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Die Ahnen

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Die Brüder vom deutschen Hause

1. Im Jahre 1226

Auf dem Wege von den roten Bergen nach Erfurt lag in einer Niederung der Hof von Ingersleben, umflossen von einem Gebirgsbach, dessen Wasser die schützenden Gräben füllte. Dahinter ragten die festen Mauern, an den Ecken und über dem Tor runde Türme, geräumig genug, um einen Standbogen oder eine große Schleuder aufzunehmen. Wer über die Zugbrücke durch das Torgewölbe trat, der sah vor sich einen weiten Hof von niedrigen Wohngebäuden, Ställen und Vorratsräumen eingefaßt, zur Seite das ansehnliche Herrenhaus; im Unterstock wölbten sich Steinhallen, der vorspringende Oberstock war aus großen Holzbalken und Ziegeln zusammengefügt. An der Sonnenseite des Hauses lief eine zierlich geschnitzte Galerie entlang, und vor der Haustür standen zwei alte Linden, deren Stämme mit Bänken umgeben waren. Neben dem Herrenhause erhob sich ein mächtiger viereckiger Turm, von welchem die Sage kündete, daß er so alt war als der Herrensitz des Geschlechtes. In seinen geschwärzten Mauern liefen hier und da Risse, aus denen kleines Gesträuch und Grasbüschel wuchsen, aber im ganzen war das feste Gefüge erhalten, noch stand der Turm trotzig und kriegerisch da, gleich einem Hünen der Vorzeit, und er vermochte wohl bei einer Belagerung als letzte Zuflucht zu dienen.

Von der Höhe des Turms übersah man eine fruchtbare Landschaft, zur Linken die Waldhügel von Erfurt, zur Rechten südwärts die roten Berge mit drei Burgen und mehreren Warttürmen. Einst waren der ganze Talgrund und alle Berghöhen dahinter Eigentum desselben edlen Geschlechtes gewesen, welches für eines der ältesten in Thüringen galt. Aber was ihm von je Ehre gegeben hatte, daß es frei auf eigenem Grunde saß, das hatte ihm die Dauer des zusammenhängenden Besitzes vermindert. Denn nach thüringischer Volkssitte war das freie Erbe unter die Kinder geteilt worden, vieles Land war durch Heirat und Schenkung, durch Fehde und Krieg in fremde Hände gekommen, und man hatte in dem Herrenhofe zuweilen erfahren, daß gerade freie Erbschaft Habe und Gut zersplittert und die Angehörigen scheidet, während Dienstbarkeit und Lehnbesitz die Stammgenossen zusammenhält und ein Geschlecht erhöht.

Auch das Schicksal der großen Landschaft Thüringen war dem Wachstum der Familie hinderlich gewesen; die Häupter hatten in alter Zeit treu zu den Sachsen gehalten und zweimal war die Blüte der männlichen Jugend in den Kämpfen der Sachsen mit den Franken auf dem Schlachtfelde dahingeschwunden. Unterdes kam durch die Gunst der Frankenkaiser ein anderes Herrengeschlecht herauf, welches von dem Landgrafenstuhl gewaltig herrschte, nicht nur in Thüringen, auch über Hessen und Meißen, und welches gerade jetzt die stärkste Fürstenmacht im Reiche innehatte.

Die Edeln aber, welche sich rühmten, Nachkommen eines alten Helden Ingram zu sein, hatten Herrenrecht an Dörfern und Höfen, welche im Besitz ritterlicher Dienstmannen und höriger Leute durch ganz Thüringen zerstreut lagen; die Herren selbst saßen, in zwei Häuser geteilt, noch auf altem Erbe ihrer Ahnen. Doch auch zwischen dem Hofe von Ingersleben, in welchem Herr Ivo waltete, und zwischen der Mühlburg, auf welcher Graf Meginhard hauste, bestand kein gutes Einvernehmen. Der alte Meginhard galt für einen harten eigennützigen Mann, der seinem Neffen Ivo wenig Gutes gönnte, und da er selbst kinderlos war, seinen Besitz dem zugebrachten Sohn seines Weibes verlassen wollte, einem ungefügen Gesellen, der nicht einmal aus altem Rittergeschlecht war. Der Graf hatte es freilich verstanden, durch Hilfe der Landgrafen seinen Besitz zu mehren, er trug Güter von ihnen zu Lehn und ritt gern als Vasall in ihrem Dienst und Gefolge. Aber die Leute wußten, daß die beste Kraft des Geschlechtes in dem Hofe des jungen Herrn Ivo fortlebte, welcher noch nach der alten Weise freier Landherren auf seinem Grunde gebot. Ivo war fröhlich aufgeblüht, seine Eltern, die er kurz nacheinander verlor, hatten ihn als das einzige Kind sorglich in allem Hofbrauch erzogen; seit er zum Mann erwachsen war, wurde er von den Landgenossen als ein ehrbarer Nachbar gerühmt, der jede Bedrückung der Schwächeren mied, und von den fahrenden Sängern als ein ritterlicher Held, der milde und sorglos spendete und nach Ehren strebte, wie einem edlen Herrn geziemte.

