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Die Ahnen

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Der Richter neigte das Haupt ein wenig, schritt zu seinem Herde zurück und saß dort wie zuvor.



Während der Alte mit den Bärtigen verhandelte, trat Ivo zu Friderun: »Der Vater hört auf Eure Worte; sorgt mit gutem Bedacht, daß er nicht ungerechten Groll gegen mich und meinen Hof bewahre. Denn sein altes Haupt ist mir vertraut und ehrwürdig. Und Euer Bruder war es, der zuerst das scharfe Schwert gegen die Meinen entblößte.«



»Als ein Freier ritt der Bruder mit dem Mühlburger, Euer Ritterspiel in der Nähe zu schauen,« antwortete Friderun, »fremd war er und unbeteiligt an Euren Händeln; da haben Eure Dienstmannen ihn vom Rosse gerissen und ihre unfreien Hände haben den Freien geschlagen. Die Alten im Dorfe gedenken noch, wie der Großvater Eures Herrn Henner, der jetzt so ritterlich prangt, im schmucklosen Kleid eines Knechts die Hammel durch unsere Dorfgasse trieb.«



»Ihr irrt,« versetzte Ivo, »nicht als ein Freier zog der Bruder in der Schar meines Gegners, sich und sein Roß hatte er in die Farben des andern gekleidet, und ein fremdes Abzeichen trug er wie ein Dienender.«



»Fremde Farben und fremdes Abzeichen!« wiederholte Friderun leidenschaftlich. »Waren es nicht auch Eure Farben, die er trug? Und ist der Rabe darauf Euch so unbekannt? Was konnte mein lieber Knabe dafür, daß Euch die Bilder seines Begleiters nicht gefielen? Oh, du mein armer Bruder! Als du noch ein Kindlein warst, hat man dich gelehrt, deine kleinen Arme auszustrecken und zu jauchzen, sooft das blaue Herrengewand und sein Wappenbild in unserm Dorfe zu sehen war. Teuer hast du für die Zuneigung bezahlt, die du in deinem treuen Gemüte bewahrtest. Denn aller Trost, den Herr Ivo unseren Herzen zu geben weiß, sind nur die stolzen Worte: Es ist ihm recht geschehen.«



»Nicht so, Friderun; Euren Bruder erkannte nicht ich und kaum einer von den Meinen, als er verkleidet im Haufen ritt. Erst als er auf dem Boden saß, sah ich sein verstörtes Angesicht, und glaubt mir, ich dachte dabei an Euch und den Vater und sein Unfall tat mir wehe.«



»Ihr aber rittet hoch zu Roß vorüber, statt anzuhalten und ihn mit Eurer Hand aufzuheben.«



»Wie durfte der Verletzte, wenn er ein Mann war, in der Stunde der Kränkung die Hand des Gegners fassen?«



»Wundert Euch also,« rief Friderun, »daß in dem Bruder die Scham brennt und daß er darauf denkt, die Schmach zu rächen in Eurer Weise? Hat Euch der Vater schwere Worte gesagt, so haben Eure Dienstmannen die verschuldet, denn einsam habt Ihr sein Alter gemacht und auf sein weißes Haupt das bitterste Leid gehäuft. Sie sagen, daß Euch der Mantel, um den Ihr stecht, hohen Ruhm schaffen werde, wenn Ihr ihn Eurer Herrin um die Schultern hängt; denkt auch daran, daß Eure Fahrt Trauer unter Leute gebracht hat, die bisher treu zu Eurem Hause hielten und die sich in der Stille freuten, wenn Euch alles im Leben gut gelang.«



»Bei allen Heiligen,« erwiderte Ivo unwillig, »selten hörte ich ein Weib, das so scharf mit seiner Zunge zu schneiden versteht als Ihr, schon da Ihr ein Kind wart, haben sich die Leute gewundert, und auch die Mutter hat Euch darum gescholten.«



