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Die Ahnen

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»Ach, liebe Jungfer Anna, meine Freude wäre groß, wenn Ihr mich für einen guten Nachbarn hieltet; dem Nachbar reicht man auch wohl etwas Gutes über den Zaun.« Er schwenkte seinen Hut. »Ich würde fröhlicher meine Straße ziehen, wenn ich einen kleinen Strauß aus Eurem Garten auf dem Hut tragen dürfte zum Andenken an dieses Wiedersehen.«



»Tragt Ihr einen Strauß am Hute, so wissen alle Leute, daß eine Magd ihn Euch gebunden hat, und sie raten, was jedes Kraut und jede Blume für Euch bedeuten.«



»Vermag doch niemand zu erraten, wer mir den Strauß angebunden hat, und jede Blume, die Ihr mir schenkt, bedeutet für mich Gutes.«



»Mich aber ängstigt, ob ich die rechten wähle«, antwortete sie befangen. »Dies hier wage ich Euch zu geben, nehmt das Eisenkraut, da Ihr doch ein stürmischer Junker seid«, und sie bot ihm den blühenden Stengel über den Zaun.



»Wie einen wilden Kriegsmann behandelt Ihr mich«, sprach Georg, den Stiel haltend. »Ich bitte herzlich, tut noch etwas Wohlriechendes hinzu, Salbei und Muskatkraut, damit ich Eure gute Meinung erkenne.«



Sie bückte sich zu den Beeten. »Nehmt auch noch die Sternblume, sie deutet auf die Sterne und daß die Geberin Gutes für Euch erfleht«, und sie wand ihm das Büschel mit einem Halm zusammen.



Er hob fröhlich den Hut. »Gesegnet sei der Garten, und gesegnet sei die Jungfrau darin, und mir sei es gute Vorbedeutung, daß ich Euch zuerst hier wiedersehe, allein, in freier Luft, wo die Vögel fliegen und die Sonne lacht.«



»Mit Recht lobt Ihr den Garten,« sagte Anna, um seine verklärten Augen von sich abzulenken, »denn ist der Raum auch nur klein, er birgt doch ein Wunder des Sommers, seht dorthin. Die Rosenzeit ist längst vorüber, und wenn ein König seine Boten aussenden wollte nach einem Rosenkranze, er würde weit umher suchen müssen, hier aber trägt ein Stock zum zweitenmal seine Blüte.« Sie wies nach der Seite.



»Ihr sagt es, daß die Rose blüht,« versetzte Georg bekümmert, »aber für einen, der draußen steht, ist sie vom Baumlaube verdeckt.«



Da rührte Annas Hand leise an der Gittertür, Georg sprang herein; sie trat zurück und wies wieder nach der Blume. So standen sie im Garten, beiden bebte das Herz in Ahnung und freudigem Bangen, und beiden war der Blick wie mit einem Flor verhüllt und die Wange in freudigem Schreck verblichen. Sie traten zu der Rose, die am Gipfel des Strauchs im Halbschatten leuchtete, und Georg begann leise: »Wo eine Rose einsam steht, da ist hier Brauch, daß man ihr Vertrauliches offenbart. Und wenn eines dem andern etwas zu sagen hat und die Scheu beim Anblick des andern die Lippen schließt, dann wenden sich beide voneinander ab und sprechen zu der Blume. So tue ich hier.«



Anna wandte sich ab und faltete die zitternden Hände.



»O liebe Rose Jungfer Anna, seit Jahr und Tag bin ich Euch gut und trage meine Sehnsucht still im Herzen. Einst war ich ein frecher Knabe gegen Euch, aber die Liebe hat meinen Sinn gewandelt; auch wenn Ihr streng gegen mich wart, seid Ihr mir immer lieber geworden, das Höchste seid Ihr mir, was ich auf der Erde habe, ich scheue Euch und ehre Euch und frage unablässig, was Ihr von mir denkt. Laßt‘s Euch gefallen, daß ich Euch im Herzen trage, seht mich freundlich an mit Euren treuen Augen, und sprecht auch milde Worte zu mir, denn ich lebe in Unglück und Verstörung, wenn ich denke, daß Ihr mir zürnt.« In tiefen Atemzügen bebte seine Stimme, und bei dem zitternden Klange pochte das Herz des Weibes; sie stand unbeweglich, und als er schwieg, antwortete sie fast unhörbar mit bebenden Lippen: »Ich sah, wie die Knospe aufschoß, und ich sah, wie die roten Blätter aus der Hülle brachen, und jetzt, da die Rose blüht, muß ich sorgen, fallen die Blätter in der Nacht, oder wird sie morgen noch blühen?«