Heut hatte die Frühlingssonne ihre Fahrt am Himmel in heller Freude begonnen; zuerst umzog sie die Zinnen des alten Turmes mit rosigem Schimmer, kurz darauf strahlte ihr rundes Antlitz in den Hof und sie sah lachend zu, wie auch der Hof sich zu glänzender Ausfahrt rüstete. Zwischen den Wohnhäusern und den Ställen eilten geschäftig die Männer und Knaben, der eine in buntem Festkleid, der andere noch in Hemdsärmeln; die Knechte zogen starke Turnierpferde an der Trense ins Freie und hingen die geschmückten Decken, welche den Leib der Rosse umhüllen sollten, über die Holzgestelle. Behende Knappen trugen in den Armen das Festgewand ihrer Ritter nach den Herrenkammern und tauschten im Lauf neckenden Zuruf mit ihren älteren Gefährten, welche Harnisch, Schwert und Dolch der Herren putzten und zuweilen gegen die Sonne hielten, um den Glanz zu prüfen. Auch drüben in der Küche tummelte sich der Koch mit seinen Gehilfen, um ein Frühmahl zu bereiten für das edle Hofgesinde und für die Vasallen, welche erwartet wurden. Durch die Knechte und Rosse schritt gewichtig Herr Henner Marschalk, der ansehnlichste Ritter des Hofes und Aufseher über alles Ritterwerk, ein langer Mann mit scharfblickenden Augen und graulichem Haar und Schnurrbart, dem die strenge Amtsmiene den gutherzigen Ausdruck nicht zu bannen vermochte. Der kleine Hof, mit welchem er belehnt war, lag seitwärts im Dorfe, dort sorgte seine Hausfrau um Küche und Stall, schalt die Mägde und strafte ihre Knäblein, während der Herr in dem Edelhofe herrschte und mit seinem Gebieter auf reisigen Fahrten umherzog. Herr Henner warf seine schnellen Blicke in jede Ecke, untersuchte jedes Roß bis auf die Hufe und gönnte den Knechten strafende oder ermunternde Worte je nach ihrem Verdienst. Längere Zeit beschaute er mit stillem Behagen die neuen Gewänder, in welche die Pferde gehüllt werden sollten, die schöne blaue Leinwand, welche mit goldener Borte umsäumt war, und die kunstvoll aufgenähten Waffenbilder des Hofes.

Endlich trat er in ein Seitengebäude, die Herberge der ansehnlichen Hofleute. Es war ein großes schmuckloses Gemach, in einer Ecke ragte der rundliche Ofen mit seiner vielbegehrten Bank, der übrige Raum war mit starken Tischen und Schemeln besetzt, in der Höhe stand auf Wandbrettern kleines Hausgerät, darunter hingen Waffen, Harnischteile und anderes Rüstzeug des Krieges und der Jagd. Am Tische saß ein junger Krieger, der sich in einem Handspiegel betrachtete und seinen Schnurrbart mit den Fingern abwärts zu drehen suchte. »Gefällt es Euch, Herr Lutz,« begann der Marschalk streng, »so streicht Euer Haar tiefer in die Stirn und gewöhnt ihm sein Gekräusel ab; nicht ohne Absicht habe ich Euch eine scharfe Bürste als ein Präsent geboten. Denn übel stände Euch heut die bäurische Unordnung, wenn wir zum Hofe des Landgrafen reiten.«

Der Jüngling errötete ein wenig und strich eilig mit Bürste und Hand, indem er murmelte: »Keine Salbe aus Wachs und Butter vermag sie zu zwingen.«

Henner schwenkte zierlich einen Schemel, ließ seinen langen Leib darauf nieder und sah der Arbeit des andern mit väterlichem Anteil zu. »Es ist Eure erste Fahrt unter die Mannen des Landgrafen, seit der Herr Euch den Rittergurt angelegt hat, und ich sorge um Euch, mein Knabe, daß Ihr uns auch Ehre macht. Denn nur widerwillig lobt das stolze Gesinde des Landgrafen unsere Ritterzucht.«

»Sorgt nicht, Herr Henner,« tröstete der Junge, »ich will Eurer Lehren gedenken.«

