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Die Ahnen

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»Die freien Kinder von Thorn danken dir, Hans, daß du ihnen einmal gutes Glück zutrinkst, ohne daß du deine Waffe an ihren Hälsen gefärbt hast«, sprach neben ihm eine lustige Stimme.

»Mancher, der heut den Kopf hoch trägt, denkt nicht daran, daß er morgen unter meiner Waffe liegen kann«, versetzte Hans ernsthaft.

»Darum sorgen wir nicht mehr,« lachte Georg, »denn wir hoffen, Hans, du wirst morgen den Kindern von Thorn dieselbe Schonung erweisen, wie heut der Puppe.«

Hans Buck grinste und wandte sich zu Lischke, mit dem er so vertraut war, wie der Unterschied ihrer Ehre gestattete: »Ich würde mir lieber einen Finger abhacken, als den Pfaffen zuliebe jenes Mannsbild brennen.«

»Kümmert auch dich der Streit der Pfaffen?« fragte Lischke verwundert.

»Um das Gezänk dieser Mönche kümmere ich mich nicht und ich mache mir auch wenig aus ihrem Glauben. Wenn ich einmal im Jahre zur Beichte gelassen werde, schieben sie einen kleinen Altar in die Armesünderecke und fassen die Kutte mit beiden Händen, damit ich sie nicht berühre. Jener Mann aber, von dem sie das Konterfei verbrennen wollen, hat ihnen die Wahrheit gesagt, darum hassen sie ihn.«

»Was weißt du von seiner Lehre?«

»Einer von seinen Jüngern, die man Prädikanten nennt, hat sich nicht gegraut, an meinem Tisch niederzusitzen, dieser verkündete mir und meinem Knechte so viel als wir brauchen. Wißt, Lischke, er hat zwei Lehren, gleich den zwei Beinen eines Menschen, sich darauf zu stützen. Das erste Bein ist: Alle Menschen sind arme Sünder und vor andern die vornehmen und reichen Hansen, die mit ihren guten Werken prangen; das andere Bein aber, welches dem ersten Widerpart hält, ist dieses: Kein Sünder ist so verworfen, daß er nicht durch seine Reue die Gnade unseres Vaters im Himmel erwerben kann. Daß dieses alles die Wahrheit ist, weiß der Henker am besten. Denn manchmal, wenn ich einen gerichtet habe, hätte ich mit besserem Recht den Stolzen abgefertigt, der den armen Sünder richten ließ; und wieder, mancher armen Seele habe ich zugesehen, die so friedlich den letzten Weg ging wie ein Kind, das zu seiner Mutter ins Bette kriecht.« Er nickte und verschwand in einer Seitengasse.

Aber der Widerstand des Hans Buck hemmte nur kurze Zeit die düstere Feierlichkeit, welche die geistlichen Herren zur Warnung der Bürger beschlossen hatten. Aus einem nahen Stall wurde ein anderes Roß herzugeführt und der Zug setzte sich in Bewegung. Einen Bußpsalm singend schritten die Mönche mit Kreuz und Fahne voran, die großen geistlichen Herren folgten; hinter ihnen kam die Schleife und ein Karren mit Brennholz, gedeckt von den Trabanten und Laienbrüdern des Klosters, längs dem Zuge sprengten gleich Marschällen der Pole und seine Begleiter. So bewegte sich die unheimliche Prozession vom Kloster der Predigermönche durch das Kerkertor nach der Altstadt und nach dem Kirchhofe von St. Johannes. Die traurigen wilden Klänge des lateinischen Gesanges beengten den Bürgern das Herz; das Licht der Pechfackeln beleuchtete mit grellem Rot die Gestalten der reitenden Bischöfe, welche über dem dunklen Haufen dahinfuhren wie der Erde enthoben; die kahlen Scheitel der singenden Mönche glänzten bald in rotem Schimmer, bald wurden sie von einer rußigen Wolke verhüllt. Am Eingange des Friedhofs empfing den Legaten demütig der Pfarrer von St. Johannes, der im Grunde den Mönchen zuwider war, sich aber heut vor der höheren Macht beugte. Der Zug stellte sich auf, ein neuer Psalm Davids, worin der Sänger seinen Feinden viel Böses wünscht, wurde angestimmt, junge Mönche luden die Holzbündel ab, schichteten den Stoß und wälzten den Ballen hinauf.