Da wandte sich Georg zu ihr und rief: »Die Rose kommt und welkt in wenig Tagen, mir aber wurde die Jungfrau lieb für mein Leben, und wenn ich sie missen muß, will ich nimmer leben.«



Auch sie sah zu ihm auf, ihre Augen strahlten von Liebe und Zärtlichkeit, aber sie hob die Hand abwehrend gegen ihn und sprach tonlos: »Liebt Ihr mich und ehrt Ihr mich, so flehe ich, daß Ihr geht.«



Und der wilde Knabe ging.



Aber der liebste Gang war ihm fortan in die Nähe der alten Burg. Dort saß der Magister zuweilen nach der Lektion im Schulgarten, und da er bei Georg eine besondere Ehrfurcht vor diesem Aufenthalt erkannte, so lud er ihn eines Tages ein, im Garten gewissermaßen zwanglos lateinische Rede zu üben, und er freute sich, daß die Übungen ganz nach dem Herzen seines Schülers waren, denn Georg kam seitdem regelmäßig. Zuerst verlief die Stunde lateinisch, dann brachte Anna dem Vater sein Vesperbrot herab, und der Magister forderte seinen Schüler auf, mitzuessen. Glückselig saßen die drei zusammen; es war ein stiller, abgeschlossener Raum, der nicht durch die Augen der Nachbarn zerstochen wurde, und nur zuweilen verriet sich die Gesellschaft dem Volke der Gassen, wenn Georg nicht vermeiden konnte, zur Laute zu singen. Doch tat er das selten, denn Frau Lischke, die jetzt ganz auf seiner Seite war, warnte ihn verständig, damit dem Hause keine üble Nachrede entstehe.



Bald wurde er der Vertraute bei einem geheimen Vorsatz des Magisters. Denn an einem friedlichen Nachmittage begann dieser: »Da wir hier zu dreien versammelt sind, so will ich ein Kollegium eröffnen, du, Regulus, und du, Kind Anna, ihr sollt meine Berater sein. Nämlich der neuliche Ehrentag hat mich, obwohl er jämmerlich auslief, doch wieder an meine Pflicht erinnert wegen eines kleinen Gedichtes zur Weihnacht. Hannus ist willfährig, einen Bogen drucken zu lassen. Aber nur unter einer Bedingung, sagte er: Die ganze Welt ist jetzt nach deutschen Büchlein begierig, das Lateinische vermögen nur wenige zu lesen. Wenn ich einen Bogen Deutsches erhielte, so könnte ich mich für die Kosten daran erholen, und etwas Deutsches würde auch Euch, Herr Magister, den Thornern wert machen, vornehmlich, wenn es einfältig wäre und für die kleinen Leute. Er wies mir einen Holzstock, der ihm einmal zugekommen ist, darauf das Kind in der Krippe, Maria und Joseph, dabei Öchslein und Esel, Mond und Stern. Und er rühmte sich und mich, indem er sagte: Schreibt Ihr dazu etwas, so kann keiner widerstehen. Heut nun erinnerte ich mich an unsere Fahrt im vorigen Jahre zu dir, Regulus, welche vergnüglicher war als die letzte, und ich bedachte, wie jämmerlich unkundig in der heiligen Geschichte das Volk hier dahinlebt. Darum will ich diesmal den Bürgern ganz schlicht aus Matthäus und Lukas die Kapitel von der Geburt des Herrn zusammenfügen und in gemeines Deutsch übertragen. Es ist keine vornehme Arbeit, und mancher wird es als Pfaffenwerk gering achten, jedoch es läuft unter anderem mit. Das ist meine Absicht; nun sagt ihr Kinder auch eure Meinung.«



