Kostenlos

Die Ahnen

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

In der Barbakane der Marienbrüder fand Ivo ihren Meister. »Ich dachte wohl, daß Ihr beharren würdet«, rief ihm dieser grüßend entgegen.

»Der Kaiser kommt zum Frühjahr,« sprach Ivo, »er hat es mir, da ich Urlaub nahm, feierlich bestätigt.«

»Er kommt als ein Gebannter«, murmelte Hermann. »Euch aber, edler Herr, beweise ich meine Achtung, wenn ich in diesem Lande den Rat gebe, helft Euch selbst und schlagt Euch als ein Freier durch alle Hindernisse. Sucht Ihr den Beistand eines erfahrenen Mannes, so werde ich immer bereit sein. Meine Bruderschaft aber gehorcht einem strengen Gesetz, sie naht freiwillig nur dem Kranken und dem Feinde, und sie verrichtet ohne Entgelt nur Werke des Erbarmens und des Krieges. Wer uns sonst gebraucht, muß uns rufen, und wer von uns begehrt, muß uns leisten. Denn nur unsern Dienst vor Augen gehen wir still unseren Weg zwischen den Guten und zwischen den Argen und suchen beide für uns zu benützen. Deshalb ist der beste Wunsch, den ich für Euch hege, daß Ihr niemals unsern Beistand gebrauchen mögt.«

Ivo meinte, daß dies kalte Worte eines Mannes waren, den er im Herzen verehrte, und er nahm sich vor, die Dienste des Meisters und seiner Brüder solange als möglich zu entbehren. Er meldete seine Ankunft dem Herzoge von Limburg, welcher an Kaisers Statt Führer des Heeres war, und rückte mit seinem Gefolge an demselben Morgen auf die Ebene unweit des Strandes, wo die Zeltgassen verödet lagen. Sein Zelt wurde aufgeschlagen, einige leere Hütten gesäubert und ausgebessert, und es war für alle der erste frohe Augenblick seit vielen Tagen, als Henner das Wappenschild seines Herrn auf der gemalten Speerstange befestigte und, sein Haupt entblößend, rief: »Fliege in Ehren über getreue Herzen.«

Das Jahr neigte zum Ende, die Pilger freuten sich über die milde Luft der ersten Wintermonate, und Henner richtete hinter den Hütten eine kleine Rennbahn ein, auf welcher die Thüringe sich und ihre Rosse eifrig im Speerkampf übten. Wurde das ritterliche Stechen auch von der Kirche nicht gelobt, die Krieger durften sagen, daß sie es als Übung nicht entbehren konnten. Bald war die Bahn in dem trägen Lager ein gesuchter Ort, nicht nur Landsleute, auch Fremde sammelten sich darin, und über den Trümmern der gebrochenen Speere gewannen die Thüringe gute Kundschaft mit vielen fröhlichen Gesellen. Der Herzog von Limburg verstach selbst zuweilen gegen Ivo seinen Rohrschaft und rühmte den Helden und seine Ritter vor den Häuptern des Heeres.

Aber die Ungunst des Winters störte das sorglose Treiben. Ein kalter Nordost hinderte die Schiffahrt, die Zufuhr blieb aus, eine unleidliche Teuerung begann. Denn Weizen und Gerste, die unentbehrlichen Lebensmittel, wurden zumeist mit den Summen erkauft, welche fromme Christen des Abendlandes zu dem Kreuzzuge gesteuert hatten. Immer war die Verteilung unbillig gewesen, der kleine Haufe, für welchen Henner zu sorgen hatte, wurde gegen andere Scharen zurückgesetzt, die großen Bruderschaften und die mächtigen Gebieter nahmen gern das Beste vorweg, und mit viel scharfem Wortgefecht hatten die Thüringe kaum das Notdürftige behauptet. Jetzt war gar nichts zu erhalten, alle Beschwerden Ivos blieben fruchtlos; der Herzog schalt heftig auf die Verteiler, vermochte aber die Parteilichkeit nicht zu brechen. Und Henner mußte aus der Geldtasche, welche er als leichte Last über seinem Herzen bewahrte, den Tagesbedarf zu unerhörtem Preise einkaufen. Sein Zorn wurde größer, wenn er sah, wie wohlgenährt die Pferde vom Tempel und Johannes waren. Denn die Brüder hatten durch große Magazine weislich für ihren Bedarf gesorgt, sie besaßen eigene Lastschiffe und Unterhändler in anderen Häfen. Darum ging der Marschalk mit umwölkter Miene einher, bemüht, seinem Herrn die Not zu bergen. Unterdes suchten Lutz und Eberhard, die jungen, durch Jagdbeute der Küche zu helfen. Doch in der Nähe des Lagers war das Wild fast gänzlich getilgt, sie mußten weit in das Land ziehen und stießen mehr als einmal mit feindlichen Bodwinen zusammen, welche auf ihren Rossen schweifend das Lager umlauerten, und unter den braunen härenen Mänteln gerade dann hinter einer Erdwelle auftauchten, wenn die Pilger ein Rudel Rehe oder Gazellen beschlichen hatten. »Ein Glück ist, daß diese Heidetraber im weißen Hemde niemals einen Pfeil versenden«, tröstete sich Lutz, als er einen Rehbock durch einen Lanzenstich im Arme erkauft hatte.

