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Die Ahnen

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»Furor diabolicus«, rief der Magister, »blicke auf, mein Kind, sie sind fort, komm nach der Herberge.« Er vergaß den Scheidegruß an den Buchführer, welcher zerknitterte Bogen glättete, und verschwand mit seinem Kind in der Menge.

Am Nachmittage schlug der eiserne Klopfer stark an die Haustür des Marcus König, in dem Flur wurden Stimmen laut, Barbara, die alte Hausmagd, öffnete dem Ankommenden die Stubentür. Ein stattlicher Mann in höheren Jahren trat ein, das braune Haar mit Grau gemischt, in dem großen Antlitz runde, scharfblickende Augen; über dem langen, braunen Samtmantel trug er einen Kragen von Marderfell, an dem silberbeschlagenen Gürtel einen Degen in silberner Scheide. Er bewegte seinen gestickten Hut mit gemessenem Gruß gegen den Hausherrn und streckte ihm die Rechte entgegen. Mit langsamer Förmlichkeit ergriff der Wirt die gebotene Hand und lud den Gast auf einen großen Lederstuhl, den Ehrensitz. Er selbst rückte sich seinen Sitz gegenüber und winkte der harrenden Magd, welche eine Flasche und zwei kleine Silberbecher herzutrug und vor den Herren auf den Tisch setzte. Als sie die Tür geschlossen hatte, begann der Wirt, sein Glas hebend: »Dies bringe ich Euch zum Willkommen, namhafter Herr Bürgermeister Hutfeld.«

Der Gast antwortete ebenso bedächtig: »Ich denke in diesen Wänden an meine selige Schwester Martha, Eure Ehegattin, und gern würde ich vernehmen, daß Ihr mich wie sonst als Euren Schwager begrüßt.« Da Marcus schweigend das Haupt neigte, fuhr der Gast lebhafter fort: »Ich bedaure, Schwager Marcus, daß Ihr mir so fremd gegenübersitzt. Tragt nicht mir nach, wenn Euch vor kurzem eine Weigerung des Rates gekränkt hat. Ihr erbatet aus dem Zeughause zwei Feldschlangen für das feste Haus Eures Landguts, aber Ihr selbst wißt, daß nur den Ratmännern zuweilen Geschütz in ihre festen Häuser geliehen wird.«

»Ich weiß«, versetzte der Hausherr. »Die Bürger klagen zuweilen, daß die ehrbaren Herren vom Rat nur deshalb die Geschütze der Stadt auf ihre Landhäuser ziehen, um die Gastgelage, welche sie dort ausrichten, durch Freudenschüsse den Untertanen zu verkünden. Mir aber hatten, als ich die Herren durch meine Bitte beschwerte, fremde Wegelagerer eine Scheuer meiner Dorfleute ausgebrannt und mit fernerer Rache gedroht. Die wilde Reiterei ist gemein geworden im Lande, und darum meinte ich, der Stadt werde nicht gleichgültig sein, wenn das Gut ihrer Bürger zugrunde geht. Ich will fernerhin versuchen, mich selbst zu beraten; ich habe durch mein Leben gelernt, fremder Hilfe nicht zu trauen.«

»Wenige in der Stadt werden bezweifeln, daß Ihr in Ratschlag und Tat wohlbedacht seid. Doch verzeiht, Herr Schwager, wenn ich Euch in treuer Meinung sage, nicht immer frommt es dem Bürger, seine Meinung von denen seiner Nachbarn zu trennen, und leichter gewinnt man Gutes für sich selbst, wenn man sich gutherzig in andere schickt. Das Geschütz hättet Ihr erhalten, und ein Sitz im Rate würde Euch nicht fehlen, wenn Ihr williger der Stadt Eure günstige Gesinnung erweisen wolltet.«

Der Hausherr richtete sich in seinem Stuhle hoch auf: »Sprecht weiter, gebietender Herr Bürgermeister, Ihr habt zuviel gesagt, um aufzuhören.«

