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Die Ahnen

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Nach dieser Beredung verliefen die drei Rennen besser, als Henner gefürchtet hatte. Hell klangen die Posaunen, die Herren sprengten auf ihren Stand, der durch ein Fähnlein bezeichnet war, sie grüßten einander mit würdiger Neigung des Hauptes, senkten die Speere, hoben die Schilde und rannten von der Stelle in gestrecktem Lauf gegeneinander. Aber während dem schnellen Ritt hob Ivo seinen Speer, setzte ihn auf das Knie und empfing ohne Gegenstoß den Anritt des Landgrafen. Dieser traf mit der stumpfen Spitze auf die Eisenplatte, welche als Bruststück über das Panzerhemd gelegt war, die Stange zersplitterte, Ivo saß unbeweglich und neigte das Haupt tiefer, als die Reiter so nahe aneinander vorüberflogen, daß ihre Knie streiften. »Speere her«, riefen beide und die aufgeregten Helden, welche in zwei Scharen geteilt um den Kampfplatz hielten, schrien ihnen die Worte nach. Die beiden Marschälle ritten herzu, prüften mit scharfem Blicke die Rüstung der Kämpfer und die Riemen des Geschirres und legten die neuen Speere in die Hand der Leibknappen. Diesmal antwortete der Löwe auf die Huldigung im ersten Rennen dadurch, daß er seinen Speer aus der eisernen Auflage hob und unter den Arm schlug. Ivo erwies sogleich dieselbe Artigkeit, und auch dies Rennen blieb, wie zu erwarten war, ohne Gefahr, der schwache Stoß des Landgrafen traf wenigstens den Schild des Gegners, so daß der Speer zerbrach, und Herr Ivo hatte nach der Mitte des Schildes gehalten, wo die Widerstandskraft des Gegners am größten war. Beide Kämpfer saßen, als sie aneinander vorübergejagt waren, fest im Sattel. Wieder riefen die Mannen Heil! und Waffen!, aber eine Unruhe war erkennbar, jeder wollte den Ernst des Spieles sehen. »Jetzt kommt‘s«, seufzte Henner; sorgfältiger prüfte er den Harnisch seines Herrn und damit beschäftigt sprach er leise: »Von Eurem Vater und von Eurem Großahn vernahm ich, sooft sie gegen einen gekrönten Helm ritten, stachen sie nach der Krone. Da auch heut der Löwe sich nicht enthalten konnte zu zeigen, daß er ein Herr sein will über uns alle, so wäre es ein gutes Werk, ihm das Krönlein zu kappen.« Der kluge Rat half, beide Herren trieben ihre Rosse weiter rückwärts von den Fähnlein, um stärkeren Anlauf zu gewinnen und sprengten kräftig gegeneinander. Der Speer Ivos traf genau die Krone, das vergoldete Holz flog rückwärts und fiel in Trümmern zur Erde, der Speer des Landgrafen brach regelrecht an dem Schilde, der Graf schwankte im Sattel, aber er hielt sich. Und beide Kämpfer warfen die Endstücke der Speere auf die Bahn und neigten sich grüßend gegeneinander. Wieder klang lauter Beifallsruf, der Landgraf nahm seinen Helm ab und streckte mit gerötetem Antlitz lachend seinem Gegner die Hand entgegen, welche dieser ehrerbietig ergriff.

Dem Kampf der Gebieter folgte eifriges Rennen des Gefolges, viel Eschenholz wurde kunstvoll zerbrochen und kein größeres Unglück war zu beklagen, als einige verstauchte Daumen und ein harmloser Fall auf den Rasen. Darauf rasteten die Rosse, die Herren saßen am Birkengehölz auf weichen Polstern, tranken vergnügt welschen Wein und sprachen von Rüstungen, Pferden und Falken, wie Brauch. Mit ehrlichem Heilwunsch schied der Landgraf, nachdem er noch Herrn Ivo eine gute Strecke begleitet und vergnügt den Ring empfangen hatte.

Auch an den nächsten Raststellen wurden die Reisenden von rüstigen Rittern der Umgegend erwartet und die von Ingersleben merkten mit stolzer Freude, daß der Beginn ihrer Rennen glück- und ruhmverheißend war.

