Kostenlos

Die Ahnen

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ivo sank schweigend auf seinen Sitz und Nikolaus fuhr schadenfroh fort: »Wer jetzt eine ritterliche Weise in dem Hause singt, wird den Weg zur Herrin von Riemen und Eisen frei finden.«



»Er ist geschwunden und die Herrin ist frei«, hallte es in Ivos Seele nach, er stand auf und verließ das Zimmer.



12. Der Mitbruder

Wieder wehte der Mai mit warmem Hauch durch das Land und hing sein grünes Gewand um die entlaubten Bäume, wieder regte sich das frohe Leben auf Heide und Flur, und die Herzen der bekümmerten Menschen erhoben sich in neuer Hoffnung. Auch in dem Edelhofe war der goldene Schein zu erkennen, welchen das Sonnenlicht in die Seelen warf. Jedermann schritt stolzer einher; wer den ganzen Winter kein Lied gesungen hatte, der summte jetzt die fast vergessene Weise; aus den Kammern der Knechte erklang jeden Abend ein lustiger Rundgesang, Lutz, der sich wenig über den Winterfrost gegrämt hatte, bürstete viel über Bart und Haar und betrachtete vergnügt die glänzende Borte, welche er seinem Mädchen als Gürtel schenken wollte; Nikolaus war oft über seiner neubesaiteten Laute zu finden und sogar der Marschalk ehrte die frohe Jahreszeit, indem er eigenhändig einen großen Topf mit Farbe über den Hof trug und den Knechten gebot, das Speerholz säuberlich mit den Wappenfarben des Herrn zu bemalen. Ivo blickte wieder von der Galerie herab auf das kleine Baumgehege an der Mauer und hörte lachend auf den Gruß des thüringischen Finken, den er jahrelang nicht vernommen hatte. Öfter als sonst ließ er sein Pferd satteln, um nach dem Hofe des alten Bauern zu reiten. Denn dort erwartete ihn ein Weib, das er seit der Heimkehr gern als seine Schwester begrüßte.



Aber mit dem Frühling kam auch die Unruhe und Reiselust in das Volk; überall sprachen die Leute von der neuen Kreuzfahrt, die den Seelen ebenso heilsam sein sollte wie die früheren und doch weit weniger mühsam. Oft verließ die Dorfjugend den Anger und das Spiel mit dem bunten Ball, um auf die heftigen Mahnungen eines braunen Mönches zu hören, der auf dem Kirchhofe zur Fahrt in das Preußenland trieb und dabei von der Fülle guter Dinge berichtete, welche dort für begehrliche Weltkinder zu finden seien. Zuweilen zogen auf der Landstraße wandernde Haufen mit Gesang und Geschrei dem Ostlande zu, meist leichtfertiges und unstetes Volk, die ersten Schaumwellen der beginnenden Strömung, doch war auch mancher ehrenwerte Mann darunter, und in den Dörfern der Umgegend nannte man bereits die Namen seßhafter Wirte, welche ebenfalls daran dachten, sich zu erheben. Stärker als in anderen Jahren arbeitete das Sommerleben in der Natur und in den Seelen der Menschen, der Frühling war spät gekommen, aber als heißer und starker Gebieter. Fast plötzlich bedeckte sich der Grund mit Grün und die Obstbäume mit ihrem weißen Blütenschmuck, in unaufhörlichem Wechsel folgten heißes Tageslicht und befruchtender Regen, und wenn der Ackersmann auf die üppig wuchernde Saat schaute, so schüttelte er wohl das Haupt über die unerwartete Herrlichkeit und sorgte, daß der kalte Feind noch einmal zerstörend in das Land dringen werde.



