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Die Ahnen

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Ivo verneigte sich, und den Becher fassend sprach er dagegen: »Aus erlauchter Hand empfange ich die Gabe, damit ich Heil trinke für Euch, den mächtigen Gebieter in diesem Lande, für Euer edles Gemahl und Euer ganzes Geschlecht.« Er trank, die andern riefen das Heil nach, und der Landgraf bot ihm die Hand.

Als alle saßen, fuhr der Landgraf fort: »Ich danke Euch, Herr Ivo, daß Ihr mir Gutes wünscht. Und da wir hier zwischen Wald und Flur unserer Heimat in Frieden gesellt sind, so laßt Euch noch etwas sagen, was mir längst im Sinne liegt. Ungern sehe ich, daß Ihr Euch von meinem Hofe fernhaltet. Ihr findet hier manchen, der Euch wohlgeneigt ist, auch mir ist es eine Freude, Euch bei mir zu haben. Ungern entbehre ich auch Euren starken Speer, wenn ich einmal gegen meine Feinde in den Stegreif trete.«

Tiefe Stille entstand und aller Augen richteten sich auf den Gast, welcher ruhig entgegnete: »Laßt mich antworten so offen, als Ihr fragt. Ihr seid ein gnadenvoller Herr, kein Fürst auf beiden Seiten des Rheins darf sein Haupt höher tragen als Ihr, und oft hörte ich preisen, daß Ihr guten Dienst reich zu belohnen wißt. Dennoch zürnt nicht, wenn ich meine eigenen Wege reite, nicht umsonst botet Ihr mir heut den Becher. Ich habe nicht gelernt zu dienen, sondern als Herr über Dienenden zu walten, und ich vermag keinem Sterblichen den Treueid zu leisten, als meinem und Eurem Herrn, dem Kaiser.«

Frau Else sah besorgt, daß das Antlitz ihres Gemahls sich rötete, und als sie sich hilfesuchend zu der Fremden wandte, wurde sie wieder durch das kalte Lächeln derselben gekränkt.

»Stolze Worte sprecht Ihr, Herr,« rief der Landgraf gereizt, »und wenn der Becher, den ich bot, Euch so hohen Mut verleiht, kann ich den nichtigen Brauch fernerhin nicht loben. Ihr selbst wißt, wer als Landgebieter seine Macht bewahren will, den kränkt es, wenn zwischen seinen Vasallen und Gerichtsstühlen kleine Herren sitzen, welche bei jeder Fehde stolz überlegen, ob sie zu Hause bleiben oder vielleicht gar gegen den Landesherrn reiten.«

»Beschwert Euch das, Herr,« versetzte Ivo fest, »so zürnt nicht mir, sondern der alten Ordnung des Landes.«

»Ich will Euch nicht kränken, edler Ivo,« fuhr der Landgraf fort, »denn mir liegt daran, Euch zu gewinnen. Doch gibt auch der Kaiser mir recht, wenn ich dafür eifere, daß der Eigenwille mancher Edlen im Lande gemindert wird. So ist des Kaisers Wunsch, daß der große Stand der Reisigen, welche den Rittergurt tragen, in seiner Ehre erhöht werde. Denn die ärmlichen Ritter, welche jeder der Edlen und Freien sich nach seinem Belieben ernennt, bringen dem Stand arge Unehre, schweifen durch das Land und schädigen als Räuber das arme Volk. Auch Euer Oheim Meginhard verzichtet darauf, seinen reisigen Knechten den weißen Gurt umzulegen, und er überläßt mir diese Begabung. Ich weiß wohl, Herr, daß Ihr auf Rittertugend achtet, dennoch würdet auch Ihr gut tun, wenn Ihr in Zukunft Eurer Hofjugend die Ehre gönntet, daß der Landgraf selbst sie aus Knechten zu Herren macht.«

Ivo drängte mit starker Anstrengung den Zorn zurück, der in ihm aufstieg, und er sah nur etwas bleicher aus als sonst, indem er ruhig erwiderte: »Es war bei diesem Frühlingsfeste schon allzuviel von alter Zeit die Rede; doch zürnt mir nicht, wenn ich noch einmal daran mahne. Es geht die Sage im Lande und meinem Hofe, daß der erste Ludwig, den Ihr als Euren Ahnherrn auf dem Landgrafenstuhle ehrt, Sohn eines fränkischen Vasallen aus den Buchen war. Den Knaben zog ein Ahnherr meines Hauses, seit er den Vater verloren hatte, getreulich auf, und als der Knabe zu seinen Jahren kam, bekleidete er ihn mit dem Schwertgurt. Da Euer eigener Vorfahr seine Ritterwürde meinem Hause zu danken hat, so bitte ich, ertragt in Huld, daß auch ich fortfahre, die Ehre zu verleihen, die Eurem Geschlechte so gut gefrommt hat.«

