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Die Ahnen

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»Dort mahnt Frau Gisela unser Volk an den verwüsteten Quell«, rief Berthar. Rund um den Berg sprangen einzelne Bogenschützen aufwärts und schossen Brandpfeile gegen das Bollwerk, sorglich bemüht, durch behende Bewegung die geworfenen Steine zu vermeiden. Hier und da leckte die Flamme an den Balken und Pfählen, die Belagerten schlugen mit Stangen gegen die Pfeile und zerwarfen die Flammen, aber immer häufiger lohten die Brände; wild klang das Geschrei der Warnenden, die Kinder heulten, die Rosse bäumten, wenn ein Brandpfeil unter sie flog, zerrissen die Halfter und fuhren rasend durch die gedrängte Menge. Da wurde die Arbeit peinvoll, und manchem der Verteidiger sank Hoffnung und Mut.

Mit kleinem Gefolge nahte in gestrecktem Lauf ein Reiter den Scharen der Königin. Ihn und seine Begleiter empfing lauter Zuruf aus dem Haufen des Theodulf. Herr Answald stieg vom Pferde: »Täuschende Botschaft lud mich zu deinem Hofe, Königin, während du hier Rache übst in meiner Sache.«

»Ungeladen kommst du und unwillkommen,« versetzte die Königin, »meine nicht, dich zwischen mich und die Rache zu stellen, den unerbetenen Mittler treffen die Pfeile von zwei Seiten. Das Schicksal jener wendet kein Sterblicher, wenn nicht sie selbst es vermögen.«

»Will die Königin herrschen über das Volk der Thüringe, so wird sie den Brauch des Landes ehren. Weiber sehe ich dort und Kinder von unserem Blut, greulich ist es, Speer und Brandpfeil gegen die Wehrlosen des eigenen Volkes zu schleudern. Wer ein freier Thüring ist und sich Sieg begehrt in ehrlichem Kampfe, der helfe mir die Schmach wenden. Fleht mit mir zur Königin, daß sie meide, was uns alle ruchlos macht in dem Gedächtnis der Menschen.«

»Gut spricht der Fürst«, rief ein alter Kriegsmann, und die Thüringe schlugen die Speere zusammen: »Heil dem Herrn Answald!« Finster sah die Königin über den Haufen, aber sie schwieg.

»Höre mich, Herrin,« schrie der Häuptling, entsetzt durch ihr hartes Antlitz, »mein eigenes Kind, das ich einst dem Theodulf verlobte, steht unter den Brandpfeilen, und gleich ihr andere Frauen aus den Waldlauben. Gegen mein Kind steht mir allein die Strafe zu, und niemand, auch du nicht, soll sie mir über dem Haupte wegnehmen.« Er sprang in den Weg vor den Haufen. »Hier stehe ich, Answald, ein Fürst der Thüringe. Manches Mal habe ich eure Heerscharen in den Kampf geführt. Bevor ihr wagt, die Unkriegerischen zu schlachten, die dort im Ring die Arme heben, sollt ihr erst mich töten, damit ich die Schande nicht überlebe.« Wieder erscholl lauter Zuruf der Krieger.

»Zu mir, ihr Königsknaben«, rief Frau Gisela, sich hoch aufrichtend. Aber auch Theodulf und Sintram drängten ihre Rosse an das der Königin und sprachen leise zu ihr. – »Wärst du nicht außer dir, alter Mann,« begann die Königin endlich, und ihre Stimme bebte im Zorn, »so würde ich dich strafen, weil du tollkühn diese zum Ungehorsam aufrufst. Wenig liegt mir am Herzen, Blut der Bauern zu vergießen, wenn sie auch eigenmächtig außerhalb der Mark sich gelagert haben. Laß das Horn ertönen, Theodulf, und schrei in den Ring. Die Landleute sollen freie Ausfahrt haben, nicht nur die Weiber und Kinder, sondern auch die Männer, und waffenlos aus dem Wall ziehen, ohne Schaden an Leib und Gut, durch Gnade der Königin.« Wieder klang aus den Haufen frohes Beifallsgeschrei. In langgezogenen Tönen mahnte das Horn, vom Streite abzustehen. Theodulf trat bis in Wurfweite vom Tor und schrie mit mächtiger Stimme die Gnade der Königin in die Burg.