Als Ivo einst in der Rennbahn ritt, erkannte er unter den Zuschauern weiße Mäntel der Templer, und Herr Peter von Montague, ihr Meister, kam grüßend heran und rühmte die gute Hofzucht der Pferde. »Sie haben nicht ihre volle Kraft«, antwortete Henner, ein wenig getröstet durch das Lob des stolzen Helden, der von dem ganzen Kreuzheere mit Scheu betrachtet wurde. »Schwer haben sie sich an das Futter des Landes gewöhnt, und jetzt wird es ihnen knapp zugemessen.«

Der Meister lächelte ein wenig und sagte im Davonreiten: »Solltet Ihr einmal Lust haben, Pferde Eurer Zucht zu verkaufen, so bitte ich, denkt vor andern an die Brüder vom Tempel.«

Henner sah ihm finster nach. Wenige Tage darauf begann Ivo beim Lageressen: »Feiern wir im voraus das Osterfest, ihr Herren? Täglich bietet der Koch gesottene Fische. Wie kommt es auch, Herr Eberhard, daß Ihr so verstört sitzt und den Arm verbunden tragt.«

»Ich fiel, als wir Fische aus der Bucht holten, von der Klippe in die See,« antwortete der Vasall, »und ich wäre nimmer aus der kalten Flut getaucht, wenn mich mein Geselle Lutz nicht an den Haaren herausgezogen hätte.«

Da stieß Henner plötzlich sein Schüßlein beiseite und große Tränen liefen ihm aus den Augen. »Es ist mir nur um die Pferde,« seufzte er, »sie wollen durchaus nicht mit Gräten vorlieb nehmen.«

Ivo stand auf und winkte dem Marschalk ins Freie. »Sagt mir alles, Henner.«

»Die Geldtasche ist leer,« versetzte Henner, »und wir sind am Ende.«

Ivo nahm die schwere Goldkette vom Halse, den einzigen Schmuck, welchen er trug: »Nimm.« Henner wog die Kette in der Hand. »Oft habe ich sie in Gedanken geschätzt, sie ist die letzte Bürgschaft für Eure Heimkehr.«

»Für die Zukunft vertrauen wir dem, in dessen Dienst wir hierher gekommen sind«, antwortete Ivo.

»Sie hilft auch nur auf kurze Zeit, Herr. – Eberhard trägt eine Schiene um den gebrochenen Arm und wird ihn den Sommer schwerlich im Ernste gebrauchen. Er sehnt sich heimlich nach Hause, nur daß ihn die Scheu abhält, Euch das zu sagen.«

»Und Ihr, Henner?«

»Ihr werdet doch nicht ohne mich und meinen Gesellen Lutz in Jerusalem einziehen wollen?«

Ivo zerriß die Kette in zwei Teile. »Die Hälfte sei für Eberhard und seinen Knecht zur Heimfahrt, die andere Hälfte für uns, damit wir aushalten. Zwölf Rosse hatten wir bis jetzt, verkauft die Hälfte den Templern, so bleibt dem Manne ein Pferd.«

Es war für Henner der schwerste Ritt seines Lebens, als er am Nachmittage in die Burg der Templer zog, die Pferde anzubieten. Der Meister empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit. »Schätzt die Pferde selbst und empfangt zur Stelle den Preis. Wir füttern und gebrauchen sie für euch, begehrt ihr sie einst zurück, so mögt ihr sie wiederkaufen. Und findet ihr es zu schwer, unter eigenem Banner bessere Zeit zu erwarten, so wißt, daß meine Brüder sich freuen werden, euch von unseren Vorräten mitzuteilen, soviel ihr wollt.«

»Diese verstehen besser als andere, für sich zu werben«, sagte Ivo mit trübem Lächeln, als ihm Henner die Unterredung berichtete. »Mein Stolz gleicht einer Espe, von welcher der Sturmwind einen Ast nach dem andern bricht, unruhig zittern die Blätter der letzten Zweige, wie lange, und die karge Frist, welche wir erlangt haben, wird verronnen sein.«

