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Die Ahnen

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Immo trat erschrocken zurück und sah scheu auf das zusammengelegte Pergament. »Wie darf ich mich unterfangen, dies Blatt den Heiligen zu übergeben, da ich kein Priester bin?« versetzte er. »Und wie kann ich einen Reliquienschrein erreichen, da ich selbst kein solches Heiligtum besitze?«

»Schaffe das Blatt an einen Ort, wo große Heilige hausen«, raunte der Graf ängstlich.

»Ich selbst bin aus dem Kloster in Unfrieden geschieden«, antwortete Immo, »und weiß nicht, ob mir die Mönche dort gestatten werden, dem Altar des heiligen Wigbert oder gar den hohen Aposteln zu nahen.«

»Auch erwarte ich wenig Gutes von diesen Heiligen,« versetzte der Graf zerknirscht, »denn ich leugne nicht, alte Händel habe ich mit ihnen, und sie möchten mir das gedenken. Auch in Fulda, fürchte ich, hat man schon manches von mir vor den Altären geraunt. Wandle leise zu einem hohen Heiligtum, wo man mich weniger kennt. Einen Reliquienschrein weiß ich, den besten von allen,« und er hob seinen Mund zu Immos Ohr und flüsterte: »das ist der Himmelsschatz unseres Herrn, des Königs. Er ist hier zur Stelle, und schnelle Fürbitte tut mir not, sonst kann sie mir für dieses Leben nichts mehr helfen.«

»Wie vermag ich zu dem Heiligtum des Königs zu dringen?« rief Immo.

»Ich weiß, daß du zu den Auserlesenen gehörst, welche die Wache in seiner Behausung haben, da mag dir wohl möglich werden, daß du das Pergament ungesehen unter die Decke schiebst. Vielleicht gelingt dir auch, den Geschorenen des Königs, der über dem Schrein wacht, durch Flehen und Gabe zu gewinnen. Versprich ihm Großes; denn wisse, einen Goldschatz, der nicht klein ist, bewahre ich unter einem Baume verborgen; wird der Priester zu der Guttat geneigt, so will ich den Schatz daran wenden und ihm die Stelle offenbaren.«

»Um die Heiligtümer des Königs sorgt jetzt der fromme Abt Godohard,« versetzte Immo kummervoll, »der Goldschatz wird ihn nicht locken, den hohen Himmelsfürsten, die für den König bitten, in deiner Sache so zudringlich zu nahen.«

»Ich finde dich kalt, Immo, wo es gilt, einen alten Genossen deines Vaters aus der Angst zu retten«, klagte der Graf und griff sich nach der feuchten Stirn. »Besseres hatte ich von dir gehofft und anderes hatte ich auch mit dir im Sinne. Denn als ich dich neben Hildegard, meinem Kinde, sitzen sah, wie du als Geselle ihr zutrankest, da fiel mir einiges ein, was ich mit deinem Vater beredet hatte, als ihr beide noch klein waret, und ich dachte, was nicht geworden ist, vielleicht kann es doch noch werden, wenn die Heiligen es fügen und auch dein Wille dahin geht. Jetzt freilich bin ich arg verstrickt, du aber bist im Glücke. Dennoch erinnerte ich mich an die Augen, die du damals machtest, als ich dich in meinen Saal laden ließ. Aber ich sehe, der Menschen Sinn ist veränderlich, zumal wenn sie jung sind.« Er setzte sich seitwärts auf die Bank und faltete die Hände, aber er sah von der Seite scharf nach dem offenen Antlitz des Jünglings, in welchem der innere Kampf sichtbar war.