Drinnen erhob sich ungestüme Bewegung. Das Tor blieb verschlossen, aber am Walle und an den Schanzpfählen rissen wilde Gestalten in Verzweiflung, sie warfen Pfähle und Balken nach der Tiefe und rollten dem Holzwerk nach. Ein flüchtiger Haufe quoll hier und da aus der Verschanzung, mit Weibern und Kindern in angstvollem Gedränge die Rosse und Rinder. Auch einzelne Männer sprangen herab, denen die Schwurhand noch vom Opferblute rot war, durch die Not gescheucht und ermüdet vom hoffnungslosen Kampf. Doch die Mehrzahl der Bauern stand auf der Höhe zusammengedrängt, die Schilde am Fuß, unsicher schauten sie den Frauen nach und dem herabstürzenden Herdenvieh. Nur der Eid hielt sie und die Scham.

Da trat Ingo zu ihnen und rief mit lauter Stimme: »Freiwillig seid ihr gekommen, frei mögt ihr auch gehen, da eure Landgenossen euch rufen. Quere Blicke und widerwilligen Dienst begehre ich nicht. Wenig Ehre bringt mir der Krieger, der sich nach Weib und Kind sehnt während des Kampfes. Willig löse ich euch von eurem Eide; gedenkt, wenn ihr wollt, der eigenen Rettung.«

Da legten mehre still die Schilde an das Bollwerk und sprangen abwärts, ohne sich umzusehen. Berthar aber rief in den Haufen der Bleibenden: »Nicht durch einen Wurf fällt auf der Tenne die Spreu aus dem Weizen. Noch manchen sehe ich, den der Wind über den Zaun wegblasen mag. Versucht es noch einmal, ihr stolzen Gesellen. Gern entbehren wir die Genossenschaft der Waldleute.«

Wieder fielen Schilde zum Boden, und die Träger entschwanden mit finsteren Mienen.

»Was weilt mein König, ihren Jammer zu schauen? Besser schwingen sie sich, wenn die Scham ihnen nicht die Beine klemmt. Euer ist die Wahl; der eine Weg führt aufwärts zum Saal des Königs, der andere talab zu eurem Dung.« Er folgte seinem Herrn, der zur Halle eilte. Die Zurückgebliebenen standen noch einige Augenblicke beisammen; da sie sich allein sahen, schwand ihnen der Kriegerzorn. Nur wenige eilten dem Könige nach, die anderen suchten waffenlos das Freie. Unter den letzten, welche den Ring verließen, waren Baldhard und Bruno.

Aus der Tiefe sprangen die Haufen der Königin jauchzend empor. Die den Ausgang suchten, hatten ihnen den Zugang geebnet; die Anstürmenden zerhieben die Sperren des Tores, ihr Schwarm drang heftig gegen den offenen Raum vor dem Saale. Aber schnell wichen sie zurück; denn aus der Schleuder, die Berthar auf die Treppe des Eingangs gestellt hatte, flogen die spitzen Baumpfeile in ihre Reihen. Sie suchten Schutz längs dem Bollwerk, und wieder flogen Speere hin und wieder, und aus der Tiefe fuhren die Brandpfeile gegen das Dach.

Längs dem Dachbalken der Halle wirbelte weißer Rauch und durch den Dampf klang der Ruf: »Wasser herauf!« Auf der Leiter klomm ein Mann und rief von der Höhe: »Es knistert im Dach, die Rindshaut schwelt; ein Burgunderpfeil trieb das Feuer an den Vorsprung des Daches, es glimmt und flackert, geleert sind die Eimer.«

»An unserem Brunnen kühlt sich die Königin,« rief Berthar hinauf, »fehlt dir Wasser, so gieße dem Feuer unser Bier auf die Zungen.« Ein Windstoß fuhr heulend über das Dach und trieb eine Rauchwolke und feurige Lohe in die Höhe. Ein Jubelschrei der Feinde folgte dem Windstoß, die Flamme brach züngelnd hier und da durch die deckenden Häute. »Komm herab, Wolf,« rief Berthar dem Helden in der Höhe zu, der mit versengtem Haar und schwarzen Händen sich mühsam an der Leiter festhielt, »dir selbst rinnt aus dem Leibe der Quell, rot trieft‘s von der Leiter.«

»Es war nicht genug, das Feuer zu löschen«, antwortete Wolf; er fuhr herab, schüttelte seine blutende Hand und griff nach Schild und Speer.

»Öffnet die Türen, ihr Blutgenossen,« befahl Berthar, »damit der Luftzug unserer Herrin den Rauch vertreibe. Soll der König allein die Schildwacht halten? Werft die Speere rings um den Bau; soweit sie fliegen, reicht jetzt das Königreich der Vandalen.«

Ingo stand auf der Treppe des Saals, vom Schilde gedeckt, über ihm fuhren dicke Rauchwolken vom Wettersturm getrieben an die Scharen der Feinde und umhüllten ihnen Rüstung und Gesicht.