Es war am zweiten Tage der Fahrt, als die Schar zu einem Platz auf einsamer Heide gelangte, wo sie keinen Gegner zu finden glaubte. Dennoch hielt auch dort ein kleiner Haufe mit gehobenen Waffen. Es war Herr Konz mit seinem Gefolge, er ritt vor und schwenkte seinen großen Speer, hochragend auf starkem Rosse, ein gefährlicher Gegner, in seiner Rüstung ganz ähnlich dem Herrn Ivo, nur breitschultriger und plumper. Jedoch die Zeichen auf seinem Wappenrock und auf dem Behang seines Pferdes waren übel geraten. Allerdings war ein Rabe sorgfältig aus schwarzem Tuch geschnitten und über den blauen Perkan genäht, auch ein Krönlein trug er aus vergoldetem Taffet, aber da der Schneider den Vogel gewissermaßen in häuslicher Tätigkeit dargestellt hatte, über seinem Nest schwebend, so hatte er ihm den Schwanz gehoben, und was darunter lag, als Ei und Nest, war weißlich, undeutlich und erregte Zweifel über die Beschäftigung des Vogels. Und wie Herr Konz selbst waren auch seine Begleiter gezeichnet.

Die Schar des Herausforderers sah befremdet auf die ungewöhnlichen Wappenzeichen. Einer wies dem andern den Vogel, bald hefteten sich aller Augen darauf, zuerst lachten die von Ingersleben, bald aber erkannten sie in dem Reiter und seinem Vogel eine Kränkung, die ihnen angetan wurde, sie schrien laut Hui! und Pfui! und faßten nach den Schwertern. Henner ritt vor und rief seinem Herrn zu: »Erlaubt, daß ich den Dreisten für seine Frechheit bezahle, denn unwürdig ist er Eures Speeres und schnell soll die Unehre getilgt sein, die er Euch bereitet hat.« Ivo winkte Gewähr und Henner spornte sein Pferd zum Anritt. »Den Herrn Ivo begehre ich zum Kampf!« schrie Konz aus der Ferne; doch Henner rief: »Zuerst der Marschalk, ob Euch dann noch ein zweiter Ritt gelüstet! Heran, wenn Ihr kein Feigling seid, oder ich kehre den Speer um und schlage Euch mit dem Holz, wie Ihr verdient.« Da erhob sich lautes Getümmel, von beiden Seiten klang wilder Zornesruf. Die beiden Kämpfer fuhren gegeneinander, nicht zum Heil für Herrn Konz, denn wie stark er sich dünkte, er war im Nu rückwärts aus dem Sattel geschleudert und lag betäubt auf dem Grunde. »Die Schere her«, rief Henner vom Rosse. »Und ihr, Mannen des edlen Ivo, rückt im Kreise um die Spießgesellen des Geworfenen, laßt keinen entweichen, der das Zeichen unseres Herrn so unhöflich führt. Euch aber, ihr Fremden, fordere ich auf, gutwillig abzusteigen und euer Gewand abzulegen, oder bei allen Heiligen, die Schäfte unserer Speere sollen euch den Rücken bleuen.« Doch die Begleiter des Mühlburgers spornten ihre Rosse und eine helle Stimme rief: »Nimmer gebe ich Euch Gewalt über Kleid und Leib trotz Eurem Drohwort, Marschalk; wahret Euch vor dem Freien.« Es war Bertholds Stimme, er riß sein Schwert von der Seite und fuhr gegen den Marschalk los. Aber im Nu war er umringt, vom Rosse geworfen, des Gewandes entkleidet und geschlagen, und wie er die andern. Und Henner warf die Streifen der zerschnittenen Decken hoch in die Luft, indem er rief: »So sei der Hohn gerächt nach Reiterbrauch, vorwärts, ihr Herren, zu einer Stelle, wo man höflichere Sitte übt; ihr aber tragt den Schaden.« Herr Ivo winkte ihm dankend zu und ritt davon. Flüchtig im Reiten sah er noch das Antlitz des jungen Berthold bleich und verstört, er sah einen Arm, der sich wie zum Schwur gen Himmel hob und ein Auge voll Zorn und Seelenqual, das auf ihn starrte. Und wieder bliesen die Pfeifen, spielten die Geigen und dröhnten die kleinen Trommeln, die bunte Schar flog lachend und jauchzend über den grünen Grund und ließ gebrochene Speere, geknickten Stolz und todwunde Herzen an der Erde zurück.