Wild stürmte es durch Immos Seele, Hoffnung, die Geliebte durch den Vater zu erwerben, und wieder Mißbehagen darüber, daß der Vater sie ihm für eine heimliche Tat verkaufen wollte. Er stand in innerem Ringen, und dabei fiel ihm die Lehre ein, welche ihm der alte Bertram für sein Leben mitgegeben hatte, daß er dem Gelöbnis eines Mannes, der in Todesnot sei, niemals trauen solle. »Wegen deiner Tochter fordere ich keinen Eid von dir, und du gedenke mich nicht durch ihren Namen zu beschwören, daß ich dir helfe. Denn deine Not will ich nicht mißbrauchen zu einem Gelöbnis.«

»Du denkst edel, Immo,« rühmte der Graf, »sei auch barmherzig.«

»Gib mir das Pergament,« rief Immo entschlossen, »ich will tun, was ich kann, wenn auch nicht geradeso, wie du meinst, doch nach meinen Kräften; obwohl ich zage, daß mir die hohen Gewalten deshalb zürnen werden. Vermag ich nichts, so lege ich deine Sünden wieder auf deine Seele, wie ich sie empfing.«

»Ganz hochsinnig finde ich dich, Immo, und ich vertraue deinem Mut und deiner Klugheit«, rief der erfreute Graf. Er legte das Pergament in die Hand des anderen und hielt sich mit beiden Händen an seinem Arme fest. Immo schob das Pergament vorsichtig in die Tasche seines Gewandes und wandte sich zum Abgange. »Ich fürchte, das Blatt verbrennt mir den Rock,« sagte er unruhig, »lebe wohl, soweit du es hier vermagst. Ich kehre wieder, sobald ich die Tat versucht habe.« Den wortreichen Dank des Grafen unterbrach das Klirren des Schlosses.

Als der König am Abend nach dem Mahle in seine Herberge kam und durch den Haufen der Edlen und Geistlichen schritt, welche ihn erwarteten, um Segen für seine Nachtruhe zu erflehen oder ihm aufzuwarten, da sah er huldvoll, wie seine Gewohnheit war, nach allen Seiten umher, grüßte und nickte. Die neu Angekommenen aber, wenn sie Edle waren oder Geistliche, faßte er bei der Hand und küßte sie. Als der König Immo erblickte, der sich in die vorderste Reihe gestellt hatte und ihn bei dem Gruß flehend ansah, da merkte er wohl, daß dieser Huld begehre, winkte ihm gütig zu und sprach: »Als ein stolzer Held hast du dich heut getummelt, edler Immo, hell klangen deine Speere an den Schilden.« Und weil er gern daran dachte, daß Immo ein Gelehrter war, fügte er, um ihn vor den anderen noch mehr zu ehren, einen lateinischen Vers hinzu: Stolz schwingt der Held Ascanius die Waffen im Kampffeld. Und nachdem er, wie dem Könige geziemt, jedem seinen Anteil an Ehren gegeben hatte, trat er in sein Schlafgemach. Als er sich dort ermüdet niedersetzte, begann der Kämmerer zu ihm: »Der Thüring Immo fleht um die Gunst, deiner Hoheit etwas zu sagen.«

»Hat er es so eilig, Lohn zu fordern für seinen Sprung von der Mauer, ich habe ihm ja soeben vor allen Leuten wohlgetan.«

»Er sagte,« antwortete der Kämmerer sich entschuldigend, »daß er dem König etwas Geheimes vertrauen müsse.«

»Die Geheimnisse des Jünglings hättest auch du empfangen können.«

»Das meinte ich auch,« versetzte der Kämmerer, »er aber flehte. Gefällt‘s dem König, so sende ich ihn fort, denn er harrt vor der Tür.«

»So führe ihn herein«, befahl der König und stützte müde das Haupt in die Hand.

Immo trat ein, kniete nieder und zog das Pergament des Grafen aus seinem Gewande.

»Was bringst du mir so spät, Immo,« fragte der König und sah kalt auf den Knienden.

»Die Sünden des Grafen Gerhard«, antwortete Immo und legte das Pergament zu den Füßen des Königs.

»Verhüten die Heiligen, daß ich so unselige Gabe annehme,« versetzte der König, mit dem Fuß das Pergament wegstoßend, »Unheil bedeutet solche Spende, sprich, was soll der Brief?«

»Die Beichte ist es des Grafen«, sagte Immo feierlich, indem er das Kreuz schlug. Der König folgte schnell seinem Beispiel. »Der Graf verzweifelt in seiner Not, durch die Mönche bei den Himmlischen Gnade zu finden, zumal er ihnen nichts mehr zu spenden hat, denn sein Gut und Geld liegen in des Königs Hand. Da ließ er in der Herzensangst durch einen armen Priester seine Sünden niederschreiben und forderte von mir, daß ich sie heimlich zu den Heiligtümern meines Herrn und Königs trüge, damit die gewaltigen Nothelfer sich seiner erbarmten.«

