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Die Ahnen

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Nikolaus nahm das Dargebotene und lief dem Stege zu, der nach dem Hofe des Marschalks führte; gerade als Lutz im Begriff war, den Steg zu heben, sprang er hinüber, wand sich unbemerkt hinter dem Dorfe herum und rannte der Stadt zu.

Es war still geworden im Hofe und draußen, nur der Wind heulte und in der Höhe flogen die Wolken. Ivo trat zu Friderun, und als er ihr liebevoll Trost zusprechen wollte, antwortete sie mit verklärtem Blick: »Ihr habt an uns gehandelt, wie Eurer würdig ist, ich klage auch nicht um Eure Gefahr, ich flehe zu unserm Vater im Himmel, daß er mich annehme als Opfer und Euch errette.«

So verrann Stunde auf Stunde, bis die Sonne sich zum Abend neigte.

Ivo stand bei Henner auf dem Torturm. »Sie haben sich Hilfe geladen und wollen wie Krieger uns belagern. Verstehen wir, sie bis zur Nacht hinzuhalten, so kann uns wohl gelingen, über sie hinwegzureiten.«

»Der Mönch kennt sein Handwerk«, versetzte Henner und wies auf den Weg, der von der Mühlburg heranführte. »Seht dort, Gewappnete, sie nahen schwerlich, um Euch das Gesindlein zu verscheuchen.« Lutz kam eilig herzu: »Von Gotha zieht ein Haufe Kreuzfahrer heran, ich vernahm das Lied der Wallenden, der Mönch ritt ihnen entgegen.«

»Was bringst du, Martin?« fragte Ivo einen handfesten Knecht, welcher das geworbene Gesinde im Hofe anführte.

»Herr,« begann der Kriegsmann bekümmert, »meine Kumpane im Hofe weigern sich zu fechten, sie sagen, ihr Eid verpflichte sie nur, gegen Eure irdischen Feinde das Eisen zu heben, nicht aber gegen die Heiligen des Himmels.«

»Und was wollen sie tun, um den Heiligen zu gefallen?«

»Sie gedenken, nichts gegen Euer Haupt zu wagen, aber sie werden sich abseit halten in ihren Kammern und sobald der Hof geöffnet wird, davonziehen.«

»Sage ihnen, sie mögen handeln nach ihrem Gewissen«, versetzte Ivo.

Als der Mann kummervoll die Treppe hinabstieg, sprach Ivo: »Wir sind allein, ihr Herren«, und beiden die Hände reichend, fuhr er mit stolzem Lächeln fort: »Es ist nicht nötig, daß wir alle drei bei dem alten Turm die Totenwache halten; Ihr seid jung, Ludwig, und Ihr, Henner, habt Weib und Kind.«

»Wir aber dachten nicht, daß unser Herr uns jemals den Dienst aufkündigen würde«, antwortete Henner gekränkt. »Wir sind nicht auf Zeit gedungen, Herr Ivo, sondern unsere Ehre ist, wenn wir nicht mehr auf Erden Euch begleiten können, Eurer lieben Seele nachzufolgen, wohin der große Gott sie fahren läßt. – Dort hebt sich das Banner des Landgrafen in der Faust eines Mühlburgers. Der Bannerträger blickt nach dem Raben unseres Hofes umher, denn er hat von je seine Freude an dem schwarzen Vogel gehabt.«

Von der andern Seite des Grabens rief eine befehlende Stimme: »Im Namen des Landgrafen, öffnet das Tor.«

»Wie kommt‘s, daß Ihr unter dem fremden Wappentier reitet, Ritter Konz?« fragte Henner von der Zinne. »Scheut Ihr Euch, unter Eurem Raben dahinzufahren, weil er den Schwanz gegen Euch hebt?«

Den höhnenden Worten folgte helles Geschrei der Mühlburger, die anderen Haufen antworteten, und im Getümmel breiteten sich die Angreifer gegen den Grabenrand.