Die Landgräflichen sahen vor sich nieder, denn die Antwort war allen peinlich. Ivo aber erhob sich und fuhr fort: »Ich kam hierher, erlauchter Herr, als Euer Gast, ich fürchte, daß meine Fahrt Euch unwillkommen war. Doch bevor ich bitte, mich und die Meinen zu entlassen, will ich auch noch sagen, wie mir gegen Euch zumute ist. Und da heut in dieser Runde ein Abenteuer von einem Baume erzählt wurde, so gestattet mir huldreich, daß ich ein anderes berichte, kunstlos und in wenigen Worten, welches Ihr die Eiche benennen mögt: – Zwei junge Edle, von denen der eine reich und mächtig war, der andere auf mäßigem Erbe saß, lebten in Unfrieden, wie Nachbarn oft geschieht. Vieles irrte die beiden, am ärgerlichsten war ein Streit über die Hirschjagd im Waldgebirge. Der Mächtige hatte mit seinen Jägern und Hunden den Wald des andern durchzogen und auf die Beschwerde, die dieser erhob, eine stolze Antwort gesendet. Da ging der Gekränkte allein mit Schwert und Armbrust in den Wald, um sein Recht zu behaupten und die Einbrecher zu strafen, wo er sie fände. Sein Mut war zornig und er dachte am liebsten daran, seinen Gegner selbst zu treffen und auf grünem Moose Mann gegen Mann den Streit zu entscheiden. So stand er mit wilden Gedanken lauernd hinter einem Urbaum, an dem die Mönche ein Bild der Gottesmutter befestigt hatten zum Nutzen der frommen Waller, welche auf dem Fußsteig über die Berge ziehen. Der Harrende vernahm, daß Zweige brachen, sein Gegner trat bewaffnet wie er selbst aus dem Dickicht. Da wollte er aus dem Versteck springen, der andere aber legte ahnungslos die Waffen ab, warf sich mit entblößtem Haupte vor dem Heiligenbild auf die Knie, betete dort inbrünstig mit seinen eigenen Worten und tat ein Gelübde in großer Bewegung. Der Rachelustige trat zurück und vernahm wider Willen die Worte des Betenden. Ich darf nicht künden, Herr, was ein Geheimnis des Waldes bleibt, aber ich sage, das Gebet drang aus der Seele eines warmherzigen und ehrlichen Mannes, welcher den lieben Heiligen für alles Glück seines Lebens dankte, vor anderem für sein liebes Ehegemahl und für die Hoffnung auf einen Erben, in der er damals lebte. Und er flehte zu den Fürbittern, daß sie ihn vor argen Gedanken behüten möchten und vor arger Tat, damit er würdig werde seines Glückes und ein rühmlicher Herr für alle, die ihm angehörten. Und als er sein Flehen und Gelübde vollendet hatte, schritt er ohne Kenntnis der Gefahr bergab. Der andere aber, welcher wider Willen ein Vertrauter geheimer Gedanken geworden war, kniete an seiner Stelle nieder, faßte an den Baum und gelobte, daß er selbst dies Vertrauen ehren wolle und gegen den andern nur solchen Widerstand üben, wie man ihn gegen einen befreundeten und zugeneigten Mann übt, mit Schonung und Geduld, und indem er die Dienste von Vermittlern erbitte. Diesen Schwur hat er gehalten; der Streit um die Hirsche wurde bald durch gute Gesellen vertragen, ohne daß der Geschädigte sein Recht verlor. So lautet das Abenteuer von der Eiche. – Und jetzt, erlauchter Herr, erbitte ich Urlaub für mich und die Meinen.«

Die ganze Tischgesellschaft erhob sich, der Landgraf aber breitete die Arme gegen den Gast aus und rief: »Nein, bleibe, Ivo, jetzt, wo ich dich kenne, wie du gegen mich gesinnt bist, lasse ich dich nicht mit kaltem Gruß von mir ziehen. Leid tut mir meine Heftigkeit, und ich muß erfahren, daß du mir darum nicht grollst. Noch einmal rücken wir die Sitze zusammen, nicht als Artusbrüder, sondern als Nachbarn, welche einander in Glück und Unglück vertrauen. Setzt Euch zu uns, Herr Walter von Vargula, Ihr wart es, der damals wegen der Hirsche dem Übermütigen die Besinnung zurückgegeben hat. Helft mir heut einen festhalten, der unter uns ein seltener Gast bleiben will, damit wir uns noch mit redlichem deutschem Herzen an einem guten Trunk erfreuen.«

So geschah es. Die Männer setzten sich, das Spiel vergessend, näher aneinander, und auch Ivo hob jetzt im Kreise guter Gesellen die Augen und sah freimütig umher.

