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Die Ahnen

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Immo sprang auf, seine Hände ballten sich und zornig rief er: »Meinst du, daß ich als büßender Mönch vor dem Altar liegen und daß Tutilo die Geißel über mir schwingen soll, wie ich sie heut über ihm schwang?«

»Fürchtest du die Geißel des Tutilo, dann denke lieber daran, daß du jetzt unter seiner Faust stehst und daß ihm morgen die Brüder die Rache geben werden, die er an deinem Leibe zu fordern hat.«

»Nimmer schwingt er die Peitsche über mir, während ich atme«, schrie Immo. »Wenn sie mich zur Verzweiflung treiben, so sollen sie einen Verzweifelten finden. Vor dem Altar töte ich ihn und jeden, der mich anzugreifen wagt; von der Klostermauer springe ich, vom Turm stürze ich mich und Feuer lege ich in das Haus der Mönche. Wenig liegt mir an dem Leben eines Hundes und ich werfe es von mir, wie ich dieses Gewand von mir schleudere, wenn ich ein anderes auf meinem Wege finde.«

»Wie ein Heilloser schreist du,« versetzte Reinhard, »Tutilo sprach nicht unrecht, als er dich mit einer wilden Katze verglich.«

»Tat er das,« rief Immo, »so freut‘s mich, daß er die Krallen gefühlt hat.«

»Dennoch rate ich dir, mein Sohn, daß du dich noch einmal an meine Seite setzest, wenn du deine Wut zu bändigen vermagst. Wehre mir nicht, dir zu raten, weil dies eine, die dir lieb ist, von mir erbat.«

Immo ging langsam zu seinem Lager zurück, setzte sich zu den Füßen des Mönchs und stützte sein heißes Haupt in die Hand.

»Wundere dich nicht, Immo, wenn ich dich einlade, zu werden, was ich selbst bin. Denn auch ich habe mich von Vater und Mutter geschieden und ich habe die Rosse und Hufe, die mein Erbteil sein sollten, den Heiligen dargebracht, weil ich um meiner Seele Heil bebte und lieber die Gnade des Herrn wählte als die vergänglichen Freuden dieser Welt. Auch ich entsage und gehorche und wandere wie ein Fremdling durch die Welt. Ob der Frost den Leib bedrängt, der Hunger quält und Gefahren drohen, gleichgültig und verächtlich ist mir das alles in den Stunden seliger Freude. Nicht Liebe des Weibes, nicht das Lied des Sängers, welches den Helden ehrt, schaffen solches Glück wie die Heiterkeit ist, die ich im Herzen trage, wenn ich zu den Füßen des Herrn liege, dem ich mich als Knecht gelobt habe. Darum möchte ich deine Seele und die Seelen aller, welche mir vertraut werden, den Greueln der Welt entreißen und den Handgriffen des üblen Teufels.«

Immo schwieg nachdenkend. »Vater,« sprach er, »beantworte mir eine Frage, die ich unwissend tue. Wenn es dir und anderen frommen Männern nun gelänge, alle Christen auf deinen Weg zu leiten und wenn alle zu Mönchen und Nonnen würden, verzeih, Vater, aber ich meine, dann wird es an Kindern fehlen.«

»Ob du arglos sprichst oder ob du mich durch gewundene Rede versuchen willst, du sollst die Verkündigung hören«, versetzte Reinhard feierlich. »Käme diese selige Zeit, die, wie du selbst weißt, noch weit entfernt ist, dann wird sich der Himmel auftun und der Herr wird mit den himmlischen Heerscharen heranziehen zum Gericht; aus der alten Welt des Jammers und der Sünde wird eine neue erstehen, in welcher die Seligen im Lichtglanz dahinwandeln.«

Immo sah bei dem rötlichen Schein der Lampe, wie das Auge des Mönchs leuchtete und seine Hände sich unwillkürlich zum Gebet schlossen. »Du selbst weißt, mein Vater,« begann er bittend, »daß der gute Gott den Vögeln ungleichen Gesang gegeben hat. So hat er auch den Menschen verschiedene Gaben ausgeteilt, als er in den Erdgarten kam, um die Kinder durch seine Geschenke zu ehren. Ich aber möchte den Gaben vertrauen, die ich an mir erkenne.«