»Ich bitte dich, Lutz,« fuhr der Marschalk vertraulicher fort, »halte dich courtois, sprich wenig und floriere deine Rede zuweilen mit einem neuen Wort. Sage nicht Roß, sondern Pferd, und daß du mir nicht von Roßdecken sprichst, sondern von Kuvertüren, und vor allem warne ich dich, daß du während des Mahls den Becher nicht öfter hebst als dreimal und daß du dir nicht einfallen läßt, jemandem zuzutrinken, wie du gestern abend in unserer Kompanei wagtest. Drängt Euch auch nicht unter den andern vor, Herr, laßt Eure Blicke nicht unverschämt umherschweifen und glotzt nicht auf die Frauen, sondern steht bescheiden hinten, Eurer Jugend eingedenk, denn nicht Euretwegen seid Ihr dort, sondern um Eurem Herrn die Ehre zu vermehren. Und vernehmt noch ein nützliches Wort. Unser Herr Ivo reitet heut ungerüstet zum Landgrafen, denn so ist es Brauch bei einem Herrenbesuch; wir aber als sein Hofgesinde tragen Helm und Eisenhemd, damit wir zur Ehre unseres Herrn die Landgräflichen mit dem Speer begrüßen, wenn sie ein ritterliches Rennen von uns begehren. Sollte jedoch der Landgraf selbst Lust gewinnen, sich in unser Spiel zu mischen, so denkt daran, daß wir nicht mit unserm Kernholz gegen ihn rennen, sondern mit leichten Speeren, die bei sanftem Stoß zersplittern. Denn der Landgraf ist zwar ein tapferer Herr, aber bei starken Stößen, wie sie auf unserm Hofe geübt werden, würde er wohl im Sattel schwanken. Uns aber wäre der Festtag verstäubt, wenn wir den Stolzen vor seinem Schlosse in den Staub legten. Gegen erlauchte Herren muß man geziemende Nachsicht üben. Sie lohnen es wieder durch ihre Gnade, wenn man sie nicht merken läßt, daß sie wenig vermögen.«

»Nun, Marschalk,« versetzte der Jüngere, »bei unserm Herrn trifft Eure Rede nicht zu.«

»Bei unserm,« rief Herr Henner sich aufrichtend, »das ist ein ganz anderes Ding. Habe ich ihn nicht selbst auf der Rennbahn unterrichtet seit dem Jahre, wo er seinen kleinen Kinderspieß zuerst auf das Rüsteisen legte? Und doch, Lutz, er ist auch nicht zum stärksten Speerbrecher des Landes geworden, ohne daß ich ihm etwas nachgegeben habe. Denn als ich merkte, daß ihm noch eines zu vollkommenem Vertrauen fehlte, nämlich daß er mich, seinen Lehrer, nicht in den Sand zu rennen vermochte, da kann es wohl sein, daß ich mich einigemal mit gutem Willen hinter das Roß auf den Grund setzen ließ. Es war, wie du dir denken kannst, für meinen Leib ein schwerer Fall, aber es half, denn seit der Zeit hat er seinen Löwenmut. Dabei merkt, junger Herr, daß auch eine Ehre des Dienenden ist, den Herrn stark zu machen, wo es ihm fehlt.«

 

Der junge Ritter ergriff achtungsvoll die Hand des Älteren: »Lieber Herr und Vater, es ist ein heimlicher Streit in unserer Kompanei und oft wird darüber geredet, wer jetzt der stärkere im Anritt ist, ob unser Herr oder Ihr; denn selten fordert Euch Herr Ivo auf, gegen ihn zu reiten, und dann scheint es immer ein gleicher Kampf.«

Herr Henner zog sein Gesicht in Falten und sah vor sich nieder. Als er endlich zum Jüngling aufblickte, glänzten die grauen Augen in guter Laune. »Es bleibt am besten unentschieden, auch du unterfange dich nicht, darüber zu reden und zu grübeln. Denn manche Dinge gibt es, die ein höfischer Mann sich selbst und anderen bergen muß, wenn er die Treue bewahren will.«

»Ich weiß,« versetzte der andere leise, »keiner von uns wagt zu fragen, wohin unser Herr reitet, wenn er zuweilen allein seinen Hof verläßt, ohne Gefolge, ja sogar ohne seinen Knaben. Obgleich alle sich verwunderten, als er neulich zurückkam mit durchnäßtem Gewande, wie ein armer Mann, der zu Fuß durch tiefe Pfützen gewatet ist.«

