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Soll und Haben

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»Ich will mir Mühe geben«, sprach der Händler mit Zurückhaltung, »aber es wird am besten sein, wenn auch der Herr Baron bei diesem Geschäft Erkundigungen einziehen, denn ich mache sonst keine Geschäfte mit Hypotheken.«

Wenn diese Äußerung auch nicht wahrhaftig war, so erfüllte sie doch ihren Zweck, denn die kühle Unschuld des Händlers steigerte das Zutrauen des Freiherrn zu ihm um ein bedeutendes. Ehrenthal aber suchte eilig von dem Gute wegzukommen; er vernachlässigte diesmal die feinwolligen Sprungböcke, übersah das runde Aussehen der Sperlinge auf dem Dache und grollte seinem Kutscher, weil dieser zu langsam fuhr. »Wenn ich einer Schnecke binde die Zügel an ihre Hörner, so wird sie mich schneller fahren als Ihr«, zankte er ärgerlich und rückte auf seinem Sitze hin und her.

Der Kutscher peitschte verdrießlich die Pferde und warf grob über die Schultern zurück: »Wenn Sie Ihren Pferden mehr Hafer geben, werden sie mehr sein wie die Schnecken. Zwei Metzen Hafer, und er verlangt Galopp auf steinigem Wege!«

Der Freiherr fuhr am nächsten Tage nach der Stadt und ersuchte seinen Rechtsfreund, die nötigen Anstalten zur Erwerbung einer Hypothek zu machen. Er verbarg ihm nicht, daß er diese gern mit einigem Vorteil erhalten würde.

Der verständige Jurist riet ihm dringend, auf solchen Vorteil zu verzichten, weil keine Aussicht sei, daß er eine sichere Anlage um weniger als den Nennwert bewirken werde. Gerade dieser Rat machte den Freiherrn nur noch mehr geneigt, sich beim Erwerb der Hypothek seinem eigenen Urteil zu überlassen.

Einige Tage darauf meldete sich beim Baron ein starker, großer Mann mit rötlichem, glänzendem Gesicht, ein Herr Pinkus aus der Hauptstadt. Der würdige Herbergsvater wurde in das Arbeitszimmer des Barons geführt und beeilte sich, sein Erscheinen zu entschuldigen. Er hatte gehört, daß der gnädige Herr Geld anzulegen wünschte, und wußte eine ausgezeichnet sichere, höchst empfehlenswerte Hypothek von vierzigtausend Talern auf eine große Herrschaft in der benachbarten Provinz, Eigentum des reichen Grafen Zaminsky, der im Auslande lebte. Die Güter, auf welchen die Hypothek haftete, hatten alle möglichen Vorteile: es waren drei, vier Güter, es war eine Waldfläche dabei von mehr als zweitausend Morgen, und reiner Urwald war das nach den Schwüren des Berichterstatters. Vier Dörfer waren zu Spann- und Handarbeit verpflichtet, hundert Stellen in vier Dörfern hatten bares Geld an die Herrschaft zu zahlen, kurz, es war eine Besitzung, welche dem größten Fürsten keine Schande gemacht hätte. Und diese Hypothek von vierzigtausend Talern stand mit ihrem Pfandrecht gleich hinter den ersten hunderttausend Talern. Hinter ihr waren noch fünf oder sechs kleinere, aber immerhin ansehnliche Kapitalien eingetragen. Die Hypothek war gegenwärtig im Besitz des Grafen Zaminsky selbst. Er hatte diese seinem Geschäftsträger zum Verkaufe zediert. Und dieses vortreffliche Instrument war, wie Pinkus geheimnisvoll andeutete, möglicherweise für neunzig Prozent, also für sechsunddreißigtausend Taler zu haben. Es war unbequem, daß die Herrschaft in einer benachbarten Provinz lag, in welcher die Landwirtschaft noch viele altertümliche Eigenheiten hatte. Aber die Grenze war höchstens zwei Meilen entfernt, die nächste Kreisstadt war durch die Chaussee mit der Welt verbunden, kurz, es gab nichts, was nicht bei unbefangener Betrachtung an der Hypothek einnehmend erschienen wäre, und Pinkus würde sich nie entschlossen haben, einen solchen Schatz irgendeinem fremden Käufer zu gönnen, wenn dieser nicht in so ausgezeichneter Weise alle Tugenden in seiner Person vereinigte wie der Freiherr.