»Geöffnet ist die Halle,« rief Ingo den Starrenden entgegen, »mit dem Willkomm harrt der Wirt. Was säumen die verzagten Gäste?«

Aus dem Rauch sprang ihm eine Gestalt entgegen, ein schildloser Mann, und eine Stimme rief: »Irmgard, mein Kind! Der Vater ruft, rette dich, Unselige!«

Irmgard hörte in der Halle den Schrei, wild fuhr sie auf und legte den Sohn in Fridas Arm. Und wieder rief‘s von draußen schriller und angstvoller: »Irmgard! verlorenes Kind!«

Ingo setzte den Schild zu Boden und sah über die Achsel zurück: »Der Habicht schreit nach seinem Nestling, gehorche dem Ruf, Fürstin der Thüringe.«

Bei dem Gemahl vorüber stürzte das Weib dem Vater zwischen den feindlichen Speeren entgegen. Aus den Haufen der Thüringe brach ein Freudenschrei und Heilruf. Sie umschlang den Vater und rief: »Wohl mir, mein Auge schaut dich und an deiner Brust hältst du mich.«

Dem Helden Answald bebte das Herz und er zog sie mit sich. »Die Mutter wartet, liebes Kind.«

»Segne mich,« rief Irmgard, »heiß ist das Gemach, wo ein armes Kind nach der Mutter schreit, segne mich, Vater«, rief sie, ihn krampfhaft festhaltend.

Der Fürst legte den Arm um ihr Haupt, sie beugte sich tief vor seine Knie, dann erhob sie sich schnell, trat zurück und die Hand gegen ihn ausstreckend, rief sie: »Grüße die Mutter!« und wandte sich mit starkem Schwunge rückwärts nach dem brennenden Hause. Ingo hatte unbewegt gestanden, den scharfen Blick gegen die Feinde gerichtet. Als sein Weib aber zu ihm in die Todesnot zurückkehrte, trat er ihr entgegen und breitete die Arme, sie zu umschließen. Da schwirrte der Eschenspeer aus Theodulfs Faust und traf den König von der Seite unter den Arm. Still sank Ingo nach der Halle zurück aus den Händen der Gemahlin. Berthar sprang vor und deckte mit dem Schild den Wunden, den seine Mannen seufzend auf die erhöhte Herrenbank trugen. Vor ihm kniete Irmgard, aber Berthar rief in den Raum: »Laßt Weiber trauern um des Königs Wunde; schnell heran, ihr Gesellen, dem König zu folgen auf seinem Pfad. Vier sind der Tore in des Königs Halle, aus jedem führt der Weg nach dem Himmelssaal. Sorgt, daß ihr rächt die Königswunde. Walbrand, der letzte warst du an des Herrn Bank, dafür springst du heut als erster, und der letzte sei ich.«

Die Vandalen sprangen an die Tore, von da die Stufen hinab, einer nach dem anderen, wie der Alte sie rief. Und von neuem erhob sich um das Haus Kampfgetöse und Getümmel. Wilder fuhr der Sturmwind über das lodernde Dach, hoch oben rollte der Donner, das Dach der Halle krachte, Asche und brennende Schindeln fielen herab. Frida setzte betäubt das Kind auf das Lager des Königs.

 

»Der Knabe lacht«, rief Irmgard und warf sich schluchzend über das Kind, welches fröhlich mit den Beinchen schlug und die Hände nach den Flammenhaufen am Boden ausstreckte. Fest hielt Irmgard ihr Kind umschlossen, es war lautlose Stille im Raum. Dann riß sie die Tasche von Otterfell, die Gabe der Schicksalsfrau, aus ihrem Gewande, hing dem Knaben die Tasche um den kleinen Leib, hüllte ihn in die Decke, und das Kind noch einmal küssend, rief sie zu Frida: »Rette ihn und singe ihm von seinen Eltern.« Frida aber sprang zu Wolf, der als Speerhüter am Lager des Königs stand und flehte: »Komm, am hintern Tor stehen Männer aus unseren Lauben, wir dringen in den Wald.«

Da rief der Alte mit heiserer Stimme: »Wo säumt der Vortänzer? Die Springer harren.«

»Lebe wohl, Frida,« versetzte Wolf, »nicht zu gleicher Tür fahren wir aus dem Feuer, lebe wohl und denke mein.« Noch einmal sah er sie mit treuen Augen an, dann brach er mit mächtigem Satz aus der Tür, sprang über die glühenden Holzkloben vor der Treppe und schleuderte seinen Speer einem Knaben der Königin mitten in die Brust, daß dieser zusammenbrach und ein lauter Schrei im Ringe der Männer erscholl. Auf den Helden flogen die Pfeile, er blutete aus mehreren Wunden, aber sein Schwert schwingend, warf er sich in den Haufen, vor welchem Theodulf stand, zur Rechten und Linken taumelten die Getroffenen zurück, wild hob er die Waffe gegen den alten Bankgenossen, da brach er selbst sterbend zusammen.