»Und du hast ihm den Sündenbrief nicht zur Stelle vor die Füße geworfen, Verwegener?«

»Zürne, mein König, nicht, wenn ich gefehlt habe, mich erbarmte seine Angst. Wohl weiß ich, daß es ein Unrecht wäre, zu dem heiligen Geheimnis meines Königs zu schleichen und den Brief des armen Sünders dort zu verstecken, wie er begehrte. Dennoch wagte ich nicht, seiner Seligkeit hinderlich zu sein, und ich meine als redlicher Mann und nicht als Hehler zu handeln, wenn ich von der Gnade des Königs erbitte, daß mein Herr der Seele des hilflosen Mannes beistehe und seinem Priester gestatte, das Pergament zum Heiligtum des Königs zu tragen.«

»Und was hat dir der Graf versprochen, damit du diese freche Bitte wagst?« fragte der König hart, »denn meine Edlen pflegen nichts für nichts zu tun.«

»Man hat mich gelehrt, von einem Manne in der Todesnot nicht Gabe und nicht Versprechen anzunehmen«, antwortete Immo.

»Der dich so seltene Vorsicht gelehrt hat, hätte dich auch lehren sollen, gegenüber deinem Könige die Scham zu bewahren. Wie mögen die hohen Gewaltigen des Himmels, deren Gnade ich selbst froh bin, wenn sie sich zu meinem Heiligtum herniederneigen und mich schützend umschweben, wie mögen diese zugleich die Beschützer meiner Feinde werden? Und wie kannst du das wollen, wenn du kein Verräter bist?«

»Ich vernahm die hohe Lehre,« versetzte Immo kniend, »daß der Himmelsherr gern Erbarmen mit dem Sünder hat, und wenn der König, der des Herrn Schwert auf Erden hält, hier den Schuldigen richten muß, so mag ihn doch in seinem Amte trösten, daß die Bitte seiner Heiligen den armen Sünder aus den Krallen des üblen Teufels errettet.«

»Mir aber liegt gar nichts daran,« rief der König ungnädig, »den untreuen Mann dereinst an der Himmelsbank wiederzufinden, wenn die Himmlischen mir dort den Herdsitz bereiten wollen. Das mußtest du wissen, du Tor, bevor du seine Sünden mir auf die Seele legtest. Denn wenn ich nach seinem unverschämten Verlangen tue, so schaffe ich einem, der mein Feind war, Hilfe in jenem Leben und vielleicht auch noch in diesem. Und wenn ich ihm dagegen seinen Willen nicht tue, so mögen die Heiligen mir zürnen, weil es mir an Erbarmen fehlt. In solche Gefahr setzt mich dein dreistes Verlangen. Entweiche mit dem Briefe und trage ihn zu einem anderen Heiligtum, zu welchem du willst, wenn dir an der Gunst des Grafen mehr gelegen ist als an dem Vorteil deines Königs. Doch halt,« rief der König noch zorniger, »wer weiß, ob der Bösewicht nicht manches hineingesetzt hat, was mir selbst zum Schaden gereichen könnte, wenn die Unsichtbaren darauf hören.« Der König neigte sich schnell zu Boden, faßte den Brief und erbrach das Siegel. »Die Beichte des Grafen Gerhard will ich zuerst vernehmen, ehe sie zu den Heiligen dringt.« Er bekreuzte sich und setzte sich nahe zu der Kerze. »Schwach war die Kunst des Geschorenen, der diese Krähenfüße hingesetzt hat«, murmelte er. »Mit seiner letzten Verräterei fängt der Sünder an, ich glaube wohl, daß sie ihn am meisten ängstigt. Sie reut ihn, solange er im Turm sitzt. – Dann kommt der Kaufmann. Der Goldstoff, den er geraubt hat, war für die Königin bestimmt, und er hat ihn noch nicht einmal herausgegeben.« Und er las fort mit gespannter Aufmerksamkeit. Immo merkte, daß der König seine Gegenwart ganz vergessen hatte, denn er sprach zuweilen laut von den geheimen Taten.