Größer wurde der Zug und lauter die Fröhlichkeit, als sich die Sonne abwärts neigte; die Schar war fast zu einem Heere gewachsen, einige der Herren, welche im Rennen rühmlich ihren Ring gewonnen hatten, schlossen sich dem Gefolge an, viele Landleute, die an den Kreuzwegen gewartet hatten, begleiteten meilenweit die Mairitter. Vollends die fahrenden Leute waren aus der ganzen Landschaft zusammengeströmt, die ansehnlichen auf Pferden und Eseln, die Mehrzahl zu Fuß: Spielleute mit ihrem Gerät, Gaukler und Luftspringer, Weiber in buntem Gewande mit herausforderndem Blick, auch solche, welche ein Gewerbe daraus machten, Pferde zu heilen und kranke Pferde um ein Billiges zu kaufen, dazu alle, die mit dem Brauch der Speerrennen und Turniere vertraut waren und als Rufer und gewandte Diener ihren Lohn zu gewinnen hofften; diese scharten sich achtungsvoll um ihre Genossen, welche dem Herrn Ivo während der Fahrt treuen Dienst geschworen hatten und einen schönen blauen Überwurf sowie am Arme einen silbernen Ring trugen mit dem Bilde eines Raben als Abzeichen. An sie schloß sich ein ruhmloser Haufe von verlorenen Kindern der Heerstraße, welcher keinerlei Kunst, aber große Begehrlichkeit besaß und durch Heilrufe und Geschrei seine Spende zu verdienen suchte. Hinter dem Zuge der Herren und Knechte wälzte das fahrende Volk sich mit Lachen, Geschrei und Zank dahin, lauernd spähten die Augen aus den sonnenverbrannten Gesichtern, und der erste Rufer des Herrn hatte Mühe, die Frechen, welche sich mit Scherzreden und Schmeicheleien an die Reiter drängten, durch eine zähe Gerte zurückzuhalten, die er über ihnen schwenkte.

Die Abendsonne schien golden auf die Türme und Mauern einer ansehnlichen Stadt, auf dem Felde davor sprengten Reiter und große Haufen von Neugierigen harrten der Gäste, denen die Luft ein Getöse von Hörnern, Pfeifen und kleinen Handtrommeln grüßend zutrug. Henner ritt zu seinem Herrn: »Das sind die lustigen Bürger von Mühlhausen, ansehnlich wissen sie sich zu halten und nicht wenige treue Gesellen erkenne ich, welche ihre Ritterschaft erweisen wollen. Sie haben Euch, wie ich vernehme, gute Herberge bereitet und hoffen auch bei einem Abendtrunk Ehre einzulegen. Da das Volk hier drängen wird, so umzäune ich mit der Schnur einen Rosengarten, in dem Ihr reiten könnt.« Er winkte den Rufern, und eilend liefen diese hinter ihm mit den spitzen Stäben und der roten Schnur; nach artiger Begrüßung wurde der Plan abgesteckt und das Zelt des Herrn aufgeschlagen. Die Burgmannen, welche den Ritterschild führten, waren zahlreich gekommen, unter ihnen hielt auf einem mächtigen Rosse Johannes der Kaufmann, den sie Langhans nannten, und sogar der alte Bertram Schultheiß, ein runder Mann mit fröhlichem Gesicht, als kluger Sprecher wohlbekannt in den Städten. Ihm wurde nicht bequem, auf das Roß zu steigen, aber man wußte auch, daß er nicht leicht herunterzubringen war, wenn er einmal fest saß.

 

Als Ivo gewappnet aus seinem Zelte trat und sich auf das Pferd schwang, begrüßte ihn wieder lauter Zuruf, Geschrei und Getöse der fahrenden Musiker, und als er in die Schranken ritt, drängten sich von allen Seiten die Zuschauer heran und ihre Augen richteten sich auf den entgegengesetzten Eingang, wer zuerst gegen den berühmten Kämpfer ansprengen würde. Es war der dicke Schultheiß Bertram unter einem schweren Helm in schönem feuerfarbenem Überwurf, zwar mit verdecktem Antlitz, aber wohl kenntlich an seiner Rundung; darüber freuten sich die Mühlhäuser, jauchzten und nickten einander zu. Alles glückte in dem Speergarten, zumal Herr Henner die Speere in freundlicher Gesinnung wählte und seinem Herrn auch einmal zuraunte: »Seid nicht zu scharf.« Die Burgmannen aber erwiesen sich gewaltig, der Schultheiß gewann den Fingerring und rief fröhlich dem Ivo zu: »Den trage ich, dieweil ich lebe, zu Eurem Gedächtnis.« Nur Herr Langhans entging dem Unglück nicht, er wurde aus dem Sattel geschleudert, daß er der Länge nach auf den Rücken fiel und mit den Händen in der Luft fingerte. Aber da er in der Stadt nicht sehr beliebt war wegen übergroßer Hoffart, so hielten die von Mühlhausen seinen Fall für keine Kränkung, auch er selbst trug‘s leidlich, da ihm Ähnliches schon früher begegnet war. Ja er versuchte sogar trotz seinem Schmerz zu lächeln, als Henner sich über ihn beugte und dem Knappen mit der Schere zuwinkte, den vorderen Teil eines Überwurfs von kostbarem Samt wegzuschneiden, indem er artig sagte: »Gestattet, Chevalier, daß wir nach unserem Devoir tun, wenn wir auch weniger geübt sind, Gewand zu schneiden, als Ihr selbst.«

