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Die Ahnen

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»Sie soll Euer werden,« antwortete der Landsknecht, die Worte erwägend, »soweit der Haufe ein Recht an sie hat.« Und Georgs Hand schüttelnd, rief er: »Nichts Besseres konnte dem Fähnlein geschehen. Laß den Trommler anschlagen, Wuz, und die Alten zum Rate laden, denn ein wackerer Fähnrich ist gefunden.«

Unterdes saß Anna zwischen den Heubündeln ihrer Kammer; nach schlafloser Nacht und einem Tage unsäglicher Angst waren ihre Kräfte erschöpft, ihr Haupt auf ein Bund herabgeglitten und das Bewußtsein ihres Elends auf kurze Zeit geschwunden. Im Schlummer kam ihr vor, als ob Georg mit der Laute vor ihr stehe, und sie lachte ihn freundlich an. Da unterbrach Trommelschlag den friedlichen Traum, die Tür öffnete sich und die Frau des Hauptmanns trat ein, Anna fuhr in die Höhe. »Ihr habt nicht nötig, zu erschrecken, Jungfer,« begann die Alte freundlicher, als bisher, »Euer Schicksal wendet sich zum Bessern; das Fähnlein ist dabei, sich einen neuen Fähnrich zu wählen; hat er sich erst der Fahne gelobt, so will er die Sorge für Euch übernehmen, und von morgen gehört Ihr ihm an. Entsetzt Euch nicht, Jungfer, der neue Herr ist Euer guter Freund, der Junker, welcher mit Euch gefangen wurde.«

Da stieß Anna einen gellenden Schrei aus, warf sich auf die Knie und verhüllte das Haupt, und die Alte, welche sich über sie beugte, vermochte ihr keine Rede abzugewinnen.

Am nächsten Tage wurde das ganze Fähnlein aus der Stadt und den nächsten Dörfern zusammengeboten, und lange mit den einzelnen Haufen verhandelt. Endlich am Nachmittag war durch den Einfluß der Führer und Doppelsöldner die Einigkeit gewonnen, Georg trat in den Ring und legte das Gelöbnis ab, die Fahne wurde ihm angebunden, wie Brauch war, daß er sie in der Rechten trage und nach Verlust der Rechten in der Linken, daß er sie im Lager bewahre bei Tag und Nacht gleich einer Braut und beim Kampf sein Leben für sie lasse. Und als Georg die Fahne in der Luft schwenkte, so sicher wie ein alter Kriegsmann, freuten sich die Knechte. Er hatte bisher nicht gedacht, daß das Spiel des Artushofes bitterer Ernst seines Lebens werden sollte. War seine Wange auch fahler als sonst, er trug sein Haupt aufrecht und das Herz wurde ihm nicht schwer. Als alles nach Gebühr vollendet war und er die Knechte mit einer Ansprache begrüßt hatte, die dem Haufen wohlgefiel, löste der Hauptmann den Kreis und Georg begann: »Ich habe unsern Vertrag erfüllt, jetzt tut Ihr mir desgleichen und führt mich zu der Jungfrau.« Der Hauptmann nickte. Aber in demselben Augenblick rief die Wache vom Tor, daß ein Reiter herantrabe, und das Gesicht des tapfern Hans verzog sich in Unruhe und Verlegenheit. »Der Pfleger hat‘s eilig«, brummte er. »Gedenkt, Fähnrich, was ich Euch verheißen habe; das Anrecht, welches das Fähnlein an der Gefangenen behaupten kann, will ich Euch übergeben, mehr nicht; vielleicht ist es noch ein anderer, der ein Recht auf die Jungfrau für sich fordert.« Da faßte die Hand des Jünglings wie eine Eisenklammer in seinen Arm, daß er zuckte, und dem herantretenden Henner rief Georg entgegen: »Kommt Ihr, die Jungfrau nach dem Ordenshause zu holen, so steigt vorher ab und zieht Eure Waffe, denn ich weigere Euch das Weib.«

Aber Henner blieb sitzen und sah verwundert auf seinen Gegner, der die Fahne im Arm hielt und nicht als Gefangener, sondern in Waffen vor ihm stand. »Die Pest auf alle Weibernarren,« fluchte er; »meinetwegen behaltet Euer Liebchen, bis Ihr und sie mit Urenkeln gesegnet seid. Ihr habt heut nicht nötig, mich anzuschnarren, auch ich will Euch nicht auslachen, wie ich wohl könnte, daß Ihr ein Fähnrich dieser Klotzköpfe geworden seid; denn ich habe in meinen Tagen selber erfahren, wozu Not und Elend verleiten. Ich kam nur im Vorüberreiten herauf, um Euch zu winken, daß Ihr Euch mit der Jungfer fortmacht, was es den reichen Vater auch koste. Denn Ihr seid hier nicht gut daran, aber in dem Hause, aus dem ich komme, wäret Ihr oder eine andere, an der Euch liegt, völlig verloren. Doch ich sehe, Ihr habt Euch festgehakt und dem Teufel ein Recht über Euch gegeben«, und sich vom Rosse niederbeugend, sagte er leiser: »Die Jungfer wird dem Fähnlein abgefordert werden und die Knechte werden sie Euch zuliebe schwerlich verweigern.«

»Ich aber«, rief Georg.