»Mit guten Sinnen sprichst du, Immo,« versetzte Reinhard, »und verwundert höre ich, wie klug du die Worte setzest. Auch dies ist eine Gabe, die der Herr solchen verliehen hat, die er für seinen Dienst bestimmt.«

»Nicht zum erstenmal füge ich die Worte in dieser Sache,« versetzte Immo, »denn oft haben Väter des Klosters, die mir günstig waren, ähnlich zu mir gesprochen wie du. Wisse, Vater, da du so gutherzig mit mir redest, zu lange weile ich schon im Kloster und ich bin seiner herzlich müde. Wenn ich auf dem Roß sprenge, bin ich glücklicher als zu Fuß und, Vater, als ich gegen die Reiter des Grafen ritt, um den Hugbald herauszuziehen, da war mir so fröhlich zumut, wie nach deinen Worten dir bei dem Altare. Daran erkenne ich, daß ich nicht gemacht bin, Mönch zu werden.«

»Und doch, Immo,« entgegnete Reinhard, »sollen alle Menschen in jenem Leben teilhaftig werden der Gemeinschaft der Heiligen.«

»Und meinst du, Vater, daß man in der großen Halle des himmlischen Königs nur Ehre erlangen kann, wenn man den Freuden dieser Welt gänzlich entsagt und als Mönch oder Nonne betet?«

»Wie magst du zweifeln,« entgegnete Reinhard eifrig, »da es verkündet ist. Weißt du nicht, daß geschrieben steht: wer sich erniedrigt, der soll erhöhet werden? Wer lebt demütiger als der Mönch? Schwer ist‘s in den Freuden der Welt dem Herrn wohlgefällig zu bleiben und die liebsten Genossen des Himmelsherrn werden nur die sein, welche hier entsagen und büßen.«

»Wahrlich, Vater,« rief Immo, »wenn es in der Himmelsburg so ist wie du verkündest, daß die Mönche und Nonnen vor den anderen an der Herrenbank sitzen, dann will ich in den Pferdestall, wo die Rosse des Engels Michael stehen und anderer schneller Boten, denn lieber will ich dort die Pferde striegeln und die Steigbügel halten, als ewig den Kopf neigen und in das Ohr wispern und nach der Miene des Präpositus und der Dekane sehen, wie hier die Mönche tun.«

Dem Mönch empörte sich das Herz, aber er antwortete ruhig: »Zuchtlose Worte vernehme ich in den Mauern des Klosters; sonst hört man sie nur auf den Burgen der Gewappneten, welche eilig sind, Menschenblut zu vergießen. Deine Rede ist heillos auch für einen Weltgeistlichen, wenn du ein Kanonikus zu Erfurt wirst, wie dein Geschlecht will.«

»Verleidet ist mir das weiße Gewand wie die wollene Kutte,« rief Immo, »und verhaßt auch der Sitz im Chore von Erfurt.«

»Zu dem Grunde, auf welchem dein Geschlecht haust, gehört die Mühlburg. Diese Burg wollen deine Verwandten dem Erzbischof zu Mainz, der dem Stift in Erfurt gebietet, übergeben, damit du als Kanonikus ausgestattet werdest, wie Brauch ist.«

Wieder fuhr Immo in die Höhe. »Um meinetwillen soll mein Geschlecht verzichten auf den festen Sitz, der unsere Ehre war. Mehrmals flüchtete der Vater, wenn der Grenzkrieg entbrannte, die Rosse und Rinder und unsere ganze Habe in den sicheren Bau, und ich und meine Brüder sprangen auf den Mauern und kletterten in den Schluchten. Ein Ahn von mir hat, wie du wissen wirst, den Berg, auf dem die Wigbertleute die Wassenburg gebaut haben, dem Kloster geschenkt, jetzt soll auch die zweite Burgstätte dahin schwinden um meinetwillen! Jammervoll ist mir zu sehen, wie unser Erbe weggegeben wird, damit die Geschorenen in den Wäldern gebieten, wo sonst unser Jagdruf erklang. Wehe mir, daß ich niemanden habe, der meine Klage anhört, als einen landlosen Mönch.«

