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Die Ahnen

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3. Die Fahrt aufs Land

Der Sommer kam, im Garten bei der Schule blühten die stolzen Lilien; wer ein Liebchen hatte, war selig, wenn er sie küßte, und wer um die Neigung einer Jungfrau warb, der dachte in der Stille darauf, ihr seine Liebe zu erweisen.

Der Buchführer hatte dem Magister neue Büchlein zur Ansicht geschickt und da der Bote die alten zurücknehmen sollte, gedachte Anna, daß sie heut wohl in das Museum des Vaters dringen dürfe, weil gerade nur einer von den drei Patriziern anwesend war, Georg König, der ihren Eintritt unmöglich übel auslegen konnte.

Der Magister ergriff die Sendung, betrachtete die Holzschnitte der Titel und sagte zufrieden: »Auch diese Bilder werden jetzt kunstvoller gemacht als ehedem; sieh hier ein zierliches Weib, an welchem das Hündlein heraufspringt.«

»Es ist ein hübsches Hündlein«, bestätigte Anna.

»Da du klein warst, hatte die selige Mutter lange Not mit dir, weil du durchaus einen solchen Zwerghund zum Spielgenossen haben wolltest. Endlich gab die Mutter dir nach und betupfte, um einen Hund hervorzubringen, das weiße Fell deines hölzernen Schafes mit braunen Flecken. Aber als sie dir das neue Wunder darbot, wolltest du kluges Kind nicht an die Verwandlung glauben.«

»Ich würde mich auch jetzt über ein solches Hündlein freuen,« sagte Anna arglos, »doch es ist nur ein Spiel für reiche Leute.« Sie trug die Antwort des Vaters hinaus, aber Georg war durch ihre Worte in tiefes Nachdenken versetzt und als er von dem Magister entlassen wurde, sprang er die Treppe hinab in dem Entschluß, der Jungfrau einen kleinen Hund zu verschaffen. Die Sache erwies sich schwierig, denn in der Stadt waren zwar Hunde genug, aber nur von ungefügem Schlage, wie sie an der Kette lagen, mit den Metzgern liefen, oder wie der Hirt sie hielt zum Kampf gegen Wölfe. Nur zwei Frauenhunde wußte er in der Stadt, ein Wachtel und ein Windspiel, welche der Stolz ihrer Herrinnen und von jedermann gekannt waren. Diese durch Bitten oder List aus ihren Burgen zu entführen, war unmöglich, auch um den Nachwuchs stand es bei beiden verzweifelt. Als er unsicher um sich blickte, sah er sich selbst am Fährtor und vor sich den Mast eines wohlbekannten Bordschiffes; mit geflügelten Schritten eilte er darauf zu, kletterte die Leiter hinan und traf auf dem Deck den Schiffer Hendrick, seinen alten Bekannten. Diesen nahm er beiseite und beschwor ihn im höchsten Vertrauen, bei seiner nächsten Fahrt einen kleinen Frauenhund von Danzig oder Lübeck mitzubringen.

Hendrick stemmte beide Arme über seine dicken Hüften und zog schnaubend einen Strahl Luft ein, als wollte er den neuen Fahrwind einfangen. »O Jörge, lieber Jörge, was forderst du von mir? Noch niemals ist ein Frauenhund zwischen Haupt und Sterz meines Bordings gelaufen, die Schiffskinder sind argwöhnisch und ich weiß nicht, wie sie einen solchen Gesellen ihrer Fahrt ertragen werden. Er könnte bei Nacht über Bord fallen. Warum willst du nicht lieber eine bis drei junge Robben? sie drehen sich auch ganz behende und sie sind fetter.«

Da Georg diesen Vorschlag mißbilligte, fuhr der Schiffer überredend fort: »Ich weiß im Danziger Hafen einen Papagei mit wunderschönem Gefieder, Schnabel wie ein Adler und beißt dir jede Nuß.«

»Hendrick, es muß ein Wachtel sein mit Loden an den Ohren und am Schwanze.«

»Das ist das Schlimmste,« versetzte der Schiffer, »denn wenn ich auch einen meiner Jungen mit dem Fangnetz in die Straßen von Danzig ausschicke, er wird mir eine ganz andere Art von Schwanz zurückbringen.«

»Du mußt den Hund von den Kaufleuten erbitten, das Geld dafür verlegst du, was er auch koste.«

»Ich merke, wohin die Fahrt geht,« schloß Hendrick bekümmert, »ich tät‘s für keinen als für dich.« Und er versprach mit Handschlag das Mögliche.