Der Magister konnte heut über seinen Büchern nicht ausdauern, er ging mit großen Schritten in der leeren Schulstube auf und ab, ergriff seinen Stock und tat gefährliche Stöße nach der dunklen Ecke, welche unter den Schützen gefürchtet war, weil dort die argen Frevler abbüßten. Als es finster wurde und das Gesumm von dem nahen Kirchhofe in sein Ohr drang, ergriff er den Hut. »Ich fürchte, meine Schüler vermögen heut nicht zu gehorchen, ich will selbst hin, sie wegzutreiben.«

Anna faßte flehend seinen Arm. »Bleibt nur heute, Herr Vater, mich quält den ganzen Tag die Ahnung, daß ein Unglück bevorsteht; warum wollt Ihr ansehen, was Ihr nicht hindern könnt?«

Aber der Magister wies sie kurz zurück und schritt eilig die Treppe hinab. Als Anna allein war, wurde ihre Angst unerträglich, sie sah die Hausgiebel vom Feuerschein gerötet und hörte aus der Ferne Bußgesänge. Da schlug sie ihren Mantel um und eilte zur Hauswirtin hinab. Sie fand diese in derselben Tracht zum Ausgange gerüstet. »Eilt, Jungfer Anna, wir dürfen die Männer heut nicht aus den Augen lassen.«

Auf dem Kirchhofe wanden sie sich durch dichtgedrängte Haufen, ängstlich nach denen suchend, die ihnen am Herzen lagen. Sie kamen, als gerade ein Mönch die Fackel zutrug und in den Holzstoß steckte. Als die Flamme aus der schwarzen Rauchwolke züngelte, wurde es so still im Volke, daß man den Schrei eines Kauzes auf dem Turmdach hörte.

Pater Gregorius trat an den Stoß, las laut die Titel der Bücher, welche in dem Ballen gebrannt werden sollten, und warf die letzten, welche er noch in der Hand hielt, eines nach dem andern in die Flammen. Er nannte wohlbekannte Schriften, welche vielen in Thorn für tröstend und heilbringend galten; darunter auch den Titel des fliegenden Blattes, welches der Magister zur Weihnacht hatte drucken lassen, und obgleich er den Namen des Autors nicht kündete, weil dieser in dem Blatt nicht zu finden war, so wußten die Thorner doch, wer es geschrieben hatte. Es erhob sich ein Gemurr und einzelne Steine flogen von hinten her gegen den Holzstoß. Zuletzt rief der Mönch: »Wie diese in das irdische Feuer geworfen werden, ebenso mögen die Übeltäter, welche Ketzerei in der Welt verbreitet haben, dem Höllenfeuer verfallen.«

Der Magister stand, von den Flammen beleuchtet, zornrot in der ersten Reihe, seine Hände ballten sich, aber er vermochte nichts herauszubringen als ein lautes Pfui. Sein Schrei verhallte in neuem Gesang, den junge Klosterbrüder anstimmten, sie trugen die Teufelspuppe auf der Stange rings um den Scheiterhaufen unter dem Spottliede: »Ach du armer Judas, was hast du getan.« Das Lied wurde durch Gejohl und Schreien des Volkes begleitet. Die Mönche aber befestigten die Stange an dem brennenden Holzstoß, und jetzt trat der Legat selbst hervor und sprach in feierlichem Latein einen Fluch über den Mann, dessen Name auf dem teuflischen Bilde geschrieben stand. Da flog ein großer Mauerstein gegen die Puppe, daß sie aus dem Feuer fiel, aber der hochwürdige Bischof von Kaminiez bückte sich trotz seiner Schwere nach der Gestalt und warf sie von neuem in die Flamme. In diesem Augenblick rief eine helle Stimme – ach, es war die des Magisters —: »Ich protestiere gegen die Kränkung, welche hier einem würdigen Lehrer des deutschen Volkes zugefügt wird.«

Dieser Ruf war wie der Windstoß, welcher ein Hagelwetter entladet, von allen Seiten flogen Erdballen und Steine gegen den Scheiterhaufen und gegen die geistlichen Herren. Der Rat selbst hatte dafür gesorgt, daß es an Wurfgeschossen nicht fehlte, denn er ließ noch immer über der lateinischen Schule bauen, und dicht am Kirchhofe war die Baustätte. Eilig entwichen die Geistlichen in das Dunkel, doch Pan Pietrowski fuhr mit seinem Gefolge auf den Magister los und gebot: »Dieser ist der Schreier, faßt ihn.« Der Magister stand ihm gegenüber, bereit zu kämpfen und zu sterben, der Hut war ihm vom Haupte gefallen, einen Arm hielt Anna, den andern die Ratsbotin, um den Widerstrebenden zurückzuziehen. Aber gerade, als der Pole die Hand gegen ihn ausstreckte, trat Georg zwischen beide und warf den Pietrowski zurück, daß er taumelte. Der Pole stieß ein Schmähwort aus und sprang mit gehobenem Säbel wieder vor. Da traf ihn eine Rüststange am Haupt, daß er lautlos zu Boden sank, und die Stange schwingend, rief Georg: »Heran, ihr Schüler von Thorn, verlaßt euren Herrn Vater nicht in der Gefahr.« Auf diese Worte erhob sich ein so fröhliches Jauchzen und Geschrei, wie es zu diesem Abend gar nicht paßte, die Schützen, kleine und größere, tauchten aus allen Ecken hervor und sprangen über die Mauer. Viele sammelten sich um den Magister, andere holten ihre Waffen von dem Holzwerk des Gerüstes. Ihrem Beispiel folgte die Menge, auch bedächtige Bürger wurden fortgerissen und griffen nach Steinen und Stangen. Die frommen Väter mit ihrer Begleitung entwichen laufend dem Kirchhofe, der betäubte Magister aber sah sich der Gefahr enthoben und von seiner ganzen Schule umschwärmt. Lustig sprangen die Leute gegen das Feuer, stießen mit dem Rüstholz hinein, zerrissen den Scheiterhaufen und warfen die Brände auseinander.

