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Die Ahnen

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Auch Immo ritt unter den Wächtern des Königs, welche in der Schlacht vor seinem Leibe kämpften und ihm die Gasse öffneten, wenn er selbst einen erlauchten Helden bestreiten wollte. Mehr als eine halbe Tagefahrt zog die reisige Schar über Hügel und Tal, die Sonne schien heiß, die Panzerringe brannten durch Leder und Hemd auf die Haut, und der Schweiß rieselte von den Flanken der Rosse. Aber der Zuruf des Königs trieb unablässig vorwärts, bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges befeuerte er die Müden durch Scherzworte oder scharfen Tadel, er allein, den seine Feinde weichlich gescholten hatten, schien Sonnenbrand und Durst nicht zu fühlen. In der Glut des Mittags klomm die gepanzerte Schar eine steile Höhe hinan. Vielen wurde die Anstrengung unerträglich, Rosse und Reiter brachen zusammen, aber der König mahnte und trieb, wirbelte lustig den Wurfspeer, schalt und verhieß Belohnungen. Kurz vor der Höhe hielten die Müden zu kurzer Rast. Heinrich ordnete die Scharen in der Stille, auch lauter Rede wurde gewehrt. Dann hob er grüßend den Speer, die Posaunen und Hörner schmetterten und brüllten ihre wilden Weisen, und in gestrecktem Lauf stob die Heerschar auf günstiger Bahn nach dem engen Tale, worin die Banner, die Zelte und Hütten des Hezilo standen. Es war die Tageszeit nach dem Mahle, wo die Markgräflichen am sorglosesten ruhten; kaum einer der Helden war mit seiner Rüstung bekleidet, auch die Rosse standen ungesattelt an ihren Seilen. Furchtbar tönte den Feinden das Kyrie eleison, der Schlachtruf des Königs, in die Ohren, nur die Tapfersten wagten dem Ansturm entgegenzusprengen und das drohende Verderben aufzuhalten, sie wurden erschlagen oder verjagt, der Zaun des Lagers wurde durchbrochen, bevor der Widerstand sich daran sammelte, die Mehrzahl der Krieger gefangen, während sie nach den Waffen schrie. Der Markgraf selbst entrann mit einer kleinen Zahl seiner Getreuen.

Als Immo in der ersten Reihe der Leibwächter den Hügel hinabritt, suchte sein scharfes Auge unter den feindlichen Bannern das Zeichen des Grafen Gerhard. Er sah es nicht, aber der erste Krieger, der gegen ihn anritt, war Egbert, ein Günstling des Grafen. Immos Speer warf den hochmütigen Dienstmann in das Gras, und über den Gefallenen brach der wilde Strom vorwärts. Der Held fand sich vor dem König im Kampfe gegen Leibwächter des Markgrafen, er stieß, schlug und tat sein Bestes, aber mitten in dem blutigen Gedränge suchte er immer wieder nach dem Buchenreis, welches die Dienstmannen des Grafen an ihrer Rüstung zu tragen pflegten. Als der Schwall verrauscht war und der laute Gesang des Rufers die Helden zusammenlud, da sprengte er zurück zu der Stelle, wo er den Egbert getroffen, aber sein Speer hatte die Arbeit zu gut getan, und er vermochte von dem Leblosen keine Kunde einzuholen. Er durchritt die Haufen der Gefangenen, aber auch dort fand er die Buchenzweige nicht, und er holte mit Mühe die Kunde heraus, daß Mannen des Grafen unter den Flüchtigen entronnen waren.

Nur die nötigste Rast verstattete der König den Siegern. Von allen Ecken ließ er das Lager in Brand stecken und achtete nicht auf das Murren seines Heeres, welches in den eroberten Hütten Ruhe und Beute gehofft hatte. Eilig ließ er die Gefangenen und die Beuterosse rückwärts treiben und brach wieder in Sonnenglut nach dem eigenen Lager auf, obgleich die ermatteten Sieger mürrisch in ihren Sätteln hingen, gleich geschlagenen Männern. Immo sah von der Höhe zurück auf das Tal, welches mit lodernden Flammen und einer ungeheuren Rauchwolke gefüllt war. Da hörte er wieder den treibenden Ruf des Königs, und Heinrich winkte, an seiner Seite reitend, ihm zu: »Ich sah dich mannhaft treffen, Held Immo, und mächtigen Staub aufregen, quadrupedante putrem sonitu, wie der Heide sagt. Herzog Bernhard,« rief er, sich unterbrechend, »gibt es kein Mittel, aus diesem Schneckenritt herauszukommen?«

Der Herzog sprengte an die Seite des Königs. »Mann und Roß werden die Glut des Tages lange fühlen.«

