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Die Ahnen

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»Du hast seine Kraft versucht, und du hast ihn nicht schwach gefunden.« Der Krieger sah auf Gottfried hinüber, der das Roß des Bischofs am Zügel hielt, und sein Antlitz wurde freundlicher. Er überlegte. »Ich erkenne,« sagte er endlich, »daß du wie ein Herr meinen Willen richten willst. Nicht weiß ich, ob es zu meinem Heil ist, wenn ich nach deinem Verlangen tue, und wäre es um meinetwillen, ich täte es nicht. Aber ein Weib sehe ich sitzen mit gerungenen Händen in der Sklaverei.« Er fuhr heftig auf und rief: »Ich gelobe den Knaben zu halten wie einen aus meiner Freundschaft«, und legte seine Hand in die des Bischofes, dann eilte er zu seiner Koppel, gab seinen Männern Befehle und ließ die ledigen Rosse nach dem Hofe zurückführen. Unterdes sprach Winfried leise zu dem Jüngling, faltete die Hände über dem Haupte, und tiefer Schmerz zuckte in seinem Gesicht, als er den Reisesegen über ihn sprach.

»Heran, Jüngling,« rief Ingram, seinen Wurfspeer schwingend, »viel Zeit ward verloren in dem Streit der Worte, laß den Hufschlag klingen zur Reise ins Slawenland.« Prüfend sah er noch einmal auf das Roß und den friedlichen Reiter, ihm gefiel, daß der Jüngling fest im Sattel saß, und er nickte ihm grüßend zu. Laut rief er sein Hara, und Rosse und Reiter stoben abwärts dem Waldweg zu. Winfried sah den Flüchtigen nach und hob die Hände zum Himmel.

In der Hütte stand Memmo lange Zeit vor dem Ledersack, bekreuzte und verneigte sich und trug ihn in eine Ecke, er legte sorgfältig Stroh darüber und setzte sich in tiefen Gedanken davor. Zuweilen schüttelte er den Kopf: »Wer soll die Kirche bauen? er und ich. Und wer soll den Taufstein aus dem Felsen hauen? wieder ich. Viele Hammerschläge werden diese Arme tun, und der Rücken wird sich beugen unter der Last der Balken. Wer aber wird eingehen in den Hof der Täuflinge? Niemand als die Schwalben aus der Luft und die Mäuse vom Felde; bis an einem wilden Tage das Heidenvolk heranspringt und mit seinen Schwertern die Kreuze auf unsere Schädel schlägt. Von heut bin ich ein fremder Gast in meinem Hause; aber es steht geschrieben: eures Bleibens ist nicht hienieden, und der Mensch ist wie Heu.« Da knarrte das Hoftor, und ein rotes Gesicht sah zum Fenster herein. »Alle guten Geister! das ist Frau Godelind. Hinweg, Weib«, rief er heftig, ohne sich von seinem Platze zu bewegen. »Ich kenne dich nicht!«

»Übel seid Ihr verwandelt,« rief das Weib zornig hinein, »welcher Zauber hat Euch den Sinn betört?«

»Hinweg, Godelind!« rief Memmo mit strengem Ton, »wenn dich der Bischof sieht, bist du verloren; du stehst unter dem Kreuz, und er hat Macht über dich.«

»So viel gebe ich auf euren Bischof,« rief Godelind, einen Strohhalm nach dem Priester werfend, »und so viel auf Euch, der Ihr nichts seid als ein Feigling. Ist das mein Lohn für treue Pflege und für alle Dienste, die ich Euch bei Tag und Nacht getan, daß Ihr mich von einem Fremden aus dem Hause weisen laßt?«

»Wenig nutzt es, über Vergangenes zu klagen,« versetzte Memmo aus seiner Tiefe, »ich sage mich los von dir für alle Zukunft. Suche Obdach bei deiner Base und behalte das Slawenmädchen, nur höre, daß du das arme Ding nicht mißhandelst; nimm meinetwegen auch das Ferkel im Stall, es muß dahingehen mit dem anderen, aber schweige und entferne dich, denn ich bin in tiefer Betrachtung, und lästig ist mir dein Geschwätz. Verwandelt hat mich diese Nacht, und mich reut‘s, daß dein Fuß je meine Schwelle betrat.«

»Du feiger Mann,« rief Godelind in hellem Zorn, »manchmal noch soll dich reuen, daß du die Dienerin von dir weisest, und ich will lachen, wenn ich an den Toren denke, der am kalten Herde Wasser vom Bache trinkt und ungekochte Bohnen kaut.« Ihr Gesicht verschwand aus der Öffnung, und gleich nachher erscholl mißtönendes Gequiek aus dem Stalle. »Da führt sie hin,« seufzte Memmo, »was der Schatz meines Hauses war«, und er senkte ergeben das Haupt, bis sich der Stieglitz darauf setzte und von dem kahlen Scheitel fröhlich sein Lied zwitscherte. Memmo hob leise die Hand, der Vogel flatterte herab, und der Mönch küßte ihm seinen roten Kopf.