Die Worte sollten bald Wahrheit werden. Die warme Frühlingssonne umkleidete wenige Tage darauf die Landschaft mit buntem Farbenglanz. Während in der Heimat die ersten Veilchen und Schneeglocken sich furchtsam an die kalte Luft wagten, leuchtete hier die Ebene gleich einem gestickten Teppich, die weißen Lilien und die Rosen öffneten die geschwellten Knospen, die Turteltauben girrten auf den Sykomoren und die Nachtigall schmetterte aus dem Zitronenhain ihre Lieder. In dem Lager liefen die Krieger zusammen, denn aus der Stadt bewegte sich unter Glockengeläut und geistlichem Gesange, geführt von dem Herzoge von Limburg und dem Patriarchen, ein langer Zug mit dem wallenden Banner der Marienbrüder; sie kamen nicht im kriegerischen Schmuck, sondern trugen Schanzzeug und Baugerät, und in langer Reihe folgten Lasttiere und Karren. Mit düsterem Blick sahen die Templer, welche bei Ivos Rennbahn hielten, auf den großen Schwarm, als er, das Kreuzlied singend, durch die Ebene zog, und der Johannesbruder barg nicht den Ausruf: »Niemals hätte ich gedacht, daß das Marienspital eine solche Schar für sich erbeuten würde.« Da dachte Ivo, daß es Deutsche waren, welche auszogen, und er folgte mit seinen Rittern. Eine gute Meile landeinwärts erhob sich ein ansehnlicher Hügel, an dessen Fuß mehrere weiße Häuser syrischer Landbauern glänzten. Der Zug erstieg die Höhe, die Karren wurden zusammengefahren, das Heer umschritt singend den Gipfel, dann trat es in großem Ringe zusammen und der Patriarch rühmte, daß das beabsichtigte Werk eine heilige Tat und die Teilnahme daran für jeden heilbringend sei; er weihte die Stätte und erteilte den Segen. Darauf wurde die gesamte Schar unter Ordensbrüder verteilt und zur Arbeit geführt. Um den abgesteckten Raum begann ein Teil der Pilger den Graben zu ziehen und einen Wall zu erhöhen, während andere Haufen die Abhänge des Berges von Bäumen und Gestrüpp reinigten. Der Herzog von Limburg und der Ordensmeister taten den ersten Spatenstich, und beide arbeiteten tapfer mit Hacke und Grabscheit, ringsum klangen die Äxte und Hauen laut an Holz und Stein, denn wohl mehr als tausend kräftige Männer schufen am Werke.

Ivo sah eine Weile schweigend zu. Als dem Meister ein großer Stein, den er aus dem Boden heben wollte, abglitt, sprang er herzu, hob die Last und lachte, als der Meister ihn mit freundlichem Kopfnicken grüßte. Bald faßte er selbst eine Haue und half frisch bei der Arbeit. In der Rastzeit trat er zu Hermann und sprach, das Haupt neigend: »Nehmt mich zum Arbeiter an, auch für mich ist die Zeit gekommen zu dienen, und ich will es am liebsten für Euch tun, da Ihr mich im Namen unseres Volkes zur Pilgerfahrt geladen habt.«

 

Der Meister antwortete ernsthaft: »Ich empfange Euren Dienst, den Ihr mir als ein Freier bietet, Ihr aber nehmt, solange Ihr an unserem Werke schafft, auch unsere Hilfe für Euer Leben. Keine unrühmliche Arbeit ist es, edler Ivo, der Ihr Euch weiht. Dies ist streitiges Land zwischen uns und den Sarazenen, uns aber gehören die Meierhöfe, welche Ihr in den wonnigen Tälern vor uns seht. Starkenburg soll dies Kastell heißen, ein Schutz für Accon und zur Behauptung der Landschaft. Vielleicht sind auch schon die Stätten bestimmt, an welchen weiter abwärts die nächsten deutschen Burgen gebaut werden. Meine Brüder leiten die Arbeit, denn sie haben darin Erfahrung; Bruder Arnfried von Naumburg gebietet den Maurern auf der Höhe – Ihr seht ihn mit Richtscheit und Meßstock schreiten —, und dort unten bereitet Bruder Sibold aus Bremen ein Heerlager für die Arbeiter; diesem will ich Euch zuteilen.«