Der Alte sah finster auf seinen Schüler. »Ich ersuche Euch, Herr Lutz, angenehm zu reden und statt Pfütze lieber Riviere zu sagen, und ich mahne Euch, daß Ihr solche dreiste Rede überhaupt völlig meidet. Wir alle haben die Ehre, die wenigen in diesem Lande zuteil wird, daß wir einem Frauenritter angehören, welcher Leib und Leben seiner Herrin gelobt hat. Das ist sein und unser Ruhm unter den Leuten; will einer darauf merken und spähen, wer die Herrin ist und wie er ihr dient, ob mit Erhörung oder ohne Lohn, dem möchte seine Neugier Verderben bereiten, und wenn er zu unserm Hofe gehört, so dürfte sein Sitz in der Tafelrunde bald leer werden.«

»Ich will alles tun, wie Ihr verlangt«, antwortete der Jüngling lächelnd. »Es wird heut ein warmer Ritt, darf ich für Euch, lieber Vater, noch einen Frühbecher ausbitten? Dort geht Herr Godwin, der Kämmerer, und hinter ihm der Schüler Nikolaus mit der Kanne.«

»Möge diesem seine Schreiberei übel gedeihen,« rief der Marschalk, »der Unheilstifter hat das Ohr des Herrn. Ärgerlich ist es für einen Kriegsmann, wenn ein müßiger Schreiber im Hofe stolziert. Lieber will ich einen Schwerthieb abwehren als den Schlag seiner Zunge. Wendet Euch weg, damit er nicht hier eindringe.«

»Er trägt aber die Kanne«, erinnerte der Jüngere.

Herr Henner warf durch das Fenster einen strengen Blick nach dem Schüler, doch die Miene wurde friedlicher, während er die Kanne beobachtete, denn er erkannte die gute Meinung seines Gesellen. Dennoch fuhr er grollend fort: »Ein Schadenfroh ist er, und ich hoffe den Tag zu erleben, an dem er ohne Ehren aus dem Hofe weicht. Er gehört unter die Fahrenden, und ein ehrlicher Trunk wird in seiner Nähe vergällt.«

Aber der junge Ritter hatte hinausgerufen, und gleich darauf trat der Schüler mit der großen Kanne ein. Nikolaus war ein Mann in mittleren Jahren mit einem runden rötlichen Gesicht; Nase und Mund waren etwas zu voll und zu sehr gerötet, um hübsch zu sein, aber zwei strahlende Augen standen darüber, deren Brauen sich schräg nach der Nase hinunter schwangen. Er trug das Haar nach Pfaffenweise kurz geschnitten, sein Schülermantel war von dunklem Stoff, aber von sorgfältiger Arbeit, und er hatte ihn selbstgefällig zurückgeschlagen, damit man das schöne blaue Futter sehe; an seinem Gürtel hing ein Messer in silberner Scheide und eine Kapsel, welche das Tintenhorn und die Rohrfedern enthielt. »Benedicta sit sodalitas,« begann der Eintretende mit leichter Verneigung, »ich grüße die edle Kompanei, gefällt den Herren ein Frühtrunk, so sei mir die Ehre gewährt, ihn einzuschenken.« Ohne sich an das feierliche Aussehen des Marschalks zu kehren, welcher steif auf seinem Stuhle saß, setzte er die Kanne auf den Tisch, holte vom Holzgesims drei zinnerne Becher, rückte sich einen Schemel, goß ein und schob die gefüllten Becher den Rittern zu, indem er mit der Miene eines Wirtes einlud: »Wohl bekomme den Herren der Trunk. Es ist Würzwein, Herr Marschalk, und ich selbst habe ihn gebraut, darum mögt Ihr ihn für gut halten. Denn diese Kunst lehrte mich eine Herzogin in Ungarland, die deshalb unter Christen und Heiden berühmt ist.«

Herr Henner hörte mit Verachtung die Rede und widerstand eine Weile dem Wohlgeruch, der aus dem Becher aufstieg. Doch hob er ihn langsam: »Wer Euch auch die Kunst lehrte,« entschied er absetzend mit einem leisen Seufzer, »der Trank ist erträglich.«

»Und niemand ist würdiger, den besten Wein vom Rhein und Welschland zu kosten als Ihr«, schmeichelte der Schüler. »So sprach auch neulich unser Herr, als er Euch mit seinen Rittern reiten sah: dies ist die Blumenkrone, worauf ein Herr stolz sein kann, und der Marschalk gleicht immer der Rose in der Mitte. – Noch eine gute Neuigkeit habe ich mitzuteilen, Herr. Ich vernahm zufällig, daß Ihr ein starkes Rennpferd begehrt, und daß dunkelbraun Euch die liebste Farbe ist. Vorgestern sah ich auf der Weide eines Bauern ein Tier, ganz wie Ihr es zu einem Pferde für Euch gebraucht, einen unmäßig starken Hengst. Der Bauer weiß schwerlich, wieviel sein Roß wert ist, und ich denke es Euch billig zu schaffen, vielleicht gegen Tausch.«