»Vermagst du noch einmal den Rat des Landlosen anzuhören,« antwortete Reinhard sich erhebend, »so vernimm, was ich dir ungern sage und nur, weil es mir befohlen ward, was aber für deinen weltlichen Sinn die letzte Hilfe sein kann in der Not, welche dich bedrängt. Merke wohl, Immo, du kannst frei von hier ziehen, wohin dich dein Gelüst treibt, ein Kriegsmann magst du werden, der auf die Mühlburg sein Gemahl heimführt und unter den Edlen von Thüringen im Heergewand reitet.«

»Sage mir, Vater, was soll ich tun, damit ich dies Glück erreiche?«

»Gelobe, bevor du scheidest, Burg und Berg deinem Herrn Bernheri in die Hand zu geben, damit du sie als Lehn für dich und dein Geschlecht zurückerhältst. Nützen wirst du dem Kloster auch als Lehnsmann und Vogt, der für das Kloster sorgt, wie ja viele aus den edelsten Geschlechtern tun, um den Heiligen zu gefallen. Gelobst du dies, so vermag der Abt dich zu schützen gegen jeden Feind, den du hier und anderswo hast; denn auch so dienst du den Heiligen und du weißt ja selbst, es ist leichter Dienst, den sie dir auflegen.«

Immo stand betroffen. Der Weg, welchen ihm der Mönch wies, bot vieles, wonach sein Herz sich sehnte, er wußte recht gut, wie stolz das Kloster auf seine Burgen war und daß er als Lehnsmann des Klosters den Wigbertleuten wertvoller wurde, wie als Mönch. Dennoch empörte sich sein stolzes Herz bei dem Gedanken, als Dienender den Schild zu tragen. Er schwieg und starrte vor sich hin.

Reinhard, der den Kampf des Jünglings beobachtete, fuhr fort: »Einer deiner Ahnen starb in der Heidenzeit unter dem Schildrand für die heilige Kirche. Wie darf sein Enkel zaudern? Dienstmann der Heiligen wurde jener im Tode, du aber sollst in demselben Dienste mit Ehren leben.«

Immo fuhr zusammen, denn bei der Rede des Mönchs vernahm er noch eine andere Stimme und neben dem hageren Antlitz des Lehrers sah er das rundliche Gesicht und das herzliche Lächeln des Greises Bertram und in ihm klangen die Worte, welche ihm übergeben waren: »Birg‘ nie in fremder Hand, was du allein zu halten vermagst, wenig frommt dem Manne zu dienen, wo er gebieten könnte.« Da sprach er: »Ich höre eine Mahnung in meinem Innern, daß ich deinem Rat nicht vertrauen soll, und ich will nicht.«

»Eine Waise bist du, ohne Freundschaft stehst du hier, dein eigenes Geschlecht ist deinen weltlichen Wünschen zuwider; St. Wigbert aber vermag dich zu schützen wie ein Vater und keinen erlauchteren Herrn kannst du wählen als den hohen Heiligen.«

»Ich will nicht dienen«, antwortete der Jüngling; die Lippen schlossen sich fest und er sah in seinem Trotz aus wie ein älterer Mann.

»Nur kurz ist die Zeit, die zum Widerstande bleibt,« mahnte Reinhard, nach dem Fenster deutend, »sieh diesen Docht, welcher verglimmt und den Morgen, welcher aufsteigt.«

»Und ich will nicht und will nicht«, antwortete Immo tonlos.

Reinhard wandte sich traurig ab: »Fruchtlos ist die Mühe, dir durch Worte den trotzigen Sinn zu wandeln. Dennoch bleibst du ein Kind meiner Sorgen und käme der Tag, wo du gute Meinung für dich begehrst, so wisse, Immo, daß du sie bei mir findest.« Er hob die Hand zum Segensgruß und verließ das Zimmer.

