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Die Ahnen

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Während sie erzählte, flog ein heller Schimmer wie vom Abendlicht über das Antlitz der Frau Else, und der Priester, welcher zur Seite stand, betrachtete besorgt die Miene der Herrin. Als Friderun geendet hatte, antwortete die Landgräfin: »Es ist lange her, seit ich mit meiner Base die letzten Briefe getauscht habe. Doch um des Herrn Ivo willen will ich dir gern einige Zeilen anvertrauen, denn ich kannte ihn, als ich hier auf Erden im Glücke war«, und mit leisem Lächeln fügte sie hinzu: »Er war auch mir wohlgesinnt, und dies ist eine Gelegenheit, wo ich ihm als Christin meinen Dank dafür erweisen darf.« Sie erhob sich; doch als sie zu dem Schreibpult trat, stand der Priester neben ihr, legte seine Hand auf das leere Pergamentblatt und fragte in gebietendem Tone: »Ziemt der Gedanke an eitle Ritterdienste einer gottgeweihten Seele?«

Frau Else hob das Haupt, und in ihren Augen blitzte der Stolz einer Fürstin: »Nehmt die Hand vom Pergament, Herr, mein Berater und Lehrer seid Ihr, und wahrlich, die Heiligen wissen es, ein strenger Lehrer, doch zu ihrem Hüter hat Euch die Landgräfin nicht bestellt.« Als er erstaunt und mit gefurchter Stirne wich, tat der Herrin die eigene Strenge leid und sie fuhr demütig fort: »Einst war ich nicht nachsichtig mit einer weltlichen Huldigung, obgleich sie in Ehrerbietung dargebracht wurde; aber hartherzig kann ich nicht werden gegen die wenigen, welche meinem lieben Gemahl und mir redliche Gesinnung erwiesen haben.«

Sie schrieb den Brief, übergab das geschlossene Pergament Friderun mit einem Segenswunsch für Ivo, und fügte hinzu: »Die Gräfin ist, wie ich vernehme, mit dem Königshofe nach Speyer gezogen, dort wirst du sie finden.« Aber die Magd bemerkte wohl, daß Frau Else bedrückt war durch ihren eigenen Widerstand gegen den mächtigen Meister, und als sich die Türe hinter ihr schloß, vernahm sie laute Worte des Mannes.

»Gütigen Schein spendete mir das Mondenlicht,« sprach Friderun, dem Bruder das Pergament weisend, »aber der Priester Konrad entließ mich feindselig.«

»Er ist heiß in allem Tun,« antwortete der Bruder, »und viele halten ihn für furchtbar. Doch unserer Bruderschaft ist er ein treuer Gehilfe, denn er spricht für uns bei den Großen und im Volke, und ich denke, wir werden in kurzem seinen mächtigen Beistand gebrauchen.«

Die Reisenden zogen in Frieden südwärts; als sie sich aber der ruhmvollen Königstadt Speyer näherten, begann der Bruder, den stolpernden Gaul der Magd am Zügel fassend: »Wer zu Rosse sitzt, ringt nicht ohne Gefahr die Hände. Verändert finde ich Euer Wesen, Friderun, der Weg zu dem goldnen Stuhle, dem Ihr jetzt nahet, wird Euch mühevoll.«

Friderun sah den Bruder mit so bitterer Seelenqual an, daß dieser ihren Kummer durch Schweigen ehrte. »Gern würde ich mich an den Weg setzen und ausweinen«, sagte sie.

»Manchem hilft das,« ermunterte der Bruder, »ich warte auf Euch.«

»Vorwärts!« rief die Magd, tief aufatmend.

Kurze Stunden darauf stand sie in einem reichgeschmückten Gemach der Gräfin von Meran gegenüber. Hoch aufgerichtet, sah sie von der Schwelle auf die vornehme Dame, so daß sich diese verwundert erhob, doch im nächsten Augenblick neigte sie sich tief und überreichte den Brief der Frau Else. Hedwig ging zum Fenster, las und faßte mit dem Arm die Stuhllehne, so stand sie lange Zeit abgewandt, und die Magd fragte sich, ob sie vor Freuden weine. Endlich trat sie zu der kleinen Harfe, welche auf einen zierlichen Tisch gestellt war, und fuhr mit der Hand durch die Saiten. Friderun wußte wohl, daß dies die Weise des Herrn Ivo war, und dachte bei sich: Ich höre sie oft erklingen, auch wenn niemand an die Saiten rührt, doch in den letzten Wochen habe ich nicht an seine Lieder gedacht. Plötzlich wandte sich die Gräfin zu ihr, faßte ihre Hand und sah sie so weich und dankbar an, daß Frideruns Trotz dahinschwand. »Seit wann kennst du ihn?«

»Da ich ein Kind war, weilte ich einige Jahre im Edelhofe«, antwortete die Magd, vor dem forschenden Blick die Augen niederschlagend.