Als die Frauen allein waren im Gemach der Landgräfin, trat Else heftig vor Hedwig. »Schöner bist du als ich, und unter den Männern weißt du die Worte zierlich zu setzen, des Sanges bist du kundig, und deine Stimme dringt in das Herz. Auch meinem Gemahl gefällst du gar sehr, und ich merkte wohl, wie er bewundernd auf dich sah. Allen Ruhm gönne ich dir, jedem magst du besser behagen als ich, denn einfach ist mein Sinn und ungeübt bin ich in aller höfischen Kunst; nur einen laß mir, daß ich nicht unselig werde; von meinem Hauswirt wende deine Augen und deine Kunst, denn damit quälst du mich. Nichts habe ich auf Erden als ihn und die Kinder, verliere ich seine Huld, so bin ich elend. Eine Feindin sollst du in mir finden, anklagen will ich dich im Himmel, und mein Recht will ich gegen dich verteidigen vor den Menschen!« Sie warf sich in einen Sessel und verbarg das Gesicht in den Händen.

Hedwig vernahm erstaunt diesen Ausbruch der Leidenschaft und rief, die Achseln zuckend: »Sie liebt ihren eigenen Hauswirt!« und der Weinenden die Hand auf das Haupt legend, sang sie leise: »Lieb Elselein, laß die Sorgen sein. Auch ich saß unter dem Baume, wo der Zauberbrunnen quillt; dort schau‘ ich im Wachen und Traume eines trauten Gesellen Bild.«

Die Helden von Ingersleben aber freuten sich der gelungenen Fahrt, als sie bei sinkender Sonne heimritten. Das Gefolge rühmte die tapfere Haltung des Herrn, und Ivo sang und lachte wie ein glücklicher Knabe. Als Henner ihm anvertraute, daß auch die Frauen am Fürstenhofe sich wohlgefällig über seine Höflichkeit geäußert hätten, versetzte er gleichgültig: »Zuweilen gefällt man am leichtesten, wo man am wenigsten um den Beifall sorgt.« Und als sie zum nächsten Dorfe kamen, lenkte er sein Pferd neben das des Marschalks und gebot: »Ich raste mit meinem Knaben hier im Dorfe. Mir sang ein Vogel gute Nachricht in das Ohr und kündete mir eine Stelle, an welcher ich geheime Botschaft finde; führet Ihr die Schar nach unserm Hofe, morgen früh bin ich daheim.« Henner nickte gehorsam und trieb die Pferde zu schnellem Lauf, während Ivo mit dem Knaben allein durch das Dorftor ritt.

 

3. Der Ritt nach dem Mantel

Mit glühenden Wangen sprengte Ivo am nächsten Morgen in seinen Hof, er hob die Hand zum Gruß gegen seine Dienstmannen und fragte atemlos: »Wo ist der Schreiber?«, sprang aus dem Sattel und eilte in sein Gemach. Als Nikolaus eintrat, stieß der Herr den entblößten Dolch in den Tisch, um den Schreiber an seinen schweren Treueid zu mahnen, und ein zusammengefaltetes Pergamentblatt aus dem Gewande ziehend, gebot er: »Tritt vor das Messer und lies mir, was in diesem Briefe geschrieben steht, treu und genau, so wahr du leben willst«, und Nikolaus las folgendes:

»Ein armes trauriges Käuzlein schrieb an seinen Gesellen diesen Brief. – Ich, das Käuzlein, vernahm, wie zwei Frauen zueinander von einem Ritter redeten. Die eine lobte in guter Meinung seine Kunst im Speerkampf und sagte: er vermöchte wohl die Wappenzeichen am Gewande der Helden, welche er vom Pferde wirft, zu sammeln und seiner Herrin daraus einen wallenden Mantel zu gewinnen. Die andere Frau aber, welche aus der Fremde gekommen war, lachte spöttisch in argen Gedanken. Dennoch sage ich, könnte dieser Frau ihr Ritter einen ähnlichen Mantel erwerben, sie würde ihn mit Freuden statt ihres Gewandes umtun, wenn sie einmal mit ihrem Gesellen allein wäre. Manche, die sich hart gebärdet, verbirgt mit Mühe vor ihren Hütern Leid und Sehnsucht. Liebe du mich, wie ich dich. Der Brief muß liegen auf grünem Ast, ob ihn ein günstiger Wind erfaßt, ob ihn die Pfote des Katers packt, oder ob ihn der Specht zerhackt. – Der Brief ist zu Ende«, schloß Nikolaus verwundert.