 

Immo sah ihm nach und dachte: ob dieser so ist, wie Sintram sprach, daß er treulich für mich beten wird? und er schüttelte das Haupt. Er warf sich auf sein hartes Lager zurück, aber die Gedanken fuhren ihm stürmisch durch das Haupt und er mußte immer wieder nach dem Himmel sehen, der im Osten sich rötete.

Da öffnete sich die Seitentür und Herr Bernheri selbst trat herein, hinter ihm Eggo mit einer großen Kerze in kupfernem Leuchter. Immo fuhr in die Höhe und neigte das Haupt vor dem Gebieter. Mürrisch begann der Abt: »Da seht den Nestling aus den Waldhecken; aber störrisch ist er wie ein junger Geier, und Reinhard hat sich vergebens bemüht, ihm die Kappe umzulegen. Obwohl ich im voraus gesagt habe, daß von dir nicht viel Gutes zu erwarten ist. Ganz unlieb ist mir deine Widerspenstigkeit und ich täte am klügsten, dich gänzlich deinem Schicksal zu überlassen, welches wahrscheinlich jämmerlich sein wird.«

Immo schwieg, aber das Herz hämmerte ihm in der Brust. Herr Bernheri ging schwerfällig auf und ab, an seinen zwinkernden Augen und der gesträubten Haarkrone konnte man erkennen, daß er sich erst vor kurzem vom Lager erhoben hatte. »Bringe mir einen Becher mit gewürztem Wein, Eggo, und stelle ihn hier auf den Tisch. Mit dir aber, du springender Scholastikus, will ich ein Ende machen auf meine Weise und es soll mich nicht kümmern, ob sie dir oder anderen mißfällt.« Wieder ging er nachdenkend auf und ab. »Setze dich an das Pult, nimm die Schreibtafel und den Griffel und laß mich erkennen, ob du etwas von der Kunst der schwarzen Buchstaben gelernt hast.«

Immos Hand bebte und seltsam erschien ihm in dieser Stunde die Forderung des Abtes, aber er setzte sich gehorsam und fragte: »Welchen Duktus befiehlt mein Herr?«

»Vermagst du«, fuhr der Abt überlegend fort, »in lesbarem Latein einen Brief zu schreiben? Verfertige zur Stelle etwas Passendes an mich, damit ich dich prüfe. Schreibe also, daß du wegen des Fastens und deiner Körperschwäche einen Trunk Wein ersehnst und mich darum anflehst.«

Immo überlegte. Endlich begann er mit geröteten Wangen die Arbeit, welche einige Zeit in Anspruch nahm. Unterdes trug auch Eggo ein Schreibpult herzu und schrieb nieder, was der Abt ihm leise gebot. Es war darüber zwischen beiden ernste Beratung, und Immo sorgte, daß sie gar nicht zu Ende gehen würde. Endlich wandte sich der Abt um und sah den Scholastikus, welcher mit der Tafel zur Seite stand. Der Herr streckte die Hand danach aus und hob sich, um dem Licht näher zu sein. »Wie?« sagte er, »du hast dich sogar getraut, einen Vers einzuflechten? Bibere si vis vinum, scribere debes latinum. Ist auch der Vers nur rhythmice und nicht metrice gestellt, so hast du dir damit doch den Trunk verdient.« Er wies auf den Becher. »Wage ihn zu heben, damit du die Kellerluft vergessest. Und jetzt hole Atem und antworte: Würdest du imstande sein, auf Pergament an diesen Bruder Eggo aus der Ferne zu schreiben in dem gebührlichen Duktus?«

»Ich getraue mir‘s wohl«, versetzte Immo freudig.