»Wann hat er dich zum letztenmal geküßt?« fragte Hedwig lächelnd.

»Nimmer seit ich heranwuchs«, rief Friderun gekränkt. Beide schwiegen und betrachteten einander mit geröteten Wangen.

»Weiß jemand in diesem Hause, weshalb du zu mir kommst?«

»Nur wenige erfuhren, weshalb ich reise, in dieser Stadt seid Ihr die einzige.«

»Du sprichst verständig. Wenn dir sein Leben lieb ist, birg das Geheimnis vor jedermann. Jetzt setze dich zu mir und erzähle, wie du die Nachricht erhieltst und zu dem Entschluß kamst, für ihn, der einst dein Gespiele war, die weite Fahrt zu machen.«

»Niemals zeige ich ihr die Haarlocke,« dachte Friderun, »ihr Auge soll nicht darauf sehen, und sie soll mein Eigentum nicht von mir fordern.« Deshalb sprach sie vorsichtig: »Einer von den Bärtigen, der im Hofe meines Vaters Kranke gepflegt hatte, brachte uns die Botschaft, daß er als Gefangener im Libanon lebe und als Wahrzeichen Worte eines alten Liedes, das in unserem Dorfe bekannt ist. Denn bevor Herr Ivo unter dem Kreuze auszog, übergab er meinem Vater Goldschmuck und edle Steine, das Erbe seiner Mutter, damit der Vater den Schatz in unserem Herd berge bis zu seiner Rückkehr. Diesen Schatz soll ich zum Kaiser tragen als Lösegeld.«

Hedwig lächelte. »Und warum wurdest du der Bote und nicht dein Vater?«

»Der Vater ist alt und der Hof kann ihn nicht entbehren.« Hedwig nickte: »Du warst seiner Mutter vertraut. Sprich mir von ihr.«

»Sie war aus dem Grafenhaus von Orlamünde, wie Ihr wissen werdet, und eine stolze Wirtin, doch klüger als andere und von gütigem Herzen. Daß sie starb, war ein Unglück für den Hof, Herr Ivo lebte sorglos und ritt durch das Land, und ein Herrenhof bedarf Hände, die sparsam zusammenhalten, denn wo viele begehren, wird leicht unnütz verschwendet, und auch die Treuen gewöhnen sich, aus dem Vollen zu leben.«

Wieder lächelte Hedwig. »Wie war Herr Ivo als Knabe?«

Friderun schwieg. »Fragt mich, was Ihr über ihn wissen wollt«, sprach sie endlich mit Zurückhaltung.

»Sage mir, wie er gegen dich war.«

»Wir spielten miteinander. Wer die Gerte in der Hand hielt, führte den andern als Roß an der Leine.«

»Doch als du größer wurdest?«

»Wir zankten uns zuweilen, doch saßen wir auch beieinander und sangen Lieder um die Wette. Als Knabe hatte er eine liebliche Stimme«, berichtete Friderun kurz.

»Und wann schiedest du aus dem Hofe?«

»Da er in die Zucht des langen Marschalks kam und der Vater meiner bedurfte.«

»Ich erkenne,« begann Hedwig überlegend, »daß du schnell und klug zu antworten weißt; ich hoffe, du verstehst ebenso zu sehen und zu hören. Frau Else schreibt mir, daß du mein Fürwort beim Kaiser gebrauchst. Ich gebe dir keinen Brief, doch ein Zeichen, daß du von mir kommst.« Sie zog einen Ring vom Finger. »Auch den Ring bewahre geheim vor jedermann. Willst du dem Kaiser angenehm und wertvoll werden, so mußt du ihm einiges von seinem Sohne, dem König Heinrich, berichten können, denn wenn du ihm meinen Ring gibst, wird er auch darnach fragen. Ich will dir Gelegenheit verschaffen, den jungen König zu sehen und zu hören, ohne daß er und seine Herren dich mit Fragen belästigen, doch mußt du dich vorsichtig still halten. Verweile hier, bis ich dich rufe, mich zwingt meine Pflicht als Hauswirtin, dich zu verlassen; laß dir die Zeit nicht lang werden und wundere dich nicht, wenn ich die Tür zusperre, damit die Diener nicht eindringen.«

»Ich ginge lieber«, versetzte Friderun.

»Wenn du für Herrn Ivo sorgen willst, so bleibe«, sprach Frau Hedwig mit so hohem Ernst, daß die Magd schweigend einwilligte.