»Das mögen sie später halten, wie es ihnen beliebt, heut aber brauche ich sie nicht auf dem Wege, sondern im Lager, und ich wollte, uns wäre die Heidenkunst erlaubt, einen Sturmwind zu beschwören, der das Heer in der Wolke dahintreibt.«

Der Herzog schlug ein Kreuz. »Die Himmlischen gewähren zuweilen dem Bittenden Regen, auch dieser würde das Heer vorwärts treiben.«

»Ich kann nicht frei atmen, Vetter,« fuhr der König leise fort, »bis ich das Lager gesichert sehe, denn wenn die in der Festung nicht verblendet sind, so mag unser Schade größer werden als der Gewinn.«

»Reite voraus«, riet der Herzog.

»Dann fallen diese ganz von den Pferden und legen sich auf die Heide«, versetzte der König.

»Willst du meinen Sachsen deinen Wein und Met preisgeben, so will ich versuchen, ob ich sie noch vor Sonnenuntergang in ihre Wagenburg bringe.«

»Von Herzen gern,« versetzte der König, »denn wenn wir heut einen Ausbruch des Feindes abwehren, so denke ich morgen den Krieg zu beenden.«

Der Herzog befahl seiner Schar zu halten und ließ durch den Rufer verkünden, daß der ganze Tonnenvorrat des Königs noch heut derjenigen Schar als Ehrentrunk zugeteilt werden sollte, welche zuerst das Lager erreiche.

Die Helden sahen einander mürrisch an, doch allmählich erschien ihnen der Vorschlag nicht verächtlich, sie lächelten ein wenig, und die Rosse begannen zu traben. Als der Rufer den Bayern verkündete, daß die Sachsen um des Königs Wein davonritten, ärgerten sich die Bayern, weil das Getränk aus ihrem Lande genommen war und ihnen zuerst gebührte, und ihre Rosse trabten ebenso.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als Heinrich, der mit seiner Leibwache dem Heere die letzte Meile vorausgesprengt war, von der Höhe das Tal der Festung erblickte. Als er die Lagerstätten mit ihren wehenden Bannern unversehrt vor sich sah, da brach er in einen lauten Freudenruf aus und neigte sein Haupt, um das Gelübde, das er dem Himmel in der Sorge getan, mit dankbarem Herzen zu wiederholen. Wie er zum Lager hinabstieg, klang von der Seite Heermusik, und eine Schar von Reitern und Fußvolk zog mit ihren Wagen ganz gemächlich dem Lager zu. Verwundert fragte der König: »Wer sind diese, die so lustig am Feierabend reisen, nachdem die anderen das Werk getan haben?« Immo ritt vor: »Es ist das rote Kreuz von Sankt Wigbert, Herr Bernheri sendet seine Mannen.«

Da lachte der König: »So hat der Jagdspieß des Alten doch die Empörer gebändigt«, und der Schar entgegenreitend, rief er dem Führer Hugbald zu: »Als säumige Schnitter nahet ihr, die Halme sind gemäht. Dennoch seid willkommen zum letzten Sprunge um den Erntekranz.« Und als Immo seinen alten Genossen Hugbald begrüßte, sprach dieser: »Unser Herr Abt sendet dir seinen Segen und Dank für deine Mahnungen, die ihm die Spielleute zugetragen haben. Manchen Heiltrunk hat er dir zu Ehren getan. Jetzt hält er sich auf dem Berge gegen sein eigenes Kloster verschanzt. Doch hoffe ich, euer Sieg soll den Tutilo mit seinem ganzen Anhang austreiben.«

Am nächsten Morgen ließ der König die Gefangenen rings um die Mauern führen, die Belagerten zu schrecken, und sandte seinen Rufer, die Übergabe der Festung zu fordern. Dem Geschlecht des Markgrafen und den Dienstmannen versprach er freien Abzug in das böhmische Land, bei längerem Widerstand drohte er mit Austilgung durch Feuer und Schwert. Die Helden der Burg saßen in sorgenvoller Beratung, die Bedächtigen rieten, besser sei es, etwas zu retten, als alles zu verlieren, denn reißendem Wasser und siegreicher Hand vermöge man schwer zu widerstehen, aber die meisten riefen, sie wollten lieber sterben als die Mauern übergeben, solange ihr Herr noch in Freiheit lebe. Und sie weigerten zuletzt die Übergabe. Den ganzen Tag wurde verhandelt, der König aber beschloß, die Unschlüssigen am nächsten Morgen durch einen Angriff zu zwingen.