Ohne Freude empfing ihn der Alte: »Was fiel meinem Meister ein, daß er mir einen Gehilfen sendet, der zuverlässig nichts versteht als Rosse zu drücken und der außerdem ein Edler ist? Kennt Ihr das Geheimnis der Zahlen?«

»Wie der Knabe es auf dem Zahlbrett lernt.«

»Wißt Ihr die Zahlzeichen auf eine Wachstafel zu schreiben?« Das wußte Ivo nicht. »Versteht Ihr die Linien auf diesem Pergament zu deuten?« und er hielt ihm einen gezeichneten Plan hin. Ivo fand die Linien unverständlich. Der Bruder bewegte mißbilligend das weiße Haupt: »Ich dachte mir‘s wohl, es ist geringe Freude, einen Ungeschickten zu lehren.«

»Habt Geduld mit mir«, bat Ivo, den aufspringenden Stolz unterzwingend. »Ich will mir eifrig Mühe geben, Euch zu gefallen.«

»Haltet wenigstens die Meßschnur«, gebot der Bremer, und Ivo faßte an.

Am Abend war es ihm gelungen, dem strengen Alten so weit zu gefallen, daß dieser sagte: »Ich sehe, Ihr seid willig. Dafür will ich Euch Zeichen in den Sand ritzen und erklären, damit Ihr sie morgen bei Sonnenaufgang merkt. Legt ein Brett darüber, sonst tilgt Euch ein plumper Fußtritt die Wissenschaft.«

Früh am nächsten Morgen saß Ivo auf dem Sande in der Wolljacke, ein Schurzfell um die Hüften, er zog mit einem Schnitzmesser gerade Linien auf ein dünnes Brett, sägte vorsichtig das umrissene Stück ab und rief, seine Arbeit in die Höhe haltend, dem Marschalk zu: »Wißt Ihr, Henner, was ein Winkel ist?« Er mußte die Frage wiederholen, denn rings um ihn krachten die Äxte; auch seine Ritter und Knechte waren in Werkleute verwandelt, welche Balken und starke Pfosten zurechthieben. Endlich antwortete Henner, seine lange Gestalt reckend und den Schweiß von der Stirne wischend: »Ich kenne nur einige Winkel in Erfurt, in welchen nicht viel Gutes zu finden ist. Doch die Heiligen hier haben andere Gewohnheiten als bei uns, für die Seele mag ihre Sitte heilsam sein, aber dem Rücken tut sie weh. Wir merken, Herr, daß dies die Heimat des heiligen Joseph ist, der, wie sie sagen, ein Zimmermann war.«

Wieder half Ivo dem Alten und war eifrig bei der Arbeit, denn er erkannte allmählich das Sinnvolle der Zeichen, welche er machen half. In der Mitte des Lagers sah er einen großen freien Raum, den Ring zum Marktverkehr und zur Sammlung beim Alarm, in der Mitte des Ringes das Wachthaus und dahinter nach der Zahl der Apostel die Stellen der zwölf Schenken und Kaufbuden, seitwärts den Kirchhof, auf dem die Kapelle der Jungfrau Maria gezimmert werden sollte. Von den vier Ecken des Marktes liefen vier Lagergassen nach zwei gegenüberliegenden Toren, und kleinere Gassen nach den Pforten auf den beiden anderen Seiten, längs der Gassen wurden die Hüttenräume für je zwölf Schüsselgenossen abgesteckt und in Quartiere geteilt; um den ganzen Raum wurde die Furche für den Wall und Graben gezogen.

Mit dem Werke gewann Ivo auch den Bruder lieb, denn er merkte wohl, daß dieser in seiner Art ein vielerfahrener und weiser Mann war. Als sie alles abgegrenzt hatten und die Pfähle mit verschiedener Farbe bezeichnet in Reihen standen, sah der Alte zufrieden auf sein Werk und sprach im Selbstgefühl eines Meisters: »Auch Ihr habt jetzt die Kunst gewonnen, ein Lager abzustecken, welches so groß ist, daß zweitausend Mann darin bequem wohnen und zugleich den Wall verteidigen können. Glaubt aber nicht, daß Ihr deshalb versteht, auch das Lager für weit größere Anzahl zu errichten, indem Ihr nach Eurer Willkür die Quartiere vergrößert, Ihr würdet nur ein ungefüges Werk zustande bringen und die Mannschaft würde sich entweder drängen oder nicht imstande sein, den ganzen Wall zu verteidigen. Denn jedes Maß ändert das andere, und eine Zahl hängt von der andern ab. Dies größere Geheimnis aber darf nur ich wissen und der Orden, denn der Lehrherr muß etwas vorausbehalten vor dem Lehrling.«