Marcus saß an seinem Schreibtisch in finsteren Gedanken: »Ich höre die Bußgesänge der Mönche und sehe das rote Fackellicht heut, wie in jener Nacht, wo mein Vater endete. Damals ritt der Ahn des Pietrowski als Treiber des traurigen Zuges, gerade wie heut sein Enkel, und der Fremde fluchte und schmähte meinen Vater, als sie mich auf das Gerüst hoben. Die Kränkung blieb ungerochen; als Knabe vernahm ich sie, warum brennt sie heut auf der Seele des Alten?« – Da wurde die Tür hastig geöffnet, er wandte sich befremdet um, erkannte im trüben Schein der Kerze das verstörte Gesicht seines Sohnes und vernahm die Worte: »Verzeiht mir, Herr Vater, ich komme in einem bösen Handel. Die Bischöfe und Mönche haben zu St. Johann Büchlein der Wittenberger verbrannt, dabei wollten die Polnischen gewalttätige Hand an den Herrn Magister legen, ich aber habe den Pietrowski mit einem Rüstbaum niedergeschlagen, er liegt mit blutendem Kopfe, und die Polen brüllen Gewalt in den Straßen.«

Der Vater faßte mit der Hand das Pult, als er sich langsam erhob, er stand mit gesenktem Haupt und murmelte: »Unheilig war der Wunsch und die Hölle hat ihn erfüllt.« Er trat auf seinen Sohn zu und fragte bleich wie dieser: »Ist der Pole tot?«

 

»Ich weiß es nicht, Herr Vater.«

»Die wilde Tat geht noch einem andern an Hand und Hals. Warum warst du so hastig, zu begehren, daß dein Vater dich überleben soll? Gegen die Ketzerrichter hast du dich aufgelehnt, Unseliger! Die Heiligen des Himmels hast du erzürnt, und Gnade hast du nicht im Himmel und auf Erden zu hoffen!«

»Der Pole schmähte, Herr Vater, dem Schimpfwort folgte der Schlag.«

»Ich weiß«, sagte Marcus leise. »Vermagst du noch durch das alte Tor aus der Stadt zu entrinnen?«

»Ich hoffe, Herr Vater; der Pförtner ist uns zugetan.«

»So entweiche in die wilde Nacht, flieh nach unserm festen Hause und laß Wache halten, morgen früh sende ich dir durch Bernd Nachricht. Du gehst als Schiffer nach Danzig, von da nach Lübeck, dort weilst du, bis dein Schicksal hier entschieden ist. Als Flüchtling mußt du von dem Hause deiner Väter scheiden; wann wirst du es wiedersehen? Hinweg, jeder Augenblick vermehrt die Gefahr.«

»Laßt mich nicht ohne Segen von Euch, Vater«, rief Georg und warf sich vor ihm auf die Knie. Marcus legte ihm die zitternde Hand auf das Haupt und murmelte Unverständliches, und als Georg aufsprang und ihn umfaßte, hielt er den Sohn einen Augenblick an seinem Herzen, gleich darauf stieß er ihn heftig zurück: »Hinweg!« Georg sprang aus der Tür und aus dem Vaterhause. Marcus aber schlug die Hände zusammen und warf sich vor dem Marienbilde auf den Boden.

Georg eilte, in einen polnischen Mantel gehüllt, durch die Hintergassen dem Tore zu, scheu blickte er zur Seite nach den Verfolgern. Doch die Angst, ein neues Gefühl in seinem jungen Herzen, vermochte ihn nicht lange zu demütigen, er richtete sein Haupt auf, fühlte nach dem Messer an seiner Seite und dachte: »Leichten Kaufes sollen sie mich nicht fangen.«

»Euch wäre auch besser, Junker, wenn Ihr jetzt in einer Nebelkappe lieft«, raunte neben ihm eine warnende Stimme. Es war Barthel Schneider. »Wo wollt Ihr hin?«

»Habt Ihr gehört, was aus dem Herrn Magister geworden ist?« fragte Georg schnell.