Es war eine mondlose Sternennacht, Immo wachte mit seinen Knaben am Ufer des Baches, nur einen Pfeilschuß von der Festung entfernt. Wie Jäger im Bergwald lagen die Thüringe, ihre braunen Wollmäntel über der Rüstung, Bogen und Pfeil in der Hand, wo ein Strauch oder eine kleine Senkung des Bodens Deckung gab. Sie lauerten auf jedes Geräusch und jeden Schatten, der hinter dem Bach und an den Zinnen der Festung sichtbar wurde. Gerade vor ihnen erhob sich ein dicker viereckiger Mauerturm, welcher aus der Fluchtlinie der Mauer nach dem Bach vorsprang, damit man aus ihm die anstürmenden Feinde von der Seite treffen konnte. Die rötliche Rauchwolke, welche jede Nacht über der Festung schwebte, sank tiefer, das Geräusch entfernter Stimmen verhallte; Mitternacht war vorüber und der graue Dämmerschein am Rand des Himmels rückte von Norden nach Osten. Da vernahm Immo neben sich das leise Gequarr eines Frosches, das Zeichen, durch welches die Jäger einander mahnten; im nächsten Augenblick wand sich Brunico auf dem Boden zu ihm. »Sieh zur halben Höhe des Turmes. Es regt sich in der Luke, ich meine, dort ist ein Lebender zu merken, der graue Schatten sinkt langsam abwärts.« Gleich darauf klang es im Wasser: »Er watet oder schwimmt.« Immo gab das Zeichen, hier und da tauchte ein Haupt vom Boden, die Rohrpfeile flogen an die Sennen, und die spähenden Blicke fuhren über jede Stelle des Ufers. Wieder rauschte es, der Leib eines Mannes hob sich über den Rand des Baches, vorsichtig schob er sich auf dem Boden vorwärts, gerade dem Versteck der Thüringe zu. Schon hatte er einen niedrigen Strauch erreicht und richtete sich hinter ihm auf der Lagerseite in die Höhe, um in das ferne Land zu blicken; da, als seine Gestalt über dem Grunde erkennbar wurde, klangen von beiden Seiten die Sennen und flogen die Pfeile gegen ihn. Der Mann stöhnte, neben ihm fuhr Brunico in die Höhe, nach kurzem Ringen trat der Knappe wieder an Immos Seite, und mit einer Gebärde des Abscheus sein Schwert einsteckend, brummte er, »es war Ringrank, der Fechter.« Immo sprang zu der Stätte, an welcher der Unselige lag, beugte sich über ihn, und das schwere Haupt hebend raunte er ihm ängstlich zu: »Wer sendet dich?« Der Sterbende tastete mit der Hand nach seinem Messer, als er aber über sich das traurige Antlitz Immos sah und die freundlichen Worte hörte, murmelte er: »Der Rache des Königs dachte ich zu entrinnen, darum trug ich einen Gruß für dich.«

 

»Wo ist sie?« fragte Immo tonlos.

»Wo ich war«, seufzte der Mann wieder und fiel zurück.

Die bleichen Sterne schienen auf glanzlose Augen, Immo deckte dem toten Fechter das Gewand über das Antlitz und wandte sich ab. Ihm hämmerte das Herz in der Brust, und sein Blick haftete fest auf dem Turme, aus dem der Fechter herabgestiegen war. Er winkte Brunico an seine Seite, dann wand er sich selbst bis an das Ufer des Baches. Als er zurückkehrte, rief er seine Mannen in eine Talsenkung nach rückwärts. »Mahnt den Hugbald, der neben uns liegt, daß er mit Wigberts Knechten unsere Stelle besetze. Euch aber, meine Knaben, lade ich, daß ihr mir folgt. Denn was mir auch geschehe, ich klimme den Pfad hinauf, den der Tote herabgestiegen ist. Die in der Stadt vertrauen der Nacht und ihrem Handel mit dem Könige, keinen Wächter erkenne ich auf der Zinne, noch hängt das Seil. Halten wir erst den Turm, so soll Hugbald mit Sturmzeug uns folgen.«

»Manche Klippe unserer Berge, die wir erklommen, war höher«, ermunterte Brunico. »Führe, Immo, wir folgen.« Die schnellen Knaben stiegen geräuschlos zum Bach hinab, sie tauchten in die Flut, wateten und schwammen und waren nach kurzer Zeit am Fuß des Turmes versammelt. Immo prüfte den Halt des Seils. »Der erste sei ich«, brummte Brunico, ihm den Arm haltend. »Keiner vor mir,« befahl Immo, »schwinde ich dahin, so führe du die Treuen zurück.« Er schwang sich am Seile aufwärts und hob sich in die Öffnung des Turmes, gleich darauf schüttelte er das Seil, und seine Knaben folgten schnell einer dem anderen.