Nach einem warmen Tage trat Ivo auf den Söller seines Hauses. Er staunte über den Wohlgeruch, welcher von der Wiese und den Blütenbäumen aufstieg, die Sonne war glühend rot gesunken, kein Tropfen Tau hing am Boden und die stille Luft wurde ihm so schwül, daß er sein Gewand aufriß. In der Höhe zogen die Wolken hastig um die Mondsichel, unter den kleinen Lichtflocken schoben sich graue unförmliche Gebilde dahin, jedes mit lichten Rändern umsäumt, während über den roten Hügeln und dem Bergwald die schwere schwarze Finsternis lagerte; dort sammelten sich die Gewaltigen der Luft zu einer großen Schlacht, und die Kinder der Erde harrten in bangem Schweigen auf den bevorstehenden Kampf. Ivo war den Tag im Hofe Bernhards gewesen und Friderun hatte zum erstenmal von ihrer Sorge um den Vater gesprochen, von seinem düstern Grübeln und von dem wilden Feuer, mit welchem er ihr und den Nachbarn das erforschte Geheimnis der heiligen Lehre verkündete. »Sie geht still durch Hof und Haus,« dachte Ivo, »schafft unablässig für den Vater und sorgt warmherzig um viele andere, immer ist ihre Rede mutvoll, aber ihr Lächeln wird traurig, ich sorge, ihr Herz ist schwer bekümmert und sie lebt in Erwartung eines Unheils.« Lange stand er und sah in die dunkle Landschaft, aus dem Hofe klang ein kriegerisches Lied, welches Nikolaus den Knechten vorsang, auf dem Lande lag tiefes Schweigen. Der Mond war verschwunden und dichte Finsternis deckte Himmel und Erde, vergebens sah er aus nach einem Blitz und hätte sich gefreut, das Rollen des Donners zu hören. Da suchte auch er mit einem Seufzer sein Lager.



Dort warf er sich unruhig umher, bis ihm endlich ein bleischwerer Schlaf die Glieder lähmte. Er vernahm nicht, daß sich der Wettersturm erhob, daß er die Baumblüten raufte und Äste brach und mit wilden Stößen um das Haus fuhr, durch den Hof fegte und an die Stalltüren schlug, bis die Rosse bäumten und die Rinder in Angst brüllten. Die Blitze zerrissen das schwere Wolkendach, der ganze Himmel loderte von Flammen und der Donner krachte und rollte unaufhörlich. Henner sprang auf dem schmalen Steg, der von seinem Hofe über den Wallgraben führte, zu den Kammern der Knechte, er fand die Männer wach und ermahnte sie auf den Hof und das Herrenhaus zu achten. »Wir Thüringe wissen, was ein tüchtiges Wetter heißt, aber solche Wut der Wolken hat noch keiner erlebt, denn armesdick fallen die feurigen Strahlen«; Lutz, welcher Türme und Wall des Hofes beschritten und den erschrockenen Torwächter getröstet hatte, rief durch das Brausen: »Von den roten Bergen hebt sich ein Feuerschein gegen den Himmel, dort liegt das Wetter über dem Talkessel, mir scheint, es versengt den Mühlburgern ihre Schlafdecken, und der Regen bleibt aus, der ihnen beim Löschen helfen sollte.« Im ersten Morgengrau öffneten die Männer das Tor und drangen mühsam durch den tobenden Sturm zu der nächsten Anhöhe, dort wiesen sie nach den Höhen und hoben die Arme. Als Henner zu ihnen kam, sah er von jeder der drei Burgen, welche auf den Bergen standen, eine Flamme und eine Rauchwolke aufsteigen zu dem schwarzen Himmel, aus dem noch immer die Blitze um den mißfarbigen Dampf zuckten. Da rief er bekümmert: »Dort fährt die Lohe aus den drei Steinringen, in denen vorzeiten das Geschlecht meines Herrn aufgewachsen ist, und Herr Ivo schläft. Ich war in seiner Kammer, doch ich scheute mich, ihn zu wecken.«



»Blieb doch unser Hof verschont«, tröstete Lutz.



»Dennoch darf er nicht liegen, während ihm der Himmel diese drei Lichter angezündet hat,« sprach Henner und kämpfte sich zurück nach dem Hofe.