»Eure liebe Mutter ist zu den Engeln heimgegangen, von denen sie zu uns kam. Meint Ihr, daß sie sich über alles freuen würde, was Ihr tatet, um Gold und Silber für Eure Ritterfahrt zu gewinnen? Von einem Manne aus Erfurt erfuhren wir, daß Ihr den alten Stadthof Eures Geschlechtes aus der Hand gegeben habt; und doch hielt Eure selige Mutter viel auf den Hof, und sie sagte zuweilen, daß der Turm im Stadtfrieden ihrem Geschlecht einmal wertvoller sein könne, als manche Hufe auf dem Lande.«



Ivo fühlte ein scharfes Mißbehagen über die dreiste Rede, doch antwortete er gutherzig: »Heut darf ich Euch nicht zürnen, wenn Ihr scheltet, Ihr übt in Eurem Schmerze nur ein altes Vorrecht; und ich weiß wohl, Eure Meinung ist gut, wenn Ihr auch um die Ehren des Ritteramtes wenig sorgt.«



Aber seine freundlichen Worte bezwangen nicht den Zorn der Jungfrau.



»Mögen andere Euer ritterliches Abenteuer preisen, unsere freien Bauern wundern sich, daß Ihr, der Edle aus dem alten Blut der Thüringe, Eure Habe und Eure Glieder übermütig preisgebt dem Speerholz jedes groben Gesellen, dem einmal sein Herr den weißen Riemen um seinen Knechtsleib geschnallt hat. Geringen Ruhm finden wir darin, daß Ihr solche wie Euresgleichen ehrt, die als Kuhdiebe durch die Nacht reiten, Unfreie, deren Leib und Leben unter dem Hofrecht eines Herrn steht, die als Knechte Schläge und Fesseln ertragen müssen und die in Wahrheit nur wie Roßknechte gebraucht werden, auch wenn Ihr sie nach Eurer höflichen Sitte Herren nennt. Und wir Freien halten es für einen schlechten Brauch in der Welt, daß der unfreie Knecht, wenn er den Eisenhelm empfängt, sich unter die Edlen setzt und über die Schulter auf die Freien im Bundschuh herabsieht. Auch Ihr helft dazu, daß die alte Freiheit im Lande untergeht, und mancher trauert, daß wir das von Eurem Geschlecht erleben.«



»Oft habe ich vernommen,« versetzte Ivo erstaunt, »daß die Bauern mit Mißgunst und Neid nach den Höfen der Ritter schauen und auch gegen die Edlen geheimen Haß bewahren, aber in Eurem Hofe, Friderun, hätte ich bessern Verstand gehofft.«



»Meint Ihr so,« rief Friderun mit blitzenden Augen, »dann reut mich jedes Wort, das ich Euch sagte. Bin ich Euch nur die Magd aus dem Bauernhofe, so fahrt dahin in Eurem Stolz, ich behalte den meinen.« Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, aber gleich darauf zog sich ihr Gesicht finster zusammen, und sie wandte sich ab.



Noch einen düstern Blick warf Ivo auf die Gespielin seiner Kinderzeit, dann schritt er durch das Tor und schwang sich auf sein Pferd.



Gegen Abend kam der Richter aus seinem Hause in den Hof, er sah zuerst, wie er gewohnt war, nach dem Stand der Sonne, an der Tür des Stalles fuhr er zurück, doch bezwang er sich und trat hinein. Schweigend betrachtete er die fremden Rosse, denen der junge Knecht das Futter schwang. »Woher kam der Braune in unsere Täler?« fragte er endlich den Knecht.



»Aus dem heiligen Lande«, antwortete dieser unterwürfig.



»Du aber stammst, wenn ich deine Sprache richtig erkenne, aus Thüringen. Hast du einen Vater, und wo lebt er?«



»Mein Vater war ein Schmied von der Naumburg, die Eltern starben an der Pest, da nahm mich mein Herr Arnfried aus dem leeren Hause und zog mich bei der Bruderschaft auf.«



»Ich hoffe, er war strenge gegen dich.«



»Er ist gut wie ein Engel des Himmels, aber der Orden ist streng«, versetzte der Jüngling mit weicher Stimme.