Und wieder rief Theodulfs Stimme gewaltig mahnend: »Die Balken beben, rettet die Frauen!« Und Fürst Answald schrie an das Tor springend: »Irmgard! rettet mein Kind!« Da erhob sich am Tor gegen ihn die zusammengesunkene Gestalt des Alten, mit Asche bedeckt das Haupt, gebrannt der Bart, die Gier nach Rache im Antlitz. Und grimmig rief er: »Wer ist es, der so frech am Schlafgemach des Königs lärmt und Einlaß begehrt? Bist du es, Narr, der einst bereute, daß er Gastrecht bot? Mit kaltem Gruß hast du meinen König entlassen, kalt wie Eisen sei die Antwort, die der Vandale dir bietet.« Und schnell wie ein Raubtier sprang er von den Stufen und stieß die Waffe dem Häuptling der Thüringe durch Panzer und Brust. Dann rief er über den entsetzten Haufen: »Vollbracht ist alles und gut war das Ende. Zieht heim, bleichnasige Toren, und dreht mit den Weibern die Mühlsteine eurer Königin. Der große König der Vandalen steigt aufwärts zu seinen Ahnen.« Um ihn flogen die Geschosse, er aber schüttelte die Eisen ab wie ein verwundeter Bär, wandte sich schwerfällig nach der Halle, setzte sich mit seinem Schilde an den Fuß des Königslagers und sprach nicht mehr.

Durch das zerbrochene Tor ritt die Königin gegen die brennende Halle. Laut rollte der Donner und die Blitze zuckten, von der Flamme des Hauses glühte wie rotes Feuer der Golddraht des Panzers, welcher ihre Brust umschloß. Sie tauchte vom Rosse zu Boden, scheu wichen die Männer zurück, denn leichenbleich war ihr Antlitz und finster gezogen die Brauen.

Sie stand unbeweglich und sah in die Lohe. Nur einmal regte sie sich und warf die Augen flammend zur Seite, als sie ein Weib merkte, das, ein Kind auf dem Arme, gegen die Männer rang, welche sie festhielten. »Es ist nur die Dienerin,« sprach Theodulf halblaut mit fahler Wange, »und es ist das Kind.« Die Königin befahl durch eine heftige Gebärde, das Weib zur Seite zu führen. Das Feuer leckte über den First hoch gegen die Wolken, der Wettersturm fuhr in die Flamme, daß sie weit umherloderte, er warf brennende Späne und Bretter gegen Frau Gisela und den Haufen der Männer. Aber die Königin stand unbeweglich und starrte in die Glut.

Drinnen im Haus war es still, Irmgard kniete am Lager des Gatten; ihr Haar deckte seine Wunde, sie hielt ihn fest umschlungen und lauschte auf seine Atemzüge.

Der todwunde Mann legte den Arm um sie und sah ihr stumm in die Augen. »Ich danke dir, Ingo,« sprach sie, »sei mir gegrüßt, Geliebter, auf dem letzten Lager liegen wir beide gesellt.« Näher rollte der Donner. »Hörst du die oben rufen?« murmelte der Sterbende. »Halte mich, Ingo«, rief Irmgard. Ein flammender Blitzstrahl erfüllte die Halle, ein Wetterschlag dröhnte, die Balken des Daches brachen zusammen.

Draußen aber schoß auf die betäubten Mannen der Königin der Hagelschauer, die Eisstücke schlugen auf Helm und Panzerhemd. »Die Götter laden ihren Sohn zu sich in den Saal«, schrie die Königin und verhüllte ihr Haupt in den Mantel. Die Männer aber warfen sich unter ihren Schilden zu Boden und bargen das Antlitz vor dem Zorn des Donnergotts. Als das Wetter vorübergerauscht war und die Krieger sich scheu erhoben und um sich schauten, da war die grüne Bergfläche mit grauem Eise bedeckt, zusammengestürzt lag das Haus und aus der nassen Kohle züngelten kleine Flammen. Die Königin, wie in Stein verwandelt, stand immer noch vor der Brandstätte und sprach vor sich hin: »Die eine liegt still auf heißem Lager, die andere steht draußen vom Hagel geschlagen; vertauscht hat der Neid der Götter die Lose, mein Recht war es, dort drinnen zu sein.«

»Wo ist sein Kind?« fragte sie mit wildem Blick umhersehend. Frida und das Kind waren verschwunden. Die Krieger suchten an der Berglehne und in den Tälern, sie spähten in jeden hohlen Baum und in jedes Dickicht verflochtener Zweige, Theodulf durchzog mit seinem Gefolge den ganzen Gau der Waldleute und forschte an jedem Herdfeuer. Aber von dem Sohne Ingos und Irmgards erhielt die Königin niemals Kunde.