»Ich rede vertraulich, mein Schwager«, fuhr der andere fort. »Vielen fällt auf, daß Ihr in dieser Zeit, wo es sich um Gedeihen oder Untergang der Stadt handelt, in Rede und Tat so wenig Haß und Liebe erkennen laßt: und sie wissen darum nicht, ob sie Euch vertrauen dürfen oder nicht.«

»Ich bin gelehrt worden,« versetzte der Wirt, »daß dem Bürger ziemt, um das eigene Wohl zu sorgen, und daß ein ehrbarer Rat die Sorge um die Stadt als sein Vorrecht betrachtet.«

»Dem Rat aber vermöchte Eure Einsicht zu nützen. Ich weiß am besten, Schwager Marcus, wie hoch der Sinn des Mannes ist, mit welchem ich rede. Nie werde ich vergessen, daß ich meinen Wohlstand den Jahren verdanke, in denen ich als Euer Geselle Handelschaft trieb.«

»Vergeßt die alte Zeit, Herr Bürgermeister, und wenn Ihr redlich an mir handeln wollt, so müht Euch auch zu vergessen, was Ihr vielleicht von mir kennengelernt habt, als wir beide jünger waren. Ich bin alt geworden, es ist einsam in meinem Hause; ich denke, die Stadt kann mich leiden, wie ich bin, bis ich in der Marienkirche beigesetzt werde gleich anderen meines Geschlechts. Dann mag Euer Pate, mein Sohn Georg, versuchen, dem Rat besser zu gefallen.«

»Wenn ich unwillkommen zu Euch kam,« antwortete der Bürgermeister, gekränkt durch die Abweisung, »so kam ich um Eures Sohnes willen. Ein Haufe Vermummter in der unheiligen Tracht von Teufeln hat heut in den Gassen Ungebühr geübt, hinter der Larve ihres Anführers ist mein Pate Georg erkannt worden. Es geschieht nicht zum erstenmal, daß der Rat Ursache hat, auf ihn zu merken. Diesmal hat er der Kirche Ärgernis gegeben und ist auch mit dem Polen Pietrowski zusammengestoßen, welcher als Gesandter des Großkanzlers dem Rate am Herzen liegen muß. Vielleicht gefällt Euch, Herr Schwager, den Sohn auf einige Tage zu versenden, bis der ärgerliche Fall vergessen ist.«

»Hat der Knabe einen polnischen Abgesandten auf offener Straße gekränkt, so soll er auf offener Straße die Buße zahlen,« versetzte Marcus finster, »ich will nicht, daß um meines Blutes willen die Stadt in Ungelegenheiten gerate. Erlaubt, daß ich ihn in Eurer Gegenwart abhöre.« Er schritt zur Tür und rief nach seinem Sohne. Es verging einige Zeit, in welcher die Herren schweigend einander gegenübersaßen; endlich öffnete sich die Tür, und herein trat ein junger Gesell, hoch aufgeschossen, mit blondem Kraushaar und mit einem runden, rosigen Antlitz, in dem zwei schlaue Augen unruhig über die ernsten Gesichter der Herren fuhren; man sah dem Eintretenden die Verwirrung an, sein Wams war unordentlich genestelt und eine Seite der Stirn mit einem Pflaster gedeckt, aber um den Mund zuckte doch die Schelmerei, als er, sich verneigend, grüßte: »Guten Abend, Herr Vater, guten Abend, Herr Pate.«

»Wer hat dir die teuflische Fratze gemacht,« fragte der Vater streng, »in der du heut vor den Bauern getanzt hast?«

»Lorenz, der Läufer, hat sie von Danzig zugeführt.«

»Und wer hat dir das Geld dazu in die Hand gelegt?«

»Der Danziger wartet noch darauf, Herr Vater«, gestand Georg mit geringerer Zuversicht. »Da ist der Gewinn vom letzten Vogelschießen.«

»Der ist schon mehr als einmal in Rechnung gebracht«, unterbrach ihn der Vater. »Wer hat dich an der Stirn getroffen?«