»Ich denke mir‘s,« sprach der Richter zu sich selbst, »darum gefielen mir die Männer. Ist jener, der bei dem Kranken sitzt, dein Herr Arnfried?«



»Nein, Herr,« antwortete der Knecht, »der andere war‘s, welcher mit Euch am Tore sprach, er ritt von dannen. Der jetzt am Lager wacht, ist Bruder Gottfried, der von den Sarazenen stammt.«



Der Richter sah verwundert auf das Pferd: »Laß mich seinen Braunen von vorn sehen.« Er schüttelte den Kopf und schritt nach der Gastwohnung.



Der Bruder grüßte vom Lager des Verwundeten mit einer Handbewegung und wandte sich wieder dem Kranken zu. Der Richter aber setzte sich abseits und bedeckte das Gesicht mit der Hand. Als der Kranke einmal stöhnte, richtete er sich auf und betrachtete das dunkle Antlitz und den schwarzen gekräuselten Bart des Bruders, welcher die Lippen des Liegenden mit einem Trank anfeuchtete und vorsichtig die Decke zurechtrückte. »Fremdländisch ist Euer Roß und fremd seid Ihr selbst, ich hoffe, Ihr seid ein Christ.«



Der Bruder antwortete, das Haupt neigend, mit fremder Betonung: »Ich glaube an Gott den Vater, den Sohn und den heiligen Geist, und sie sind eins und in gleicher Hoheit anzubeten.«



Der Kranke seufzte und machte eine Bewegung, der Richter schlug sein Kreuz und sprach: »So sind auch wir im Glauben gelehrt. Von Euch aber vernahm ich, daß Ihr aus der Heidenschaft stammt; gibt es bei Euch Söhne, die ihren Vätern ungehorsam sind?«



»Auch dort ist ein Gesetz, daß der Sohn den Vater ehre, solange dieser lebt, und wenn er getötet wird, seinen Tod an dem Feinde räche.«



»Habt auch Ihr so gehandelt gegen Euren Vater?«



Der Bruder wies auf sein Haupt, an welchem eine rote Narbe vom Scheitel nach der Stirn herablief. »Ein Edler meines eigenen Stammes erschlug meinen Vater. Ich nahm an seinem Leben die Rache und verfiel darum den Schwertern seiner Blutgenossen. Als ich mit solchen Wunden in der Sonne lag, fanden mich die Brüder, in ihrem Hause erwachte ich zum Leben, seitdem diene ich ihnen.«



Der Richter nickte beistimmend: »Ich merke, Ihr seid ein treuer Bruder. Ein geistliches Leben führet Ihr, aber anders als unsere Mönche und Pfaffen, denn ganz verdorben sind diese, nur auf Wohlleben denken sie, auf kostbare Gewänder und schöne Weiber, und ich sorge, kraftlos sind ihre Gebete für uns Laien. Für den Reichen beten sie aus Habgier, um den kleinen Mann kümmern sie sich wenig. Doch vernahm ich, daß jetzt allerlei neue Brüder in das Land kommen, welche als armselige Leute leben, sich ihre eigene Kost an den Türen betteln und am liebsten für die armen Laien beten. Ich denke, auch Ihr gehört zu diesen Bittenden.«



Der Bruder erhob stolz das Haupt. »Ich bin ein Krieger und kein Bettelmönch, ich diene nur durch gute Werke im Hospital oder mit den Waffen auf dem Schlachtfeld.«



»Und wer sind Eure Feinde?«



»Die der Meister uns nennt.«



Der Richter schüttelte sein weißes Haupt, aber er blieb sitzen, bis er draußen den Peitschenschlag seiner heimkehrenden Knechte hörte. Nach Sonnenuntergang kam er zurück, begleitet von seiner Tochter, welche den Tisch mit einem weißen Tuch bedeckte und kräftige Kost aufsetzte, der Alte selbst brachte eine Kanne vom besten Bier, das er in seinem Keller bewahrte, stellte sie vor den Gast und schüttelte wieder das Haupt, als dieser sich mit wenigen Bissen begnügte und auch dem starken Trunk nicht volle Ehre erwies. Eine stämmige Magd trug dem Fremden Streu in eine Ecke und breitete darüber das Polster, die Decke und ein weiches Kopfkissen. Der Richter blieb schweigend auf seinem Schemel, endlich begann er: »Gedenket der Ruhe, Bruder«, und als der Sarazene auf den Kranken wies, fuhr er fort: »Sagt mir, was ich diesem tun soll. Denn ruhelos ist für mich die Nacht, und ich sorge, wenn ich allein liege, werde ich einem fluchen, der nicht hier ist. Darum laßt mich an Eurer Stelle sitzen, Fremder. Ihr seid Eurem Vater treu gewesen bis über den Tod, darum sollt Ihr jetzt schlafen und ein armer Vater will statt Eurer wachen.«

