Kostenlos

Die verlorene Handschrift

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ha,« dachte Laura, »das ist keine Fliege, das ist Frau Venus.« Aber sie fühlte eine Saite anschlagen, die reinen Ton gab. Sie sagte der Schauspielerin, wie ungern sie eine ihrer Rollen versäume, und daß in ihrem Hause die erste Frage vor dem neuen Theaterzettel sei, ob das Fräulein mitspiele.



Dies gab der Mutter Gelegenheit, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Dagegen rühmte die Schauspielerin, wie gütig man ihr überall entgegengekommen sei. »Denn das Reizvollste unserer Kunst,« fuhr sie fort, »sind die stillen Freunde, welche wir in den Stunden des Spiels gewinnen, Menschen, die man sonst vielleicht nie sieht, deren Namen man nicht weiß, und welche doch unser Leben mit Theilnahme begleiten. Lernt man bei Gelegenheit einmal dieses Wohlwollen Fremder kennen, so wird es reiche Entschädigung für die Leiden unseres Berufes, unter denen die zudringliche Huldigung gemeiner Menschen vielleicht das größte ist.«



Nun, die Huldigung des Doctors durfte sie zu diesen Leiden sicher nicht zählen.



Während die Frauen in solcher Weise miteinander sprachen und Herr Hummel beifällig zuhörte, traten auch einzelne Herren dem Tisch näher. Frau Hummel begrüßte zuvorkommend den zweiten Tenor, der im Hause der Frau Pathe bisweilen ein Lied sang, und der würdige Vater der Bühne, welcher Herrn Hummel aus der Ressource kannte, begann mit diesem ein Gespräch über den Bau eines neuen Theaters. Darüber hatte Hummel als Bürger sehr bestimmte Ansichten, welche mit denen des würdigen Vaters ganz übereinstimmten.



So verschmolzen die beiden getrennten Gesellschaften, und der Tisch des Herrn Hummel wurde ein Mittelpunkt, den die Kinder Thalia’s umschwärmten. Während die Schauspielerin mit Frau Hummel recht ehrbar und hausmütterlich die Uebelstände ihrer Wohnung besprach, sah Laura nach dem Doctor. Er stand mehre Schritte von der Gesellschaft an einem Baum und sah nachdenkend vor sich hin. Schnell trat Laura zu ihm und begann mit fliegender Eile: »Mein Vater hat Sie beleidigt, ich bitte Sie um Verzeihung.«



Der Doctor sah auf. »Es that nicht weh,« sagte er gutherzig, »ich kenne ja seine Art.«



»Ich habe sie gesprochen,« fuhr Laura mit bebender Stimme fort, »sie ist gescheidt und liebenswürdig und hat eine unwiderstehliche Freundlichkeit.«



»Wer?« frug der Doctor, »die Schauspielerin?«



»Verstellen Sie sich nicht gegen mich,« fuhr Laura fort, »das ist zwischen uns ubnöthig, es gibt Niemand auf Erden, der Ihr Glück so von Herzen wünscht als ich. Betrüben Sie sich nicht über das Kopfschütteln Anderer; wenn Sie der Liebe des Fräuleins sicher sind, ist alles Uebrige Nebensache.«



Der Doctor erstaunte immer mehr: »Ich will ja aber das Fräulein gar nicht heiraten!«



»Leugnen Sie nicht, Fritz Hahn, das steht Ihrem wahrhaften Wesen schlecht,« rief die leidenschaftliche Laura wieder. »Ich merke wohl, wie sehr das Fräulein zu Ihnen paßt. Seit ich sie gesehen, bin ich überzeugt, für alles Gute und Große finden Sie bei ihr Verständniß. Bedenken Sie sich nicht und wagen Sie muthig Ihrem Herzen zu folgen. Denn sehen Sie, Fritz, eine Sorge habe ich um Sie. Ihr Gefühl ist warm und Ihr Urtheil ist sicher, aber Sie hängen zu fest in den Banden Ihrer Umgebung. Ich zittere davor, daß Sie darum unglücklich werden können, weil Sie vielleicht nicht in der rechten Stunde einen Entschluß fassen, der Ihrer Familie ungewöhnlich erscheint. Ich kenne Sie von meiner ersten Kindheit und weiß sehr gut, daß Ihre Gefahr immer war, sich selbst für Andere zu vergessen. Darüber können Sie zu einem opfervollen Dasein kommen, und der Gedanke ist mir schrecklich. Denn ich möchte, daß Ihnen alles Gute zu Theil wird, was ihr redliches Herz verdient.« Die Thränen liefen ihr über die Wangen, als sie ihn liebevoll ansah.