Der Gutsherr verhielt sich gegenüber diesen Anpreisungen würdig, wie einem Mann von Erfahrung geziemte. Vor seinem Abgang zog Pinkus ein dickes Aktenbündel, welches das Dokument selbst vorstellte, aus einer Ledertasche hervor und legte es vertrauensvoll vor dem Freiherrn auf den Tisch, damit dieser mit Muße die Richtigkeit aller Angaben prüfen könne.

Am andern Morgen fuhr der Freiherr mit dem Dokument zu seinem Rechtsfreund, ersuchte ihn, dieses durchzusehen und die nötigen Ermittelungen anzustellen. Er selbst stieg die schwarze Treppe zur weißlackierten Pforte des Herrn Ehrenthal hinauf.

Ehrenthal war entzückt über das Glück, welches ihm widerfuhr, er warf seinen Schlafrock mit Blitzeseile ab und bestand darauf, der Herr Baron möge ihm die unendliche Ehre erweisen, bei ihm zu frühstücken. Der Freiherr war human genug, das nicht auszuschlagen; er wurde in das distinguierte Putzzimmer des Hauses geführt und sah mit innerer Heiterkeit über die auffallenden Farben der bunten Vorhänge, den roten Plüsch des Sofas, den unsauberen Fußboden und die zahlreichen schlechten Ölbilder an den Wänden, dicke Farbenmassen, welche wahrscheinlich auf dem Trödel gekauft waren und schwärzlichen Baumschlag aus irgendeinem unreinlichen Weltteil darstellten. Die schöne Rosalie trat nach einer Weile selbst herein mit rabenschwarzen Hängelocken, in rauschendem Seidenkleid, machte eine tiefe Verbeugung und besetzte den Frühstückstisch. Es war dem Freiherrn eine stille Unterhaltung, zu beobachten, wie die gezierte Haltung der Tochter von dem kriechenden Wesen des Vaters abstach, und der gute Herr freute sich schon darauf, wie er auf den Abend beim Teetisch der Baronin und seiner Lenore dies wunderliche Gemisch von Luxus und Unbehilflichkeit schildern würde. So saß er auf dem Sofa und sah mit freundlichem Lächeln auf den Händler. Herr Ehrenthal saß ihm gegenüber und freute sich auch, und auch sein Mund lächelte verbindlich. Endlich sagte der Freiherr, nachdem er der schönen Tochter des Hauses einige artige Worte gegönnt hatte: »Kennen Sie einen Herrn Pinkus, lieber Ehrenthal?«

Die Tochter verschwand bei diesen geschäftlichen Andeutungen, der Vater rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. »Ja, ich kenne ihn«, sagte er kühl, »er ist ein kleiner Geschäftsmann; ich glaube auch, daß er ist ein ehrlicher Mann. Er ist nicht von Bedeutung, er macht seine Geschäfte nach Polen zu.«

»Haben Sie diesem Herrn etwas von meinem Wunsche gesagt, eine Hypothek zu kaufen?« fragte der Freiherr weiter.

»Was sollte ich es ihm sagen?« antwortete Ehrenthal. »Ist er gewesen bei Ihnen wegen einer Hypothek«, fuhr er kopfschüttelnd fort, »so hat er es erfahren von einem andern Geschäftsmann, mit dem ich darüber gesprochen. Der Pinkus ist ein kleiner Mann, was kann er bringen eine Hypothek für Sie?« Hier deutete Herr Ehrenthal durch eine Handbewegung an, wie klein Pinkus sei, und hob die Augen in die Höhe, gleichsam um die unermeßliche Höhe des Barons anzudeuten.

Der Baron erzählte ihm darauf, welche Hypothek der Unterhändler ihm angeboten habe, und fragte nach den Gütern und Verhältnissen des Grafen.

Herr Ehrenthal wußte nichts Näheres, besann sich aber, daß ein respektabler Geschäftsmann aus jener Gegend in der Stadt sei, und erbot sich, diesen Mann aufsuchen zu lassen und in die Wohnung des Freiherrn zu senden.

Das nahm der Freiherr an und erhob sich. Ehrenthal begleitete ihn die Treppe hinunter bis in den Hausflur und sagte beim Abschiede: »Seien Sie vorsichtig mit der Hypothek, Herr Baron, es ist schönes Geld, und es gibt viele schlechte Hypotheken, aber es gibt auch gute Hypotheken, und es wird viel geschwatzt von manchen Geschäftsleuten zur Empfehlung ihrer Sachen. Und was den Löbel Pinkus betrifft, so ist er nur ein kleiner Mann, er wird nicht viel haben vom Geschäft, aber er ist, soweit ich ihn kenne, ein ehrlicher Mann. Was Sie mir von der Hypothek sagen, scheint gut, aber doch bitte ich untertänig, Herr Baron, seien Sie vorsichtig.«