»Ich sah ihn mit der Tochter zu seiner Schule wanken. Lischke sagt, es wäre sein Letztes, die Pfaffen würden ihn wegen Ketzerei richten.«

Georg drehte sich kurz auf das Haus des Magisters zu, aber Barthel faßte ihn am Arme. »Seid Ihr unsinnig? Sorgt um Euren eigenen Kragen. Kommt Junker, hier ist dunkler Schatten, drückt die Mütze besser auf den Kopf, daß man Euer krauses Haar nicht erkennt.« Sie kamen an das Tor, Barthel klopfte an den Fensterladen des Wächters. »Gevatter, bemüht Euch um meinetwillen, mein Gesell hat eilige Botschaft aufs Land zu tragen.«

Aber aus dem halbgeöffneten Laden kam die leise Warnung zurück: »Laßt Euch Gutes raten und sucht für Euren Gesellen eine andere Öffnung.« In demselben Augenblick sprang die Türe auf, ein Haufe Bewaffneter brach aus dem Hause. Barthel umklammerte ängstlich den Arm Georgs und wehrte ihm, das Messer zu ziehen. Der Jüngling wurde bewältigt und vor den Säbeln der fluchenden Polen nur dadurch bewahrt, daß sich der Pförtner und Barthel fest an ihn hingen. Als Gefangener wurde er dem Rathause zugeführt.

In der kleinen Ratsstube saßen am nächsten Morgen die vier Bürgermeister zusammen; der Burggraf, Herr Friedewald, hatte das Antlitz über den Tisch gebeugt, daß ihm das lange weiße Haar über die Augen herabfiel, und zögerte die Beratung zu beginnen. Achtungsvoll harrten die andern, und die beiden jüngsten, Herr Eske und Herr Seuse, richteten zuweilen neugierige Blicke auf ihren Kumpan Hutfeld, welcher aufrecht dasaß mit gefurchter Stirn, als ein Mann, der gewöhnt war, seine Ruhe im Kampfe zu behaupten. Endlich hob der alte Burggraf das Haupt und nach seinem ruhigen Nachbar sehend, fuhr er statt der gebührenden Einleitung in seinen Gedanken fort: »Ich gehöre nicht zu der Freundschaft seines Geschlechtes, aber ich habe den Knaben stets gern betrachtet. Die Bürger hatten auch nicht unrecht, wenn sie seinem Übermut etwas nachgaben, denn viele dachten wie ich, daß er eine Hoffnung der Stadt war. Mancher ist vielleicht umsichtiger und ebenso redlich im Gemüt, er aber hatte die Faust eines tapferen Mannes und sprang vor den anderen in die Gefahr. Er sollte eine Ehre werden für die Stadt und ein deutscher Hauptmann für die Landschaft.«

»Die schnelle Faust ist es, welche ihn von der Bruderschaft, von der Stadt und von dem Sonnenlicht scheidet«, antwortete Hutfeld ernsthaft.

»Ihr seid sein Freund und Pate und sprecht wie Eure Pflicht ist«, fuhr der Burggraf fort. »Wundere sich niemand, daß ich als der Alte bei seinem Verderben auch den Schaden fühle, welcher unsere Stadt bedroht. Ich weiß nicht, ob wir bessere Zucht und mildere Sitte haben als unsere Väter, aber da ich jung war, zogen die Bürger selbst aus den Toren und schlugen auf ihre Feinde, wir greifen in den Beutel und bezahlen fremde Söldner. Die Alten unterfingen sich, weil sie der eigenen Kraft stolz vertrauten, ihr Recht gegen die Ordensleute und gegen die Polen zu vertreten. Wenn unsere Söhne zu klug und zu fein werden, um selbst den Spieß zu tragen, so, fürchte ich, könnten fremde Fäuste ihnen bald einmal das Geld aus den Truhen holen.« Die andern schwiegen. »Und darum«, schloß der Burggraf, »bedaure ich, daß wir guten Stahl zerbrechen müssen, weil er zu scharf geschnitten hat.«

»Das Edikt bedroht den Übertreter nur mit Verbannung«, warf Herr Eske ein. »Ich meine, dem Zorn des Königs geschieht Genüge, wenn wir den Jüngling aus der Stadt senden, weil er der Zerstörung von Ketzerbüchern widerstrebt hat.«