 

»Den Grafen Siegfried im Walde überfallen, wobei ihn leider mein Mann Egbert erschlug. Die Missetat blieb ungerochen,« rief der König, »die Leute sagten damals, der Gefällte sei von Räubern erschlagen worden. – Hier folgen Sünden gegen die Wigbertleute. Es ist eine ganze Reihe. Schwerlich würde Abt Bernheri dafür Absolution erteilen. – Mit Herzog Heinrich, dem Zänker – der dreiste Bösewicht, meinen Vater so zu nennen.« – Der König sah um sich, und als er Immo noch auf den Knien fand, sprang er auf und winkte ihm zornig die Entlassung. Dann ergriff er wieder das Pergament: »Mit Herzog Heinrich verschworen gegen Kaiser Otto.« Der König warf das Pergament auf den Tisch und schritt heftig im Zimmer auf und ab. »Das Unrecht meines eigenen Vaters soll ich zum Schrein der Heiligen tragen, damit die Heiligen es wissen und an mir rächen. Unerhört ist die Bosheit.« Wieder eilte er zum Tisch. »Und hier steht es, meine eigene Sünde,« und er las: »Mit Herzog Heinrich, der jetzt König ist, Verabredung getroffen gegen seinen Vetter, den jungen Kaiser Otto.« Der König faßte das Pergament, drückte es mit der Faust zusammen und schleuderte es in den Kamin. Er riß die Kerze aus dem Leuchter, hielt sie daran, bis das Blatt sich bräunte und knisternd verkohlte, und stieß heftig mit dem Fuß in die Asche. »Dies sei der Heiligenschrein, zu dem ich deine Sünden trage, du Ruchloser. Mich selbst soll ich verklagen vor meinen Nothelfern um deinetwillen. Lieber lasse ich dich unter deiner Sündenlast leben wie bisher, als daß ich dir den Himmel öffne. Siehe selbst zu, ob du auf dieser Erde das Erbarmen der Himmlischen gewinnst, ich weigere dir die Hilfe, die du begehrst.« Der König stand finster vor dem Kamin. »An mein eigenes Unrecht mahnt er mich, und ich fühle den Schrecken und die bittere Reue. Für mich selbst will ich zu den Ewigen flehen wegen alter Sünden und daß ich jetzt dem Flehen einer armen Seele nach der Seligkeit meine Hilfe verweigerte.« Und Heinrich eilte zu dem vergoldeten Schrein, um den, wie er meinte, die hohen Fürsten des Christenhimmels unsichtbar walteten, enthüllte die heilbringenden Reliquien und warf sich mit gerungenen Händen vor ihnen nieder.

In der Frühe des nächsten Tages begann die Feier der Heerschau. Unter den Mauern der Festung Babenberg waren auf freiem Felde Schranken errichtet, die Pfosten mit grünen Zweigen umwunden, die Treppen mit kostbaren Teppichen belegt, an einer Seite stand auf hohen Stufen der goldene Königsstuhl. Dort wollte der König die Gaben verteilen und sein siegreiches Heer entlassen. Als die Sonne aufging, zogen die Scharen von allen Seiten der Ebene zu und lagerten bei ihren Bannern in weitem Ringe um den eingefriedeten Raum. Eine unzählige Menge Volkes drängte an den Schranken, um den König und das Festgepränge zu schauen. Die Helden des Heeres ritten in ihrem besten Schmuck herzu, stiegen von den Rossen und sammelten sich in der Umzäunung. Als der König auf seinem Schlachtrosse herankam, in Königstracht, die Krone auf dem Haupt, begleitet von der Königin und einem endlosen Gefolge geistlicher und weltlicher Herren, da brauste der Heilruf durch die Scharen, und auch die Landleute schrien und hoben die Arme, obgleich viele von ihnen über das Schicksal ihrer alten Herren bekümmert waren. Der König und die Königin stiegen die Stufen hinauf und setzten sich würdig auf den Königsstuhl, um sie herum saßen auf niedrigen Stühlen die Edelsten des Reiches. Nachdem der Rufer Stille geboten hatte, erhob sich der Erzbischof von Mainz, sprach das Gebet, segnete den Tag und verkündete mit mächtiger Stimme, die weit in das Feld schallte, den Willen des Königs. Zuerst die Strafen, welche der königliche Richter über die Empörer verhängt hatte. Jeden derselben nannte er beim Namen, dann seine Missetat und die Strafe, welche nicht sanft war. Nur den Bruder des Königs nannte er nicht, um das hohe Geschlecht zu schonen.