Ivo fuhr empor, als ihn der Treue am Arm zog, er richtete sich auf und hörte erstaunt auf das Tosen im Freien. »Mir träumte so deutlich, wie ich Euch vor mir sehe, daß ich auf meinem Lager hingestreckt war, meine Hausfrau hielt ich im Arme, ihr Haupt und ihr langes Haar war an meiner Brust und ich fühlte den Schmerz in meiner Wunde. Um mich hörte ich Kampfgeschrei, über mir flammte das Hausdach und es knisterten die brennenden Balken. Doch war es nicht dieses Haus. Ihr aber, Henner, saßet abgewandt von mir am Fuß meines Lagers, das Schwert in den Händen. Der Donner dröhnte, da wecktet Ihr mich. Gern wüßte ich, was der Traum bedeutet.«



»Saht Ihr Flammen im Traume, so mag er Euch eine gute Neuigkeit verkünden«, antwortete Henner ernsthaft. »Dem andern aber, der abgewandt von Euch saß, weissagt er Übles. Steht auf, Herr, denn auch draußen hat das Wetter ein Zeichen aus den Wolken gesandt, das Euer Geschlecht angeht.«



Als der Morgen kam, sahen die im Hofe ringsum den Schaden der Sturmnacht: geworfene Baumstämme, niedergelegte Zäune, zerraufte Dächer und am Horizont hier und da aufsteigende Rauchwolken. Noch immer rollte der Donner, der Wind trieb die Wolken in hoher Luft und hinderte den Regen. Ivo stieg von dem alten Turme herab und winkte dem Schüler: »Es brennt in der Richtung von Friemar, wirf dich auf den Gaul, frage, wie es um den Hof des Alten steht.« Nikolaus sattelte willig sein Rößlein und trabte aus dem Hofe, während sein Schülermantel wie ein schwarzes Segel über den Kopf flog.



Die Sonne stieg höher, es sauste und pfiff in der Luft, und jedem war, als sei das ungeheure Wetter nicht zu Ende; da klang der Hornruf des Türmers, welcher das Nahen Bewaffneter anzeigte. Gleich darauf jagten fremde Reiter heran, und Lutz, der über dem Tore stand, erkannte mit Staunen die Turbane und Rüstungen maurischer Leibwachen. Er rief, alter Genossenschaft eingedenk, den Ungläubigen von der Zinne arabischen Gruß entgegen und empfing die Botschaft eines reichgeschmückten Knaben, der zwischen den Bewaffneten hervorritt und meldete, die Herzogin Hedwig von Staufen erbitte auf ihrem Wege nach Erfurt die Gastfreundschaft des Hofes.



Atemlos trug Lutz seinem Herrn die Nachricht zu. Ivo empfing sie schweigend, das Blut schoß ihm zum Herzen und übergoß gleich darauf seine Wangen mit dunkler Röte. »Bereitet Euch, sie zu empfangen,« rief er, sich umwendend, entließ den Boten und sprang auf das Tor, um dem Flüchtigen nachzusehen, ganz betäubt durch die große Erwartung. Henner kam eilfertig heran: »Der Hof ist übel für den Besuch einer Fürstin vorbereitet, darf ich Frau Jutte rufen, damit sie der erlauchten Frau zu Diensten sei?« Ivo wehrte: »Treibt Eure Hausfrau nicht in ihr Festgewand, ich denke, die Herrin wird Nachsicht in einem Reiterhaushalt üben.«



Ein glänzender Zug stob heran, Schleier und bunte Gewänder wehten im Winde, Henner erkannte Frau Wendelmuth und den Krämer Volko und hinter den maurischen Kriegern auch beladene Saumtiere. Ivo trat der Herrin auf der Brücke entgegen, und als er das Knie beugte, lachte ihn Hedwig von ihrem Rosse herzlich an: »Wir suchen bei dem ritterlichen Herrn Schutz gegen die wilden Wetter des Landes, nehmt gütig die Zudringlichen auf und bietet uns Willkommen wie alten Freunden.«

 



Ivo stand unter den strahlenden Augen des schönen Weibes und aufs neue umfing ihn der Zauber. »Nehmt vorlieb, der Wirt war lange in der Fremde und der Hof ist verwüstet«, rief er, indem die helle Freude sein Antlitz verklärte. Er selbst führte ihr Roß am Zügel in den Hof, und als er zur Seite trat, um sie herabzuheben, griff sie lachend in sein langes Haar und hielt sich daran, während sie zu Boden glitt. Als er sie in das Haus führte, warf sie einen schnellen Blick umher und sprach halb zu dem Gefolge: »Nicht lange denken wir Euch zu belästigen, und da dem Hause die Herrin fehlt, so bitte ich, gestattet meinen Frauen, daß sie mein Reisegerät in der edlen Herberge ausbreiten.« Ivo wies für das Gefolge auf die Hallen des Unterstocks und führte Frau Hedwig hinauf in seine Behausung, den einzigen wohnlichen Raum seit der Rückkehr. »Ich merke wohl, daß ich Euch nichts bieten kann, als meine Freude«, sagte er entschuldigend.



