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Die Ahnen

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Der alte Kämmerer blickte seinen Herrn mit feuchten Augen an. »Auch ich widerspreche nicht mehr,« sagte er bedächtig, »denn ich vertraue der guten Art meines Herrn. Solange Ihr habt, um zu spenden, werdet Ihr den Stolz bewahren, anderen auszuteilen, und wenn Ihr merkt, daß Euch die Habe fehlt, dann wird Euch derselbe Stolz treiben, Habe und Gut von anderen wiederzugewinnen. Es gibt auf den Burgen ein Sprichwort: Wer sich in der Jugend dem Dienst einer Frau angelobt, der wird im Alter entweder ein Mönch oder ein sparsamer Herr.«

Von unten klang Hufschlag und lauter Zuruf, der Alte trat auf den Söller und blickte zur Seite nach dem Brückentor. »Sie kommen,« rief er, »die Ihr zur Ausfahrt geladen. Ich erkenne Herrn Diether vom roten Spring, Herrn Werner und den jungen Eberhard mit ihren Knechten. Der Marschalk begrüßt die Vasallen, Euer Gefolge ist versammelt.«

»Eilt, Vater, sie an meiner Statt in die Halle zu führen, ich folge Euch, sobald ich vermag. Doch vorher, bitte ich, sendet mir noch Nikolaus den Schreiber.«

Als Nikolaus von seinem Herrn entlassen war, eilte er, während die Ritter und Knappen beim Frühmahl saßen, nach der Küche, wo er größeres Ansehen genoß als in der Herrenstube. Nachdem er einige gute Bissen erlangt hatte, holte er sein Rößlein aus dem Stall und ritt allein auf die Landstraße hinaus, denselben Weg, welchen Herr Ivo einschlagen wollte. Er trabte lustig dahin, summte und sang bald lateinisch, bald deutsch und verzog das Gesicht über die Worte des eigenen Liedes. Dann sah er wieder ungeduldig nach dem Stand der Sonne und trieb seinen Gaul zu schnellerem Lauf. So kam er in die Nähe des Dorfes Friemar, wo Herr Ivo nach alter Gewohnheit zu rasten pflegte, so oft er gen Westen zog. Der Schüler aber bog ab von der Straße und ritt nach einem Gehölz, welches in der Niederung dicht am Anger lag; dort stieg er ab, band sein Tier in dem Dickicht fest und eilte an den Rand des Gehölzes, wo er den Anger und das Dorftor übersah. Nicht lange, und er vernahm vom Dorfe her den Klang einer Sackpfeife und bald darauf die laute Stimme, mit welcher Berthold, der Vortänzer, durch die Gassen sang: »Aus der Stube, ihr stolzen Kinder, zieht euer bestes Gewand an. Urlaub nahm der Winter von der Heide, zum Reigen ladet euch der Mai.« In der Gasse rührte sich‘s, und die Landleute kamen durch das Tor auf den Anger, je zwei, die einander die liebsten Gespielen waren, oder in kleinen Haufen; viele Mädchen mit ihren Müttern, welche den Reigentanz nicht weniger begehrten als die Töchter. Auf dem Anger standen sie nach Würden gesondert, die Frauen erkennbar an dem Hut oder Tuch, womit sie ihr Haar verhüllten, die Freien unter ihnen, in bunte Farben gekleidet, traten voran und hielten zusammen, wie sich‘s gebührte. Die Mädchen trugen über den Zöpfen einen Kranz von jungem Grün oder auch von schön gewundenem Schleier, bunte Leibchen mit Spangen, faltige Röcke und Halsbänder von buntem Glas. Auch die Männer schritten ansehnlich daher, jeder führte die Waffe am Gürtel. Es war ein großes Dorf, und es war eine zahlreiche Versammlung, denn nur wenige der Ältesten waren zurückgeblieben, um die Höfe zu behüten. Mitten im Haufen bewegte sich der Vortänzer Berthold, der Sohn des Richters Bernhard, mit dem Selbstgefühl, das ihm sein Ehrenamt gab, ein hübscher Knabe, der seinen roten Hut schräg über das krause Haar gesetzt hatte; das gestickte Wams umschloß ein silberbeschlagener Gürtel, an seinem grünen Rock flatterten die langen Hängeärmel, und vor dem Ohr hing ihm eine lange Locke bis auf den Hals hinab, an der er zuweilen zierlich drehte, wie freie Hofherren zu tun pflegen.