»Lies noch einmal«, gebot Ivo, der neben ihm mit heißen Wangen auf das Pergament starrte. – »Und zum drittenmal, damit ich jedes Wort festhalte.« Darauf riß er den Dolch aus dem Tisch und winkte dem Schüler Entlassung. Als er allein war, barg er den Brief nahe bei seinem Herzen und rang die Hände. »Ja, du sagst es, arme Nachtvögel sind wir beide, endlos treibt die Sehnsucht, verhaßt ist mir das Leben, solange ich von dir getrennt bin, und wenn ich einmal vor dein Angesicht trete, wird auch das Wiedersehen zur Qual, denn das eherne Gitter ragt bis zum Himmel zwischen uns beiden und kein Flügelschlag vermag darüber zu erheben.« Er warf sich in den Sessel und barg sein Gesicht in den Händen. Doch nicht lange unterlag er dem Schmerze, denn ihm fiel, wie Liebenden geschieht, wieder etwas Günstiges ein, er sprang auf und lachte: »Verstehe ich meinen Kauz recht, so wäre ihm die Kappe lieb, von der die beiden Frauen zueinander sprachen. Eine frohe Verkündigung finde ich in den Worten, daß sie sich darein hüllen will, wenn das Glück uns zusammenführt. Ich denke, Geliebte, daß ich dir den Mantel gewinne. Einen Mairitt wage ich dir zu Ehren und das Tuch für dich hole ich mir im Speerkampf von den Edlen dieses Landes.« – Er schritt hastig auf und ab und überlegte.

Endlich lud er seine Getreuen, Godwin und Henner, zu geheimer Beratung.

Die wilden Kampfspiele zu Pferde, durch viele Jahrhunderte Stolz und Leidenschaft der Deutschen, waren in der Zeit des Herrn Ivo sehr ungleich dem Speerkampf späterer Zeiten, wo dicke Eisenschienen den ganzen Leib des Reiters schützten und wo das gepanzerte Roß manchen Stoß der feindlichen Speere auszuhalten hatte. In jener alten Zeit war nur Haupt und Hals des Reiters durch einen Eisentopf geschützt und die obere Brust durch eine Eisenplatte, die über das Kettenhemd geschnallt wurde; der Stoß des Speeres, welcher mit kurzer stumpfer Spitze bewehrt war, wurde durch einen hölzernen Schild aufgefangen. Das Roß trug keine Eisenrüstung, der Reiter beugte sich beim Anritt stark nach vorwärts, die hohe Rücklehne seines Sattels half verhüten, daß er durch einen kräftigen Stoß hinter das Pferd geschleudert wurde. Schon damals waren die Spielkämpfe mit Helm und Schildrand ein Vorrecht aller, welche den Rittergurt trugen, das höchste und am meisten beneidete Vorrecht, welches einen Stand, der zu den dienenden gehörte, in die Kampfgenossenschaft der Edlen heraufhob.

Der Mairitt aber, den Herr Ivo beschlossen hatte, galt für die ruhmvollste Aufforderung zum Speerkampfe, welche sich an alle Ritter des Landes richtete. Das Spiel selbst wurde in der Hofsprache Forest, Waldrennen, genannt und verlief nach herkömmlicher Spielordnung. Wer zu solchem Rennen herausforderte, der zog mit seinem Gefolge durch das Land und hielt zu vorbestimmter Zeit an bezeichneten Raststellen, um dort Gegner zu erwarten, denen der Ort gut gelegen war. Zu Raststellen wurden gewählt ebene Gründe an lichtem Laubwald, wo ein klares Bächlein rann oder ein Quell zum Tränken der Rosse. Unter dem Grün der Zweige wurde ein Zelt aufgeschlagen, in dem der Held sich wappnete; auch die Gegner brachen am liebsten aus einer Lichtung des Waldes hervor. Dann ritt der Herausforderer mit den einzelnen Gegnern im Speerkampf um einen begehrenswerten Preis, den er ausgesetzt hatte. Am letzten Tage pflegte dem Rennen gegen einzelne – welches in der Sprache des Herrn Henner Tjost genannt wurde – ein Massenkampf zu folgen, das Turnier, ebenfalls nach strenger Spielordnung.

