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Die Ahnen

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»Enthalte dich der Grobheit, Freund,« versetzte der Graf sanftmütig, »denn ich meine es gut. Ich hoffe, Held Immo läßt seinen Goldschatz nicht lange im Wind und Mondenschein liegen.«

»Habt auch Ihr gehört, daß der Held seinen Schatz in diesen Tonnen bewahrt?« fragte der Mann. »Wir harren der Wagen: noch während dort die Feuer brennen, wird alles hinter Tor und Riegel geborgen.«

»Ich lobe die Vorsicht«, bestätigte Gerhard. »Die Osterfeuer werden heut nacht den Weg zur Mühlburg erleuchten. Wer aber schreit dort und schlägt so wild?« fragte er einen der Wächter, welcher herantrat.

»Es sind wieder die Knechte der Heiligen, welche einander bei den Haaren fassen,« antwortete dieser lachend, »die Fuldaer sind über das Wasser gekommen, um die Dorfmädchen im Reigen zu schwingen, und die Knaben Wigberts wollen das nicht leiden.«

Der Graf schüttelte mißbilligend das Haupt. »Uns schelten die Mönche, wenn wir einmal das Schwert ziehen, aber niemand von uns hegt einen solchen Grimm gegen seinen Feind wie die Heiligen gegeneinander. Wollen sie selbst nicht Frieden halten, so sollen sie sich nicht wundern, wenn auch wir zuweilen einer dem anderen den Weg verhauen.« In schweren Gedanken schritt er der Halle zu, hinter ihm ballte Brunico, der Mann im Mantel, die Faust.

Auch auf dem umfriedeten Raum vor der Halle hatte der nächtliche Jubel begonnen. Überall loderten hohe Freudenfeuer, die Bänke, auf denen die Krämer gute Bissen feilboten, waren umdrängt von Begehrlichen; was stolze Knaben gern ihren Mädchen schenken: bunte Bänder, Glasringe, Halsperlen und kleine Metallspiegel, wurde eifrig gekauft, am dichtesten umlagert waren die Stellen, wo aus Fässern und großen Kannen Bier und Met geschenkt wurde; überall, wo ein Spielmann geigte, ein Sänger sang, sammelten sich die Zuhörer. Um die Feuer aber schwangen frische Knaben die Mädchen im Tanze, gesondert nach Gauen und Dörfern; zwar fehlten ihnen die Abzeichen aus Baumlaub und Blüten, durch welche sie sich im Sommer unterschieden, aber viele trugen das rote Kreuz Wigberts, andere das Rad, mit welchem Erzbischof Willigis seine Angehörigen bezeichnete, und die aus dem Nessebruch führten ein Büschel roter Wolle, mit grünem Band umwunden, statt der Distel, welche sie zu anderer Zeit auf ihren Mützen trugen. Viele tanzten in Eisenhemd und Helmkappe, alle die klirrenden Schwerter an der Seite, zu ihren hohen Sprüngen schrien Pfeife und Fiedel in gellenden Tönen. Von allen Feuern erklangen Heilrufe und markdurchdringende Jauchzer, welche die Thüringe vom Walde gewaltiger auszustoßen wußten als andere Helden.

»Mich wundert, daß diese hier so sanft sind und sich ganz ohne Messer ergötzen,« bemerkte Gerhard im Durchschreiten zu seinem Dienstmann, »sonst waren sie behender, das Eisen von der Hüfte zu holen.«

»Die einander raufen wollen, springen jetzt noch über den Zaun ins Feld,« lachte der Dienstmann, »weil sie sich scheuen, ihre Hand unter das Beil zu legen. Später reißen sie wohl die Schranken nieder, dann klingen auch hier scharfe Weisen.«