»Wenn Ihr es ernsthaft meint, so ließe sich darüber reden«, versetzte Herr Henner freundlicher. »Nur daß Ihr nicht einen der Streiche spielt, wie Ihr neulich gegen Frau Jutte, meine Hausfrau, wagtet. Denn als sie mit unerträglichem Zahnweh behaftet war, legtet Ihr neunerlei Kräuter, wie Ihr sagtet, auf eine Kohlenpfanne und gebotet der Frau, Tür und Fenster zu schließen und so lange rings um die Pfanne zu wandeln, als sie es irgend ertragen würde. Über dem greulichen Dunst kam sie ins Straucheln und schlug an die glühenden Kohlen. Sie behielt ihren Schmerz und hatte den Schaden dazu, und der garstige Dampf wollte nie wieder aus dem Gemach weichen. Ihr habt fortan geringe Huld von ihr zu erwarten.«

»Warum ging sie links im Kreise statt rechts, das hat die gute Wirkung völlig verdorben, und ich hatte sie doch dringend gebeten«, antwortete Nikolaus bedauernd. »Immer trägt der Arzt die Schuld, wenn der Kranke etwas versieht.«

»Ihr übt vielerlei Künste, Nikolaus«, warf der junge Ritter ein, indem er mit einiger Scheu nach dem Schüler hinsah.

»Wäret Ihr wie ich viele Jahre durch die weite Welt gewandert, so würdet auch Ihr noch andere Dinge gelernt haben als Rosse zu zäumen und Holz zu verstechen,« antwortete der Schüler übermütig, »denn wenig Länder der Erde gibt es, die ich nicht kenne, und keine Kunst der Weisen, in der ich nicht ein wenig unterrichtet bin. Nur den Hafer im Sieb schwingen und mit dem Flegel auf die Tenne schlagen, vertrage ich nicht, dann überfällt meine Glieder ein gefährliches Reißen. Aber zu reden vermag ich in vielen Sprachen der Welt, Lieder singe ich lateinisch und deutsch, und ich möchte den sehen, welcher mehr Geschichten am Herdfeuer zu erzählen weiß als ich, Briefe kann ich schreiben von jeder Art, Rosse kann ich heilen und den Hunden die Ohren stutzen, geheime Mittel kenne ich gegen das Fieber und viele andere Leiden, und wenn Ihr es einmal von mir begehrt, so verstehe ich auch Euer Mädchen zu zwingen, daß sie Euch am Abend die Kammertür williger öffnet. Wer in Not ist, dem bin ich hilfreich, und ich kenne die Zeichen und Wappen aller edlen Geschlechter im Lande. Solche Kunst macht, daß ich nicht nötig habe, auf einem Hofe zu beharren wie andere. Wo mir‘s gefällt, bleibe ich, und wo ich kalten Gruß finde, da gehe ich, wenn nicht zu Roß, doch zu Fuß.«

»Dann müssen wir Euch dankbar sein,« spottete Henner, »daß Ihr gnädig bei uns aushaltet und nicht verschmäht, unsern Wein zu trinken und unseren Weibern allerlei in das Ohr zu flüstern. Ich meine, Herr Ivo preist die Heiligen, daß er Euch erstarrt im Schnee gefunden hat.«

»Vielleicht dankt er den Heiligen,« versetzte der Schüler mit verändertem Tone, »wie auch ich tue, daß er damals Erbarmen bewiesen hat. Denn um Euch alles zu sagen, ich habe einen Feind, der mich zwingt, und dieser ist der kalte Winter; wenn die Stare fortgezogen sind, wird mir schwer ums Herz und meine Kunst wird schwach, erst der Mai macht mich wieder zu einem Helden. Manches Mal habe ich im Winter meine Kunst vor dummen Dorfleuten geübt und an ihrem Herde gesungen.«

»Jetzt aber ist Maienzeit,« mahnte Herr Henner, »ich hoffe, daß Ihr jetzt ausfliegt.«

»Ihr vergeßt, daß ich erst dem Bauer das Roß verleiden muß, das Ihr begehrt,« antwortete der Schüler lächelnd, »auch bin ich nicht unempfindlich gegen die gute Behandlung, die ich bei euch, ihr Herren, gefunden habe. Denn glaubt mir, Schüler und Ritter gehören zusammen, was der eine nicht übt, versteht der andere.« Er holte ein kleines Buch aus der Tasche, schlug die Pergamentblätter auf und begann eifrig zu lesen. Herr Henner aber schob seinen Sessel näher an den des jungen Ritters und fuhr leise in seinen Ermahnungen fort. Allmählich vergaßen die Herren auf den Schüler zu achten, der über das Buch gebeugt lauschte, und dieser vernahm, daß Herr Lutz unvorsichtig äußerte: »Wenn nur dem Landgrafen heut nicht einfällt, daß er uns beim Mahle auf der Erde sitzen läßt, was man jetzt champieren nennt. Denn die Edlen und ihre Frauen empfangen dicke Polster oder auch Stühle, wir aber müssen uns im Eisenhemd auf dem dünnen Teppich lagern, und von unten dringt die Kälte in den Leib.«