Einige Monate vergingen, in welchen die Thorner vergebens auf hohes Wasser hofften, damit die tiefen Bordschiffe sich von der See stromauf steuern könnten; endlich kam doch der Tag, wo Hendricks Mastkorb wieder über das Zollhaus ragte.

Am nächsten Morgen hatte Lischke in der Dämmerung die Haustür geöffnet und war gegangen, die Mauerpforten zwischen den beiden Städten aufzuschließen. Als er zurückkam, stand etwas Helles auf der Treppe zum Oberstock, er erkannte die Henkel eines Korbes, der mit einem weißen Tuch lose verdeckt war. Zuerst erschrak er und bekreuzigte sich, dann ergriff er den Korb und trug ihn in seine Kammer vor das Bett seiner Frau, welche erstaunt dem Abenteuer entgegensah. Beim Schein des Lichtes erblickte er ein beschriebenes Papier auf dem Tuche, er trug es vorsichtig zum Licht und buchstabierte laut die Worte: »Dies gehört dem Herrn Magister.« Unter dem Tuch aber rührte sich‘s, und ein leises Winseln wurde im Zimmer gehört.

»Es ist ausgesetzt«, rief Frau Lischke, nach dem Korb starrend.

»Es ist ausgesetzt«, wiederholte Lischke, und beide fuhren fort, aus der Ferne den Korb zu betrachten, in welchem sich‘s unter der Leinwand wieder regte.

Endlich faßte der Mann ein Herz und griff nach der Decke. »Rühre nichts an,« rief die Frau, »wer es zuerst ansieht, muß ihm etwas Gutes wünschen und sein Pate werden.«

Lischke ließ die Hand fallen, aber er dachte daran, daß er ohne Leibeserben war, und sagte mitleidig: »Vielleicht geschah es mit dem Willen der Heiligen, daß es in unser Haus getragen wurde.« Da aber sprang Frau Lischke mit ihren nackten Beinchen aus dem Bette und stellte sich drohend vor den Gatten: »Was höre ich, du bist gar nicht verwundert über dies Eingebrachte?«

»Es ist ja dem Magister zugeschrieben«, versetzte Lischke kleinlaut.

»Das ist nur Hinterlist,« rief die Frau in hellem Zorn, »der Herr Magister gleicht nur dem Sack, auf den geschlagen wurde, aber ein anderer ist gemeint. Ach, wenn du so ein gutes Gewissen hättest als der Magister.«

»Wo denkst du hin,« antwortete der bestürzte Lischke, »wir vom Rat —«

»Schweig mit deinem Rate,« befahl die Frau, »die Herren vom Rat sind auch nicht besser als du. Zur Stelle nimmst du den Korb und trägst ihn hinauf.«

Das hielt auch Lischke für das beste. Er trug den Korb die Treppe hinauf und pochte, während die Frau mit fliegender Eile die nötigsten Gewänder umlegte und ihm nacheilte. Anna öffnete und der Zug bewegte sich nach dem Museum des Magisters, der verwundert über den aufgeregten Besuch aus seiner Kammer kam. Er las den Zettel und riß das Tuch von dem Korbe, ein kleines zottiges Ungetüm von dunkler Farbe lag darin und winselte. Frau Lischke fiel entsetzt auf die Knie und hob die Arme in die Höhe: »Hilf Maria Jacobe, hilf Maria Salome, helft ihr heiligen Marien alle drei, hier ist ein neugeborener Teufel.«

»Wie?« fragte der Magister, erschrocken seine Brille suchend, »werden hierzulande die Teufel in Körben ausgetragen?«

Anna fühlte einen Stich in ihrem Herzen, sobald die Hauswirtin des Teufels gedachte; ihr fiel sogleich ein, wie Georg mit großen Augen zugehört hatte, als der Vater einmal von ihren kindischen Wünschen sprach, und sie rief: »Herr Vater, dies ist nur ein kleiner Wachtelhund.« Sie beugte sich nieder, hob das Tier heraus und löste die Bänder, mit denen ihm die Füße festgebunden waren. Das Hündlein fiel aus ihrem Schoß auf die Diele, schüttelte sich und lief laut bellend im Kreise.

»Canis pusillus,« bestätigte der Gelehrte.

»Es ist ein vornehmer Frauenhund«, rief Lischke bewundernd, und auch seine Frau begann sich ihres Argwohns zu schämen. Anna aber saß schweigend und stützte den Kopf in die Hand.

