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Die Ahnen

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12. Das Gericht des Königs

Auf niedriger Anhöhe stand unweit dem Mühlberg eine große Linde; dort wurde innerhalb gezimmerter Schranken dem Könige der Richterstuhl erhöht und Sitze für die Großen des Reiches, welche in seinem Gefolge ritten. Die Diener breiteten Teppiche und Polster auf das Holzwerk, das Banner des Königs ward aufgesteckt, der Rufer trat an den Eingang des Geheges und die Leibwächter schritten mit ihren Spießen in die Runde, das versammelte Volk abzuwehren. Die Frühlingssonne schien warm und die Lerchen sangen freudig von der Höhe, aber Landleute und Burgmannen, welche in großen Haufen herzugeeilt waren, hielten sich abseits, sprachen leise miteinander und sahen scheu nach dem Gerichtsbaum und zurück nach dem Dorfe, bei welchem das Lager des Königs war. Nicht die Ehrfurcht allein bändigte ihnen Stimme und Gebärden, sonst zogen sie wohl einem scharfen Gericht wie einem Feste zu und freuten sich, wenn das Haupt eines Missetäters auf den Rasen fiel; diesmal war den meisten der Mut beschwert, entweder, weil sie dem Helden Immo wohlgeneigt waren, oder weil sie dem Grafen Gerhard geringes Glück gönnten.

In gesondertem Haufen standen die freien Bauern vom Nessebach, in ihrer Mitte der alte Baldhard mit Brunico und seinem Geschlecht, und Baldhard streckte den Arm nach dem Ring der roten Berge aus, auf welchen die Mühlburg ragte: »Seht dorthin.«

Auf dem Grunde lag der weiße Wasserdunst, darüber strahlten die Höhen wie abgelöst vom Erdboden und wie von eigener Glut durchleuchtet. An den waldlosen Stellen schimmerte das Erdreich hier rosenfarben und blau, dort blutig rot. »Schaut alle,« rief Baldhard, »gleich rotem Golde glänzt Erde und Stein. Manches Mal sah ich den alten Götterschein an den Höhen, und jedermann aus der Umgegend kennt das Gleißen, das man schwerlich an anderen Bergen schaut. Aber niemals erblickte ich solches Feuer, und bekümmert fragen wir, was das blutige Licht dem alten Landgeschlecht bedeute, gegen welches heut der Richterstuhl gezimmert wird.«

Alle starrten mit scheuer Verwunderung nach den Hügeln.

Und Ruodhard der Müller begann: »Die letzte Nacht war still und der Mond stand am wolkenlosen Himmel, dennoch hörte ich im Berge ein Dröhnen und Brechen; wie mit schweren Hämmern arbeiteten Riesenhände in dem Gestein und ich sah, daß die Grauwölfe heulend die Nasen hoben und in den Berg hineinfuhren.«

Da rief eine rauhe Stimme: »Die in der Tiefe hausen, rüsten sich, um junge Helden zu empfangen, welche vom Tageslicht geschieden werden.«

Brunico stöhnte und wandte sich ab.

»Beklagst du die Söhne Irmfrieds?« fragte die Stimme neben ihm. Brunico sah auf eine riesige Gestalt in einem Rock von Wolfsfellen, das buschige Haar des Mannes starrte wild um das Haupt, in dem Gurt steckte eine Axt mit neuem Stiel. »Jammervoll ist dieser Tag, Eberhard«, murmelte der Knappe.

»Du hattest dich einem von ihnen gelobt,« versetzte der Hirt finster, »ich aber war allen sieben ein Knecht von den Vätern her. Darum bin ich neugierig zu sehen, wie meine Herren auf ihrem eigenen Grunde von einem Fremden geschlagen werden.«

»Wisse, Eberhard, der König selbst ist gekommen, zu richten.«

»Bis heut waren die Söhne Irmfrieds Könige des Waldes, trifft ein fremder König die Sieben in den Nacken, wie mag ihr Knecht sich noch seinen Herrn suchen? Der Stiel ist neu, und das Eisen ist scharf. Schwingt keiner der Herren die Axt in den Baum, so hebt der Knecht selbst die Axt zu einem Herrenwurf, und er wählt sich das Ziel. Von meinen Ebern bin ich entwichen, damit ich den fremden Richter schaue, weißt du mir ihn zu zeigen?«

»Du wirst ihn erkennen, wenn er auf dem Richterstuhl sitzt«, antwortete Brunico und wandte sich scheu von dem Wilden ab.