Am Tor der Halle stieß Gerhard auf den Mönch, welcher, von zwei Dienern begleitet, den großen Zinnbecher trug, in welchem St. Wigbert an diesem Feste ansehnlichen Gästen den Ehrentrunk bot. Diese Spende war den Herren der Halle die wichtigste Handlung des Abends, denn stets empfing der zuerst den Becher, welcher seinem Geschlecht nach der Edelste war. Viele der stolzen Herren erhoben den Anspruch und fühlten Eifersucht gegen andere, darum schuf der Becher jedes Jahr, wenn nicht zufällig einer von den höchsten Herren des Reiches anwesend war, dem bevorzugten Geschlechte Händel und Feindschaft. Gerade deshalb war der Vortrunk um so ehrenvoller. Der Mönch stand mit dem Becher in der Mitte der Halle, segnete den Wein und begann: »Da unter den edlen Herren, welche St. Wigbert begrüßt, niemand dem Königsgeschlecht der Sachsen angehört, so reiche ich den Becher heut dem Helden aus dem ältesten Geschlecht der Thüringe.« Und er trug den Becher zu Odo. Einzelne Stimmen riefen Beifall, aber lauter war das mißfällige Gemurr und Geschrei. Die Gegner steckten die Köpfe zusammen und fuhren von ihren Sitzen. Odo aber erhob sich, trank der Versammlung Heil und reichte den Becher seinem Bruder Ortwin. Da rief Graf Gerhard, den die anderen zu ihrem Wortkämpfer gewählt hatten: »Sehr ungeschickt ist die Wahl des Mönches und eine Kränkung für uns alle. Einen Jüngling hat er zum Vortrunk gerufen, während hier nicht wenige sitzen, deren Haar im Rat und Kampfe ergraut ist.«

»Eure Klage nenne ich ungerecht,« rief Odo zurück, »denn nicht den jungen Krieger soll der Trunk ehren, sondern das Geschlecht, für welches ich hier als Ältester stehe.«

»Wir aber vermögen nicht die Ehren deines Geschlechtes zu rühmen«, entgegnete Gerhard. »Haben deine Ahnen auch hier und da das Schwert mannhaft geschwungen, was keiner von uns ableugnet, so führt ihr doch kein Banner, welches der König euch in die Hand gelegt hat, wie wir anderen, die wir als Herren das Schildamt üben. Und wenn ihr auf eure edle Herkunft pocht, so wisset, daß man hier und anderswo euren Bauernadel belacht.«

Die jüngeren Brüder sprangen von ihren Sitzen, und Odo rief: »Wenn der König unsere entlaufenen Knechte mit Lehen und mit einem Banner begabt, so rühmen sich die Knechte, große Herren zu sein. Wir Bauern aber meinen, der König kann zum Grafen und Markgrafen ernennen, wen er will, aber niemanden zu einem Edlen.«

»Euch aber«, rief Graf Gerhard wieder, »haben die Mönche zu Edlen gemacht, ja man sagt auch, daß sie euch in der Stille zu kleinen Königen gekürt haben, nur daß man nicht laut davon reden darf.«

Odo schlug an sein Schwert. »Ich erkenne, daß Ihr selbst Lust habt, von dem Königsstabe, den wir in der Hand führen, die Belehnung zu erhalten.«

Da erhob sich wieder der Hauptmann von St. Wigbert und rief mit mächtiger Stimme durch die Halle: »Übel fügen sich heiße Worte zu starkem Trunk, ich rate, daß ihr beide in dieser Nacht euren Wortkampf stillt, morgen aber, wie euch Herren gebührt, an Versöhnung denkt oder an Schwertschlag.«

Aber Gerhard fuhr eifrig fort: »Nicht wir andern haben den Unfrieden begonnen, sondern diese, vorhin, als sie hier eintraten. Und es ist wohlbekannt im Lande, daß ihr sogar untereinander nicht Frieden halten könnt. Schon zur Zeit eurer Väter raunte man im Volke mancherlei von der Brudertreue, welche die Männer eures Geschlechts einander beweisen, und jetzt hören wir wieder, daß ihr eurem ältesten Bruder Unheil gesonnen habt, so daß dieser als ein fahrender Recke in der Welt herumschweift.«

Da winkte Odo finster dem jungen Gottfried, daß dieser vor den versammelten Edlen seine erste Kampfprobe ablege, denn er war schneller Worte mächtig. Und in der Stille, welche dem kränkenden Vorwurf des Grafen folgte, sprang Gottfried vor und rief laut: »Eure Rede ist unwahr, Graf Gerhard, nie haben wir gegen unseren Bruder Immo Untreue erwiesen, und jetzt leben wir in großer Sorge um den Abwesenden. Deshalb ersuche ich Euch, daß Ihr die Kränkung zur Stelle widerruft.«

»Ein Hähnchen höre ich krähen«, versetzte der Graf lachend.