3. Im Sorbendorf

Auf der Sorbenfahrt hielten die Reiter Abendrast, die Pferde standen im festen Gehege, Ingram und Gottfried lagen unter einem Baum, und Wolfram, der Knecht, bereitete am großen Feuer die Nachtkost. Er trug eine Lederflasche, die einem Schlauch ähnlich war, herzu. »Das Bier ist am Quellwasser gekühlt, wohl möge es euch munden.« Da Gottfried die Flasche dankend von sich wies, sprach Ingram gutherzig: »Als ein wackerer Reisegesell hast du dich seither erwiesen, verschmähe nicht unsere Kost, wenn wir auch nicht von deinem Glauben sind. Denn ich merke, in vielem hadern die Menschen miteinander, aber Speise und Trank ehren sie alle.«

»Zürne nicht, mein Genosse, ungewohnt ist mir der starke Trank und das Fleisch der springenden Tiere. Doch weil es dir lieb ist, will ich dein Mahl teilen«, und er legte seinen Brotkuchen beiseite, aß ein wenig von dem Fleisch und trank von dem Bier.

»Sage mir, wenn es dir nicht lästig dünkt,« fuhr Ingram fort, »bist du auch von denen, welche für unrecht halten, ein Weib zu umhalsen?«

»Es ist so, wie du sagst«, antwortete Gottfried errötend.

»Bei meinem Schwert, wunderliche Bräuche habt ihr«, spottete Ingram. »Zwei Sklavinnen halte ich, und wenn mir‘s gefällt, umschlingen sie mich mit ihren Armen, aber beide gebe ich hin und jedes andere Weib der Erde, wenn ich die Jungfrau gewinne, um derenwillen wir reiten. Gern erfreut sich der Mann seines Lebens; wir anderen sind wie die Vögel, welche lustig singen und ihr Nest bauen, du aber bist wie ein grauer Kauz, der im Baumloch sitzt, und alle Vögel schreien ihn an.«

»Auch meinem Leben fehlt die Freude nicht,« versetzte Gottfried lächelnd, »froh bin ich, daß ich mit dir reise, wenn du mich auch gering achtest; denn ich möchte dir helfen bei einem guten Werke.«

»Was hast du davon, wenn es uns gelingt, die Gefangenen loszukaufen?«

»Ich tue nach dem Gebot Gottes, des allmächtigen Himmelsherrn.«

»Ist dein Herr allmächtig wie du sagst, und gibt er dir Befehl, Gefangene zu lösen, so wundert mich, daß er nicht vielmehr den anderen wehrt, Gefangene fortzutreiben.«

»Frei hat Gott die Menschen geschaffen, damit diese sich selbst ihr Schicksal bereiten. Aber wie du die Perlen übersiehst, welche an eine Schnur gereiht sind, so übersieht der große Gebieter alle Taten, ja auch alle Gedanken jedes Erdgeborenen, und danach schätzt er die Tüchtigkeit des Mannes, ob er ihn in jenem Leben heraufhebt unter seine Bankgenossen, oder ob er ihn hinabstößt in das Totenreich des üblen Drachen. Darum tut dem Menschen not, unablässig zu sorgen, daß er nach dem Gebot seines Gottes tue.«

»Wahrlich,« rief Ingram, »das ist harter Dienst, und wie Knechte lebt ihr im Zwange, ich aber rühme mir den Mann, der den Überirdischen ihre Ehre gibt, aber wo er etwas wagt, vor allem fragt, ob es ihm selbst Ansehen bringe und Vorteil.«

»Ist nicht auch dir eine Ehre, wenn die Frauen deiner Landsleute danken, daß du sie aus den Mühlen der Sorben gelöst hast, und wenn du die unschuldigen Kinder von den Schlägen erledigst, von dem Hunger und von schmachvollem Dienst unter dem schmutzigen Volke?«

Ingram dachte nach. »Es sind die Kinder unserer Nachbarn jenseits der Berge, und manches davon habe ich vielleicht auf dem Arm gehalten, dir aber sind sie fremd. Kein Jahr vergeht, wo nicht in allen Ländern Herden von ihnen zu Markte getrieben werden.«

»Hätte ich Gold und Silber,« rief Gottfried, »alle wollte ich lösen, wäre ich ein großer Held, alle wollte ich retten.«

»Wohl erkenne ich, ihr Christen haltet zueinander wie Nachbarn und Freunde.«

»Mein Vater hat mir geboten, daß wir auch die Heidenfrauen und ihre Kinder zurückführen, wenn es uns gelingt«, versetzte Gottfried.