»Ob die Mönche Ketzerbücher verbrannt haben, wissen wir nicht,« antwortete der Burggraf, »aber er wird verklagt und durch Zeugen überwiesen, daß er zum Widerstand gegen den Legaten des heiligen Vaters gerufen und selbst mit hölzerner Waffe den Schädel eines adligen Polen zerbrochen hat, welcher jetzt todwund bei St. Nikolaus liegt.«

»Es wird auch bezeugt werden,« versetzte Herr Eske, »daß der Pole als erster das Schwert gezogen hat, zum zweitenmal in unserer Stadt; der Pole selbst ist dem scharfen Gericht der Stadt verfallen.«

»Er war hier als des Königs Diener und die Bestrafung der königlichen Diener steht beim Könige selbst, uns bleibt nur die Klage. Die Bestrafung eines Knaben aus dem Artushofe heischt der König von der Stadt, und er hat genügenden Grund dafür, denn noch stand die Stadt in seinem Frieden, und allen ist bewußt, Herr Kumpan, daß während dieser Zeit scharfes Recht gilt und jeder handhafte Widerstand gegen des Königs Boten am Leben gestraft wird.«

Und wieder neigte der alte Mann das Haupt und sah traurig vor sich nieder.

»Ist es an dem, daß Hans Buck Arbeit haben soll, so ist ein Opfer genug für den Zorn des Königs«, erinnerte Herr Seuse. »Die Schüler der Johannesschule haben die Steine geworfen und ihr Magister hat sie angeführt. Muß ein Opfer fallen, so ist der Magister ein Fremder und gehört nicht zur Bruderschaft des Hofes.«

»Er hat nur mit Worten gehadert«, entgegnete der Burggraf. »Doch vergaß er die Bescheidenheit und gab seinen Schülern ein böses Beispiel vor allem Volke. Deshalb wird der Stadt unleidlich, daß er in seinem Amte beharre. Dazu hat er die Würde unseres geistlichen Vaters gekränkt, der an Statt seiner Heiligkeit unter uns weilte, und die Stadt wird wohltun, ihm ihren Frieden zu versagen und ihn auszuweisen in kürzester Frist.«

»Er war ein guter Lehrer unserer Kinder und hat sich sonst unsträflich gehalten«, warf Herr Eske ein.

»Er war zu hitzig für uns«, entschied der Burggraf. »Vorschnelles Wort verdirbt auch gerechte Sache. Hat er durch zwei Jahre den Bürgerkindern Gutes getan, so erweisen auch wir ihm Gutes, wenn wir ihn unversehrt an Leib und Habe von uns entsenden, bevor die von St. Nikolaus ihn wegen ketzerischen Irrtums verklagen. Denn ich vernehme, es ist auch Gedrucktes, das aus seiner Feder kommt, gebrannt worden.«

Hutfeld stimmte bei: »Der Elbinger, welcher während des Winters im Hafen lag, hat das Großsegel zum halben Mast gezogen, er ist fertig zur Abfahrt; gefällt es den hochmögenden Herren, so legen wir den Magister und seine Hausgenossen diesem als Ladung auf. Es mag anderen zugute gerechnet werden, wenn die Stadt gegen ihn einen harten Ernst beweist, und den Magister selbst enthebt es größerer Not.«

Damit waren die vier einverstanden, und der Burggraf fragte: »Wer wird Kläger wider den Gefangenen?«

»Der edle Kastellan von Dibow«, antwortete Hutfeld. »Der König besteht darauf, daß die Stadt selbst über den Täter richte, damit der Haß nicht auf ihn falle.«

»Der König war übel beraten, als er beschloß, den Haß der Bürger gegen uns zu wenden«, rief Herr Seuse.

»Wenn der König sich selbst seines Gerichtes begibt,« mahnte wieder Herr Eske, »so rate ich, daß wir ihm dennoch widerstehen und den Täter verurteilen, wie es uns frommt, und nicht, wie es ihm gefällt.«

Die andern sahen finster vor sich nieder.

»Uns frommt, dem König nicht zu widerstehen«, entgegnete der Burggraf nachdrücklich. »Der Waffenstillstand mit dem Hochmeister ist beschlossene Sache, und der König ist mächtiger im Lande als je. Einst, zur Zeit der Großväter, als der Ordensritter zwischen uns saß, verging selten ein Jahr, wo die Ordensleute sich nicht ein Menschenleben als Beute holten, entweder einen Mann oder ein junges Weib, darum verjagten wir die Frevler. Müssen wir jetzt zuweilen ertragen, daß der polnische Bär ein Leben für sich fordert, es geschieht doch nur selten und nie in mutwilligem Bruch des Stadtrechts, denn er haust nicht unter uns.«

»Aber er lauert an unseren Grenzen«, sprach Eske.

»Wo ist bessere Sicherheit auf Erden, und wo ist Friede?« fragte traurig der alte Burggraf.