Hedwig verließ das Zimmer, und Friderun hörte, daß die Tür gesperrt wurde. Lange saß sie in unruhigen Gedanken. Endlich kehrte die Gräfin zurück. »Folge mir schnell und vorsichtig«, gebot sie, und Friderun erkannte, daß eine finstere Entschlossenheit auf dem bleichen Antlitz lag. Sie folgte der Führenden wenige Stufen einer Seitentreppe hinab und wurde erst ihrer Sorge enthoben, als sie ganz in der Nähe Gelächter und das frohe Geräusch eines Gastmahls vernahm.

10. Vor drei großen Herren

In einer dürftigen Herberge der syrischen Hafenstadt Tripolis saßen Henner und Lutz einander gegenüber. Jedermann merkte, daß sie nicht im Glück lebten, ihr Gewand war abgetragen, das Eisenhemd darunter rostig und an den Rändern zerrissen, und ihre Miene sehr bekümmert. Sie waren ruhelos am Libanon umhergeritten und hatten vergeblich in allen Burgen nachgeforscht. Als das reiche Geschenk des Kaisers aufgezehrt war, hatten sie in der Not einem der syrischen Barone bei seinen Grenzfehden gedient, um sich rittermäßig durchzubringen. Öfter waren sie mit Kurden und Arabern zusammengestoßen und mit Mühe der Knechtschaft entgangen, zweimal auch waren sie in das Land der Ismaeliten eingedrungen, aber die Grenzwächter hatten sie trotzig abgewiesen, denn jedem bewaffneten Fremden blieb das Gebiet des Scheiks verschlossen. »Das letzte Pferd ist verkauft«, begann Henner.

»Dann brauchen wir‘s nicht zu füttern,« versetzte Lutz, »und sind die größte Sorge los.«

»Das Geld fordert der Wirt,« fuhr Henner fort, »er behauptet, ein Thüring und ein Ei aus den Dörfern des Hennebergers zu sein. Aber die heiße Sonne hat ihn hart gesotten und von Erbarmen ist nichts mehr an ihm zu finden.«

Lutz, welcher unnötige Worte gern vermied, schwieg still, und Henner begann nach einer Weile wieder: »Ein Krieger, der Knecht und Roß verloren hat, ist nicht glückselig zu preisen; wir sind jetzt Bettler, Chevalier, von dem Orden der armen Ritter, denen ich daheim manchmal mit Mißvergnügen ein Almosen zugesteckt habe. Darum frage ich Euch, was soll aus uns werden?«

»Wir fasten wieder, wie einst,« riet Lutz, »im Meer sind Fische genug, es ist hier nicht leicht zu verhungern.«

»Ich sorge nicht um unsern Magen, Herr,« antwortete der Marschalk, »aber Tag und Nacht muß ich an den Brief denken, den uns unser Geselle Godwin durch Nikolaus schreiben ließ. Denn was die deutschen Brüder vorlasen, war ganz widerwärtig; die Mühlburger wollen unsern armen Herrn bei lebendigem Leibe beerben.«

 

»Wüßten wir nur erst sicher, daß er lebendig ist,« bemerkte Lutz verständig, »dann wollten wir die Mühlburger flugs von Hof und Gut jagen.«

»Seit dem Briefe verläßt mich der Gedanke nicht, daß wir zu Hause nötiger sind als hier, und die Angst um den Hof wächst mir mit jedem Tage, den wir in diesem bösartigen Lande verweilen. Auch Frau Jutte mit den Knaben jammert mich.«

»Der Schiffer aus Bremen war hier,« warf Lutz ein, »er will Euch mitnehmen, wenn Ihr Euch während der Fahrt dem Schiffe als Kriegsmann gelobt.«

»Mich?« fragte Henner unwillig, »wir sind aber zwei.«

Lutz antwortete ausweichend: »Denkt daran, Herr, daß Weib und Kinder an Eurem Herde sitzen und daß der alte Godwin sich nicht auf dem Gute behaupten wird, wenn nicht Eure Fäuste ihm helfen. Ich aber habe nur eine, um die ich sorge. Seht Ihr mein Berchtel, Henner, so sagt ihr, daß sie das Strumpfband losbinden soll, welches ich ihr um ihr weißes Bein gelegt habe; denn ich kehre schwerlich zurück.« Er stützte den Kopf in die Hand.