Jedesmal, wenn Herr Ivo von einem Rennen auf seine Stelle zurückritt, erhob sich das Freudengeschrei des Haufens, der mit ihm gekommen war, zumal der fahrenden Leute, welche dichtgedrängt am Eingange standen und einander stießen, um den Schranken am nächsten zu sein. Denn alsdann griff Herr Henner in die Geldtasche, welche er an der Seite trug und warf kleine Silbermünzen in den Haufen. Sobald er an die Tasche rührte, hoben sich die Arme der Fahrenden und sie schrien: »Segen über Euch, Herr Ritter, hierher, hierher!« Sie bückten sich nach der fallenden Münze, schlugen und balgten sich zum Ergötzen der Zuschauer. Als Ivo einmal so an den Schranken hielt, unter dem Helme tief atmend und sich mit einem Tuch durch die Helmlöcher Kühlung zuwehend, hörte er neben sich eine bebende Stimme, welche wie die andern rief: »Spendet mir!« Er sah die zitternde Hand eines alten Mannes in elendem Reisekleide, und als die Hand nichts zu fangen vermochte, den matten Blick eines Entsagenden. Da fragte er über die Schranken: »Wer bist du, Alter?«

»Ein Elender, den der Hunger zwingt, während er sich nach der Heimat sehnt«, klang es leise zurück.

»Er gehört nicht zu uns«, schrien die Fahrenden neben ihm, feindselige Blicke auf den Fremden werfend, der sich in ihre Brüderschaft eindrängte.

In dem Klang der Stimme und dem gramdurchfurchten Angesicht war etwas so Verzweifeltes, daß dem Herrn das Herz weich wurde, er lenkte, seiner Ritterpflicht gedenkend, das Pferd zum Marschalk, griff in die Ledertasche und holte einen Goldgulden heraus. Als er sich wieder zu dem Fremden wandte, war dieser vor Erschöpfung an den Schranken zusammengebrochen. Da winkte er einem Knechte, dem Liegenden beizuspringen und warf ihm das Goldstück in den Schoß. Gierige Hände der Umstehenden griffen darnach, aber der Knappe eilte dem Manne zu Hilfe und dieser rief, die Hand hebend: »Möge der Himmelsherr dich bewahren, daß du selbst jemals in so bitterer Not für eine Gabe danken mußt, wie ich dir danke.« Die Fanfaren klangen, Ivo wandte sich ab, faßte nach dem Speer und hatte bald unter den Grüßen der Mühlhäuser und beim festlichen Abendtrunk in der Ratsstube den Jammer des fremden Bettlers vergessen.

Es war am vierten Tage der Maienfahrt, die ritterliche Schar kehrte von Norden her in die Umgegend von Erfurt zurück; wieder trug die Natur ihr schönstes Feierkleid, die Tautropfen blitzten wie Edelsteine an Gras und Blumen, die Amsel pfiff im Gehölz und von der Höhe trillerte die Lerche. Harte Stöße hatte der unermüdliche Speerbrecher empfangen, aber noch stärkere hatte er ausgeteilt, mit Stolz blickte er rückwärts auf ein Bündel, welches mit seidener Decke umhüllt an seinem Sattel befestigt war, denn es enthielt zehn Stücke bunten Stoffes, die sein Marschalk aus den Wappenröcken geworfener Ritter geschnitten hatte. Beinahe war der Stoff gesammelt für einen Mantel, und doch war im Turnier noch der meiste Zuwachs zu erwarten. Sah man dem Herrn und seinem Gefolge auch die Anstrengung der letzten Tage an, sein Herz war froh, denn sein Ruhm war hoch gestiegen, die stärksten Ritter der Landschaft hatten vergebens ihre Rosse gespornt und mächtige Speere gegen ihn eingelegt, und die Spielleute zählten bereits in langen Gedichten seine Gegner auf, den Schmuck ihrer Rüstungen und den Verlauf seiner siegreichen Kämpfe.