Das gab Ivo ergeben zu, und Sibold fuhr fort: »Diese Kunst, die wir jetzt üben, vermag man hier im fremden Lande nicht zu gewinnen, wo vieles unordentlich zugeht. Sie ist aber ein Geheimnis, das wir Nordfahrer und zum Teil Eure Nachbarn, die Magdeburger, ergründet haben, wenn wir mit unseren Meerschiffen den Strand der Heiden im kalten Osten anliefen oder unter den Fremden handelten. Merket auch, daß dieses Lager zugleich eine Stadt werden kann für die Siedler, wenn diese hier dauern. Wo wir das große Alarmhaus gesetzt haben, wird ein Stockwerk übergebaut für den Rat der Gemeinde, und die zwölf Apostel dahinter werden zwölf Kaufhäuser, aus den Lagergassen erstehen die Straßen und aus den Hütten die Wohnungen mit ihrem Hofraum. Dann mögen sich die neuen Burgmannen statt des Holzgerüstes eine Kirche bauen und statt des Pfahlwerkes eine Mauer errichten. Solche Werke gedeihen bei uns überall, wo die Kaufleute ihre Bank unter den Ostleuten aufschlagen und die Bauern ihnen nachziehen, um auf neuer Scholle zu siedeln.«

Ivo sah über das Lager auf die fruchtbare Landschaft, um sein Haupt sangen die Sommervögel, die Natur blühte und duftete, und er rief begeistert: »Wahrlich, keinen besseren Wohnsitz kann ich denken für Männer meines Volkes. Bald soll, wenn unser Schwert hilft, hier ein neues Heimwesen gegründet werden. Und ich denke, auch Euer Meister hat das gewollt, als er die Arbeiter bei der neuen Burg ansiedelte.«

Der Alte schwieg, endlich sprach er in seinen Gedanken: »Viel bin ich umhergezogen über das salzige Meer in Sturm und Eisfrost unserer Heimat. Und in manchem Lande fremder Menschen habe ich, als ich noch ein freier Mann war, die Warenballen aufgeschnürt, gekauft und getauscht, um in Reichtum meine Tage zu enden. Wisset, Herr, eine Sturmnacht vertilgte die Hoffnungen meiner Seele, zwei gewappnete Söhne versanken mir mit ihrem Schiffsvolk im Ostmeere. Seitdem wurde mir die Sorge um mein einsames Leben verächtlich und ich dachte oft an den Saal der ewigen Freude, in dem ich meine lieben Jungen wiederfinden könnte. Da übergab ich mich und mein Gut der Bruderschaft und kam in dieses Land. Mit gutem Grunde sagt Ihr, daß das Land erfreulich ist für Auge und Herz, und doch kennt Ihr noch wenig davon. Ich aber habe das Schönste darin geschaut, was einem Paradiese gleicht.«

»Ihr meint das heilige Jerusalem?« fragte Ivo.

Bruder Sibold schüttelte das Haupt. »Dort wurde der Herr gemißhandelt und gekreuzigt, und wenn sie auch sagen, daß große Verheißung an der öden Stätte hängt, mir war, als ich dorthin pilgerte, das Herz schwer bedrückt. Nein, ein anderes Tal preise ich, wo ich selbst sterben möchte. Seht dort, gerade vor uns, hinter den Bergen, liegt das gesegnete Nazareth, in wenigen Stunden könnte Euch ein Roß hintragen. Dort wuchs unser lieber Herr bei seiner Mutter und dem treuen Joseph auf. Dort stand ich mehr denn einmal als Waller, und ich sage Euch, nichts auf Erden gleicht der Seligkeit dieser Stunden. Denn ich sah in meinem Geiste das liebe Kind mit seinen treuen Augen vor mir, als es vor dem Hause saß und spielte, wie Kinder tun, und ich kniete an der Quelle, zu der ihn gewöhnlich seine Mutter schickte das Wasser zu holen, und hörte in meinem Geiste, wie die Himmelskönigin, wenn er das Krüglein brachte, zu ihm sprach: ›Lütte Putje, wat vorsumst du di?‹ Da dachte ich an meine eigenen Jungen.«

Den Alten übermannte die Bewegung, er setzte sich auf einen Stein zur Seite und faltete die Hände. Ivo stand still neben ihm und legte den Arm über seinen Hals. Auch er dachte an die Heimat, obwohl kein blondhaariger Knabe seine Rückkehr erwartete. Nach einer Weile fuhr der Bruder traurig fort: »Ihr saget, aus diesem Lager hier mag eine Stadt unseres Volkes werden, und wie Ihr denken vielleicht andere; ich aber sorge, diese Hoffnung wird nicht in Erfüllung gehen.«