»So vernehmt, ihr edlen Herren,« fuhr Gottfried fort, »daß ich vor euch allen den Grafen Gerhard einen Verleumder nenne, und überall außerhalb des Marktfriedens will ich mit meinen Brüdern das an seinem Leib und Leben erweisen, wo ich ihn treffe.« Er löste seinen Handschuh und warf ihn vor den Grafen, dieser aber stieß verächtlich mit dem Fuß daran.

Da flog ein anderer Eisenhandschuh zu dem kleinen des Jünglings Gottfried; und von dem Eingang her rief eine tiefe Stimme: »Nehmt auch den meinen.« Ein hoher Krieger schritt auf den Grafen zu, dieser fuhr zurück wie vor einem Geiste, als er die zornige Entschlossenheit in einem wohlbekannten Antlitz sah, und vermochte nur zu antworten: »Dich habe ich hier nicht erwartet, und dich habe ich nicht gemeint, Held Immo.«

Als er den Namen nannte, der heut in aller Munde war, regten sich die Anwesenden, viele sprangen auf und drängten heran, um den Helden zu sehen. Immo aber wies auf die Fehdezeichen: »Widerruft die Kränkung und gebt vor allen Edlen meinen Brüdern ihre Ehre, oder nehmt den Streit auf auch mit mir.«

Gerhard blickte scheu auf den neuen Gegner: »Du selbst magst wissen, Immo, daß ich ungern gegen dich kämpfe, wenn ich an Vergangenes denke; und du weißt auch, daß meine Ehre mir nicht gestattet, Kampfesworte, die vor den Edlen gesprochen sind, zu widerrufen.«

»Ob wir Gutes oder Arges in vergangener Zeit miteinander gehandelt haben,« versetzte Immo, »das alles sei vergessen in dieser Stunde. Als Sohn meines Geschlechtes stehe ich dir gegenüber, und Abbitte fordere ich von dir, oder ich suche an deinem Leben die Rache.«

Da rief Gerhard mit querem Blick: »Meine nicht, mir durch dein stolzes Drohen den Willen zu beugen, ich widerstehe dir, wenn du auch jetzt auf deinen Goldschatz vertraust«; und die Handschuhe vom Boden hebend und auf den Tisch werfend, rief er: »Du denke daran, wenn du den Schaden trägst, daß nicht ich die Fehde gefordert habe, sondern du. Und darum sei Unfriede zwischen uns statt Friede, sobald wir den Schranken den Rücken kehren, und Kampf sei um Leib und Leben, Gut und Habe zwischen mir mit meinen Helfern und dir mit deinen Helfern.« Er wandte sich trotzig ab, setzte sich zu seinem Genossen Markwart und verhandelte leise mit diesem. Immo trat zu dem Tisch der Brüder, und den Jüngling Gottfried küssend, sprach er: »Ich grüße euch, meine Brüder. Gewährt mir einen Sitz in eurer Mitte und einen Trunk aus eurem Becher, damit die Fremden erkennen, daß sich die Söhne Irmfrieds in der Not nicht voneinander scheiden.«

Die Brüder rückten zusammen, Ortwin trug ihm den Stuhl und Odo goß ihm den Trank ein, der Stolz wehrte ihnen zu reden, und sie saßen schweigend beieinander. Doch von den anderen Tischen eilten Bekannte des Geschlechts mit den Trinkkannen heran, den Helden zu begrüßen, und er stand, von vielen umgeben, und antwortete auf die neugierigen Fragen. Aber sein Blick flog prüfend durch den Raum und nach dem Tische des Grafen Gerhard, bis er an der Tür seinen Vertrauten Brunico erkannte, da winkte er diesem und trat mit ihm zur Seite in heimlichem Gespräch.