Der Schüler musterte hinter einem Strauch kauernd die wohlbekannten Gesichter, endlich erhob er sich freudig.

»Dort kommt Friderun«, erscholl es aus dem Haufen.

Aller Blicke richteten sich nach dem Rain, auf welchem die Tochter des Richters, von einer jüngeren Gespielin begleitet, mit schnellen Schritten herankam. »Guten Tag, Gesellschaft,« rief sie, die Hand erhebend, den Dorfleuten zu, »Heia tirilei, gelobt sei der Mai.«

Die Burschen jauchzten und eilten ihr entgegen, die Mägde drängten sich um sie, und wie eine Herrin empfing sie Gruß und Huldigung, eine hochgewachsene kräftige Gestalt von vollen Formen, in dem runden Gesicht strahlten zwei tiefblaue Augen, ihr blondes Haar war so lang, daß sie die Zöpfe um das Haupt geschlungen trug, und doch hingen sie ihr bis tief über den Gürtel hinab. Die hohe Stirn, die starken Brauen gaben ihr einen ernsthaften Ausdruck, darunter aber lachten rosige Wangen, ein kleiner Mund und das Grübchen am Kinn. Sie trug ein rotes Kleid von feinem Wollstoff, die blaue Jacke an den Rändern mit bunter Seide gestickt, über den Zöpfen einen Kranz von jungem Grün und blauem Schleier und einen andern, der in derselben Weise gewunden war, am linken Arm. Sie neigte sich ein wenig vor den Frauen und trat, ohne die Knaben sonderlich zu beachten, unter die Mägde, nach allen Seiten grüßend und Scherzworte tauschend. »Freut euch, ihr stolzen Kinder, ich sehe, Ruprecht der Spielmann ist hier mit seiner Geige, heut wollen wir nach dem Reigen auch ein Hoftänzel treten.«

»Womit fangen wir an?« fragte Berthold in Amtseifer die Schwester.

»Der Ball ist immer das erste Spiel«, riefen viele Stimmen.

»Tretet auseinander«, gebot Berthold, den Stab des Vortänzers erhebend. »Die Weiber hierhin, die Männer dort in die Reihe, so ist Wind und Sonne gleich geteilt, damit wir vor allem erfahren, welche Paare heut zusammen tanzen. Wer von euch Kindern den Ball fängt, den ich in meiner Hand halte, der will heut mit mir im Reigen springen.« »Wirf, liebes Berthel, wir fangen«, schrien einige halbwüchsige Mädchen aus seiner Verwandtschaft. »Wirf hierher, Gevatterlein«, bat auch die alte Frau Herburg, welche noch gern mit den jüngsten sprang, und alle lachten. Der schmucke Gesell stand vor der Reihe der Männer, hob neckend den großen Ball und neigte sich zum Wurfe, doch warf er nicht, sondern freute sich über die gehobenen Arme und die Gesichter, welche zum Himmel starrten; endlich schleuderte er geschickt der Magd zu, die er am liebsten hatte; diese fing, und während er jauchzte, trat sie vor und warf den Ball hoch in die Höhe, zum Zeichen, daß ihr nichts mehr daran liege, wer von den Männern ihn erhalte. Dennoch fing ihn beflissen ein anderer Dorfknabe. So ging das Spiel weiter, lauter wurde das Lachen und schneller die Bewegungen. Wenn der Ball einmal auf den Boden sank und in Sprüngen dahinhüpfte, liefen Frauen und Männer, so schnell sie vermochten, ihm nach, denn es war Ehre für jede Partei, ihn der andern abzugewinnen. Als er einmal so auf dem Boden rollte, sprang Friderun allen vor, und ihn vor der Reihe schwingend sang sie: »Ich stehe auf der Brücke und harre auf einen Tanz, ich bin ein tapfer Mägdlein und behüte meinen Kranz.« Und sie warf den Ball mit einer Kraft, um die sie mancher beneidete, so weit, daß niemand ihn erreichen konnte, denn er sprang abwärts über den Graben auf den staubigen Weg. Dennoch blieb er nicht ohne Bewerber. Auf der Landstraße waren Reiter herangesprengt, einer von ihnen war abgestiegen und sah dem Spiele zu. Er lief nach dem Ball; aber von der andern Seite flog auch der Schreiber Nikolaus herzu, und dieser hob den Ball, doch der Reiter riß ihn aus seiner Hand und gebot: »Hinweg, Schüler!« Und von dem zornigen Nikolaus verfolgt, eilte er in den Haufen der Spielenden und rief: »Wer den Ball fängt, hat das Recht mitzuspielen, ich hoffe, auch ihr Bauern ehret den Brauch«, dabei grüßte er herablassend den Vortänzer Berthold. Die Männer murmelten unzufrieden: »Ritter Konz«, und ein trotziger Geselle entgegnete: »Wir Bauern begehren nicht, auf der Mühlburg mit euren Weibern den Ball zu werfen, uns liegt wenig daran, daß ihr herabsteigt, um unter uns zu springen.« Aber Berthold entschied eifrig: »Der Brauch ist für Herrn Konz, wir dürfen‘s nicht wehren, seid willkommen.«