Der König ritt aus seinem Hofe auf das Feld hinaus.

Die Leute sahen, daß er einen Hauptmann der Reisigen zu sich winkte, und daß dieser nach dem Lager der Königsmannen eilte. Gleich darauf tönten von dem Anger Hörner und das Getöse einer aufbrechenden Schar.

Als der König herankam mit großem Gefolge von Geistlichen und Laien, klang der Heilruf nicht freudig wie wohl sonst, und der König merkte das und schaute düster über die Haufen. Die Leute vernahmen, wie der Rufer Stille gebot und des Königs Gericht nach den vier Winden ausrief, und sie drängten schweigend an die Schranken. Als darauf Immo zum Hügel geführt wurde zwischen entblößten Schwertern und nach ihm seine Brüder, da hörte man trotz dem Gebot des Schweigens lautes Klagen und Jammern der Weiber, und viele knieten nieder, hoben die gefalteten Hände und taten Gelübde, damit die Heiligen sich der Angeklagten erbarmten.

Der König setzte sich auf den Richterstuhl und ergriff den weißen Stab, an welchem das goldene Königszeichen einer Lilie ähnlich glänzte. Erzbischof Willigis trat mit den Bischöfen und Edlen, welche der König zu Ratgebern gewählt hatte, vor den Stuhl und begann: »Da des Königs Würde selbst den Spruch tun will gegen den edlen Thüring Immo wegen Raubes einer Jungfrau und wegen Friedensbruch, so ist uns das Vorrecht geworden, im Rat zu sitzen über die Tat und die Rache. Denn so ist es Brauch, wenn der Spruch des Königs gegen das Leben eines Edlen geht. Was wir befunden haben, verkündet jetzt mein Mund dem Könige, wenn Seine Hoheit es vernehmen will.« Der König winkte, und der Erzbischof fuhr fort: »Gegen die ruchbare Tat des Helden Immo und seiner Brüder hat Graf Gerhard Klage erhoben wegen des nächtlichen Raubes seiner Tochter Hildegard aus dem Dach der Herberge, und daneben mein Vogt zu Erfurt wegen Friedensbruches und schwerer Verwundung seiner Reisigen. Darum möge die Gerechtigkeit des Königs erwägen, ob die schwere Tat verübt wurde gegen die Jungfrau selbst, gegen den Vater und gegen den Frieden der Stadt. Bekunden ehrliche Zeugen, daß der Mann Immo ein Räuber der Magd war, so büße er mit seinem Haupt und Leben. Hat er nur durch gezücktes Schwert den Frieden der Straße geschädigt, so möge der König ihn strafen, nicht an seinem Leben, aber an seinen Gliedern, an seiner Freiheit, an Gut und Habe, wie es dem König gefällt. Seine Gesellen aber, weil sie als jüngere Brüder die Treue des Geschlechtes erwiesen haben, möge der König strafen oder verschonen.«

Der König antwortete: »Ich rühme den Rat, den ihr Bischöfe und Herren gefunden, als gerecht und billig.« Aber hart war der Ausdruck seines Angesichts, als er auf die Gefangenen hinsah.

»Sind hier alle Söhne des toten Irmfried versammelt? Von sieben Nestlingen hörte ich singen und sagen.«

Gundomar trat heran. »Einer ist zurück, der jüngste Sohn Gottfried; schuldlos ist er, Herr, und hat keinen Teil an diesem Frevel seiner Brüder.«

»Ist er schuldlos, warum wird er dem Auge des Königs entzogen?« fragte Heinrich, »brachtest du ihn von der Burg, so führe ihn her.«

Gundomar eilte aus dem Ring, und Gottfried trat in die Schranken. Er trug das Panzerhemd, das ihm die Brüder geschenkt hatten, um das runde Gesicht ringelten sich die goldenen Locken. In holder Scham stand er da; auf eine leise Mahnung seines Begleiters trat er näher, kniete vor dem König nieder und senkte sein Haupt.