Da fiel Georg sogleich mit warmen Worten bei, aber Anna schüttelte den Kopf. »Vater, wer kann wagen, die heiligen Worte in Deutsch zu verkünden, wenn er nicht geistlich und nicht in der Kirche angesehen ist. Die Pfaffen werden Euch jedes Wort aufmutzen, und ich fürchte, Herr Vater, Euch selber wird jedes Wort schwer auf dem Gewissen liegen, ob Ihr den Leuten alles richtig erklärt.«



Daran hatte der Magister nicht gedacht, und der Einwurf fiel ihm auf das Herz. »Es gibt jetzt andere, die noch Größeres wagen«, antwortete er endlich; »und die kleinen Bänkelsänger singen ja auch zuweilen ein Lied darüber, im Notfall kann ich meinen Namen weglassen und, obgleich ich‘s nicht gern tue, kann ich die Arbeit auch vorher unserm Pfarrer von St. Johann unterbreiten.« So beschloß er die kleine Übersetzung aus dem Griechischen, und Georg war sehr bereitwillig, ihm Bücher zu werben und heranzutragen.



Als der Nachtfrost das Grün des Gartens verdarb, wurde die gelehrte Unterhaltung in die Stube des Magisters verlegt. Hier war die Freude Georgs noch größer, wenn er zusah, wie sicher Anna in der Wirtschaft waltete, wenn sie sich im Gespräch vertraulich zu ihm wandte wie zu einem alten Freunde, und wenn er einmal wagte, einen Augenblick ihre Hand zu halten. Dann trieb auch er Possen wie ein kleiner Knabe, erzählte lustige Geschichten, und ein herzerfreuendes Lachen froher Menschen klang von den Wänden zurück. Nie hatte der Jüngling bis dahin das Glück empfunden, welches die Anmut einer Frau im Haushalt verbreitet, jetzt sah er die Geliebte an seiner Seite und fühlte den seligen Frieden in seinem Herzen. Und oft verstummte er plötzlich und saß in seinem Entzücken schweigsam mit heißen Wangen. Er half auch treulich bei der Übersetzung des Weihnachtsevangeliums, wenigstens als Zuhörer. Der Magister begann siegesgewiß, aber während der Arbeit wurde er immer unsicherer, er strich und änderte, klagte über die ungefüge deutsche Sprache alter Übersetzungen, die ihm Georg aus den Büchern einiger Ratsherren verschafft hatte, und war, wie Anna vorhergesagt, in seinem Gewissen beschwert, ob er die Worte geschickt deute und auch den Geistlichen kein Ärgernis gebe. Als er endlich den Druck der wenigen Seiten austrug, fand er diesmal Widerspruch, die Bürger zwar kauften das Blatt, aber seine vornehmen Gönner sahen unzufrieden auf die geistliche Arbeit, welche nicht seines Amtes gewesen sei, und vollends die Mönche von St. Nikolaus wollten das Werk gar nicht loben und warnten ihre Getreuen davor. Da war in seinem Ärger Georg der beste Trost, denn diesem gefiel jedes Wort, weil Anna mit ihrer klaren Stimme das ganze Büchlein an dem Abende, wo es dem Magister zukam, vorgelesen hatte.



Und da Georg bedachte, daß die Verhandlung Annas mit Dorfkindern auf dem väterlichen Gute die ersten Gedanken zu der Arbeit gegeben hatte, so bat er um den Bogen, aus welchem die Jungfrau vorgelesen hatte, faltete ihn eng zusammen und barg ihn mit den trockenen Blüten ihres Straußes an seiner Brust.