»Das ist die Tücke eines meiner ungeschlachten Schützen,« erklärte der Magister, »erst gestern habe ich ihnen die Stimmen der Tiere im Latein beigebracht, er hat den Hund aus einem Patrizierhause entwendet.«

Aber Lischke verneinte. »Der Hund ist nicht von hier, er hat einen weißen Brustlatz; er ist, wie der Zettel besagt, ein Geschenk für den Herrn Magister.«

»Wir haben bereits Esser genug an unserm Tisch, welche ungern zahlen.« Doch das Wachtel selbst machte der Verlegenheit ein Ende, denn es setzte sich vor Anna nieder, wedelte mit seinem buschigen Schwanz und winselte bittend. Da faßte Anna den Hund schnell in die Arme, trug ihn in die Küche und setzte ihm ein Schälchen Milch vor, während der Magister mit den Wirtsleuten nachträglich den geziemenden Morgengruß wechselte und sie dankend entließ.

Aber den ganzen Morgen erfüllte der Ankömmling die Gedanken des Hauses, Frau Lischke vertrat im Unterrock die Meinung, daß der Magister das vornehme Tier nicht behalten dürfe, weil Anna dadurch in den Verdacht des Hochmutes kommen müsse. Auch der Magister entwich einige Male seinen Amtsgeschäften, um seinen Gast zu betrachten, der neben der Küche auf einem Stühlchen saß, aber jedesmal auf den Gelehrten lossprang und die runden Brillengläser anbellte. Am größten war Annas Not, welche niemand kannte. Daß Georg König in solcher Weise ein Geschenk zu machen wagte, ärgerte sie, daß er so eifrig gewesen war, ihr einen Wunsch zu erfüllen, ängstigte sie; und doch fühlte sie eine geheime Freude, dann streichelte sie das Hündlein und drehte ihm seine Locken. Als sie ihren Gast über der Schüssel liebkoste, fand sie, daß ein Faden um seinen Hals gebunden war und daran ein schmales, zusammengerolltes Pergamentblatt. Auf dem Streifen stand geschrieben: »Mein Name ist Amor.« Diese Andeutung hatte sich Georg ausgedacht. Anna wich bestürzt von dem Kleinen und ihr Antlitz rötete sich bis an die Schläfe. Ein solcher Name war eine deutliche Anspielung vor jedermann. Sie löste den Faden, versteckte den Zettel in ihrem Gewande und sah aus der Ferne lange starr auf den Hund. Es war ein hübsches Tier, es drehte sich zierlich und schnoberte am Boden umher, und sie rief es halb bewußtlos leise mit dem geschriebenen Namen. Doch der Hund beachtete den Ruf nicht. Da atmete sie tief auf, er wenigstens wußte von nichts. Aber je höher der Tag heraufstieg, desto größere Beklemmung fühlte sie bei dem Gedanken an die Dreistigkeit des fremden Knaben und daß sie jetzt mit ihm ein Geheimnis teile und Mitschuld trage an der Täuschung ihres lieben Vaters. Als die Tischgenossen sich bedankt hatten und geschieden waren, holte sie das Pergament heraus. »Herr Vater, dies trug das Hündlein um den Hals.«

 

Der Magister las und nickte sorglos. »Es ist ein lustiger Name.«

»Wir dürfen das Tier nicht Amor nennen, das würde Gerede geben.«

»Worüber?« fragte der Vater verwundert. »Nenne ihn also Psyche.« – »Herr Vater.« – »Ja, so,« verbesserte sich der Magister, »es wäre gegen die männliche Würde. Was meinst du zu Cupido?«

»Das wäre nicht besser.«

»So soll er Ajax heißen wegen seiner Zornwut.«

Dem widersprach Anna nicht. »Herr Vater, auf wen mutmaßt Ihr wegen des Hündleins?«

Der Gelehrte beugte sich gewichtig zurück: »Es ist ein alter Brauch, daß Gelehrte einander etwas senden, ein neues Buch, oder auch einen Karpfen, oder gutes Getränk, dann schreiben sie eine Entschuldigung an das Ende des Briefes und ihren Namen darunter. Da aber der Geber des Hündleins nicht gewagt hat, mit seinem Namen zu zeichnen, so ist er noch kein Gelehrter, sondern wahrscheinlich ein Schüler, und ich vermute, daß es einer von meinen Patriziern ist, denn wie sollten die jungen Schützen eines solchen Geschenkes habhaft werden.«

»Und wem von den Großen traut Ihr die listige Sendung zu?«

»Dem Matz Hutfeld,« versetzte der Magister entschieden, »denn die andern haben sich sämtlich mehrmals durch Verehrungen bemerkbar gemacht, dieser aber noch nicht.«