»Der Säbel des Pan Pietrowski, aber er soll dafür bezahlen. Eisen um Eisen ist ein Thorner Sprichwort.«

»Schweig, du dreister Knabe. Ihr hört, Herr Bürgermeister, er hat bekannt, nehmt ihn und tut mit ihm nach Ermessen des ehrbaren Rats.«

Dem Bürgermeister war die kurze Bereitwilligkeit des Vaters nicht willkommen, und er fragte nach einer Weile: »Als der Fremde den Säbel zog, was hatten ihm die Vermummten angetan?«

»Sie hatten ihn umtanzt wie viele andere, die heut in fremder Tracht auf unsern Gassen wandeln. Das ist ein altes Recht der Fastnachtsteufel, wenn es den Fremden nicht gefällt, mögen sie draußen bleiben«, antwortete Georg trotzig.

»Haben Stadtleute gesehen, daß die Wunde geblutet hat?«

»Er hieb die Bänder der Larve durch und entblößte mein Gesicht, und einige schrien Gewalt, als das Blut rann.«

Hutfeld sah den Vater an: »Dies mag das Recht des Polen mindern und dein Unrecht bessern. Euch, Herr Schwager, ersuche ich, diesen unterdes in Eurem Hause festzuhalten, wenn etwa der Rat ihn Euch abfordern läßt.« Er wandte sich zum Abgange.

»Darf ich noch etwas reden, lieber Herr Pate«, bat Georg demütig, und als Hutfeld nickte, fuhr er fort: »Mir wäre wirklich lieber, wenn statt meiner der Pietrowski verhaftet, verstrickt und eingesetzt würde. Denn nicht ich habe das Gesetz mit dem Säbel gebrochen, sondern er, und nicht er trägt die Schmarre, sondern ich, und deshalb kann mir nicht gefallen, daß ich in der Klausur sitzen soll, während er in der Schenke die Stiefel zusammenschlägt; zumal heut, wo alle Brüderlein lustig sind.«

»Du bist Sohn eines Hauswirts, er ist der Gast«, antwortete Hutfeld ernst. »Nicht immer trinken Wirt und Gast das gleiche Maß. Dir aber kann morgen vor dem Rate frommen, wenn du heut nicht im Artushofe beim Abendtanz gefunden wirst.« Er verließ grüßend das Zimmer. Der Wirt folgte ihm bis zur Haustür.

Als Marcus zurückkam, schritt er schweigend zu einem kleinen Wandschrank, hob ein Schlüsselbund heraus und gebot dem Sohne: »Folge mir. Hole zuvor dein Gebetbuch, denn es wird dir heilsam sein, um den Himmel zu sorgen, nachdem du dich im Dienst der Hölle so lustig bemüht hast.«

Georg trug mit düsterer Miene ein kleines Buch herzu und folgte dem Vater die Treppe hinauf in den Oberstock. Dort hielt Marcus vor einer eisenbeschlagenen Tür und faltete, bevor er das Schloß öffnete, die Hand über dem Schlüssel. Der Sohn aber trat einen Schritt zurück, der stumme Trotz, mit welchem er die Einsperrung erwartete, schwand in unverhohlenem Schrecken. Denn das Gemach war, obwohl stattlich in der Mitte des Hauses nach dem Markte gelegen, doch bei den Hausgenossen und auch unter den Nachbarn übel beleumdet als Behausung eines polternden Geistes, welchen alte Leute als einen gepanzerten Mann geschaut hatten, andere aber als einen braunen Kobold. Georg hatte nur selten den Raum betreten, und gerade heut, wo er sein Gewissen ein wenig bedrängt fühlte, war ihm der Aufenthalt unheimlich, aber die Scheu vor dem Vater schloß ihm den Mund, und er preßte die Lippen zusammen. Die Tür knarrte in den Angeln, der Sohn trat auf die Schwelle, und sein Blick irrte in dem dämmrigen Raume umher. Es war ein Gewölbe mit dicken Mauern, durch die trüben Rauten des Fensters fiel ein Sonnenstrahl und zeichnete auf die Dielen ein Netzwerk aus mattem Gold, an den Wänden standen Schränke und eiserne Kästen, auf einem Tisch hing am kleinen Ständer eine goldene Haube und anderer Schmuck, wie ihn die vornehmen Frauen zu Thorn trugen. Der Vater blieb vor einem großen Schranke stehen. »Tritt näher,« begann er feierlich, »du hast heut Heilloses getrieben in dem Übermut, den ich wohl an dir kenne und lange mit Nachsicht getragen habe, ich will dich zur Vorsicht und Bescheidenheit mahnen durch ein ernstes Beispiel.«