 



Der Bruder sah ihn dankend an und gab in wenigen Worten die Anweisung. Dann sprach er am Lager kniend leise die Gebete und schob, bevor er sich ausstreckte, das weiche Kopfkissen, welches ihm nicht erlaubt war, beiseite. Der Richter aber saß bei dem Kranken und starrte auf das hagere Gesicht des Liegenden, der zuweilen zuckte und stöhnte. So durchwachte der Alte die Nacht, zuweilen aufgerichtet mit finsterer Miene und geballter Faust, dann wieder mit gebeugtem Haupt und gefalteten Händen.



Ivo hatte sich mit kurzem Abschied von den Bärtigen getrennt und zog in seiner lustigen Schar dahin. Aber er nahm nicht teil an der geräuschvollen Fröhlichkeit der anderen. Dem hochherzigen Manne waren die harten Reden des alten Bauern und seiner Tochter lästiger als er irgend jemandem gestanden hätte, auch das Unglück des Knaben Berthold beschwerte ihm den Sinn. Seit der Kinderzeit hatten ihn die Tränen, welche andere in seiner Nähe vergossen, beunruhigt, manchem Knecht hatte er die verdiente Strafe abgebeten und dem Traurigen heimlich gute Bissen zugetragen. Auch Friderun bewahrte in ihrer Lade ein Geschenk, das er ihr als Knabe aus gutem Herzen gemacht hatte, eine bunte Holzpuppe, welche ein lustiges Männlein vorstellte. Zog man an einem Faden, so bewegte das Närrchen den Kopf und die Arme. Ivos Mutter hatte es einst dem Sohne von Erfurt mitgebracht und der ganze Hof hatte sich gefreut, wenn der Knabe mit dem Gaukelmann spielte und aus dem Stegreif possierliche Worte dazu sprach, wie er sie von fahrenden Leuten gehört hatte. Gerade damals war die kleine Friderun nach dem Tode ihrer eigenen Mutter auf den Hof gebracht worden, weil die Edelfrau ihre Pate war; das Kind saß in einer Ecke, bangte sich unter der fremden Umgebung und weinte, als wollte ihm das kleine Herz brechen. Da ging Ivo leise zu ihr und legte sein Spielzeug in ihren Schoß. Das Geschenk hatte sie auch ein wenig getröstet, nicht sowohl wegen des närrischen Gesichtes, als deshalb, weil ihr die gute Meinung des Knaben wohltat, und die Mutter, welche von ihrem Ehrensitz die Kinder beobachtete, hatte genickt und dem Mädchen erlaubt, das Bild zu behalten. Heut, wo Ivo die Jungfrau in Tränen gesehen hatte, mußte er immer wieder an jenen Tag denken, an dem das fremde Kind mit seinen großen Augen so verstört zu den Füßen der Mutter gesessen hatte. Er fühlte ihr Leid mit wie damals als Knabe, und ihm war, als müßte er ihr etwas recht Gutes erweisen. Doch er selbst hatte ihr den Bruder aus dem Hause getrieben und er hatte Schuld an den Tränen, die sie heut weinte. Vergebens spornte er sein Roß, um der schwächlichen Gedanken ledig zu werden.