So kam und schied der Winter. In der Kammer des Vaters sah Georg jetzt gefurchte Stirnen, Marcus saß oft in finsterm Nachdenken, und auch der schweigsame Gehilfe konnte stillen Kummer nicht verbergen, Handwerker aus der Neustadt erschienen im Hause, mit denen der Vater sonst nicht verkehrt hatte; sogar der Stadtschreiber Seifried, der wegen seiner bösen Zunge im Artushofe nicht gut beleumdet war, kam zu geheimer Unterredung, und Georg merkte, daß der plumpe Gesell einmal einen großen Beutel Geld unter seinem Mantel hinaustrug. Ihm galt das wenig; auch was von den Weltläuften erzählt wurde, vernahm er ohne Sorge; daß der König und der Hochmeister nicht mehr Krieg zu führen vermochten und doch Frieden nicht schließen wollten, daß ein Waffenstillstand im Werke sei und daß für die nächsten Jahre alles bleiben solle, wie es vor dem Kriege gewesen. Als diese Nachricht zuerst im Artushofe verkündet wurde, sah er, daß sein Vater finster lächelte, und wunderte sich, daß der Alte zum Aufbruch ihn an seine Seite rief und sich beim Heimgange auf seinen Arm stützte, was er vorher nie getan hatte. Einen Augenblick ängstigte ihn das, aber er schlug sich‘s gern aus dem Sinn, denn sein junges Leben stand zum erstenmal unter der Herrschaft einer großen Leidenschaft, und alle seine Gedanken flogen der einen zu, von der er jetzt wußte, daß sie auch ihn im Herzen trug.

 



6. Auf dem Kirchhofe von St. Johannes

In der kleinen Stube des Buchführers saßen der Magister und Anna als geladene Gäste. Hannus, der einsam in seinem Hause wohnte, machte selbst die Bedienung, putzte das Licht, füllte die Gläser, lobte Anna, daß sie ihm beistand, das Tischtuch aufzulegen und die Teller zu setzen, und erwies seinem Besuche jede gebührende Ehre. Denn der Gelehrte war ihm eine wichtige Person geworden, weil er nicht nur kaufte, sondern auch anderen mit Wärme empfahl. Unterdes sah der Magister unruhig nach einem großen eisenbeschlagenen Kasten in der Stubenecke. »Dort liegt die Arbeit der Weisen und der Esel friedlich zusammen.«



»Wenn mir Jungfer Anna den Tisch rücken hilft,« sagte Hannus lächelnd, »so will ich Euch als einem vertrauten Manne und guten Freunde meinen Schatz offenbaren.« Er hob den Deckel. »Es ist alles neue Sendung.«



Der Magister griff nach den obersten Blättern. »Wieder neue Zeitungen«, rief er bewundernd. »Es erscheinen jetzt jedes Jahr solche Bogen, und man erfährt, was an den Enden der Welt vorfällt, beim Türken und Spanier.« Die nächsten Hefte schob er unzufrieden beiseite. »Die leidigen Prophezeiungen.«



»Auch diese helfen einem redlichen Händler,« tröstete Hannus, »sie sind den Leuten um so lieber, je mehr Unheil sie verkünden. Wie ich hier sitze, habe ich zweimal den Untergang der Welt erlebt. Aber den harten Köpfen der Leute ist die Furcht heilsam, sie denken an ihre letzte Rechnung und werden barmherziger.«



»Sie essen auch ihre Würste vor Weihnachten auf und müssen, wenn die Welt nicht untergeht, im neuen Jahre fasten«, versetzte der Magister, aufsehend. »Was gibt es hier Gutes?« fuhr er fort und las den einen Titel: »In diesem Büchlein wird bewiesen, daß der Apostel Petrus niemals in Rom gewesen ist.« Er lachte vergnügt: »Ob der Rat dies für gefährlich hält?«



»Dem Rat fehlt es nicht ganz an Einsicht,« beruhigte Hannus, »Lischke war mehr als einmal hier, er kam immer des Abends, klopfte an den Fensterladen und wartete draußen, bis ich ihm einen Trunk zurechtgestellt hatte. So machte sich‘s, daß ich vor der Obrigkeit bestand.«