»Dann werden andere gefangen«, warf Ingram ein.

»Dazu sind wir in die Welt gesandt, daß wir die Gebote verkünden des himmlischen Königs, der so voll Erbarmen ist, daß er jedem Glück und Heil bereiten will auf der Männererde und im Himmel. Wenn erst alle seinen Geboten folgen, dann wird keiner den anderen verhandeln wie ein Kalb oder ein Rind, sondern er wird ihn betrachten so wie geschrieben steht: nach dem Ebenbild Gottes ist der Mensch geschaffen, und aufrecht soll er gehen unter den Tieren, welche mit gebeugtem Haupt die Knechtschaft tragen.«

Ingram schwieg eine Weile. »Alles rote Gold der Zwerge, von dem sie sagen, daß es nicht gemessen werden kann, würde nicht ausreichen zu einer Befreiung aller Gebundenen, und du, der du unkriegerisch bist und von zartem Leibe, willst dich solcher Arbeit unterwinden?«

»Ein Krieger bin ich, du merkst es nur nicht,« versetzte Gottfried, »demütig vor meinem Herrn, aber stärker als du glaubst. Verzeihe mir, Herr, daß ich mich vor ihnen rühme«, setzte er hinzu.

Ingram maß ihn mit den Augen, die zarte Jünglingsgestalt und der milde Ausdruck des begeisterten Antlitzes bewegten ihm das Herz, und er sprach leise: »Viel geheimes Wissen, so meinte auch Bubbo, der Bärenführer, ist euch zuteil geworden. Ich fürchte, ihr möchtet es gebrauchen anderen zum Nutzen oder zum Schaden.«

»Jedermann freundlich sein und niemandem schädlich ist meines Herrn Gebot«, versetzte Gottfried feierlich.

»Einem lichten Gott mag dieser Befehl wohl anstehen«, warf Wolfram ein, der bis dahin am Reh und Bier sein Bestes getan hatte und sich jetzt zufrieden vor das Feuer streckte. »Aber auf der Männererde ist es schwer, mit solcher Lehre durch den Wald zu reisen. Glaube mir, Fremder, auch hierzulande haben wir Übermenschliche, die ganz denselben Sinn haben, den du an deinem Gotte rühmst. Siehst du an der Bergleite den vorhangenden Stein? Dort,« sagte er leise, »wohnt ein Geschlecht von guten Zwergen, freundliche kleine Leute, nie hat man gehört, daß sie jemandem ein Leid getan. Aber wer ihnen bei der Waldfahrt von seinem Reisevorrat hinlegt, der hat Glück auf dem Wege, und schon manchem haben sie zugewinkt und dürre Blätter und Nüsse geboten; diese wurden in seinem Reisesack bei Nacht zu Golde. Ist der, dem du dienst, ein Zwerg, so mag er wohl von den guten sein, denn es gibt auch arge.«

 

»Viel Ungehöriges mischt deine Rede, Wolfram,« versetzte der Mönch, »der Christengott spendet nicht Blätter und Nüsse, und er gibt kein Angebinde, welches das Glück im Hause des Menschen erhält.«

»Dennoch gibt es solchen Schutz auf Erden,« sagte Ingram, »ich kenne einen Mann, dem eine Gabe für sein Geschlecht verliehen wurde von den Schicksalsfrauen; ich kenne die Stelle, wo sie verborgen liegt, und ich weiß, daß sie ihren Segen bewährt hat durch viele Geschlechter.«

»O traue nicht auf den Zauber«, mahnte Gottfried eifrig. »Täuschend ist jede Gabe des Unholden. Hochmütig macht sie den Mann und maßlos, bis der Tag kommt, wo sein Hoffen sich ganz eitel erweist, und der Herr ihn demütigt in seinem Stolz.«

Ingram lächelte. »Jeder berge, was ihn mutig macht, in stillem Herzen. Beide wollen wir als gute Gefährten nicht forschen, wo der andere seinen Schatz bewahrt. – Der Tau fällt früh, und morgen reiten wir auf wilden Wegen, nimm hier die Decke und verhülle die Glieder, daß sie dir nicht steif werden in der Nachtluft der Berge. Wecke mich, Wolfram, nach Mitternacht.«