Ivo gab seinem Mairitt solche Gesetze, wie sie einem vornehmen Herrn gebührten. Für jeden Renntag setzte er vier Raststellen, an jeder Rast war er verpflichtet dreimal zu rennen, und nur wenn er wollte, öfter; an jeder Rast erhielt einer von den Gegnern, welche ehrenvoll widerstanden hatten, nach Ivos Wahl einen goldenen Fingerring. Wer vom Pferde geworfen wurde oder sonst nach Rennbrauch für besiegt galt, der sollte nicht Roß und Rüstung verlieren, wie in der Regel geschah, sondern nur ein Stück des langen Überwurfs, den der Ritter damals über dem Kettenhemd und den eisernen Beinstrümpfen trug. Denn der Herausforderer verkündete, daß er seinen Mairitt unternehme, um von den Helden des Landes Tuch für einen Frauenmantel zu erbitten. Am letzten Tage der Fahrt sollte ein Turnier in der Nähe von Erfurt den Einzelkämpfen folgen.

Sogleich begann in dem Hofe ein emsiges Rüsten. Ivo selbst ritt nach Erfurt, goldene Ringe für die Gegner, Gewänder und Zierat für sich und sein Gefolge zu bestellen. Der Kämmerer Godwin hatte die schwierigere Aufgabe, das Geld für die Fahrt zu gewinnen, und dieser sah einige Tage sorgenvoll aus, bis es ihm endlich bei den Juden in Erfurt und bei den Mönchen in Reinhardsbrunn gelang. Die größte Arbeit aber fiel dem Marschalk zu, und vom Morgen bis zum späten Abend klang seine befehlende Stimme um die Ställe und auf der Rennbahn am Hofe. Die Pferde wurden geprüft, die Knechte und die jungen Knaben zum neuen Spiel angelernt und eine ganze Wagenladung Speerstangen wurde geschnitzt, sorgfältig geprobt und zuletzt mit blau und weißer Farbe schön bemalt.

Nikolaus schnitt unterdes eine große Rolle Pergament zu zahlreichen Briefen und Zetteln an die Herren in den Höfen und an die Burgmannen der Städte, und schrieb die Aufforderung so oft ab, daß ihn die Finger schmerzten. Im Hofe aber sammelte sich an den nächsten Morgen ein Haufe von fahrenden Leuten, welche hier und da im Lande hausten und welche bei ritterlichen Festen als Rufer und Boten zu dienen pflegten. Sie empfingen die Briefe und lernten eine mündliche Verkündigung, die ihnen der Schüler oft vorsagte. Damit zogen sie durch das Land zwischen dem Bergwald und dem Harz, sangen ihren Spruch in den Burgen und übergaben die Briefe an vornehme Edle und an die Obrigkeit der Städte.

Sogleich rührte sich‘s in der ganzen Landschaft, ehrenvoll und lustig erschien der angebotene Wettkampf, in wenigen Tagen war er in aller Munde als das große Ereignis des Frühlings. Wer den Rittergurt trug, erkannte eine Mahnung, der er sich ungern entzog, und nicht weniger ungeduldig wurden die Tage des Spieles von anderen erwartet, welche als Zuschauer daran teilnehmen wollten, besonders von den Frauen.

Aber am Hofe des Landgrafen brachte das Ausschreiben nicht jedermann Freude.

Als der Kanzler die schön geschriebene Einladung vorgelesen hatte und Herr Ludwig beifällig ausrief: »König Mai will eine neue Ausfahrt halten!« saß Frau Else erschrocken mit zusammengeschlagenen Händen ohne ein Wort zu sagen, die Frauen flüsterten einander leise zu und Frau Wendelmuth lächelte spöttisch.

»Was hast du, Base?« fragte Hedwig leise.

»Gedenkst du der Worte, die ich neulich im Scherze zu dir sprach? Jetzt will er tun, was mir damals einfiel, und was doch niemand aus meinem Munde vernommen hat als du und etwa unsere Frauen. Wer hat ihm meine törichte Rede zugetragen und was meint er damit, daß er sie durch das Land rufen läßt?«

»Manches Ohr hat deine Worte gehört,« tröstete Hedwig, »wie darf dich wundern, daß sie ihm gefielen? Er selbst hält es sicher für eine Huldigung gegen dich und deinen Gemahl, daß er seinen Willen nach der guten Meinung richtet, die du von ihm hegtest.« Und zum Landgrafen gewandt fuhr sie fort: »Wir wissen auch, Vetter, wie Euer Herr Ivo auf den Gedanken gekommen ist, um einen Mantel für seine Herrin zu reiten. Denn Else und ich waren es, welche damals, als er hier weilte, zuerst im Scherz die Kappe für seine Herrin forderten. Will er Euch und uns dadurch ehren, daß er den lustigen Einfall Eures Hofes zu einem Gesetz macht für seine Ritterfahrt, so haben auch wir Grund, ihm Gutes zu wünschen.«