Ivos Lippen bewegten sich und er sang leise vor sich hin. Da hielt der Zug. Auf einer kleinen Anhöhe standen Rosse, Helme blinkten und Bewaffnete lagerten am Rand eines Gehölzes. »Gutes Glück,« rief Herr Henner, »dort harren edle Gäste, weckt sie aus ihrer Ruhe, denn mir scheint, sie haben den Ausguck versäumt und wir überraschen sie.« Herausfordernd klang die Posaune, aber kein Gegenruf antwortete und die fremden Reiter traten nicht einmal an die Rosse. »Sie schlafen,« rief Ivo verwundert, »blast zum zweiten Male.« »Sie haben sich träge verlegen und vermögen die Glieder nicht zu rühren«, spotteten seine Ritter. Auch der zweite Klang weckte keine Antwort. Der Marschalk ritt vor, aber nach wenig Roßsprüngen wandte er um und rief seinem Herrn zu: »Sie führen nicht Wappen, nicht Decken, nur ein schwarzes Kreuz erkenne ich an den Mänteln und die Vollbärte der Gesichter. Es sind Marienbrüder vom deutschen Hause in Jerusalem.«

Mehrere aus dem Gefolge bekreuzigten sich. Ivo hielt sein Pferd an: »Wir vernehmen zuweilen von ihren Taten im gelobten Lande, doch wir selbst sehen wenig davon; denn bei uns schleichen sie wie die Mönche, bergen ihr Antlitz in den Siechhöfen und stellen sich, wie man sagt, ungern zum Speerkampf. Dennoch begehre ich ihr schwarzes Zeichen als Beute, wenn es auch nur ein trauriger Schmuck ist. Wir reiten näher, ob wir sie herauslocken.«

Er ritt vom Marschalk begleitet zu den Fremden. Aus dem kleinen Haufen der Gelagerten erhob sich ein Bruder und antwortete ernsthaft dem Gruße, ein Mann von mittleren Jahren, der über dem Kettenhemd einen braunen Überwurf von grobem Wollstoff trug, über der Brust ein großes Kreuz von schwarzen Tuchstreifen und um die Schultern einen weißen Mantel. Sein voller Bart war mit Grau gemischt, die festen Züge des Antlitzes von südlicher Sonne gebräunt.

»Geschlossene Helme sehe ich hier,« begann Ivo, »und Schwerter, welche am Rittergurt hängen, aber auf die Ladung meines Rufers kam von euch keine frohe Antwort. Ist keiner unter euch, ihr Herren, der sich einen goldenen Fingerring begehrt, wenn er mir ehrlich widersteht, oder meine Rosse und Rüstungen, wenn er mich wirft? Schwingt euch vom Boden und ergreift die Speere.«

Einige der Jüngeren sprangen auf, der Führer aber hob die Hand, und die behenden Knaben traten zurück. »Euer Ring, edler Herr, soll die Brüder nicht locken, sie dürfen kein Gold tragen, nicht am Finger, nicht am Harnisch und Gewand; auch eure Rosse und Rüstungen dürfen sie nicht erwerben, denn sie führen nicht eigenes Roß und nicht eigene Waffen, sie gebrauchen nur, was ihnen die Bruderschaft zuteilt.«

»Lockt euch der Preis nicht,« rief Ivo wieder, »so kämpft, wenn euch an der Huld guter Frauen gelegen ist; einer Herrin zu Ehren fordere ich euch, habt ihr eine Frau, welcher ihr dient, so streitet für ihren Ruhm; denn ich hoffe, Ehre erwirbt bei Männern und Frauen, wer mich aus dem Sattel zu schwingen vermag.«

Aber ungerührt antwortete der Bruder: »Keiner von uns dient einer irdischen Frau, und das einzige Weib, welches wir anflehen, ist die hohe Gottesmutter. Auch Euch, Herr Ivo, ziemt nicht, die Himmelskönigin gegen ein irdisches Weib herauszufordern.«

»Nun denn,« versetzte Ivo gereizt, »wenn ihr nicht um Beute kämpfen wollt und nicht für Frauenminne, so schwingt euch in den Sattel, weil ihr Ritter seid, damit euch die Leute nicht schelten, daß ihr ruhmlos die Waffen führt.«

Wieder regten sich die Jüngeren und zornige Blicke drohten dem Herausforderer. Doch der Bruder wies auf einen Speer im Boden, an welchem die scharfe Eisenspitze glänzte. »Wir treffen mit dem Speere nur, wenn wir den Tod geben und erwarten, zu Reiterlust und Spiel führen wir die Waffen nicht.«

»Wohlauf, ihr Herren, ist euer Brauch so unmild, so weiß ich euch mit gleicher Waffe zu begegnen; auch ich führe Speerholz, an welchem der Todesstachel befestigt ist. Ihr seid geladen zum Kampf nach eurer Weise.«