Am nächsten Nachmittag sahen die Reiter baumloses Land vor sich. Die Stämme waren erst vor kurzem gefällt und an dem Rand des Waldes als Verhau geschichtet, denn noch standen die Stümpfe auf grünem Boden, jeder von jungem Aufschuß und wilden Stauden umgeben, und überall auf dem Grunde erhoben sich die niedrigen Büsche. Als die Reisenden einer nach dem anderen durch eine schmale Lücke des Verhaues gedrungen waren, erkannten sie vor sich mehrere Reiter, welche zuerst das Lärmzeichen anbrannten, daß eine hohe Rauchwolke emporstieg, und dann von niedriger Anhöhe schreiend und die Waffen schwenkend auf sie zukamen, Männer in langem Graurock von Hanf gewebt und mit Pelz besetzt, obgleich es Sommerzeit war, eine dicke Pelzkappe auf dem Haupt, mit Keule und Hornbogen bewaffnet; kleine, behende Leiber, breite Gesichter mit großen Schnauzbärten und braunem schlichten Haar, wild drohten und riefen sie. Wolfram ritt vor und gab in ihrer Sprache Bescheid. »Aus Thüringen sind wir, in Frieden kommen wir, Ingram der Held und ich sein Mann, und der dritte ist Gottfried, ein Bote des Herrn Winfried.«

Die Reiter fuhren untereinander und redeten mit heftigen Gebärden, bis einer, der einen Bund Adlerfedern an der Pelzmütze trug – es war Slavnik, die Nachtigall genannt, weil er bei den Trinkgelagen des Ratiz vorsang —, zu Ingram ritt und diesen in der Sorbensprache höflich begrüßte. Als der Thüring ihm in derselben Weise auf den Gruß antwortete, neigte der Sorbe sich noch freundlicher und redete so hoch und weich wie ein Mädchen; was der Knecht erklärte: er freue sich sehr, aber die Reisenden müßten auf ihr Geleit warten nach Grenzbrauch. So hielten sie und die Sorben schlossen hinter ihnen den Verhau.

»Gleich den Kindern sind sie,« rief Ingram, »und wie ein Kinderspiel ist ihr Wall, leicht setzt ein Roß darüber.« Aber der Sorbe hatte ihn doch verstanden und antwortete in deutscher Sprache, nur ungelenk: »Ich aber weiß einen Tag, wo der Rabe aus dem Land der Thüringe nicht über den Zaun flog, den das Eisen der Sorben um ihn schloß.«

»Du hast recht,« antwortete Ingram lachend, »ich fiel in den Zaun und die Dornen ritzten den Leib.« Und beide Männer grüßten einander mit der Hand. So harrten die Reisenden wohl eine Stunde, da kam es von der Höhe wie eine dunkle Wolke, ein größerer Hauf Reiter wirbelte durcheinander, kleine und feurige Rosse, auf denen die Krieger mit hohem Knie saßen. Von allen Seiten drehten sie sich um die Fremden, die Nachtigall gab ein Zeichen, und vorwärts ging es auf dem kurzen Rasen in hellem Haufen, die Fremden in der Mitte. Vor ihnen breitete sich ein weites Tal, mit einzelnen alten Bäumen besetzt, unter denen die Sorbenkrieger und ihre Pferde im Sommer den Schatten suchten; im Tale war ein Ringwall aus Erde und Rasen errichtet, darin das runde Dorf mit Strohhütten, deren Dächer fast an die Erde reichten, wie das Lager eines Heerhaufens lag es da. Ganz in der Mitte des Dorfes erhob sich ein rundlicher Hügel, wieder mit einem Ringwall bekrönt, welcher die Halle des Ratiz und die Hütten seines Hofes umschloß. Auf langer Stange ragte sein Banner und wehte den Fremden zu. Mit heißen Wangen rief Ingram zu Gottfried: »Bei meinem Haupt, wenn ich nicht unversehrt hinausführe die, welche wir suchen, so will ich nicht rasten und ruhen, bis ich brennendes Werg an meinem Pfeil sehe und bis der Pfeil haftet an diesem Mausenest.«

»Zürne nicht in dieser Stunde, mein Reisegesell, sondern flehe, daß der Herr uns gnädig sei.«

Das Dorftor wurde geöffnet, die Reiter stoben durch die Lagergasse und über den runden Platz am Fuß des Hügels. Dort kauerte am Dorfteich ein Haufe halbnackter Weiber und Kinder, bleich die Gesichter und verworren das Haar. Ingram spornte sein Roß und fuhr aus dem Trupp auf das Wasser zu, aber die Sorbenreiter verlegten ihm mit zorniger Miene den Weg und faßten die Waffen.