Jedes Wort, das sie sprach, klang dem Doctor wie Lerchentriller und Geschwirr der Heimchen. Leise sprach er: »Ich liebe das Fräulein nicht, ich habe nie den Gedanken gehabt, ihre Zukunft an die meine zu fesseln.«



Laura trat zurück, über ihr Antlitz zog hohe Röthe.



»Es ist eine flüchtige Bekanntschaft, nichts weiter für jene und mich, ihr Leben gehört der Kunst und schwerlich jemals ruhiger Häuslichkeit. Wenn ich für mich ein Herz zu begehren wagte, so wäre es nicht das ihre, sondern ein anderes.« Er sah nach dem Tisch hinüber, wo gerade ein lautes Lachen Herrn Hummel andeutete, und sprach die letzten Worte so leise, daß sie kaum bis in Laura’s Ohr drangen, dabei blickte er schmerzlich vor sich hin, auf die Knospe des Fliederstrauches, in welcher noch die junge Blüthe verborgen lag.



Laura stand unbeweglich, wie vom Stabe eines Zauberers berührt, aber die Thränen liefen noch immer von ihrer Wange herab. Sie war nahe daran, die Kirsche ihres Vielliebchens mit den Lippen zu fassen.



Da summten die lustigen Käfer heran, die Schauspielerin winkte ihr lächelnd zu, der Vater rief, das Märchen war zu Ende. Laura hörte noch, wie das Fräulein siegreich zum Doctor sagte: »Er hat mir doch einen Stuhl angeboten, er ist gar kein Brummbär, er war sehr gut gegen Billy.«



Als Fritz in seine Wohnung kam, schleuderte er Hut und Ueberrock von sich, sprang an den Schreibtisch und holte die kleinen Briefe der unbekannten Hand heraus. »Sie ist es,« rief er laut, »ich Thor, nur einen Augenblick zu zweifeln.« Er las jeden der Briefe wieder durch und nickte bei jedem mit dem Kopfe. Das war sein hochsinniges, wackeres Mädchen; wie sie sich sonst auch stellte, heut hatte sie ihm ihr wahres Antlitz gezeigt. Er wartete ungeduldig auf die Stunde, wo er Laura bei den Freunden treffen würde. Sie trat spät ein, grüßte ihn ruhig und war den Abend schweigsamer und weicher als sonst. Wenn sie sich an ihn wandte, sprach sie zu ihm ernsthaft wie zu einem bewährten Freunde. Sehr gut stand ihr die milde Ruhe. Jetzt gab sie sich ihm, wie sie war, ein begeistertes Fühlen, ein reiches Gemüth. Sprödigkeit und neckende Laune, die alten Schalen, welche den süßen Kern verdeckt hatten, waren zerbrochen. Auch die ruhige Vorsicht freute ihn, mit der sie unter den Freunden ihre Empfindung barg. Wenn die nächste Liedersendung kam, dann sprach sie zu ihm, wie jetzt beiden um’s Herz war, oder sie gab doch ihm das Recht, offen an sie zu schreiben. Der Doctor zählte am nächsten Morgen die Minuten, bis der Briefträger sein Haus betrat. Er riß die Thür auf und eilte dem Manne entgegen. Fritz hielt einen neuen Brief in der Hand, er löste ungeduldig das Couvert, keine Zeile des Absenders lag dabei, er entfaltete den alten Druckbogen und las die Worte des groben Liedes:



»Hei ha ho. Steck an den Schweinebraten, darzu die Hühner jung! darauf mag uns gerathen ein frischer freier Trunk. Hol’ Wein, schenk ein, trink mein liebes Brüderlein, heute muß Alles verschlemmet sein,« und der ehrliche einfältige Doctor frug wieder: ist sie es? oder wäre möglich, daß sie es nicht ist?