Auf der Straße dröhnten schwere Tritte, es pochte am Fenster, und eine Stimme befahl: »Hannus, öffnet, ich komme auf Befehl des Rats.« Der Buchführer sprang erschrocken auf und fuhr mit beiden Händen in den Kasten, hob einige kleine Ballen heraus, lief in die Kammer und versteckte sie unter die Kissen des Bettes, indem er rief: »Ich komme, Lischke.« Zögernd öffnete er die Haustür, aber er fuhr entsetzt zurück, als er bei der Laterne des Ratsboten blinkende Hellebarden und die grimmigen Gesichter fremder Trabanten erkannte. Klirrend trat der Pole Pietrowski ein, hinter ihm zwei Mönche, und einer davon war Pater Gregorius. Dieser begann feindselig: »Der hochwürdige Legat des heiligen Vaters gebietet Euch, Euren ganzen Kram aufzulegen, damit wir untersuchen, ob Ihr die Verbote der heiligen Kirche und das Edikt des Königs beachtet habt.« Der Pole aber befahl, an seinen Säbel fassend: »Wer nicht in dieses Haus gehört, der weiche von hinnen«, und er blickte heut fremd auf Jungfer Anna und ihren Vater.



»Macht fort,« raunte Lischke ängstlich dem Magister zu, »denn es wird diesmal ein großes Unglück.« Da trat der Magister traurig zu dem Buchführer, welcher gebeugt mitten unter den Feinden stand, drückte ihm teilnehmend die Hand, wechselte noch einen feindseligen Blick mit dem Frauenbruder und verließ, die Hand seiner Tochter fassend, das Haus des Heimgesuchten.



Am nächsten Morgen sprach Frau Lischke die Treppe hinauf zu Anna: »Ich weiß alles, nur daß ich nicht reden darf, weil es Geheimnis des Rates ist. Hannus ist sonst ein redlicher Nachbar, aber seine Verwegenheit hat ihn ins Unglück gestürzt. Ob es ihm an den Leib gehen wird, wußte Lischke noch nicht, aber sein ganzer Kram ist verloren. Warum hat er die verbotene Ware in seiner eigenen Stube verhalten, wie eine Braut ihre Ausstattung? Und er hat doch einen Gänsestall; unter den Gänsen hätte kein Pole nach Büchern gesucht.«



»Wißt Ihr, wohin sie die Bücher geschafft haben?« fragte Anna.



Frau Lischke kam die Treppe herauf: »Verratet‘s nicht, denn das Größte steht noch bevor; die Kiste ist zu den Predigermönchen geführt, obgleich der Handel vor den Rat gehört hätte. Die Bischöfe selbst nehmen sich der Sache sehr an; wenn Ihr heut abend hellen Schein vom Kirchhofe seht, wo der Hannus sonst seinen Stand hatte, so macht ein Kreuz und denkt, daß die Mönche Ketzerei brennen.«



Anna trat erschrocken zurück und rang die Hände, die Hausfrau fuhr fort: »So war auch mir, als ich‘s erfuhr, und ich sagte zu Lischke, wenn die geistlichen Väter brennen und nicht der Rat, so geht dich die Sache völlig nichts an, und du bleibst zu Hause. Er aber behauptete: Ich muß hin. Ihr mögt denken, daß ich deshalb in Ängsten schwebe, denn auch er kann sich an solchem Holzstoß das Wams versengen.«



Anna ging traurig in die Küche zurück, sie empfand tief die Kränkung, welche der neuen Lehre bereitet wurde, und dazwischen kam ihr heiße Angst, daß dem Vater eine Gefahr drohe; sie dachte auch, daß es ihm leidvoll sein werde, wenn einer von den Schülern, vielleicht ein kleiner, vielleicht ein großer, sich vermessen an das nächtliche Werk der Dunkelmänner wage. Die Hände flogen ihr zwischen den Töpfen, und das Essen war längst fertig, als das Mittagsgeläut die Schulstube leerte. Der Magister saß heut trübe über seinem Teller, während Anna begann: »Sagt mir, Herr Vater, haben die alten Römer auch Bücher verbrannt, die ihnen nicht gefielen?«