Kurz darauf öffnete die weinende Barbara dem Bürgermeister Hutfeld die Wohnstube, und wieder standen die beiden Schwäger einander gegenüber. Wer die beiden nicht kannte, durfte zweifeln, welchem von ihnen das Schicksal des Gefangenen mehr am Herzen lag. Denn Marcus stand, seine Angst kräftig bezwingend, gerade aufgerichtet da, und auf des Bürgermeisters Gesicht, das im Rate so unbewegt erschien, lag jetzt die Verstörung. Der Hauswirt enthielt sich nicht förmlicher Begrüßung und bot den Stuhl, Konrad aber beachtete nicht die Höflichkeit und begann sogleich: »Ich komme vom Könige, es ist dort keine Hoffnung.«

»Habt Ihr für meinen Sohn gebeten, hochmögender Herr?«

»Ich tat es.«

»Hast du dem König gestanden, Konrad, daß der Knabe ein Sohn deiner Schwester ist und du ihm vom Taufstein her an Vaterstelle?«

»Wenn das der König weiß, so erfuhr er es nicht durch mich«, versetzte Hutfeld mit gefurchter Stirn.

Marcus trat zurück: »Ich denke, Ihr tatet klug, Euch dem Polen nicht zu verleiden.«

»Ich schwieg nur, weil ich unserm armen Knaben mehr zu nützen glaubte, wenn ich als Bürgermeister von Thorn bat.«

»Und was hat der Rat über Georg beschlossen?« fragte der Vater kalt.

»Du weißt selbst,« antwortete Hutfeld mit zuckenden Lippen, »wie der Verlauf sein wird; morgen früh fällt der Spruch des Gerichtes; noch lag des Königs Friede auf der Stadt, der Verwundete gibt keine Hoffnung, der König, auch wenn er schonen wollte, ist gezwungen, die Steinwürfe zu rächen, welche den Legaten und die Priester getroffen haben.«

Marcus stützte sich mit der Hand auf die Tischplatte. »Die Stadt hat von dem Polen neue Gunst erfahren und wird eifrig sein, seinen Zorn zu besänftigen.«

»Aufschub wäre Rettung,« antwortete Hutfeld bedeutsam, »der König will ihn nicht gewähren. Die Priester haben ihn erzürnt, und er tat, daß ich‘s hörte, den Schwur: ›Nicht eher kehre ich den Schweif meines Rosses gegen diese aufrührerische Stadt, die ich eben erst durch Huldbeweise geehrt, bis Ihr die Kunde bringt, daß das Urteil vollzogen ist.‹«

»Wenn der Vater den hochmögenden Rat um Aufschub anfleht, würden Bürgermeister und Rat noch einmal den Ritt zum Könige über die Brücke wagen?«

»Wenn der Rat selbst solche Bitte tut und der König sie gewährt, dann übernimmt der Rat auch die Bürgschaft dafür, daß nach Ablauf der Frist der Gefangene zur Stelle ist«, versetzte Hutfeld ablehnend, und nach einer Weile fuhr er fort: »Als ich heimritt, dachte ich daran, daß du stets bemüht warst, dir den guten Willen der Geschorenen zu sichern. Ich weiß, daß sie dir als einem Rechtgläubigen vertrauen. Die guten Dienste des Vaters könnten wohl die Missetat des Sohnes überwinden, wenn du den Bischöfen jetzt eine goldene Sühne bietest.«

»Habe ich als treuer Sohn der Kirche von meinem irdischen Verdienst geopfert, so habe ich es getan, um die Gunst der Heiligen für mich zu gewinnen, nicht die der Priester. Ihr wißt so gut wie ich, daß es vergeblich wäre, Gold an den hochwürdigen Legaten Zacharias zu zahlen, da dieser ein Welscher ist. Denn er würde jede Gabe willig annehmen und auch mit lauten Worten Fürbitte einlegen, zu gleicher Zeit aber durch die geistlichen Väter der Polen den König aufstacheln, damit die Kränkung seiner Würde dennoch gerächt werde. Den polnischen Herren aber vermag man ihren Zorn nie in den ersten Tagen abzukaufen, sondern erst nach einiger Zeit.«

 

Die beiden Welterfahrenen sahen einander an. »Dann bleibt noch ein Mittel,« begann Hutfeld feierlich, »das letzte.«