4.

Unter den Studenten

Wer dem Professor von Herzen gut werden wollte, der mußte ihn sehen, wenn er im Kreise seiner Zuhörer saß, der gereifte Mann unter der aufblühenden Jugend, der mittheilende Lehrer vor bewundernden Schülern. Denn des akademischen Lehrers schönstes Vorrecht ist, daß er nicht nur durch sein Wissen, auch durch seine Persönlichkeit die Seelen des nächsten Geschlechtes adelt. Aus den Vielen, welche einzelne Vorträge hören, schließt sich ein gewählter Kreis enger an den Gelehrten, im persönlichen Verkehr schlingt sich ein Band um Lehrer und Schüler, leicht gewebt, aber dauerhaft, denn was den Einen an den Andern fesselt, oft den Fremden nach wenig Stunden zum Vertrauten macht, ist ihr frohes Bewußtsein, daß Beide dasselbe für wahr, groß, gut halten.



Dieses Verhältniß, reizvoll und fruchtbar für beide Theile, ist die edle Poesie, welche die Wissenschaft ihren Bekennern gönnt. Fremde und spätere Menschen, welche den Werth eines Mannes nur nach seinen Büchern beurtheilen, sie erhalten, wie hoch auch der Gelehrte selbst diese Art von Ueberlieferung schätzen möge, doch nur ein unvollständiges Bild des Entfernten; weit anders wird der lebendige Quell schöpferischer Kraft auf die Seelen solcher, welche von Lippe und Auge des Lehrers sein Wissen empfangen. Nicht nur der Inhalt seiner Lehre bildet sie, mehr noch seine Art, zu suchen und darzustellen, am meisten sein Charakter und die besondere Weise des Vortrags. Denn diese erwärmen dem Hörer das Herz und senken ihm Achtung und Neigung in das Gemüth. Solcher Abdruck eines menschlichen Lebens, der in Vielen zurückbleibt, ist für Arbeitsweise und Charakter der Jüngeren oft wichtiger als der Inhalt empfangener Lehre. In den Schülern arbeitet das Wesen des Lehrers neues Leben schaffend fort, seine Vorzüge, zuweilen auch Eigenheiten und Schwächen. In jedem Hörer färbt sich anders das charakteristische Bild seines starken Meisters, und doch ist in jedem Schüler der Lehrer, der an dieser Seele formte, vielleicht bis zur kleinen Absonderlichkeit erkennbar.



Die Lehrstunde, welche Felix für seine Frau festgesetzt hatte, war nicht die einzige, welche er in seinem Hause gab. Ein Abend jeder Woche gehörte seinen Studenten. Da kamen zuerst Einzelne, welche für ihre Arbeiten einen Wunsch hatten, mit Anfrage und Bitte. Später sammelte sich eine größere Zahl, auch Ilse’s Zimmer wurde geöffnet, Gabriel bot Thee und einfaches Abendbrot, eine Stunde verlief in zwanglosem Gespräch und einzelnen Gruppen; bis sich allmählich die Getreuen in das Arbeitszimmer des Lehrers zogen und den Kreis dichter um sein geehrtes Haupt schlossen. Dann saß der Professor inmitten seiner Schüler und das Zimmer wurde zuweilen enge. Auch hier formlose Unterhaltung, bald ein launiger Bericht über Erlebtes, bald eingehende Erörterung, wobei der Professor seine jungen Freunde zu thätiger Theilnahme anzuregen wußte; dazwischen schnelle Urtheile über Menschen und Bücher in schlagender Rede und Antwort, wie solchen natürlich ist, die aus flüchtigem Anschlage eine lange Melodie erkennen. Felix erschloß in diesen Stunden sein Inneres mit einer Offenheit, die er in seinen Vorlesungen nicht zeigte, er sprach über sich und Andere ohne Rückhalt und verhandelte behaglich, was ihm gerade auf der Seele lag. Aber wie verschieden die Unterhaltung dieser Abende dahinlief, immer waren es Männer derselben Wissenschaft, welche einander im Großen und Kleinen verstanden und selbst im Scherze ernster Geistesarbeit gedachten.