»Sie wissen, daß es uns an Händen fehlt, sie abzutreiben«, sprach Ivo. »Zu unserer Feste, ihr Herren!«

Die Bedrängten eilten nach dem alten Turme, ihrer letzten Zuflucht. »Ich rate, den Steg nicht zu werfen,« sprach Henner, »damit den ritterlichen Feinden der Anlauf leichter werde.« Und er stellte sich mit Schild und Schwert am Grabenrande auf. Sie vernahmen das Geschrei und Brausen der Menge, welche von allen Seiten mit Balken und Dachleitern gegen Tor und Mauer anlief. Nicht lange, und sie sahen hier und da Bewaffnete über die Mauer springen, hörten das Klirren der Ketten und das Dröhnen der geöffneten Brücke. In hellen Haufen drangen die Belagerer über den Hof, ein Teil rannte nach Haus und Stall, Beute zu holen, der größere Schwarm zog sich zu dem Turme; voran Ritter Konz, der vom Pferde gesprungen war und in wildem Mute den Schild erhebend gegen den Steg lief. Als Henner den Verhaßten im Ansprunge sah, vermochte er sich nicht zurückzuhalten, er stürmte ihm über die Bretter entgegen und die beiden Starken schlugen aufeinander. Aber dem Marschalk war kein ritterlicher Kampf gestattet, die Knechte des Mühlburgers stachen mit ihren Speeren gegen ihn, und während er sich ihrer erwehrte, traf ein Schwertschlag des Ritters seine Schulter, daß er blutend zurücksank. Konz schrie freudig auf, doch es war sein letzter Ruf, denn in demselben Augenblick fuhr ein mächtiger Pfeil des Stellbogens ihm durch Harnisch und Brust, er stöhnte und fiel. Während die Mühlburger erschrocken zu ihm liefen, sprang Lutz vor, hob seinen Gesellen und half ihm über den Steg. Dann riß er das Brett, welches auf dem jenseitigen Grabenrande ruhte, zurück, und einen neuen Pfeil auf den Stellbogen legend, drohte er: »Heran, wer die zweite Gabe begehrt.«

Von der Landstraße ritt ein Geistlicher, begleitet von Dorso und einem andern Mönche, in den Hof. Es war Meister Konrad selbst. »Tretet zurück,« gebot er den Haufen, »damit nicht ohne Not das Leben frommer Christen gefährdet werde. Euch aber, der Ihr Herr dieses Hofes seid, mahne ich noch einmal, daß Ihr den ruchlosen Widerstand aufgebt gegen das Gesetz des Himmels und der Menschen, und daß Ihr Euren Leib überantwortet dem irdischen Richter, damit die Fürbitte der Heiligen Eure Seele errette aus der ewigen Verdammnis.«

Vom Turme her antwortete Ivo: »Vergeblich ist Eure Ladung, Ihr stolzer Priester; die hier versammelt sind, vertrauen einem barmherzigeren Richter als Ihr seid.«

Der Meister erhob die Hand. Die Mönche begannen ein Bußlied, zu welchem die anderen das Kyrie eleison schrien, und die Haufen strömten von allen Seiten gegen den Graben, schichteten Holzscheite, trugen Balken und schossen mit Brandpfeilen nach den Fensteröffnungen des Turmes. In dem Turmgewölbe war Ivo mit Friderun um die Wunde Henners beschäftigt, nur Lutz kniete, gedeckt von seinem Schilde, draußen am Standbogen und wartete auf die Gelegenheit, um an einem Verhaßten die letzte Rache zu nehmen.

Eine Dampfwolke brach aus dem Luftloch des Turmes. Brennendes Werg und Teer, die um einen Pfeil gewickelt waren, hatten in dem Raume gezündet, wo den Rossen für einen Fall der Not das Heu geschichtet war. Mit den Windstößen wogte der Dampf um die Mauern und umhüllte den Fuß des Turmes. Ein wildes Freudengeschrei erscholl aus dem Haufen.