»Ihr sprecht zu einem Vater, hochmögender Herr.«

»Ich geleite dich zum Könige und schaffe, daß du vor sein Angesicht geführt wirst ohne Zeugen. Tu den Kniefall des Bittenden und gib dem König eine Verheißung. Ich weiß, er begehrt sich den Eichwald, der bei Nessau deinem Hause verblieben ist, beweise ihm darin guten Willen, und du magst von ihm gleiche Gefälligkeit erwarten. Du hast nie vor seinem Angesicht gestanden, und es ist wohl möglich, daß er den Namen deines Sohnes ohne gute Meinung gehört hat; gewinnst du diese durch Demut und Gefügigkeit in seine Wünsche, so gewährt er dir, was er irgend vermag, nicht Verzeihung für Georg, aber längeren Aufschub und dadurch die Wahrscheinlichkeit, ihn zu retten, so oder so.«

Marcus sah vor sich hin, während Hutfeld warm auf ihn einredete. Als er das Haupt erhob, fand er die Augen des andern ängstlich und forschend auf sich geheftet. Er richtete sich hoch auf. »Gilt der alte Burgwald von Nessau für ein so königliches Geschenk, daß der König von Polen darum den Kopf eines Deutschen freigibt, den er werfen könnte? Ich bin nicht gewöhnt, königliche Herren durch Geschenke zu verpflichten, und ich fürchte, ich könnte straucheln, wenn ich den Wald in der Hand tragen und dabei niederknien sollte. Erlaßt mir die Kniebeugung, die ich bisher nur vor dem Himmelsherrn und seinen Heiligen geübt habe, und nehmt den Wald für das Haupt des Knaben, den Eure Schwester unter dem Herzen getragen. Nehmt den Wald, Ihr selbst, die Stadt, der König, ganz wie Eurer Weisheit am förderlichsten scheint.«

Hutfeld versetzte unwillig: »Wundert Euch nicht, wenn andere für Euren Sohn nicht tun, was Euch selbst zu tun nicht gefällt. Soll ein Angebot dem Leben des Sohnes frommen, so muß die demütige Bitte des Vaters dasselbe annehmbar machen.«

»Soll ich demütig flehen, so vertraue ich vor allen den heiligen Fürbittern.«

»Dann scheide ich von Euch mit noch größerem Leide, als ich herbrachte, denn ich sehe keine Hilfe, die Ihr und ich miteinander beraten könnten.«

»Ich danke Euch für Euren guten Willen, Herr Bürgermeister«, sprach Marcus; aber plötzlich, auf den andern zutretend, erhob er die Hand und rief drohend: »Wahrlich, Konrad, das Blut deines Schwesterkindes wird auf dein Haupt fallen, denn du bist es, der dem Dienst des Königs meinen Knaben opfert.« Seine Augen flammten, und die Faust bebte in starker Bewegung.

Hutfeld trat einen Schritt zurück, aber er wich nicht dem Zorn des Vaters, sondern entgegnete leise: »Hüte du dich selbst, Marcus, daß du nicht deinen Sohn um ein Traumbild hinopferst, das – wenn es etwas anderes wird als ein Traum, dein und deines Sohnes Haupt auf dieselbe Stätte führt, auf der dein Vater endete.«

»Damals stand Konrad Hutfeld neben mir und hielt meine Hand!«

»Damals machtest du es deinen Freunden nicht so schwer, dir zu dienen, als jetzt«, antwortete Hutfeld bewegt.

»Wo liegt mein Knabe in Haft? Man hat mir den Zutritt zu ihm verweigert.«

»Nur bis der Spruch des Gerichtes gefallen ist«, versetzte der Bürgermeister. »Er ist in der Artuskammer des Kerkerturmes. Die Stadt hat bis jetzt die Pflicht, ihn zu bewahren. Da er unter alt und jung manchen verwegenen Freund zählt, werde ich den Kastellan von Dibow, der als des Königs Kläger in die Stadt geritten ist, heut, wenn die Abendglocke läutet, auffordern, den Zugang vom Turm von der Alt- und Neustadt her zu bewachen, damit die Stadt der Verantwortung enthoben werde.«

»Nehmt meinen Dank, namhafter Herr, für diese Vorsicht«, antwortete Marcus. Beide sahen einander schweigend an, endlich streckte Hutfeld die Hand aus, Marcus ergriff sie, und die beiden Schwäger tauschten einen Händedruck, doch wurde kein Wort mehr gesprochen.