 



Auch Frau Ilse blieb dieser vertrauten Gesellschaft keine fremde Erscheinung. Die Theilnehmer, sämmtlich ernsthafte Männer, ältere Studenten oder junge Doctoren, freuten sich der ansehnlichen Hausfrau, welche in ihrer einfachen Weise gern mit den Einzelnen verkehrte. Im Jahre vorher war einmal ihre Freude an der Odyssee zu Tage gekommen, als sie die Herren zum Genuß einer Hinterkeule des erdaufwühlenden Ebers aufgefordert und den wohlthuenden Wunsch ausgesprochen hatte, die Gesellschaft möge nicht verschmähen, ihre Hände nach dem bereiteten Mahle auszustrecken. Seitdem hieß sie in dem Kränzchen Frau Penelope, und sie wußte, daß dieser Beiname sich auch über die Wände des Hauses in die Studentenschaft verbreitet hatte.



Nun hatte Ilse auch unter den jungen Gelehrten ihre Lieblinge. Zu diesen gehörte ein wackerer Student, nicht der bedeutendste von den Zuhörern des Professors, aber einer der fleißigsten. Er war ihr Landsmann und Ilse hatte zuerst an ihm erkannt, daß auch zarte Empfindung in der Brust eines Studenten zu finden sei. Unser Student hatte in den letzten Jahren mit Erfolg daran gearbeitet, den Krater seines Innern durch Collegienhefte auszufüllen. Seiner Lyrik aber hatte er ziemlich entsagt; denn damals, wo der Professor ihm seine Gedichte zurückschickte, war er sehr in sich gegangen und hatte demüthig um Entschuldigung gebeten; war auch seitdem mit Hilfe eines guten Stipendiums, das ihm Felix verschafft, zu einer weniger menschenfeindlichen Auffassung bürgerlicher Verhältnisse durchgedrungen. Er bewährte sich als ein treuer und anhänglicher Bursch und trug jetzt würdig den Titel Doctorandus, welcher nach Angabe unsrer Grammatiker einen Mann bedeutet, der zum Doctor gemacht werden soll oder muß. Dabei hatte er auch bei der Studentenschaft eine gewisse Geltung, er bekleidete in der großen Verbindung Arminia ein Ehrenamt, trug noch immer ihre Farbenmütze und wurde dort zu den bevorzugten Weisen gerechnet, welche an Trinkabenden von lästiger Verpflichtung befreit sind und die Pausen, in denen stürmische Jugend Athem holt, durch ernstes Gespräch über Menschentugend ausfüllen.



An einem Studentenabend brodelte die Unterhaltung schon in Ilse’s Zimmer sehr laut und warf wissenschaftliche Blasen. Eine interessante Handschrift war in entlegener süddeutscher Bibliothek aufgefunden. Ueber den Fund und den Herausgeber wurde verhandelt, und Felix zählte behaglich mit einigen Auserwählten alle ähnlichen Entdeckungen auf, welche in den letzten zwanzig Jahren gemacht waren. Da begann unser Student, der gerade durch Frau Ilse eine Tasse Thee erhalten hatte, mit dem Löffel rührend, recht gemüthlich: »Dürfte nicht auch in der Nähe noch Manches zu finden sein? So steht in meiner Heimat eine alte Kiste, welche Bücher und Papiere aus dem Kloster Rossau enthalten soll. Es ist nicht unmöglich, daß darunter etwas Werthvolles steckt.«



Das sprach der Student und rührte mit dem Löffel, dem Knaben gleich, welcher den brennenden Span in einer gefüllten Bombe herumdreht.