 

Brunico drängte sich hinaus ins Freie; nicht lange, so klang in dem Gewirr von vielerlei Tönen ein neuer Gesang, ähnlich dem Quarren eines Frosches; bald hier, bald dort schrie einer aus dem Volk der Langschenkel, so daß die Leute einander lachend fragten: »Ist auch der brüllende Held Reginheri in seinem Sumpf erwacht?« Doch als sich der Froschgesang auf einer Stelle außerhalb der Schranken vereinte und mit einem lauten Heilruf endete, da dachten die anderen, daß dies ein Zeichen übermütiger Genossen war, welche miteinander zu den Bergfeuern ausschwärmten.

Die Helden in der Halle aber, welche nicht selbst der Fehde teilhaftig waren, freuten sich, daß der Festabend so rühmlich verlief und daß man davon im Lande singen und sagen würde. Sie saßen jetzt friedlich bei ihren Kannen, denn ihr Gemüt war erfrischt wie die Flur nach einem Gewitter.

Plötzlich klang in das wilde Geschwirr des Marktes ein Klageschrei und der Ruf nach Rache. Der Gesang verstummte, die Pfeifer und Fiedler setzten ab, die Krämer liefen zur Abwehr vor ihre Bänke und warfen mit ihren Knechten die Waren schnell in die geöffneten Kasten. In die Halle sprang ein verstörter und blutender Mann und schrie: »Die Hunde des Bonifazius sind über das Wasser gedrungen, einer von uns liegt erschlagen, rächet den Schaden, ihr Wigbertmannen.« Und unter die verstörten Haufen springend, rief der Mann dieselbe Klage. Da schwand die Freude in wildem Zorn, die Frauen wichen in das Dunkel zurück, die Männer fuhren zusammen, rissen flammende Brände aus den Feuern und stürmten dem Flusse zu. Vergebens sprengte der Vogt mit seinen Mannen dazwischen und schrie den Frieden aus, die Wütenden lösten die Haltseile der leeren Kähne und drängten sich hinein, mancher Wilde sprang ins Wasser und rang sich hinüber auf die Seite der Fuldaer. Dort stürmten Bewaffnete entgegen, um die Einbrecher in die Flut zu werfen, und dicht am Ufer entbrannte der Kampf. Aber neue Haufen folgten über den Fluß, auf Tonnen und Bänken suchten sie durch das Wasser zu schwimmen; die Fuldaischen wurden rückwärts gedrängt, die rote Lohe flammte an dem Holzhaus, über welchem das Banner des heiligen Bonifazius wehte, und das Banner selbst verschwand in den aufsteigenden Flammen.

Auch die Herren in der Halle waren an das Ufer geeilt, die einen in bitterer Sorge, die anderen schadenfroh. Da sprach Immo zu seinen Brüdern, und es waren die ersten Worte, die er seit dem Eintritt mit ihnen wechselte. »Gefällt es euch, Söhne meines Vaters, so reiten wir. Laßt euch nicht beschweren, wenn ich euch begleite; denn ich merke, andere sinnen darauf, uns außerhalb des Friedens zu treffen.«

Und Odo antwortete mit derselben Zurückhaltung: »Da der Unfriede uns alle angeht, so sei auch die Abwehr und der Angriff gemeinsam.« Sie verließen zusammen die Halle und eilten zu ihren Rossen. Erstaunt fanden die Brüder Immos, daß bei ihren Knechten und Rossen eine reisige Schar von Landleuten aus den freien Dörfern hielt.