»Ich aber widerspreche,« rief Nikolaus zornig, »denn wie ihr alle sahet, fing ich den Ball.«

»Den Ball fing keiner,« rief Friderun herüber, »Nikolaus aber hat ihn aus dem Staube gehoben.«

»Das graue Mehl soll ihm nicht umsonst den Ärmel beschüttet haben, der Schüler soll gleiches Recht gewinnen«, entschied Berthold, und das Spiel ging weiter. Herr Konz stellte sich in die Mitte und begann: »Jetzt stehe ich auf der Brücke und werfe den Ball zurücke; fange ihn, schöne Friderun,« – und da er den vierten Reim nicht sogleich fand, warf er ihr schnell den Ball zu, aber unglücklich; denn Friderun hob nicht die Arme, sondern neigte sich zur Seite, und der Ball fuhr bei ihr vorüber, einem kleinen Mädchen an den Kopf. Der Schüler jauchzte, sprang auf seinem Platze und sang: »Herr Konze warf mit gutem Glücke, er wählte die kleine Grasemücke«, und alle lachten.

»Ich werde einen Herrn über dich schicken, der Knüttelholz heißt«, rief Herr Konz dem Schüler zornig zu.

»Ich kannte einen bösen Hofhund,« entgegnete Nikolaus, »der den Knüttel einen Herrn nannte, weil er ihn am Halse trug.«

»Haltet Frieden im Spiel«, geboten die Dorfknaben. Und der Ball flog wieder hin und her unter frohem Zuruf und Gelächter.

Endlich klatschte Berthold in die Hände und warf den Ball zur Seite. »Tretet zusammen, ihr, die der Ball gesellt hat, und ihr Mädchen übet Huld und gönnt euren Gesellen die Kränze für den Reigen. Hat aber eine keinen Tänzer gefunden, dem sie ihren Kranz aufsetzen kann, die harre, ob einer kommt und darnach begehrt.«

Jetzt entstand ein Suchen und Drängen. Friderun hielt vielumworben den Kranz an dem Arme. Von der einen Seite redete Ritter Konz in sie hinein und von der andern der Schüler, dieser aber mit größerer Vorsicht, wobei beide einander feindselige Blicke zuwarfen. Herr Konz wiegte selbstgefällig sein Haupt auf den hohen Schultern und faßte an seinen Schwertgriff: »Sehet her, schöne Magd,« sprach er herablassend, »an der Seite des Knopfes ist ein kleines Spiegelglas ganz kunstvoll eingefügt, Ihr könnt Euch selbst schauen, wenn Ihr hineinblickt«; und da Friderun den Kopf schüttelte, fuhr er drängend fort: »Seht doch hinein, Ihr werdet darin einen roten Mund erblicken, den ich gern küssen würde, wenn er sich mir zuwendete.«