»Laßt Euch sagen, Lutz,« sprach der Marschalk gerührt, »daß Ihr gewissermaßen besessen seid. Ich lobe die Treue, Ihr aber werdet hartnäckig ohne Nutzen.«

»Vielleicht kommt er doch wieder«, versetzte Lutz. »In seinem Hofe bin ich erzogen und er hat mich bei sich behalten und einen Mann aus mir gemacht, deshalb denke ich in seiner Nähe zu bleiben. Sprecht mir nicht dawider, Marschalk, Euer Amt ist, den Hof zu bewahren, und meines ist, auf den Herrn zu warten.«

Henner erhob sich. »Wahrlich, Geselle, Ihr habt das Richtige gefunden; was geschehen muß, soll geschehen ohne viele Worte, und wenn wir es beide vermeiden können, ohne Wehmut. Begleitet mich, wenn‘s Euch beliebt, zum Schiffe.«

Als Lutz von seinem Gefährten Abschied genommen hatte und das Schiff zum Hafen hinausfuhr, stand er am Strande und starrte nach der hagern Gestalt des Marschalks, der immer wieder die Hand nach ihm ausstreckte, bis ihm das Schiff und der Freund darauf wegen rinnender Tränen undeutlich wurden. Bald aber fand er seine bedachtsame Ruhe wieder und sprach zu sich selbst: »Bisweilen ist einer mehr als zwei. Mein Geselle war allzu ritterlich. Wir haben seither vielerlei Umwege gemacht, ich gehe geradeaus zu dem grimmigen Messerschmied in den Bergen und sage ihm auf den Kopf zu, daß er den Herrn gefangen hält und daß es endlich Zeit ist, ihn zu entledigen.« Er eilte in das kleine Hospital, welches die deutschen Brüder vor kurzem in Tripolis gegründet hatten, bat um ein altes Pilgerkleid und gab dafür sein Ritterschwert zum Pfande. So verließ er die Stadt als ein armer Waller und zog längs der Küste nordwärts, um das Grenzgebiet der Templer und Johanniter zu vermeiden; denn diese hielten scharfe Aufsicht über alle Reisenden, die nach den Bergen der Ismaeliten oder von dort nach der Küste gingen. Zwei Tage lief er in Pilgerweise und nahm Kost und Herberge bei barmherzigen Leuten, am dritten kam er an eine kleine Hafenstadt Valenia, welche früher den Ismaeliten gehört hatte und jetzt von den Johannitern und einem Bischof bewacht wurde. Dort schlug er sich in die Berge. Als er die Grenzwächter der Ismaeliten erblickte, eilte er auf sie zu und sagte, so deutlich er es mit arabischen Worten vermochte, daß er zu ihnen gedrungen sei, um in einer großen Sache ihren Vater, den Scheik, zu sprechen. Er wurde auf ein Pferd gesetzt und durch das Land geführt bis zu einer großen Burg, welche mit Türmen und Mauern auf steilem Fels ragte, so daß man nicht erkannte, wo die weiße Klippe aufhörte und wo das Menschenwerk begann. In der Burg blieb er strenge bewacht bis zu dem Tage des Verhörs. Endlich wurde er in eine weite Halle geführt, zwischen reichverzierte Säulen und Bögen; in einer Nische auf erhöhtem Raume stand ein Haufe der Geweihten im weißen Kaftan, kenntlich an der spitzen roten Mütze und dem roten Leibgurt, und längs den Wänden saßen auf Polstern Weise und Edle des Volkes. Lutz sah nach dem furchtbaren Alten umher, von dem er gehört hatte, aber vor ihm waren viele bejahrte Männer, er fand viele blitzende Augen auf sich gerichtet und nicht wenige weiße Bärte hingen bis zu den Gürteln herab, so daß er dachte: »Wenn ich nicht wüßte, wie rachsüchtig sie sind, würde ich sie für die ehrbarste Gesellschaft halten, die ich je geschaut. Doch wer unter wilde Tiere geht, hüte sich, ihren Zorn zu erregen«, und er verneigte sich tief zu beiden Seiten.

Nach langem Schweigen winkte ein Greis dem Dragoman und begann: »Freiwillig kamst du in unsere Berge, o Franke, verkünde, wer du bist und was du begehrst.«

»Ludwig von Ingersleben ist mein Name, ein Dienstmann bin ich des edlen Ivo, den ihr, wie ich vernehme, gefangen haltet; seinetwegen komme ich, euch zu bitten, daß ihr ihn freigebt.«

»Wer hat dir die Kunde zugetragen, daß dein Herr als Gefangener bei uns weilt?«

»Unter den Christen an der Grenze läuft die Sage«, behauptete Lutz kühnlich, und er hatte in der Tat unter vielem anderem auch dies vernommen.

»Wer von Fremden holen will, muß vorher bringen. Was gedenkst du zu bieten?« fragte der Alte weiter.