»Die Ankunft des Kaisers steht bevor, Vater; vertraut auch Ihr, daß die träge Ruhe ein Ende nimmt und die Heiden vor unseren Waffen entweichen.«

»Wenn Waffen dies Land festhalten könnten,« entgegnete der Alte kopfschüttelnd, »so wäre es nicht verloren worden, trotz unserer Sünden. Wir Kaufmänner aus Bremen haben darüber andere Gedanken. Die Edlen und Ritter haben durch das ganze Land unablässig Burgen erhöht und unzählige Christen haben ihr Blut vergossen, sie zu behaupten. Aber das Beste wollte nicht gelingen, die Christen haben nirgend im Lande eine Stadt gebaut, und nur die Küste vermochten sie festzuhalten, weil die Schiffahrt und der Handel ihnen gehören. Denn eines fehlt hier, unsere Bauern und Arbeiter, die hinter dem Stadtwall hausen und von da das umliegende Land in Frieden bezwingen.«

»Mögen sie hier beginnen«, rief Ivo. »Viele kräftige Ackerleute unseres Volkes kommen in den Kreuzheeren.«

Da sprach der Alte leise: »Sie gehen wieder oder verderben, denn sie vermögen hier nichts. Wundervoll ist, was dieses Land den Menschen gewährt, und zwiefältig ist der Segen. Denn die Wolle wächst nicht nur auf den Schafen, sondern noch zarter auf einem Gesträuch des beackerten Bodens; den süßen Seim sammelt nicht nur die Biene, auch die Menschen kochen ihn aus einer kostbaren Rohrpflanze, die sie im Sumpfe bauen. Fremdländisch ist der Bau, und unsere Landsleute sind den fleißigen Syrern an Kunst nicht überlegen, sondern die Syrer ihnen. Und ebenso sind diese hier in vieler Handwerksarbeit voraus. Darum können unsere Landgenossen sich nur mühsam durch ihrer Hände Arbeit behaupten und sie finden es leichter, als müßige Herren über den Arbeitern zu sitzen. Dies ist der Grund, daß unsere Hüttenlager sich niemals in Städte verwandeln, und deshalb wird um die Burgen der Kampf toben, solange wir hier sind.«

»Solange wir hier sind?« wiederholte Ivo. »Meint Ihr, Vater, daß die Christenheit einmal aus dem teuren Lande entweichen wird?«

Der Alte vermied die Antwort. »Ein Bremer Kaufherr hatte, da ich jung war, ein Sprichwort, welches viele verlachten: Der Untreue vergeht, der Redliche besteht. Ihr seid ein billig denkender Mann, und auch ich gehöre zu einer Bruderschaft, welche auf Treue hält, aber ich hörte manchen frommen Mann bitterlich klagen, daß die Sarazenen gerechter und wahrhafter sind als die Lateiner, denen auch wir zugezählt werden. Das beachten die alten Einwohner dieses Landes sehr wohl, auch wenn sie Christen sind; und sie werden darum den Sarazenen williger dienen als uns Abendländern. Wenige wagen davon zu reden, einer aber weiß es, der vorsichtig für uns alle denkt.« Und der Alte wies nach dem Hügel, auf dem der Meister seiner Bruderschaft stand.

Während Ivo in der Fremde, da, wo er kühne Rittertat gehofft hatte, die Meßschnur hielt und den friedlichen Lehren des alten Bürgers lauschte, war in seiner Heimat der Friede geschwunden und eine gepanzerte Faust hob sich gegen die andere. Vor andern erfuhr die schuldlose Frau Else mit ihren Kindern die Rache des Schicksals. Wie ihr Gemahl sein Schwesterkind aus den Burgen von Meißen verjagt hatte, ebenso trieben jetzt die Brüder des Landgrafen sie mit ihren Kindern aus der festen Wartburg, und die Thüringe erzählten einander mit Schrecken, daß die Landgräfin zu Fuß aus der Burg gewandert war und wie eine Bettlerin mit ihren Kleinen Obdach in der Stadt Eisenach erbeten hatte. Der tote Landgraf hatte aber auch als strenger Herr die Raublust in den Bergen gebändigt und mehr als einen frechen Missetäter gezwungen, barbeinig und auf den Knien Genugtuung zu geben. Jetzt brannten überall neue Fehden auf, man sah den Himmel oft von niedergesengten Höfen gerötet und vernahm von geblendeten Bauern und weggetriebenen Herden.