Immo stand in den Schranken nahe den Stufen und lauschte gespannt auf jedes Wort des Erzbischofs. Als in der unseligen Reihe der Besiegten der Name des Grafen Gerhard gerufen wurde, hielt er ängstlich den Atem an, denn er wußte, daß der Geliebten unsägliches Wehe bereiten würde, was darauf folgte. Aber ihm schoß vor Freuden das Blut ins Gesicht, und durch die ganze Versammlung ging ein leises Summen, als der Erzbischof aus dem großen Pergament verkündete, daß die Gnade des Königs die Missetat des Grafen nicht an seinem Leben und seiner Ehre, sondern nur an einem Teile seines Gutes rächen wolle, und daß dem Treulosen gestattet werde, seinem Lehnsherrn aufs neue den Treueid zu schwören. Immo machte eine heftige Bewegung, um aus den Schranken zu eilen, und der alte Hugbald, welcher als Führer der Klostermannen auch die Ehre genoß, in den Schranken zu harren, mußte ihn am Arme halten, daß er die Feierlichkeit nicht störte. Sorglos und mit lachendem Munde vernahm er eine lange Reihe von Belohnungen, welche der Erzbischof verkündete, denn der König teilte die großen Lehen der Babenberger unter seine Edlen. Jeder, der ein Herrenlehn empfing, ritt mit seinem Gefolge in gestrecktem Lauf dreimal um die Schranken, stieg am Eingange ab, trat die Stufen hinauf, empfing kniend die Fahne und schwor den Eid in die Hand des Königs. Das währte lange, und die Sonne brannte heiß, bevor alles nach Gebühr vollendet war. Aber die Krieger und das Volk ertrugen gern den Sonnenbrand, denn was darauf folgte, war der freudigste Teil der Begabung. Der Kämmerer des Königs schritt in die Schranken, gefolgt von einer langen Reihe wohlgekleideter Diener, welche an Stangen große Truhen trugen, die sie vor den Stufen des Königsstuhls nebeneinander niedersetzten. Die Decken wurden abgehoben, und ein Goldschatz, wie ihn wenige Menschen geschaut hatten, blinkte in der Sonne. Große Kannen, Becher und Schalen, Dolche und reichgeschmückte Helme, Ketten und Armringe lagen kunstvoll geschichtet übereinander. Nach der Enthüllung scholl ein lautes Geschrei und zahllose Heilrufe, die Zuschauer drängten ganz außer sich an die Schranken, die zahlreichen Trabanten mußten stoßen und sich entgegenstemmen, um den Einbruch abzuwehren. Und die Verteilung der Ehrengeschenke an die Tapferen des Heeres begann. Der Kanzler trat vor und öffnete eine Pergamentrolle, welche bis an den Boden reichte, laut rief er den Namen jedes Helden und die Gabe, womit er geehrt wurde. Die rechte Seite innerhalb der Schranken war durch den Rufer geräumt; wer von dem Kanzler geladen wurde, trat vor den Stuhl des Königs, empfing sein Geschenk, huldigte und schritt vergnügt der anderen Seite zu. War er aber aus vornehmem Geschlecht, so überreichte der Kanzler dem König die Spende, und dieser teilte sie selbst dem Glücklichen zu und sprach, wenn er ihn hoch ehren wollte, einige huldreiche Worte. Auch das Heer und Volk begleitete mit lautem Zuruf die Gaben, wenn der Empfänger rühmlich bekannt und im Heere beliebt war. Aus der Nähe Immos wurden viele Helden gerufen, Hugbald trat vor und empfing seine Kette, nicht lange darauf hörte Immo den Namen seines Gespielen Brunico, welcher ganz hinten an den Schranken stand, und als dieser einen schweren Goldring erhielt, sprach der König vom Throne: »Den Schmied hast du mir gerettet, trage dafür seine Arbeit.« Aber Immo wurde nicht gerufen. Die Truhen leerten sich, die Unruhe in der Umgebung des Königs zeigte an, daß der Aufbruch nahe war. Immo stand mit einer kleinen Zahl anderer unbeachtet an seiner Stelle. Er merkte, daß sich verwunderte Blicke nach ihm richteten, und er begann zornig die Kränkung zu fühlen. Hatte ihn auch der König am letzten Abend ungnädig entlassen, er wußte doch, er hatte dem König gut gedient und war oft vor anderen ausgezeichnet worden. Zwar um den Goldschatz hatte er wenig gesorgt, aber auch er hatte zuweilen daran gedacht, daß ein Schmuckstück eine gute Erinnerung sein werde. Jetzt erkannte er, daß der düstere Blick Gundomars von der Höhe auf ihm haftete, und er fühlte, ärgerlich über sich selbst, daß er errötete und den Leuten ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen nicht vermochte. Er merkte auch, daß Herzog Bernhard, dem seine Würde erlaubte, in der Nähe des Königs sich freier zu rühren, hinter den Stuhl des Königs trat, und daß der König sich einen Augenblick nach rückwärts wandte. Er verstand die Worte des Königs nicht, und sie hätten ihn auch nicht erfreut, denn Heinrich antwortete der gutherzigen Frage des Herzogs nach Immo: »Er hatte bereits weit mehr erhalten, als er verdient.« Da stieg der Herzog die Stufen herab und schritt über den Platz dahin, wo Immo fast allein stand, stellte sich behaglich neben ihn hin und sagte lächelnd: »Für uns beide, für dich, Held Immo, und für mich, klingt heut das Goldblech nicht.«