»Hier ist Euer Heimwesen? Nirgend will ich lieber weilen«, antwortete Hedwig. »Ich sehe die Rüstungen an der Wand, die Harfe und hier einen Söller, den ich kannte, bevor ich ihn sah.« Sie winkte der stummen Dienerin, das Mädchen flog hinab, im nächsten Augenblick wurden umhüllte Ballen herzugetragen und die Kammern und das Gemach mit Polstern und Teppichen belegt. Wieder ein Wink der Herrin und die Diener verschwanden, Hedwig stand Ivo allein gegenüber. Sie sah ihn innig an und hielt ihm die Hand entgegen. »Da hast du das Käuzlein«, sprach sie mit zuckenden Lippen. Hingerissen von der holden Mahnung senkte Ivo in tiefer Bewegung das Knie.



Leise berührte sie ihm das Haupt. »Steht auf, Ivo, uns beide hat die Zeit verwandelt und der Scherz des jugendlichen Frauendienstes mag uns nicht mehr geziemen. Kommt, setzt Euch zu mir und laßt uns beide wissen, wie jetzt die alte Liederweise in unsern Herzen klingt. Heut ist der Tag, wo ich mein Trauergewand abgetan habe; dieser Tag sollte dem Manne gehören, der mir vor anderen vertraut war.«



»Liebe Herrin«, rief Ivo.



»Still, Geselle,« mahnte sie, »laß mich bedächtig reden. Es ist lange her, seit ich dich als fahrenden Helden bei der Burg meines Vaters entdeckte, wie du am Quell lagst und schliefst. Der erste Kuß, den ich einem Manne gab, haftet an deinen Lippen, das kann ich nicht vergessen, Ivo. Uns beiden ist dadurch das Leben schwer geworden. Der Kaiser zwang mich, einem verhaßten Manne zu folgen, und ich habe die traurige Kunst der Frauen geübt, mich zu verstellen und zu lachen, während ich in meiner Seele Bitterkeit fühlte. Du aber hast, als ich dir entfremdet wurde, treu zu mir gehalten; du weißt nicht, wie oft der Gedanke an deinen demütigen Dienst mein einziges Glück war, an dem ich mich aufgerichtet habe, indem ich unter den Argen lebte. Aber dir und mir hat unsere Liebe zuletzt Not gebracht, und scharfes Eisen hat in das Band geschnitten, welches zwischen uns geschlungen war. Ich bin hier, um zu prüfen, ob das alte Bündnis noch dich und mich zusammenhält.«



Ivo wußte nicht, daß sie in derselben Stunde, in der sie die Kunde von seinem Leben erhielt, einen andern dem Arm des Rächers preisgegeben hatte; aber ihm fiel aufs Herz, daß eine wahrhafte Magd in der Nähe mit Unwillen an die List dachte, durch welche sie damals zur Zeugin gemacht worden war. Und der Gedanke an Friderun hing sich wie ein Reif an die Freuden seiner Mailiebe. Darum erwiderte er mit Haltung: »Beide hatten wir einem Fremden Anrecht gegeben, unsere Liebe zu hassen; daß er die Rache nehmen würde in seiner Weise, haben wir erwartet und wir mußten die Rache ertragen.«