In dem Hofe Ivos stand der alte Godwin trübe zwischen Ställen und Scheuern. Von den entfernten Dörfern kamen unwillkommene Nachrichten, noch hielt die Teuerung an und viele Hintersassen waren nicht imstande dem Herrenhofe die Gebühr zu leisten, andere entzogen sich aufsätzig ihren Pflichten, da die Hand des Gutsherrn nicht über ihnen war. Zwar sollten Hof und Gut den hohen Frieden genießen, welchen die Kirche verkündet hatte, aber mancher gewalttätige Nachbar umlauerte die Grenzen und enthielt sich durchaus nicht eigennütziger Eingriffe. Auch der alte Graf Meginhard kam mit seinem Gefolge über die Brücke geritten, rief die Hofleute herrisch an, sah in die Ställe und saß in der Halle nieder, weil er bei der langen Abwesenheit seines Neffen um das Erbe des Geschlechtes zu sorgen habe; und am greulichsten war dem Kämmerer, daß sogar Ritter Konz unverschämt über den Hof schritt und ein junges Roß von der besten Zucht am Halfter aus dem Stalle führte, um es nach der Mühlburg zu nehmen. Nur mit Mühe vermochte Godwin durch den alten Grafen diese Gewalttat zu hindern.

 

Lange hatte der Kämmerer ungeduldig nach Nikolaus ausgesehen, der ihm lieber gewesen war als den anderen Rittern des Hofes und der ihm jetzt Nachricht aus Welschland bringen sollte. Aber der Schüler blieb lange aus. Und als er endlich spät im Winter zurückkehrte, war sein Übermut ganz geschwunden und er wollte wenig von dem berichten, was er selbst erlebt hatte.

Auch ihm war nicht alles wohlgelungen. Ivo hatte, während er, vom Kaiser festgehalten, bei Otranto auf die Abfahrt wartete, zuweilen wieder die Saiten der Harfe gerührt und ein neues Lied an die Herrin erdacht. Vor dem ersehnten Tage der Abreise legte er seinem Liedergesellen Nikolaus die Verse ans Herz, damit dieser sie, wie er bisher getan, vor den Landsleuten singe, und Ivo machte ihm vor allem zur Pflicht, nach Augsburg an das Hoflager des jungen Königs Heinrich zu gehen, sich dort in den Haushalt der Gräfin von Meran zu schmeicheln und das Lied vor ihr und ihren Frauen zu singen. Dies war für Nikolaus ein willkommener Auftrag. Denn er ließ seine Stimme am liebsten vor schönen Frauen ertönen. Als er nach Augsburg kam, erkundete er leicht das ansehnliche Turmhaus, in welchem die Herrin wohnte. Er fand einzelne aus dem Gefolge, denen er schon einmal bei den Landgräflichen in Thüringen vorgesungen hatte, und gewann den Eintritt in die untere Steinhalle. Schnell machte er die Hofleute, welche darin saßen, durch seine Lieder und Scherzreden gutwillig und lauerte auf eine Gelegenheit, die ihm das Gemach der Herrin öffnen würde. Als Frauenrosse an das Tor geführt wurden und zierliche Hofknaben zur Schwelle eilten, um der Gebieterin aufzuwarten, trat er aus der Halle in den Flur, stellte sich so auf, daß man ihn sehen mußte, griff in die Saiten der Harfe und hob mit lauter Stimme den Ton des Herrn Ivo an. Eine verhüllte Frau, welche, gestützt auf den Arm ihres Kämmerers, herankam, hielt still, sobald sie den Gesang vernahm, und hörte einem Verse aufmerksam zu, dann winkte sie mit der Hand und sprach: »Eine wohltönende Stimme ward Euch zuteil, Sänger, und gern vernehme ich bei Gelegenheit mehr davon, meldet Euch, wenn Ihr wiederkommt, vor meiner Kammer.« Sie rauschte vorüber und wurde auf das Roß gehoben, während der Schüler, seines Glückes froh, sich tief verneigte. Aber sein Behagen ward jämmerlich gestört, als ein Herr mit braunem, gefurchtem Gesicht, welcher einem Welschen glich, in den Flur trat und mit scharfer Stimme gebot: »Führt den Fahrenden in mein Gemach und harret vor der Tür.« Sogleich fühlte sich Nikolaus gepackt und widerwillig fortgeschoben. Als er im verschlossenen Gemach dem Fremden gegenüberstand, sprach dieser: »Auch ich bin ein Freund des Gesanges. Sing mir das Lied, das du unten an der Tür erschallen ließest.« Der Schüler hielt für das beste, dem unfreundlichen Mann seinen Willen zu tun. Dieser hörte abgewandt zu. »Ich kenne die Weise deines Liedes, denn öfter wird nach derselben in diesem Hause gesungen. Mit welchem Namen benennt ihr Sänger die Weise?«