»Bah, wie vermögt Ihr das, sie ist ja nicht Euer Eheweib. Und ich sage Euch, die Ordensdiener wären bereits hier, wenn der Pfleger nicht in ein Hindernis gefallen wäre. Er geriet gestern beim Trunke mit einem Adligen in Streit, vielleicht war es Euretwegen und wegen des blassen Magisterkindes. Das Eisen fuhr zu schnell aus der Scheide und er liegt jetzt mit einem Ritz im Leibe, der andere aber hat sein Pferd gesattelt und ist dem Hause entwichen, sich irgendwoanders Unterschlupf zu suchen. Benutzt die Frist, die Euch durch den Schnitt geworden ist, denn ich denke, allzuviel Zeit wird Euch nicht bleiben.«

»Der andere wart Ihr, Henner«, sagte Georg und streckte die Hand nach ihm aus. Henner ergriff sie: »Der Krug ist bezahlt, die zerschlagene Armbrust habe ich bei Euch gut.« Er wandte sein Pferd, um wegzureiten. »Verweilt noch, Henner«, rief ihm Georg zu. »Ich gedenke Euch als meinen Zeugen zu laden, wenn ich mir ein Eheweib gewinne.«

»Ich bin ein schlechter Hochzeitsgast,« versetzte Henner, »und ich will heut nicht mit den Knechten beim Trinkkrug niedersitzen, nachdem ich mich gestern mit den Herren gerauft habe. Fahrt wohl, Ihr stolze Distel von Thorn,« rief er lachend, »niemand weiß, was auf Erden noch aus ihm werden kann.« Er grüßte mit der Hand und sprengte aus dem Tor.

Georg trat zu dem Hauptmann. »Wird der Haufe das Eheweib seines Fähnrichs gegen die Begier eines Fremden schützen?«

»Wenn Ihr ein Eheweib gewinnt in Eurem Amte, so gehört das Weib zur Bruderschaft und die Knechte müssen es schützen. Wollt Ihr mit der Jungfrau in den Ring treten, so steht das bei Euch, wir werden uns nicht versagen. Und darf ich Euch raten, so tut zur Stelle, was Euch am Herzen liegt.«

»Öffnet mir die Kammer der Jungfrau«, forderte Georg.

Er trat schnell ein, in dem dämmerigen Raum sah er eine helle Gestalt, welche scheu zurückwich und den Arm ihm abwehrend entgegenhielt, er sah das verstörte Gesicht der Geliebten und zwei Augen, welche ihn angstvoll anstarrten. Da hemmte sich sein Schritt und er begann traurig: »Liebe Jungfer Anna, laßt Euch gefallen was geschehen ist, bei schlechtem Wetter ist jedes Obdach eine Hilfe.«

»Armer Georg,« klagte sie, »Seele und Seligkeit habt Ihr in Gefahr gesetzt.«

»Nicht also, liebe Jungfer, Seele und Leben hoffe ich zu bewahren, wenn Ihr mich nicht verlaßt, und ich komme Euch anzuflehen, daß Ihr bei mir aushaltet.« Er faßte ihre Hand, sie zuckte bei der Berührung, aber im nächsten Augenblick warf sie sich an seine Brust und weinte. Als sie sich aufrichtete, sah sie ihn zärtlich an wie eine Mutter ihr Kind und strich ihm mit der Hand über Haar und Stirn: »Armer wilder Knabe, was habt Ihr gewagt, warum habt Ihr Euch dazu gedrängt, das Opfer zu sein?«

»Nicht ich, Anna, das Größte müßt Ihr selbst wagen, denn Ihr könnt Euch nur retten, wenn Ihr Euch mir vermählt.«

Sie löste sich von ihm, und wieder sah er den scheuen Blick. »Der Ordenspfleger wird Boten senden, um Euch auf sein Schloß zu holen.«

»Habt Ihr kein Messer, das Ihr mir geben könnt?« rief sie mit rauher Stimme.