Der König sah überrascht auf den Knaben. Im Kreise der Herren erhob sich ein beifälliges Gemurmel, und aus dem gedrängten Volke klangen Heilrufe der Männer und Segenswünsche der Frauen. Der König erkannte, daß die Edlen und das Volk ihn rühmen würden, wenn er dem Unschuldigen seine Gnade erwiese. Und da ihm der Knabe gefiel, so gedachte er bei sich, das Geschlecht nicht ganz zu vernichten, sondern diesen zu bewahren, und er sprach gütig zu ihm: »Steh auf und sieh mir ins Gesicht.«

Gottfried starrte aus seinen großen Augen so erstaunt den König an, daß dieser lächelte. »Tritt näher«, gebot er, faßte den Knaben bei der Hand und strich ihm über die Wange. »In jungen Jahren trägst du das Eisenhemd, wer hat dich so früh mit dem Schwert gewappnet, du Singvogel? Noch ziemt dir nicht der wilde Flug. Danke den Heiligen, daß jene dich bei ihrem nächtlichen Ritt zurückließen.«

»Gern wäre ich mitgeritten,« antwortete Gottfried arglos, »und mich reut gar sehr, daß ich‘s verschlafen habe.«

Da lachten die Herren ringsum über die Kinderstimme und nickten einander zu. »Ich merke,« sagte der König, »wir sind hier in dem Lande, wo schon die Nestvöglein trotzig singen, wenn auch ihre Stimme noch fein ist. Daß du den Ritt verschlafen hast, Knabe, war dir diesmal größeres Glück als die beste Heldentat. Sieh auf deine Brüder; der einzige bist du aus deinem Hofe, der ein Schwert trägt, obgleich es in deiner Hand noch schwerlich tiefe Wunden schlagen wird.«

Gottfried sah erschrocken auf seine Brüder, gürtete sich schnell das Schwert ab und legte es dem König zu Füßen. »Verzeiht mir, Herr König, ich will nicht anders gehalten sein als meine Brüder, laßt mich das Unglück, das sie trifft, auch teilen«, und er lief von dem König zu den Gefangenen und stellte sich als letzter in ihre Reihe. Aber Gundomar ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zum Stuhl des Königs zurück. »Hebe dein Schwert auf,« befahl der König gnädig, »damit ich dich selbst damit umgürte; als Kriegsmann sollen dich, Gottfried, Sohn des Irmfried, von heut an meine Edlen ehren.«

Da erhob sich ein Summen und Brausen in der versammelten Menge und es verstärkte sich zu einem donnernden Heilruf für den König, so daß dieser wieder befremdet über das Volk sah. Denn die Leute hofften, daß die Huld, welche der König dem Jüngsten erwies, eine gute Vorbedeutung sei für das Schicksal der anderen Brüder. Aber solche, die den König zu kennen meinten, urteilten anders.

Der König gebot: »Führt die Jungfrau herein.«

Gestützt auf Edith trat Hildegard in die Schranken. Ein beifälliges Murmeln ging durch die Versammlung, als die Frauen vor den Königsstuhl traten. Würdig verneigte sich Edith und stand mit gehobenem Haupt in der Versammlung; und der König, welcher gedachte, daß sie sich stolz hielt, weil sie von den Ahnen her dem königlichen Stamme verwandt war, faßte mit der Hand an die Lehne seines Stuhls und hob sich ein wenig aus dem Sitz, indem er sich gegen sie neigte, um die Abkunft zu ehren. Ediths Augen suchten die Söhne. Als sie Immo erkannte, das bleiche Antlitz und die schmerzvollen Züge, da tat sie einen Schritt auf ihn zu, aber sie bezwang sich und hob nur die Hand segnend gegen ihn. Neben ihr stand Hildegard, die Augen zum Boden gesenkt, ängstlich griff sie nach der Hand ihrer Begleiterin, um sich daran zu halten. »Dies ist deine Tochter Hildegard, Graf Gerhard?« fragte der König, und als der Graf sich bejahend verneigte, fuhr er fort: »Wenig gleicht sie dir, doch auch vom knorrigen Stamme kommt süße Frucht. Wahrlich, mancher von meinen jungen Helden wird über die Missetat des Räubers nicht erstaunen. Fasse Mut, Jungfrau, denn der Richter, welcher jetzt fragt, ist dir wohlgesinnt. Über dem Thüring Immo hängt die Klage, daß er dich mit Gewalt und entblößtem Schwerte aus dem Frieden meiner Burg Erfurt geraubt und durch seine Gesellen in sein festes Haus geführt hat. Ob es Raub einer Jungfrau war, die widerwillig der Gewalt folgte, das erkennt der Richter aus dem Notschrei der Geraubten; denn wie dem Mann das gezückte Eisen, so hilft der Jungfrau die Stimme. Hast du dich gesträubt gegen die Entführung durch abwehrende Hand, und wenn die Hand gebändigt war, durch den Mund, so sprich, damit wir dein Magdtum ehren und die Tat des Räubers erkennen.«

 

Hildegard hielt sich an Edith fest. Es wurde so still im Raum, daß man das Summen einer Mücke gehört hätte, aber kein Laut drang aus den zuckenden Lippen der Jungfrau.