Da der Freiherr durch diese wortreiche Rede um nichts klüger geworden war, so ging er in seine Wohnung und erwartete mit Ungeduld die Ankunft des fremden Geschäftsmannes. Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es ein Herr Löwenberg, in seiner Erscheinung ein Seitenstück zu Ehrenthal und Pinkus. Nur war er etwas hagerer und trug als Mann aus der Provinz ein schweres spanisches Rohr und in der Hand eine Mütze. Er gab sich als Weinkaufmann zu erkennen und zeigte sich über die betreffenden Güter und die Verhältnisse des Grafen sehr gut unterrichtet. Er erzählte, daß der gegenwärtige Besitzer noch jung sei und im Auslande lebe, daß dessen verstorbener Vater etwas bunt gewirtschaftet habe; dagegen sei jetzt bessere Ordnung eingeführt, man erzähle Gutes von dem Erben, und wenn auch Kapitalien auf den Gütern ständen, so habe die Familie doch so viel Mittel, daß an eine Gefährdung ihres Besitzes gar nicht zu denken sei. Die Güter seien noch nicht auf hoher Kulturstufe, jedenfalls sei aber viel daraus zu machen, und er hoffe, der junge Graf werde der Mann dazu sein. Alles, was er sagte, war nicht übertrieben, es klang recht nüchtern und verständig. Das Ganze war entschieden günstig, und als der Fremde den Baron verließ, war dieser fest entschlossen, das Geschäft zu machen. Um nichts zu versäumen, ging er noch zu einem seiner Bekannten und zog Erkundigungen ein. Was er erfuhr, war nicht viel, aber auch nicht ungünstig. Die Hauptsache war, daß die Familie eine sehr alte und in ihrer Provinz angesehene Familie war und daß der verstorbene Graf Zaminsky wild gewirtschaftet hatte. Bevor er nach Hause fuhr, erhielt er einen Gegenbesuch des Herrn Ehrenthal, welcher ihn benachrichtigte, daß die Wolle der Schafe auf diesen Gütern allerdings nicht fein sei, und dagegen vom Freiherrn erfuhr, daß er vor allem noch das Gutachten seines Rechtsfreundes abwarten wolle, bevor er sich entschließe.

Das kleine Kontor Ehrenthals lag im Wohnhaus zu ebener Erde und hatte seinen einzigen Eingang von dem Hausflur. Es war gegen Abend, als Herr Ehrenthal in das Kontor trat, wo Itzig gelangweilt vor einem Buch weißen Briefpapiers saß und die Ankunft seines Meisters erwartete. Ehrenthal war in großer Aufregung, er legte seinen Stock auf den Tisch, vergaß aber seinen Hut abzunehmen und schritt unruhig in dem Raume auf und ab.

 

Itzig dachte: Was tut der Mann? Was hat er, daß er so in Sorgen ist? Da trat Ehrenthal vor Itzig und sagte mit Eifer: »Itzig, heut werden Sie zeigen, ob Sie verdienen, daß Sie Brot bei mir haben und den Mittagstisch, den ich ihnen gebe wegen Ihrer Bildung.«

»Was soll ich tun?« sprach Veitel und erhob sich von seinem Sitz.

»Erst werden Sie mir rufen den Löbel Pinkus, dann werden Sie mir bestellen eine Flasche Wein und zwei Gläser, und dann gehen Sie fort, ich brauche Sie heute nicht mehr. Sie sollen mir aber gehen und herausbringen, an wen der Justizrat Horn, welcher wohnt am Markte, heut geschrieben hat nach Rosmin außerhalb der Provinz, und wenn er heut nicht geschrieben hat, an wen er morgen schreibt. Ich werde Ihnen geben fünf Talerstücke, damit Sie das können erfahren. Wenn Sie mir heut abend noch Antwort bringen, so sollen Sie außerdem haben einen Dukaten.«

Veitel erglühte innerlich, entgegnete aber mit dem Schein von Kälte: »Ich kenne keinen von den Schreibern des Justizrats und brauche Zeit, bis ich machen kann ihre Bekanntschaft. Morgen abend sollen Sie Antwort haben, Sie können mir aufheben den Dukaten auf morgen.«

»Wenn Sie Bescheid bringen, kommen Sie zu jeder Zeit, und wenn es wäre nach Mitternacht«, rief ihm Ehrenthal nach.

Itzig sprang die Treppe hinauf, bestellte in der Küche eine Flasche Wein und lief dann als Spürhund auf die Straßen.

