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Die Ahnen

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»Weshalb, Herr Landrat?« fragte der Pastor betroffen.

»Ein vornehmer Franzose weilt als Gast in Ihrem Hause«, erwiderte der Beamte. »Ich weiß, daß er von unserer Regierung nicht als Gefangener betrachtet wird, und ich kann mir denken, daß Bande zarter Verpflichtung Sie veranlassen, ihm in Ihrem Hause eine Freistätte zu geben. Aber ich meine, es wird Ihnen selbst unter diesen Umständen peinlich sein, von Ihrer Kanzel der Begeisterung und dem tiefen Haß, welcher in unserer Bevölkerung gegen die Franzosen lebt, wirksamen Ausdruck zu geben.«

»Herr Landrat,« versetzte der Senior mit zitternder Stimme, »unser Erlöser hat geboten: Liebet eure Feinde. Haß vermag ich nicht in meine Seele zu bringen, noch weniger von der Kanzel zu predigen. Aber ich bin ein Preuße und meinem Könige treu ergeben, und wenn Krieg für die Rettung des Vaterlandes notwendig geworden ist, so werde ich in meinem Amte meine Pflicht tun wie jeder andere Amtsbruder.«

Nicht ohne Verlegenheit widersprach der Landrat: »Auch wenn Sie selbst das Wünschenswerte mit warmen Worten sagen können, so besorge ich, würde die Wirkung auf Ihre Gemeinde nicht die richtige sein. Es wäre wohl möglich, daß in diesen Tagen leidenschaftlicher Erregung durch die Heftigkeit einzelner Mitglieder der Gemeinde ein Mißton in die heilige Feier käme, der Sie selbst am tiefsten verletzen würde.«

Der Senior setzte sich in seinen Stuhl und faltete die Hände. »Gott, mein Herr, hast du mich vor sieben Jahren darum aus den Händen der Mörder errettet, damit ich diese Demütigung erlebe?«

Die Tochter beugte sich über ihn: »Trage auch diese Prüfung, geliebter Vater.« Sie griff in den Schreibtisch, hob die Geldrollen heraus und legte sie vor dem Landrat auf den Tisch. »Diese Summe haben Sie vor Jahren meinem Vater im Auftrage einer fremden Regierung überbracht, sie ist unberührt geblieben, wie sie damals war. Der Vater hob sie auf bis zu dem Tage, wo er sie hingeben könnte für einen patriotischen Zweck. Jetzt wird zu freiwilligen Gaben für Ausrüstung des Heeres aufgefordert werden; ich bitte Sie, als unsern Beitrag, dies hinzunehmen. Andere mögen mehr geben, es ist das letzte Geld, welches der Vater im Hause hat.«

»Ich darf Ihre Gabe nicht ablehnen«, sagte der Landrat, selbst bewegt durch den Schmerz des Vaters und der Tochter. »Ich hoffe, sie wird den falschen Argwohn tilgen, der sich gegen Sie erhoben hat. – Noch habe ich für Ihren Gast dies amtliche Schreiben abzugeben.«

Als der Senior seine Fassung so weit wiedergewonnen hatte, daß er dem Obersten den Brief zu überreichen vermochte, brach dieser schnell das große Siegel auf und bemerkte vor Freude über den Inhalt nichts von der Niedergeschlagenheit des Hausherrn. Er fand einen Freipaß der Militärbehörde zur Reise nach Frankreich mit einer kurzen Zuschrift des Grafen Götzen, in welcher gesagt war, daß der humane Beistand, welchen der Oberst in dem letzten Kriege preußischen Untertanen mit eigener Gefahr geleistet habe, die Veranlassung geworden sei, ihn während seiner gegenwärtigen Krankheit mit seinem Begleiter nicht als Kriegsgefangenen zu behandeln. Der Oberst wies verwundert das Schreiben dem Senior. »Wem verdanke ich diese Gunst?« Aber der Senior wußte es nicht.

»Da mein treuer Sergeant mit angeführt ist, muß Ihre Regierung genau mit dem Sachverhältnis bekannt sein.«

»Wir haben Sie beim Landrat angemeldet«, suchte der Pastor zu entschuldigen.