Henner aber, der seinen Herrn nicht aus den Augen ließ, sprach bekümmert zu seinem Genossen Lutz: »Ich sorge um ihn, er ist triste und pensant, er sieht müde aus, er hat heimliche Maladey. Die Bärtigen und die Bauern haben ihm seine Kraft gemindert, und er wird sie jetzt mehr brauchen als zuvor. Denn wißt, Kumpan, wir sind seither fast nur gegen gute Gesellen geritten, die außer der Ehre nur den Ring begehrten. Jetzt kommen wir unter die Erzbischöflichen von Erfurt und werden mit den Grafen von Gleichen und ihren Dienstmannen zusammenstoßen, von denen viele einen alten Groll gegen uns bewahren; harte Rennen stehen bevor, ungefüge Speere und böse Absicht, welche unserm Herrn den Mairitt verderben möchte. Strengt Euren Witz an, daß wir erfinden, was ihn wild macht, denn zu hurtigem Rennen gehört ein ganzer Mann und ein scharfer Wille, sonst helfen nicht starker Rücken, nicht feste Schenkel.«



»Ich habe ihm die zwei besten Pferde gespart,« tröstete der ruhige Lutz, »auf den Fuchs kann er sich verlassen.«



»Aber nicht auf sich selbst«, entgegnete Henner. – »Alle guten Geister, mir ahnte, daß uns Unheil bevorsteht. Dort hält der Rettbacher am Wege, der alte Rennteufel bringt uns heut in Not.«



»Er kommt nicht, um zu stechen, er ist ganz allein.«



»Er kommt zu spähen und sinnt Arges. Reitet flugs zu den Knechten, welche die Pferde führen, und leidet nicht, daß er sich an die Tiere herandrängt.«



»Guten Tag, Henner«, grüßte der Rettbacher, ein stämmiger Mann mit einem Stiernacken, kurzem Oberleib und starken Schenkeln, der im Lande für einen der gewaltigsten Speerkämpfer galt und ein Schrecken in den Rennbahnen war, weil er sich wenig um die Ehre, aber sehr um die Kampfbeute kümmerte. »Ein schöner Zug,« fuhr er fort, »ich sehe viele Hufe, die Ihr dem Sieger als Preis gestellt habt. Wieviel mögen ihrer wohl sein?«



»Gewinnt den Preis, und Ihr könnt sie gemächlich zählen«, spottete Henner. »Doch ich sehe, daß Ihr ohne Speer kommt.«



»Vielleicht reite ich doch«, lachte der andere schlau.



»Dann rüstet Euch, wir haben nicht weit bis zur nächsten Raststelle.«



»Sie liegt einsam im Felde«, versetzte der Rettbacher. »Manchem wird lieber sein, vor einer großen Menge zu stechen. Auf der Heide könnte es dem Sieger schwer werden, Euch von den Rossen zu heben und aus den Rüstungen zu schälen.«



»Was wollt Ihr damit sagen, Ihr Kobold?«



»Nichts gegen Eure Ehre, Henner. Doch Vorsicht ist gut. Nicht jedermann hat aus Eurer Aufforderung verstanden, ob auch die Rüstungen und Rosse der Dienstmannen in den Preis gestellt sind, oder nur die des Herrn und seiner Knechte.«



»Nehmt an, daß der Sieger alles erhält, was unter dem Wappenzeichen unseres Hofes reitet.«



»Herr Ivo handelt immer großartig. Gebt Ihr die Beute selbst oder zahlt Ihr den Wert in Geld?«



»Wie dem Sieger beliebt«, antwortete Henner unwillig.



»Schätzt der Sieger nach eigenem Ermessen?«



»Ihr wißt ja selbst, daß er das Recht hat«, rief Henner noch zorniger.



»So ist‘s in der Ordnung«, bestätigte der andere und sah mit Luchsaugen auf die vorbeischreitenden Pferde. »Da ist ja auch der Fuchs«, sagte er nachdenklich und ritt heran.



»Zurück, Wilhelm, oder Euer Pferd macht einen Bocksprung ins Grüne,« rief Lutz, den Zudringlichen mit der Speerstange abtreibend, »wir leiden nicht, daß eine Bremse um die Ohren unserer Rosse summt.«



»Vorsicht ist immer gut«, wiederholte der Ritter, ungerührt durch den Verweis. »Die Zahl stimmt mit meiner Rechnung. Eure letzte Rast haltet Ihr ja wohl bei Erfurt?«



»Habt Ihr gezählt? Dann beeilt Euch, heut die Beute heimzutreiben,« höhnte Henner, »denn morgen würde die Zahl nicht stimmen.«



»So?« brummte der Rettbacher, »ich verstehe, Ihr wollt heut noch in Euren Hof führen, was Ihr morgen nicht gebraucht.«



»Dürfen wir den Erfurtern weniger Pferde zeigen als den Bauern im Lande? Unser Herr denkt weit anders, wir hoffen, morgen mehr und Besseres zu weisen als Ihr hier seht. Meint Ihr, daß wir unsere besten Pferde wie Roßtäuscher durch das Land führen?«



»Euer Fuchs ist doch hier«, bemerkte der Rettbacher.