»Wir töten Ungläubige, wenn sie uns trotzig widerstehen«, versetzte der Bruder. »Unter den Christen ist unser Amt nicht, Wunden zu schlagen, sondern zu heilen. Wir üben hier die Bruderpflicht.« Er trat zurück und wies auf die Gruppe am Boden. Ivo hob sich im Sattel und sah, daß zwei Brüder einen entblößten und blutigen Mann in den Armen hielten, während ein dritter mit dem Verband beschäftigt war. Er war als Sohn einer harten Zeit gewöhnt, ohne Schrecken auf Wunde und Tote zu sehen, aber der schweigsame Ernst, mit welchem die Brüder um den Kranken bemüht waren, und ihr fremdartiges Aussehen fesselten seinen Blick, er zwang sein bäumendes Roß zu halten. »Ist der Sieche von eurer Gesellschaft?«

»Es ist ein armer Landfahrer, den andere schlugen, welche an Nächstenliebe und Gnade ärmer waren als er.«

»Und was wollt Ihr mit ihm beginnen, Herr?«

Der Bruder zeigte in das Gehölz, wo zwei der Jüngeren Holzstangen zu einer Trage zusammenbanden. »Wir tragen ihn, bis wir gute Leute treffen, welche ihn um Christi willen aufnehmen.«

»Und wenn ihr die Höfe an der Landstraße verschlossen findet?« fragte Ivo. »Wer kennt das Schicksal, das der Arme sich bereitet hat, und wer weiß, welchen Fluch er mit sich durch das Land trägt?«

»Einer weiß es, der uns Barmherzigkeit geboten hat«, versetzte der Bruder feierlich.

Ivo schwang sich aus dem Sattel und trat näher, aber er fuhr unwillkürlich zurück, denn der Verwundete hob gegen ihn das Haupt, wimmerte leise und streckte die geöffnete Hand in die Höhe; Ivo erkannte jenen Dürftigen, dem er vor wenig Tagen ein Goldstück in den Schoß geworfen hatte. »Ich gab ihm Geld vor vieler Augen,« murmelte er, »und ich fürchte, um des Goldes willen liegt er heut am Boden.«

Der Krieger, welcher den Verband angelegt hatte, erhob sich und sprach zu dem Führer einige Worte in fremder Sprache.

»Mein Bruder sagt, daß dies Leben bei guter Pflege vielleicht erhalten wird«, erklärte der Anführer und neigte das Haupt zum Abschiede, während die jüngeren Brüder den Kranken vorsichtig auf die Trage aus Baumästen hoben. Ivo warf noch einen traurigen Blick auf das Opfer seiner Milde, bestieg das Roß und sprengte nach dem Wege. Lauter Zuruf der Seinen grüßte ihn, die Spielleute bliesen auf den Pfeifen und schlugen die kleinen Handtrommeln. Er aber hielt still und senkte das Haupt: »Fröhlich sangen die Sommervögel in mein Herz, da klang der Schrei eines Habichts durch die Luft, die kleinen Sänger bergen sich im Laub und ich vernehme ihre Stimme nicht mehr.« Er sah um sich und erkannte das große Dorf, welches im Grunde vor ihm lag, wandte das Pferd und ritt schnell zu den Brüdern zurück.

»Sucht ihr ein Obdach für euren Schützling, so nehmt freundlich mein Fürwort an. Ich kenne den Richter im nächsten Dorfe und hoffe ihn zu bereden, daß er dem Kranken und euch Herberge schafft; gefällt es euch, so geleite ich euch dorthin.« Er wies auf das Tor von Friemar, aus dem die Landleute in hellen Haufen strömten, um die Herrlichkeit der geschmückten Rosse und Reiter zu schauen. Der Fremde verneigte sich dankend, die dunklen Gestalten folgten dem festlichen Zuge, vier Brüder trugen den Verwundeten.

Als die Reiter den Anger betraten, wurden sie auch hier durch Heilruf und vertrauliche Grüße empfangen. Die Kinder liefen zu beiden Seiten der Schar auf und ab, schrien vor Aufregung und zeigten einander die bekannten Herren. Die Frauen standen mit untergeschlagenen Armen, und manche hübsche Magd errötete und schlug ihre Zöpfe auf die Schulter zurück, wenn die jungen Ritter ihr grüßend Scherzworte zuriefen. Im Dorf warteten auch die Alten neugierig vor ihren Höfen; die Hunde bellten, die Spielleute bliesen und sangen. So kamen die Gäste vor den großen Hof, der mitten im Dorfe am freien Platz lag. Dort aber war das Tor geschlossen, kein Menschenhaupt an Tür und Fenstern zu sehen, vergebens suchte Ivo nach den langen Zöpfen der Magd Friderun; die Landleute traten scheu zurück und tauschten kopfschüttelnd leise Worte. Der Knappe Ivos stieß mit der Speerstange an das Tor, aber alles blieb still. »Ist der Richter daheim?« rief Ivo in den Haufen.