Hedwig ahnte, daß ihr Falke anders flog als sie wollte, und sie fragte sich in der Stille angstvoll, ob er alles wisse und ob er ihr deshalb zürne. Aber als sie Ivos Blick unsicher und fragend auf sich gerichtet fand, erhob sie stolz das Haupt: »Jetzt sind wir beide frei. Wisse, Ivo, ich war seitdem bei dem Kaiser. Er nannte deinen Namen nicht, als er von meiner Zukunft sprach, aber gleich darauf begann er in großer Güte von dir zu reden, daß er dir das Beste gönne und daß er dir Hohes gewähren würde. Und er sagte: Ich vernahm, daß ihm sein Haus zerrüttet ist, weil er in meinem Dienst überlange verweilt wurde, mir wäre ganz recht, wenn eine Frauenhand ihn dieser lästigen Sorge enthöbe.« Frau Hedwig sah auf ihre eigene Hand, als sie fortfuhr: »Sieh zu, Ivo, ob du eine solche Hand findest.«



Das waren ruhige Worte, aber sie regten in der Seele des Mannes einen wilden Sturm von Gedanken auf. Hier ein enges Leben, gefüllt mit Demütigungen und einem endlosen Streit gegen widerwärtige Nachbarn, an ihrer Seite Reichtum und Glanz des Kaiserhofes, Herrschaft und Kriegsruhm. Er atmete tief, als er wie im Scherz antwortete: »Wir loben den Heldenmut des Mannes nicht, der sich durch ein Weib aus der Bedrängnis retten läßt. Ist die Mitgift der Hausfrau zu groß und die Morgengabe des Gatten zu gering, wie kann der Wirt die Herrschaft im Hause bewahren?«



»Denke stolzer von dir, Ivo; du selbst rühmtest einst in meiner Gegenwart gegen den Landgrafen die Hoheit deiner Ahnen. Wisse, Held, dies Geschlecht der Landgrafen ist dem Kaiser verleidet, und wenig Gutes erwartet er in Zukunft von ihm, vielleicht ist der Tag nicht fern, wo er sogar gegen sie rüstet. Wer ihm das Heer führt und die stolzen Häupter dieser Herren wirft, der mag selbst in ihrem Stuhle niedersitzen.« Das sprach sie in tiefem Ernste, Ivo wußte recht wohl, daß es nicht eitle Worte waren, und in seinem Auge blitzte der alte Stolz seines Hauses. Doch während sich Hedwig über die Glut freute, die sie in ihm entzündet hatte, fühlte sie den festen Druck seiner Hand und vernahm die traurigen Worte: »Lade nicht die Gewaltigen der Welt zu Bundesgenossen unseres Glückes. Aus Herrschsucht und Ehrgeiz darf ich dein Gemahl nicht werden, von solchem Elend hast du zur Genüge gekostet. Nur wenn wir beide uns im Herzen vertrauen, und wenn du in treuer Liebe zu mir stehen kannst, wie es mir auch in meinem Leben gelinge, nur dann sollst du dich zu mir neigen wie einst. Rühmte der Kaiser gegen dich meine Treue, so sage ich dir, ich ehre in Demut den großen Geist des Herrn, aber ich vermag ihm nicht zu folgen in seinen Gedanken und nicht auf seinen Wegen. Einfach bin ich in Sinn und Sitte. Wie enge und klein das Leben ist, in dem ich aufwuchs, habe ich in der Fremde völlig erkannt. Dennoch will ich die heimische Art nicht von mir abtun; redlich will ich bleiben in Liebe und Haß, die gewundenen Gedanken und die kalte List des Kaisers Friedrich kann ich nicht loben und ich will keinen Teil daran haben. Frei gedenke ich zu leben nach meinem Gewissen auch gegenüber seinem Willen. Und darum sage ich dir, Diener und Werkzeug der Hohenstaufen wird der Mann nicht, welcher sich einst im Mairitt vor dir berühmte, ein Nachkomme des alten Helden Ingram zu sein.«



Hedwig trat abgewandt auf den Söller und blickte nach den geballten Wolken. »Du zürnst, Herrin,« fuhr Ivo traurig fort, »merke wohl, heut schaust du das Gewand deines Kauzes beim Tageslicht, da erscheint es dir weit anders als sonst im Dämmerscheine und ganz ins Fahle und Schmucklose gewandelt. Halte mich darum nicht für unsinnig, wie die Tagesvögel mit dem Käuzlein tun. Dort an der Seite siehst du den alten Turm, die einzige Erinnerung an meine Vorfahren, er ist zerrissen und geflickt, ein guter Aufenthalt für Nachtvögel, nicht lange, und er sinkt in Trümmer. Aber solange sein Haupt gegen die Berge ragt, bewahre ich mir den Stolz, ein kleiner Herr zu sein und nicht ein mächtiger Diener.«