Unterdes schritt Herr Ehrenthal, den Hut auf dem Kopfe, die Hände auf dem Rücken, immer noch in dem Kontor auf und ab und nickte dabei mit dem Haupt wie eine Pagode. So sah er in dem Halbdunkel des Zimmers aus wie ein dickes schwarzes Gespenst, das seinen abgeschlagenen Kopf nicht fest auf den Schultern halten kann.

Veitel führte auf seinem Gange lebhafte Unterhaltung mit sich selbst. ›Was ist los?‹ fragte er. ›Es muß ein großes Geschäft sein und soll mir bleiben ein Geheimnis. Ich soll den Pinkus holen. Der Pinkus ist gewesen vor einigen Tagen beim Ehrenthal, und den Tag darauf ist er gefahren aufs Land zum Baron Rothsattel. Das Geschäft ist also über den Baron. Und der Ehrenthal will einem vorsetzen ein Glas Wein, der Pinkus bekommt keinen Wein, es muß sein ein anderer, es wird nicht sein der Baron selbst, denn den Edelmann führt er nicht aufs Kontor, der muß oben hinauf zum roten Plüsch. – Wenn der Pinkus zu tun hat bei dem Geschäft mit dem Baron, so kann er nur haben gestellt das Sprenkel für den Rotschwanz, und der jetzt abends kommt, den ich nicht sehen soll, der muß sein der Treiber – und der Ehrenthal selber? Als er heut herunterging mit dem Baron, habe ich gehört, wie er sagte: ›Seien Sie vorsichtig!‹ Folglich ist der Alte der Scheucher. Wenn der Ehrenthal scheucht, so muß es sein ein großes und delikates Geschäft.‹ Bei diesem Punkte seines Monologs war Veitel vor der Herberge angekommen, er bestellte seinem Wirt, der eilig aus dem Laden in seine Stube lief, sich einen besseren Rock anzuziehen, und ging dann im Selbstgespräch weiter. ›Wenn der Schreiber, der die Briefe aus dem Geschäft des Justizrats trägt, um sieben Uhr zur Post geht und ich die Adresse von den Briefen lesen könnte, so würde ich mir ersparen die fünf Taler‹, überlegte er weiter. ›Es geht nicht‹, setzte er bekümmert hinzu, ›er gibt die Briefe in einem Haufen in das Postloch hinein, der Postmann ist zu schnell, ich werde nicht lesen können die verkehrten Adressen. – Vielleicht kann ich’s doch möglich machen; der die Briefe auf die Post trägt, ist gewöhnlich ein junger Mensch; vielleicht kann ich über ihn kommen. Und geht’s nicht so, so geht’s anders, ich kenne einen Schreiber von einem Justizmann, welcher schon manchen Groschen von mir verdient hat. Die Schreiber kennen einander alle. Wenn ich ihm zwei Taler gebe, besorgt er mir das Verzeichnis der Briefe von seinem Kollegen, drei Taler will ich sparen.‹

Nachdem Veitel diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er in das Haus des Rechtsanwalts und stellte sich, wie jemand erwartend, so auf, daß er das Amtslokal im Auge hatte; es war kurz vor dem Schluß der Sprechstunde; mehrere Menschen, welche den vielbesuchten Notar konsultiert hatten, kamen die Treppen herab. Endlich polterte ein eiliger Schritt, ein junger Mann stürzte mit einem Paket Briefe hinaus. Veitel setzte ihm in langen Schritten nach, machte an der nächsten Ecke eine Schwenkung und stand vor dem Schreiber. Er berührte seinen Hut: »Sie sind aus dem Geschäft des Justizrats Horn?« – »Ja«, sagte der Schreiber eilig und wollte weitergehen.

»Ich bin aus der Provinz und warte seit drei Tagen auf einen dringenden Brief vom Herrn Justizrat, ich bin heut gekommen, um ihn zu sprechen, vielleicht haben Sie selbst einen Brief an mich aufzugeben an der Post.«

Mißtrauisch sah der Schreiber ihn an und fragte: »Wie heißen Sie?« Veitel griff in die Tasche, holte schnell ein Achtgroschenstück hervor und sagte: »Ich will nichts Unrechtes von Ihnen, junger Mann, ich will nur, daß Sie die Gefälligkeit haben und mich lassen nachsehen, ob ein Brief für mich da ist.«

»Ich kann Ihr Geld nicht nehmen«, erwiderte der Schreiber kurz, im Begriff weiterzugehen. »Wie heißen Sie denn?«

»Bernhard Magdeburg aus Ostrau«, sagte Veitel schnell, »es kann aber der Brief auch sein an meinen Onkel.«

»Es ist kein Brief für Sie darunter«, antwortete der Schreiber, flüchtig die Adressen auseinanderhaltend.