Ingraban

1. Im Jahr 724

Auf dem Waldwege, der vom Main nordwärts in das Hügelland der Franken und Thüringe führt, zogen an einem heißen Sommertage drei Reiter schweigend dahin. Der erste war der Führer, ein junger Mann von starken Gliedern; das lange Haar hing ihm wild um das Haupt, die blauen Augen waren in unaufhörlicher Bewegung und spähten nach beiden Seiten des Weges in den Wald. Er trug eine verschossene Lederkappe, über der braunen Jacke eine große Tasche mit Reisevorrat, in der Hand den Wurfspeer, auf dem Rücken Bogen und Jagdköcher, an der Seite ein langes Weidmesser, am Sattel seines Rosses eine schwere Waldaxt. Einige Schritte hinter ihm ritt ein breitschultriger Mann in den Jahren seiner besten Kraft, mit großem Haupt, die mächtige Stirn und die blitzenden Augen gaben ihm das Aussehen eines Kriegers. Aber er trug sich nicht wie ein Mann des Schwertes, das kurz geschorene Haar deckte ein sächsischer Strohhut, an dem langen Gewande war nicht Wehrgehenk, nicht Waffe sichtbar, nur die Axt, welche jeder Reisende in der Wildnis führte, steckte im Sattel; nach dem großen Ledersack, der vor ihm über dem Sattel befestigt war, mochte man ihn für einen Händler halten. Ihm zur Seite trabte ein Jüngling in gleicher Tracht und Ausrüstung, der auch auf dem Rücken ein Bündel trug und in der Hand einen Baumzweig, mit dem er sein Rößlein antrieb. Daß der Führer die Reisenden nicht als gewaltige Leute achtete, war durch sein Benehmen deutlich, denn er trug sein Haupt hoch, so oft er auf eine Frage des älteren Mannes kurze Antwort gab, und er sah nur zuweilen, wenn der Weg steil aufwärts ging, oder die beiden weit zurückblieben, mit düsterm Blick hinter sich und wandte die Augen schnell wieder ab, wie von unholden Gesellen. Durch Sand und über Steinblöcke zog sich der rauhe Pfad zwischen alten Kieferstämmen von einer Erdwelle zur anderen; auf dem braunen Grunde wuchs wenig anderes als Wolfsmilch, Heidekraut und dunkle Waldbeeren. Es war still im Walde, nur die Krähen schrien über den Wipfeln, die heiße Luft war mit Harzgeruch erfüllt und kein Windeshauch kühlte die erhitzten Wangen. Als der Weg einmal steil aufwärts ging, sprang der Jüngling ab, pflückte am Wege einen Strauß Beeren und bot ihn dem Reiter. Dieser dankte mit einem freundlichen Blick und begann in lateinischer Sprache: »Siehst du ein Ende des Waldes? Unsere Rosse ermüden, die Sonne neigt zur Rast.«

»Stamm hinter Stamm, mein Vater, und kein Lichtstrahl vor uns im Holze.«

»Du bist an die rauhen Pfade nicht gewöhnt, Gottfried,« fuhr der Ältere bedauernd fort, »ungern nahm ich dich in das wilde Land und ich bin unzufrieden, daß ich deiner Bitte nachgab.«

»Ich aber bin glücklich, mein Vater,« versetzte der Jüngling mit frohem Lächeln, »daß ich dich begleiten darf als dein unwürdiger Diener.«

»Die Jugend freut sich stets der Wanderschaft«, sprach der Reiter. »Sieh unsern Führer, ihn kümmert die Tagesglut wenig, er ist ein kraftvoller Wildling, der des Pfropfreises harrt.«

»Unfreundlich hält er sich gegen uns, mein Vater.«

»Ist er auch unwirsch, warum sollte er unehrlich sein? Er hat der Frau Hildegard und mir selbst in die Hand gelobt, uns sicher über die Berge zu führen und er sieht nicht aus wie ein Schächer. Doch wäre er‘s auch, einer ist stärker in der Wildnis als er.« Er neigte das Haupt. »Merke, er hat gefunden, was ihm die Reise stört.«

Die Haltung des Führers war verwandelt, hochaufgerichtet saß er im Sattel mit gehobenem Speer wie zum Ansprung bereit.