Anna schlug die Augen nieder: »Ich dachte daran, Herr Vater, daß der Sohn des reichen König einmal gegenwärtig war, als Ihr ein solches Hündlein in einem gedruckten Buche fröhlich ansaht und rühmtet, und ich denke, der junge Georg ist der Geber.« Ihr wurde leichter, als sie den Vater in dieser Weise zum Mitwisser gemacht hatte, nur eines traute sie nicht zu sagen, daß die Sendung ihr gegolten hatte; und sie wurde deshalb aufs neue geängstigt, als der Vater zufrieden zustimmte. »Du bist mein bedächtiges Kind und ich freue mich deines guten Gedächtnisses, denn ich weiß nichts mehr von jener Rede. Von meinem Regulus ist mir‘s im Vertrauen gesagt, am liebsten, obgleich er seine Orationen gern kürzer macht als die andern.«

Als der Magister aber bei der nächsten Lektion der Großen den widerstrebenden Hund auf den Tisch stellte und dazu fragte: »Wer von euch hat mir diesen als Präsent geschickt?« antworteten alle einstimmig: »Nicht ich«, auch Georg, obgleich er scharf angeblickt wurde; und als der Magister zum zweitenmal fragte: »Wer von euch hat mir diesen Zettel geschrieben?« und alle wieder antworteten: »Ego, vero, minime«, da entschied er kräftig: »Dann also tat es ein anderer«, schob das Hündlein bis zur Tür hinaus, und die Sache blieb geheimnisvoll.

Anna lebte in der Sorge, daß Georg wegen des Geschenkes ihr eine größere Vertraulichkeit zeigen werde, und sie war entschlossen, in diesem Fall den Vater zu bitten, daß er die Gabe samt dem Korbe zurücksende, was auch daraus entstehen möge. Doch Georg verriet gegen sie niemals durch Wort oder Miene, daß er den Geber kenne, er blieb still und ehrerbietig und bewies dem Kleinen, welcher Ajax genannt wurde, weil er nicht Amor heißen durfte, nur kühle Freundlichkeit. Diese Klugheit wurde belohnt. Nämlich das Wachtel selbst hatte eine Vorliebe für ihn. Wenn die Stunde kam, in welcher die Treppe unter seinem Tritt knisterte, lief es nach der Tür und wedelte eifrig. »Das ist nicht zu verwundern,« dachte Anna, »denn er hat es zuerst gefüttert und sein weiches Fell gestreichelt.« Seitdem geschah es wohl, daß Anna einen Spalt der Tür öffnete und das Hündlein zur Begrüßung hinausließ. Bei dieser Gelegenheit gewann Georg einen flüchtigen Anblick ihrer Gestalt und zuweilen einen freundlichen Gruß. War das auch nur wenig, es gab ihm doch Mut, mehr für sich zu begehren.

Es kam ein Sonntag im Herbste, klar, warm und still, die Frucht der Felder war in den Scheuern geborgen und viele kleine Vögel waren fortgezogen, aber große Flüge der Tauben lagen auf den Stoppeln, die grauen Stelzen liefen die Raine entlang und die Stadtsperlinge von Thorn wiesen der jungen Brut die schönen Felder und Bäume, an denen sie altes Herrenrecht hatten, und zankten sich mit den Dorfspatzen. Da erbat Georg von seinem Vater, daß er dem Herrn Magister einmal auf dem Landgute Ehre erweisen dürfe, und der Vater war das wohl zufrieden: »Der Magister möge nicht für ungut nehmen, wenn ich nicht selbst komme.« Darauf sandte der vorsichtige Georg zuerst seinen Gesellen Philipps zu Frau Lischke, diese einzuladen, weil sie doch die Hauswirtin der Schule sei, und die Frau, geschmeichelt durch die Höflichkeit der vornehmen Knaben, erklärte ihre Bereitwilligkeit. »Lischke wird nicht übelnehmen, wenn er der Ehre nicht teilhaftig wird, denn er sitzt des Sonntags gern im Bierhause. Doch schickt sich nicht, daß ich allein unter jungen und alten Männern weile, und ich kann nur kommen, wenn Jungfer Anna zugleich eingeladen wird.«