 

»Sagt mir vor allem, Herr Vater, ob Ihr selbst sehr böse seid wegen des Teufelskrams«, bat Georg.

»Daß mein Sohn in der unheiligen Maske als Narr vor den Bürgern gespielt hat, war für uns beide Unehre, und noch größer war die Torheit, daß er sein Gesicht sehen ließ.«

»Der Pole soll mir‘s bezahlen«, murmelte Georg.

»Was ist der Pole?« fragte der Vater, »der Diener eines Dieners. Wer seinen Zorn an kleinem Gesindlein verzettelt, gleicht dem Bussard, der nach Mäusen stößt.« Er öffnete die Schranktür. »Du warst oft begierig, in Blechkappe und Krebs eines Gewappneten zu reiten, weißt du mir zu sagen, wer einst diese Rüstung getragen hat?« In dem Schranke stand eine altertümliche Rüstung, graues Eisen mit Gold verziert, dabei ein hoher Schild mit dem Zeichen, welches in Thorn verhaßter war als irgend etwas anderes. Es war das schwarze Ordenskreuz, in dessen Mitte ein goldenes lag.

»Ein Weißmantel trug die Rüstung,« antwortete Georg, »und sehe ich recht, so war es ein Hochmeister des Ordens.«

»Es war ein Meister des Ordens,« bestätigte der Vater, »und er war von unserm Geschlecht. Vernimm, was von ihm die Chronik kündet. Herr Ludolf wurde zu seiner Zeit gerühmt als ein weiser und kriegstüchtiger Herr. Er führte ein großes Kreuzheer gegen die Heiden in Litauen, wohlüberlegt war der Kriegsplan, und er hoffte Ruhm für sich und Landgewinn für den Orden. Aber die große Hoffnung erwies sich als eitel, die Litauer wichen weit rückwärts in ihre Sümpfe, und während er mühsam durch die Wildnis nachzog, brachen andere Heerhaufen der Heiden in das preußische Land und verwüsteten erbärmlich Gut und Volk des Ordens. Als er auf die Trauerbotschaft umkehrte, verlief sich unzufrieden das Kreuzheer, und von allen Seiten erhoben sich Klagen gegen ihn selbst. Das Unglück des Landes fraß ihm am Herzen, so daß er in Trübsinn verfiel und in schwarzer Stunde mit dem Messer nach einem Ordensbruder stach. In seinem Gram über die Missetat entsagte er selbst einer Herrschaft. Nach Jahren schwand die Wolke von seinem Geiste, und die Brüder, welche seinen Wert wohl kannten, wollten ihn wieder auf den Herrenstuhl setzen, er aber weigerte sich. Und als er von dieser Erde schied, umgeben von trauernden Brüdern und Männern unseres Geschlechts, da sprach er, wie die Sage meldet, eine schwere Besorgnis aus: Oft ist das Schicksal der Könige von Thorn gewesen, daß durch den Lauf der Welt vereitelt wurde, was sie redlich wollten, ihnen ist, wie ich fürchte, kein Glück auf Erden beschieden. Sorgt dafür, Kinder meines Geschlechtes, daß ihr im Himmel euch gute Fürbitter gewinnet. Was der Sterbende sprach, hat die folgende Zeit erfüllt. Einst saß unser Geschlecht ehrenvoll in den großen Städten und in der Landschaft, es sind wenige davon übriggeblieben, hier in Thorn sind wir beiden die letzten.« Er sah finster vor sich nieder.