»Geld bringe ich nicht,« versetzte Lutz ehrlich, »doch vermag mein Herr euch Lösegeld zu zahlen, wenn ihr ihn nicht unmenschlich schätzt; ich aber erbiete mich, an seiner Statt als Gefangener bei euch zu bleiben, bis ihr das Geld empfangt.«

»Wenn Geld die lösen könnte, welche wir festhalten, so wäre mancher frei, der hinter Mauern weilt.«

Ein langes Schweigen folgte, dem Thüring aber kam vor, als ob sein Herr wahrhaftig hier in Gefangenschaft sei, und er hütete sich, seine Freude zu verraten und Ungeduld zu zeigen. »Hast du sonst etwas zu bitten und zu bieten,« fragte der Greis wieder, »so sprich, doch meide unnütze Worte.«

»Wohlan, ihr Herren, wenn ihr ein Recht zu haben glaubt an seinen Leib, so fordere ich, gewährt auch mir ritterliches Recht und stellt mir einen Kämpfer, damit ein Gottesurteil entscheide, ob das Leben meines Herrn euch gehört, oder seinen Freunden.«

»Gering ist dein Aussehen, wie magst du wagen, unsere Helden zum Kampfe zu fordern?«

Lutz öffnete sein Pilgerkleid und wies auf den weißen Rittergurt. »Ich bin schwertlos gekommen, um euch nicht zu erzürnen, aber ich trage die Ehrenzeichen eines Ritters und kein Fürst darf mir den Kampf verweigern, wenn ich ihn in ehrlicher Sache fordere.«

»Meinem Volke aber wird deine Forderung verächtlich; nur ein Unsinniger kämpft ohne Not um ein Gut, das ihm bereits gehört.«

»Ich dachte mir‘s«, murmelte Lutz. »Dann also, alter Herr, laßt mich mein letztes Gebot tun. Wenn euch so viel daran liegt, einen Ritter aus Ingersleben in eurem Turm zu bewahren, so laßt meinen Herrn frei, behaltet statt seiner mich und macht mit mir, was ihr wollt.«

»Du nennst dich selbst seinen Diener, ihn deinen Herrn, auch bei euch tauscht der Jäger nicht den Falken gegen die Amsel.« Wieder folgte langes Schweigen, endlich begann der Alte: »War der, welchen du deinen Herrn nennst, ein Christ?«

»Gewiß war er das«, versetzte Lutz.

»Wie kam es doch, daß wir ihn am Grenzsteine gefällt fanden ohne einen Glaubensgenossen, mitten unter Bekennern des Islam?«

»Er war von dem großen Kaiser zu euch gesandt mit maurischen Leibwächtern, weil diese eurer Sprache und Sitte mächtig sind. Hätte ich mit meinen Gesellen ihn begleitet, dann wäre die Missetat nicht vollbracht, oder ich würde nicht lebend vor euch stehen.«

Der Ismaelit gab ein Zeichen, einer der Geweihten trug ein blutgetränktes Tuch herzu, welches der Dragoman dem Thüring wies, und dieser vermochte seine Bewegung nicht zu bergen, als er das Tuch erkannte, welches sein Herr einst am Halse getragen hatte.

»Auf dem Gewebe steht ein Spruch, den die Mohammedaner für heilig halten; bewahren die christlichen Franken ein solches Amulett über ihrem Herzen?«

Erstaunt vernahm Lutz die Bedeutung der goldgestickten Zeichen. »Ich weiß nur, daß das Tuch eine Gabe der Herrin ist, welcher er sich geweiht hatte; wer die Herrin war, blieb sein Geheimnis. War sie eine Sarazenin, so wisset, daß wir auch fremdländischen Frauen unseren Dienst widmen. Ich selbst bewahre das Schleiertuch einer Dame, der ich diene, obwohl sie im Harem eines Sultans lebt.« Und er brachte bereitwillig aus seinem Gewande den zerrissenen Schleier hervor, den er einst bei den Kamelen gewonnen hatte.

Zum erstenmal bemerkte er unter den Ismaeliten eine Regung der Neugierde, leise Ausrufe wurden gehört und mehrere strichen zufrieden die Bärte. »Du selbst bist der Ritter, welcher mit den Johannitern kämpfte, um die Mutter des Sultans Elkamil vor der Gefangenschaft zu bewahren?« fragte der Alte.