Darauf lud Georg feierlich in lateinischer Sprache den Magister ein, welcher für sich und seine Tochter in einer wohlgesetzten Periode die Freundlichkeit annahm. Wie Georg die Treppe hinabstieg, erwartete ihn Frau Lischke: »Ihr wißt selbst, Junker, daß eine ehrbare Frau nicht mit euch wilden Brüdern durch die Gassen und Tore spazieren darf, und ich rate euch vorauszuziehen und den Magister und uns am Birkenholz zu erwarten.« Damit war Georg einverstanden. Als der Gottesdienst beendet war und die Bürger in ihren Festkleidern durch die Straßen gingen, schritt auch der Magister mit den beiden Frauen langsam nach dem Tor. Er trug sein bestes Kleid und einen seltenen Stock von hispanischem Rohr mit einem Lederriemen, und grüßte würdig zur rechten und linken Hand. Hinter ihm kamen Anna und die Wirtin, ihre großen Regentücher auf dem Arme, beide mit Handkörben. Anna trug in dem ihren das Wachtel, und Frau Lischke hatte bedacht, daß es auf dem Lande Brauch war, den Gästen aus der Stadt etwas Zubeiße für den Heimweg mitzugeben.

Als sie beim Birkenholz um die Ecke bogen, blieben sie erstaunt stehen, denn auf der Straße hielten zwei Reiter, und zwischen diesen stand ein schöner Wagen mit zwei großen Gäulen bespannt. Auf dem Kutschersitz hockte Dobise und sah unter seinen buschigen Augenbrauen schlau auf die bevorstehende Ladung. Die Reiter sprengten ihnen entgegen, es waren Georg und Matz, während Lips im Wagen die Gesellschaft begleiten sollte. Das Antlitz Georgs war in heller Freude gerötet, als er vom Rosse sprang, um die Gäste zu begrüßen. Auch Anna lachte ihn froher an, als er bis jetzt an ihr gesehen hatte. Der Magister aber schritt bewundernd um den Wagen und die Pferde. Das Korbgeflecht war mit Hochrot und Gold bemalt, darüber trugen Reifen ein luftiges Dach von bunter Leinwand, welche sich an den Seiten zurückschieben ließ und oben noch mit einer Lederdecke überspannt war zum Schutz gegen ein Unwetter. Georg nötigte den Herrn Magister auf den Vordersitz. »Du, Lips, sitze daneben und sorge, daß unserm Herrn Vater die Unterhaltung nicht fehle.« Darauf öffnete er die Hinterwand des Wagens, zog eine kleine Leiter heraus und hakte den Polstersitz ab, damit den Frauen das Einsteigen bequemer sei, half ihnen ritterlich in das Innere, befestigte hinter ihnen Sitz und Rückwand und schwang sich wieder auf seinen Gaul, um nebenher zu reiten. Der Magister steckte den Kopf seitwärts heraus und rief vergnügt: »Wahrlich, wie ein römischer Gott fahre ich im Triumphwagen, zu beiden Seiten die Dioskuren.« Und auch Annas Augen leuchteten, als sie auf den bewaffneten Reiter an ihrer Seite blickte, der als Seitenwehr einen großen Dussek mit breiter krummer Klinge und in der Hand einen Kurzspeer führte, und sie unterdrückte mit Mühe einen Angstruf, als das mutige Pferd unter dem Reiter aufsprang, bis er es mit fester Faust bändigte. Dobise knallte, und in scharfem Trabe ging es vorwärts; der Staub wirbelte, der Wagen schütterte, und wenn die Räder über einen Stein hüpften, zuckten die Fahrenden von ihren Sitzen in die Höhe, so daß Anna sich am Holz des Wagens festhalten mußte. Aber das Schütteln gehörte zu vornehmer Fahrt, die Frauen überwanden bald den kleinen Schreck, lachten einander zu und fanden endlich den Mut, die artigen Fragen Georgs zu beantworten. Und obgleich zuweilen der Staub durch die Fensteröffnung wehte, wollte Anna doch die Leinwand nicht vorschieben, wie Frau Lischke riet, und sie wurde auch nicht böse, als Georg ihr nach dieser Erklärung einen dankbaren Blick zuwarf. Unterdes hörte Lips ergeben die Bemerkungen des Magisters und nannte die Namen der Dörfer, deren Kirchtürme hier und da aus der Ebene aufstiegen. Es war Sonntagsstille über der Landschaft und auf den Feldern niemand zu sehen, nur hier und da rollten sie an einer weidenden Herde vorüber und hörten das Gebell des Hirtenhundes, der auf sie zulief.