Das Stockwerk des Turmes war menschenleer, die Tastenden fanden in der Mitte eine große Standschleuder und an beiden Seiten offene Türen, sie führten zu der Holzgalerie, welche an der inneren Fläche der Mauer unter den Zinnen entlanglief. Auch die Galerie in ihrer Nähe war ohne Bewaffnete, nur von dem nächsten Turme, durch welchen ein Tor nach dem Wasser führte, klangen die Tritte der Wachen. Während Brunico vorsichtig die kleine Treppe hinabstieg, welche von der Galerie zum untern Stockwerk des Turmes reichte, gab einer der Knaben rückwärts dem Hugbald das verabredete Zeichen, einen flüchtigen Feuerschein. Dann harrten die Thüringe ungeduldig auf das erste Tageslicht.

Unten aber am Bache rührte sich‘s. Hugbald hatte den bayrischen Schanzmeister zu Hilfe gerufen; die Belagerer rollten leere Fässer an das Ufer und schnürten sie mit Bohlen zu einem leichten Floß. Sie zogen die Sturmleitern über den Bach und hoben sie mit Hilfe des Seils zu der Turmöffnung. Als der Morgen dämmerte, war der Turm und die nächste Galerie in den Händen der Königsmannen; ohne Lärmzeichen drangen sie bis zu dem Tore, überfielen die sorglosen Verteidiger, zerschlugen die Sperrbalken der Torpforte und warfen die Fallbrücke über das Wasser.

Da erhob sich in der Festung Alarmruf und Notgeschrei. Die geworfenen Verteidiger liefen vom Tore brüllend durch die Straßen, Hörner und Posaunen tönten, und aus den Gassen der Stadt stürmten die erweckten Helden an das verlorene Tor. Ein heißer Kampf entbrannte um die beiden Türme und die Mauer dazwischen. Die Markgräflichen umschanzten mit Schild und Speer den Zugang zu den nächsten Gassen, sie liefen unter ihren Schilden gegen die Toröffnung, drangen auf der Mauerhöhe gegen die Türme und warfen ihre Geschosse von der Galerie auf die Königsmannen, welche von außen über die Brücke drängten und drinnen die eroberten Türme besetzt hielten. Die Königsmannen aber sendeten Speere auf die Andringenden und schossen Brandpfeile gegen die Dächer der nächsten Häuser. Bald stiegen Rauchsäulen und lodernde Flammen aus den Höfen, und in das Getöse des Kampfes mischte sich das Gebrüll der Rinder und das Geheul der Einwohner.

Der König hielt auf einem Hügel nahe dem Tor, um welches gestritten wurde, er sah, wie die lodernden Flammen hinter der Mauer aufstiegen, und nährte den Kampf durch neue Haufen, welche er über die Brücke trieb. Aber wie sehr er sich des Erfolges freute, er dachte auch daran, daß der letzte Streit gegen die gesammelte Macht der Verzweifelten seinem eigenen Heere einen guten Teil der Kraft nehmen könne, und daß an der abgewandten Seite der Festung noch eine feste Burg lag, in welcher die Feinde sich wohl zu halten vermochten, bis der Böhmenherzog zu Hilfe kam. Deshalb bezwang er die Sehnsucht nach Rache und sandte seinen Heerrufer über den Bach nach der Burgseite, um aufs neue mit den Belagerten zu handeln.