»Ich selbst und die draußen vermögen Euch zu schützen, wenn Ihr nach dem Brauch des Fähnleins mit mir in den Ring tretet und Euch mir zur Ehe angelobt.«

Sie sah ihn lange unsicher an, wie jemand, der den anderen nicht versteht, bis sie heftig ausrief: »Wo ist der Brautkranz? Kommt!« Aber sie wankte, und er hielt sie in seinen Armen fest.

Im Hofe klang wieder die Trommel und die Knechte traten zusammen, der Ring öffnete sich, als Georg das zitternde Weib in seinen Armen herausführte. Georg legte die Jungfrau seinem Gesellen Wuz an die Schulter, ergriff die Fahne und trat mit seinem Zeugen gegenüber; der Hauptmann stand in der Mitte, tat die Fragen und fügte die Hände zusammen. Wieder schlug die Trommel mit dumpfem Ton, Georg reichte die Fahne dem Hauptmann und dieser schwenkte das Fahnentuch über den Vermählten, damit die Ehe ehrlich werde und in den Schutz der Bruderschaft aufgenommen.

Georg rief: »Seid bedankt, Hauptmann und gute Gesellen.« Er raunte der Bewußtlosen zu: »Mein Weib«, hob sie mit starkem Arme und trug sie in den Turm. Hier setzte er sich mit seiner süßen Last auf die Bank, bedeckte ihr bleiches Angesicht mit heißen Küssen und vermochte nichts anderes zu sprechen als: »Mein liebes Weib.« Sie hing hilflos in seinen Armen und widerstrebte nicht, wenn er sie küßte. Aber als er sie mit heißen Augen zu sich emporhob, glitt sie an seiner Seite nieder auf den Boden und lag, die gerungenen Hände flehend ausgestreckt: »Um meinetwillen seid Ihr aus der Heimat geworfen, um meinetwillen in Not und Elend geraten, um mich zu retten, habt Ihr Euer Leben den furchtbaren Leuten angelobt; hier liege ich vor Euch, Leib und Seele sind Euch verfallen, Ihr mögt mit mir machen, was Euch gefällt.«

Er fuhr erschrocken zurück vor dem jammervollen Blick und hob ihr leise das Haupt: »Anna, ich hoffte, daß Ihr mich lieb hättet.« Sie seufzte fast unhörbar: »Wollt Ihr mich nicht ganz zerbrechen, so schont mich.«

Da wandte er sein Antlitz ab, um den Schmerz darüber zu verbergen, daß sein Weib sich ihm versagte, aber er vermochte nicht die Herrschaft über sich zu behaupten, der Sturm in seinem Innern hob ihm die Brust und er stöhnte laut. Sie lag regungslos vor ihm auf der Erde und heiße Tropfen fielen aus seinen Augen auf sie. So blieben sie lange.

Georg ermannte sich zuerst. Er berührte ihr leise den Arm: »Erhebt Euch, liebe Jungfer Anna, ich kann solchen Schmerz nicht ansehen. Dort über uns im Oberstock ist Euer Gemach, ward es auch nur notdürftig hergerichtet, es ist sicher. Zieht Ihr die Leiter hinauf, so vermag niemand zu Euch zu dringen. Gestattet mir, daß ich mit der Fahne hier unten hause, ich will Euch ein treuer Wächter sein.«

 

Sie erhob sich ohne seine Hilfe und wankte nach der Leiter, dort hielt sie sich fest, er aber stand abgewandt und starrte durch das Gitterfenster auf den grauen Wolkenhimmel; als er sich umwandte, war sie verschwunden. Da ergriff er seinen Hut und stürzte aus dem Turme.

Draußen empfing ihn der lärmende Zuruf seiner neuen Genossen, er sagte ihnen, daß sein Weib erkrankt sei, vernahm mit halbem Ohr ihre rauhen Scherze und ließ sich durch sie fortziehen zu dem Gelage, das der Hauptmann dem neuen Fähnrich zu Ehren für die Würdenträger des Haufens veranstaltet hatte. Erst in später Nacht kehrte er zum Turm zurück, er wankte in das Gemach, stieß hart gegen die Wand und sank mit einem unterdrückten Fluch auf sein Lager. Dort verlor er in bleiernem Schlaf die Empfindung seines Unglücks.

Es war still im Turme und man vernahm nur die schweren Atemzüge des Schlafenden; da fiel ein Lichtstrahl aus der Luke hernieder. Mit der Leuchte stieg ein angstvolles Weib herab, sie setzte sich an das Lager, rückte dem Schlafenden sorglich das Haupt zurecht und breitete eine warme Decke über ihn; lange saß sie auf dem Boden, lautlos mit gesenktem Haupte.

Das war für die armen Kinder der Tag ihrer Vermählung.