Da schmetterte von draußen eine Posaune. Über die Brücke ritten vier Brüder vom deutschen Hause mit ihren Knechten, und Bruder Arnfried von der Naumburg rief über die Menge: »Wo weilt der Herr des Hofes, damit wir ihn grüßen und fragen?«

Meister Konrad antwortete: »Er birgt sich im Turme, verstrickt in dem Dampfe, den fromme Christen ihm entzündet. Was führt euch her, ihr Brüder?«

Arnfried versetzte: »Einer, der die Heimlichkeit des Ordens weiß, liegt hier in Not und sandte uns sein Zeichen.«

»Die dort liegen, sind Verbrecher an der heiligen Kirche und Verächter des Landesherrn, die Boten des Landgrafen und meine Schergen begehren ihren Leib, und ich vertraue, die frommen Brüder deines Hauses werden uns nicht hindern.«

»Du weißt, wir gehen in Frieden unsern Weg und üben unsere Werke. Wir hindern dich nicht in deinem Recht, wir suchen nur das unsere; wir kommen, weil wir gerufen sind, und wir begehren nur, was uns gehört.«

»Einen Alten und ein Weib, die meinen Boten höhnend trotzten und ruchlose Ketzerei ausschrien, hat der Mönch gefaßt für mein Gericht, beide gehören mir.«

»Ist der Alte mit dem Weibe ein Zugewandter unserer Bruderschaft und finden deine Späher Irrglauben in ihm, so soll ihn ein frommer Priesterbruder unseres Ordens belehren, und wenn er der Belehrung widersteht, so straft und richtet ihn die Bruderschaft, nicht du, nicht der Landgraf, auch nicht der Kaiser. Erst wenn er sich unserer Strafe versagt und aus dem Orden scheidet, magst du ihn nehmen und mit ihm tun, was deines Amtes ist.« Und er ritt vor gegen den Turm. Da sprang der Mönch Dorso wütend aus dem Haufen und schrie: »Hinweg, wagt es nicht, das brennende Ketzernest zu betreten, denn verdammt sind alle, die dort im Qualme hausen.«

»Ob die Flamme lodert, ob der üble Teufel im Wirbel fährt, wir reiten, wohin uns die Pflicht führt«, versetzte Arnfried; und an den Grabenrand sprengend rief er hinüber: »Ist ein Christenmann dort drinnen, so öffne er den Weg. Die Jungfrau mit dem Kinde begehrt Einlaß.«

Ivo trat aus dem Turme und grüßte den Bruder.

»Nicht freiwillig drangen wir in Euren Hof, edler Ivo,« sagte Arnfried, »wir kommen Euch nicht zu Hilfe und nicht zu Leide, nur Eure Gäste holen wir, weil sie sich das begehren.«

»Nehmt sie und seid gesegnet für Eure gute Tat«, sprach Ivo dagegen. Lutz hatte behend die Bretter des Steges zusammengefügt, er hob mit Ivo den alten Bernhard vom Boden, trug ihn über den Graben und legte ihn vor die Rosse der Bärtigen; Friderun folgte. Die Ritter traten zurück an den Turm, Bruder Arnfried, der Sarazene, stieg ab und schloß den Alten in seine Arme.

Da rief Meister Konrad unwillig: »Du hast genommen, Arnfried, was deiner Bruderschaft gehört; jetzt fordere ich, weiche von jenem anderen, der mir gehört.«

Friderun warf sich vor dem Rosse Arnfrieds nieder: »Rettet ihn, ehrwürdiger Bruder, nur weil er meinen Vater und mich dem rasenden Haufen entriß, hat der böse Mönch die Menge gegen ihn gehetzt.«

»Verteidige ihn nicht,« antwortete Arnfried traurig, »ich bin nicht Kläger und Richter über Unglauben, aber jene sind die Kläger, und sie üben ihr heißes Recht; ein freier Mann ist Herr Ivo und frei hat er sich sein Schicksal gewählt. Wir aber vermögen nur den zu schützen, der zu uns gehört.« Und er sprach über den Graben: »Habt Ihr, edler Ivo, mir noch etwas zu sagen, was man einem wohlmeinenden Manne vor dem letzten Scheiden anvertraut, so sprecht.«

»Sorgt mit der Treue, die ich an Euch kenne, für die Magd, die dort vor Euren Füßen liegt.«

 