Diese Rede mußte dem Marschalk mißfallen, und er mahnte wieder mit umwölkter Miene: »Solange Ihr auf dem Pferde sprengt, Chevalier, will ich Euch vertrauen, aber wenn Ihr an der Tafel sitzet oder zum Tanze schreitet und wenn die Herren und Frauen mit artigen Reden schimpfieren, dann fürchte ich, daß Ihr nicht joly antwortet, sondern gleich einem Tölpel. Denn an gefügiger Rede und vollends an süßen Worten für die Frauen leidet Ihr noch Mangel.«

»Ich weiß eine, die diese Meinung nicht hat«, versetzte der Jüngere gekränkt.

»Meint Ihr, Herr Gelbschnabel, daß Ihr den Frauen dort oben dasselbe bieten dürft, was Ihr Eurem Dorfmädchen in die Ohren raunt? Schämt Euch, Herr Lutz, von Eurer Kundschaft im Dorfe zu prahlen.«

Aber der Jüngling sang leise: »Sind ihre Füßel auch zerkratzt vom Stroh, ihr roter Mund, ihr weißer Leib, sie machen froh.«

»Noch einmal sage ich Euch, Chevalier, schämt Euch und schweigt. Ihr mögt Eurem Berchtel oder wie sie sonst heißt, in Erfurt einmal eine seidene Borte kaufen oder einen Ring von Glas und Silber und Ihr möget sie heimlich herzen, soviel Ihr wollt, niemand wird Euch das verdenken; ja Ihr dürft sie auch, wenn Ihr erst in die Jahre gekommen seid und gewürdigt werdet, ein Hofgut zu erhalten, zu Eurer ehelichen Hauswirtin machen und zur Mutter Eurer Kinder; aber niemals werdet Ihr Euch einfallen lassen, sie als Eure Frau zu rühmen, der Ihr ritterlich dient. Das bringt Euch arge Unehre. Siehe, Lutz, das ist der Punkt, wo ich an dir auszusetzen habe. Du reitest im Gefolge eines Herrn, der dem ganzen Lande ein glänzendes Vorbild von Ehre und Zucht ist, auch von dir wird gefordert, daß du um die Minne einer edlen Frau wirbst, sei sie Herzogin oder Gräfin.«

»Ich weiß aber keine«, versetzte Lutz. »Die Hennebergerin ist zu alt, die von Orlamünde hat nur ein Auge, und die Gleichen gilt für ein böses Weib. Ich kenne niemanden, der mir gefiele, als Frau Else, die Landgräfin.«

Henner machte schnell eine abwehrende Bewegung und blies durch die Zähne, daß sich sein Schnurrbart sträubte. »Von dieser rate ich Euch abzusehen. Dennoch eilt, eine andere zu finden; bei Männern und Frauen werdet Ihr erst Geltung gewinnen, wenn man erkennt, daß Ihr hoch von Euch denkt und edle Minne begehrt.«

Der Jüngling saß gedrückt und überlegte. Da begann der Schüler mit freundlicher Stimme: »Darf ich in dieser Not einen Rat geben, obwohl ich nicht dem Schildamt angehöre? Ganz in der Nähe weilt eine ritterliche Frau, und für jedermann wäre es ehrenvoll, um ihre Huld zu werben. Wählt Frau Jutte zu Eurer Herrin.«

Henner starrte in maßlosem Erstaunen bald auf den Schüler und bald auf seinen Zögling; allmählich zog sich sein Gesicht finster zusammen und er griff an sein Schwert. »Wollt Ihr alt werden im Sonnenlicht, so enthaltet Euch, solchen Unfug zu sagen oder zu denken, Ihr Tropf, dies Eisen hier würde schnell jeder Werbung ein Ende bereiten.«

»Er würde doch nur tun, was Ihr von ihm fordert«, versetzte der Schüler.