Nicht lange nachher knarrten die Räder beladener Wagen auf dem Wege, welcher zwischen dem Leinbach und einem Waldhügel nach der Mühlburg führte. Nur zwei Reiter bildeten die Bedeckung, die Knechte hatten Mühe, die Pferde in dem aufgeweichten Wege bergan zu treiben, sie schrien laut und knallten mit den Peitschen. Endlich kam an einer kleinen Steile der Zug ganz in das Stocken. Da rasselte und klang es im Holz, eine Anzahl Reiter sperrte die Straße und warf sich gegen die Wagen. Die berittenen Wächter flohen ohne Kampf talab, auch die Knechte sprangen flüchtig dem Bach zu. Als Graf Gerhard heransprengte, war das Werk getan, die Wagen in Besitz seiner Reisigen. Er lachte und rief: »Leichten Kaufes wurde großes Gut in ehrlicher Fehde gewonnen. Lenkt die Wagen seitwärts in das Holz, treibt, meine Mannen, in einer Stunde haben wir es hinter Wasser und Mauer geborgen.« Die Pferde wurden einen Waldweg bergan geführt, sie schritten jetzt rüstiger als vorher, und der Graf brummte vergnügt vor sich hin. »Ich hörte zuweilen rühmen, junger Immo, daß dein Schwert gut schneidet, aber in Listen bist du schwach, und der Alte hat dir behende abgeführt, worauf du mit trotzigem Mute vertrautest.« Der Zug betrat eine kleine Lichtung des Waldes, welche in hellem Mondschein lag, umgeben von dichtem Niederholz, dessen laublose Äste die lichte Stelle mit dunklem Grau einfaßten. Da flimmerte es in dem Holze hier und da wie von blankem Eisen, die Reiter, welche die Vorhut bildeten, jagten zurück und meldeten atemlos, daß der Weg durch Gewappnete versperrt sei; auch hinter der kleinen Schar des Grafen klang ein Kriegsruf, Hörner und laute Stimmen antworteten, und mit Erstaunen sah der Graf sich rings eingehegt durch Fußvolk und Reiter. Er riß die Pferde des vordersten Wagens herum auf die Mitte der Waldwiese und gebot den Reisigen, einen Ring um die Wagen zu ziehen. Er umritt seinen Haufen, hob den Speer und erwartete mutig den Anlauf.

Aber der Angriff erfolgte nicht. Den ganzen Rand der Lichtung hielten schnellfüßige Knaben umstellt, auf dem Wege stampften die Rosse der Gegner, und man vernahm ein Rollen und Dröhnen, als ob Baumstämme gewälzt würden. Jenseits des Weges zog sich ein offener Wiesengrund dem Gebirge zu, dort hatten die Dorfleute der Umgegend einen mächtigen Holzstoß getürmt, welcher in dieser Nacht als Freudenfeuer aufflammen sollte. Um den Stoß schwebten die Schatten, er wurde zusehends kleiner. »Herr,« warnte den Grafen sein vertrauter Dienstmann, »sie sperren die Wege, denn durch das Niederholz vermögen unsere Rosse schwerlich zu dringen. Brecht durch, bevor sie uns einhegen.«

»Soll ich den Schatz im Stich lassen?« fragte der Graf unwillig, »was in den Wagen liegt, gibt Gold und Ehre für euch alle«, und er schrie hinüber zu den feindlichen Reitern: »Was säumen die Helden, heranzusprengen, offen ist das Kampffeld. Trotzige Worte hörten wir in der Halle, hier aber, merke ich, schlottern euch die Beine im Bügel.«

Da rief Brunico zurück: »Schlecht kämpft sich‘s im Waldesdunkel, harret noch ein wenig, bis wir euch die Osterfeuer anzünden.«

»Brecht durch, Herr,« rief der Vertraute aufs neue, »denn sie schichten das Holz auf der Wegseite zu einem Walle.«

»Pfui über dich, Immo,« rief der Graf, in dem jetzt die Sorge mächtig wurde, »unritterlichen Brauch übst du, ich harre deiner, komm heran und schlage dich um den Schatz.«

Immo rief zurück: »Auch euch war der Pfad zum Kampfe geöffnet, allzulange habt ihr euch um die Tonnen gedrängt, jetzt rate ich, mit uns in Bauernweise den Festbrauch zu üben. Die Flammen lodern, schwingt euch zum Tanze über die Scheite.« Eine kleine Flamme leckte auf, die zweite, die dritte, bald sperrte das Feuer wie ein Wall die Belagerten von dem Wege ab. Aber auch längs dem ganzen Rande des Niederholzes leuchteten die Funken, jeder der Knaben, welche dort die Wache hielten, schwenkte Kienfackeln, denen gleich, womit sich die Dorftänzer auf den Bergen um die Flammen drehten; und jeder schleuderte mit wildem Geschrei und Jauchzen die lodernden Brände gegen die Rosse der Belagerten. Die Rosse scheuten und stiegen, die Reiter selbst, entsetzt über das feurige Gefängnis, vermochten der wütenden Tiere nicht Herr zu werden, mehr als einer wurde abgeworfen und lag ächzend am Boden. In diesem Augenblicke brachen die Söhne Irmfrieds mit ihrer Schar wie ein Wettersturm durch die Flammen, im Nu waren die Helfer des Grafen überrannt, gefangen und gebunden. Der Graf selbst schlug tapfer mit dem Schwert um sich, aber durch eine mächtige Faust wurde er am Nacken gepackt und von seinem Rosse geschwenkt, daß er schwertlos auf den Boden fiel. »Ergebt Euch, Gerhard,« rief Immo, »gelobt, als mein Gefangener zu folgen, damit ich Euch die Schmach der Weiden erspare.« Betäubt gelobte der Graf.