 

Friderun aber antwortete über die Achsel: »Herr, ich sehe am liebsten in den eigenen Spiegel, und ich wünsche niemals Euer Bild darin zu schauen.« Und als Herr Konz sich gekränkt abwandte, raunte ihr der Schüler zu: »Achtet nur, wie er den Kopf zurückwirft! Gleicht er nicht einem satten Täuberich, der mit vollem Kropf auf einem Kornkasten sitzt?«

Konz trat zu Berthold. »Du hast dein Versprechen übel gehalten. Deine Schwester zeigt mir keineswegs günstigen Sinn, denn sie verweigerte mir sogar in meinen Spiegel zu sehen und deutete ganz merklich an, daß sie gar nichts mit mir zu tun haben wolle. Wenn dir an meinem guten Willen liegt, wie du sagst, und wenn du den Wunsch hast, einmal in meinem Gefolge eine rühmliche Ritterfahrt mitzumachen, so sorge dafür, daß sie freundlicher mit mir spricht. Denn obwohl sie mir sehr gefällt, so ziemt es mir doch nicht, daß ein Bauernmädchen ihr Spiel mit mir treibt, und ich sage dir, ich bin beleidigt.«

»Ihr wißt ja, Herr, daß die Schwester sich anders hält als die übrigen Mägde. Auch ich vermag wenig über sie. Schon als Kind, als sie auf dem Edelhofe bei der Mutter des Herrn Ivo hauste, hat sie gegen den jungen Herrn ihre trotzige Art bewiesen, denn sie raufte ihm eine Locke aus, als er hübsch mit ihr tun wollte, und die Edelfrau sandte sie kurz darauf nach Hause zurück. Doch daß ich meiner Schwester nichts Unrechtes nachsage, die Edelfrau hat auch später viel von ihr gehalten, und in ihrer letzten Krankheit verlangte sie die Schwester zur Pflegerin. So hat diese sich gewöhnt, den Herren dreist zu antworten, und jetzt sieht ihr der Vater vieles nach, weil sie ihm statt einer Wirtin den Hof in Ordnung hält. Darum rate ich, daß Ihr nicht die Geduld verliert, wenn Ihr im Ernste an sie denkt, denn jede Magd will, daß man um sie werbe.«

»Hat deine Schwester den Ivo feindselig an seinem Kopf gefaßt, so ist sie mir deshalb um so lieber«, antwortete Herr Konz vergnügt. »Ich kenne mehr als eine Gräfin, welche froh wäre, wenn ich sie ebenso begrüßte, wie ich mit deiner Schwester tue; aber ich weiß nicht, was mir die Hexe angetan hat. Und wenn der alte Herr Meginhard einmal die Augen schließt, so mag ihr das Glück blühen, daß sie die Hausfrau eines edlen Ritters wird, und auch du wirst der Gemeinschaft mit diesen Dorftölpeln enthoben. Daran rate ich dir zu denken.«

Berthold trat eifrig zu seiner Schwester. »Herr Konz will mit uns im Reigen springen und begehrt dich; ich fordere, daß du dich ihm nicht versagst, denn ehrenvoller ist es für uns, wenn du dich an der Seite eines Ritters schwingst, als mit einem von unsern Tölpeln.«

»Gehörst du nicht selbst zu denen, die du schiltst?« versetzte Friderun unwillig. »Hat er dir gesagt, daß deine Gespielen von ungeschlachter Art sind, so gilt vielleicht er selbst unter seinesgleichen für nichts Besseres. Hüte dich, Berthold; dir bringt das Geschwätz mit den Mühlburgern und das heimliche Reiten unter den wilden Gesellen keinen Segen. Ich hörte wohl, wie du dein Roß in der vorletzten Nacht erst gegen Morgen in den Stall zogst.«

Berthold wandte sich verlegen ab, und Friderun setzte ihren Kranz einem ehrbaren Nachbar auf, und sich verneigend sprach sie: »Gefällts Euch, Herr Gevatter, so führt Ihr mich zum Reigen.«