In das Gewühl am Tore klang der Ruf, daß der König sich vertragen wolle, und der Kampfzorn der Verteidiger wurde schwächer. Einer nach dem anderen warf sich nach rückwärts, um seine Habe aus der brennenden Stadt zu retten und die Burg zu gewinnen, und die Königsmannen stürmten mit hellem Siegesrufe vor. Als erster Immo, gefolgt von den schnellsten seiner Knaben. Gleich einem Wütenden war er von der Mauer gegen das Tor gefahren. Während er im Kampfe stieß und schlug und jeden Ansturm der Feinde zurückwarf, hatte er nur einen Gedanken, zu ihr durchzudringen, die zwischen Rauch und Glut und dem Todeskampf der Männer die Arme zum Himmel hob. Jetzt sprang er wie ein wildes Roß durch Qualm und züngelnde Flammen in die Gassen der Stadt. Laut schrie er über die Haufen und in die offenen Höfe den Namen Hildegard. Der geborstene Helm war ihm vom Haupte geworfen, das blutbesprengte Haar flog ihm wild um die heißen Schläfen. Zwischen Herdenvieh, beladenen Karren, über Leichen der Gefallenen, durch kleine Haufen feindlicher Krieger stürmte er vorwärts, bis er den Marktplatz der Stadt erreichte, wo das Getümmel am wildesten durcheinanderwogte. Er überstieg die gedrängten Karren der Flüchtigen und wand sich durch eine Schar feindlicher Reiter, wie ein Verzweifelter mit dem Strome ringend. Da, in der Mitte des Marktrings, wo das steinerne Kreuz auf einer Erhöhung ragte, sah er einige böhmische Krieger auf eine helle Gestalt eindringen, die am Fuße des Kreuzes lag und mit beiden Armen den Stein umschlang. »Hildegard«, schrie er und ein schwacher Gegenruf: »Immo, rette mich«, klang in sein Ohr. Den Wilden, welcher die Arme nach der Liegenden ausstreckte, schleuderte er zur Seite, daß dieser das Aufstehen für immer vergaß, seine heranspringenden Genossen verscheuchten den fremden Schwarm. Er hielt die Gerettete in seinen Armen, küßte das bleiche Antlitz und rief sie mit den zärtlichsten Grüßen, und als sie die Augen aufschlug, da hob er sie lachend empor, während ihm die Tränen aus den Augen stürzten, und mit dem Schildarm sie umschlingend, hielt er am Kreuze die Wache für das geliebte Weib, das an seinem Hals hing und sich fest an seine Brust drückte. Über ihm wirbelte der glühende Rauch, um ihn krachten die stürzenden Balken, und das Kampfgetümmel wälzte sich durch die Straßen der Stadt, er aber stand, umgeben von Tod und Vernichtung, wie ein Sieger, und er sah, wie die hohen Engel mit flammenden Schilden und Speeren durch die Lohe schwebten und um ihn und die Geliebte eine feste Schildburg zogen.

An der Ecke des Marktes wehte ein Banner, auf welchem er das weiße Roß der Sachsen erkannte, da rief er: »Glückauf, mein Geselle, dort nahen die Helden, denen ich am liebsten vertraue, damit sie dich zum König geleiten.«

8. Die Not des Grafen

Der Kampf um die Krone war entschieden. Mit unwiderstehlicher Gewalt trieb der König den Markgrafen der böhmischen Grenze zu, eine Burg nach der anderen fiel in seine Hände, die Flammen, welche aus den gebrochenen Mauern aufstiegen, verkündeten dem erschreckten Lande den Sturz eines edlen Geschlechtes und die Rache des Königs. Schonungslos wollte der König alles mit Feuer und Schwert tilgen, was an die Herrschaft seines Feindes erinnerte, und die harten Vollstrecker seines Willens fühlten zuweilen ein Mitleid, das er nicht kannte, und milderten in der Ausführung sein Gebot. So scharf war des Königs Zorn, daß sich jedermann über die Schonung wunderte, die er einem der Verschworenen zuteil werden ließ. An dem Grafen Ernst wurde das Todesurteil nicht vollstreckt, der Held büßte nur mit einem Teil seines Schatzes und wurde in milder Haft gehalten. Und die Leute rühmten den Erzbischof Willigis, weil seine Bitten den Haß des Königs gedämpft hätten.

Während der Markgraf als landloser Flüchtling in Böhmen umherirrte und die übrigen Empörer demütige Boten sandten, um die Gnade des Königs zu gewinnen, hielt Heinrich seinen Hof in Babenberg, der Stammburg seines Feindes. Dort sammelte sich das siegreiche Heer, der Belohnung und Entlassung harrend, auch die Königin Kunigund kam von Regensburg an; mit großem Geleite holte sie der König ein, und die Edelsten des Heeres begrüßten die Herrin nach altem Heldenbrauch auf ihren Rossen im Eisenhemd, indem sie zu zwei Scharen geteilt in gestrecktem Lauf durcheinanderritten und dabei die Gerstangen durch wilden Wurf an den Schilden der Gegner zerbrachen.

Immo hatte in dem Kampfspiel seine Reitkunst rühmlich erwiesen, die Jungfrau aber, in deren Augen er am liebsten sein Lob gelesen hätte, blickte nicht auf den glänzenden Zug. Er wußte, daß Hildegard auf Befehl des Königs unter der Aufsicht einiger frommer Schwestern in der Stadt weilte, aber ihm war trotz aller Mühe nicht gelungen zu ihr zu dringen. Als er jetzt vom Rosse stieg und in die Herberge trat, fand er den Spielmann Wizzelin, der in neuem Gewande und mit klirrendem Goldschmuck, das Saitenspiel in der Hand, seiner wartete, umdrängt von Kriegsleuten, welche mit dem wohlbekannten Mann Scherzreden tauschten und ihn mahnten, seine Kunst vor ihnen zu erweisen.