Dem Sohn tat der Kummer des Hausherrn leid, und er versuchte gutherzig zu trösten: »Ach, Herr Vater, hätte der arme selige Vetter Hochmeister doch, bevor er schwermütig wurde, noch einmal auf die hinterlistigen Heiden losgeschlagen. Blieben sie stärker, so starb er im Felde mit leichtem Herzen. Und wegen seiner Prophezeiung grämt Euch nicht. Euch ist doch auch manches gelungen in Eurem Leben, und im Artushofe schweigen alle mit Achtung, wenn Ihr einmal das Wort ergreift. Waren die Alten trübselig, warum sollen wir‘s sein.«

»Du sprichst in kindischem Mut,« antwortete Marcus, »höre weiter. Du hast deinen Großvater nicht gekannt, auch von ihm bewahre ich ein Gewand.« Er öffnete die andere Hälfte des Schrankes, ein Büßerkleid hing darin. »In seiner Zeit war der deutsche Orden schwach und hilflos, die Ordensherren verdorben durch Schwelgerei und Unzucht, wie sie in der Mehrzahl noch jetzt sind; hochmütig pochten sie auf ihren Adel, sie versagten uns alten Geschlechtsgenossen aus den Städten die Aufnahme in die Bruderschaft, weil wir Kaufmannschaft trieben und Bürger waren, und verteilten die Ämter des Ordens an fremde Abenteurer aus dem Reiche, die gewöhnt waren, von Raub zu leben, und die auch als Ordensritter gleich Räubern in unserm Lande hausten. Die Tyrannei wurde dem Lande unleidlich, zum Unheil war der Orden geworden, und ein Unheil war die Hilfe, welche das Land zur Zeit deiner Großväter dagegen fand. In offener Empörung kämpften Städte und Landschaft gegen den Orden, und sie, die sich Deutsche nannten, gaben ihr Geld und ihr Blut dafür, daß der Pole ihr Schutzherr wurde. Damals war im Lande alles feindlich geteilt, Brüder und Nachbarn in grimmigem Kampf gegeneinander. In unserer Stadt gab es viele, welche dem Hochmeister anhingen und die Stadt der deutschen Herrschaft bewahren wollten. Auch dein Großvater gehörte zu den Freunden des Ordens. Da ich ein kleiner Knabe war, wurde ich vor ein Gerüst geführt, das dort vor unserem Hause gezimmert war, und sah, wie die Häupter ansehnlicher Bürger in den Sand fielen. Zuletzt erkannte ich meinen Vater. Er ließ mich durch den Mönch, der neben ihm stand, auf das Gerüst heben, küßte mich, sah mich aus hohlen Augen an und sprach mir leise in das Ohr: »Du wirst mich rächen, Marcus.« Seitdem sehe ich zuweilen am Boden das schwarze Blut, und ich höre, wenn ich allein bin, die heisere Mahnung in meinem Ohr.« Er hielt inne, auch der Sohn starrte bleich auf das blutgetränkte Gewand. Endlich fuhr Marcus fort: »Der Bruder meines Vaters, der mein Pate war, hielt zur polnischen Partei, er rettete mir das Erbe und erzog mich in Treue. Wundere dich nicht, Georg, daß dein Vater ein schweigsamer Mann geworden ist, nur kurz war das Glück, welches mir mit deiner lieben Mutter, der Schwester meines Spielgesellen Hutfeld, in das Haus geführt wurde, sie ging zu den Engeln und ließ dich mir zurück. – Ungern gieße ich den bittern Trank in den Becher deiner Jugend, aber der Tag ist gekommen, wo dein sorgloser Mut durch ernste Gedanken gebändigt werden soll. Erkenne, daß ich dich nicht wie einen ungezogenen Knaben behandle, und hüte dich, mir fernerhin zu mißfallen.«

