stimme. Er stand starr wie eine Bildsäule und erwiderte endlich mit dem Erstaunen, das in solcher Lage verzeihlich ist: »Sie verkennen mich, mein Fräulein.« Mit einem unterdrückten Schrei huschte die junge Dame die Stufen hinab. Anton trat kaum weniger erschrocken in Bernhards Zimmer. Er hatte in der Verwirrung den Mantel nicht abgenommen und erlebte jetzt das Leid, daß der kurzsichtige Bernhard auf ihn zutrat und ihn Herr von Fink anredete. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf, er schützte gegen Bernhard große Eile vor und trug den unglücklichen Mantel schnell nach Hause über einem Herzen voll Schmerz und Ärger. Wenn es Fink war, der von der schönen Tochter Ehrenthals zu so vertraulichem Abholen erwartet wurde! Je länger Anton auf den Abwesenden harrte, desto höher stieg sein Unwille. Endlich hörte er Finks Tritte auf den Steinen des Hofes und eilte mit dem Mantel zu ihm hinab. Er erzählte kurz, was ihm begegnet war, und schloß mit den Worten: »Sieh, ich hatte deinen Mantel um, und es war dunkel, ich habe den häßlichen Verdacht, daß sie mich für dich gehalten hat und daß du das Vertrauen Bernhards in unverantwortlicher Weise mißbraucht hast.«

»Ei, ei«, sagte Fink kopfschüttelnd, »da sieht man, wie schnell der Tugendhafte bereit ist, seine Steine auf andere zu werfen. Du bist ein Kindskopf. Es gibt mehr weiße Mäntel in der Stadt, wie kannst du beweisen, daß es gerade mein Mantel war, der erwartet wurde? Und dann erlaube mir die Bemerkung, daß du selbst dich bei diesem Abenteuer in einer Weise benommen hast, die weder artig noch entschlossen, noch irgend etwas anderes war als täppisch. Warum hast du nicht das Fräulein die Treppe heruntergeführt? Und wenn die Verwechselung unten nicht mehr zu verbergen war, konntest du nicht sagen: Zwar bin ich nicht der, für den Sie mich halten, aber ich bin ebenfalls bereit, in Ihrem Dienst zu sterben, und so weiter?«