»Bedenke, Herr, wer die Ware ergreift, bevor er sie gekauft, zahlt teuren Preis«, warnte Wolfram leise. Und weiter ging es in schnellem Roßlauf den Hügel hinan. Wieder wurde der Balken eines Tors zurückgeschoben, die Rosse stampften in dem weiten Hofraum, die Fremden wurden zur Halle vor das Angesicht des Ratiz geführt.

Inmitten seiner Vertrauten saß der Slawe auf einem Stuhl mit hoher Lehne und Seitenarmen wie ein Fürst, auf Schemeln um ihn her am Tisch die Führer seiner Haufen, wilde Gesichter darunter mit großen Narben. Der Häuptling war ein starker Krieger, vierschrötig und mit kurzem Hals saß er da, in dem breiten Gesicht standen die Augen schräg, dünn und grannig war der Bart. Die Fremden neigten sich, Ratiz aber blieb mit seinem Gefolge sitzen und bewegte unmerklich das Haupt.

»Frage einer den Kater,« rief Ingram zornig, »ob es Brauch seines Stammes ist, Fremde so zu begrüßen.«

Der Sorbe winkte einem Mann mit langem weißem Bart, der in der Reihe saß, dieser trat an die Fremden und begann in deutscher Sprache: »Mein Herr, Ratiz, grüßt die machtvollen Herren, und er tut ihnen diese Frage. Ihm ist berichtet, daß einer von ihnen weit herkommt aus dem Lande, wo der große Herr der Franken auf dem Goldstuhl sitzt; ist einer aus diesem Lande gesendet, der nenne sich.« Der Mönch antwortete: »Ich bin es, Gottfried, der Bote Winfrieds, des Bischofs.«

Befremdet sahen die Slawen auf den Jüngling in schmucklosem Gewande; mit gefurchter Stirn redete Ratiz zu seinem Sprecher, und dieser erklärte: »Meinem Herrn deucht, wenig Achtung bezeigen ihm die Gewaltigen der Franken, daß sie ihm einen Boten senden, der so jung ist und in so ärmlichem Kleide wandelt.«

»Ich bin ein Christ und dem großen Gott des Himmels verlobt, Sünde ist mir ein anderes Gewand an meinem Leibe zu tragen als dies härene Kleid. Ich komme, obgleich ich jung bin, weil mein Herr mir vertraut.«

Wieder sprach der Slawe heftig zu einem seiner Genossen, dieser verschwand aus dem Saal. »Mein Herr fragt dich,« fuhr der Sprecher fort, »ob du einer von den Weisen bist, welche das Geheimnis besitzen, von Tierhaut die Gedanken der Männer zu erkennen, und ob du von denen bist, welche die fremde Sprache verstehen, die sie Latein nennen.«

»So ist es«, erwiderte Gottfried.

Auf die Deutung des Sprechers wich der Groll in dem Gesicht des Sorben einem großen Erstaunen. Der Bote kam zurück und brachte ein zerdrücktes und gebräuntes Pergament. »Meinem Herrn Ratiz wird es schwer zu glauben, daß ein Jüngling wie du so großer Dinge mächtig sei, er wünscht, daß du ihm eine Probe ablegst von deiner Kunst und den Männern die Gedanken verkündest, welche für den Kundigen auf dieser Haut zu erkennen sind.« Gottfried entfaltete das Pergament. »Zuerst sage uns, warum uns undeutlich ist, was darauf verzeichnet ist.«

»Es ist Latein,« versetzte Gottfried, »und man muß es lesen können.«

Ratiz schlug mit der Hand auf den Tisch und nickte zur Bestätigung stark mit dem Haupte. »Du hast das Richtige gesagt,« wiederholte der Mann, »wenn es dir gefällt, so verkünde uns das Latein.«

Gottfried überblickte das Blatt, es war die zerrissene Urkunde eines alten Frankenkönigs, welche die Slawen vielleicht bei einer Plünderung geraubt hatten. Der Mönch begann: »In nomine domini, sanctae et individuae trinitatis. amen.« Indem er sich bei den heiligen Worten verneigte, schlug Ratiz wieder auf den Tisch und sprach feierlich zu seinen Genossen, worauf der Alte erklärte: »Mein Herr ist zufrieden, daß du ihm bestätigt, was er schon weiß; es ist der Brief, den der große Herr der Franken an meinen Herrn geschrieben hat, ein Fürst dem anderen, daß er mißbillige und abtun wolle die Ungerechtigkeiten seiner Grenzgrafen und daß dein Herr meinem Herrn Freundschaft anbiete. Wir wußten, daß dies darin steht, und deshalb freuen wir uns deiner Worte.« So prahlte der schlaue Räuber, um seine Gesellen zu täuschen. Bevor Gottfried sich von seinem Staunen erholte, hob sich Ratiz, trat auf ihn zu, strich ihm an beide Wangen, als ob er ihn küßte, und forderte die Diener auf, einen Stuhl neben den seinen zu rücken, damit der Mönch sitze. »Dich grüßt mein Herr als den Gesandten deines Herrn und er bittet, daß du ihm die Botschaft von dem großen Herrn der Franken verkündest.«

»Wenig habe ich zu sagen im Auftrage meines Herrn Winfried, des Bischofs, und dies Wenige ist vielleicht nur für das Ohr des Herrn Ratiz«, versetzte der Mönch vorsichtig.