Der Abt seufzte. »Da du so unverschämt bist, von meiner Würde zu verlangen, daß ich für dich geradeso unter die Brüder springe, wie du für mich getan hast, so habe ich mich entschlossen, dich von hier zu entsenden, bevor die Sonne aufgeht. Du sollst als mein Bote reiten. – Was siehst du mich an, Eggo? Du meinst, ich soll ihn durch einen Eid binden? Laß die heiligen Reliquien in ihrem Schrein, ungeschoren geht er von uns, er soll auch ungeschoren seine Straße ziehen. Solange ich lebe, sah ich hohe Eide schwören und hohe Eide brechen. Ich habe erkannt, daß der ein Tor ist, welcher auf die Treue der Menschen baut. Dennoch habe auch ich jemanden gefunden, der sich mir bewährt hat im Spiel und in der Todesnot. Denn als ich jung war und einst mit meinem Jagdbogen im Waldversteck lag, wo das Wild zur Tränke läuft, da überfielen mich Nachtschächer, blutdürstige Räuber. Ich rief meinen Notschrei, aber nur einer hörte, der damals mein Geselle war, er sprang über die Felsen herzu und schlug ungerüstet wie Simson mit seiner Keule unter die Mörder. Zweien setzte ich den Fuß auf den Hals und durchstach ihnen die Gurgel. Ich trug keinen Hautritz davon, der andere aber einen schweren Hieb in die Schulter. Du selbst kannst die Narbe gesehen haben, Jüngling, wenn du an der Achsel deines Vaters standest, denn er war es, der mich damals vom Tode löste. Und an ihn habe ich gedacht, als ich dich aus dem Kerker holen ließ. – Jetzt aber merke auf, denn ich will deinen leeren Kopf mit allerlei gewichtiger Kunde füllen. Von allen Seiten heben sich die Nacken der Großen gegen unseren König Heinrich. Klein ist die Zahl seiner Getreuen, auch im Kloster leben vielleicht solche, welche den Feinden des Königs Gutes gönnen. Vermagst du zu verstehen, was ich dir sage?«

»Gewiß, Herr,« versetzte Immo eifrig, »außer dem Tutilo sind die Dekane Hunico, Wolferi, Sigibold und vor anderen der Pförtner Walto für den Babenberger, und die anderen Alten haben nicht den Mut, diesen zu widerstehen; doch Heriger hält zu dem König und er ist meines Herrn Abts beste Hilfe. Von den jüngeren aber sind die Thüringe und Sachsen wohl zur Hälfte dem König gutgesinnt.«

Der Abt starrte den Jüngling an. »Weiß die äußere Schule so gut, was in der Klausur vorgeht?«

»Auch zu uns fliegt mancherlei über den Zaun,« fuhr Immo fort, »ich merkte auch, daß vorgestern Graf Ernst, der ruhmvolle Held, heimlich in der Herberge des Klosters lag.«

»Führe ihn zu den Reliquien«, rief schnell der Abt, »und binde ihn durch einen teuren Eid, daß er niemals einem anderen verkünde, was er von Wigberts Geheimnissen erraten hat.«

Eggo führte den Jüngling vor den Schrein und nahm ihm den Schwur ab, während Herr Bernheri noch immer erstaunt dasaß und zuweilen mit dem Kopf schüttelte. Als Immo wieder vor dem Abte stand, begann dieser prüfend: »Du also gedenkst dich an den König zu hängen.«

»Meine Mutter stammt aus einem Geschlecht, welches sich der Verwandtschaft mit den Sachsenkönigen rühmt.«

Der Abt lachte. »Wer König wird, dem wachsen die Vettern wie Hederich im Hafer. Dir aber bleibt ohnedies keine Wahl, seit du so ruchlos den Tutilo gebläut hast. Darum vertraue ich dir diese drei Briefe an«, er hob die Arbeit des Eggo vom Tische. »Mit dem ersten reitest du in deine Heimat, er geht an deine Mutter und spricht von deiner Entlassung wegen der wilden Kriegszeit, damit die Frau meine gute Meinung für dich erkenne.«

Immo ergriff freudig den Brief.