Da trat Erzbischof Willigis zu der Schweigenden und sprach mit väterlicher Milde: »Zum Dienst der Heiligen bist du bestimmt; deshalb mahne ich dich freundlich, daß du alle Furcht abtust, denn du sprichst jetzt für deine eigene Ehre. Der Richter fragt, ob der Mann, der zu dir in die Herberge drang, dein Trauter war oder dein Räuber. Darum, hast du dir Hilfe gefordert, so antworte nur ein: Ja, ich habe.«

Im Angesicht der Jungfrau wechselte Blässe und hohe Röte, aber sie schwieg. Wieder ging ein Geflüster durch die Versammlung, und manche Lippe verzog sich zum Lächeln. Graf Gerhard aber drängte sich vor und rief ängstlich: »Möge die Hoheit des Königs Nachsicht üben mit meinem armen Kinde, dem jetzt die Angst und Scham den Mund verschließt. In jener Nacht aber hat sie gerufen, wie einer sittsamen Jungfrau geziemt, Zeter und Waffen, und hat sich gesträubt, so sehr sie vermochte, als die Räuber sie auf das Roß schwenkten.«

»Da du selbst den Schrei nicht gehört hast, und die Jungfrau nicht reden will, so rufe Zeugen, wenn du deren hast«, gebot der König.

Graf Gerhard eilte an die Schranken und führte den Wirt des Hessenhofes herbei. Der Mann kniete nieder und bekannte: »Laut gellte der Notschrei einer Weiberstimme aus dem Gemach, in welchem die Jungfrau rastete, und als ich vom Lager sprang und mit meiner Waffe in das Zimmer eilte, fand ich es leer, auf der Straße sah ich Reiter davonsprengen und erkannte, daß einer die Jungfrau vor sich auf dem Rosse festhielt.«

»Der Notschrei klang von den vier Wänden,« bestätigte der König, »doch sah der Zeuge nicht, ob es die Jungfrau war, welche rief. Hauste das Grafenkind allein in der fremden Stadt?«

»Nur ihre Dienerin kam mit ihr,« antwortete der Graf, »ein unfreies Mädchen.«

»Warum ist sie nicht zur Stelle?« fragte der König. »Du hörst, Beklagter, etwas fehlt an dem Zeugnis gegen dich. Vermagst du den Spruch gegen dich weniger schwer zu machen durch deinen Eid und den Eid deiner Helfer, so darfst du schwören, daß die Jungfrau dir ohne die Notklage gefolgt ist.«

»Ich schwöre nicht gegen ihre Ehre,« antwortete Immo, »was mir auch darum geschehe.«

Da hob Hildegard das bleiche Antlitz ein wenig und begann leise: »Einen Goldfaden sandte ich ihm, und er bewahrt ihn an seinem Herzen, die Sommerlinde auf der Idisburg sah es und weiß es, daß er mich küßte. In der brennenden Stadt stand ein steinernes Kreuz, so wahr das Kreuz dort steht, so wahr ist es, daß er mich aus den Händen der Mörder gelöst hat durch seinen Arm und sein Schwert. Dann kam er in der Nacht, in der ich angstvoll am Boden lag, weil ich die Liebe zu ihm im Herzen trug und doch am nächsten Morgen zu den Heiligen sollte; er weiß es wohl, daß ich schwieg, als er mich auf das Roß seines Freundes hob.«

In der Stille, welche diesen Worten folgte, hörte man nur das Stöhnen des Vaters, welcher sich abwandte und die Hände vor sein Antlitz hielt.

»Folgtest du freiwillig, ohne deiner Kindespflicht zu gedenken,« fragte der König, »wer denn tat den Klageschrei? Weiß jemand Antwort zu geben, der antworte, damit der Zeuge nicht als meineidig erkannt werde.«