Veitels Augen starrten auf die Briefe, als wollten sie das Papier durchbrennen, es war ihm aber nicht möglich, mit den Augen der Handbewegung des Schreibers zu folgen. Er faßte daher mit schnellem Griff das Bündel Briefe, und während der erzürnte Schreiber ihn von der andern Seite packte und rief: »Was fällt Ihnen ein, Herr, wie können Sie sich unterstehen!«, las er mit fliegender Eile die Aufschriften, gab die Briefe in einer verzweifelten Ruhe zurück und sagte, an den Hut greifend: »Ich danke ihnen, es ist nichts für mich darunter.« Der empörte Schreiber wollte ihn halten: »Herr, wie können Sie diese Unverschämtheit haben!«

»Versäumen Sie nicht die Post«, sagte Veitel gutmütig, »ich gehe jetzt selbst zum Herrn Justizrat.« Damit drehte er sich schnell auf das Haus zu und entkam dem Schreiber, welcher einen Augenblick ganz erstarrt über die Frechheit dastand und endlich nach der Post stürzte, um die versäumte Zeit nachzuholen.

Veitel hatte nur wenig Adressen in seinem Gedächtnis behalten trotz seiner schnellen Beobachtungsgabe. »Vielleicht ist damit der Dukaten verdient«, sagte er, »wo nicht, so schadet’s auch nichts.« Er schlich langsam auf Umwegen nach seinem Kontor zurück, stellte sich an die Tür und horchte. Der würdige Pinkus sprach, aber es wurde leise geredet, und Veitel konnte nur wenig verstehen. Endlich wurden die Stimmen lauter, und es klang wie Zank zwischen den beiden Herren.

»Wie können Sie fordern eine so große Summe für den einen Weg?« rief Ehrenthal zornig. »Ich habe mich in Ihnen getäuscht, wenn ich Sie habe gehalten für einen zuverlässigen Mann.«

»Ich will zuverlässig sein«, klang die Stimme des Pinkus dazwischen, »aber ich muß vierhundert Taler haben, oder es wird nichts aus dem Geschäft.«

»Wie können Sie sagen, daß nichts aus dem Geschäft wird? Was wissen Sie von dem ganzen Geschäft? Wer sind Sie, daß Sie etwas davon wissen können?«

»Ich weiß so viel, daß ich mir kann die vierhundert Taler geben lassen von dem Baron, wenn ich zu ihm gehe und ihm sage, was ich weiß«, schrie Pinkus mit lauter Stimme.

»Sie sind ein schlechter Mensch«, rief Ehrenthal im Zorn. »Sie sind mir verächtlich wie eine Maus, welche piept in ihrem Loch. Wissen Sie, wen Sie so behandeln? Mich behandeln Sie so«, fuhr er immer zorniger fort. »Ich kann Ihnen nehmen Ihren Kredit und werde Sie bekannt machen als ein schlechtes Subjekt bei allen Geschäftsleuten.«

»Und ich will Sie bekannt machen dem Baron, was Sie sind für ein schlechter Mann«, rief seinerseits Pinkus erzürnt.

Bei diesen Worten öffnete sich die Tür, Veitel tauchte mit einem Sprung in den Schatten der Treppe.

»Ich will Ihnen Zeit lassen zur Überlegung bis morgen früh«, schrie der abgehende Pinkus ins Kontor zurück und rannte hinaus.

Veitel trat mit größter Unbefangenheit in das Kontor und wurde von seinem Patron, der in dem kleinen Raume auf und ab stürmte wie ein wildes Tier im Käfig, gar nicht gesehen. »Gerechter Gott, daß dieser Löbel sein kann ein solcher Verräter! Er wird alles ausschwatzen auf dem Markte, er wird mich ruinieren«, jammerte Herr Ehrenthal und schlug die Hände zusammen.

»Wozu soll er Sie ruinieren?« fragte Veitel und warf seinen Hut auf das Pult.

»Was wollen Sie hier? Was haben Sie gehört?« schrie ihn Ehrenthal zornig an.

»Alles habe ich gehört«, sagte Veitel kaltblütig. »Sie haben ja beide geschrien, daß man es hören mußte in dem Hausflur. Warum haben Sie mir ein Geheimnis gemacht aus dem Geschäft? Wenn Sie mir gesagt hätten, was Sie vorhaben, ich hätte Ihnen den Löbel billiger verschafft.«

Herr Ehrenthal sah starr auf den kecken Burschen und konnte nichts hervorbringen als die Worte: »Was ist das?«

»Ich kenne den Pinkus«, fuhr Veitel fort, entschlossen, sich zum Mitspieler in dem Stück zu machen, welches jetzt aufgeführt wurde. »Wenn Sie ihm geben hundert Taler, so wird er Ihnen als treuer Mann verkaufen eine gute Hypothek an den Baron.«

»Was wissen Sie von der Hypothek?« fuhr Herr Ehrenthal bestürzt heraus.