8. Die Ehe in der Wildnis

Georg erwachte spät am Morgen, fühlte nach seinem heißen Haupt und sah sich verwundert in dem kahlen Raume um. Neben seinem Lager saß Ajax und wedelte. »Mir ist so, als wäre ich verheiratet und seit gestern ein Ehemann«, sagte er zu sich selbst. Vor ihm stand Wasserkrug und Becken und dabei lag sorgfältig ausgebreitet ein Anzug aus seinem Reisebündel, den er bereits als verloren bedauert hatte. Er sprang auf und benutzte die Gelegenheit, sich in besseren Stand zu setzen. Als er umschaute, stand die Leiter zum Oberstock angelehnt; oben war alles still, er wagte nicht hinaufzusteigen, aber er rief: »Jungfer Anna«, doch kam keine Antwort.

Da klopfte es an der Außentür, und auf sein Herein trat Anna in den Turm, einen rauchenden Topf und ein Schälchen in der Hand. »Guten Morgen, Junker,« grüßte sie mit niedergeschlagenen Augen, »ich bringe die Morgensuppe.« – »Ei!« rief der erstaunte Georg. Sie rückte einen wankenden Tisch heran, setzte den Schemel, goß aus dem Topf in die Schale und kühlte den Trank mit dem Löffel.

Georg saß vor dem Frühstück. »Vor allem sagt mir, wer bin ich und wer seid Ihr?« Da ließ sie den Löffel fallen, ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Ihr seid mein Herr«, sprach sie leise. Aber als er ihre Hand ergriff, indem er die Frage wiederholte: »Wer seid Ihr?«, da entzog sie ihm die Hand und antwortete, niederblickend: »Ich bin Eure Jungfer Anna.«

»Hm«, summte er und trank aus der Schale.

Anna ergriff das Wams, welches Georg abgelegt hatte, setzte sich ihm gegenüber auf die Bank und holte Nadel und Zwirn aus der Tasche. »Dies Loch hat die Hellebarde des Hauptmanns gerissen; auf dem Wege hierher grauste mir, wenn ich es ansah und dachte, wie wenig gefehlt hat, daß er Euch am Leben traf.« Sie legte das Gewand in den Schoß und sah vor sich hin, aber sie faßte es sogleich wieder und nähte eifrig über dem Ritz. Georg sah ihr schweigend zu.

»Wißt, lieber Junker,« begann sie, »das Nötigste ist ein eigener Herd, auf dem ich für uns koche. Am Turme läuft ein Schlot hinauf, es wäre geringe Mühe, hier oder oben einen Herd oder gar einen Ofen zu setzen; vielleicht ist ein Töpfer in der Stadt zu finden. Ich habe ein wenig Geld gerettet, das in mein Kleid genäht war, ist‘s Euch recht, so sehen wir flugs, daß wir zu dem Herde kommen. Die Hauptmännin sagt, was wir an Essen gebrauchen, muß Euch das Fähnlein liefern. Du lieber Himmel, es wird wohl dürftig sein, aber ich will‘s Euch schon zurichten.«

»Um das Geld sorgen wir nicht,« antwortete Georg, »auch mich haben sie nicht ganz ausgeplündert, und wenn ich in die Stadt hinuntergehe, suche ich die Arbeiter.«

»Wenn Ihr geht und es Euch nicht uneben ist,« bat Anna, »so nehmt mich mit, damit das Gesindlein sieht, daß ich zu Euch gehöre; sie werden dann eher Scheu haben, wenn ich einmal allein unter sie treten muß.«

»Es ist also Euer Wille, zu mir zu gehören?« fragte Georg. »Und wofür sollen die Leute Euch halten?«

»Nun, da Ihr hier Fähnrich geworden seid, bin ich doch die Frau Fähnrichin«, antwortete Anna und stach heftig in das Wams.

»Das ist richtig«, sagte er.

»Ist der Herd das erste,« fuhr Anna fort, um ihn von seinen Gedanken abzuziehen, »so ist eine Mausefalle das nächste. Die Hauptmännin sagt, daß die Buben vom Troß darin großes Geschick haben. Die Falle aber ist dringend, denn das Mäusevolk rennt hier unverschämt, wahrscheinlich, weil es nichts zu knuspern findet, wobei es stillsitzen könnte. Heut nacht habe ich mich entsetzt, als ich sah, daß eine ganz frech über Euch weglief.«

Georg sprang auf: »Jungfer Anna, ich weiß jemand, der zur Nacht an meinem Lager war und der mir auch die warme Decke übergelegt hat.«

Anna ließ erschrocken das Wams auf die Erde fallen. Aber im nächsten Augenblick lag sie an seinem Halse und klagte mit bebender Stimme: »Armer wilder Georg.«