»Wenn Frau Hedwig mit meiner Else zu der Kappe geraten hat,« versetzte der Landgraf sorglos, »so wünsche ich ihm, daß seine Herrin das nicht erfährt, damit ihr die Freude an der bunten Hülle nicht durch die Eifersucht verdorben werde. Doch rühmlich ist die Fahrt auch für uns andere, sie gibt meinen Thüringen Ehre unter den Fremden, den Edlen aber und ihrer Ritterschaft durch einige Wochen Arbeit und Unterhaltung, während ich abwesend bin. Vielleicht reite ich vorher selbst noch gegen ihn.« Und kampflustig ging er mit Herrn Walter nach den Ställen.

Auch auf der Mühlburg erwachte die Kampflust, aber mit gehässigen Gedanken gegen den Niederhof. Der alte Graf Meginhard war im Dienste des Landgrafen nach dem Süden gezogen, Herr Konz saß an seiner Stelle gebietend unter den Dienstmannen und hielt mit ihnen vertraulichen Rat über eine Ritterfahrt. Da ihm aber seine eigenen Gedanken nicht recht gefielen, so ritt er abwärts nach Friemar, lud den jungen Berthold aus dem Hofe und verhandelte heimlich mit diesem, daß er den Schüler Nikolaus versöhnen und zu einer Unterredung bestimmen möge. »Vermagst du mir diesen Gefallen zu tun, so sollst auch du dem Kampfe zusehen, nicht von der Heerstraße, sondern als unser Geselle im Festkleide mit meinen Farben.« Der Jüngling war freudig bereit, den Schüler zu gewinnen, und Nikolaus willigte schneller ein, als der Bote gehofft hatte, mit dem Ritter in einem Gehölz zusammenzutreffen, das zwischen dem Niederhofe und der Mühlburg lag.

»Berthold von Friemar hat dir gesagt, daß ich einen Dienst von dir begehre«, begann Herr Konz, von seiner Höhe auf den Schüler herabblickend.

»Er hat mir etwas gesagt«, versetzte Nikolaus kühl.

Konz griff in seine Tasche, suchte aus der hohlen Hand einige Silberstücke und bot sie mit gespitzten Fingern. »Wenn etwa früher Widerwärtiges zwischen uns gesprochen wurde, so soll es ungesagt und vergessen sein. Nimm dies, damit du mir in einer Sache, die mir am Herzen liegt, Gutes rätst.«

Nikolaus wog das leichte Silberblech in seiner Hand: »Von Fremden nehme ich ungern gebotenes Geld, zumal wenn es wenig ist. Doch noch unlieber ist mir, das Geld abzuweisen«, und er versenkte das Silber nachlässig in sein Gewand. »Fragt, und ich will antworten, soweit ich darf; aber wißt, auf leichte Münze folgt leichter Dienst.«

»Du sollst mehr erhalten, wenn ich erkenne, daß dein Rat mir frommt«, ermunterte Konz. »Bevor ich aber meine Frage stelle, gelobe mir Stillschweigen auf dieses Kreuz, du kannst in dem Schwertknopf deine schlauen Augen sehen, wenn du schwörst.« Und er hielt ihm den Kreuzgriff des Schwertes hin.

Nikolaus gelobte bereitwillig Verschwiegenheit.

»Sage mir, in welcher Farbe und mit welchen Zeichen wird Herr Ivo seinen Speerritt durch Thüringen vollbringen?«

»Niemand weiß das, Herr, als die in seinem Vertrauen sind.«

»Darum gerade sollst du es mir sagen,« versetzte Herr Konz ungeduldig, »denn ich gedenke ihm einen guten Possen zu spielen, wenn ich in denselben Farben und Abzeichen gegen ihn reite.«

Nikolaus überlegte. »Ihr mögt denken, daß Herr Ivo solchen Schimpf nicht freudig aufnehmen wird.«

»Das eben will ich«, rief Konz. »Sein Zorn ist mir ganz recht und ich hoffe ihn auf den Grund zu stechen, daß er dem Rennen für lange entsagt, denn unerträglich ist sein Hochmut und ich gönne ihm wenig Gutes.«

»Wenn Ihr so kühn seid, so fragt den Schneider in Erfurt«, antwortete Nikolaus mit ausbrechendem Unwillen.