Lutz hatte bis jetzt nie erfahren, daß die Herrin des Schleiers so ehrwürdig war, und er fand seltsam, daß die Wilden im Libanon das wußten. Als er in den Mienen der Ismaeliten die Billigung erkannte, dachte er: »Ihr würdet anders denken, wenn ihr jünger wärt«, aber er antwortete beherzt: »Ich bin der, welchen du meinst.«

Da traten die Geweihten auseinander, er sah auf der Höhe einen Greis im weißen Gewande sitzen und merkte, daß ihm erst jetzt der Anblick des Scheiks vergönnt wurde. Der Weißgekleidete schlug in die Hände, zwei Gewappnete führten einen jungen Neger herein, der mit ausgebreiteten Armen auf Lutz zueilte, sich vor ihm niederwarf und das Gesicht an sein Gewand drückte. »Ali, mein Rabenkind,« rief Lutz, die ganze Umgebung vergessend, »wo weilt unser Herr?«

»Sprich nicht mit dem Knaben«, warnte der Dragoman dazwischentretend. Die Stimme von der Höhe fragte: »Du kennst den Sklaven?«

»Er war ein Geschenk, welches mir die Frau, von der ich sprach, in das Lager des Kaisers sandte, und er war der einzige aus unseren Zelten, der meinen armen Herrn auf der Reise begleitet hat.«

»Im Tal des Todes fanden meine Söhne den Schwarzen«, sprach der Scheik. »Sprich wahrhaft, Franke, was hast du im Lager des großen Emperor über die Bluttat vernommen?«

»Daß umherziehende Kurden die Missetat verübten.«

»Unschuldig sind die Kurden an der Tat, Held Hassan und dein Herr fielen unter den Messern deiner Glaubensgenossen.«

Der Thüring sah erschrocken um sich. Was der Scheik behauptete, klang ihm nicht fremd in das Ohr, schon im Lager war allerlei über die Templer geflüstert worden, und er selbst hatte sich mit seinen Gesellen schwere Gedanken gemacht wegen der Feindschaft, die zwischen Ivo und einem Verwandten des Kaisers bestand. Nachdrücklich fuhr der Scheik fort: »Rache begehren wir für den Tod des Helden Hassan und für die Missetat, welche hinterlistig von Christen auf unserem Grunde verübt wurde. Darum handelt der Christ töricht, welcher von uns hohen Dienst begehrt, ohne den Gegendienst zu leisten, welcher uns wertvoll ist. Das Gesetz in den Bergen lautet: Leben für Leben; begehrst du deinen Freund lebendig zu schauen, so hilf uns, daß ein anderer erlegt werde.«

Lutz überlegte. »Vieles darf ich für meinen Herrn tun und willig gab ich Freiheit und Leben in eure Hand, aber wenn ihr mich gebrauchen wollt, daß ich an Stelle eurer Knaben irgendwie einen Christen oder Heiden hinterrücks treffe, so habt ihr euch gröblich in mir geirrt, und ich antworte euch, ich tue es nimmer und um keinen Preis. Darum macht mit mir, was ihr wollt, aber ein Mörder werde ich nicht.«

»Meine Söhne gebrauchen nicht fremde Hilfe, um einen Feind, der ihnen gewiesen wird, zu verfolgen; sie tragen die Rache über Land und Meer und wissen in Alexandrien und Messina den Todesgruß zu bieten. Die Missetat aber, um welche wir trauern, blieb auch uns geheimnisvoll. Darum begehren wir deine Hilfe, daß du den Mann erkundest, welcher die Tat geleitet hat, und daß du nach den Gebräuchen des Abendlandes das Leben des Mörders austilgst. Wir fordern von dir nur, was in deinem Volke für ehrenwert gilt; willst du den Gefangenen befreien, so sei unser Kämpfer, um die Bluttat zu rächen.«

Nachdenkend versetzte der Thüring: »Wegen der schweren Tat, welche an dem Gast und dem Gesandten meines Kaisers verübt wurde, darf ich den Gerichtskampf fordern als Christ und Ritter. Doch, Herr, erst muß ich glauben, daß ein Christ Anstifter und Vollbringer wurde, und ich muß wissen, wer der Täter war. Wie könnt Ihr mir Sicherheit darüber geben, da Ihr selbst, wie Ihr sagt, in Zweifel seid?«

Der Scheik neigte das Haupt. »Zwei Zeugen übergebe ich dir, der eine ist der schwarze Knabe, den wir in dem Tale des Todes fanden, er weiß von der Untat zu berichten, doch ist er ein Sklave. Der andere Zeuge aber ist dieses Werkzeug.« Er winkte, einer der Geweihten trug ein Dolchmesser herbei, dessen Spitze durch eine goldene Kapsel gestochen war, wie sie kaiserlichen Briefen angehängt wurde, um das Siegel zu bewahren. »Dies Messer durchbohrte das Tuch und den kaiserlichen Brief, welchen dein Herr auf der Brust trug, beide hemmten die tötende Gewalt des Stoßes. Den Knaben und das Messer sollst du ohne Säumen zu deinem Kaiser bringen mit dieser Botschaft aus unseren Bergen: Gemeinsam sei der Schimpf, den er und die Ismaeliten erduldet, darum senden wir an ihn die Zeugen und den Rächer, nach der Sitte seines Landes, damit er selbst für unsere und seine Rache sorge. Dies ist der Dienst, den wir von dir begehren, denn wir haben erkannt, daß du nicht zu den Argen gehörst, sondern zu den Treuen. Leiste uns einen Eid nach deinem Glauben, daß du von hier ohne Aufenthalt über das Meer vor das Angesicht des Kaisers eilen willst.«