»Es ist wohl möglich, daß der morgen Ruhe hat. Den Stolz des Stalles hebt jeder für das Ende auf. Die vier Pferde, welche uns morgen zugeführt werden, findet Ihr nicht im Zuge.«



»Vier?« fragte der Schlaue, »wir haben doch nichts von neuen Rennpferden bei Euch gehört.«



»Wir wissen einen Vorteil geheim zu bewahren«, versetzte Henner.



»Ihr seid nicht von gestern«, schloß der Rettbacher achtungsvoll. »Also vier? Gute Fahrt, Herr, vielleicht sehen wir uns wieder.« Und er trabte mit kurzem Gruße nach Erfurt zu.



»Was wolltet Ihr mit den vier Pferden?« fragte Lutz neugierig.



»Vielleicht meinte ich die Gäule, welche uns den Hafer nach Erfurt schaffen«, lachte Henner. »Merkt auf, Lutz: Er wollte heut abend gegen uns reiten und es ist wohl möglich, daß unsere Feinde ihm allein die drei Speere gelassen hätten. Unser Herr aber darf heut diesem alten Stoßvogel nicht im Kampfe begegnen, sonst erleben wir Malheur. Über Nacht findet Herr Ivo wohl sein Vertrauen wieder und morgen ist großes Gedränge, da muß der Habgierige sich mit einem Speer begnügen, deshalb habe ich ihm die Beute, die er sich bereits gezählt hat, so stattlich gemehrt.«



So geschah es. Der kluge Henner wußte bei dem letzten Rasten seinem Herrn leichten Kampf zu verschaffen, die Schwäche Ivos ging vorüber. Am nächsten Morgen freute sich der Marschalk über das Feuer, mit welchem er in den Sattel sprang, und über die Gewalt der Stöße, welche er austeilte.



4. Der Herrin Dank

Eine halbe Wegstunde von Erfurt waren auf großer Wiese die starken Pfähle der Turnierschranken errichtet und durch Querriegel verbunden, mit zwei Eingängen auf den entgegengesetzten Seiten. Der freie Raum ringsumher stieg allmählich zu den bewaldeten Höhen. Dort standen unter den ersten Bäumen die buntfarbigen Zelte der Kämpfenden; wo ein Edler sich gelagert hatte, wehte ein Banner mit seinen Farben und Wappenzeichen, bei jedem Zelte stampften Rennpferde und drängten sich buntgekleidete Knechte, Spielleute und neugierige Zuschauer. Dazwischen hatten die Erfurter Buden und Tische aufgestellt, in denen sie Speise und Trank feilboten, hier und da war in Holzhütten ein Herd errichtet mit dem Blasebalg und die Schmiede warteten mit ihren Hämmern am Amboß, um an Rüstungen und Hufbeschlag ihre Kunst zu erweisen. Zwischen dem Waldesrand und den Schranken trieben sich Städter und Dorfleute umher zu Fuß und zu Roß, viele waren aus großer Entfernung aufgebrochen und hatten die Nacht bei Bekannten in der Nähe oder gar im Freien am flammenden Feuer zugebracht. Lange vor Beginn des Festes schallte der Lärm zum Himmel; die Sänger, welche die Fahrt begleitet hatten, sangen von den Taten ihrer Helden, die Geiger spielten lustige Reigen, Rosse wieherten, die Verkäufer luden schreiend zu ihren Buden, die Menge schwatzte und lachte; um jeden, der Bescheid wußte, sammelte sich ein Haufe Neugieriger, der sich die Wappen und Namen der Ritter erklären ließ und seine Vermutungen über das Glück der einzelnen austauschte.