Der Professor fuhr von seinem Stuhl in die Höhe und warf dem Studenten einen Flammenblick zu, daß dieser erschrak und die Tasse schnell hinsetzte, um bei dem, was kommen mußte, nichts zu beschütten. »Wo soll die Kiste stehen?«



»Wo? weiß ich nicht,« versetzte der Student betreten, »vor einigen Jahren hat mir ein Landsmann davon erzähl, er war in der Gegend von Rossau geboren« – der Student nannte den Namen und Ilse kannte die Familie. »Aber in unserm Fürstenthum muß es sein, denn er hat dort als Hauslehrer an mehren Orten gelebt.«



»War er denn Philolog?« frug ein älterer Hörer ebensosehr im Jagdeifer als der Professor.



»Er war Theolog,« antwortete unser Student.



Ein bedauerndes Geräusch ging durch das Zimmer. »Dann ist die Nachricht doch unsicher,« schloß der Kritiker.



»Hat der Mann die Kiste selbst gesehen?« frug der Professor.



»Auch darüber bin ich nicht sicher,« erwiederte der Student, »ich hatte damals noch kein rechtes Verständniß für den Werth dieser Mittheilung. Aber er muß sie doch selbst gesehen haben, denn ich erinnere mich, er sagte, sie wäre dick mit Eisen beschlagen.«



»Unglücksmann,« rief der Professor, »schaffen Sie uns Kunde von diesem Kasten.« Er ging heftig im Zimmer auf und ab, die Studenten machten seiner Aufregung ehrerbietig Platz. »Die Nachricht ist wichtiger, als ich Ihnen jetzt sagen kann,« begann der Professor vor dem Studenten anhaltend. »Suchen Sie zunächst Ihre Erinnerungen zu sammeln. Hat Ihr Bekannter die Kiste offen gesehen?«



»Wenn ich mir Alles zusammenhalte,« sagte der Student, »möchte ich glauben, er hat selbst gesehen, daß alte Klostersachen darin liegen.«



»Dann war sie also nicht mehr verschlossen?« frug der Professor weiter. »Und wo ist jetzt Ihr Freund?«



»Er ist voriges Jahr mit einer Bauerstochter nach Amerika gegangen. Wo er sich aufhält, weiß ich nicht, das wird aber bei seinen Verwandten zu erfahren sein.«



Wieder ging ein mißbilligendes Geräusch durch das Zimmer.



»Ermitteln Sie den Aufenthalt des Mannes, schreiben Sie ihm und fordern Sie genaue Auskunft,« rief der Professor. »Sie können mir keinen größern Dienst erweisen.«



Der Student versprach das Menschenmögliche. Als die Herren sich entfernten, richtete Gabriel dem Studenten eine heimliche Einladung zu nächstem Mittag aus. Ilse wußte, daß ihrem Felix jetzt die Nähe des Vertrauten wohlthun werde, der einen Bekannten besaß, der den Kasten gesehen hatte, der die Bücher von Rossau enthielt, unter welchen allerdings die Handschrift des Tacitus liegen konnte, wenn sie nicht irgendwo anders war.



Aber sie selbst hörte ohne Freude von der geheimnißvollen Kiste. Denn Ilse war leider in Sachen der Handschrift immer noch ungläubig, sie hatte einigemal den Gatten durch ihre Gleichgültigkeit verletzt und mied seit dem Unglück des Struvelius jede Erwähnung der verlorenen. Dazu hatte sie noch einen besonderen Grund. Sie wußte, wie sehr der Gedanke und jede Erörterung ihren Felix aufregte. Er fuhr dann in die Höhe, sprach in heftigen Worten und seine Augen blitzten wie im Fieber. Zwar bändigte er sich selbst nach wenigen Augenblicken und lachte wohl über seinen Eifer, aber der Hausfrau war solcher Ausbruch geheimer Leidenschaft unbehaglich, denn sie empfand bei dem plötzlichen Auflodern, daß der Gedanke an den Codex die Seele des geliebten Mannes wund drückte, und sie argwöhnte, daß er in der Stille oft darüber träumte und Feindseliges gegen die Mauern des Vaterhauses sann.



Auch heut hatte unser Student den Sturm aufgeregt. Noch spät wurde der Doctor gerufen, lange wurde erörtert und gestritten, Ilse war erfreut, daß der Doctor auf die Kiste nicht viel gab und durch verständige Einwürfe auch dem Professor wieder eine launige Bemerkung über seine heiße Jagdlust abnöthigte.