An den Schranken rührte sich‘s unter den Bürgern, welche aus Erfurt herbeigeeilt waren. Frau Kunitrud wurde von Heriman und anderen vorgeschoben, und der Rufer öffnete ihr auf einen Wink des Erzbischofs die Schranken. Sie warf sich auf die Knie und begann mit geläufiger Stimme, während sie mehrmals aufstand und wieder niederkniete, bis sie in der Nähe des Königsstuhls beharrte: »Es wird kein Brei so heiß gegessen, als er gekocht ist, und ein Kind aus Burg Erfurt traut sich auch noch vor dem Könige zu reden, zumal wenn er jung ist. Alles kann ich auf das genaueste verkünden, Herr König, denn ich selbst habe die Entführung erlebt, und sie war das ärgste nicht, was ich erlebt habe; schlimmere Gewalttat geschieht in der Welt, und noch dazu von Leuten, welche weniger gutherzig sind als dieses junge Blut. Ihr sollt wissen, Herr König, daß ich in jener Nacht bei der edlen Hildegard war. Reisemüde saß sie, oder sie lag auf dem Boden und rang die Hände, wie es ihr gerade gefiel. Da vernahm ich draußen Getümmel und Klappern von Pferdehufen, und ich tröstete die edle Hildegard und sagte ihr: Das tut nichts, es sind nur tolle Brüder, welche gegeneinander die Messer zücken, und es ist des Königs Wache, sie werden sich untereinander raufen, wie sie oft tun. Da sprang die Tür auf, und der Held Immo trat ein, ganz in Eisen, und er fuhr auf die Jungfrau zu, welche wie ein Rohr wankte, da sie ihn sah; er faßte sie und rief: ›Mußt du Zeter schreien, Kunitrud, so harre, bis ich zu Rosse bin.‹ Ich schlug erschrocken die Hände zusammen und lief an das Fenster, riß die Decke weg und sah hinab, aber ich sah nur Undeutliches in der Finsternis, bis ich mich endlich besann und das Geschrei erhob, wie sich geziemte.«

Der König winkte, und der Rufer bedeutete der behenden Frau, zu schweigen, worauf sich diese wieder mit Kniebeugungen aus den Schranken zurückzog.

»Folgte das Weib widerstandslos dem heischenden Manne,« entschied der König, »so vermag der Richter nicht ihre Ehre zu rächen, sie selbst hat sich ihres Rechtes begeben und ist Mitschuldige der Gewalttat. Denn nicht ihr stand zu, sich den Gemahl zu wählen, sondern ihrem Herrn und Vater. An der Jungfrau hast du, Schwertloser, durch den Raub keinen Frevel geübt; der Richter fragt, ob du ihn geübt hast gegen Gerhard den Grafen. Dieser aber hat, wie du selbst sagst, dir sein Kind nicht verlobt, sondern er wollte es nach dem Wunsch des Königs geschleiert den Heiligen weihen. Weißt du, Immo, was dich von dieser Missetat entschuldigt, so verantworte dich.«

Die Lippen Immos bewegten sich, aber er schwieg.

Da Immo auf die Frage, welche für sein Leben entscheidend war, nicht antwortete, hob Edith mit einem Klageschrei die Hände zum Himmel, eilte durch die Versammlung zu ihrem Sohn und umschlang ihn mit ihren Armen. Er aber warf sich vor seiner Mutter nieder und barg sein Gesicht in ihrem Gewande.

Unter den Brüdern entstand eine Bewegung, Odo trat ein wenig vor und begann auf einen Wink des Richters: »Immer wünschen wir, daß der König uns gnädig sei, zumal wenn wir vor ihm sprechen sollen und doch behender Worte nicht sehr mächtig sind. So geht es jetzt mir. Was aber die Klage des Grafen Gerhard angeht, so behaupte ich, Odo, Irmfrieds Sohn, und mit mir meine Brüder Ortwin und Erwin, Adalmar und Arnfried, daß die Klage völlig eitel und nichtig ist, und wenn des Königs Huld uns Schwert und Roß gewähren will, so sind wir fünf, die wir jetzt schwertlos stehen, bereit, dies gegen den Grafen Gerhard und vier ehrliche Kämpfer seiner Freundschaft zu erweisen, überall, wo die Sonne scheint, die Luft weht und der Anger grünt.«

Der König sah verwundert auf den jungen Helden, dem man wohl anmerkte, wie er die Worte bedächtig erwog, während er die grauen Augen und das unbewegte Gesicht auf die Versammelten richtete. »Du bist ein verwegener Gesell, daß du die Klage über eine ruchbare Missetat ungehörig schiltst. Du selbst hast die geraubte Jungfrau auf der Burg verschlossen.«