»Euch, erlauchter Herr,« versetzte Immo mit einem dankbaren Blick, aber mit zuckenden Lippen, »vermag keine Königsgabe an Ehren etwas zuzusetzen, mir aber, hoffe ich, soll die Verweigerung der Gabe die Ehre nicht mindern.«

»So ist es recht, Held,« mahnte der Herzog, »sieh trotzig geradeaus. Vernimm ein Gesuch, das ich dir zur Stelle ausspreche, weil ich erkenne, daß du schwerlich im Dienst des Königs beharren wirst. Komm als mein Gast mit mir in mein Sachsenland, wir jagen miteinander die wilden Ochsen in der Heide. Du sollst das Weidwerk bei uns nicht schlechter finden als in deinen Bergen. Und noch anderes begehre ich von dir. Die Burgen, welche fremde Seeräuber an der Küste im Wasser geschanzt haben, will ich brechen, sobald der Eisfrost eine harte Bahn zu ihren Holzringen bereitet, dabei sollst du mir helfen. Ist dirs recht, so schlage ein.« Er hielt ihm die Hand hin, welche Immo freudig ergriff. Und der Herzog fuhr fort: »Der König erhebt sich, das Heer zu entlassen. Unsere Krieger sind ungeduldig, die Herden der Beutetiere und der gefangenen Böhmen zu teilen.«

Der König und seine Edlen bestiegen die Rosse; die Helden sprengten auseinander zu ihren Haufen. Vor jeder Schar hielt der König an, zollte seinen Dank und sprach die Worte der Entlassung. Auch als er zu dem kleinen Haufen der Bogenschützen kam, welche Immo führte, neigte er das Haupt und rief: »Treu erfüllt habt ihr den Eid, den ihr freiwillig gelobtet, ich löse euch von der Pflicht, zieht in Frieden heim zu euren Bergen.« Aber dabei ruhte sein Blick kalt und feindselig auf ihrem Führer, und dieser erkannte, daß der König ihn ungnädig von sich entfernte, und daß sein Schicksal ihn anders, als er selbst gedacht hatte, aus dem Königsdienst löste. Er grüßte zum letztenmal mit seiner Waffe den Kriegsherrn und führte seine Knaben nach der Stadt zurück.