Da ritt Meister Konrad aufs neue heran und begann: »Wieder bitte ich dich, Arnfried, daß du nicht freundlich zu dem Schuldigen redest, der gegen meine Rechte gefrevelt hat, denn du irrst mir die Menge und minderst das Ansehn meines heiligen Amtes.«

»Ich ehre und scheue dein schweres Amt, Konrad, wie dem frommen Christen gebührt. Aber denke auch, daß jener dort in unseren Augen nichts Arges tat, als er deinen Schergen die entzog, welche nicht vor dein Gericht gehörten, sondern vor das unsere. Hat er dir die Ehre des Amtes gekränkt, so siehe zu, was dir dein Amt und dein Gewissen gegen ihn erlauben; uns aber zürne nicht, wenn wir ihm in seiner letzten Not noch danken, soweit wir dürfen.«

Meister Konrad wandte sein Roß, redete leise zu dem Mönche Dorso, der ihm mit rachsüchtiger Freude zustimmte, und verließ darauf den Hof. Er hielt vor der Brücke bei dem Haufen der Mühlburger an, welche um den todwunden Konz versammelt waren, und sprach über diesem die Gebete, dann ritt er abwärts. Im Hofe hielten die Bärtigen finster gegenüber dem brennenden Turme; die Flamme schlug aus den Öffnungen und züngelte an dem Mauerwerk empor; Dorso aber und seine Begleiter türmten auf der Windseite Holzwerk und was sie sonst an Brennbarem fanden, zu einem Walle, und Dorso rief höhnend hinüber: »Ihr habt die Ketzerküchlein mir entführt, jetzt halten wir euch in eurem Bau umschlossen, kommt ihr nicht gutwillig heraus, so räuchern wir euch«, und er hielt eine Pechfackel an den Holzstoß. Ivo legte die Hand auf die Schulter des jungen Ritters, der sich hinter seinem Schilde am Graben niedergesetzt hatte, und wies über den Steg; doch dieser schüttelte das Haupt. Da neigte sich Ivo gegen die deutschen Brüder zum letzten Gruß, und die Hand gen Himmel hebend rief er mit heller Stimme: »Aus feuriger Lohe stieg mein Geschlecht hernieder in dies Land, hier stehe ich unter der letzten Mauer, die mir von dem Erbe meines Geschlechtes geblieben ist; in ihrem Brande will ich vergehen als ein Freier; ehrlich habe ich gelebt und ehrlich sterbe ich, und meine Seele empfehle ich der Gnade des erbarmenden Gottes.« Und er wandte sich nach dem Turme.

Aber ein alter Bruder ritt an den Grabenrand und rief zornig hinüber: »Willst du als ein König der Spielleute untergehen auf den Trümmern deiner Herrschaft? Ich denke, du hast gelernt, neue Burgen zu bauen. Ich mahne dich, Geselle, daß du mir im Preußenlande die Meßschnur haltest.«

Als Ivo die Stimme hörte, hielt er an und hob das Haupt, da sprang von der Seite des wunden Vaters Friderun empor und rief: »Vater, ich tue, was ich muß«, und über den Steg eilend, warf sie die Arme um den geliebten Mann: »Hast du den Willen, in den Flammen zu sterben, so will auch ich nicht leben. Darfst du im Leben mir nicht gehören, so will ich dein sein im Tode.« Ivo umschlang die Magd und küßte sie auf den Mund, er hielt sie in seinen Armen und rief: »Ich will mit euch leben, Sibold.«

Wie eine Beschwörung erklangen diese Worte zwischen Erde und Himmel. Einem Wunder gleich erschien es, daß zugleich das Tosen des Sturmes aufhörte. Die Flamme, welche der Mönch am Grabenrand entzündet hatte, um die Eingeschlossenen durch Dampf zu töten, flackerte aufwärts und die Rauchsäule stieg gegen die Wolken.

Die Brüder aber rückten um den Steg, und Arnfried sprach: »Wer unser Bruder sein will, der muß um Bruderschaft bei uns werben.«

»Ich werbe«, antwortete Ivo.