»Anna, mein geliebtes Weib«, rief er, sie umschlingend. Sie weinte still an seinem Herzen, er hielt sie fest und wollte sie küssen, doch wie gestern glitt sie an ihm nieder und sah mit gefalteten Händen zu ihm auf. »Ihr seid mein, und ich bin Euer,« sprach sie leise, »aber übt Nachsicht gegen mich; mir graut vor der Zuchtlosigkeit, die mich in Eure Arme geworfen hat; wenn ich sehe, wie die es hier treiben, die zusammengehören, so erscheint mir alles wie Sünde und Frevel; und wenn Ihr mich mit feurigen Augen küßt, so fühle ich bittere Angst über unser Elend. Duldet mich, Herzensjunker, wie ich bin, ich will Euch dienen und für Euch sorgen bei Tag und Nacht.«

Georg hob die Kniende zu sich herauf. »Und was soll zuletzt aus uns beiden werden, Anna?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie tonlos, und in ihrem Blick fand er wieder die Angst, die ihn gestern erschreckt hatte. Er ließ sie los und setzte sich auf den Schemel. »Das wird eine Ehe wie im Himmel«, sagte er gutherzig und trommelte auf dem Tische.

Anna stand abgewandt und zog an den Falten ihres Kleides. Nach einer Weile kauerte sie hinter ihm an dem Schemel nieder, und er vernahm ihr Flüstern an seinem Ohr. »Gedenkt an den Garten. Dort stand ich und sah täglich, wie die Rose wuchs. Mit der Zeit wurde sie größer, und als die roten Blätter aus der Hülle brachen, da kamt Ihr zu mir. Und jetzt —« Sie schob ihm mit der Hand die Locke vom Ohr, doch sie schämte sich, zu sprechen, was sie meinte, und barg ihr Antlitz am Schemel. Er aber gewann neues Leben aus ihren Worten und fuhr fröhlich fort: »Und jetzt, Jungfer Anna, da Ihr meint, daß die Rose wieder aufblühen wird, will ich Euch als ein wackrer Knabe auch sagen, was ich denke«, und er sang: »Da das Röslein blühte zum ersten Male, kam ich zu ihr; wenn es wieder blüht zum andern Male, kommt sie zu mir.« Anna saß noch hinter dem Schemel und barg ihre Wange an der Lehne, er aber hielt ihr seine Rechte hin: »Traut mir, liebe Jungfer Anna, hier gelobe ich, ich will Euren Sinn ehren.« Da ergriff sie die Hand ihres Herrn und küßte sie. Darauf setzte sie sich still auf die Bank und faßte die Nähterei aufs neue an. »Darf ich noch ein Drittes sagen, Herr?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja«, rief Georg. »Jetzt höre ich Euch vergnügt zu, denn jetzt weiß man doch, wie man daran ist. Also was hat die Frau Fähnrichin zu wünschen?«

»Du liebes Leben, zu wünschen wäre viel. Aber das dritte, was gleich nach dem Herde kommen sollte, ist dieses: Ihr müßt unsere Brautzeugen zu einer kleinen Gasterei oder Kollation auffordern. Vor allen anderen jedoch die Frau Hauptmännin. Das muß sein, damit die Ehe bestätigt und ihnen lieb werde.«

»Ihr habt recht,« sagte Georg, »aber worauf einladen? Küche und Keller sind nicht vorhanden, und wären sie zur Hand, so würden sie leer sein.«

»Sagt ihnen nur in Eurer lustigen Weise, daß Ihr sie einladen wollt und daß Ihr auch etwas daranzuwenden habt, so werden sie Euch schon allerlei Gutes nachweisen; denn bei solcher Gelegenheit werden die Leute erfinderisch.«

Als Georg dem Hauptmann den Morgengruß bot, rief ihm dieser entgegen: »Der Forderung des Ordenspflegers bin ich zuvorgekommen, ich habe in der Frühe zwei von den Alten als Botschaft zu ihm gesandt, damit er wisse, daß unser Fähnlein Euch aufgenommen hat und daß die Jungfrau unter der Fahne Euer Eheweib geworden sei.«

»Wie wird der Arge das ertragen?« fragte der Fähnrich finster.

»Er wird gute Miene machen und seinen Grimm still bewahren«, antwortete der Hauptmann; »denn Eure Rede über den Hochmeister hat das Junkervolk in Verwirrung gebracht, und ich denke, sie brauchen uns nötiger als wir sie.«

In dieser Weise wurden die jungen Gatten wenigstens für die nächste Zeit einer Gefahr enthoben.