 

Da hob der Thüring die Hand in die Höhe und sprach den Eid. »Gestatte mir, bevor ich scheide, meinen Herrn zu sehen.«

»Du wirst ihn wiedersehen,« antwortete der Scheik, »wenn er durch dich entledigt zwischen Messer und Kreuz am Grenzsteine steht, nicht eher. Geendet sei die Rede, meine Söhne geleiten dich. Nimm die Zeugen mit dir und gedenke deines Eides.«

Während Lutz mit dem Knaben Ali zum Tor der Burg hinausritt, lag der Gefangene wenige Bogenschüsse von ihm entfernt auf dem Dach eines morgenländischen Landhauses. Vor ihm öffnete sich ein lachendes Tal, tief in das Gebirge eingesenkt, von allen Seiten mit hohen Felsen umschlossen. Überall brachen starke Quellen aus dem weißen Gestein, sie strudelten und rauschten, bis sie sich unten zu einem See vereinigten. Bei dem milden Herbstlicht wies der Grund ein üppiges Grün, denn kleine Rinnen, von Menschenhand gezogen, verbreiteten weithin das lebenspendende Wasser. In heiterer Ruhe lag das Tal wie geschieden von der Welt. Über mächtige Fruchtbäume ragten auf kleinen Anhöhen die Turmhäuser der Landleute, am Fuß der Felsen kletterten genäschige Ziegen, und große Koppeln edler Rosse tummelten sich im Gehege.

Der Gefangene war nur an dem blonden Bart und der helleren Hautfarbe als ein Fremder zu erkennen, er trug das reiche Gewand eines Morgenländers und redete arabisch mit seinem Wächter Achmed, einem Jüngling, der seinem älteren Bruder Hassan in Gestalt und Gebärde ähnlich war. »Lange weilt der Knabe Ali auf der Burg«, begann Ivo.

»Unser Vater, der Scheik, hat ihn zu sich befohlen«, antwortete Achmed.

»Es geschah zum erstenmal,« murmelte Ivo unruhig, und da er die verwunderte Miene seines Gefährten sah, setzte er lächelnd hinzu: »Wer nicht von großer Sorge bedrängt wird, der schafft sich kleine.«

Der Jüngling wies hinab in den Hof, wo braune Mädchen in leichtem Gewande sich zum Klange einer arabischen Laute zierlich im Kreise drehten. »Sie zeigen dir ihre beste Kunst; es wird sie kränken, daß du so wenig auf sie achtest, denn der Sklavin ist der freundliche Wink des Herrn der beste Lohn.«

»Auch süßer Trank wird verleidet,« antwortete Ivo mit ernstem Lächeln, »ihre behende Kunst gleicht dem Gesange der Nachtigallen in deinem Tal. Bei mir daheim gilt derselbe Vogel für den lieblichsten Sänger und wir lauschen ihm freudig. Hier aber hörte ich im Frühling nicht einzelne singen, sondern scharenweis schmetterten sie im Laube und nahmen mir jede Nacht den Schlummer. Viel Wonniges ist hier gehäuft. Zürne mir nicht, Achmed, wenn ich, des Reichtums überdrüssig, mich nach der Armut meines Landes sehne.«

»Kommt dich die Schwermut an,« versetzte der Jüngling, »so lasse ich dein Roß satteln und wir reiten durch das Tal.«

»Auch die Wege dieses Tals haben wir durchmessen. Von Balsam duftet der Grund, und täglich erblühen neue Blumen, dennoch ist es für den Gefangenen ein geringer Unterschied, ob er die Schritte zählt von einer Kerkerwand zur andern oder die Sprünge des Rosses von Fels zu Fels.«

»Sonst warst du anders«, rief unzufrieden der Jüngling.