»Wer Bruderschaft des Ordens begehrt und dabei in weltlichen Ehren leben will,« fuhr Arnfried fort, »der muß uns einen Anteil geben, groß oder klein, an seiner Habe und an seinem Gut, an seinen Gedanken und an seinem Willen, damit der Welt kundwerde, daß er mit uns diene, und ich muß Euch fragen, seid Ihr dazu bereit?«

»Ich bin bereit«, antwortete Ivo, der Magd in die Augen blickend.

»Harret, während ich die Brüder frage, ob sie Euch als Mitbruder empfangen wollen in unserer Gemeinschaft.« Die Bärtigen stiegen von den Rossen, traten zusammen und verhandelten leise. Und Arnfried begann aufs neue: »Komm zu uns, Ivo, und knie nieder.« Da trat Ivo mit Friderun über den Steg und beugte das Knie, während Arnfried die Worte der Aufnahme sang: »Deus meus, salvum fac servum tuum, mein Gott, errette deinen Knecht.« Er segnete ihn mit dem Kreuz, hob ihn auf, küßte ihn auf den Mund und gebot: »Legt ihm das Gewand um.«

Dorso aber rief in Wut: »Heillos seid ihr selbst und mit Ketzern haltet ihr Gemeinschaft. Herbei, ihr frommen Pilger, helft gegen die Verräter.«

Da erhob sich unter den Brüdern ein zorniger Ruf: »Er lästert den Orden, werft den bellenden Hund in den Graben.« Doch Arnfried gebot: »Nicht so, führt den Mönch an der Hand über die Brücke und entlaßt ihn in Frieden, denn er hat nicht teil an unserer Arbeit, und wir nicht an der seinen. Ihr Brüder aber entrollt das Banner der Jungfrau und stoßt es in die Zinne des Tores, damit die Pilger und das Landvolk erkennen, daß die deutschen Brüder hier eine Heimat haben und ein Hospital. In dem Hause unseres Mitbruders bereitet die Lager und sorgt um die Verwundeten, denn das ist unser erstes Amt.«

Dem Befehl des Bruders gehorchten nicht nur die Bärtigen, auch viele der Eingedrungenen riefen ihm Heil zu, die erschrockenen Knechte kamen eifrig hervor, und dieselben Hände, welche vor kurzem das Holz geschichtet hatten, zerwarfen jetzt die Flammen.

Arnfried aber sprach zu Ivo: »In Freuden fasse ich deine Hand, mein Bruder; denn dieser Tag verbindet einen Mann von edlem Sinne zu ehrlichem Dienste mit anderen, welche auch zu den Guten unseres Volkes gehören. Du selbst magst den Anteil bestimmen, den du der Bruderschaft an deinem Erbe gewähren willst, und sei er groß oder klein, du wirst gut dabei fahren, denn der Orden vermag jetzt dein Recht zu vertreten, und unter dem schwarzen Kreuze wirst du der meisten Gegner ohne jeden Kampf ledig. Mit unserer Mitschwester Friderun wird einer von unseren alten Priestern gutwillig wegen ihres Irrglaubens sprechen, ihr Vater aber wird bald vor einem Richter stehen, der die Seelen und Gedanken der Menschen mit anderem Maße mißt, als wir zornigen Sünder.«

An Henners Lager kniete neben der Hausfrau des Ritters Friderun und klagte, über seine Hand gebeugt: »Für mich und meinen Vater empfingt Ihr die Wunde, und bitter schmerzt mich, daß ich Euch gezürnt habe.«

»Gehabt Euch darum nicht pleurant, liebe Magd,« versetzte Henner rücksichtsvoll, »ich tat Euch Willkommenes und Eurem Bruder Widerwärtiges, beides in meinem Amte.« Und die Hände Ivos festhaltend sprach er mit Anstrengung: »Sorgt für die Kummervollen, welche ich zurücklasse. Zu den lieben Engeln nehme ich den Ruhm, daß ich mit dem adligsten Herrn in Thüringen geritten bin, keinem war er untreu und keiner hat ihn jemals vom Pferde gestochen, ich aber war sein Marschalk. Speere her! Lutz, mein Geselle, halte auf Kernholz!« Er sank sterbend zurück.