»Gestattet, wenn ich Euch in aller Höflichkeit sage: Ihr seid ein Unverschämter, und ich bin nicht der Mann, welcher ruhig zusieht, wenn in seinem Hofe ein fremdes Hähnchen kräht. Doch ich erweise Euch zu viel Ehre, daß ich über Euren törichten Einfall zürne; auch ist Frau Jutte nicht so sanft geartet, daß sie irgendwelche Frechheit mit Wohlgefallen ertragen würde, denn sie schwingt kräftig ihren großen Kochlöffel, wie wir alle wissen, und auch ich lasse mir das gefallen, weil sie ein redliches Weib ist.«

 

»Das denke ich auch,« versetzte der junge Ritter, »und ich will Euch nicht kränken, wenn ich tue, was Ihr gebietet.«

»Es freut mich, daß Ihr Euren verständigen Sinn bewährt«, antwortete Henner ruhiger. »Auch würde Euch dieser Frauendienst nichts nützen; denn Frau Jutte genießt die Ehre ihres Hauswirtes und war eines Ritters Kind, doch sie wurde in Dienstbarkeit geboren, wie Ihr und ich, sie ist gar keine Freie, und sie selbst wird sich auch im Traume nicht berühmen, vom Adel zu sein. Ihr aber vermögt durch Frauendienst nur dann Ehre zu erwerben, wenn Ihr einer edlen Herrin gefallt.«

»Es ist mir auch ganz recht, daß Ihr mir den Dienst verwehrt«, erklärte der andere ehrlich.

Dem Marschalk jedoch war die Laune verdorben, er erhob sich, winkte seinem Genossen und schritt mit diesem klirrend aus der Tür, ohne den Schüler weiter zu beachten.

Während der Hof um die Ausfahrt sorgte, stand Herr Ivo allein auf der Galerie seines Hauses, die über den kleinen Hofgarten vorsprang. Aus den üppig geschwellten Knospen der Sträucher brachen die zarten Blätter und umhüllten als grüner Flor das Geflecht der Äste. Ivo stand wie im frohen Traume und tippte mit dem Finger im Takt auf das Geländer, während ganz nahe vom höchsten Zweige ein Vogel mit schmetterndem Schlage sang. So oft der Vogel schwieg, spitzte Ivo seinen lachenden Mund und pfiff leise eine Melodie dem Vogel zur Antwort. Das freute wieder den Vogel, er neigte den kleinen Kopf und hörte zu; und wenn Herr Ivo aufhörte, begann er aufs neue und noch kunstvoller seinen Sang, breitete dabei seine Flügel und hob das Krönlein. Dann tippte Ivo wieder auf das Holz und lachte selig vor sich hin. So trieben es die beiden längere Zeit miteinander, während die Himmelssonne alle umstrahlte, die brechenden Knospen, den Finken und den jungen Hofherrn. Gleich hellem Gold glänzten die Locken um das edle Antlitz des Mannes, welcher im langen Festgewande, wie es vornehme Herren damals trugen, lichtumflossen dastand, als ein schönes Bild männlicher Kraft und Hoheit.

Am Eingange regte sich‘s leise, der alte Kämmerer Godwin war eingetreten; er neigte das Haupt mit dem weißen Haar und Schnurrbart, hielt in der Hand einen kleinen Silberbecher und erwartete achtungsvoll die Anrede seines Herrn.

Ohne sich umzuwenden, fragte Ivo zurück: »Bist du‘s, Nikolaus? Ich hoffe, ich habe das Lied im rechten Tone zusammengebracht, nimm schnell dein Rüstzeug und schreibe, bevor mir die Worte entweichen.«

»Es ist diesmal der alte Godwin«, antwortete der Kämmerer und stellte den Becher auf einen Tisch.

Ein leichter Schatten flog über das freudige Antlitz des Hausherrn, denn die Störung war ihm peinlich, aber er faßte sich sogleich, und dem Alten die Hand bietend sprach er gütig: »Ihr bemüht Euch meinetwegen selbst, dann bitte ich, Herr, denkt auch an Euch, damit Ihr mir Bescheid tun könnt.«

»Ich danke meinem Herrn«, versetzte der alte Kämmerer. »Eure Hofleute verstehen ohnedies besser für sich zu sorgen, als Ihr für Euch; von den großen Kannen, die Nikolaus bereitet, gelangt nur ein kleiner Napf, der kaum für einen Vogel im Bauer reichen würde, bis an den Mund meines Herrn. Solche Enthaltsamkeit ist neuer Brauch, und ich fürchte, das junge Geschlecht wird ihn nicht ohne Schaden ertragen. Die alte Sitte war: Der beste Mann, der stärkste Trunk.«

»Bleibt bei Eurem Brauch,« versetzte Ivo lächelnd, »und laßt mir den meinen. Doch wie, mein Vater? ich sehe Euch im Hauskleide, ich hoffe, Ihr versagt Euch nicht der Fahrt.«

»Ein Alter bedarf wenig Zeit, sich zu bereiten, die Frauen lächeln ihm nicht mehr zu.«

»Was beschwert Euch den Sinn, Vater? Ihr seht ernsthafter drein, als mir heut lieb ist.«