»Ich weiß genug, um Ihnen dabei zu helfen, wenn ich helfen will«, antwortete Veitel. »Und ich will Ihnen helfen, wenn Sie haben Vertrauen zu mir.«

Herr Ehrenthal starrte immer noch verwundert in das Gesicht seines Buchhalters, es dämmerte ihm die Ansicht, daß sein Gehilfe mehr kaltes Blut und Entschlossenheit haben könnte als er selbst. Endlich rief er zwischen Freude und Sorge: »Sie sind ein braver Mensch, Veitel, schaffen Sie mir den Pinkus zurück, er soll haben die hundert Taler.«

»Ich habe auch gelesen die Aufschrift von den Briefen, welche der Justizrat zur Post gegeben hat. Es ist ein Brief darunter an den Justizkommissarius in Rosmin.«

»Ich hab’s gedacht!« rief Herr Ehrenthal erfreut. »Es ist gut, Itzig, schaffen Sie mir den Löbel!«

»Dem Schreiber des Justizrats habe ich zu zahlen fünf Taler, und ich soll bekommen ein Dukaten, macht acht Taler fünfeinhalb«, fuhr Veitel fort, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Es ist schon gut«, beschied ihn Ehrenthal durch eine nachlässige Handbewegung. »Sie sollen haben das Geld, aber vor allem muß ich haben den Pinkus.«

Veitel eilte hinüber in die Herberge und suchte nach dem entflohenen Geschäftsmann. Dieser hatte sich in seine Stube zurückgezogen, in welcher auch er aufgeregt auf und ab lief und alle Anzüglichkeiten, die ihm Ehrenthal vorgeworfen hatte, mit Ingrimm verarbeitete.

Veitel öffnete die Tür und sagte mit Energie: »Pinkus, ich komme vom Ehrenthal, ich will, daß Sie nehmen hundert Taler und helfen meinem Rebb; ich will, daß Sie nicht als schlechter Mensch an ihm handeln. Wenn Sie etwas von ihm wissen, was ihm schaden kann bei dem Baron, so weiß ich etwas von Ihnen, was Ihnen schaden wird bei der Polizei.«

Der Pinkus stand still und unterdrückte einen Fluch, den er gegen Veitel auf seinen Lippen hatte. »Ich bin ein ehrlicher Mann«, rief er trotzig, »und brauche mich vor der Polizei nicht zu fürchten.«

»Sie wird fragen, was Sie für ein Warenlager halten in dem Hause daneben und von welchen Leuten Sie gekauft haben Ihre Waren. Ich will Sie aber nicht zu Schaden bringen; Ehrenthal soll Ihnen geben hundert Taler, und Sie werden mir geben von jetzt ab in Ihrem Hause eine Stube und ein Bett gegen billige Miete und werden mich nicht mehr behandeln als Bocher, sondern als Geschäftsmann, welcher so gut ist wie Sie.«

Pinkus war überrascht, besiegt, gefangen; er sprudelte noch eine Weile auf, focht mit Händen und Füßen gegen eine feindliche Luft, welche ihm keinen Widerstand leistete; er beschwor häufig seine Ehrlichkeit und mischte starke Klagen gegen Ehrenthal hinein, bis die Wogen seiner sittlichen Entrüstung allmählich kleiner und kürzer wurden und zuletzt in seiner Seele ein anmutiges Wellengekräusel entstand als Zeichen, daß sie brauchbar geworden für alle guten Werke des Friedens.

Veitel hatte, an den Ofen gelehnt, diese Umwandlung ruhig abgewartet und führte jetzt den Versöhnten im Triumph zu Ehrenthal zurück. Hier maßen die beiden würdigen Männer einander erst mit feindseligen Blicken, dann schüttelten sie einander die Hände und versicherten sich gegenseitig ihrer Hochachtung, während Veitel wieder als Genius des Friedens daneben stand und beide mit einem Gefühl betrachtete, welches der entschiedenste Gegensatz von Hochachtung war. Pinkus steckte ein Kassenbillett von hundert Talern ein und empfahl sich, da seine Hilfe bei der großen Operation nicht mehr nötig schien, und Veitel öffnete kurz darauf die Tür für Herrn Löwenberg, den Geschäftsmann aus der Provinz, und lächelte innerlich, als Ehrenthal fast bittend sagte: »Lieber Itzig, Sie können jetzt gehen.« Er ging diesmal, ohne am Schlüsselloch zu horchen, zufrieden nach Hause und bezog noch denselben Abend ein kleines Zimmer im ersten Stock des Pinkus, trank das Glas Likör und aß das Bratenstück, welches Frau Pinkus ihm vorsetzte.