»Ich bin nicht mein Bruder,« versetzte Odo trocken, »mir war auch bisher ganz wohl in meiner eigenen Leibeshülle. Die Klage aber geht gegen den Helden Immo und nicht gegen mich. Darum ist sie grundlos, und für jedermann ist deutlich, daß mein Bruder die Jungfrau nicht geraubt hat. Sie hat den Rücken seines Rosses nicht berührt; als sie in der Nacht unter den Sternen dahinfuhr, war er gar nicht in ihrer Nähe, als sie hinter dem Burgtor abgehoben wurde, lag er weiter von ihr entfernt, als die Stadt von der Burg. Wir im Lande aber strafen nur die schwere Tat, nicht schweren Willen. Was er gewollt hat, darum mögen sich die Unsichtbaren kümmern, welche, wie uns die Priester sagen, sogar die Gedanken eines Mannes erspähen, der Richter unter der Linde spricht nur über ruchbare und greifbare Tat.«

Der König musterte mit scharfem Blick den stattlichen Jüngling. »Wenn ich dich und deine Brüder betrachte, so wundert mich nicht, daß ihr die Sache wieder von des Königs Bank hinweg auf die Beine eurer Rosse bringen wollt. Ich merke, du wagst vor dem König Haare zu spalten. Was jener nicht vollbrachte, tat einer seiner Blutgesellen.«

»Dies gerade ist es, was ich der Gerechtigkeit des Königs sagen wollte. Ungern redet ein Mann gegen sich selbst. Auch ich erinnere hier nur daran, daß er schuldlos an der Tat erkannt werden möge, weil er der älteste von uns Brüdern ist, und wie ich wohl weiß, unserer Mutter der liebste. Und ich fürchte, sein Tod würde ihr das Herz brechen. Muß also Strafe das Haupt eines Mannes treffen, weil das Grafenkind auf ein Roß geschwenkt wurde, so darf doch nicht mein Bruder für die Tat büßen, die ein anderer vollbrachte. Hätte Graf Gerhard diesen anderen verklagt, so dürfte der andere sich nicht beschwert fühlen.«

»Du selbst warst der andere?« fragte der König.

»Die Jungfrau wurde dem gereicht, der das stärkste Roß hatte«, versetzte Odo vorsichtig. »Das Roß wurde vor Jahren von dem Weidegrund des Königs nach Thüringen geführt, es ist vom besten sächsischen Schlag.«

»Auch der Reiter, wie ich merke«, versetzte der König. »Tritt zurück, Jüngling; die Klage nennt nach Recht den Urheber, er gab den Rat, er stiftete die Tat, ihm frommte das Vollbringen. Du aber warst nur sein Gehilfe. Zum anderen Mal frage ich dich, Immo, weißt du etwas, was dich entschuldigt, so sprich.«

Immo stand in hartem Kampf, er wußte wohl, daß Gerhard in Wahrheit niemals der Vermählung günstig gewesen war, er selbst hatte früher dem König gestanden, daß der Graf ihm kein Versprechen getan habe, und obwohl er jetzt in Todesnot war, so erschien ihm doch nicht mannhaft, an nichtige Worte des Gegners zu mahnen. Während er mit seinen Gedanken rang, ob er reden sollte oder schweigend den harten Spruch erwarten, begann der König, zu dem Erzbischof gewandt: »Als die Ratgeber mir durch Euren Mund, hochwürdiger Vater, ihren Rat kündeten, haben sie, so scheint mir, eines nicht erwogen. Der Thüring Immo war es, welcher dem Grafen zu Hilfe kam, als dieser in Kerkernot saß. Denn hätte der Jüngling nicht vor mir das Knie gebeugt, so würde der Graf einem schweren Schicksal nicht entgangen sein. Damals nun hat, so scheint mir, der Jüngling von dem Grafen selbst ein Versprechen erhalten, welches die Tochter betraf. Hat aber der Jüngling den Raub verübt auf Grund eines Gelöbnisses, das er von dem Vater empfing, so würde seine Verschuldung gegen den Gerhard gering erscheinen, denn er hätte durch empfangenes Versprechen ein Recht auf die Jungfrau gewonnen, wenn auch der Raub ein Frevel gegen den König und den Stadtfrieden war.«

Da drängte sich Graf Gerhard eilig hervor und rief laut in dem Ringe: »Keinerlei Gelübde hat der Räuber erhalten, und kein Schwur vermag ihm zur Entschuldigung zu gereichen; weder die Tochter noch irgend etwas anderes habe ich ihm verheißen, damit er tue, was mir zum Heil helfen konnte. Ganz ohne Entgelt wagte er, was für ihn kein schwerer Dienst war, da des Königs Gnade über denen, die im Unglück sind, ohnedies barmherzig waltet. War ich ihm einen Dank schuldig, so hätte ich ihm wohl etwas Gutes erwiesen durch ein Roß oder ein stattliches Gewand, wie es im Lande Brauch ist, nur nicht durch so unerhörten Lohn, wie das Magdtum meines Kindes.«