 

»Ich vermute, daß er im Hause ist«, versetzte ein alter Bauer.

Der Knappe öffnete die kleine Torpforte, Ivo stieg ab, bedeutete die Brüder, seine Rückkunft zu erwarten, und trat ein. Auch im Hofe war niemand zu finden, nur der Hahn rief mißtrauisch sein Federvolk zusammen und der Hofhund zerrte wütend an seiner Kette. Ivo öffnete den Drücker der halben Tür, welche in das Wohnhaus führte, trat auf die Schwelle und sah in den dämmrigen Hausflur. Im Holzstuhl am Herde saß der Richter und starrte mit gebeugtem Haupt vor sich hin, das weiße Haar hing ihm über sein gramdurchfurchtes Gesicht. Neben ihm auf den Stufen der Bühne saß die Tochter, bleich und verweint, beide unbeweglich in stillem Jammer. Als die Gestalt des Eintretenden den Raum verdunkelte, hob der Richter das Haupt und blickte auf den geschmückten Ritter, sein Antlitz rötete sich, die buschigen Brauen zogen sich zusammen, und indem er sich langsam erhob, fragte er mit rauher Stimme: »Was wollt Ihr, Herr, in dem Trauerhause?«

»Wo ist Euer Sohn Berthold?« rief Ivo.

»Tot«, antwortete der Bauer und schlug mit der geballten Faust auf den Herd.

»Er ist fortgeritten von uns nach der Mühlburg,« sprach die Tochter leise, »weil er den Hohn Eurer Ritter nicht ertragen konnte.«

»Trieb ihn der Groll über die erlittene Kränkung in den Hofdienst?« versetzte Ivo betroffen. »Dann ist mir von Herzen leid, daß es die schnellen Hände meines Gefolges waren, die ihn aufschreckten. Denn seit unserer Kinderzeit war ich ihm freundlich gesinnt.«

»Für Euren freundlichen Sinn sage ich Euch geringen Dank, Herr,« begann der Richter wieder, »und wenig liegt mir daran, wenn Ihr mir und denen, die mir gehören, lächelnd zunickt. Zu ehrlicher Arbeit hatte ich mir einen Sohn erzogen und nicht zur Gesellschaft für Euresgleichen. Ob er jetzt als ein Gauch durch das Land zieht, mit bunten Lappen behangen, oder ob er in der Dämmerung dahinreitet, um die Rinder des Landvolkes fortzutreiben, das ist für mich ein geringer Unterschied. Und ich sage Euch, edler Herr im lichten Sommerkleide, ich bin nicht dankbar dafür, daß Ihr Euch herablaßt, mich in meinem Hause zu begrüßen. Haben auch die Kornsäcke lange meinen Nacken gedrückt, Euch gegenüber ist er steif, wenn Ihr Willkommen von mir begehrt. Denn Ihr und Euresgleichen habt mir den Sohn genommen, für dessen Ehre ich mich gemüht habe, solange ich meine Bauernschuhe trage.«

»Ich aber denke daran,« antwortete Ivo gemessen, »daß Ihr ein alter Mann und in schwerem Kummer seid, wenn ich Eure Rede ohne die Antwort ertrage, die ich Euch leicht geben könnte. Heut, Richter, kam ich nicht um meinetwillen, sondern weil ich Eure Hilfe für einen andern begehre. An der Grenze Eurer Flur lag ein Schwerverwundeter, den die Brüder vom schwarzen Kreuz aufgehoben haben; schon allzulange harren sie mit dem Kranken vor Eurem Tor. Sie werden Euch fragen, ob Ihr den Armen aufnehmen wollt. Mich reut‘s, daß ich unternahm, bei Euch Fürsprech zu sein; dennoch mahne ich Euch an Eure Pflicht, tretet hinaus und gebt den Fremden Bescheid.«

»War‘s auf unserer Flur?« murrte der Alte, »kennt Ihr so genau das Maß der Bauernäcker?«

Die Tochter ergriff seine Hand: »Geht vor das Tor, Vater.«

Als der Alte die Hand der Tochter an der seinen fühlte, faßte er heftig darnach, die Tränen stürzten ihm aus den Augen, er zog sein Kind zu sich, legte sein Haupt auf das ihre und schluchzte laut. Ivo trat leise in den Hof zurück und sah über Holzhaufen und Scheuern, der Hahn schritt stolz, ohne ihn zu beachten, durch das Stroh, der Hund knurrte ihn aus seiner Hütte mißtrauisch an; hinter dem Hoftore ragten die buntbemalten Speerstangen und klang das Summen der Menge, aber ihm kam vor, als gehöre er selbst nicht zu der Genossenschaft, welche draußen auf Ritterspiele hoffte.