»Selten«, versetzte der Magister. »Die weise Sibylle verbrannte Bücher, aber das waren ihre eigenen, und es hatte niemand dareinzureden. Doch warum fragst du so? Es ist ein trauriger Streit, den heutzutage der Holzstoß gegen das Feuer des Geistes führt, und lange haben die Päpstlichen an guten Büchern greulichen Mord geübt, bis die Wittenberger ihnen die richtige Antwort gaben, indem sie die Bannbulle verbrannten. Mit den Büchern eröffnen die Mönche den Brand, aber mir ahnt, bald werden die Leiber redlicher Bekenner auf den Scheiterhaufen brennen.«



»Wenn die Mönche am Abend den Kram des Hannus anzünden, so könnten sich Eure Schüler unnütz machen, und Euch wäre leid, wenn deshalb einer vor den Pfaffen in Not käme.«



Der Magister legte seinen Löffel weg und sah starr auf die Tochter, bis ihm diese die ganze Neuigkeit erzählte. »Ich fürchte, Herr Vater,« schloß sie bekümmert, »obgleich Ihr die Knaben in strenger Zucht haltet, so sind doch einige darunter vorwitzig, am meisten die großen.«



Diese bescheidene Warnung hatte zur Folge, daß der Magister am Ende der Nachmittagslektion seinen Schützen einschärfte, sich von allen Aufläufen fernzuhalten, und er drohte, jeden von der Schule auszuschließen, der heut auf der Straße umherschweifen werde. Er hätte ebensogut den Sperlingen auf dem Fliederstrauch verbieten können, um die Marktwagen zu hüpfen. Als darauf die großen Schüler kamen, wurde er deutlicher und stellte die Frage zur Disputation, wie sich ein Humanist verhalten solle, wenn Obskuranten an den Schriften eines verehrten Mannes durch Brand und Feuer frevelten. Aber er erhielt von keinem die Antwort, welche er begehrte. Matz Hutfeld empfahl Klage beim Rat, Lips riet zu einem Gegenfeuer mit den Werken der Dunkelmänner, und Georg wollte gar durch Hebebäume und starke Fäuste die Brenner verscheuchen. Der Magister hatte schweren Stand, als er bewies, daß einem Deutschen, der durch die lateinische Schule aus der heimischen Roheit herausgehoben sei, nichts so sehr gezieme als ruhige Verachtung der Auguren; und er selbst konnte nicht vermeiden, daß seine Augen zornig funkelten und seine Hand schwer auf den Tisch schlug, während er die Schüler beschwor, sich zu Hause zu halten, wenn ja in ihrer Nähe ein solches Feuer aufbrennen sollte.



So war wirklich das Mögliche geschehen, um die Schule vor dem Lärm der Straße zu bewahren. Dennoch wollte das Schicksal, daß gerade diese Vorsorge Lehrer und Schüler dem lodernden Feuer nahebringen sollte. Von den Schützen dachte keiner an das Pensum für morgen, sie schwärmten wie die Hummeln um das Kloster der Predigermönche und an den Pforten zwischen Altstadt und Neustadt, und sogar Georg, der mit seinem Gesellen Lips eine Unterhaltung beim Bassettel verabredet hatte, schlug vor, heut auf die Musik zu verzichten.



»Wir wissen, daß es nicht gut ist, den geistlichen Herren in den Weg zu laufen«, mahnte Lips, ihn bedeutsam anblickend.



Georg nickte: »Auch ich will unsern Magister nicht kränken und nur aus der Ferne zusehen.«