Er wandte sich zum Gehen, Georg eilte ihm nach und sprach mit tränenden Augen: »Ich danke Euch, Herr Vater, für Eure Liebe und Euer Vertrauen und daß Ihr mich so gütig straft. Gefällt es Euch, Herr, so sagt mir noch eins, worum ich in Demut bitte: Ist‘s nach Eurem Wunsche, wenn ich mich für einen Deutschen halte gegen die Polen?«

Der Vater hielt an und antwortete mit Überwindung: »Ich denke, dir ist nicht not, heut darum zu sorgen. Du bist ein Sohn, der im Hause des Vaters lebt, und der Vater richtet dir den Willen. Zuerst gebietet dir der Vater, dann der Rat. Wirst du einst zum Ratmann der Stadt erkoren, dann erst darfst du deine eigenen Gedanken betätigen.«

Als Marcus die Tür verschlossen hatte, fragte Georg erstaunt: »War dies mein Vater? Er sah höher aus als sonst, und so gewaltige Rede habe ich nie aus seinem Munde vernommen; er wäre wohl strenger gewesen, wenn er gewußt hätte, daß wir den Frauenbruder garstig vexiert haben.« Scheu blickte er durch die Dämmerung nach dem offenen Schrank, dessen Tiefen wie schwarze Schlünde gegen ihn gähnten. »Vom Großvater hat mir oft die selige Tante erzählt, und meine Gesellen haben mir sonst sein Schicksal vorgeworfen. Jetzt wagt es keiner mehr. Dennoch ist es hart, mit diesen Totengewändern eingesperrt zu sein.« Er drückte die Schranktüren zu, eilte an das Fenster und zog, bis es ihm gelang, zu öffnen. Dort atmete er frische Winterluft, sah die heimziehenden Landleute, die geschäftigen Bürger, welche Tische und Kasten vom Markte in die Häuser trugen, und hoch über den dunkeln Schatten der Erde den lichten Abendhimmel; da wurde ihm leichter zu Sinn. »Also ich bin von dem Blute, dem Hochmeister entstammen? ich grüße Euch, mein Kumpan, Herzog Albrecht von Brandenburg! Der Vater trägt, wie ich merke, seinen Stolz in der Tasche, ich wollte, er zeigte ihn auf dem Markte. Meine Ahnen haben als die Vornehmsten dem Adel geboten, jetzt drängen wir uns mit den Junkern vom Lande, wenn wir zufällig auf derselben Bank sitzen, und höhnen einander in wilden Reden. Der lange Henner Ingersleben, der weder Gut noch Geld hat und als Einlieger bei seinen Spießgesellen auf dem Lande haust, weigert sich höhnisch, mit uns Stadtknaben im Ringelrennen zu reiten und schalt uns Bürgerpack. Treffen wir uns auf der Heide, so ist ausgemacht, daß wir einander schlagen, bis einer unter dem Pferde liegt. Auch mit dem Polen und seiner Sippschaft hängt jetzt ein Handel, den wir in Frieden schwerlich zu Ende bringen; aber Junker und Polen sollen merken, daß wir Kinder von Thorn uns gegen sie zu behaupten wissen.« Drohend hob er die Faust, aber er sah gleich darauf wieder scheu in der Stube umher. »Als ich vor Jahren auf dem Danziger Schiff nach Schonen fuhr, um unsere Heringstonnen heimzuholen, und der dänische Seeräuber uns anlief, da sprang ich mit den andern auf sein Verdeck, obwohl ich ein Knabe war, und der Schiffer Hendrik rühmte die Hiebe des Dussek, den ich gegen die Dänen schwang.« Doch trotz dieser tapfern Reden hielt er sich vorsichtig in der Nähe des Fensters. Draußen war es finster geworden, nur einzelne Tritte klangen auf den Straßen, in den Häusern glänzten Lichter und flackernde Herdfeuer, um die Schänken summte das Geräusch lustiger Gesellschaft, und vom Artushofe her klang die Tanzmusik. »Die Pfeifer hätten auch nicht nötig, so gellend zu locken, ich vernehme die Ladung ohnedies. Ob Eva Eske wohl nach mir fragt? ich denke, sie erwartet, daß ich mit ihr tanze. Wäre ich dort, ich hätte den Vortritt, weil ich beim letzten Stechen das Beste gewonnen habe. Jetzt wird sich Vetter Matz Hutfeld, die teige Bürgermeistersemmel, obenan auf das Brett schieben. Matz stolperte neulich beim Tanze über mein ausgestrecktes Bein und fiel hin, mich soll wundern, ob sein Vater trotzdem im Rate für mich sprechen wird.« Auf der Straße sangen vorübergehende Gesellen ein Liebeslied, Georg summte es leise mit. »Ach, das fremde Mädchen hat ein holdseliges Gesicht, und mich ärgert sehr, daß ich sie gekränkt habe, sie starrte mich an in Schreck und Scham, ich kann den Blick nicht vergessen; ich muß erfahren, wer sie ist und bei wem sie haust, ich möchte nicht, daß sie mich für ganz unbändig hielte. Vielleicht berede ich meine Genossen, daß sie ihr eine Nachtmusik bringen, dann spiele ich die Laute, und Lips Eske streicht das Bassettel.« Lange erfreute ihn dieser Gedanke, und er summte eine zierliche Weise, die zu dem Ständchen paßte. Auch als die Abendglocken läuteten und er das Gebetbuch in der Tasche fühlte, dachte er: »das läuft niemals weg« und begann eine neue Melodie. Zuletzt aber fühlte er die Kälte und den Hunger, und auch die finstere Stube bereitete ihm Sorge. »Der Herr Vater sitzt wohl im Artushofe bei seinem Trunke, und Barbara getraut sich nicht ohne seine Erlaubnis Licht und Nachtkost zu bringen. Es ist zuweilen mühseliger, ein Sohn zu sein als ein Vater.«