»Dafür sollst du mir in deiner Heimat dienen. Die Seelen der Brüder in Ordorf sind durch die Bosheit eines anderen, der hier im Kloster weilt, vergiftet, aber der Vogt auf der Wassenburg ist mir treu. Diesem trägst du den zweiten Brief, und da er als Kriegsmann des Lesens unkundig ist, wirst du allein ihm den Brief vertraulich vorlesen, damit keiner von den Brüdern die Schrift erblicke. Und was du von ihm und anderen über die Rüstungen in Thüringen erfährst, das sollst du an Bruder Eggo schreiben und durch den Reisigen, welcher dich begleitet, hierher senden. Dann aber rate ich dir, daß du so bald als möglich deine Helmkappe bindest und dich allein oder mit Kriegsleuten, welche dir folgen wollen, über die Berge zum Könige durchschlägst. Du wirst Herrn Heinrich in Regensburg an der Donau finden oder doch in der Gegend. Dort gibst du den dritten Brief an seinen Kanzler Erkambald. Spähe nach den Mienen des Kanzlers und erlausche, soviel du vermagst, über den Kriegszug und die gute Meinung des Königs für mich. Was du erkundest, das schreibe wieder an Bruder Eggo. Setze keine Namen in deine Briefe, aber die Anfangsbuchstaben, damit wir erkennen, wen du meinst. Als Boten gebrauche den Spielmann Wizzelin, welchen du kennst, denn diesen habe ich geworben und in das Lager gesandt. Du selbst aber sei bemüht, dem Kanzler zu gefallen, ich habe ihm auch deinetwegen einige Worte geschrieben.«

Von der Wachskerze fiel eine metallene Kugel, deren Faden durchgebrannt war, in die große Tülle; der eherne Ton klang scharf durch das Zimmer. Aus der Klosterkirche tönte der Gesang der Vigilien. Der Abt erhob sich. »Es ist Zeit, daß dein Fuß aus den geweihten Wänden gleite, sonst möchtest du sie schwerlich verlassen. Es ist auch Zeit, die unheiligen Gedanken abzutun. Ein ungewohnter Dienst ist meiner zuchtlosen Herde dieser Nachtgesang, ich meine die Angst um ihre Missetat hat sie vom Lager gescheucht. Uns allen tut Vergebung not. Auch mir, der ich erhöht bin zum Abte, gebührt jetzt, meiner Nichtigkeit zu gedenken, und wie die Regel befiehlt, tief hinabzusteigen bis zu der siebenten Stufe der Demut, um mit dem bekümmerten Hiob zu sprechen: Ein Wurm bin ich und nicht ein Mensch, scheusälig den Leuten und greulich dem Volke. Ungerecht habe ich mich vor dir, o Jüngling, meiner weltlichen Geburt gerühmt und, was noch jämmerlicher ist, meiner wilden Taten im Walde. Hochmütig bin ich im Grunde meines Herzens und wer über meinen Bauch spottet, hat guten Grund, denn gar wenig lebe ich nach der Regel; oft habe ich gesündigt durch Gebratenes und Buttergebäck, vom gewürzten Wein zu geschweigen; manchmal habe ich voll mein Lager gesucht und wer mich mit einem Weinfaß vergleicht, der spricht nicht unwahr. Vielen Haß nähre ich in meiner Seele gegen manche und andere verachte ich; viel denke ich auch an meinen Schatz von Silber und edlen Steinen, an die wilden Ochsen im Walde und an die Fährten der Hirsche; ein ungetreuer Verwalter bin ich und in Furcht lebe ich vor der Strafe. Denn zu einem Eckstein war ich bestellt, aber ich bin nur gut dazu, daß die anderen ihre unsauberen Sohlen auf mir abstreifen.« Er stöhnte tief und faltete die Hände, während Immo, der sich bei dem Beginn des Nachtgesanges auf die Knie niedergelassen hatte, dem Gottesdienste des Abtes verwundert zuhörte, obwohl er wußte, daß es zu den Geboten des Klosters gehörte, sich selbst zu erniedrigen. Nach vielen Seufzern erhob der Abt das Haupt, als einer, der schwerer Pflicht Genüge getan hat und begann rauh: »Was kauerst du noch, du Heupferd, um zu warten, bis dich die Schnäbel der dunklen Vögel zerhacken, die dort drüben so hastig singen, nicht gleich Heiligen des Herrn, sondern wie Stare in den Weiden des Teiches. Enthebe dich aus meinen Augen.«

»Ich kann nicht gehen ohne den Segen meines Herrn; denn wie ein Vater habt ihr euch gegen mich erwiesen heut und sonst in der Schule.«