Aber es gelang doch nicht, dem Gast die Verlegenheit der Familie ganz zu verbergen; was die Herrenstube verschwieg, kam in der Küche heraus. Zwischen dem alten Franzosen und der Dienstmagd Susanne bestand ein gutes Einvernehmen. Der Sergeant half ihr, soweit seiner Würde geziemte, bei der Küchenarbeit, war immer genügsam und gutlaunig. Und es blieb ein stilles Verhältnis, denn keines verstand viel von der Rede des andern, der Franzose aber etwas mehr als Susanne, da er auf seinen Kriegsfahrten allerlei fremde Worte erbeutet hatte. Wie nun am Nachmittage das Fräulein in die Stadt gefahren war und Susanne betrübt am Herde saß und die Augen mit der Schürze wischte, fragte der Sergeant unruhig in seinem gebrochenen Deutsch: »Demoiselle Susanne, weshalb sind Sie heut traurig?« Da kam etwas von einer silbernen Kelle und dem Weine heraus, was der Alte verstand. Als am Abend der Oberst seinem Vertrauten erzählte, daß ein Freipaß für sie beide angelangt sei, sagte der Alte feierlich: »Es ist Zeit für Sie, mein Oberst, den Paß zu gebrauchen, die Rücksicht auf diese armen Leute hier zwingt dazu«; und er berichtete seinem Herrn das Geheimnis der Küche. Der Oberst war betroffen, aber die Nachricht machte ihm mehr Freude als Sorge. Solche Opfer brachte man nur einem Gaste, den man sehr wert hielt, und Henriette selbst machte den Weg, um ihm das Behagen des Mittagstisches zu erhalten! – so daß er dem Alten sagte: »Du weißt, mein Vater, daß die Oberstin Dessalle in keinen dürftigen Haushalt tritt und daß es unsere Sache sein soll, ihr, was sie jetzt hingibt, tausendfach zu ersetzen.« Der Alte schüttelte schweigend den Kopf.

Am nächsten Morgen ging der Oberst im Garten auf und ab, als Henriette aus dem Hause kam. Sie wich der Begegnung nicht aus, sondern erwartete, gehoben durch den Willen, eine Entscheidung herbeizuführen, seine Anrede. »Ich fürchte, schon zu lange Ihre Gastfreundschaft in Anspruch genommen zu haben; lassen Sie als Entschuldigung gelten, daß es mir sehr schwer wird, von hier zu scheiden. Es war mein Los, unablässig im Getümmel des Krieges herumgeworfen zu werden. Die gleichförmige Tätigkeit Ihres Haushaltes, der Frieden hier und die gute Gesinnung gegen alle Welt sind für mich ein neues Glück, und mir ist, als würde man hier zufriedener und besser.«

»Sie sind in der Genesung,« antwortete Henriette, »und dies Gefühl macht weich und zufrieden.«

»Es ist noch etwas mehr, mein Fräulein, es ist Ihre Nähe« – er lud sie mit einer Handbewegung ein, auf der Bank Platz zu nehmen. Dort hatte ein anderer neben ihr gesessen, sie ging vorüber und führte zu der Sommerlaube. Noch fehlte den Ruten des Geißblattes das grüne Laub, und die Strahlen der ersten Frühlingssonne fielen grell auf den Erdboden. »Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig,« begann der Oberst, »daß ich dem Wunsch Ihres Vaters, der mir in fernem Lande zukam, nicht entsprochen habe. Ihr Ring, den ich an meinem Finger trage, ist für mich bedeutungsvoll geworden, ich betrachte ihn mit einer Art Aberglauben und sorge, mein gutes Glück wird von mir scheiden, wenn ich ihn verliere. Das Ereignis, welches ihn an meine Hand brachte, hat mir zwar Feinde geschafft, aber auch Gunst und Beförderung, es gab Veranlassung, daß der Kaiser selbst mir persönlichen Anteil zuwandte, und ich weiß, daß er auch meine Beziehungen zu Ihnen kennt.«

Das klang selbstsüchtig, und Henriette antwortete kalt: »Für andere hat jene Stunde nicht so günstige Folgen gehabt, mein Herr.«