 

Unterdes sagte Herr Ehrenthal zu Löwenberg, als beide bei einem Glas Wein gemütlich einander gegenübersaßen: »Ich habe erfahren, daß der Justizrat Horn sich Auskunft holt über die Hypothek bei dem Justizkommissarius Walther in Ihrem Orte. Ist etwas zu machen mit diesem Manne?«

»Es ist nichts zu machen mit Geld«, erwiderte der Mann aus der Provinz nachdenklich, »aber es wird etwas zu machen sein auf andere Weise. Er weiß nicht, daß ich selbst von dem Bevollmächtigten des Grafen den Auftrag habe, zu verkaufen diese Hypothek. Ich werde hingehen zu ihm in meinen Geschäften und werde mir einen Vorwand nehmen, ihm zu loben das Gut und die Verhältnisse des Grafen; vielleicht sage ich ihm sogar, daß ich Lust habe, zu kaufen diese Hypothek.«

Kopfschüttelnd sagte Ehrenthal: »Wenn er kennt den Grafen und sein Gut, so wird Ihr Lob doch nicht helfen, daß er einen günstigen Brief hierher schreibt.«

»Es hilft doch, diese Justizkommissarien müssen bei uns Erkundigungen einziehen über die Verhältnisse; sie können selbst nicht so gut wissen wie wir, wie es steht mit dem Kauf und Verkauf der Wolle und des Getreides. Wir müssen tun, was wir können, und ich glaube, es wird helfen für das Geschäft.«

Ehrenthal stützte schwermütig den Kopf auf die Hand und sagte mit einem Seufzer: »Sie können glauben, Löwenberg, es macht mir schwere Sorge.«

»Es wird auch sein ein schöner Vorteil«, tröstete der andere. »Neunzig Prozent zahlt der Käufer, den Sie haben, und dem Grafen werden geschickt nach Paris siebenzig Prozent; von den zwanzig Prozent Differenz zahlen Sie fünf an den Bevollmächtigten des Grafen und fünf an mich für meine Bemühung, und zehn Prozent bleiben Ihnen. Viertausend Taler sind ein schöner Gewinn bei einem Geschäft, zu dem man braucht kein Kapital.«

»Aber es macht Sorge«, sprach Herr Ehrenthal gebeugt. »Glauben Sie mir, Löwenberg, ich bin so aufgeregt von dem Nachdenken, ich habe keine Nacht, wo ich schlafen kann, wenn ich liege in meinem Bett. Und wenn meine Frau mich fragt, ›Schläfst du, Ehrenthal?‹, so muß ich ihr immer sagen: ›Ich kann nicht schlafen, Sidonie, ich muß denken an die Geschäfte.‹«

Eine halbe Stunde darauf fuhr eine Extrapost zum Tore hinaus. Am nächsten Morgen erhielt der Justizkommissarius Walther einen Geschäftsbesuch des Herrn Löwenberg und wurde durch die kühle und überzeugende Weise dieses Herrn allerdings zu der Ansicht gebracht, daß die Verhältnisse des Grafen Zaminsky doch nicht so zerrüttet waren, als man in der Umgegend annahm.

Acht Tage darauf empfing der Freiherr von Rothsattel einen Brief seines Rechtsfreundes und darin die Kopie eines Schreibens vom Justizkommissarius Walther. Das Gutachten beider Rechtsverständigen stellte den Kauf der Hypothek als ein Geschäft dar, von dem wenigstens nicht unbedingt abzuraten war. Und als den Tag darauf Ehrenthal auf dem Gut seinen Besuch machte, hatte der Freiherr seinen Entschluß gefaßt, die Hypothek zu nehmen. Was ihn lockte, fortwährend, unwiderstehlich, das war der schnelle Gewinn von einigen tausend Talern. Es war ein Segen der Praxis, die er in dem früheren Geschäft mit Ehrenthal erworben hatte. Er wollte die Hypothek gut finden, und er hätte sie vielleicht genommen, auch wenn sein Rechtsfreund ihm entschieden abgeraten hätte.