»Es ist der Ton des Herrn Ivo,« versetzte Nikolaus, »und er heißt so, weil der edle Ivo von Ingersleben in diesem Tone zu dichten pflegt.«

»Du aber bist der Fahrende, der in seinem Solde singt?«

»Ich bin, wie Ihr seht, ein lateinischer Schüler und singe seine Lieder.«

»Und dein Herr hat dich gesandt, damit du sie in diesem Hause singen sollst?«

Solche Frage dünkte den Schüler ungehörig. »Ich sang das Lied hier, wie ich es überall singe, wo man mich hören will.«

Im nächsten Augenblick fühlte er die Spitze eines Dolches an seinem Halse und vernahm entsetzt die Worte: »Gesteh‘, oder dies Eisen durchbohrt dir die Kehle.« Da vermochte er in der Todesangst die Wahrheit nicht zu bergen, zumal sie ihm nicht verboten war, und seufzte: »Es ward mir befohlen.«

»Und wie heißt die Dame, vor der du singen solltest?« Da nannte er traurig den Namen. Der Herr öffnete die Tür und gebot den Dienern: »Faßt die Riemen und geißelt ihn hinaus. Läßt du dich noch einmal in diesem Hause oder in der Nähe blicken, so hast du zum letzten Male das Sonnenlicht geschaut.«

Behende entsprang Nikolaus den Knechten, eilte in die Herberge und kehrte noch an demselben Tage der ungastlichen Stadt den Rücken. Lange war ihm aller Gesang verleidet, auch die Rückkehr in den Edelhof mißfiel ihm, denn er gedachte, daß er in seiner Angst die Wahrheit gesagt hatte, wo sie seinem Beschützer nicht frommte. So flatterte er unstet umher wie ein Vogel, dem der Marder das Nest zerrissen hat, und erst die Winterkälte trieb ihn unter das schützende Obdach.

Er hütete sich, Herrn Godwin etwas von seinem Abenteuer zu gestehen, als er aber in den Hof des Richters kam und Friderun ihn mit herzlicher Freude empfing und das Beste hervorholte, was sie aus Küche und Keller ihm anzubieten hatte, da ging ihm das Herz auf, und nachdem er die ganze Reise des Herrn Ivo bis zum Hafen berichtet und vielen Fragen der Magd geantwortet hatte, vertraute er ihr auch über den Herd hinüber einiges von seinem späteren Schicksal, vor allem den Unglimpf, welchen er im Dienste des Herrn Ivo erfahren hatte, und er freute sich, daß Friderun ihn dabei aus ihren großen Augen so entsetzt anstarrte, als hätte sie selbst das Unglück erlebt. Da er aber zuletzt gedrückt hinzufügte: »Ich sorge, die Dame selbst oder eine ihrer edlen Frauen ist seine Herrin«, und darauf zu der Magd hinübersah, war ihr Sitz leer und sie selbst wie ein Geist verschwunden.

Dagegen stand in der Tür eine große Gestalt und die Hand des Richters fiel schwer auf seine Schulter. »Ihr haltet übel den Vertrag, dem Ihr Euch gelobtet.«

Beunruhigt durch die finstere Miene des Alten, sagte Nikolaus: »Ich dachte, Herr, die mühsame Arbeit sei Euch selbst verleidet.«

»Ich aber rate Euch, daß Ihr Eures Eides gedenkt«, versetzte der Alte feierlich. »Folgt mir, denn die Zeit ist gekommen, wo Ihr mir deuten sollt, was ich selbst nicht zu lesen vermag.« Er führte den betroffenen Schüler in die Kammer, öffnete die Truhe, hob einen Pack heraus, den er sorgfältig in Leinwand geschlagen hatte, und enthüllte eine Anzahl Pergamentblätter, gebräunt und vielgebraucht, das Außenblatt durch dunkle Flecke entstellt. Der Richter setzte den Daumen an die Flecke. »Der mir dies gab, sagte aus, daß hier Blut eines Mannes ist, welcher getötet wurde, weil er diese Blätter zu lesen vermochte.«

Nikolaus sah entsetzt auf das Pergament, sein Grauen überwindend, schlug er die Blätter um, aber er legte sie nach wenigen Augenblicken wieder weg, sein rötliches Antlitz war erblichen und seine Augen fuhren angstvoll umher, während er den durchbohrenden Blick des Richters auf sich gerichtet fühlte.