Endlich fuhren sie über eine kleine Grenzbrücke in den Schatten wilder Birnbäume, welche zu beiden Seiten des Weges standen, der Wagen hielt und Georg bat die Gäste, sich eine Weile zu gedulden, damit die Pferde verschnaufen und er vorausreiten könne, sie auf dem Hofe anzumelden. Die Fahrt war wundervoll gewesen, aber eine kurze Ruhe war nach der Erschütterung doch allen lieb. Dobise stieg ab und trat zu den Pferden, auch der Magister und Philipps kletterten über den Kutschersitz ins Freie, nur die Frauen blieben in dem Wagen und hatten einander jetzt leise viel zu erzählen. Plötzlich sprang Dobise auf seinen Sitz, ergriff die Zügel und wies mit der Peitsche in die Ferne: »Es kommt einer.«

Ein einzelner Reiter trabte über das Feld gerade auf sie zu. Es war auf magerem Pferde ein langer Mann in halber Rüstung mit Brustschiene und Helmkappe und einem langen Reiterspieß. »Wer ist es?« fragte Matz Hutfeld den Kutscher.

»Es ist eine Landfliege. Seht ihn nur an, Ihr kennt ihn gut genug.«

Der Reiter ritt ohne zu grüßen langsam im Kreise um die Gesellschaft, wobei sein Pferd wie ein Hund durch den Graben am Wege kroch, endlich hielt er, betrachtete unverschämt die erschrockenen Frauen und spähte in jede Ecke des Wagens. Der hagere, starkknochige Gesell mit schmalem Angesicht, das bleich und verbrannt und trotz der Jugend durch hartes Leben und Ausschweifungen gefurcht war, sah auf seinem struppigen Klepper gegenüber dem rundlichen Stadtreiter aus wie aus einem andern Lande. Matz hielt still auf seinem Platze, Lips aber entriß dem Dobise die Peitsche und rief dem Gefährten zu: »Hilf ihn zurücktreiben.« Da lenkte auch Matz sein Pferd heran: »Macht Euch fort, Henner, hier ist nichts für Euresgleichen zu holen.«

»Ich komme nicht zu holen, sondern zu geben; ich merke, Matz, Ihr seid nach Streichen begierig«, versetzte der Reiter verächtlich. »Redet höflicher auf der Landstraße, Ihr stolzen Bürgermeistersöhne, es wird jedermann erlaubt sein, die Könige von Thorn anzustaunen, wenn sie im roten Wagen durch das Land traben. Potz Blitz, weg mit der Peitsche, du Narr, oder ich treibe dir das Eisen in die Rippen. Wo wollt ihr hin, ihr heldenmäßigen Kumpane des Königs Artus?«

»Das geht Euch nichts an,« rief ihm Matz zu, »wir haben auch Euch nicht gefragt, wo Ihr herkommt. Ich sage Euch, macht Euch fort. Dies ist Thorner Grund und wir sind vier gegen einen.«

»Die vier sind auch danach«, höhnte der Fremde. »Schöne Samtmützen sehe ich auf euren gekräuselten Haaren. Wie hoch haltet Ihr das Stück, Junker Krämer? ich habe Lust, meine mit Eurer zu vertauschen. Ist‘s nicht eine Schere, die Ihr an der Seite tragt?« Er rührte mit dem Spieß an Hutfelds Dussek.

»Die Thorner Schere hat schon mehr als einmal in Euer Wams geschnitten, ich denke, Ihr kennt den Käfig über unserm Kerkertore.«

»Ich weiß eure guten Herbergen zu rühmen,« antwortete der Reiter ungerührt, »auch die Thorner hängen keinen, den sie nicht haben. Meiner Treu, Ihr reitet ein starkes Pferd, Bürgermeister Matz, ich merke, Ihr wollt mir‘s zum Tausch anbieten; steigt einmal herunter, es ist nur zur Probe.«

Hutfeld errötete, aber er blieb unbeweglich sitzen. »Dort kommt Georg«, rief Eske.

»Das ist eine andere Art Apfel«, sagte der Reiter ernsthafter, lenkte sein Pferd zurück und legte den Bolzen auf die Armbrust. »Guten Tag, Jörge, gerade Euretwegen bin ich gekommen; ich ritt so am Rande Eurer Feldmark entlang und suchte jemanden, dem ich einen Gruß an Euch in den Kopf schlagen könnte, da ersah ich Eure Kardinalsfuhre; ich merke, Ihr wollt geistlich werden, weil Ihr schon zwei Weiblein unter Eurem roten Dach eingefangen habt.«

»Ich habe lange auf Eure Botschaft gewartet,« rief Georg, ihm nahe reitend, »Ihr hattet die Frechheit, mir vor der Fastnacht sagen zu lassen, daß Ihr mich unter freiem Himmel werfen wolltet, wenn ich den Mut hätte, gegen Euch zu sprengen. Jetzt habe ich Euch vor der Klinge, heraus mit dem Eisen, frisch gezückt ist halb gefochten.«

 

Er hob schnell den Dussek und schlug dem andern die Armbrust aus der Hand. »Laß ihn los, Lips«, rief er seinem Gesellen zu, der von der andern Seite mit kräftigem Griff das Bein des Reiters gepackt hatte, so daß dieser schief im Sattel hing. »Er soll herunter vom Gaule,« versetzte Eske festhaltend, »er trägt die Eisenplatten, und du bist wehrlos, ich leide nicht, daß Ihr Euch heute rauft.«

»Laß ihn los«, wiederholte Georg heftig.