Ehrenthal erbot sich mit großer Uneigennützigkeit, da er doch eine Geschäftsreise in jene Gegend vorhabe, Vollmacht von dem Freiherrn anzunehmen und für ihn den Kauf mit dem Bevollmächtigten abzuschließen. Der Freiherr war gern damit zufrieden, denn sein Zartgefühl sträubte sich dagegen, daß er in eigener Person eine Zahlung machen sollte, deren Betrag geringer war als die Summe, welche er durch das Hypothekeninstrument dafür kaufte.

Acht Tage später war er im Besitz einer Hypothek von vierzigtausend Talern, für welche er nur sechsunddreißigtausend Taler gezahlt hatte, und Ehrenthal und seine Freunde hatten obendrein ein schönes Geschäft gemacht, das beste von allen Itzig, denn er hatte ein Übergewicht über seinen Meister erhalten und war Ratgeber und Vertrauter geworden bei den geheimnisvollen Unternehmungen. Alle Parteien waren zufrieden. Der Freiherr holte seine reich ausgelegte Kassette hervor und legte an die Stelle der schönen weißen Pergamente das dicke, gelbliche, durch viele Hände abgegriffene Aktenbündel, welches von jetzt ab sein Vermögen vorstellte. – Er sah nicht mehr mit der frohen Aufmerksamkeit hinein, welche er früher den Pfandbriefen gegönnt hatte, er warf den Deckel des Kästchens schnell zu und schob es in den Sekretär, ganz wie ein alter, ermüdeter Geschäftsmann, wie einer, der froh ist, eine Arbeit hinter sich zu haben. Er eilte in die Zimmer der Damen und beschrieb dort mit Laune die Glückwünsche und Bücklinge Ehrenthals.

»Ich mag ihn nicht dulden«, sagte Lenore, »er sieht aus wie ein kleiner fauchender Hamster.«

»Diesmal wenigstens hat er sich in seiner Weise uneigennützig gezeigt«, antwortete der Vater. »Es ist wahr, alle diese Geschäftsleute haben etwas Karikiertes, und es ist bei aller Gutmütigkeit für unsereinen nicht immer möglich, bei ihren Bücklingen das Lachen zu unterdrücken.«

An demselben Abend ging Herr Ehrenthal bei seiner Frau Sidonie im langen Schlafrock vergnügt auf und ab, er versuchte ein kleines Lied zu singen, klopfte seiner Tochter Rosalie auf den weißen Nacken und warf seiner Frau von Zeit zu Zeit einen schlauen und zärtlichen Blick zu, so daß ihn Madame Ehrenthal endlich fragte: »Du hast abgemacht dein Geschäft mit dem Baron?«

»Ja«, rief Ehrenthal lustig.

»Er ist ein schöner Mann, der Baron«, bemerkte die Tochter.

»Er ist ein guter Mann«, sagte Ehrenthal, »aber er hat seine Schwächen. Er ist einer von den Menschen, welche verlangen tiefe Bücklinge und untertänige Reden und welche Geld bezahlen, damit andere für sie denken. Er würde lieber verlieren eins vom Hundert, wenn man nur zu ihm spricht mit gebogenem Rücken, den Hut in der Hand. Es sind auch solche Leute nötig in der Welt, was sollte sonst werden aus unserm Geschäft?« –

Und an demselben Abend saß auch Veitel in seiner Stube und der Advokat neben ihm, und Veitel berichtete in der Kunstsprache über das abgeschlossene Geschäft und sagte: »So ist der Rotschwanz gefangen in dem Sprenkel, und der Ehrenthal hat dabei gewonnen viertausend Taler.«

Hippus hatte seine Brille abgenommen und sah in dem viereckigen Holzkasten, welchen Frau Pinkus ein Sofa nannte, gerade aus wie ein ältlicher weiser Affe, der den Weltlauf verachtet und seinen Wärter in die Beine beißt. Er hörte mit kritischem Ernst auf den Bericht seines Schülers, schüttelte hin und wieder den Kopf oder lächelte, wenn etwas nach seinem Geschmack war.

Als Veitel seinen Bericht mit den Worten schloß: »Der Ehrenthal hat keine Courage, er verliert den Kopf bei großen Geschäften«, da rief Herr Hippus verächtlich: »Der Ehrenthal ist ein Gimpel. Er setzt nicht Großes durch, er ist ein kleinlicher Mann. Es ist ihm immer so gegangen; wo es darauf ankam, hat er gezaudert und ist steckengeblieben. Wenn er den Edelmann durch Trinkgelder kirren will, die er ihm zukommen läßt, so wird ihn der Freiherr zuletzt die Treppe hinunterwerfen.«