Es war ein milder Frühlingstag gewesen, das Abendlicht vergoldete die Türme von St. Johannes, unter dem hellen Himmel lag der Kirchhof in rötlicher Dämmerung, aus welcher einzelne Kreuze und Steintafeln hervorragten. Die Bürger trieben in froher Bewegung umher. Denn die Mehrzahl der polnischen Herren, welche so lange unter ihnen gelegen hatten, war am Morgen mit dem Könige abgeritten, und sie freuten sich, wieder Herren in ihren Häusern zu sein. Zuerst hatten sie den guten Verdienst gelobt, welchen sie von den Fremden zogen, dann war die Last und Unordnung größer geworden als die Freude, und zuletzt erschien das Einlager den meisten ganz unerträglich. Heut verglichen sie Gewinn und Nachteil, säuberten ihre Häuser und eilten zum Tisch ihrer Schenke. Das junge Volk aber trieb auf dem Markte und den Gassen dahin wie an einem Festtage, viele im Sonntagsschmuck. Über den Kirchhof erklang frohes Geschrei der spielenden Kinder, um die Mauer saßen die Erwachsenen, hier sang ein munterer Bürgersohn zur Laute, und die Frauen seiner Bekanntschaft sangen den Kehrreim mit, in der andern Ecke schnarrte ein Dudelsack, und leichtes Volk sprang zwischen den Gräbern zusammen und ordnete sich zum Reigen. Es wußten nicht viele Leute von dem, was bevorstand, aber durch die einzelnen Haufen ging ein Summen, die Zahl der Anwesenden war viel größer als sonst wohl, und die Schützen der lateinischen Schule steckten ihre Köpfe hinter den Kirchenpfeilern hervor, bald auf das Abenteuer des Abends lauernd, bald ängstlich nach dem Herrn Magister spähend.



Auch für die Herren des Rats war es ein festlicher Tag, gegen Gewohnheit saßen sie noch spät versammelt. Die Bürgermeister hatten den König bis an die Grenze begleitet und freuten sich jetzt, seine letzten huldreichen Worte vor dem Rat zu wiederholen und, was allen wichtiger war, die Urkunden, welche der König beim Abschied der Stadt verliehen, feierlich in die eiserne Truhe einzuschließen. Denn da der König oft auf Kosten der Stadt gelebt hatte und ein sehr teurer Gast gewesen war, so hatte er als Gegengabe der Stadt auch Großes gewähren müssen, indem er Neues schenkte und alte Vorrechte bestätigte, und beide Teile hatten darauf geachtet, daß die Gaben der Stadt und die Bezahlung nicht ungleich waren; der König nahm‘s nicht von seinem Eigenen, und die Mitglieder des Rats erhielten durch seine Begabung größeren Vorteil als andere Bürger. Als nun der Burggraf die Anwesenden auf die Stühle lud, um die Sitzung aufzuheben, da fing einer der jüngsten Ratmänner von dem Buchführer Hannus an und von Wegnahme der Bücher, und Lischke, der bei der Türe stand, merkte als vorsichtiger Beobachter großer Herren, daß diese Erwähnung den anderen ungehörig erschien. Denn zögernd sprach Herr Friedewald: »Der hochwürdige Legat hat gestern den Ratsboten gefordert, um in geistlichen Dingen bei einem Bürger zu untersuchen. Was er etwa gefunden, ist nicht vor uns gebracht worden; vielleicht ist es dem Rate genehm, daß er nicht genötigt wird, zu prüfen, ob ein Bürger gegen des Königs Mandat gefrevelt habe. Wir vermögen den Hannus nicht zu bestrafen, wenn die verbotene Ware nicht vor unsere Augen kommt, weil sie anderswo liegt, oder weil sie gar verbrannt wird.«

 



Aber der heftige Ratmann gab sich nicht, sondern fuhr fort: »Soll der Rat von Thorn dulden, daß Habe und Gut eines Bürgers ohne Urteil und Recht von den Pfaffen geraubt wird?«



Darauf antwortete wieder Herr Friedewald bedächtig: »Ob der Rat das dulden muß oder nicht, darüber, Herr Kumpan, werden wir erst befinden, wenn Meister Hannus vor uns eine Klage gegen die ehrwürdigen Väter oder gegen wen sonst erhebt. Zur Zeit wissen wir nichts.« Nach diesen Worten mahnten die Herren den Unruhigen durch Blicke, daß er schweige, aber dieser brach zum drittenmal los: »Und heut abend soll ein Feuer brennen, welches in der Stadt unerhört ist; es kann ein Unglück geben, denn in den Köpfen arbeitet Widersetzlichkeit.«



Darauf gab der Burggraf gar keine Antwort mehr, und Hutfeld fragte: »Widersetzlichkeit? Nicht gegen uns. Ihr selbst habt die Feuerwache, Herr Kumpan, vielleicht seht Ihr heut nach den Tonnen«, worauf die Sitzung eiligst aufgehoben wurde. Daraus entnahm Lischke, daß der Rat sich nicht einmischen wollte, und als Bürgermeister Hutfeld bei ihm vorüberschritt, wagte er die leise Frage: »Wenn ich heut abend nach St. Johannes gehe, soll ich von den Söldnern der Stadt mitnehmen?« Aber er vernahm die strenge Gegenfrage: »Hat jemand Bewaffnete gefordert oder erbeten?« Deshalb beschloß er, seinen eigenen Mut ebenfalls zu bändigen.