 

»Wie!« rief Heinrich, »war er so töricht, deine Sünden zum Könige zu tragen, ohne den Brauch der Welt zu üben und an den eigenen Vorteil zu denken? Ungern mag ich das glauben, wenn auch du es sagst. Sprich selbst, schwertloser Mann, redet der Graf die Wahrheit?«

Durch Immos Seele fuhr ein heißer Schmerz; hätte er den Schwur des Grafen angenommen, vielleicht wurde er jetzt der Gefahr enthoben und zuletzt doch mit der Geliebten vereinigt. Die Lehre, welche er vom Vater Bertram gekauft hatte, mochte Unglück und Tod über ihn bringen. Und doch hörte er in diesem Augenblicke der Entscheidung wieder das feierliche Flüstern des alten Mönches, das ihn damals mit Ehrfurcht erfüllt hatte, und in seiner Seele schrie es, daß der Rat hochsinnig und ehrlich gewesen war. Darum sprach er leise in der Versammlung: »Der Graf redet die Wahrheit, ich empfing keinen Schwur von ihm, weder um seine Tochter noch um etwas anderes, und ich habe mir sie geraubt, wie Kriegsleute in der Not tun, weil sie mir lieber ist als mein Leben.«

»Nun denn,« rief der König, »so sprich, was trieb dich damals, ein unholder Bote des Grafen zu werden?«

»Mich jammerte, daß der Edle gegen einen Ehrlosen kämpfen sollte, und mehr noch als das Schicksal des Gebundenen ängstigte mich die Trauer der Jungfrau. Und Herr, wenn ich alles sagen darf, wie es mir damals erging, ich trug den Brief wahrhaftig in Einfalt und treuem Sinn, denn ich wußte und bedachte nicht, daß ich meinem huldreichen Herrn Ungünstiges reichte.«

Da flog ein heller Schein über das Angesicht des Königs. War es ein Sonnenstrahl oder ein Wetterleuchten aus seinem zornigen Gemüt, das wußten die Herren nicht, die den König mit gespanntem Blick betrachteten.

Nur der Erzbischof erkannte, daß in dem Gemüt des Königs etwas vorging; und da Willigis ein sehr kluger Herr war, so dachte er der veränderten Meinung des Königs Genüge zu tun, um zugleich sich selbst einen Gewinn zu schaffen, den er sich seit langem ersehnte. Deshalb begann er: »Alle preisen wir des Königs Huld, welche auch an dem schuldigen Mann das Ehrenwerte zu ehren weiß, und viele gibt es hier, welche ein mildes Urteil für ihn ersehnen. Keiner aber wagt für ihn zu sprechen, weil er an der Kirche und den Heiligen gefrevelt hat, indem er ein Weib entführte, welches der König dem Herrn verloben wollte. Darum ziemt vor anderen mir, meinen Herrn und König flehend zu mahnen, daß er sowohl der Kirche eine Sühne gewähre, als auch dem Schuldigen Leben und Ehre erhalte. Möge der Weisheit des Königs gefallen, den Berg und die Burg, welche Held Immo verwirkt hat, den Heiligen zu übergeben, damit sie fortan dem Erzbistum gehören und damit ich einen Lehnsmann hinaufsetze, entweder den Helden Immo selbst oder einen anderen, wie es dem Könige gefällt.«

Der König sah überrascht auf den Erzbischof. Er gedachte der Worte, welche ihm Heriman zugetragen hatte, und ihm gefiel gar nicht, den mächtigen Priester zum Herrn im Lande zu machen. Dennoch konnte er die Hilfe desselben nicht entbehren, und so saß er, das Gesicht freundlich ihm zugewandt, aber in seinem Herzen meinte er es weit anders. Denn ihm hatte noch diesen Morgen im Sinne gelegen, die Mühlburg für sich selbst zu behalten, aber sie vielleicht als Lehen des Reiches einem Manne aus Irmfrieds Geschlecht zu übergeben. Darum hatte er heimlich seinen vertrauten Kriegsmann auf die Burg gesandt, welcher in Abwesenheit der Herrin einen Versuch machen sollte, die Besatzung zu täuschen und zu überwältigen, und er hatte ihm geboten, stracks eine Stelle der Mauer zu brechen, damit des Königs Macht sichtbar werde. Jetzt gefiel ihm dieser Gedanke noch mehr.