»Habe Geduld, du treuer Wächter. In Thüringen erzählen die Leute, daß eine holde Göttin, Frau Minne, im Innern der Berge wohnt und junge Helden zu sich lockt, sie beharren lange bei ihr in Freuden, zuletzt verzehrt sie doch der Kummer nach der Oberwelt. So habe ich hier gelebt wie im Traume, und wenn du mich den Sinn eurer Lieder lehrtest, so war mir zuweilen, als könnte ich im Morgenlande heimisch werden; jetzt ist auch für mich der Zauber gelöst. Wisse, mir gelang es, aus deinen Bergen einen heimlichen Gruß in die Heimat zu senden; ich sage dir nicht wie, damit du niemandem zürnst. Mit dem Gruß wandert jetzt meine Seele jeden Tag, ungeduldig folge ich dem Boten auf Schritt und Tritt; ich sehe ihn am Hafen und auf dem wilden Meer, und wie er die Botschaft in die Hand eines Weibes legt, der ich gern vertraue. Wahrlich, neulich am Abend erkannte ich die blonden Zöpfe der Magd Friderun neben der braunen Tänzerin dort unten, und ich schob das Mädchen zur Seite, um das Haar der Deutschen zu fassen. Zu Roß, Geselle,« schloß er, sich aufrichtend, »fliegt der Rappe dahin wie ein Pfeil, und saust die Luft um die Schläfen, so höre ich wohl auf, dir gleich einem Weibe Klagelieder zu singen.«

Von der Burg jagte ein Reiter heran, Achmed empfing die Botschaft und kehrte bestürzt zurück. »Unser Vater, der Scheik, fordert dich vor sein Angesicht.« Gleich darauf klang von der Höhe ein scharfer, eherner Ton über das Tal, und aus der Ferne antwortete der Gegenklang. »Die Männer meines Geschlechts werden aufgeboten zum Waffenritt.«

»Mir ahnt,« sagte Ivo ernst, »dies verzauberte Leben nimmt ein Ende. Ich bin bereit; nur mein altes Eisenhemd tue ich um, denn mir ziemt nicht, im Gewande dieses Tals vor deinen Herrn zu treten. Dir aber, Jüngling, danke ich, wenn ich nicht wiederkehre, für deine Sorge, denn treu wie ein Bruder warst du dem fremden Mann.«

Ivo hatte nur einmal, als er mit seiner Wunde in den Burghof getragen war, den Herrn der Berge undeutlich gesehen, denn der Greis stieg niemals von seiner Höhe in die Täler hinab. Als er jetzt in die Halle trat, fand er den Scheik allein auf seinem Polster sitzen, er sah eine hohe gefurchte Stirn und zwei Augen, welche scharf wie die eines Adlers nach ihm blickten. Dann senkte er nach der Sitte des Ostens sein Haupt und harrte der Anrede.

»Zwei Sommer weilst du bei uns, nicht als Gast, denn du beharrtest nicht freiwillig; nicht als Gefangener, denn meine Söhne haben dich geehrt gleich einem Gastfreund. Zwei Sommer war dein Mund verschlossen und die Pforte deiner Heimkehr blieb verschlossen, weil du dich geweigert hast, vor deinem Kaiser und deinem Volk Kläger zu werden über verruchte Missetat. Doch bevor das Laub vom Baume fällt, wandelt es sein Grün in bunte Farben; auch du wandelst wohl, bevor du aus dem Tal des Lebens scheidest, deine Gedanken. Darum frage ich dich in der letzten Stunde: Willst du ungesprochen mit dir nehmen, was nach der Sitte deines und meines Landes Racheruf fordert?«

»Ich muß schweigen, Herr,« antwortete Ivo, »was mir auch darum geschehe.«

»Dann scheidest du, Christ, wie du kamst, nicht Freund, nicht Feind, als ein Fremder, an den wir denken wie an die Wolke, welche vorüberzog. Meine Söhne gewähren dir die Entlassung, wandle dahin, ungescholten und ungegrüßt.«

Ivo vermochte nicht zu antworten, in der Freude bebte ihm das Herz; er sah sich in dem Hause seiner Väter, ihm war, als hörte er auf seinem Söller den Gesang der kleinen Vögel und den Speerruf seiner Ritter, und er neigte stumm das Haupt. Der Alte fuhr fort: »Einem Sohn meines Volkes hast du Treue bewiesen, wir fanden dich blutend über dem Leibe des Toten; die Männer des Geschlechtes Hassan achten darauf, dich in Ehren zu entsenden. Sie können dir nicht Gastgeschenke bieten, die der freundliche Wirt gibt und die der Gast nicht ausschlagen darf, du selbst magst dir vom Boden heben, was für dich bereit liegt.« Der Alte winkte und führte ihn in den Hof, dort waren zwei Teppiche gebreitet, auf dem einen seidene Gewänder, darüber ein Schwert in goldener Scheide, der Griff mit einem großen Edelsteine geschmückt; daneben hielt Achmed das arabische Roß, auf welchem Ivo durch das Tal gesprengt war, und den ritterlichen Speer mit dem Rohrschaft. Auf dem andern Teppich lag ein Pilgerkleid mit Hut und Stock, wie arme Christenwaller trugen. »Wähle«, sprach der Scheik.