»Wo ist der Vortänzer? Berthold, führe den Reigen!« riefen die Dorfknaben ungeduldig. Der Spielmann strich auf seiner Geige, die Paare liefen, sich in die Reihe zu stellen, und Berthold ergriff die Hand seiner Tänzerin, nachdem er noch leise mit dem Ritter gesprochen hatte, der, seinen Ärger bezwingend, sich herabließ, einem andern Dorfkind die Hand zu reichen. Auch dem Schüler blieb nichts übrig, als eine rundliche Bäuerin zu werben, die ihm schon früher zuweilen zugelacht hatte und im letzten Winter mit Kesselfleisch und Wurst freundlich gewesen war. Der Vortänzer stimmte den Reigen an, und alle sangen in herzlicher Freude nach, die Männer laut mit Jauchzen, aber die Frauen zarter. Darauf schwangen sich die Paare zuerst einzeln im Kreise, dann alle miteinander in vielen Windungen des langen Zuges, bis Ruprecht, der Spielmann, sich an die Spitze stellte und die Kette vom Anger aufwärts führte, einen Feldweg entlang zu dem lichten Gehölz und zu dem flachen Hügel, auf welchem eine große Linde ragte, das Wahrzeichen des Dorfes, weit sichtbar im Lande. »Haltet zusammen,« rief Berthold vor dem Holze, »daß keiner mit seiner Tänzerin aus dem Reigen breche, sonst zahlt er die Buße.« So führte er hinauf; um die Linde schlang sich der Reigen, in hohen Sprüngen zeigten die Männer ihre Kraft, obgleich viele die Schwerter an ihrer Seite führten, die Wangen glühten und die Haare flogen in der Frühlingssonne. Endlich hielt der Vortänzer den Stab in die Höhe, der Spielmann setzte die Geige ab, die Kette löste sich, und die Tänzer schwirrten lachend und rufend durcheinander.

Friderun stand unter dem Baume und fächelte sich mit einem gepflückten Zweige Kühlung zu, sie beugte sich schnell zur Erde und rief, die geschlossene Hand emporhebend: »Wer vermag zu raten, was ich in meiner Hand festhalte? Vernehmt die Frage: Aus der Erde sprang es, auf niederem Stuhle saß es und trug in milder Sonne sein winterlich Gewand, doch kündet‘s Heil und Wonne dem, der es fand. Was ist das?«

»Wenn es aus der Erde sprang und Gutes bedeutet, so mag es wohl ein Wiesel sein«, rief der stolze Adelhun, einer von den freien Knaben des Dorfes, welcher auch beim Tanze sein Eisenhemd trug und ein langes Schwert, das an den Fersen klirrte.

Friderun schüttelte den Kopf. Da riet der Schüler: »Es ist ein weißes Veilchen.«

»Ihr habt‘s getroffen, und Ihr sollt es haben, möge es Euch Glück bringen«, antwortete Friderun, ihm zunickend, und gab dem Frohen das Veilchen.

Darüber wurden die Dorfknaben unwillig. »Kein Wunder, daß der Schreiber den Preis davonträgt,« höhnte Adelhun, »er ist gewöhnt, nach Hofbrauch in allerlei Zungen zu reden, aber es gibt manchen, der seinen Worten mißtraut.«

»Herr Adelhun ist eine Blume des Dorfes,« versetzte der Schreiber ärgerlich, »seine Locken wehen in solchen Loden, wie man an dem Haupt des Löwen sieht, der auf der Burg des Landgrafen gehalten wird.«

»Adelhun spricht recht«, riefen einige drohende Stimmen.

»Was ein öder Gänserich schreit, schnattern die andern nach«, entgegnete der umstellte Nikolaus, indem er sich hin und her wandte.

»Adelhun hat dennoch recht«, rief auch Herr Konz.