Als der Student am nächsten Mittag die Briefe, welche er geschrieben hatte, als Zeichen seines Eifers mitbrachte, behandelte der Professor die Nachricht ruhiger. »Es ist eine unsichere Notiz,« sagte er, »selbst wenn der Erzähler Wahrheit sprach, mag noch jeder einzelne Umstand, sogar der Name des Klosters, unrichtig sein.« Als vollends aus der Heimat des Studenten die Kunde einlief, der Theolog habe sich irgendwo im Staate Wisconsin als Apotheker niedergelassen, und der Brief des Studenten in eine unsichere Ferne gesandt werden mußte, da ermäßigte sich der Strudel, welchen die auftauchende Kiste erregt hatte, zu gefahrlosen kleinen Wellen.



Der größte Vortheil erwuchs aus diesem Vorfall zunächst unserm Studenten. Denn der Professor theilte die Nachricht dem Kammerherrn mit und gönnte diesem eine Andeutung, daß in dem Kasten Sachen von hohem Werth verpackt sein könnten. Der Kammerherr hatte früher einmal durch mehre Jahre die Geschäfte eines Schloßhauptmanns besorgt und war mit dem alten Hausgeräth einiger fürstlichen Schlösser bekannt, wußte jedoch auf keinem Boden etwas Verdächtiges zu finden. Da ihm aber der Student als Günstling des Hauses vor Augen trat, wollte er an dem jungen Mann seine Geneigtheit erweisen und forderte denselben auf, sich als Landeskind dem Erbprinzen vorzustellen. Das geschah. Eine Folge der Vorstellung war, daß unser Student zu einem Abend eingeladen wurde, an welchem der Prinz mehre akademische Bekannte bei sich empfing.



Es war für den Studenten ein bangsamer Abend, und der Armine hatte allerlei Ursache, argwöhnisch zu sein. Denn in diesem Jahr gährte es heftig in der Studentenschaft. Gerade die Händel zwischen dem Corps der Markomannen und der großen Genossenschaft Arminia hatten den Sturm aufgewirbelt. Und die letzte Veranlassung des Unwetters war seltsam und lehrreich für Jeden, der die geheime Verknotung irdischer Ereignisse beachtet. Jener Zwist der Professoren, welcher die Vertreter der Alterthumswissenschaft voneinander schied, der Kampf zwischen Werner und Struvelius, hatte zu seiner Zeit die akademische Jugend durchaus nicht aufgeregt. Aber kurz darauf war unter den Studenten ein Lied aufgetaucht, in welchem die Abenteuer des Struvelius respectwidrig besungen wurden. Dies Lied war als Kunstwerk schwächlich, es lief im Bänkeltone und war mit einem wiederkehrenden Schlußreim geziert, welcher lautete: »Struvelius, Struvelius, heraus mit deinem Fidibus, wer sich verbrennt, der hat Verdruß.« Der Dichter ist nie ermittelt worden. Wenn man aber erwägt, daß dieses Lied, soweit sein possenhafter Inhalt erkennen ließ, feindselig gegen Struvelius und zu Werners Ruhm gedichtet war, und wenn man ferner erwägt, daß es zuerst unter den Arminen aufkam und daß unter den Kindern Armins einer mit lyrischer Vergangenheit war, daß dieser Eine zu Werners Kränzchen gehörte und daß im Kränzchen das Pergament einigemal verächtlich als Fidibus behandelt wurde, so kann man die vorsichtige Vermuthung nicht unterdrücken, daß unser Student seine scheidende Muse, als sie gerade zur Thür hinausgehen wollte, noch zu dieser niedrigen Leistung entwürdigt habe.