Vor dem Kloster der Predigermönche harrte erwartungsvoll die Menge. Die Klosterpforte war heut weit geöffnet und hell erleuchtet, Mönche liefen geschäftig aus und ein, und es war ein Verkehr in dem frommen Hause wie in einer Herberge. Aus der Altstadt kam in feierlichem Zuge Bischof Zacharias, Legat des heiligen Vaters, er saß prächtig auf einem grauen Maultier, das mit seidener Decke und mit vielen bunten Quasten geschmückt war, er selbst ein hagerer Mann mit einer dünnen Nase und schielenden Augen, der hochmütig und quer über die gefurchten Gesichter der Bürger wegsah; vor ihm schritten vier Trabanten in roten Wämsern, welche das säumige Volk durch die Schäfte ihrer Hellebarden unsanft aus dem Wege trieben, zur Seite liefen zwei Knaben in buntem Festkleide, und hinter ihm zog eine lange Reihe von dienenden Geistlichen und Beamten. Die Leute lachten, wenn einmal das Maultier stärker ausschritt und die frommen Väter mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen hinterhertrotteten. Aber das Gelächter verstummte, sooft der Pole Pietrowski mit seinen bewaffneten Begleitern den Zug entlangsprengte, denn die Polen ritten schonungslos gegen den Haufen als verwegene Gesellen, welche die adlige Feder auf ihren Pelzmützen nicht zum Scherz trugen. An der Klosterpforte wurde der Legat von dem Prior und den knienden Brüdern empfangen, er bewegte nachlässig die Hand zuerst über sie und streute dann den Segen über die Haufen der Zuschauer, von denen viele die Häupter nicht entblößten. Gleich nach ihm kam in ähnlichem Aufzuge, nur ohne Trabanten, der Bischof von Kaminiez, den die Thorner Stampe nannten, weil er kurz und dick war wie ein solches Trinkglas, die kleinen Augen in seinem roten Angesicht waren durch die schweren Lider fast ganz zugesperrt, denn das Fackellicht tat ihnen seit dem letzten starken Trunke weh. Schwerfällig plumpte er von seinem Gaule und wankte in das Kloster. Hinter den großen Herren drängte das Volk bis an die Pforte, staunte über die roten Trabanten und verlachte die gekrausten Lappen an ihren Gewändern. Als aber der gefürchtete Vater Gregorius am Eingange sichtbar wurde, schwieg alles erwartungsvoll; ein Mönch eilte geschäftig um die Ecke und brachte einen greulichen Zug heran, den Henker Hans Buck mit seinem Knechte, und der Knecht führte eine elende Mähre herbei mit einer Schleife, auf welcher eine Kuhhaut lag. Da Hans Buck vor die Augen des Paters trat, rückte er unbehilflich an seiner Mütze und vernahm die Anrede: »Du bist geladen zur Hilfe bei frommem Beginnen, und dein Dienst soll dir in diesem und jenem Leben helfen. Bist du bereit, den Holzstoß zu schichten und Werke des Teufels darauf zu brennen?«



»Es wäre nicht der erste Holzstoß, an den ich die Fackel halte«, versetzte Hans Buck mit Selbstgefühl. Er stand vierschrötig da und sah aus seinen scharfen grauen Augen dem Pater unerschrocken ins Gesicht. »Von welcher Art ist der Teufelskram, den Ihr abtun wollt?«



»Es sind ketzerische Bücher, von der heiligen Kirche für todwürdig erklärt, du sollst ihnen zu feurigem Ende verhelfen.«



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