Der Fremde ritt zu dem Führer: »Dein Name ist Ingram, wie ich vernahm.«

»Ingraban der Thüring bin ich,« versetzte der Reiter, stolz die Worte des anderen bestätigend, »und dies ist der Rabe, mein Roß«; er rührte an den Hals des edlen Tieres, das von Farbe schwarz war, wie sein geflügelter Namensbruder, und unter der Hand des Reiters wiehernd das Haupt erhob.

»Ich erkenne, wohlbekannt sind dir die Reisepfade auch fern von deiner Heimat.«

»Oft ritt ich als Bote meiner Landgenossen zu dem Frankengrafen über den Main.«

»So ist dir auch Frau Hildegard, die Grafenwitwe, von früher her zugetan.«

»Ich stritt in der Schar ihres Eheherrn, als ihn die Wenden erlegten. Eine gute Frau ist Hildegard, da sie meinen kranken Knecht in Pflege nahm.«

»Am Lager des Kranken fand ich dich, und ich bin froh, daß ich solch sicheren Führer gewann. Was hemmt dir jetzt die Reise?«

Die Hand des Führers wies auf eine Spur im Sande. – »Hier lief eine Herde wilder Rosse«, sagte der Fremde, auf die Spur blickend.

»Reiter waren es, mehr als drei, und feindselig wird ihr Gruß, wenn sie uns treffen«, antwortete der Führer.

»Woher weißt du, daß es Feinde sind?«

»Hofft in deinem Lande ein Wanderer in der Wildnis auf ehrlichen Gruß?« fragte der Führer zurück. »Die hier gezogen sind, waren Krieger, welche mit fremder Zunge reden, von dem Wendenvolk an der Saale, das man die Sorben nennt; weit schweifen sie auf ihren Pferden nach Jagdbeute und Herdenvieh. Dort liegt ihr Zeichen«, er berührte mit dem Speer einen kurzen Rohrpfeil mit Steinspitze. »Sie haben unseren Weg gekreuzt nach dem letzten Regen.«

»Und hoffst du uns verborgen vor den Fremden über die Berge zu führen?«

»Habt ihr den Mut, so habe ich den Willen. Manchen Stieg über die Waldhügel weiß ich, den ihre Haufen meiden; doch rate ich, haltet euch schweigsam und nahe an meinem Roß.«

Vorsichtiger ritten die Fremden dicht hinter dem Führer.

Der Saumpfad senkte sich in ein stilles Waldtal, führte durch sumpfigen Grund und das Bett eines Baches und stieg auf der anderen Seite wieder in den Wald. Zwischen hohen Buchenstämmen zogen sie behaglicher dahin auf grünem Moosgrunde, welchen die schrägen Sonnenstrahlen vergoldeten. Und wieder senkte sich der Pfad in ein weites Tal. Am Waldesrand hielt der Führer an. »Dies ist das Idistal,« sagte er, das Haupt zum Gruße neigend, »und dort rinnt der Idisbach nach dem Main.« Durch hohes Wiesengras leitete er zu einer Furt des Baches, von da trabten sie eine Hügelreihe entlang nordwärts. Einsam und menschenleer lag das blühende Tal. Einigemal kamen die Reisenden über altes Ackerland, noch waren die Beetfurchen sichtbar, aber Schlehdorn und stachliger Ginster standen dicht wie eine Hecke darauf, und die Pferde hatten Mühe durchzudringen. Der Fremde sah mit Teilnahme auf die zerstörte Kultur. »Hier haben einst fleißige Hände gebaut«, sagte er bedauernd. »Seit Menschengedenken liegt die Stätte wüst«, antwortete der Führer gleichgültig. Weiter oben wies er auf eine Erdhöhe: »Auch dort stand ein Hof, aber die Wenden haben ihn verbrannt, da ich ein Knabe war. Das wilde Kraut schießt seit zwanzig Sommern in die Höhe. Sorgst du um gebrochene Höfe, so magst du hier viele finden. Über dem Bach haben vorzeiten die Avaren gelagert, braunhäutige Männer mit schrägen Augen, sie tragen, wie die Alten erzählen, geflochtene Zöpfe um das Haupt und sind ein mächtiges Ostvolk, aber grausame Mordbrenner. Dort drüben lag, wie die Sage meldet, eine große Zahl Höfe an einem geweihten Wald von solchen Bäumen, die wir Ahorn nennen, jetzt stehen nur noch wenige der alten Stämme, die Avaren haben sie niedergebrannt, und wo die Höfe waren, ist Wustung. Aber das ist lange her, es wäre mühsam, den Jahrwuchs der Fichten zu zählen, welche darüber ragen. Überall, wo du hier Dornen und Kletten siehst, stand einst ein Bau, mancher ist zur Zeit der Väter, mancher im Gedächtnis Lebender zerrissen, mehre in den letzten Jahren, es dauern nur hier und da einige.«