»Weise sprichst du, Herr Gottfried, Heimliches der Herren ist nicht für jedermanns Ohr; geruhe zu harren, bis die Zeit kommt.«

Da der Alte dem Mönch einen Stuhl bot, trat Ingram an den Tisch, hob einen leeren Schemel, stellte ihn dröhnend auf den Boden nahe zu Ratiz und setzte sich ebenfalls. Schweigend ertrugen die Sorben diesen Eigenwillen, jetzt aber wandte sich Ratiz zu ihm und der Sprecher erklärte die stolzen Worte: »Mich wundert‘s, Ingraban, daß du kommst, dich an meinem Tische zu lagern, ungeladen und unbefreundet in meinem Volke. Tut dir ein Sessel not, weil die Wunden dich schmerzen, welche dir das Messer meiner Krieger gehauen hat?«

»Geheilt sind die Ritze und niemand spricht mehr davon«, versetzte Ingram. »Die Leute rühmen nicht den Wirt, der den Fremdling zwingt, sich selbst den Schemel zu tragen.«

»Lange warst du Feind meinem Volke, niemand weiß, was dich in unsere Halle führt, denn kein Herdenvieh treibst du, wie ich höre, welches die Sorben deinem Volke als Zahlung auferlegt haben.«

»Vergebens mühst du dich, mich durch Worte zu kränken. Friede ist beschworen zwischen den Thüringen und deinem Volk, und friedlich komme ich, wie der Händler kommt zu Kauf und Tausch der Gefangenen, die du auf deinem letzten Zuge hergetrieben hast.«

»Sendet dich der Mann, den sie Winfried, den Bischof nennen, und hast du dein Haupt in der Not gebeugt unter das Spiel ihrer Finger, wenn sie ein Kreuz machen?«

»Ich habe dem Glauben meiner Väter nicht abgesagt, als Reisegenosse führte ich den Mann des fremden Bischofs zu dir.«

Der Sorbe winkte seinen Gesellen, allen lag am Herzen, den Handel bald zu schließen, am liebsten durch Auslösung in das Frankenland; denn war der Raub zurückgekauft, dann hatten sie weniger um Haß und Rache der Franken zu sorgen. »Meinen Kriegern ist es nicht eilig, den Gewinn ihrer Jagd zu verkaufen, gefüllt ist das Lager mit Korn und Herdenvieh aus den Frankendörfern und leicht vermögen wir die Gefangenen zu nähren, bis die Händler aus dem Süden kommen.« Und zu Gottfried gewendet fuhr er fort: »Will der Bischof sich eine Gemeinde kaufen aus den Herden der Weiber und Kinder?«

»Mein Vater erbittet von dir als Gunst, daß du mir gestattest, die Gefangenen zu sehen und die zu begrüßen, welche unseres Glaubens sind.«

»Führt ihr mit euch, was Gefangene löst? Gering ist, so scheint es, euer Reisegepäck.«

»Wir denken dir zu bieten, was Gefangene erledigt nach Brauch der Grenze«, versetzte Ingram. »Doch wer kauft, will vorher die Ware schauen, zeige uns, wenn es dir gefällt, die gefangene Schar.«

Der Sorbe überlegte und sprach mit seinen Tischgesellen. Er wandte sich zu Gottfried: »Gern will ich deinem Herrn ein Zeichen geben, daß mir seine Botschaft wert ist. Ihr sollt Freiheit haben, die Gefangenen zu sehen. Geht, Fremdlinge, mein Alter wird euch begleiten.« Die Boten verneigten sich und verließen den Saal, sie hörten hinter sich Lärm und Gelächter der Bankgesellen.