In wenig Augenblicken war das Werk getan, behend rannten die Thüringe, die flüchtigen Rosse der Gebundenen einzufangen. Sie bändigten die Pferde an den Lastwagen und zerwarfen das Holz des brennenden Walles, und nachdem sie sich auf ein Zeichen Brunicos mit hellem Jubelruf um die Brüder gesammelt hatten, brach der ganze Zug mit den Wagen und den Gefangenen nach der Mühlburg auf.

Längs der Freudenfeuer, welche überall auf den Hügeln und um die Dörfer flammten, zogen die Sieger jauchzend und singend dahin. Es war tief in der Nacht, als sie in die Burg kamen. Immo, der während der Fahrt sich von den Brüdern ferngehalten hatte, ritt jetzt zu ihnen, als sie im Hofe auf den Rossen hielten und sprach grüßend: »Seid willkommen im Hause unserer Väter, nehmt vorlieb mit karger Bewirtung, denn erst beim Licht der letzten Sonne ist der Wirt aus der Fremde heimgekehrt. Gefällt es euch, so enden wir unseren Handel mit den Gefangenen noch während der lustigen Nacht, wie er begonnen wurde.«

»Du warst beim Sprung um die Scheite der Vortänzer,« versetzte Odo lächelnd, »wir vertrauen, daß du auch gegen die Gefangenen unser Recht wahren wirst.«

Im Hofe der Mühlburg wurde ein großes Feuer entzündet und herbeigeholt, was der Vogt aus dem Keller zu liefern vermochte. Kräftig tranken die Thüringe, und auch den Gefangenen, welche kummervoll auf den Stufen der Halle kauerten, wurden die Kannen geschwenkt. In der Halle aber saßen die Söhne Irmfrieds mit ihren Dienstmannen und die Landleute von der Nesse, unter ihnen mit gebeugtem Haupt der waffenlose Graf. Da rief Immo ihm zu: »Hebt den Becher, Graf Gerhard, und trinkt trotz Eurer Not. Einst lag ich als Gefangener in Eurem Turm, da ludet Ihr mich in Eure Halle und botet mir den Trunk an Eurem Tisch. Heut tue ich Euch mit Freuden dasselbe zur Vergeltung.«

»Ich lobe dich, Immo,« antwortete der Graf trübe, »daß du in dieser Stunde an den Wechsel des Glückes denkst, beide haben wir ihn seit jenem Abend in der Halle erfahren. Vergiß auch nicht, daß dem Sieger eine Ehre ist, Maß zu halten in allem, was er dem Gefangenen auflegt. Behandelt mich mit Billigkeit, ihr edlen Herren, denn glaubt meiner Erfahrung, die ich mir zu meinem großen Kummer erworben, wer allzuviel für sich begehrt, fühlt zuletzt selbst den Schaden.«

Immo versetzte ernsthaft: »Meine Brüder und ich, wir sind Herren geworden über Euren Leib und Euer Leben, und wir vermögen Euch jetzt zu zwingen durch Haft und Bande und zu schatzen an Habe und Gut, weil Ihr wider die Wahrheit und wider eigenes Wissen das Ansehen und die Ehre unseres Geschlechtes mit gehässigen Worten angefeindet habt. Dennoch sollt Ihr erkennen, daß die Söhne Irmfrieds gegen einen bezwungenen Feind Billigkeit üben. Eure Zunge hat Euch in Unfrieden gebracht, Eure Zunge soll Euch auch den Frieden wieder gewinnen, wenn Ihr sie weise gebraucht, solange die Thüringe sich in dieser Nacht um die Festfeuer schwingen.«