»Er hat recht, Jörge«, sprach der Reiter zwischen Zorn und Lachen. »Steckt ein und wartet auf einen andern Tag. Ich verspreche Euch, heut Frieden zu halten, obgleich Ihr meine Armbrust zerhauen habt. Laßt das Bein los, Junker Klette, und gesegne euch der Teufel eure Lustfahrt.«

»War er unhöflich gegen die Frauen?« fragte Georg zurück, indem er mit drohender Gebärde vor dem Wegelagerer hielt.

»Wir erheben keine Klage gegen ihn,« rief der Magister, »wir haben am Tage des Herrn genug von Streit gesehen und schon zuviel für unser Vergnügen. Weicht von hinnen, Ihr Catilina aus Moor und Heide, excede, evade, erumpe.« Er stand drohend mitten auf der Straße, und seine Brillengläser glänzten gegen den Reiter.

Unterdes ritt Henner näher an Georg und sprach leise: »Durch Eure Gesellen wollte ich Euch sagen, damit Ihr nicht unrichtig von mir denkt, daß ich seither Leib und Roß einem andern zum Dienst angelobt habe und meine eigenen Händel nicht betreiben darf, bis ich wieder mein eigener Herr werde.«

Georg antwortete ebenso: »Ihr hattet es heiß, den Brei zu kochen, jetzt stellt Ihr ihn kalt. Seid Ihr frei, so laßt mich‘s wissen, dann bestimme ich die Zeit, wo wir uns treffen, damit ich für mich dasselbe Recht behaupte, das heut Ihr Euch nehmt. Ich denke, wir sorgen alsdann dafür, daß einer von uns heimgetragen wird.«

Henner nickte einverstanden: »Macht euch zuerst fort, Jörge, obgleich ihr die Stärkeren seid; ich will nicht vom Pferde steigen und mich nach der Armbrust bücken, während die Stadtjungen zusehen.« Und lachend fuhr er fort: »Ihr hättet heut nicht viel Ehre mit mir gewonnen, denn ich reite in einem Auftrage, an dem gelegen ist; ich und das Pferd sind abgetrieben, und ich habe Nacht und Tag den Riemen über meinem Magen enger geschnallt, weil er knurrte. Jetzt habt Ihr mir zerschlagen, was zu einem Feldhuhn oder Hasen helfen konnte, und ich muß mir‘s zurechtbasteln.«

Georg wies auf einen alten Baum. »Da wir einander durch die Haut an das Leben wollen, kann ich Euch, obgleich Ihr hungert, nicht einladen, mein Gast zu sein, auch würde Eure Galle gegen die Kinder von Thorn uns das Mahl verbittern; aber ich sende vom Hofe einen Kober und Krug dort in den hohlen Stamm. Findet Ihr‘s, so nehmt Ihr‘s ohne Dank.«

»Euch wäre auch schicklicher, Georg, wenn Ihr als ein Reiter geboren wärt; Ihr würdet in dieser Zeit auf gezäumtem Pferde um anderes sorgen als um Frauenfuhren«, antwortete Henner, und beide lüfteten gegeneinander ein wenig die Mützen. Darauf rief Georg: »Vorwärts«, Dobise knallte stolz mit der Peitsche, und die Pferde liefen, daß den Fahrenden in der Anstrengung, die Sitze zu behaupten, alle Sorge um Vergangenes und Künftiges dahinschwand. Auch Georg ritt schweigend, überdachte die Reden des Henner und wunderte sich, daß der Buschreiter ganz gegen seine Art lieber hungere, als die Kost mit Gewalt von den Bauern nehme. Als er endlich wagte, in den Wagen hineinzusprechen und Anna zu fragen, ob der rohe Mann sie erschreckt habe, saß die Jungfrau mit niedergeschlagenen Augen und gab mit gleichgültiger Stimme den Bescheid: »Es waren ja Männer genug zur Stelle«, und er merkte, daß sie durch die Begegnung gekränkt war.