Während Herr Godwin mit seinen Knechten in den Schranken umherritt, dieselben von Knaben und vorwitzigem Volk frei zu halten, standen die fahrenden Leute, welche als Turniergehilfen der Kämpfer in Sold genommen waren, in großen Haufen unweit der Eingänge, denn als Helfer der Knappen mußten sie sich in das Gewühl der Männer und Rosse werfen, um Geworfene zu retten, Speertrümmer aus dem Wege zu räumen, Speere aufzuheben, kleine Schäden an Riemzeug und Rüstung zu bessern; und sie taten dies nicht stillschweigend, sondern mit Geschrei. Die Übung half ihnen, aalgleich wußten sie sich zwischen den Reitern und unter den Rossen durchzuwinden, wenn aber einer von ihnen getreten und verwundet wurde, hatte er den Schaden und geringen Dank.



Unterdes trugen in Erfurt die Knappen der Ritter, welche an dem Turnier teilnehmen wollten, die Schilde anmeldend nach der Herberge, in welcher der alte Graf von Orlamünde als erwählter Turnierrichter saß. Durch ihn wurden die Kämpfer in zwei Parteien geteilt und nach ihrem Wunsch entweder Herrn Henner oder einem Dienstmann der Grafen von Gleichen zugewiesen. Denn Markwart von Gleichen hatte die Führung der Gegner übernommen und alle, welche dem Herrn Ivo abgeneigt waren oder ihre Kraft gegen die Herausforderer versuchen wollten, sammelten sich unter seinem Banner. Die Mehrzahl der Kämpfer aber ging zur Messe und tat heimliche Gelübde für einen guten Ausgang, denn der Kampf im Turnier bedrohte mit weit größerer Gefahr als das Speerrennen der einzelnen. Wer in die Hände der Gegner fiel oder gar vom Roß geschleudert wurde, der hatte schlechte Behandlung und Schaden an Leben und Gliedern zu besorgen.



Lange harrten die Zuschauer auf dem Rennplatz, endlich klangen die Posaunen und vier Scharen Geharnischter sprengten mit geschlossenen Helmen auf der Straße heran, jede gefolgt von ihren Knappen. Die Kämpfer im Helm hielten, von den Marschällen geführt, durch die beiden Tore ihren Einritt; es waren im ganzen etwa achtzig Speere, welche sich so aufstellten, daß die Herausforderer den Osten und Süden, die Gegner den Norden und Westen des umhegten Raumes erhielten, die gegenüberstehenden Haufen hatten abwechselnd gegeneinander zu reiten. Wer den Speer verstochen hatte, oder wer sich an die Schranken drängen ließ, galt für wehrlos und durfte nach Turnierrecht durch Schläge gezwungen werden, den Helm abzubinden und sich gefangenzugeben. Roß und Rüstung verfielen dem Sieger.

 



Die vier Scharen ordneten sich jede in zwei Glieder, die Partei Ivos kenntlich durch einen weißen Schleier, die Gegner durch ein Tannenreis an den Helmen. Als die Herren so hielten und die Rosse schnoben und stampften, da dachten die Zuschauer mit Stolz daran, daß sie die Blüte ihres Adels und der waffentüchtigen Helden vor sich sahen, im Heergewande, in ihrem schönsten Kriegerschmuck, die großen Helme zum Teil bemalt mit den Wappenfarben, bei manchen Edlen gekrönt durch einen Aufsatz, der ein geschnitztes Wappentier wies, einen Fächer, einen Mohrenkopf, oder was sonst den Herren als Zierat gefiel. Die Holzschilde, mit schwarzem, grauem oder weißem Pelzwerk überzogen und zuweilen mit dem Wappenzeichen versehen, die langen Gewänder über Rüstung und Roß, von farbigem Stoff, mit Bildern geschmückt, waren den Leuten ein prachtvoller Anblick.