Vor der Tür wurde der Weißbart vertraulich, wie einer, der harten Zwanges entledigt ist, er nahm die Pelzmütze ab, verneigte sich tief und sprach überredend: »Wo die Raben jagen, findet auch die Krähe ihr Teil. Wenn es den Herren gelingt, Gefangene zu entledigen, so vertraue ich, sie werden auch dem Väterchen eine Spende reichen, denn mühselig ist mein Amt, in zwei Sprachen zu reden und gute Dienste vermag ich euch noch zu tun.« Gottfried sah unsicher auf seinen Begleiter. »So ist ihr Brauch«, sagte dieser. Er löste von seiner Jacke die silberne Spange, den einzigen Schmuck, den er trug. »Nimm dies, Vater, als Zeichen guten Willens. Und wenn Bubbo, der Bärenhändler, das nächste Mal euch aufsucht, dann sende ich dir ein Stück rotes Tuch aus dem Westland.« Der Alte hielt demütig die Hand hin. »Will Herr Ingram mir dies beteuern?« Und als Ingram zwei Finger auf den Knauf seines Schwertes legte: »Ich schwöre dir‘s«, lachte der Alte zufrieden: »Euer Wort, Herr, gilt an der Grenze wie Ware.« Sie schritten über den Hof; am Torhause rief der Alte einige lungernde Krieger an, welche sogleich herzusprangen und den Fremden auf dem Fuße folgten; aber der Alte, um seinen Diensteifer zu beweisen, trieb sie befehlend mehrere Schritte zurück.

 

Vom Hügel stiegen sie hinab auf den Dorfplatz, dort stand am Teiche ein langes Haus wie eine Scheuer, der Beratungssaal der Gemeinde. Der Alte öffnete das niedrige Tor, und Ingram sprang voraus in den dämmrigen Raum. »Walburg!« rief er. Aus einer Ecke klangen zwei klägliche Stimmen: »Hier!« Überall rührte sich‘s auf dem Heu, womit der Boden belegt war. Zwei blonde Knaben umschlangen die Füße Ingrams und schluchzten laut. »Wo ist die Schwester?« fragte Ingram mit hohler Stimme. »Sie ist zum Ratiz hinweggeführt auf den Berg.« Die Zähne des Mannes knarrten wie eine Raspel, seine Faust ballte sich, und gleich darauf warf er sich neben den Kindern auf die Knie, umschlang sie und heiße Tränen rollten auf die kraushaarigen Köpfe der Weinenden. In der Mitte des Raumes aber tönten die feierlichen Worte: »Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, spricht der Herr.« Durch die geöffnete Tür fielen die Lichtstrahlen auf das milde Antlitz des Jünglings, welches in Mitgefühl und Begeisterung wie das eines Engels strahlte.

Die Frauen und Kinder, welche unter dem Kreuzeszeichen lebten, drängten sich um ihn, manche fielen jammernd vor seine Füße auf das Angesicht, andere hoben die kleinen Kinder in die Höhe, daß er sie segne. Auch die Heidenfrauen hörten seine Worte mit gesenktem Haupt und falteten die Hände. Er aber sprach die heiligen Worte der Verkündigung und betete mit lauter Stimme, es ward still im Raum und man hörte daneben nur Seufzen der Frauen und leises Weinen der Kinder. Dann trat er grüßend zu den einzelnen, segnete jede Mutter mit dem Christensegen und sprach ihr leise die Bitten vor, welche ihr zumeist am Herzen lagen. Bis der Alte kam und mit abgezogener Mütze dringend bat: »Gefällt dir‘s, Herr, so folge mir, damit Herr Ratiz uns nicht zürne.« Gottfried trat zu Ingram und rührte ihm leise die Schulter. »Wo ist das Weib, welches du suchst?«

»In den Hütten des Räubers«, war die klanglose Antwort.

»So laß uns gehen, daß auch ihr der Gruß meines Gottes werde.«

Mit Anstrengung erhob sich Ingram und schüttelte die weinenden Knaben ab. Gottfried führte diese zu einem Christenweib, das allein kniete, und sagte ihr: »Was du ihnen tust, tust du dem Herrn, sorge für ihr Wohl.« Als er sich aber zum Ausgang wandte, drängte sich der verzweifelte Haufe um ihn, sie streckten die Arme nach ihm aus, faßten krampfhaft sein Kleid und wollten ihn festhalten. Und es half wenig, daß der Alte die Armen anherrschte und durch die Peitsche zurücktrieb.