»Verzeiht. Ich dachte, wie das Alter pflegt, an die Zeit der Jugend. Euer Vater ritt ungern in die Höfe des stolzen Geschlechtes, welches sich über den Freien im Lande gelagert hat, und er verschmähte es zuweilen, dort im Frühling den Ehrentrunk zu holen, den der Landgraf Eurem Geschlechte schenken muß.«

Ivo ergriff die Hand des Alten. »Ich verstehe, worauf Ihr zielt. Soll ich dem Landgrafen Fehde ansagen, und soll ich mit den Goldketten, die aus dem Erbe meiner lieben Mutter übrig sind, Reiter zu einem Heere anwerben, um ihn aus Burgen und Land zu treiben? Wollte ich das, ihr alle würdet mich unsinnig schelten.«

»Das könnte Euch niemand raten«, versetzte der Alte. »Doch Euer edler Vater diente im Heere des großen Kaisers und brachte reichliche Beute heim.«

»Wo ist unser Kaiser Friedrich?« fragte Ivo wieder, »weit von hier sitzt er am welschen Meere, und der Knabe Heinrich, der als König in seinem Namen über das Reich walten soll, hat bisher wenig getan, wofür ein Edler freudig ins Feld ziehen könnte. Nein, mein Vater, ich bin zu stolz, um fremder Begehrlichkeit zu dienen; ich vermag nicht als Gesinde eines Fürsten, und sei er der reichste, im Harnisch zu reiten, damit seine Herrschaft größer werde und er sein Haupt höher hebe, während ich als Diener die Knöchlein benage, die der Löwe dem Fuchs übrig läßt. Und ganz unwürdig dünkt mir, auf eigene Faust Beute zu gewinnen, wie wohl der Oheim auf der Mühlburg und mancher andere Edle tut. Werdet Ihr, Herr Godwin, mich loben, wenn ich die Erfurter ihrer Ballen beraube oder den Bauern Rosse und Rinder bei Nacht davontreibe?«

»In ehrlicher Fehde einen Warenballen gewinnen,« versetzte der Kämmerer mit einem sehnsüchtigen Blicke nach der Gegend von Erfurt, »ist nicht so übel, Herr; man weiß nicht, was darin ist, das Aufschneiden hat schon manchen gefreut, freilich auch geärgert, wenn er Sackleinwand fand. Und was ein gutes Pferd auf fremder Weide betrifft, so wird kein bedächtiger Mann leugnen, daß der Raub ein Unrecht ist; doch freilich kommt es manchem frischen Knaben hart an, daran vorüberzutraben. Denn das Roß gehört zum Reiter, und man sagt, daß auch die Pferde denselben Stolz haben. Von Rindern aber und vollends von Schafen rede ich gar nicht, es bringt geringe Ehre, sich deshalb dem Richter in die Hände zu geben. Nur über den Krieg denke ich anders, Herr; Ihr wißt ja selbst, daß dieser die hohe Schule ist für alles Heldenwerk.«

»Ja,« rief Ivo stolz, »wenn ich in die Schlacht reite für meinen Ruhm und mein Recht; nicht aber, wenn ich für einen Gierigen, den ich nicht ehre und nicht brauche, Seele und Leib daran setze. Und ich sage Euch, Vater, auch ich habe wilde Stunden gehabt, in denen ich Fehde und Krieg ersehnte, und ich habe in Gedanken meine Ahnen verklagt, daß sie dies Geschlecht der Ludwige zu übermütigen Landesherren heraufwachsen ließen. Jetzt aber sehe ich die Welt froh im Frieden; alle preisen den jungen Landgrafen als einen guten Herrn; weiß nicht, ob ich ein besserer wäre. Da habe auch ich mir gewählt, was für mich übrig bleibt und was mir Ehre gibt im Lande. Ich mühe mich redlich zu sein, wie meine Väter, und mild gegen jedermann. Geringere Freude macht mir der Goldschmuck, den ich in der Truhe berge, als das Lachen und der herzliche Gruß der Kleinen, wenn ich das Gold in höflicher Weise austeile. Der Gewaltigste vermag ich nicht zu sein zwischen Saale und Werra, sie sollen von mir sagen, daß ich der Adligste bin. Darum haltet die Truhen geöffnet, denn wenig liegt mir, solange der Sommer lacht, an Sparen und Knausern. Und wißt, mein Vater, wenn ich zum Landgrafen ziehe, um mir den Festtrunk zu holen, so tue ich das gerade heut in heimlicher Freude. Darum, wenn Ihr mich liebt, laßt auch Ihr die Sorgen zu Hause, ungern möcht ich heut meinen lieben Vater unzufrieden sehen.« Und er faßte den Alten bei seinem weißen Haupt und küßte ihn.