Posaunen und Pfeifen erklangen, das Kampfspiel begann. Ivo ritt mit seinem Haufen in schnellstem Lauf gegen die Schar des Grafen Markwart von Gleichen, die ihm entgegensprengte, um den Anprall nicht stehenden Fußes zu erwarten. Laut krachten die Speere des ersten Gliedes in jeder Schar, die Trümmer sanken zu Boden, und im Nu fuhr das zweite Glied durch die Zwischenräume des ersten in den Vorkampf, damit die speerlosen Genossen Zeit erhielten, von den Knappen, welche sich in das Gewühl stürzten, neue Speere zu empfangen. Mit diesen Waffen drängte, wer von der ersten Reihe freie Hand behielt, wieder den Genossen nach, um die Reihen der Gegner zu durchbrechen und die Hintersten des feindlichen Haufens an die Schranken zu drücken. Ein wildes Getümmel erhob sich, von allen Seiten tönte der Schlachtruf und das Geschrei nach Speeren, und an der einen Seite des Kampfplatzes wogte ein unsägliches wirres Durcheinander von Rossen und Menschenleibern. Auch die Zuschauer schrien und jauchzten in wilder Aufregung, bis sich die beiden kämpfenden Scharen nach den entgegengesetzten Seiten der Schranken auseinanderzogen, während ihre Gefangenen von den Knappen gewaltsam aus der Umfriedung gezerrt wurden. Jetzt sprangen die fahrenden Leute in den Rennplatz und säuberten ihn von dem gebrochenen Holze und den gestürzten Rossen, die sich nicht aufzurichten vermochten. Wieder rief die Posaune, die beiden anderen Scharen, welche gegenüber hielten, rannten ebenso wie die ersten zusammen; unterdes zogen sich die Kämpfer des ersten Rennens hinter ihnen auf den früheren Stand. In solcher Weise wurde viermal gerannt, damit jede der Scharen ihren langen Anlauf erhielt. Dann erhob sich nach einer Pause, in welcher nur einzelne gegeneinander ritten, ein allgemeiner Kampf der beiden Parteien. Die Zahl der Streitenden war kleiner geworden, aber der Eifer gestiegen, die Reihenfolge im Abritt war nicht mehr zu bewahren, auch der Zusammenhalt der Scharen wurde gelockert, von allen Seiten stießen die Wilden nach der Mitte und suchten sich die Gegner, welche ihnen am leidigsten waren; immer schärfer gellten die Rufe der Kämpfenden, die Pfeifen und Posaunen schrien dazwischen und gleich dem Gebrüll empörter Meereswogen tönte Zuruf, Jubelgeschrei und Klage der Schauenden um das sinnbetörende Schauspiel. Der Rettbacher stieß mit Henner zusammen. »Wo sind Eure neuen Rosse?« schrie er, sein Pferd zum Anlauf wendend. »Am Heuwagen,« rief Henner zurück, »hütet Euch, daß Ihr heut Euren Gaul bewahrt.« Und sie stießen zusammen wie zwei Felsblöcke, welche gegeneinander geschleudert werden, beide blieben unbewegt sitzen und beiden kamen die nächsten Genossen zu Hilfe, während sie sich, neue Waffen suchend, dem Getümmel zu entziehen suchten. Aber die von Ingersleben waren zahlreicher, Lutz schleuderte mit seinem Rosse die herzueilenden Knappen des Rettbachers zur Seite und der Waffenlose mußte, indem er unablässig nach einem Speer schrie, den Rücken wenden und durch die Windungen seines Pferdes den Verfolgern zu entrinnen suchen, welche ihn den Schranken näher trieben.



Unterdes blieben die Führer im dichten Kampfgewühl, denn um beide scharten sich am engsten die Genossen, weil die Ehre der Partei daran hing, daß ihr Vorkämpfer nicht gefangen wurde. »Gebt Raum,« rief Ivo, den zugereichten Speer einlegend, »jetzt bring‘ ich‘s zum Ende«, und er fuhr mit so gewaltigem Roßsprunge auf Herrn Markwart zu, daß diesem das Tier auf das Hinterteil gesetzt wurde und mit dem Reiter zu Boden rollte. Hilflos lag der Graf unter dem Rosse und um ihn begann das Stoßen und Zerren, so daß die Zuschauer in dem tollen Gewirr nichts deutlich erkannten, nur einen Strudel von Helmen und Roßhäuptern, der sich kreisend um den unsichtbaren Mittelpunkt bewegte. Aber die Mannen von Ingerslebe