»Ich stelle meinen Talisman in schlechtes Licht,« fuhr der Oberst fort, »wenn ich an ihm nur rühme, daß er Gunst und Gnade gebracht hat. Ich verdanke ihm viel Besseres. Der Gedanke daran, daß er mich in eine geheime Verbindung mit Ihnen gesetzt hat, ist mir zuweilen in Stunden der Versuchung ein Schutz gewesen; oft dachte ich in der Fremde, wo ich Gefahr und Jammer sah, an die Not Ihres Hauses und an die Hilflosigkeit, in welcher ich Sie, holde Henriette, und Ihre Eltern fand, und wenn mir hier und da gelang, ein gutes Werk zu tun, so bin ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet. In einem spanischen Dorfe waren französische Soldaten grausam ermordet worden; meine Leute hatten einen Einwohner ergriffen und an den Baum gebunden, um ihn zu füsilieren. Sein Weib warf sich vor mir nieder und umfaßte meine Knie. Ich war in Empörung, gerade wie meine Reiter, und ich wollte sie wegstoßen, da preßte sie mir in der Angst die Hand zusammen und ich fühlte den Druck des Ringes. In dem Augenblick sah ich Sie vor mir am Boden und band den Spanier los, nicht ohne eigene Unbequemlichkeiten, denn meine wütenden Reiter wollten sich das Sühnopfer nicht entreißen lassen. Und wie jenen Schelm, so hat der Ring auch manches Heimwesen der Feinde vor der Zerstörung geschützt und vielleicht auch manches junge Weib vor dem Verderben. Ich sage das nicht, um mich Ihnen als einen hochherzigen Mann darzustellen; ich bin ein wilder Reiter, und ich fürchte, das lange Liegen im Felde hat in mir verdorben, was der Mensch in friedlichen Verhältnissen leichter bewahrt. Es war nicht mein Verdienst, sondern das Ihre, wenn ich in diesen Jahren eines unaufhörlichen Blutvergießens gern daran dachte, daß es auf Erden ein Glück gibt, das ich entbehren muß: Weib, Kind, geordnetes Hauswesen und das redliche Leben eines honetten Mannes, der seine Pflicht erfüllen kann, ohne täglich anderen wehe zu tun. Je länger mich mein Schicksal aus einem Feldzuge in den andern führte, um so lebendiger wurde der Traum und um so heißer die Sehnsucht nach einem stillen Glück an Ihrer Seite. Wenn ich müde saß am flackernden Feuer, vor meinen Augen das Gewühl des Biwacks, in meinem Ohr das Stöhnen der Verwundeten, da klang es in mir wie das Geläut dieser Kirche und wie eine fromme Mahnung, daß auch mir eine andere und bessere Zukunft bereitet sei.« Seine Rede war lebhafter geworden, er sprach das letzte in großer Bewegung.

Henriette sah scheu nach ihm hinüber. »Es war die Sehnsucht nach Erlösung von einem schrecklichen Berufe, was Sie beschäftigte, Herr Oberst, aber es war nicht das fremde Mädchen, das Sie nur einmal gesehen.«

»Vielleicht war es früher so,« antwortete der Franzose; »jetzt ist es mehr. Seit ich hier verweile und das Glück habe, Sie täglich zu sehen, die Sicherheit zu sehen, mit der Sie sich in Ihrem Kreise bewegen, und den Stolz, mit dem Sie meiner Werbung begegnen, seitdem fühle ich mit jedem Tage mich fester in Ihren Banden. Ich weiß jetzt, daß ich ein glücklicher Mann wäre, wenn Sie sich entschließen könnten, mich mit Zuneigung zu betrachten.« Henriette stand auf. »Aus der Phantasie ist eine Leidenschaft geworden, holde Henriette,« fuhr er heftig fort, »und der Gedanke ist mir unerträglich, daß ich Sie verlieren sollte.«

 

»Und wenn alles wahr ist, was Sie sagen,« rief Henriette, »haben Sie in diesen Jahren nie daran gedacht, wie das Mädchen unterdes gelebt hat, dem Sie im Spiele Ihrer Gedanken eine Neigung zuwandten? Durch Zwang haben Sie mich an sich gebunden, nach meinen Gefühlen aber nicht gefragt; seitdem habe ich lange Jahre die bittere Demütigung getragen, wie eine willenlose Sklavin an einen fremden Mann gekettet zu sein. Hassen kann ich Sie nicht, denn Sie haben in Ihrem wilden Mute mich und meinen Vater geschützt, die Neigung aber, welche Sie fordern, finde ich nicht in meiner Seele, und die Frau des Obersten Dessalle kann ich niemals werden.«

Der Oberst stand auf. »Ich verstehe,« sagte er, »Sie sind eine Deutsche, und wie hier im Lande die Stimmung ist, sehen Sie in mir den Franzosen. Sie werden mir das Zeugnis nicht versagen, daß ich die Gefühle einer deutschen Frau während meiner Anwesenheit gewürdigt habe. Aber die feindliche Spannung, welche jetzt zwei Nationen gegeneinander bewaffnet, wird nicht dauern, in wenig Monaten ist der Zwist zwischen meinem Kaiser und Ihrem Könige entschieden. Schnell wechselt auch bei den Regierungen Genossenschaft und Abneigung. Zürnen Sie mir deshalb nicht, schöne Henriette, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich Sie wegen Krieg und Frieden der Völker nicht aufzugeben vermag. Hatte ich Sie vorschnell mit mir verbunden, so bin ich seitdem älter geworden und habe den Wert dieses Erwerbes erkannt, und ich bin entschlossen, alles zu wagen, um Sie mir für die Dauer meines Lebens zu gewinnen.«