Mit schnellem Schritt eilten die Männer den Hügel hinauf. »Ich muß das Christenmädchen im Hofe des Ratiz sprechen«, begann Gottfried, und da der Alte das Haupt schüttelte: »Hindere mich nicht, Vater, mir ist‘s befohlen.«

»Ich wage den Zorn meines Herrn«, wandte der weißbärtige Sorbe ein. »Ich will deinen Lohn verdoppeln«, rief Ingram rauh. »Meinst du, wir werden dir das Weib aus der Hütte stehlen?« Der Alte lächelte und nickte und führte sie den Rand des Hügels entlang, wo im Schutze des Walles eine Anzahl niedriger Strohhäuser stand. »Zwanzig Frauen hat Herr Ratiz und bei einer haust das fremde Weib, wohl möglich, daß er ihr in kurzem eine neue Hütte baut, wenn sie ihm nicht verleidet wird.« Ingram stieß die Tür auf, aber sein Fuß zauderte einzutreten. »Geh voran«, raunte er dem Mönch zu. Aber aus dem Gemach rief eine tiefe Frauenstimme: »Ingram«, ein junges Weib schritt bei dem Priester vorbei und faßte den Zögernden bei der Hand. »Mir ahnte, daß ich dich noch sehen würde, denn treu war dein Herz unserem Hofe.« Und als sie seinen starren Blick sah und den Schmerz in seinem Gesicht, rief sie: »Du Tor, würde ich sonst mit dir reden?« Da wollte er sie in die Arme schließen, sie aber entwand sich ihm. »Hättest du neben dem Vater gestanden, die Weide hätte uns nicht geschnürt. Auch jetzt sehe ich dich anders vor mir als ich dachte. Wo sind die Speere der Landgenossen, welche sich die Weiber und Kinder ihrer Freundschaft zurückfordern? Nicht mich meine ich, denn ich fürchte, meine Tage sind gezählt, aber die Brüder meine ich, den Haufen der Weinenden, die auf dem Stroh harren, bis der Sklavenhändler sie in die Fremde treibt.«

»Mit diesem komme ich, um wegen der Lösung zu handeln«, antwortete Ingram auf den Mönch deutend.

Erstaunt sah das Weib in das fremde Jünglingsgesicht, und als Gottfried die Hand erhob, das heilige Zeichen zu machen, da beugte sie sich langsam nieder, bis sie auf dem Boden kniete, und sprach das Bekenntnis des Christenglaubens. »Segne mich, heiliger Mann, und bitte für mich. Ja, bitte für mich!« rief sie mit plötzlichem Ausbruch bitteren Schmerzes, »daß ich Erbarmen finde, wenn ich tue, was dem Herrn mißfällt. Gebetet habe ich und mich bereitet, wie meine Mutter mich‘s gelehrt.«

Gottfried segnete sie. »Ich allein bin der Richter, spricht der Herr, und alle Rache ist mein«, mahnte er leise. Sie erhob sich stumm und wandte sich wieder zu Ingram: »Selten verläßt mich die Hüterin, schon zankt sie draußen mit dem Weißbart. Lebe wohl, Ingram, beide hoffen wir auf die Lösung durch dich oder mich. Ein ehrlicher Freund warst du, denke künftig mein und wisse, daß ich dir zuweilen verhehlt habe, wenn ich dich lieber kommen als gehen sah. Willst du mir noch einen Freundesdienst tun? Mühselig ist es, Herdholz zu spalten, wenn das Messer fehlt, die Weiber hier haben mir alles genommen. Sie sagen, der Freund soll dem Freunde nichts schenken, was schneidet. Du aber schenke mir, wenn du willst.«

Ingram riß sein Messer vom Gürtel, sie barg es in ihrem Kleide und küßte ihn auf die Stirn, wie man ein geliebtes Kind beim Abschiede küßt. Er sprang hinaus, wo der Mönch seiner wartete, stieß an die Frau des Ratiz, die er nicht sah, und hörte die Schmähungen nicht, die sie hinter ihm herrief. Es war ihm jetzt alle Rede der Menschen wie Gezwitscher der Vögel.

Während sie der Halle in der Mitte des Hofes zuschritten, berührte ihm Gottfried den Arm: »Du bist außer dir und hörst nicht meine Worte, und doch tut es not, daß wir uns zum Kauf rüsten. Denke daran, wie wir die Lösung bieten.«

»Bei meinem Haupt,« rief Ingram, »jede Lösung ist mir verhaßt außer einer, daß ich mit dem Räuber kämpfe, Eisen gegen Eisen.«

»Doch zu freundlichem Loskauf bewahre ich dir noch den Becher.«

»Besser wird der Zauber des Christengottes in deiner Hand wirken als in meiner,« versetzte Ingram finster, »denn mir scheint, er öffnet dir die Herzen, daß sie alle dich mehr ehren als einen Krieger.«

Sie traten in die Halle, ungeduldig rief ihnen Ratiz entgegen: »Euch war mühsam, die Gefangenen zu zählen, lästig ist der Iltis im Hühnerhofe, jetzt gilt es zu kaufen, wenn ihr in Wahrheit als Händler kommt und nicht als Späher.«