Während der König auf die Antwort sann, hörte er das Rauschen eines Gewandes. Ein Mönch kniete zu seinen Füßen, es war Reinhard aus Herolfsfeld, der Vertraute seines Kaplans, des frommen Godohard. Er winkte dem Demütigen zu: »Was begehrst du, Vater Reinhard, der du jetzt durch Herrn Bernheri zum Präpositus deines Klosters ernannt bist?«

»Nicht aus eigenen Gedanken, sondern nach dem Willen meines Herrn Bernheri wage ich Unwürdiger in dieser hohen Versammlung zu bitten, zunächst, daß Herr Willigis mir verzeihe, wenn ich anders spreche, als ihm selbst gefällt. Die Mühlburg liegt nahe den Hufen und Wäldern, welche dem heiligen Wigbert gehören, und keine Sicherheit hat das Kloster in Thüringen zu hoffen, wenn nicht der Gewappnete, welcher auf der Mühlburg haust, dem Kloster gehorcht. Auch ist bereits ein Heiligtum auf dem Berge, welches Sankt Wigbert selbst geweiht hat, und das edle Geschlecht des Helden Immo betet seit der Urzeit an den Altären des Klosters. Darum flehe ich, daß es der Gnade des Königs und auch der Weisheit des Erzbischofs gefallen möge, den Berg und die Burg meinem Kloster zu gewähren, damit dieses einen treuen Kriegsmann hinaufsetze, der auch dem Könige wohlgefällig ist.«

Der König sah das zornige Gesicht des Willigis, und um seinen Mund zuckte ein schadenfrohes Lächeln, denn ihm war lieb, daß die zweite Bewerbung leichter machte, dem Erzbischof für jetzt seinen Wunsch zu verweigern. Er hinderte also die Gegenrede, welche der Erzbischof vorbereitete, indem er antwortete: »Uns ziemt demütige Erwägung, wenn zwei so fromme Väter sich dasselbe Gut begehren. Da du aber mir sagst, daß das Geschlecht des edlen Immo sich längst den heiligen Wigbert zum Beschützer und Fürbitter erwählt hat, so will ich dich, Immo, selbst fragen: Wie kommt es doch, daß ihr seither vermieden habt, den heiligen Wigbert als Herrn zu erkennen. Übel hast du, so scheint es, dich beraten, daß du dich der Lehnshoheit des Heiligen entzogst, denn er vermöchte dir jetzt vielleicht die Mauern zu erhalten.«

Was der König sagte, fiel schwer auf das Herz des bedrängten Mannes, dennoch trat er mit gehobenem Haupte vor: »Herr, was ich als freies Erbe von meinen Vätern überkommen habe, das wollte ich in Ehre und Wert unvermindert den Nachkommen überlassen; immer war der Stolz meiner Ahnen, keinem Lehnsherrn zu dienen.«

»Und doch würdest du jetzt froh sein,« warf ihm der König prüfend entgegen, »wenn du dein Erbe wenigstens als Besitz aus der Hand der Kirche zurückerhieltest, damit du hättest, wo du dein Haupt birgst.« Immo schwieg. »Antworte mir«, befahl der König.

Immo kniete nieder. »Da mein Herr und König mich fragt, so will ich, obwohl in Todesnot, eine ehrliche Antwort geben. Kleiner wird alljährlich die Zahl der Freien im Lande, mein Geschlecht aber saß seit der Urzeit auf diesem Grunde. Nicht vom König und nicht von der Kirche stammt unser Recht, sondern von der milden Himmelssonne selbst erbaten meine Ahnen ihr Eigen, bevor König und Kirche im Lande herrschten. Wenig liegt mir am Leben, da ich doch alles verloren habe, worauf ich hoffte; aber ein Vasall werde ich nicht.«

In dem Kreise der Edlen entstand eine Unruhe, und Heinrich rief: »Wahrlich, der König mag zufrieden sein, daß das Erbe deines Hauses nur klein ist, denn du steigst über den Adler und fährst höher in deinen Gedanken als die Großen des Reiches, welche selten verschmähen, auch von anderen als dem Könige Land und Leute zu empfangen. Nicht unwahr reden die Menschen, wenn sie euch die kleinen Könige aus dem Walde nennen. – Jetzt aber gedenke vor allem, ob du der Not dieser Stunde entrinnst. Als den Räuber seiner Tochter hat dich Gerhard verklagt, und zum drittenmal warne ich dich. Rede, wenn du etwas weißt, was dich gegen ihn entschuldigt, denn du redest für deinen Hals.«