Der Schüler beachtete ihn nicht und sprach zu Friderun: »Könnt auch Ihr erraten, was ich in meiner Hand halte: Ich weiß ein festes Haus, der dicke Wirt zog aus, er aß das volle leer; die Tür steht offen, nur Kehricht fliegt umher.«

»Der Spruch meint die hohle Nuß«, riet Friderun lachend. Nikolaus öffnete seine Hand, in welcher eine Nuß lag, aber er versetzte, nach dem Ritter Konz blickend: »Nein, der Spruch meint einen Kopf auf hohen Schultern, welchen ich sehe; denn keine hohle Nuß ist so leer als dieser.«

»Wie, du Schandfleck!« rief Herr Konz, »ich will sogleich den Leuten zeigen, was in deinem Kopf zu finden ist«, und er zog sein Schwert.

»Sie erregen Streit an unserer Linde,« schrien die Knaben von Friemar, »wollen die Fremden unser Spiel stören, so weist ihnen die Messer und scheucht sie über die Grenze.« Von allen Seiten blitzten die Waffen. Da entriß Friderun ihrem Bruder den Stab, und unter die Zänker springend hieb sie auf die Schwerter und schalt: »Wer das Spiel verdirbt, zahlt die Buße, wir Frauen schlagen ihn mit dem Stock über die Hände.«

Die Männer wichen zurück, und das Mädchen stellte sich schützend vor den Schüler, der behend hinter den Baumstamm schlüpfte.

»Steckt das Eisen ein«, gebot eine tiefe Stimme. Ein Reiter ritt in den Haufen, gefolgt von seinem Knechte. »Der Richter«, murmelten die Dorfleute und wichen zurück.

Ein breitschultriger Mann mit harten Zügen und langem weißem Haar stieg ab und trat in den Kreis. »Wer erhob den Streit?« fragte er, finster umhersehend.

Niemand antwortete, nur Friderun schnipste mit den Fingern: »Es war nicht der Rede wert, Richter, sie sind noch vom Tanze heiß, und weil einige von ihnen nicht Witz genug hatten, mit Worten zu treffen, griffen sie an das Eisen; wir Frauen sind ihnen geringen Dank schuldig.«

»Ich grüße Euch, Richter,« begann Konz, um sich vor den andern vornehm zu erweisen, nachdem er vorher weislich sein Schwert eingesteckt hatte, »der Streit war, wie Euer Kind sagt, nicht der Rede wert, denn er ging um den Schüler dort und seine ungewaschenen Worte.«

»Kommen Fremde ungeladen in die Flur, um an unseren Spielen teilzunehmen,« antwortete der Richter ernsthaft, »so gebührt ihnen vor andern, mit Mund und Hand den Frieden zu bewahren, damit auch wir das Gastrecht ehren; denn Ihr wißt, Herr, wer Streit aufregt, verliert den Schutz.«

»Wollt Ihr sagen, daß wir ungebetene Gäste sind,« versetzte Konz hochmütig, »so wartet, bis wir Euch in die Häuser treten. Kommt Ihr einmal der Mühlburg nahe, so wird auch Euch nichts daran gelegen sein, wenn Ihr kalten Willkommen findet.«

»Wenn ich durch das Land reite,« entgegnete der Alte ruhig, »tue ich es in des Kaisers Amt, und wer mit dem Fronboten naht, der sorgt nicht um kalten Gruß.«

Herr Konz sah düster auf den berittenen Knecht, von dessen Sattel das Strangbündel herabhing, die furchtbare Waffe des Richters. »Wohl, Richter, ich kam durch Zufall hierher und sah das Spiel eine Weile an, wie Nachbarn zu tun pflegen, und ich meine, die Luft ist für jedermann frei und frei die Straße.« Er nickte stolz mit dem Haupte und wandte sich abwärts.

Der Richter trat unter die älteren Bauern. Aber die Nähe des strengen Mannes wirkte erkältend auf die Lust der Jungen, sie sprachen leise miteinander und zerstreuten sich in das Gehölz. Friderun wandte sich zu dem Spielmann: »Zeige deine Kunst, Ruprecht, mit Singen oder Sagen, damit das junge Volk auf andere Gedanken kommt.« Der Spielmann nickte dienstbeflissen, fuhr mit dem Bogen auf der Geige umher, und nachdem er eine alte Weise gespielt hatte, begann er mit lauter Stimme halb singend, halb sprechend eine lange Sage von einem Lindwurm, der einst in den Steinen dieses Berges gehaust hatte, und von einem fremden Ritter, der in das Land kam und das Ungeheuer erlegte.