Aus den Wolken sank friedebringender Regen, und das Himmelswasser rauschte hernieder auf die Mauern des ausgebrannten Turmes.

13. Schluß

Aus dem Hügellande Thüringen bewegte sich ein reisiger Zug ostwärts nach den Ufern der Weichsel. In der Urzeit hatte das gelbe Wasser des großen Stromes die Vandalen und Burgunder getrennt von Slawen und anderen Völkern fremden Stammes. Damals hatten sich die Germanenkrieger aus ihren östlichen Sitzen erhoben und waren wie Meereswogen eingebrochen in den Ländern des Westens, mildere Sonne und ein reicheres Leben begehrend. Jetzt strömte die Volkskraft der Deutschen in vielen kleineren Wellen wieder zurück von Westen nach Osten, und tausend Jahre nach der Auswanderung jener alten Germanen begannen die Thüringe und Sachsen an der Stromgrenze aufs neue den Kampf gegen die Fremden, mit stärkeren Waffen und festerer Kraft.

Der Haufe, welcher von den roten Bergen und dem Nessebach über die Saale zog, glich in vielem den Schwärmen alter Germanen, welche tausend Jahre vorher aus dem Osten gekommen waren; denn nicht nur gewappnete Krieger bildeten die Schar, ein langer Troß von Wagen und Karren folgte mit Kindern und Frauen, gezogen durch starke Rinder, beladen mit Saatkorn, Hausrat und Feldgerät. Und es war nicht allein die unruhige Jugend, welche auszog, auch grauhaarige Bauern mit ihren Hausfrauen saßen auf den Wagen oder schritten, das Kreuzlied singend, nebenher. Der alte Hartmann aus Friemar ritt in dem Haufen, der Freischöffe Isenhard und andere ansehnliche Nachbarn von der Nesse, welche Baugrund in einem Lande begehrten, wo sie als Christen ehrwürdig waren und wo man um anderes sorgte als um ihre Gedanken über die Macht des Vaters und des Sohnes. Auch deutsche Ordensleute zogen in der Schar, Bruder Sibold führte sie, und Ivo ritt als Mitbruder neben seinem Gemahl Friderun und in seinem Gefolge waren die Witwe Henners mit ihren zwei Knaben, Ritter Lutz und ein rotwangiges Dorfkind, das Berchtel aus Frienstädt.

Als der Zug über die Saale gesetzt hatte und auf der Höhe anhielt, damit die scheidenden Pilger noch einmal das Land ihrer Väter begrüßten, bestiegen Ivo und Friderun einen Felsen und blickten Hand in Hand hinüber nach dem blauen Streifen des Waldgebirges. Da klang in der Nähe Hufschlag eines einzelnen Reiters und Berthold stand vor ihnen. Wild und drohend war sein Aussehen, als er die Hand der Schwester ergriff und sprach: »Du trägst den Segen des alten Mannes auf deinem Haupte, meiner hat er nicht gedacht. Ich aber war in dem Hofe, den die Horden des Mönches ausgeraubt haben, ich kniete nieder am Herde und gelobte, den Vater zu rächen an seinem Mörder. Lebe wohl, Friderun, und Ihr, der Ihr über meine Schwester Herr geworden seid, macht an ihr gut, was Euer Gesinde an mir gefrevelt hat. Vernehmt Ihr von schwerer Tat, so wißt, daß es der Sohn des Richters ist, welcher eine Brandfackel in unserem Lande austilgt.« Und ohne Gruß trat er zurück und jagte den Bergen zu.