 

Da der Fremde schwieg, wies der Führer auf den Himmel, über den sich das Abendrot breitete, und ritt aus dem Talpfad einen schmalen Weg bergauf. Die Rosse der Reisenden klommen mühsam nach durch dichtes Holz bis auf eine Berghöhe. Der Gipfel war ein unebener Raum, baumlos, mit niedrigem Buschwerk und wilden Blumen bewachsen. Nur eine mächtige Esche erhob sich in der Mitte aus dem niedrigen Kraut. Die Reiter sahen von drei Seiten weit über die Hügel, südwärts bis über den Main, nach Norden auf die blauen Berge der Thüringe, geradeaus in eine weite Talebene, die von hochgeschwungenen Hügeln eingefaßt war. Hinter ihnen dehnte sich eine Bergleite, von dem vorderen Gipfel durch Erdhaufen und Senkungen getrennt, welche aussahen wie ein alter Wall und Graben. Der Führer sprang vom Rosse und neigte sich tief gegen den Eschenbaum, dann trat er an den Rand des Gipfels und sah forschend in das Tal und den Saum der Wälder entlang. Und wieder wandte er sich der Esche zu und sprach ehrfürchtig: »Hier ist der Idisberg und dies ist der heilige Baum der hohen Schicksalsfrauen. Schutz vor schädlichen Gewalten hat die Stelle und darum habe ich euch hierher geführt.«

»Als ein kundiger Führer hast du dich erwiesen«, versetzte der Fremde, die gute Lagerstätte überschauend. Er stieg ab und löste selbst die Ledersäcke vom Sattel der Rosse. »Sicher weißt du auch einen Quell in der Nähe.« Der Führer ergriff die Zügel der Pferde. »Gebiete deinem Knaben, daß er die Flaschen trage und mir helfe den Zaun zu richten«, sagte er und führte die Tiere auf die Bergleite zu etwa hundert Schritt hinab, wo ein Quell aus einer bemoosten Einfassung von Stein talab rann. Dort pflöckte er die Rosse an, damit sie weideten, hob die schwere Axt und winkte dem Jüngling, daß er ihm nach dem Wald folge.

Als der Fremde sich auf dem Gipfel allein sah, umschritt er betend mit gebeugtem Haupte den Raum, in welchem die Esche stand. Darauf untersuchte er sorgfältig die Stelle, als ein Mann, der die Zeichen der Natur zu deuten wußte, und stieß mit dem Fuß unter eine knorrige Wurzel des Baumes, welche hoch über dem Boden ragte; er fand lockeren Grund, fuhr mit dem Stiel der Axt hinein und hob mit Anstrengung einen Stein heraus, über den die Wurzel gewachsen war; ihre Ausläufer waren in ein Loch des Steines gedrungen und hatten den Stein gesprengt. Verwundert sah der Mann auf das regelmäßig gebohrte Loch. Dann nahm er ehrfürchtig den Ledersack, schob ihn an die Stelle des Steins und über sein Gesicht flog ein Lächeln. »Haust ein Unhold in diesem Baum, so soll ihm der geborgene Schatz Not bereiten.« Noch einmal schaute er prüfend auf den unebenen Boden ringsumher und auf das üppige Grün, welches daraus geschossen war, dann zog er aus der Tasche seines Gewandes ein kleines Buch, setzte sich, daß das Abendlicht darauf fiel, öffnete die Schließen und las in dem Pergament. Er hörte das Dröhnen eines Holzschlägels und merkte, wie der Führer sich anschickte, weiter abwärts den Nachtzaun zusammenzuschlagen. »Hierher, Ingram«, rief der Fremde befehlend hinunter. Der Führer schüttelte mit dem Haupt und schlug weiter. Da trat der Fremde näher und gebot: »Trag die Pfähle herauf, wir rasten am Baum.«

»Das geht nimmer an«, versetzte der Führer.

»Und warum nicht, wenn ich es will?«

»Soll der Feuerschein auf der Höhe den fremden Spähern dein Lager künden?«

»Die Nacht ist warm, gern entbehren wir die Flamme, auch ein Krieger wie du behilft sich wohl ohne Kochherd.«

Ingram stand unbeweglich und sah finster auf den Fremden.