Vor ihnen erhob sich ein Herrenhaus, der Wagen rasselte über die Zugbrücke und fuhr in einen engen Hof, in welchem Ställe und Wirtschaftsgebäude von Graben und hoher Mauer umgeben standen. Das Haus selbst war ein schmuckloser Steinbau mit dicken Wänden, auf dem Unterstock erhob sich ein zweiter mit verschlossenen Fenstern und mit kleineren Öffnungen, über welche sich Schirmdächer wölbten; der Raum war zur Aufstellung von Standbüchsen und Geschütz bestimmt, jetzt aber diente er als Kornboden. Der Vogt des Gutes trat mit seiner Frau achtungsvoll heran, Georg sprang vom Pferde und half den Gästen aus dem Wagen. Als er alle auf dem Erdboden versammelt hatte, nahm er die Mütze ab und begrüßte im Namen seines Vaters den Besuch, während ein Knecht mit Dobise die Pferde nach dem Stall führte. Auch der Magister lüftete seine Mütze und antwortete durch schönen Gegengruß, worauf Georg in das Haus geleitete. Unter Vortritt des Magisters stiegen die Gäste die steinernen Stufen hinauf und sahen neugierig in die Herrenstube und über die gedeckte Tafel, auf welcher ein kleines Vesperbrot aufgestellt war, dreierlei Weizengebäck, süße und saure Milch und, was dem Magister lieber war, große Tonkrüge, gefüllt mit starkem Bier und uraltem Met. Mit heißen Wangen erfüllte Georg die Pflicht des Wirtes, er bot dem Magister den Ehrensitz und lud ihm zu beiden Seiten die Frauen; da er als Wirt bescheiden unten sitzen mußte, konnte er nicht vermeiden, daß Matz Hutfeld seinen Platz neben Anna erhielt. Das war ihm unlieb, und ihn ärgerte auch, daß Matz sogleich mit großer Sicherheit die Speisen bot und die Frauen zum Met nötigte, als ob er selbst der Gastgeber sei, doch tröstete ihn wieder, daß Anna sich auch gegen diesen ernsthaft hielt, auf den Teller blickte und wenig beachtete, wenn Matz seine runde Hand zierlich schwenkte und den Frauen die Babe, den großen Napfkuchen, vorschnitt. Frau Lischke aber ließ vergnügt ihre Augen umherschweifen, ermahnte Anna, die große Menge blanken Zinns zu bewundern, welches auf dem Tische aufgesetzt war und noch reichlicher auf Gestellen an der Wand, und sie hob das Tischtuch und rühmte das feine Gespinst. Das mußte auch Anna loben, und sie sah ein wenig nach Georg hinüber, als dieser ernsthaft sagte: »Es ist aus dem Brautschatz meiner seligen Mutter.« Der Magister aber, als er einen tiefen Trunk getan hatte, richtete sich strack auf und begann das Gespräch: »Vor allem sage mir, mein Sohn Regulus, wer war dieser gewappnete Strolch, was wollte er von uns und was hatte er gegen euch, meine Scholaren?«

»Es ist ein Adliger,« erklärte Georg, »den sie den langen Henner nennen, seine Väter waren im Lande angesessen, er aber schweift ohne Gut und Habe, liegt bei den Landherren ein und gelobt sich bald dem einen und bald dem andern zur kleinen Reiterei.«

»Er ist ein armseliger Latro und Buschklepper,« fiel Matz wegwerfend ein, »er ist in der Stadt übel berüchtigt wegen seiner Schamlosigkeit, und ich werde meinem Vater sagen, daß er unsern Freireitern befiehlt, auf ihn zu fahnden und ihn festzumachen.«

»Diesmal hat er nur mit losen Reden gefrevelt,« versetzte der Magister, »und mein Sohn Eske hat das Richtige getan, als er ihm das Bein schwenkte. Dich aber, Georg, muß ich schelten, soweit sich bei diesem Vespermahle geziemt, denn auch du bist wie ein Heckenreiter gegen ihn gesprungen und warst nicht abgeneigt, mich und die Frauen in eine Katzbalgerei zu verwickeln.«

»Ich merke wohl, Herr Magister, daß ich mich ungebührlich geregt habe, und ich merke auch, daß die Frauen mir deshalb zürnen. Aber da ich ihn von ferne sah, bekam ich Angst, daß er gegen die Gäste unschickliche Reden führen könnte, denn sein Mundwerk mahlt nur groben Schrot, auch gibt es zwischen mir und ihm alte Späne, weil er uns Thornern feindselig ist.«