Da knarrte es leise längs der Hauswand, an dem Seile, welches aus der Giebelluke hing, glitt ein dunkles Bündel herab, und eine Stimme flüsterte vor dem Fenster: »Seid Ihr noch bei Leben und Gesundheit, Junker?«

»Bist du‘s, Dobise?«

»Niemand sonst. Wenn Ihr Euren Arm ausstreckt, könnt Ihr den meinen fassen und mich ans Fenster ziehen.«

Das tat Georg. Der Ankömmling, dessen Fuß in dem Haken des Seils haftete, klammerte sich an das Fensterbrett und blickte ängstlich in den Raum. »Was bringst du, Hausteufel?« fragte Georg.

»Nichts vom Teufel,« warnte der andere, »denn es ist Nacht, und die schwarzen Geister wandeln. Eure Gesellen grüßen Euch, sie ziehen nach dem Abendtanz in die Trinkstube zu Jan Rike, dort erwarten sie Euch. Haltet das Seil fest, Ihr könnt nach mir auf den Boden steigen und durch das Hinterhaus ins Freie. Schlagt den Haken an das Fenster, so findet Ihr Euch auf demselben Wege zurück, und kein Herr merkt Eure Fahrt.«

»Wo ist der Vater?«

»In seiner Kammer, die er nicht mehr verläßt.«

Georg dachte sehnsüchtig an die harrenden Genossen, aber er ermannte sich: »Ich bin hier verstrickt und darf nicht entweichen.«

»Bindet Euch ein Strick, so löst Euch der andere«, erinnerte Dobise, an dem Seil schüttelnd.

»Dennoch bleibe ich hier, man muß seinem Alten auch einmal etwas zu Gefallen tun. Den Gesellen sage, daß der Rat über uns ist; und hör‘, mahne heimlich die Magd, daß sie mir ein Licht und gute Kost zuträgt, denn es ist einsam im Finstern.«

»Ihr wollt doch die Nacht nicht allein bleiben mit den Unholden der Stube?«

»Willst du zu mir hereinkommen und bis zum Morgen hier weilen, so habe ich nichts dagegen«, versetzte Georg.