»Das steht mir nicht an, wohl aber dir; darum eben begehre ich deinen Dienst.«

Der Schüler dachte nach und in seinen Augen glänzte die Schelmerei. »Ich vernahm, daß er sich und sein Roß mit den Farben decken wird, die er sonst trägt, und nach dem neuen Brauch, der jetzt aufkommt, wird er auch sein Wappentier, den Raben, auf seinem Gewande führen und auf der Roßdecke.«

 

»Das ist gute Botschaft,« versetzte Herr Konz vergnügt, »denn wir von der Mühlburg vermögen dieselben Farben und dasselbe Zeichen zu führen, und ich bedarf in diesem Fall deiner Dienste nicht mehr.«

»Dennoch mögt Ihr mir einen Einwurf gestatten; zumal mir der Ritterbrauch aus manchem Lande bekannt ist«, warf Nikolaus demütig ein. »Die vom Niederhofe wollen nicht leiden, daß Ihr selbst den Raben als Zeichen führt, wie Herr Ivo mit seinem Gesinde tut, da Ihr nicht von seinem Geschlechte seid. Kommt Ihr damit vor allem Volk zum Spiel geritten, so wird Ernst aus Scherz.«

»Das ist mir recht«, versetzte Konz, die starken Arme aus seinen Schultern reckend.

»Vielleicht werden sie Euch ganz den Kampf versagen, und alle Herren, welche etwa gegenwärtig sind, werden ihnen beistimmen. Möglich auch, daß sie Euch wegen dieser Kränkung zu scharfem Speerstoß fordern, nicht nur Herr Ivo, auch seine Dienstmannen.«

»Du meinst doch nicht, daß ich die fürchte?« fuhr Konz auf, aber seine Augen blickten unsicher umher.

»Auch werdet Ihr vor dem ganzen Lande wenig Ehre gewinnen, wenn Ihr das Ritterspiel unhöflich verderbt.«

Das gab Herr Konz durch sein Schweigen zu. »Dennoch gedenke ich den Raben nicht zu meiden,« versetzte er endlich mit Trotz.

»Dann rate ich, daß Ihr wenigstens sein Aussehen ändert. Auch die Brüder des Landgrafen geben dem Löwen auf ihrem Schilde ein Abzeichen, damit man sie unterscheide. Was diese tun, wird Euch ohne Minderung Eurer Ehre erlaubt sein.«

»Damit bin ich zufrieden,« versetzte Konz, »doch welches Abzeichen denkst du dir?«

Nikolaus überlegte wieder. »Die Alten im Lande nennen die Mühlburg das Vogelnest, und sie wissen darüber auch eine Sage. Darf ich Euch Gutes raten, so laßt unter dem Raben sein Nest oder doch ein Ei anbringen. Führt Ihr solch eigenes Abzeichen, so dürfen jene Euch das Kampfspiel nicht weigern, wie sehr sie sich auch darüber ärgern.«

Konz erwog die Sache, ihm selbst fiel durchaus nichts Besseres ein. Deshalb gab er seine Einwilligung und verpflichtete den Schüler noch einmal zur höchsten Verschwiegenheit, und dieser erbot sich endlich gutwillig, selbst den Schneider des Ritters anzuweisen.

Es war ein wonniger Morgen, oben am blauen Himmel zogen in langer Reihe kleine Lichtwolken und unten auf der Landstraße zog die geschmückte Schar des Frauenritters dahin, an der Spitze Herr Henner, hinter ihm der Posaunenbläser und der Rufer, dann Ivo mit seinem Gefolge, zuletzt ein Haufen Knechte und Diener, welche ledige Rennrosse und eine Reihe Rüstwagen führten.

Sooft die Fröhlichen durch ein Dorf zogen, rannten die Leute an die Straße und starrten neugierig auf den glänzenden Zug. Viele riefen Heil und Siegwunsch zu, wenn sie den Herrn der Schar erkannten, denn die ganze Landschaft war stolz auf seine Reitertugend. Barbeinige Dorfknaben liefen den Reitern meilenweit nach, um auch etwas von dem Rennen des großen Herrn zu schauen.