Das leichtfertige Lied war bei den Arminen heimisch, sein Schlußreim wurde zuweilen in stiller Nacht auf der Straße gehört, es war den Professoren sehr ärgerlich und nicht zuletzt dem Theetisch Werners, aber mit Gewalt ließ sich nicht dagegen ankämpfen. Den Markomannen und ihren Bundesgenossen blieb das Lied und seine Veranlassung gleichgültig, aber sie sangen die Verse nicht, weil diese einem Trinkliede der Arminen nachgebildet waren. Gerade da Werner sein Rectorat antrat, saßen in einer Gastwirthschaft Studenten aller Parteien durcheinander. Als ein Markomanne seine Pfeife an der Gasflamme anzündete und sich dabei das Corpsband versenkte, sangen einige Arminen höhnend den Schlußreim. Die Markomannen sprangen auf und geboten Schweigen. Die natürliche Folge waren zahlreiche Forderungen. Leider blieb es dabei nicht. Ein Haufe Arminen war vor das Lager der Markomannen gezogen und hatte auf der Heerstraße dieselbe unfreundliche Weise angestimmt, es war zu bedauerlichen Zusammenstößen zwischen den Parteien und der Stadtpolizei gekommen, Untersuchungen und ernste Strafen waren das Ende gewesen. Werner selbst hatte in vertraulicher Besprechung mit einzelnen Häuptern Alles gethan, das leidige Lied zu dämpfen, und seinem Ansehen war gelungen, den Gesang wenigstens auf der Straße zu bändigen. Aber der Groll war in den Herzen zurückgeblieben. Durch allerlei widerwärtige Vorfälle wurde bemerkbar, daß die akademischen Bürger uneiniger als gewöhnlich und in widersetzlicher Stimmung waren.



Dies alles wälzte der Armine in besorgtem Gemüth, als er im Vorzimmer des Prinzen seine Mütze neben die Kopfzierden großer Markomannenhäuptlinge hing. Indeß verlief der Abend besser als er dachte. Die Markomannen beobachteten in dem geweihten Raume anständige Höflichkeit. Ja, das Zusammentreffen erhielt eine Bedeutung. Denn gerade in dieser Zeit war Veranlassung, ein Fest der Universität durch solennen Commers zu feiern. Aber wie häufig große Angelegenheiten unserer Nation, drohte auch dieses Trinkfest durch den Zwist der Stämme vereitelt zu werden. Jetzt, wo der Armine unter den Markomannen Eispunsch trank, äußerte der Erbprinz, daß er gern einmal einen feierlichen Commers ansehen würde, und Beppo, Führer der Markomannen, sprach gegen den Arminen eine Ansicht aus, wie der Zwist beigelegt werden konnte. Der Armine erbot sich, diese Vorschläge seinem Stamme zu überbringen. Als der Kammerherr Bedenken gegen eine Theilnahme des Erbprinzen am Commers erhob, versicherte der Sohn Armins, von Punsch und Gespräch begeistert, daß auch sein Volk gemüthvoll die Ehre empfinden werde, die der Erbprinz dem Fest durch seine Gegenwart erweise.

 