»Gutes Glück bringe mir das Wiedersehen, du flüchtiger Wanderer«, rief Immo.

»Auch Euch ist alles gelungen,« antwortete der Spielmann, »und als ein Glückskind rühmen Euch die Leute, während Ihr heut so hurtig rittet. Liegt Euch noch am Herzen zu erfahren, was Ihr einst von mir begehrtet, so vermag ich Bescheid zu sagen.«

Immo führte ihn schnell in seine Kammer.

»Sie ist hier,« sprach Wizzelin leise, »sie will Euch sehen, und ich vermag Euch zu ihr zu führen. Die alten Nonnen, bei denen sie weilt, sind keine strengen Wächter, auch sie vernehmen gern, wenn ich vor ihnen die Saiten rühre. Folgt mir sogleich, wenn es Euch gefällt, doch haltet Euch eine Strecke hinter mir zurück, denn ich bin den Helden hier nicht unbekannt«, fügte er stolz hinzu, »und muß auf viele Grüße antworten.«

Sie traten auf die Straße, der Spielmann glitt behend durch das Gewühl von Reitern und Rossen, von Burgmannen und Landleuten, welche herzugeströmt waren, den Einzug zu sehen. Oft wurde er angerufen, auch Gelächter und Spottreden klangen ihm entgegen. Gegen die Huldreichen verneigte er sich und versprach Besuch und Lied, den Spöttern antwortete er mit dreister Gegenrede, so daß er die Lacher stets auf seiner Seite hatte. Endlich bog er in eine stille Seitengasse und fuhr durch das Tor eines dürftigen Hofes. Er wies auf eine niedrige Fensteröffnung, hob einen Zipfel der Decke, welche das Innere verbarg, und sagte zu Immo: »Springt dreist durch die Tür, ich halte die Wache.«

Immo eilte in das Haus. Mit einem Freudenschrei warf sich Hildegard in seine Arme und drückte sich an seine Brust.

»Wie bleich du bist, Hildegard, und gleich einer Gefangenen sehe ich dich bewahrt.«

»Sie sind nicht hart gegen mich, und wären sie es auch, ich würde es wenig beachten, wenn ich an dich denke und dein Antlitz zu sehen hoffe. Denn so oft mich die Einsamkeit ängstigt und die Gefahr bedroht, bist du mir in meinen Gedanken nahe, du Lieber, mich zu trösten. Bald aber werden sie mich von hier fortführen zu der Königin, in ihrem Gefolge soll ich bewahrt werden.«

»Das ist gute Botschaft,« rief Immo, »dort vermag ich dir eher nahe zu sein.«

Aber Hildegard schwieg, ihr Haupt lag schwer an seiner Brust, und ihr junger Leib bebte in seiner Umarmung. »Hoffe das nicht, Immo, denn nicht für ein fröhliches Leben denkt mich der König zu retten, nur weil der große Erzbischof Mitleid mit mir hatte. Sie halten mich fest, wie die frommen Mütter sagen, damit ich nicht gleich einer Dirne auf die Straße geschleudert werde. Mein unglücklicher Vater!« rief sie mit gerungenen Händen. »Geh von mir, Immo, denn Elend ist mein Los, und meinem Vater droht das Verderben.«

Immo wußte wohl, daß der König damals, als er dem Geschlecht des Hezilo Abzug aus der Festung gestattete, den Grafen Gerhard mit seinem Gesinde aus dem Zuge der Entweichenden herausgerissen hatte, um ihn für seine Rache zu bewahren. Seitdem konnte niemand sagen, was mit dem Grafen geschehen war. Deshalb fragte Immo sorgenvoll: »Vernahmst du, wo er weilt?«

 

»Er liegt im Turm der Stadt gefangen, ich war bei ihm, und er begehrt in seiner Not nach dir. Eile, Immo, denn kurz ist, wie sie sagen, die Frist, welche ihm noch auf dieser Erde gestattet wird. Tröste ihn, wenn du vermagst, und dann komm noch einmal zu mir, damit ich dich segne und dir für deine Liebe danke. Denn, Immo, merke wohl, die Tochter eines entehrten Mannes kann nicht ferner dein Geselle sein. Suche dir die Braut unter den geschmückten Frauen, welche mit der Königin eingezogen sind und sich gleich dir des Sieges freuen; ich aber und mein Geschlecht schwinden dahin wie die flammenden Häuser und die Weiber und Kinder, die ich mit der Peitsche hinaustreiben sah.«

Immo rief unwillig: »Ich hörte immer, die durch ein Band gebunden sind, sollen auch Leid und Liebe miteinander teilen, solange sie leben. Meinst du, Hildegard, daß ich dich losbinde von deiner Pflicht gegen mich? Mein bist du, aus der brennenden Stadt habe ich dich getragen, und was sie auch über dich ersinnen, solange ich atme, darfst du dich niemandem geloben als mir, nicht der Königin und nicht den Heiligen. Zur Stelle suche ich deinen Vater auf, ob ich ihm nützen kann.« Er hob ihr gesenktes Antlitz mit der Hand zu sich herauf und sah ihr in die Augen. Lange dachte er an die heiße Liebe, mit der sie ihn bei diesem Scheiden ansah. »Morgen bei guter Zeit bringe ich Botschaft«, rief er noch an der Tür.