Hedwig wandte sich zu ihm und lachte; so zutraulich und herzlich war ihr Lachen, daß auch er nicht ganz ernsthaft blieb. »Wir sind beide kindisch, daß wir in der ersten Stunde des Wiedersehens vom Kaiser und von den Vätern reden statt von uns beiden. Ivo, geliebter Mann, ahnst du nicht, was ich dir bringe? Es ist die Erfüllung des Versprechens, das wir als Frau und Ritter einander gaben, sieh her.« Sie öffnete die Tür des kleinen Gemaches, in welchem die stumme Dienerin geschäftig gewesen war; über das Lager, welches sonst dem Hausherrn diente, war ein großer Hermelinmantel gebreitet, und dabei lag die Speerbeute des Mairittes, die wallende Kappe, welche aus Wappenzeichen zusammengenäht war. Hedwig warf die Kappe um ihre Schulter. »So komme ich zu dir, mein Ritter, wie ich dir verhieß, Gabe um Gabe, du gewannst mir den Mantel, ich bringe dir die Frau.« Sie warf sich in seine Arme und drückte ihn fest an sich. Die heißen Küsse des Mannes schlossen ihr den Mund.



Ivo hörte nicht den Hufschlag des Pferdes und nicht die Menschenstimme, welche ihn aus der Ferne ängstlich rief. Gleich darauf lärmte es im Hause und pochte wild an die Tür und der Schüler rief: »Zu Hilfe, Herr Ivo.«



Als Ivo öffnete, stand Nikolaus ganz außer sich mit schlotternden Gliedern vor ihm: »Friderun und ihr Vater sind gebunden, der Teufel Dorso führt sie wegen Ketzerei nach Erfurt. Rettet sie«, schrie er, die Hände ringend, »sie werden zum Holzstoß getrieben.«



Ivo starrte wie einer, der aus dem Traume erwacht.



»Die Magd sprang in die Flamme«, murmelte er und fragte, nach dem Harnisch an der Wand greifend: »Welchen Weg ziehen sie?«



»Die Straße jenseits der Nesse; der Alte ist verwundet, beide sind auf einen Karren gesetzt. Seitdem ist fast eine Stunde vergangen, obwohl ich mit dem Winde ritt.«



»Rufe den Hof zu Pferde.« Nikolaus flog die Treppe hinab, gleich darauf klang der Ton eines Hornes über den Hof. »Verzeiht, Herrin,« sprach Ivo tonlos, »wenn ich Euch verlasse, gröblich fehle ich gegen die Pflichten eines Wirtes«, und er warf sich das Eisenhemd über.



Hedwig stand bleich wie er selbst. »Ist jene, um deren Rettung Ihr reiten wollt, die Magd, welche für Euch zum Kaiser ging?«



»Sie ist es,« antwortete Ivo über seiner Arbeit, »Ihr wißt, ich bin ihr Dank schuldig.«



»Sendet Eure Dienstmannen mit meinen Speerreitern«, rief Hedwig, ihn am Arme haltend. »Nur Ihr verlaßt mich nicht in dieser Stunde.«



»Die Hilfe der Heiden, welche einen Mönch angreifen, würde das Verderben der Gebundenen vollenden. Verzeiht mir, ich bitte,« wiederholte er, »unhöflich handelt der Hausherr, welcher den Gast allein läßt.«



»Nicht deinen Gast kränkst du, wenn du jetzt von mir scheidest, sondern ein Weib, welches, die Liebe im Herzen, zu dir kam.«



»Auch Ihr könntet mich nicht lieben und nicht ehren, wenn ich treulos handelte gegen meine Freunde.«



Und wieder faßte Hedwig ihn am Arm und rief mit blitzenden Augen: »Willst du der Nichte des Kaisers Schimpf antun in deinem eigenen Hause, um die Bauerndirne zu retten?«