Aus der Herberge eilte er zum Grafen Gerhard, bayrische Königsmannen hielten die Wache und weigerten ihm den Zutritt; er stürmte zu dem Hofe der Nonnen, die frommen Mütter waren mit Hildegard durch Reisige aus der Stadt geleitet, niemand wußte zu sagen, wohin. Da suchte er den Kanzler auf, dieser empfing ihn kalt. »Soll ich dir Gutes raten, so entziehe dich dem Auge des Königs, denn ich fürchte, er sinnt dir nichts Günstiges. Für die Jungfrau wird der König selbst sorgen; wie ich vernehme, will mein Herr, daß sie geschleiert werde, damit sie für die Missetaten des Vaters von den Heiligen Verzeihung erwerbe.«

Mit Mühe bewahrte Immo die Kraft, den Segen des Kanzlers zu erbitten, den dieser mit einer nachlässigen Handbewegung erteilte. Er kam verstört in seine Herberge und trat in die Kammer, in welcher Heriman, der Goldschmied, lag, der von seiner schweren Wunde langsam genas. Oft hatte Immo während der Belagerung in der Hütte des Kranken gesessen und dem klugen Landsmann vertraut, was ihm auf der Seele lag, jetzt setzte er sich bleich und erschöpft neben ihn. »An einem Tage habe ich alles verloren, worauf ich hoffte, und wenn ich von hier weiche, wie ich soll, so nehme ich ein Herz voll Angst und Sorge mit mir. Dennoch vermag ich das Land nicht zu räumen, bevor ich die Jungfrau wiedergesehen habe.«

»Ich bleibe zurück,« versetzte Heriman tröstend, »dir danke ich, Immo, daß ich lebe und meine Glieder wieder zu regen beginne. Diese Schuld danke ich dir jetzt oder wann du verlangst. Besser vielleicht als du selbst vermag ich dir zu nützen. Denn Kundschaft habe ich beim Könige und vielen Großen, und mancher Stolze beachtet in der Stille meine Worte. Ziehe mit dem Herzog, denn weilst du hier, so wird es dein Verderben. Du läßt einen zurück, der ein wenig die Weise kennt, wie man die Geheimnisse der Mächtigen erkundet. Noch ist die Jungfrau nicht geschleiert. Und was ich erfahre, Günstiges oder Ungünstiges, das sollst du wissen.«

 

Während der Burgmann dem jungen Helden Trost einsprach und dieser gern seinen Worten lauschte, scholl in der Haustür und auf der Straße ein wirres Getön von Pfeifen, Fiedeln und Menschenstimmen, ein wilder mißtönender Lärm von allerlei Weisen, welche durcheinander klangen, von Gelächter und trunkenem Geschrei. Immo eilte die Treppe hinab. Im Hausflur saß Brunico an der weitgeöffneten Tür, eine Trinkkanne in der Hand, umgeben von seinen Bogenschützen, vor ihm aber auf der Schwelle und auf der Straße stand ein großer Haufe fahrender Spielleute, von denen jeder unbekümmert um die anderen in seiner Kunst das Beste tat, so daß ein unordentliches und greuliches Getöse durch das Haus und über die Straße schallte. »Schneller,« trieb Brunico, »ihr zirpt wie die Mädchen, die zum erstenmal im Reigen springen. Wer um die Wette läuft, darf seinen Atem nicht sparen.« Von neuem begann das tolle Gefiedel und Geschrei. »Jetzt merkt auf,« mahnte Brunico lachend, »der schnellste fängt den Preis.« Er zog den goldenen Ring vom Armgelenk und hielt ihn in die Höhe, schleuderte ihn über die Köpfe der Spielleute in den Staub der Straße und rief: »So wirft der Bauer von Friemar den Armring des Königs.« Gleich Hunden sprangen die Fahrenden nach dem Ringe, sie fielen und überschlugen sich in wirrem Knäuel, das Volk schrie, jauchzte und balgte sich mit den Unehrlichen, bis endlich einer der Spielleute den Goldschmuck faßte, emporhielt und schnellfüßig mit dem Preise entrann. Und als Immo den Gespielen schalt: »Wie magst du eine wertvolle Gabe vergeuden, die dein Geschlecht und dein Mädchen lange erfreut hätte?« da antwortete Brunico: »Ich warf sie fort, damit sie mir nicht die Augen blenden sollte. Denn übel stände mir an, das Ehrengeschenk eines Königs zu tragen, der dich gekränkt hat, während er mir spendete.«