Friderun saß auf einem Steine, sie hielt die Hände über dem Knie gefaltet und hörte mit strahlenden Augen dem kunstlosen Gesange zu, obgleich er ihr wohlbekannt war. Auch als sie viele Roßtritte hörte und über die Achsel blickend erkannte, daß Herr Ivo mit großem Gefolge herangeritten war und mit dem Vater sprach, blieb sie allein sitzen, während die Landleute neugierig zu den Reitern traten, Grüße tauschten, Waffen und Gewand musterten. Sie mahnte den Spielmann durch ihr Kopfnicken, fortzufahren, bis ein Herrenpferd dicht neben ihr den Dampf aus seinen Nüstern blies und eine Stimme sie scherzend anredete: »Guten Tag, stolze Friderun, der junge Mai sitzt auf grünen Zweigen, wie kommt‘s, daß Ihr allein auf alte Mären lauscht? Ist kein frischer Gesell zur Hand, der Euch ein neues Lied in das Ohr singt?«

Friderun stand errötend auf, aber ihre Brauen zogen sich finster zusammen: »Wenn Euch die alte Sage wenig gilt, weil sie nicht vornehm klingt, so wäre doch freundlicher, wenn Ihr Eure Verachtung vor uns bergen wolltet. Denn die Sage kündet etwas von Eurem Geschlechte, und wir im Dorf denken gern daran. Hier, wo der Baum steht, lag einst Euer Ahn im giftigen Dampfe des argen Wurms, und um ihn loderte die rote Flamme.«

»Und ein Weib aus Eurem Dorfe half ihm ins Freie,« versetzte Ivo, »ich habe den Sang der Spielleute oft genug vernommen.«

Ruprecht fiel mit kräftiger Stimme ein:

Eine Magd sprang durch die Flammen mit Namen Friderun,

Sie sah auf dem Leib des Drachen den müden Ritter ruhn,

Sie schlang um ihn die Arme, sie hob den jungen Leib,

Sie trug ihn aus der Lohe, das wunderkühne Weib.

»Dies ist die Sage,« fuhr Friderun ernsthaft fort, »und Euer Roß würde schwerlich gegen mich fauchen, wenn nicht ein Weib unseres Hofes Eurem Ahnherrn seine Treue bewiesen hätte. Denn wir im Dorfe meinen, daß es ohne Eltern keine Kinder gibt, und daß die Enkel gut tun, an die Mühen ihrer Vorfahren zu denken.«

»Ihr habt recht, Friderun«, antwortete Ivo, ergötzt durch den Eifer des Mädchens. »Und wenn Eure Ahnin, die der Fiedler rühmt, noch am Leben wäre, so würde ich vor der alten Frau mich in Ehrfurcht neigen. Dennoch gestehe ich, daß ich lieber Eure rosige Wange sehe, wenn Ihr auch mit mir unzufrieden seid.« Er rührte mit der Hand leise an ihren Kranz. »Wenn Euch einmal der trotzige Mut in Sehnsucht dahinschwindet, und wenn Eurem Vater gefällt, daß Ihr den Kranz in Eurem Haar mit dem Hütlein vertauscht, so bitte ich, gestattet auch mir, bei Eurem Hochfest Brautführer zu werden, denn ich denke gern daran, daß meine liebe Mutter Euch wert gehalten hat.« Er wandte sein Roß, die Schar stob abwärts, Friderun stand allein, sie nahm den Kranz, den seine Hand berührt hatte, vom Haupte und schleuderte ihn hoch in den Gipfel des Baumes. Dann setzte sie sich wieder auf den Stein, drückte ihre Hände zusammen, daß das Blut daraus wich, und rief dem Spielmann gebietend zu: »Singe weiter, Ruprecht!«