»Ich gehe die zu retten, welche in Not ist«, antwortete er, sein Schwert umgürtend. »Übt Großmut, Hedwig, und entlaßt mich ohne Vorwurf.«



Sie aber hielt ihm den Arm fest. »Ivo, ich kenne den Priester Konrad, dem es eine wilde Lust ist, der büßenden Landgräfin den nackten Rücken zu peitschen. Du selbst wirfst dich, wenn du gehst, in Todesnot, aus welcher keine Erdenmacht dich erlöst.«



»Das ist wohl möglich,« antwortete Ivo zerstreut und suchte in seinen Waffen, »Meister Konrad versteht zu hassen.«



Hedwig trat zurück und neigte ihr Haupt über die Harfe, sie fuhr mit den Fingern heftig durch die Saiten, die Weise des Herrn Ivo spielend; immer schneller und stürmischer wurden die Griffe, bis die Saiten mit schrillem Mißton zerrissen, da fuhr sie auf und starrte nach ihm, und als er den Helm ergriff und die bergende Eisenhülle über sein Haupt legte, faßte sie das Saitenspiel und schleuderte es in wildem Schwunge vor seine Füße, daß es klirrend zerbrach. Sie aber warf sich auf das Lager und verhüllte das Haupt. Ivo sprang aus der Tür. Im nächsten Augenblicke dröhnte Hufschlag der Davonreitenden auf der Brücke.



Als Nikolaus am Morgen nach scharfem Ritt in das Dorf gekommen war, hatte er keinen Wetterbrand gefunden, aber eine aufgeregte Gemeinde. Schon in der Ferne vernahm er zu ungewohnter Stunde unablässiges Glockengeläut und bei der Kirche hörte er predigen und erkannte die mißtönende Stimme des Mönches Dorso. Dieser stand über der Kirchhofsmauer, umgeben von seinen Handlangern und von fremden Landläufern, welche mit dem roten Kreuz gezeichnet waren, und las einen Brief vor, in welchem Kaiser und König geboten, die Ketzer, welche Meister Konrad verklagen würde, in weltlichem Gericht abzuurteilen, damit sie an Leib und Leben gestraft würden. Und der Mönch rief: »Hier stehe ich in heiligem Amte, um die Böcke von den frommen Schafen zu scheiden und die Ruchlosen zum Holzstoß zu führen. Hohen Preis hat der heilige Vater für die Treuen gesetzt, welche einen Irrgläubigen, den sie etwa kennen, anzeigen; denn Habe und Gut soll dem Untreuen genommen und den Treuen zugeteilt werden, Haus und Hof des Ketzers werden den eifrigen Kindern Gottes preisgegeben, damit sie sich daraus auch irdischen Lohn holen für ihre Frömmigkeit.« Und das Holzkreuz schwenkend, schrie er: »Darum weise ich das Kreuz und lade die frommen Zeugen zum ersten, zweiten und dritten Male vor mein Angesicht; scheuen sie sich laut zu rufen, so mögen sie mir ihren Argwohn leise anvertrauen, denn dazu bin ich hier.«

 



Da erhob sich unter den Wirten, welche umherstanden, ein unwilliges Gemurr, und aus dem Haufen trat ein alter Mann mit weißem Haar und festen Zügen und sprach mit lauter Stimme: »Wir aber halten Eure Verkündigung für ungerecht, denn leichtfertige Angeber und falsche Zeugen lockt Ihr durch wilden Preis, und jeden Herrn über Haus und Hof liefert Ihr in die Macht habgieriger Bösewichte. Wir Alten im Dorfe wollen uns wahren gegen so freche Forderung, und wir raten Euch, Euer Holzkreuz wieder auf die Schulter zu nehmen und abzuziehen aus unserer Flur.«



»Hallo,« rief der Mönch erstaunt, »ich höre, der schwarze Höllenmohr hat sich einen weißhaarigen Knappen geworben. Hast du nicht die Briefe gehört? Willst du es wagen, den Geboten des heiligen Vaters und des Kaisers zu widerstehen? Mißfällt dir ihr Inhalt, so gibst du deine eigene Bosheit zu erkennen, und ich will sogleich mit dir den Anfang machen und forschen, wie es mit deinem Glauben bestellt ist.«