Am Fuß der Turmtreppe sprach der Wärter zu Immo: »Ihr werdet den Grafen in unehrlicher Gesellschaft finden, wenn Euch beliebt, jetzt hineinzugehen. Einer seiner Fechter ist bei ihm, er hat ihn gefordert; ich rate, daß Ihr harret, bis der ruchlose Mann gewichen ist.«

»Öffne doch,« versetzte Immo, »er hat mich dringend begehrt.«

Als Immo mit dem Schließer eintrat, sah er den Grafen auf einer Holzbank sitzen, und vor ihm stand Sladenkop, der Fechter, ein unförmlicher Gesell mit Armen und Beinen, die aussahen, als ob sie von einem riesigen Tiere genommen wären, mit kleinen scharfen Eberaugen, kurzer Stirn und borstigem Haar. Die Miene des Mannes war verlegen und sein Gesicht gerötet. Immo wandte den Blick mit mehr Teilnahme auf den Grafen. Denn sehr bekümmert erschien dieser, die Augen lagen tief und fuhren ängstlich umher, er war hagerer geworden, und sein Kopf stand nicht mehr so trotzig zwischen den Schultern wie sonst, sondern hing ein wenig nach vorwärts. Immo grüßte und winkte dem Schließer abzutreten, welcher mit einem argwöhnischen Blick auf den Fechter sagte: »Ich harre draußen an der Tür, wenn Ihr mich ruft.«

»Ich freue mich, Immo,« antwortete der Graf dem Gruße, »daß du nicht verschmähst, mich aufzusuchen, obwohl ich im Unglück bin. Immer hat dein Geschlecht mir edle Art gezeigt, und gute Freunde sind wir von neulich, wo du in meiner Halle saßest und wo du in meinem Lager den Würzwein trankest. Jetzt verläßt mich alles, sogar dieser Köter«, er wies auf den Fechter. »Betrachte seine Arme, so habe ich ihn gefüttert, und mir hat er sein Leben gelobt, jetzt aber sträubt er sich, mir im Kampfe einen Vorteil zu geben.«

»Verhüten die Heiligen, daß Euch jemals das Los zuteil werde, diesem da im Kampfe gegenüberzustehen.«

»Emsig flehe ich zu den Heiligen, daß sie es verhüten mögen; aber es scheint, daß sie Lust haben, es zu gestatten. Denn wisse, Immo, der König hat Übles gegen mich im Sinn, und weil wir am Idisbach in der Übereilung dem Erfurter Kaufmann seine Ballen genommen und den Mann dabei beschädigt haben, so will der König mir die Ehre nehmen, ich soll als gerichteter Räuber um mein Leben kämpfen, und weil ich Fechter gehalten habe, so fordert er in seinem Zorn, daß ich vor dem Ringe seiner Edlen gegen meinen eigenen Fechter streiten soll.« Immo trat erschrocken zurück. Der Gefangene erkannte die Teilnahme und fuhr vertraulicher fort: »Aus deinem Auge sehe ich, Immo, daß ich dir alles sagen darf; merke wohl, dieser Undankbare, der meinen Silberring an seinem Arm trägt und der mir gelobt hat, um Geld und Nahrung in jedem Kampfe sein Leben für mich zu wagen, er will sich jetzt von mir nicht treffen lassen.«

»Wie kann ich eine Abrede mit Euch machen, Herr, da Ihr kein Fechter seid und des Handwerks nicht kundig«, fiel gekränkt der Fechter ein. »Wäret Ihr einer von meinen Genossen, so wollte ich einen Arm oder ein Bein wohl daran wagen. Ihr aber würdet mir, wenn ich Euch einen Vorteil gäbe, das Eisen in die Glieder treiben, daß ich des Aufstehens für immer vergäße.«

»Du bist ein Narr, das zu fürchten. Ich war in meiner Jugend ein Schwerttänzer und treffe, wohin ich will, wenn mein Gegner Bescheidenheit erweist. So nimm doch die besten Gedanken in deinem dicken Kopf zusammen. Wenn ich dich wirklich ein wenig zu sehr träfe, durch die Hand eines Edlen zu fallen, wäre für dich das ehrenvollste Ende, das du finden könntest.«