Auch der kluge Rat, welchen Anna erteilt hatte, erwies sich als heilsam. Der Hauptmann und seine Frau ließen sich nicht nehmen, die neuen Würdenträger bei ihrem ersten Besuche in der Stadt zu geleiten, und diese Einführung war nicht unnütz, denn die Neulinge wurden mit großen Augen betrachtet; und wenn Anna auch bemerkte, daß Georg den Männern und Weibern ganz wohl gefiel und in seiner sorglosen Keckheit überall gut Bescheid zu geben wußte, so war das doch bei ihr selbst weniger der Fall; ihr zog sich das Herz zusammen vor der Roheit und Unsitte, welche sich so dreist auf den Straßen darbot, und sie vernahm zuweilen hinter sich freche Nachrede von wüsten Gesellen und Dirnen. Zu besonderem Kummer gereichte ihr, als sie ein Kleid aus ihrem eigenen Reisebündel auf fremdem Leibe über die Gasse laufen sah, und sie fühlte sich bitterlich gedemütigt, wenn die Hauptmännin aufforderte, vor der Dirne eines einflußreichen Doppelsöldners stehenzubleiben und mit dieser freundlichen Gruß zu tauschen. »Die armen Dinger sind nicht wie wir,« erklärte die gebietende Frau, »aber sie haben ein mühsames Leben, und manche von ihnen hätte ein besseres Schicksal verdient.« Dennoch schaffte der Gang den ersehnten Herd; denn in einem Winkel der Stadt fand sich im leeren Hause zwischen einem großen Hauf Scherben ein alter Töpfer, dessen Lebensmut zerbrochen war wie seine Ware. Als dieser später mit Anna im Turm eine vertrauliche Unterredung gehabt hatte, erklärte er sich zu jeder Leistung bereit, und es machte sich, daß er an einem dunklen Abend sogar das nötigste Kochgeschirr aus der Tiefe seines Scherbenhaufens auf den neuen Herd lieferte. Auch der Kriegszug gegen die Mäuse wurde durch einige braune, fingergewandte Buben auf der Stelle mit gutem Erfolge eröffnet. Vollends die Einladung zu einer Kollation fand bei allen Würdenträgern des Fähnleins günstige Aufnahme. Wuz, der Lokumtenens, schenkte als Angebinde in die junge Wirtschaft Tische und Stühle, die er, wie sich später ergab, einer Kammer des Rathauses entführte, und der Hauptmann erbot sich, ein Fäßlein guten Weines gegen gutes Geld zu beschaffen. Anna hegte den Verdacht, daß er es einem Winkel des Schloßkellers enthob, in welchem der Schatz vor den Luchsaugen der Knechte verborgen lag. Auch die Hauptmännin versprach der jungen Frau jede Hilfe in der Küche; und als Anna sich eines Nachmittags aus der Schloßpforte ins Freie wagte, sah sie Buben der Bande mit einem Korb Hühner vom Lande her dem Schlosse zuziehen, und als sie die Knaben ausfragte, ergab sich, daß diese auf Befehl einen Beutezug in den Dörfern der Umgegend unternommen hatten. Da geriet für einige Stunden das ganze Fest in Gefahr, zu scheitern, denn Anna kränkte sich so tief über den unredlichen Erwerb der Mahlzeit, daß Georg ins Mittel treten und die wohlgemeinte Gabe ablehnen mußte, weil jedes Hochzeitsmahl Unglück verheiße, wenn es nicht um Geld erworben sei. Trotz dieser Störung verlief die Kollation besser, als Anna gehofft hatte, die Hauptmännin erschien in einem prächtigen Gewande mit Federn auf dem Hute, und die Landsknechte saßen, ihrer Würde froh, mit steifer Förmlichkeit am Tische, bis der Wein ihnen die Zunge löste. Aber obwohl sie weniger laut wurden als sonst und Flüche und rohe Reden nach Möglichkeit vermieden, weil sie sich durch die vornehme Haltung der beiden Wirte beengt fühlten, so waren sie doch eben darum sehr erbaut von den neuen Bekannten, und Wuz, ein alter Knabe, der in Stürmen und Streiten fast ein halbes Jahrhundert ausgehalten hatte, wollte beim Abschiede Annas Hand gar nicht loslassen und versicherte einmal über das andere, daß sie niemandem ähnlicher sehe als seiner Mutter. Der Hauptmann aber, stolz auf seine neuen Zugehörigen, erbot sich gegen Anna, Erkundigungen nach ihrem Vater einzuziehen, weil er am nächsten Tage das Lager des polnischen Haufens besuchen mußte, um mit Hauptmann Heinzelmann Streitigkeiten auszugleichen wegen der Grenzen, in denen das Fähnlein beuten durfte. Und als Anna ihn bat, ein Brieflein an ihren Vater mitzunehmen und sich wegen des Lösegeldes zu erkundigen, versprach er auch dies.