Da drang ein Weib durch den Haufen und Friderun faßte flehend den Arm des Vaters. »Antwortet ihm nicht, Vater, und kehrt dem Wilden den Rücken.« Aber der Alte schüttelte sie heftig ab: »Meinst du, ich werde schweigen, wo es gilt, die Wahrheit zu bekennen und die teure Offenbarung«, und er warf dem Mönch entgegen: »An die kaiserlichen Briefe glauben wir nicht, denn wir wissen besser, wie unser Herr und Kaiser gegen uns Landleute gesinnt ist. An der Aufforderung des Papstes aber, welchen Ihr den heiligen Vater nennt, erkennen wir, daß sie hohem Zeugnis der Schrift widerstrebt.«



»Er lästert die Ordnung der hohen Apostel,« schrie der Mönch, zu seinem Haufen gewandt, »er bestreitet die Gewalt der heiligen Kirche«, und sein Gefolge heulte ihm die Worte nach. »Ein gottverdammter Ketzer bist du, Schriftgelehrter im Bauernrocke, und du selbst hast dir das Urteil gesprochen. Werft euch auf ihn und faßt mir den Schurken.«



Über die Kirchhofsmauer sprang der wütende Haufe gegen den Alten ein, um ihn sammelte sich ein Teil der Dorfleute und in wildem Tumulte blitzten die Waffen, der Mönch aber erhob sich auf der Mauer, streckte sein Kreuz in die Höhe und warnte mit dröhnender Stimme: »Verflucht sei, wer die Hand für ihn hebt, er ist gezeichnet und verdammt; weicht zurück, ihr Christenleute, flieht vor dem Kerker auf Erden und vor dem Höllenfeuer.«



Da wichen die Leute bleich und entsetzt zurück, auch die Alten des Dorfes standen finster zur Seite, und mancher schlich sich nach seinem Hause. Bernhard aber warf sein Schwert auf den Boden und rief: »Der Tag ist gekommen, Zeugnis zu geben; fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, denn die Seele vermögen sie nicht zu töten. Hier stehe ich als ein Bekenner des Herrn, Trotz zu bieten den Pfaffen und Pharisäern, welche uns die Herrlichkeit der Gotteslehre verderben.«



»Hört ihr den Empörer prahlen?« schalt der Mönch aufs neue. »Packt ihn und bereitet ihn für das Gericht.« Die Schar strömte gegen ihn, ein roher Gesell führte mit dem Hebebaum den ersten Schlag, daß der Alte in der tobenden Menge zu Boden sank. Über ihn warf sich die Tochter, um die Streiche mit ihrem Leibe aufzufangen, beide wurden emporgerissen und gebunden nach ihrem Hofe gezogen. Nikolaus sah noch, wie das Gesindel raublustig in Ställe und Kammern drang und wie der Mönch die Gebundenen auf einen Karren des Hofes heben ließ und mit einem Teil seiner Begleiter in der Richtung nach Erfurt abzog. Dann jagte der Schüler, fast besinnungslos vor Angst und Grauen, dem Edelhofe zu.



Als Dorso mit seinen Gefangenen in die Nähe von Erfurt kam, merkte er, daß jenseit der Brücke, welche über den Nessebach führte, ein Trupp Bewaffneter den Weg sperrte. Er ritt vor, hob das Kreuz und rief von seinem Esel: »Als Beamter des hochwürdigen Meisters Konrad reise ich, öffnet die Straße.« Aber die Hand eines Gehelmten fiel schwer auf seinen Arm und hielt ihn mit seinem Tiere fest, wie sehr er sich sträubte und schrie, während die übrigen Reiter schweigend um den Karren rückten, das andringende Gesindel mit den Speerstangen abtrieben und die Pferde des Karrens in einen Seitenweg südwärts lenkten. Auf einen Ruf des Anführers fuhr der Karren, umschlossen von den Reitern, in schnellem Lauf von dannen. Der Anführer, welcher bis dahin den wütenden Mönch mit eisernem Griff gehalten hatte, sprengte nach und durchschnitt mit dem Dolche die Riemen der Gebundenen.