Der Mann stand mit zusammengezogenen Augenbrauen und überlegte. »Ja, Herr,« sagte er zögernd, »Ihr sprecht nicht ohne Grund, auch der Fechter hat seine Ehre. Und wenn Ihr mich trefft, so soll dies mein Trost sein, und es wird Nachruhm gewähren bei allem fahrenden Volk. Doch wenn Ihr mich nicht trefft, sondern ich Euch, dann wäre der Ruhm noch größer.«

»Du aber hast dich mir gelobt, wie kannst du mich treffen, du Schuft?« rief der Graf zornig.

Der Fechter sah finster vor sich nieder. »Ich weiß, was Ihr meint,« begann er endlich, »und ich merke, daß ich in der Klemme bin wie ein Marder. Sie sollen nicht sagen, daß ich gegen meinen Herrn unehrlich gehandelt habe. Solange ich Euren Ring trage, seid Ihr sicher vor meinem Eisen; feilen sie mir den Ring ab, so fechte ich als des Königs Kämpe, und dann, meine ich, darf ich Euch treffen.«

»Weiche hinaus, du Elender!« rief der Graf zornig, »mich reuts, daß ich so manches Kalb und Rind in deinen Magen gestopft habe, und mich reuts, daß ich in meiner Not bei einem Ehrlosen Hilfe suche.«

Der Fechter sah verlegen und unschlüssig auf den Zornigen, dann wandte er sich trotzig zum Abgang. Als sich hinter ihm die Tür geschlossen hatte, saß der Graf eine Zeitlang schweigend auf der Bank, und Immo sah, daß ihm große Schweißtropfen von der Stirne rannen. Endlich begann er mit gebeugter Haltung: »Wundere dich nicht, Immo, daß ich gerade dich bitten ließ. Du kennst den Brauch in heiligen Dingen, du bist selbst ein halber Geistlicher, obgleich du das Schwert führst, und vor allem bist du jung, erst aus Wigberts Zucht gekommen, du kannst noch nicht sehr viel Böses getan haben, und die Heiligen werden dir eher etwas zugute halten als einem anderen. Darum möchte ich dir Vertrauen schenken in der Sache, die mir jetzt zumeist am Herzen liegt. Willst du mir geloben, eine Bitte zu erfüllen, so tue es.«

Da Immo erwartete, daß der Graf an seine Tochter denken würde, so war er gern bereit und sprach, an sein Schwert fassend: »Ich will, wenn ich es ohne Schaden für meine Seele tun kann.«

»Es ist ein frommes Werk«, versetzte der Gefangene traurig. »Wisse, Immo, daß es schwer ist, auf Erden ohne Sünde zu leben. So habe auch ich, wie ich fürchte, zuweilen etwas getan, was mich den Heiligen verleiden kann, ich sorge, daß es ihr Zorn ist, der mich in diese Gefahr gebracht hat, und daß sie mich gar nicht gutwillig hören werden, wenn ich sie hier aus diesem Loche um meine Rettung anflehe. Denn in meinem Jammer bekenne ich, wenig habe ich ihrer im Glück geachtet. Dem Gebet der Mönche mich zu übergeben, kann gar nichts frommen, denn auch diese sind mir zum Teil verfeindet, und sie beten nur eifrig, wenn sie Hufen und reiche Gaben erhalten. Meines Gutes aber wird, wie ich fürchte, der König mich entledigen. Darum ist mir eingefallen, was mich wohl retten könnte. Ich habe meine Sünden aufschreiben lassen; nicht gerade alle, denn mit den kleinen will ich den großen Fürsten des Himmels nicht lästig werden, aber die schwersten. Drei Tage und drei Nächte habe ich zwischen diesen Steinen darüber nachgedacht, sie zu finden und zu bereuen. Dem Beichtiger der Gefangenen – er ist ein ausgelaufener Mönch und ein guter alter Mann – habe ich sie hergesagt, und er hat sie auf mein Drängen niedergeschrieben und versiegelt.« Er holte ein zusammengelegtes Pergament unter seinem Sitze hervor, wies es dem erstaunten Immo und sprach feierlich: »Hierin sind meine Sünden, nämlich die groben. Mir kann Rettung bringen, wenn du sie zu den wundertätigen Reliquien großer Heiligen trägst und sie in ihrem Schrein oder doch darunter birgst, damit die Heiligen selbst mein Bekenntnis empfangen und, wenn sie es lesen, sich meiner erbarmen.«