Marcus blickte auf die geschlossene Tür und murmelte: »Ich kenne dich, und ich weiß, daß zwei scharfe Augen auf meine Wege spähen. Der Streit, welcher zwischen uns begonnen, wird einen von uns beiden verderben. Heut aber muß ich am Leben meines Sohnes prüfen, ob du ein redlicher Gegner sein kannst.« Er öffnete schnell die Schreibstube und rief seinen Gehilfen Bernd. Unterwürfig trat der stille Mann ein und erwartete in kummervollem Schweigen die Aufträge des Meisters. Sie verhandelten leise, dann rief Bernd den Dobise in die Stube und ließ den Herrn mit seinem Knechte allein. Endlich schlich Dobise in seine Geschirrkammer, und Bernd eilte aus dem Hause dem Strome zu. Als es dunkel wurde, verließ auch Dobise durch die Hintertür das Haus. Marcus schritt allein mit gerungenen Händen auf und ab. Die weinende Magd brachte das Licht und begehrte Trost von ihm. Er wies sie mit einer Handbewegung hinweg und hob aus dem geheimen Schranke das Buch, über dem er in stillen Stunden am liebsten saß, hastig wandte er die Blätter: »Zu dir flehe ich vor allen, Gebenedeite, holde Jungfrau Maria, du Königin von Preußenland. Oft haben meine Vorfahren und oft habe ich deine Gnade erfahren, auf deinem Mantel trugst du, wie die Sage kündet, die Seelen meiner Ahnen in die Himmelshalle, über dem Mastkorb unserer Schiffe schwebtest du und wehrtest der bösen Macht des Eises und des Sturmes, nach jeder Fahrt nahmst du huldvoll den Herrenzins von gewonnenem Gut. Du bist es, in deren Dienst ich lebe, damit dein Reich aufs neue erhoben werde vom Haff bis über den Strom, sei mir auch heut barmherzige Fürbitterin. Doch nicht dich allein bemühe ich für die Rettung meines Sohnes. Darum rechne mir meine demütigen Dienste nicht ganz auf gegen seine Rettung, damit ihm und mir noch eine Hoffnung bleibe für unsere Stadt und unser Land. Wenn ich Gnade bei dir gefunden habe, so erweise mir diese auch bei anderm Wunsch, von dem du aus ungezählten Bitten weißt.« Er schlug mehrere Blätter um. »Sei gegrüßt, St. Johannes, Prediger in der Wüste. Ich armer Sünder habe dir treu angehangen, denn immer dünkte mich meine eigene Sorge als ein Abbild der deinen. Auch ich habe gelebt in der Wüste, und ich bin in irdischem Kampf der Vorläufer eines Größern, der vollenden soll, was ich im kleinen begann. Das Haupt meines Vaters fiel unter dem Schwert, wie das deine, und ich, der Sohn, lebe, wie du gelebt hast, in der Sorge, daß mir dasselbe geschehe. Gedenke heut meines Flehens und der Werke, die ich nach Kräften deinem Heiligtum zugewandt, und schütze den Sohn in der Gefahr, die uns jetzt umgibt.« Und bei dem dritten Blatt sprach er: »Ich weiß, heiliger Nikolaus, daß manche in deinem Heiligtum meinem Knaben abgeneigt sind, laß ihn heut seine Vermessenheit nicht entgelten. Man rühmt von dir, daß du selbst fröhlicher Mummerei nicht abhold bist und dem Possenspiele der Kinder freundlich zusiehst; auch mein Sohn ist nur kindisch einhergesprungen auf den Straßen der Stadt, und als er sich gestern gegen den Zug auflehnte, der aus deinem Klosterhofe zog, tat er es nicht in hartem Unglauben, sondern als ein Schulknabe, der seinem Lehrer die Treue beweisen will. Ich habe Goldstoff auf deinen Altar gelegt und dir neue Kerzen angezündet zur Sühne für deine Priester. Darum sei auch du nicht strenge gegen ihn und widersprich nicht, wenn andere Heilige für ihn bitten.« Und er blätterte weiter. »Zu dir flehe ich heut vor andern, St. Jakob in der Neustadt, du bist als Helfer in Todesnöten weit berühmt und angerufen in der ganzen Christenheit. Sonst habe ich dich mit meinem Flehen selten beschwert, heut hebe ich als ein jammernder Vater zu dir die Hände.« Er warf sich auf den Boden. »Nimm gnädig das Gelübde an, das ich in dieser Stunde ablege. Dorthin, wo im Lande Hispanien dein großes Heiligtum errichtet ist, will ich büßend ziehen in Betfahrt nach armer Pilger Weise, wenn deine Fürbitte meinen Knaben vom Tode löst. Habe Mitleid mit seinem sorglosen Gemüt, er ist ein frischer Gesell, ich habe ihn streng gehalten und fern von dem gefährlichen Werk, das ich selbst betreibe, harmlos lebt er noch dahin in seiner Jugendblüte, und ich denke, keine schwere Sünde lastet auf seiner Seele. – Jeden von euch vieren flehe ich an und alle vier zusammen, ihr seid die großen Helfer von Thorn, in eurer Obhut steht die Mauer und der Strom, alle Herrlichkeit und Macht unserer Stadt, und in eurer Hand sind die Seelen aller Großen und Kleinen, der Lebenden und der Toten.« —