Als sie an eine Krümmung des Weges gelangten, wo ein lichtes Gehölz die freie Umsicht verbarg, da klang durch die lachende Landschaft der Ton einer Posaune und aus dem Holz ritt ein Rufer ihnen entgegen und hielt auf der Höhe, so daß sein reiches Gewand und die Posaune, welche er hoch emporstreckte, in der Morgensonne glänzten. Die Fahrt wurde gehemmt, der Gegenruf erscholl. »Schlagt den Pavillon auf unter dem Baumschatten«, gebot Herr Henner, nahm den schweren Helm aus der Hand seines Knaben, stürzte ihn auf und band ihn mit der seidenen Schnur am Halse fest, dann ließ er sich Schild und Speer reichen und ritt vor. Der fremde Rufer grüßte und verkündete mit lauten Worten, daß sein Herr, der Ritter vom gekrönten Löwen, in dem Holz lagere und von Herrn Ivo Ritterspiel begehre. Und der Marschalk antwortete, wie sich gebührte, daß jenem das Ritterspiel gewährt sei, drei Rennen nach Brauch ihm und seinen Begleitern, und daß Herr Ivo den Löwen erwarte. Im nächsten Augenblick regte sich‘s in dem grünen Holz, und aus dem Waldversteck brach eine geschmückte Schar von Rittern und Knappen, die Helme aufgebunden, so daß ihr Antlitz verborgen war; alle in rotem Gewande, gestreifte Löwenbilder auf den Schilden und auf den langen Roßdecken, in ihrer Mitte mit glänzender Rüstung der Herr, kenntlich durch ein Krönlein auf dem Helm. Ivo rief mit strahlendem Antlitz dem meldenden Marschalk entgegen: »Gutes Glück, es ist der Landgraf selbst, der uns die Ritterfahrt einweihen will. Sein Wappenbild soll, wenn mir die Heiligen beistehen, das erste Stück Tuch zu dem Mantel geben.« Henner hörte bekümmert diese Rede, doch wagte er nicht zu widersprechen, er wandte sich wieder der fremden Schar zu, von welcher jetzt ein Hofherr sich ablöste, um mit dem Marschalk den Rennplatz auf dem ebenen Rasengrund zu bestimmen. Feierlich begrüßten die beiden Würdenträger einander mit ritterlichen Worten. »Seid willkommen, Messire Chevalier du Lion,« begann Henner, »ich sehe, aus fremdem Lande kommt Ihr und sucht Goldringe als Beute.«

»Der König Löwe«, versetzte der andere stolz, »ist nicht um die Ringe zur Jagd gezogen, er begehrt sich Eure Rosse und Euer Heergewand, wahret Euch vor seinen Sprüngen.«

Nach diesem feierlichen Gruße ritten beide seitwärts, um auf ebener Stelle die Stäbe zu stecken, damit Wind und Sonne unter die Kämpfer gleich verteilt sei. Unterdes lagerte der Haufe des Herrn Ivo auf der andern Seite der Straße und Ivo wappnete sich in dem schnell aufgeschlagenen Zelte. Als aber die beiden Helfer des Kampfes sich von der übrigen Schar getrennt hatten, begann Henner in ganz anderem Ton: »Wir freuen uns nach Gebühr der Ehre, Rudolf Schenk; dennoch wäre besser gewesen, wenn Ihr den Löwen überredet hättet, sich dieser Sprünge auf grüner Heide zu enthalten, denn Ihr wißt ja selbst, daß es für Euren Herrn ein ungleicher Kampf wird, und ich bin von Eurer guten Gesinnung versichert, auch Ihr wollt nicht, daß der Landgraf meinem Herrn einen Groll nachtrage, was er sicher tun wird, wenn er auf den Grund rollt.«

Der Schenk von Vargula zuckte die Achseln. »Er war so begierig nach dem Abenteuer, daß ihm keiner zu widersprechen wagte, an Euch ist es, dafür zu sorgen, daß Euch nicht später ein Schaden entsteht.«

»Ihr sprecht gut,« bestätigte Henner, »aber auch meiner ist so begierig nach Beute, daß alles Zureden nichts fruchten wird. Es ist unmöglich, daß er der Ehre entsagt, die Haut des Löwen für das Gewand zurechtzuschneiden.«

»Ihr seid scharf, Henner. Solltet Ihr ja vielleicht gegen den Herrn das bessere Glück haben, so sind andere unter uns, um seinen Fall zu rächen.«

»Nun, Schenk,« versetzte Henner, »Ihr habt eine feste Faust, aber wenn Euch gelänge, was Eurem Herrn mißglückt, so würde Euer gutes Glück Euch selbst kalten Dank bei Eurem Gebieter eintragen.«

»Dann müssen wir zusehen, wer den Schaden trägt«, antwortete der Schenk zornig. »Auch die Frauen haben den Landgrafen bestärkt, Frau Hedwig bat sich den Fingerring aus, den er gewinnen wird, und Frau Else sah zwar anfangs traurig drein, doch im Grunde vertraut sie fest ihrem Gebet und der unübertrefflichen Tugend ihres Hauswirtes.«

Henner nickte. »Dennoch muß hier Hilfe geschafft werden. Tut, was Ihr vermögt, ich will‘s an mir nicht fehlen lassen.« Die beiden drängten die Rosse aneinander und verhandelten leise durch die Helmlöcher.