Je weiter die Fahrenden nach Osten drangen, desto größer wurde ihre Schar, mehr als einmal kamen sie bei ähnlichen Haufen gerüsteter Auswanderer vorüber, dann liefen die Fahrenden mit frohem Gruß zusammen als künftige Nachbarn und Streitgenossen. Während der Nächte rasteten sie in der Wagenburg, die sie aus ihren Karren zusammenstießen, auf einem Dorfanger oder in der Nähe einer ummauerten Stadt, bis sie das wilde Wasser der Weichsel erreichten. Dort lagerten sie am Ufer und zimmerten Fähren. Bruder Sibold aber fuhr mit Ivo über den Strom zu der Stelle, wo andere Brüder bereits um einen alten Eichbaum die kleine Holzburg gezimmert hatten. Dort steckten die beiden mit ihren Gehilfen Pfähle für ein Standlager, welches zu einer festen Stadt werden sollte und zu einer neuen Grenzburg der Deutschen. Den Brüdern gefiel, die neue Stätte Toron zu nennen, und sie dachten dabei mit Freude an einen Berg Accon, unter dem die Bremer vor vierzig Jahren das erste Spital des Ordens aus Segeltuch errichtet hatten. Die Kreuzfahrer aber taten jetzt am Gestade der Weichsel dieselbe Arbeit, welche frühere Waller im heiligen Lande geübt hatten, sie zogen die Gräben, erhöhten den Wall, richteten darüber aus Pfählen den Zaun einer Stadt und bauten in dem umschanzten Raum ihre Hütten. Fehlten ihnen in dem Flachland die Steine, so schichteten sie die Baumstämme des Waldes. Wie durch Zauber wuchs das neue Menschenwerk aus dem Boden, und auf dem Markt und in den Straßen der Stadt bewegte sich wenige Monate nach der Ankunft geschäftig die wohlgeordnete Gemeinde, der Kaufmann bot seine Waren feil, der Handwerker schnitt und hämmerte, und der Landbauer fuhr auf seinem Erntewagen den ersten Hafer ein.

In dem neuen deutschen Lager gründete auch Ivo sein Heimwesen. Zuerst war es ein Blockhaus, bald wurde es ein künstlicher Bau, welcher ansehnlich unter den Hütten ragte. Als Kriegsmann ritt er mit dem Kreuzheer gegen die Heiden und bei der ersten Ausfahrt führte er das Banner der thüringischen Pilger, wie einst seine Ahnen in den Kämpfen des Reiches das Banner ihrer Landschaft getragen hatten. Bald wurde er im Grenzlande ein vielgenannter Held, die Freude seiner Nachbarn und den Feinden furchtbar. Und ihm selbst hob sich das Herz in stolzem Behagen, als er sah, wie hier das Heidenland sich ganz nach dem Willen des weisen Sibold mit Burgen und Städten füllte, denn jeder Kreuzhaufe, der über die Weichsel kam, zimmerte eine neue Burg oder Feste und ließ Ansiedler für Dörfer oder eine neue Stadt zurück, und durch jede dieser Ansiedlungen wurden neue Meilen des Bodens den Heiden entrissen und mit deutschen Ansiedlern besetzt. Als Mitbruder blieb er auch den Bärtigen vertraut, und obgleich er nur ein Zugewandter war, welcher nicht im Rate der Bruderschaft stand und kein Ehrenamt bekleidete, so saßen die andern, welche sich der Jungfrau gelobt hatten und Eigentum und Haushalt entbehren mußten, doch lieber an seinem Herde nieder als anderswo, und mancher von ihnen betrachtete das Haus, in welchem Frau Friderun waltete, als seine Heimat.

 

Auch an wandernden Landsleuten fehlte es nicht, welche neue Kunde aus der Heimat zutrugen. Als erster kam Nikolaus mit seiner Laute. Ihn hatte die Furcht vor dem Mönche Dorso aus der Heimat vertrieben, er berichtete von dem frommen Ende der Frau Else, und von den wunderbaren Heilungen, welche sie in der letzten Zeit verrichtet, und klagte, daß seit ihrem Tode der Grimm des Priesters Konrad wie ein wildes Feuer durch das Land fuhr und unzählige Unglückliche zum Holzstoß führte. Als ihn Ivo aufforderte, im Preußenlande zu bleiben, wo seine Schreibekunst den neuen Bürgern wertvoll sein könne, da sah er traurig nach Friderun und schüttelte das Haupt. Doch einige Jahre später blieb er, und seit er das ansehnliche Amt des Stadtschreibers in einem neuen Burgsitz gewann, wurde er wohlhäbig und überwand seinen geheimen Gram, nur machte er zuweilen noch lateinische Verse, in denen die Anfangsbuchstaben, ohne daß es jemand merkte, zu dem Namen Friderun zusammenstimmten. Im nächsten Jahre zog ein anderer Gast, Berthold, mit einem sächsischen Kreuzhaufen durch das Stadttor. Aber erst am Abend betrat er Ivos Haus, dem Diener, welcher ihn ankündigte, nannte er einen fremden Namen, und im ersten Morgengrau ritt er, durch Ivo über die Stadtmark geleitet, zum Kampfe mit den Heiden von dannen. Die thüringischen Ansiedler aber erfuhren von anderen Wallern, daß Meister Konrad auf der Heerstraße durch unbekannte Rächer erschlagen, und die Brandfackel Deutschlands in Blut ausgelöscht sei.