 

Am andern Tage legte Georg, der das Heiligtum des Haufens, die Fahne, nicht auf längere Zeit verlassen durfte, dem Hauptmann zwei Briefe an das Herz. Der eine war an Herzog Albrecht, worin er den Herrn um Schutz bat, auch einige vorsichtige Andeutungen über die abenteuerliche Lage des Fähnleins beifügte; der zweite aber war an seinen Vater. In diesem berichtete er sein Schicksal und wie er dazu gekommen sei, Anna zu seiner Frau zu machen, er entschuldigte den schnellen Entschluß, flehte um den Segen für die Ehe und daß der Vater von ihm in seiner bedrängten Lage nicht die Hand abziehen möge. Er bat den Landsknecht beim Abschiede dringend, die Briefe in der Stadt, welche die Polen besetzt hielten, an einen Kaufmann abzugeben, den er von der Handlung her als zuverlässigen Mann kannte. Der Hauptmann betrachtete die Briefe mit schlauer Miene, indem er das Beste versprach, und Georg sah dem Abreitenden vom Tore noch lange traurig nach. Denn erst jetzt, wo er seine Lage dem Vater berichten mußte, fiel ihm die Not in der Fremde schwer auf das Herz, und er wurde sehr unsicher, wie sein Vater die unwillkommene Kunde aufnehmen werde. Diese Sorge hätte er sich ersparen können; denn als Hans eine Wegstrecke geritten war, nahm er die drei Briefe der Fähnrichfamilie hervor und besah sie, da er des Lesens unkundig war, argwöhnisch aufs neue von der Außenseite. Endlich beschloß er, so redlich zu sein als irgend möglich, und wenigstens der Frau seinen ritterlichen Dienst nicht zu versagen. Die Briefe des Fähnrichs aber behielt er in der Hand, bis er in einem alten, einsamen Birnbaum hoch über dem Boden ein Loch entdeckte. Dort verbarg er sie, weil ihm unschicklich schien, die mühsame Arbeit eines guten Gesellen zu vernichten und weil er doch von Besorgung der Briefe Unheil für sich und das Fähnlein erwartete. Denn seine Hauptmannschaft und der gegenwärtige Zustand waren ihm gerade recht, und er fürchtete, durch das Papier die Fahne und den Fähnrich, auf den er bereits große Stücke hielt, in irgendeiner Weise zu verlieren.

In dem wilden Baume verfielen die Briefe, welche das Schicksal Georgs und Annas zum Bessern wenden sollten, dem kleinen Troß der braunen Heide; die Spinnen und Käfer krochen neugierig hinein, die Fledermaus nagte daran, und zuletzt kam das Eichhorn und benutzte sie bei seinem Wochenbett.

Als Hans zurückkehrte, begrüßte er im Turme die Frau Fähnrich, welche am Herde kochte; er setzte sich nieder und sah sie mit seinem schlausten Blick an, während sie mit gefalteten Händen und unsäglicher Angst vor ihm stand. »Könnt Ihr mir etwas Gutes erweisen, so tut es,« begann er, auf den Topf zeigend, »denn auch ich bringe gute Nachricht: Ein kleiner alter Herr mit scharfen Augen und heller Stimme, ist er das?«

»Mein Vater«, rief Anna.

»Seinem Zeichen nach ein Koch mit einer langen Fleischerschürze, welcher Arme Ritter buk«, fuhr Hans prüfend fort.

»Das ist der Vater nicht«, seufzte Anna.

»Mit seinem Namen heißt er Magister Fabricius«, schloß Hans siegreich.

Die Tochter umklammerte mit beiden Händen die große Faust des Landsknechts. »Aber der Vater in der Küche«, klagte sie.