 

»Lieber wollte ich sterben«, raunte Dobise in ehrlichem Grauen und ließ das Fenster los, so daß er an dem Seile baumelte.

»So fahr‘ dahin, du Narr.«

»Auf der Treppe will ich die Nacht sitzen um Euretwillen,« flüsterte der andere handelnd, »dafür bitte ich Euch morgen um Silber, bei den Pfaffen einen Zettel für mich zu kaufen. Denn sie sagen, daß die Teufel Macht über jeden erhalten, der ihren Rock anzieht, und da ich Euch zuliebe mit Kuhschwanz und Hörnern gesprungen bin, so hoffe ich, werdet Ihr Euch meiner Seele erbarmen. Alle vierzehn Nothelfer! seht Ihr die feurigen Augen hinter Euch?«

Georg wandte sich erschrocken um. »Es ist die Goldhaube der Mutter«, sagte er beruhigt.

Dobise schwieg und sah spähend in den Raum.

Auf dem leeren Markt klangen Tritte, welche sich näherten. »Schnell, mach‘ dich fort«, mahnte Georg und trat vom Fenster zurück. Im nächsten Augenblick vernahm er Gebrüll und einen Schreckensruf und sah den Dobise schleunigst am Seil nach der Höhe klimmen. Unten murmelte es leise, dann wurde alles still, der Nebel quoll in den Straßen, die roten Lichter, welche hier und da blinkten, schwanden eines nach dem andern, in der Ferne schlug dumpf die Uhr von St. Johannes, und zuweilen blies der Türmer die gewohnte Weise. Spät kam die alte Barbara, sie trug die Abendkost, eine Lampe, Strohsack und Decke. Georg antwortete ihrem bekümmerten Nachtsegen mit freundlichem Lachen, warf sich auf sein Lager am Boden und entschlief ruhig.

Der Vater aber in seiner Kammer wachte, er saß über ein Buch gebeugt, dessen Seiten er mit vielen Zeichen beschrieben hatte, zählte zusammen und rechnete. Die Zeichen und Zahlen des Buches, unverständlich für jeden andern, bedeuteten nicht Kaufmannsgüter und Summen seines irdischen Handelsgeschäftes, es war die Rechnung, die er als frommer Christ für das ewige Leben führte. Die frommen Bruderschaften standen darin, denen er angehörte, jede mit vielen Tausenden Paternoster und Ave Marias, mit ganzen Rosenkränzen und anderen Hilfsmitteln zur Seligkeit, welche die Bruderschaft als gemeinsamen Schatz für ihre Mitglieder gutgemacht hatte. Auch seine eigenen guten Werke waren darin verzeichnet, die frommen Spenden und Almosen, die er ausgeteilt, und die Bußübungen, denen er sich unterzogen. Seite auf Seite überschlug er und rechnete zusammen, am sorgfältigsten, was er der Mutter Gottes und seinem Schutzpatron, dem heiligen Johannes, zu Ehren erwiesen hatte, damit sie ihm ihre besondere Neigung zuwendeten. Es war eine große Summe von Gebeten und von guten Werken. »Wir flehen und opfern unablässig,« seufzte er endlich, »aber nimmer erfahren wir, wie hoch die Heiligen den Aufwand schätzen, den wir für sie gemacht, und wir müssen den Priestern vertrauen, wenn sie uns gute Vertröstung geben und bestätigen, daß unsere Rechnung mit dem Himmel günstig für uns stehe. Ich bin ein alter Mann geworden über der Arbeit dieses Buches, aber den größten irdischen Wunsch, um den ich flehe, entbehre und opfere, haben die Heiligen nicht erhört.« Er barg das Buch in seinem Schrein und ging mit großen Schritten und gehobenem Haupte in der Kammer auf und ab, die Augenbrauen zogen sich finster zusammen, die Faust ballte sich, und wenn das Licht seine düstern Züge erleuchtete, sah er einem harten Kriegsmanne ähnlicher als einem friedlichen Kaufherrn.