»Wer du auch sonst bist,« fuhr dieser fort, »für diese Reise hast du dich mir gelobt um guten Sold, und ich bin der Herr unserer Fahrt. Willst du nicht nach meinem Willen tun, so ziehe deinen Weg, ich suche meinen Pfad ohne dich.«

»Ungern diene ich dir,« antwortete der Führer heftig, »und nur, weil eine, die mir Gutes tat, mich geworben hat; und wenn ich frei bin von meinem Wort und du ein Schwert zu führen weißt, so will ich lieber dein Feind sein als dein Freund, das magst du wissen, Fremder. Jenen Baum aber habe nicht ich zu scheuen, sondern du, denn weitbekannt ist er im Lande und um ihn schweben seit der Urzeit hohe Gewalten, welche dir Feind sind und nicht mir.«

»Ob sie mir Feind sind, will ich dir zeigen, wenn du mir folgst«, antwortete der Fremde und schritt dem Baume zu. Er hob seine Axt und rief: »Haben sie Grimm, so mögen sie zürnen, haben sie Macht, so mögen sie mich treffen wie ich diesen Stamm.« Und mit starkem Schwunge schlug er die Axt in den Baum. Der Führer trat zurück, griff nach seiner Waffe und starrte nach der Höhe, ob von dort ein Götterzeichen den Frevler treffe; aber alles blieb still, nur ein trockener Zweig mit Eschensamen fiel herab. »Sieh her,« rief der Fremde, auf das Samenbündel weisend, »das ist der Zorn deiner Gewaltigen. Der Baum, vor dem du zagst, war einst ein flatterndes Samenkorn wie dieses hier, aus einem winzigen Kern ist er gewachsen. Wo hausten die Gewaltigen, welche du fürchtest, als der Baum noch ein Samenkorn war? Meinst du, der Baum hat gestanden von Anfang der Menschenerde? Merke, unter seinen Wurzeln fand ich diesen Stein, rissig und gesprengt durch die Kraft des Baumes. Betrachte den Stein, es ist ein Mühlstein, wie ihn die Weiber drehen, um das Getreide zu mahlen. Bevor die Esche war, hat hier ein Hauswesen lebender Menschen gestanden. Geringe Ehre verdienen die Götter, welche erst dann in der Esche mächtig wurden, als die Menschen gestorben waren, die vor dem Baume hier hausten. Der Herr aber, welchem ich diene, ist der Gott, welcher Himmel und Erde gemacht hat, er allein ist ewig und allmächtig von der Urzeit und wird ewig und allmächtig sein, wenn der letzte Span dieses Baumes aus der Welt geschwunden ist.«

Der Führer kauerte zu dem zerbrochenen Stein nieder und sah in die Öffnung, auf das Wurzelstück und auf Reste von Holzkohlen, welche an dem Sandstein hafteten. Das Haar hing ihm über das Gesicht und seine Brust hob sich in heftigen Atemzügen. »Stand ein Haus hier, so hat es gebrannt«, sprach er endlich leise vor sich hin. »Da ich klein war, sagten sie mir, daß meine Vorfahren auf dem Berge gesiedelt haben. Alte Leute haben einen Sang davon gewußt, der Sänger, den die Wenden erschlugen, war dieses Liedes kundig.«

Der Fremde berührte ihm die Schulter. »Die Nacht steigt herauf, im Walde heulen die Wölfe, hole die Pfähle, Ingram.«

Der Führer erhob sich. »Hierher führte ich dich,« sprach er bitter, »damit ich dir meinen Eid halte und du sicher seiest in der Nähe einer hohen Herrin, die ich mir günstig weiß. Du aber störst der Göttin den Frieden durch deine Axt und du verstörst mich durch schwere Gedanken, die du mir in das Herz senkest. Hast du Macht, Vergangenes zu wissen und ohne den Schutz der Überirdischen zu dauern, so bereite dir selbst die Nachtrast, wo du magst, ich helfe dir nicht.«

Der Fremde ergriff schweigend einen der Pfähle, welche der Jüngling unterdes herzugetragen hatte, und hob den Schlägel. Wuchtig fielen die Hiebe auf die Pfahlköpfe, Gottfried bot die Hölzer und flocht Zweige zwischen die Stäbe, bis rings um den Baumstamm ein Zaun gerichtet war, der die Rosse und Männer eng einzuschließen vermochte. Gottfried führte die Pferde der beiden Reisenden in den Zaun, der Fremde aber trat, als alles vollendet war, zum Führer und sprach freundlich: »Auch für dich und dein Tier ist Raum in unserm Frieden.«