Nicht lange und der Richter schritt aus dem Hause und öffnete mit fester Hand die Pforte.

Als er vor die Menge trat, hoch aufgerichtet, mit seinem weißen Haar und dem runden großen Haupte, war er in seiner Trauer so ehrwürdig, daß ihn alle mit Scheu betrachteten. Die kleine Schar der Brüder hielt unbeweglich, der Führer lenkte schweigend sein Roß zur Seite, so daß der Richter den Wunden auf der Trage vor sich sah. Er betrachtete den Mann. »Es ist ein Fremder«, sagte er kalt.

»Es ist ein Todwunder,« antwortete der Bruder, »unser Amt ist, den Kranken zu heilen und wir bitten Euch, daß Ihr uns dafür Obdach gewährt.«

»Wollt Ihr bezeugen, daß er auf unserem Dorfgrunde lag?« fragte der Richter.

»Wir kommen nicht, für ihn zu zeugen, sondern ihm Liebe zu werben. Zum andern Mal bitte ich Euch, nehmt ihn unter Eurem Dache auf und uns dazu, damit wir ihn pflegen. Denn unser Erlöser spricht: Was ihr dem Geringsten auf Erden tut, das habt ihr mir getan.«

Doch der Bauer hob abweisend die Hand und versetzte finster: »Tragt ihn unter das Dach der ritterlichen Herren, welche bereit sind, solche Wunden zu schlagen.«

»Wir aber stehen vor Eurer Tür,« fuhr der Bruder fort, »und dreimal zu bitten ist uns befohlen. Darum flehe ich zum drittenmal, daß Ihr ihn aufnehmt und uns dazu. Und wir mahnen Euch mit den Worten, die unser Herr Christus selbst gesprochen hat, als er sagte: Ich suche nicht meinen Willen, sondern ich handle nach dem Willen meines Vaters, der mich gesandt hat.«

Der Hofwirt sah schnell auf und fragte: »Steht das geschrieben in dem heiligen Buche, aus dem wir nur dann in unserer Sprache hören, wenn die Pfaffen sich ein Roß begehren oder ein Stück unseres Ackers? Steht das in Wahrheit geschrieben, so ist es eine weise Rede, denn auch der Sohn Gottes dachte daran, daß er der Sohn war, und gab seinem Vater die Ehre. Und weil Ihr mir diese Worte sagt, so will ich Euch aufnehmen als ein Vater, der seinen Sohn verloren hat, und ich will Euch einführen in das verlassene Haus.« Er schlug den Holzriegel des Tors zurück. »Tretet ein, ihr Herren.«

Die Bärtigen betraten hinter dem Richter den Hof, die nachdringenden Dorfleute wies dieser mit einer Handbewegung zurück und führte die Gäste zu einem Gebäude, welches, kleiner als das Wohnhaus, mit der Langseite an der Straße stand. Auf der Schwelle hielt er und begann finster: »Hier wohnte einst mein Vater, als er mir den Hof übergeben hatte. Dann ein Jüngling, den seine Mutter, während sie lebte, zu adlig hielt in Kleidung und Sitte.« Er öffnete zögernd die Tür. In dem leeren Gemach waren die Fensterladen geschlossen, durch die Ritze fiel ein spärliches Licht auf die Dielen und das Lager an der Wand. Der Richter riß den Laden auf, die Bewegung wollte ihn übermannen und er gebot mit heiserer Stimme: »Dort ist das Bett, legt den Elenden hinein, und dies sei eure Herberge, wenn sie euch, ihr Fremdlinge, genügt.« Er wandte sich zur Tür. »In meinem Pferdestalle ist seit der letzten Nacht Raum geschafft für zwei Rosse; begehrt ihr sonst noch etwas, so ist mir eine Tochter geblieben, sie soll für euch sorgen.«

»Ich danke Euch, Richter«, versetzte der Anführer. »Einem Bruder mit seinem Knecht und zwei Rossen bitte ich Obdach zu geben und so viel Kost, daß sie nicht Not leiden, bis wir jenen dort in unser nächstes Haus schaffen können. Wir andern reiten zur Stelle unsern Weg. Für Euer Erbarmen können wir Euch nichts bieten; wir werden jeden Abend für Euch beten, daß der Himmelsherr Euch Gnade erweise und die Trauer von Eurem ehrwürdigen Alter nehme.«