Als endlich der große Ordensmeister Hermann selbst über die Weichsel kam, da war Ivos Haus die erste Herberge, welche er auf dem neuen Grunde der Deutschen besuchte. Er saß zwischen Friderun und ihrem Gatten und begann: »Dir, Schwester, bringe ich einen Gruß der Herzogin Hedwig, welche am Kaiserhofe lebt, von vielen umfreit und von den Sängern gepriesen. Sie sprach zu mir: Grüßt die Hausfrau, und nicht ihn, damit sie erkenne, daß ich ihr Recht ehre und ihr Gutes wünsche.« Darauf erzählte er, daß Kaiser Friedrich über die Alpen nach Deutschland gekommen sei. »Wie war sein Heergefolge, Meister?« fragte Ivo.

»Er zog ohne Heer. Dreißig Kamele trugen ihm Kisten nach, darunter einige mit Gold gefüllte für die deutschen Fürsten.«

»Wie widersteht er bei uns der Herrschaft des heiligen Vaters? Denn wir hören, daß die großen Häupter der Christenheit wieder uneinig sind.«

»Er hat, um seine Gläubigkeit zu erweisen, mit seinen Schultern den Sarg der Frau Else getragen, da diese als Heilige beigesetzt wurde«, antwortete der Meister ernsthaft. Die Männer sahen einander an. »Oft muß der große Kaiser tun, was er im geheimen mißbilligt oder verachtet,« fuhr Hermann traurig fort, »und doch wird seine Herrschaft im Reiche allmählich schwach und zu eitlem Scheine. Er ist so stolz auf die Majestät seines kaiserlichen Amtes und doch wurde sein Schicksal, daß er sich selbst die Wurzeln seiner Herrenmacht zerstören muß.«

»Die Leute hier sorgen oft, daß die Herrlichkeit das Reiches klein werde, und sie befürchten Unheil auch für unsere Burgen im Preußenland.«

»Der bescheidene Mann meidet vergeblich Sorge. Du weißt, wir Brüder deuten nicht und grübeln nicht, wir schaffen schweigsam und warten überall unseres Amtes. Hier im Lande säen wir deutsche Saat. Wenn einst die Zeit der Ernte kommt, dann mögen andere zusehen, die nach uns leben.« Er wies auf zwei blondhaarige Knaben, welche an die Knie der Mutter geschmiegt den fremden Herrn anstarrten.

Auch die deutsche Saat, bei welcher Ivo tätig war, wurde zuweilen durch die Kriegsrosse der heidnischen Preußen niedergetreten. Es war ein harter Kampf und es war ein sorgenreiches Wachstum, aber ihm erschien er als groß und als heilsam für alle, die er lieb hatte. Wenn er mit seinem treuen Gesellen Lutz gegen die Feinde ritt oder wenn er im Rate der Ansiedler tagte, sooft er den alten Sibold gleich einem Ahnherrn zwischen der Kinderschar sitzen sah, welche in seinem Hause aufblühte, und immer wenn er das mutige und hochgesinnte Weib im Arme hielt, welches sich ihm in der Todesnot verlobt hatte, freute er sich des Tages, wo er ein Mitbruder des deutschen Hauses geworden war und aus einem thüringischen Edeln der Ivo, den sie den König nannten, ein Burgmann von Thorn.