»Er ist Koch, weil er zu den Waffen nicht tauglich ist, was konnte ihm Besseres begegnen? Ein kleiner behender Kerl, er ist ganz munter in seiner Art, und sie behandeln ihn gut. Ihr sagt ganz richtig, daß er schwach in der Küche ist, aber dafür versteht er zu lesen besser als ein Ratsschreiber. Er ist bei ihnen Koch, Schreiber und Leser.« Hans schüttelte den Kopf und lachte. »Ich habe dort neuen Brauch erlebt, der seither unter den freien Knechten unerhört war: Die Alten sitzen abends bei Lichte im Haufen, er in der Mitte, und er liest vor ihnen, so daß sie alle zuhören und zuweilen sogar ihr Karnöffelspiel vergessen. Auch mich haben sie aufgefordert, anzuhören, und um Euretwillen fügte ich mich in die Sitte und vernahm, wie Euer Vater von einem Bettelmönche las, welcher für sein Kloster sammeln wollte und zu einem Bauer kam. Der Bauer nahm ihn auch auf, gab ihm aber keine Eier und keinen Käse, sondern setzte ihm scharf zu mit subtilen Worten, indem er ihm die Nichtswürdigkeit seines Lebens und der ganzen Pfaffenwirtschaft vorhielt, so daß der Kopf des Mönches dick und rot wurde. Was der Bauer nach den Reden Eures Vaters über die Pfaffen zu klagen wußte, ist gar nicht wiederzusagen. Aber es ist alles wahr, und die Gesellen dort drüben hatten dieselbe Meinung.« Und leiser fügte er hinzu: »Zuletzt fing Euer Vater auch noch an, aus eigenem Kopfe zu reden und ermahnte meine Kameraden mit hohen Worten, daß sie sich allerlei Unzucht abgewöhnen möchten. Manche lachten, andere hörten ihm zu, weil man merkte, daß er‘s ehrlich meinte. Ich denke, es wird nicht viel nützen, denn es sind Teufelskrabben unter ihnen, welche die andern anstiften. Doch muß ich sagen, Euer Alter gefiel mir nicht übel, und ich fragte die Knechte, welches Lösegeld sie von ihm hofften. Aber sie waren ganz eingebildet auf seine Leserei und wollten ihn ungern missen. Nur ein Schreiben habe ich mitgebracht, das er mir heimlich bei meinem Abgang zusteckte.« Er zog ein zusammengelegtes Papier heraus und legte seine Hände darauf. Anna faßte wieder flehend die Hand. »Haltet an, Weiblein,« sagte der Landsknecht, »so schnell geht das nicht, es könnte etwas darin stehen, was unserer Bruderschaft schädlich wäre. Denn wenn die drüben auch im ganzen sich gewissenhaft halten, es sind doch Feinde, und ich weiß nicht, wie ich Euch Macht über den Brief geben soll. Kommt herbei, Jörge, ich will Eurem Schwur trauen, wenn Ihr mit hineinseht und mich versichert, daß sie jedes Wort so vorträgt, wie es geschrieben steht.«

»Wenn Anna das will«, versetzte Georg.

»Tretet heran«, rief Anna hastig und öffnete den Brief. »Liebe Tochter, meinen besten Gruß zuvor. In der Hoffnung, daß Herr Hans Landsknecht dies Brieflein an Dich abgeben wird, schreibe ich Dir mit der nötigen Vorsicht aus meinem Gefängnis in der Höhle der Zyklopen.«

»Er meint die schwarze Küche«, erklärte Hans.

»Liebes Kind, was Du mir über Dich und meinen lieben Sohn Regulus schreibst, das erlöst mich von der unablässigen Angst, welche ich bei Tag und Nacht Deinetwegen in mir herumgetragen habe. Freilich bereitet es auch Kummer von anderer Art, doch dieser ist erträglicher und geht zum größten Teil die Zukunft an. Geliebte Kinder, ich sende Euch beiden meinen väterlichen Segen aus gerührtem Herzen, und ich hoffe, was etwa noch an der Form und Ordnung fehlt, wird sich später nachholen lassen, zumal wenn auch mein Sohn Georg bei seiner Freundschaft das Nötige tut. Diesem vertraue ich gänzlich wegen Deines künftigen Glückes. Liebes Kind, um mich sollst Du Dir keinerlei Kummer machen, denn Pan Stibor, der hiesige Kastellan, ist nicht ganz ohne lateinische Zucht, und ich darf auf seinen Schutz hoffen, sowohl wegen seiner Wissenschaft, als auch, weil er mich beim Lesen und Konzipieren der lateinischen Briefe verwendet. Und obgleich die Polnischen mir nicht zugeben wollen, daß ich widerrechtlich in Haft gehalten werde, weil sie nämlich auf die deutschen Städte und vorab auf die Thorner sehr zornig sind, so merke ich doch, daß sie sich heimlich meinetwegen in ihrem Gewissen bedrückt fühlen, und ich hoffe, sie werden mich zuletzt noch freigeben oder doch wenigstens gegen Gelöbnis der Wiederkehr entlassen, damit ich mich in Danzig nach einem mäßigen Lösegeld umtue. Auch tröstet mich, daß die Leute hier von den Auguren keinerlei gute Meinung hegen. Liebe Tochter, lieber Sohn, ich bitte täglich den allmächtigen Gott, Euch in seinem gnädigen Schutz zu bewahren und bin mit Anwünschung eines besseren Schicksals für uns alle meiner lieben Kinder getreuer Vater M. Fabricius.«