In dem Grafen erwachte eine frohe Hoffnung, und er rief: »Sage mir, was ich reden soll, damit ich mich aus der Not löse.«

Und Immo fuhr fort: »Wollt Ihr Abbitte tun wegen aller kränkenden Worte und wollt Ihr mit allen Euren Helfern schwören, nichts von dem, was in dieser Nacht gegen Euch gesagt und getan worden ist, an uns oder an einem unserer Helfer zu rächen, sondern in Zukunft Frieden und guten Verkehr zu bewahren, so mögt Ihr mit unseren Gefangenen, mit Waffen und Rossen, frei und ledig von hinnen reiten, sobald der erste Sonnenstrahl unsere Dächer bescheint.«

Graf Gerhard sprang erfreut in die Höhe und rief: »Wahrlich, Immo, manchen Beweis deines guten Verstandes habe ich erhalten, aber diesen will ich dir niemals vergessen. Ich bin bereit zu allem, was du von mir verlangst, zu Abbitte und Gelöbnis.«

»Wohlan,« gebot Immo, »ladet jeden in die Halle, der jetzt im Hofe weilt, zuletzt die Gefangenen. Und mit diesen werdet Ihr Euch barhaupt und stehend demütigen.«

Ein Hornzeichen rief die Gäste und das ganze Gesinde zusammen, und als alle versammelt waren, führte Immo den jungen Gottfried auf den Ehrensitz, und zu diesem sprach der Graf barhaupt die Abbitte: »Alles, was ich gegen Ehre und Ansehen deines Geschlechtes jemals gesagt und getan habe, das sei ungesagt und ungetan, alle edlen Rechte erkenne ich ihm zu und auch den Vorsitz und Vortrunk. Denn wisset, ihr Herren, wenn ich auch manchmal im Ärger anders sprach, immer habe ich das Geschlecht Irmfrieds vor anderen hochgeschätzt. Und ich bin bereit, nachdem ich Vergangenes abgebeten habe, alles Gute für die Zukunft zu geloben, nicht nur weil ich in Not bin, sondern auch weil ich merke, daß dies in Wahrheit meines Herzens Wunsch ist.«

Als der Graf dies nach Gebühr vollendet hatte und seine Worte durch die anderen Gefangenen bestätigt waren, wurde er mit ihnen in die kleine Kapelle vor den Altar geführt, dort gelobten die Helden für alle Zukunft jedem Rachegedanken zu entsagen. Darauf ward der Graf auf den Ehrensitz in der Halle geleitet, und jetzt trat Gottfried vor und bot ihm den Friedensbecher. Gerhard tat einen tiefen Trunk und seufzte, aber er wurde mild und froh, ja er lachte ein wenig über sein Unglück und sprach allerlei Vertrauliches zu Immo.

 

Beim Aufgang der Sonne wurden die Rosse der Gäste vorgeführt und Immo geleitete den Grafen selbst in den Hof. Als dieser aufsteigen wollte, sah er die beladenen Wagen, und mit einem sehnsüchtigen Blick sprach er zu Immo: »Hätte ich diese in ehrlicher Fehde gewonnen, so würde ich fortan meinen Met aus goldenem Becher trinken.«

Da antwortete Immo: »Eifrig habt Ihr darum geworben und als ein Held Euer Leben dafür gewagt. Wisset, Ihr habt gefochten wie der alte Hildebrand, um wollene Decken, welche die Sachsen mit guter Kunst verfertigen, und zumeist um den gesalzenen Seefisch, welchen die Leute den Hering nennen.«

Als die Entledigten abgezogen waren, dankte Immo mit freundlichen Worten die Landleute ab, welche als freiwillige Helfer herangeritten waren. »Da die Gefangenen gegen den Gebrauch kein Lösegeld gezahlt haben und auf ihren Rossen davonreiten, so nehmt dafür mit meinem Dank einen Teil der Waren aus dem Sachsenland, welche ihr wiedergewonnen habt; nicht als Entgelt, sondern zur Verehrung.« Das waren die Nachbarn wohl zufrieden, und Immo gebot dem Brunico, einen billigen Anteil auszuscheiden. Diesen luden sie vergnügt auf einen Karren und schieden mit Heilruf zu ihren Dörfern.