Der Abt legte ihm die Hand auf das Haupt, sprach den lateinischen Segen und strich über das lockige Haar. »Sei dankbar gegen mich, soweit du vermagst, obwohl ich fürchte, daß dein Gedächtnis darin kurz sein wird. Mancher, der wie du als ein Springer aus dem Kloster in die Sünden der Welt hineinfuhr, schlich mit grauem Haar unter der schweren Bürde seiner Schuld in das Kloster zurück. Gedenke, daß am Altar eine Heimat aller ist, die müde werden unter ihrer Last.« Er zog einen ledernen Beutel aus seinem Gewande. »Nicht als ein kahler Schüler sollst du Bote reiten, denn unter Kriegsleuten ist der Geldlose verloren. Die Briefe gib nicht von dir, solange du deinen Arm heben kannst, die Feinde abzuwehren. Eine Reiterkleidung und Waffen findest du bei dem Rosse, damit nicht kundbar wird, daß du aus dem Hühnerhofe des Klosters entflogen bist.« Er reichte dem Jüngling die Hand, welche dieser mit nassen Augen küßte. Eggo winkte ungeduldig und führte die Wendeltreppe hinab durch die dämmerige Halle, in welcher die Gewappneten lagen. Lautlos durchschritten sie den Hof; der Mönch öffnete eine Pforte der Mauer, wies auf den schmalen Steg, der über den Graben führte und auf einen Reiter, der jenseit des Grabens ein leeres Roß am Zügel hielt, dann grüßte er mit der Hand und schloß hinter dem Jüngling die Pforte. In großen Sätzen sprang Immo ins Freie, während aus der Klosterkirche feierlich das Ambrosianum erklang.

Als Immo die Rosse erreicht hatte, warf ihm der Reiter die Zügel zu. »Hugbald!« schrie der Jüngling in freudiger Überraschung, da er das ehrliche Gesicht des Dienstmanns erkannte.

»Schweig, Geselle«, murmelte der Reiter, auf die weißen Wolkenstreifen weisend, welche aus dem Nebel der Niederung wallend gegen das Kloster zogen. »Ungern hören die Wasserfrauen den Ruf der Männer, während sie in der Luft schweben. Hier draußen walten andere Geister als innerhalb der Mauern und obgleich hinter uns noch Wigberts Stimme ertönt, werden diese hier einen Dienstmann des Heiligen doch wenig ehren, wenn er ihren Zorn erregt. Harre, bis wir über die Brücken gedrungen sind und die freie Höhe erreicht haben.«

Sie ritten schweigend durch den dichten Nebel die Fulda entlang. Aber Immo konnte sein pochendes Herz nicht bändigen, er drängte sein Roß an das des Alten, ergriff seine Hand und rief: »Mich freut‘s, daß du durch den Wechsel aus der Gefangenschaft gelöst bist.«

 

»Wenig Ehre brachte mir der Tausch,« brummte der Alte, »gegen einen Pferdedieb ausgewechselt zu werden, ist kränkend genug, mich haben sie gar für zwei gerechnet. Doch da jetzt ein Sonnenstrahl auf uns scheint, sollst du dich in einen Kriegsmann wandeln.« Er nestelte einen Bund vom Sattel. »Wirf dir den Reitermantel um«, dann knüpfte er den Eisenhut und das Schwert los und reichte beide dem Jüngling. »Hier nimm auch den Wurfspieß, er ist von den schweren, ich weiß, daß du ihn zu werfen vermagst. Recht wohl steht dir die Stahlkappe und mich reut nicht, Immo, daß ich dich im Walde und auf der Heide meine Singweisen lehrte.«

Immo umschlang vom Rosse den Lehrmeister und küßte ihm den grauen Bart: »Gesegnet seist du, daß du mich zur Reise gewappnet hast«, dann sprengte er in gestrecktem Laufe vorwärts, wirbelte den Speer, und während der Tau von seinen Locken träufelte und über die heißen Wangen lief, jauchzte er dem goldenen Licht des Tages zu.