Die Bemühungen unseres Studenten hatten Erfolg; das Kriegsbeil wurde begraben, die akademische Jugend rüstete sich zu einem gemeinsamen Feste. Ein großer Saal, reich verziert mit den Farben aller Genossenschaften, welche an dem Commers Teil nahmen, war mit langen Tafeln besetzt. An den Enden standen im Festschmuck die Präsiden mit ihren Schlägern, auf den Stühlen saßen mehre Hundert Studenten nach Verbindungen gereiht; unter den Markomannen der Prinz und sein Kammerherr, und der Prinz trug heut der Verbindung zu Ehren ihre Abzeichen. Rauschende Musik trug den vollen Klang der Lieder weit in die Runde, es war ein guter Anblick, so viele Männer, Hoffnung und Kraft des nächsten Geschlechtes, in festlichem Gesange und den alten Bräuchen der Akademie bei einander zu sehen. Ohne Störung verlief das Fest bis gegen das Ende. Als der Kammerherr bemerkte, daß die Wangen glühten, der Gesang wilder dahinfuhr und die Musik dem akademischen Pulsschlag nicht schnell genug tönte, mahnte er in der Pause zum Aufbruch. Der Prinz erhob sich, selbst erregt durch Gesang und Wein, vor ihm schritt der gesammte Adel der Markomannen, das wogende Volk zu theilen. Sie mußten sich durch die Menge drängen, welche von den Stühlen aufgestanden war und durch einanderschwirrte. So geschah es, daß der Prinz von seinem akademischen Hofstaat abgeschnitten wurde und mit einem trotzigen Arminen zusammenstieß, der, durch Wein gestärkt und durch unsanfte Berührung der Vorausschreitenden erbittert, den Weg nicht räumte, sondern mit den Ellbogen unbillig verengte und den Rauch seiner Pfeife ruhig vor sich hinblies, so daß der Dampf dem Prinzen um den kleinen Bart fuhr. Da hatte der Prinz die Unbesonnenheit, den Studenten anzustoßen und zu sagen: »Sie sind ein unverschämter Wicht.« Und der Armine sprach mit lauter Stimme das verhängnißvolle Wort aus, welches nach akademischer Sitte einen Zweikampf oder Ehrlosigkeit des Geschmähten zur Folge hat. Er war im Nu von den düstern Gestalten der Markomannen umdrängt und dasselbe Schmähwort regnete von allen Seiten wie Hagel gegen seine dreiste Stirn. Er aber zog höhnend seine Schreibtafel und rief: »Einer nach dem Andern, daß keiner von dem Hofstaat fehlt, wie der Herr, so das Gesinde.« Und da der Andrang größer wurde, schrie er hinter sich: »Hierher ihr Arminen!« und begann im wilden Basse den Schlachtruf seines Stammes: »Struvelius, Struvelius, heraus mit deinem Fidibus!« Im Saale brach das Getümmel los, über Stuhl und Tisch sprangen die Arminen ihrem gefährdeten Krieger zu Hilfe – nicht mehr einzeln, sondern wie Heckenfeuer flogen die schmähenden Worte und Forderungen hin und her. Vergebens riefen die Präsiden zu den Plätzen, vergebens fiel die Musik ein, zwischen das Geschmetter der Fanfare klangen die zornigen Rufe der streitenden Parteien. Zwar eilten die Präsiden auf einen Hauf zusammen und trennten, im Zuge dazwischenfahrend, die Zankenden. Aber auf das wilde Toben folgten leidenschaftliche Erörterungen, die Verbindungen standen getrennt, die einzelnen Haufen verhöhnten einander und suchten nach altem Kriegsbrauch die Gegner allmählich bis zum äußersten Worte zu treiben, schon waren einige Ausdrücke gefallen, welche durch den Sittencodex der Akademie gänzlich verboten sind, die Schläger blitzten in der Luft und mehr als eine Faust packte statt der Waffe die Weinflasche. Die Musik stimmte das Vaterlandslied an, doch die Weise klang den Empörten widerwärtig in ihren Zorn, von allen Seiten donnerte der Ruf: »Aufhören.« Die verschüchterten Musiker schwiegen und der neue Ausbruch eines ungeheuren Tumultes schien unvermeidlich. Da sprang ein alter Häuptling der Teutonen, der sein Volk kannte, auf das Orchester, ergriff eine Geige, stellte sich als Dirigent hoch auf einen Stuhl und begann die kindische Melodie: »Ach, du lieber Augustin, Alles ist hin.« Die Musik fiel in klagenden Tönen ein. Jeder sah nach der Höhe, man erkannte den ansehnlichen Mann, der angestrengt auf der Geige kratzte, die Stimmung schlug plötzlich um, es entstand ein allgemeines Gelächter. Die Präsiden schmetterten mit ihren Klingen auf die Tische, daß mehr als eine zersprang, und geboten Ruhe, die Führer aller Verbindungen traten zusammen, erklärten den Commers für aufgehoben und forderten ruhigen Heimgang der Stämme, weil sie selbst alles Weitere in die Hand nehmen würden. Zornig drängte die Studentenschaft zum Saale hinaus und zerstreute sich zu ihren Sammelplätzen. Aber in jedem Haufen wurden die Vorfälle mit leidenschaftlicher Erbitterung besprochen und eilige Gesandtschaften