Henriettens Gestalt hob sich höher, die mädchenhafte Scheu war abgetan: »Sie rühmen die Rücksicht, die Sie mir bewiesen haben, Herr Oberst; und doch wollen Sie zu dem alten Zwang einen neuen fügen; und die Genugtuung, die Sie mir geben wollen, soll die sein, daß Sie mich auf eine Zukunft verweisen, wo Ihre Werbung mir besser gefallen müsse. Meinen Sie, daß solche Selbstsucht Ihnen das Herz eines Weibes gewinnen kann? Sie handeln nicht edel an mir und nicht wie ein Mann von Ehre gegen ein Weib handelt, zu dem er eben erst von seiner Liebe gesprochen.«

»Henriette!« rief der Oberst unwillig.

Sie fuhr sich über die Stirn. »Nein, verzeihen Sie mir, das ist die Sprache nicht, die mir gegen meinen Retter geziemt; nur bitten darf ich und Sie an das erinnern, was Sie mir von Ihrer freundlichen Gesinnung gegen mich gesagt. Bin ich Ihnen etwas wert und hat Ihnen jemals der Gedanke an mich wohlgetan, so flehe ich, daß Sie jetzt nicht auf einem Anspruch bestehen, der mich jeden Tag unglücklich macht, weil er mich demütigt und meine Zukunft in schwarzes Dunkel hüllt. Geben Sie mir meinen Ring zurück. Einmal haben Sie mich zu Ihren Füßen gesehen; ist es eine Befriedigung für Sie, so will ich wiederum vor Ihnen niederfallen und die Knie meines Retters umfassen, damit Sie die Fessel lösen, durch die ich an Sie gekettet bin.« Sie beugte sich in ihrer Leidenschaft abwärts. Bestürzt wehrte ihr der Oberst. »Sie lieben einen anderen, mein Fräulein!« rief er.

Henriette richtete sich auf. »Vielleicht«, sagte sie tonlos.

»Jetzt begreife ich Ihren Widerstand, Mademoiselle«, versetzte der Franzose bitter. »Aber vergessen Sie nicht, daß der Ring, welcher Sie zu meiner Verlobten gemacht hat, auch mir noch andere Träume als die eines idyllischen Stillebens an Ihrer Seite wachruft. Jener Bayer, der in der Ecke Ihres Hofes liegen blieb, war nicht der einzige. Noch zweimal habe ich seitdem mit Kameraden des Toten ein ähnliches Zusammentreffen gehabt; es hängen für mich auch finstere Erinnerungen an dem Reif, die mein Leben belasten. Ich habe blutigen Preis für ihn bezahlt, und ich ersehne auch deshalb die Nähe der lieben Gattin, damit sie mir mit ihrer weichen Hand düstere Gedanken von der Stirn scheuche. Zürnen Sie also dem Egoismus des Mannes nicht zu sehr, wenn er fortfährt, gegen jeden anderen sein Anrecht auf Sie zu verteidigen.«

Er wandte sich dem Hause zu; Henriette lehnte an dem Pfosten der Laube und starrte vor sich hin.

Sie war den Tag über für den Gast nicht sichtbar; die Eltern entschuldigten ihre Abwesenheit mit Unpäßlichkeit. Am Abend erklärte diesen der Oberst, daß er genötigt sei, morgen abzureisen, und bat um den Wagen bis zur Poststation. Da der nächste Tag ein Sonntag war, sagte der Senior mit vielem aufrichtigem Bedauern über die Abreise, der Wagen stehe sogleich nach dem Gottesdienst zu seiner Verfügung.

Als die Glocken läuteten, bereitete sich Henriette nach einer schlaflosen Nacht, zur Kirche zu gehen. Wie sie aus dem Garten auf den Friedhof kam, standen die Dorfleute in dichten Haufen, aber sie boten dem Pfarrkinde nicht wie sonst freundlichen Gruß, sondern wendeten sich scheu zur Seite. Von allen gemieden wie eine Unreine, schritt sie in das Gotteshaus zu ihrem Sitz.

Der fremde Geistliche predigte über die Pflichten gegen das Vaterland. Nach der Predigt las er den Aufruf des Königs an sein Volk von der Kanzel vor und sagte mit bewegter Stimme: »An euch ergeht heut der Ruf, verlaßt Pflug und Hof, verlaßt Eltern und Kinder, Weib und Braut. Hier im Tempel des Herrn, vor versammelter Gemeinde, gebt Zeugnis, daß ihr Männer seid, bereit zum Kampf und, wenn der Herr gebeut, zum Tode für die Freiheit eures Vaterlandes, damit ihr und eure Angehörigen nicht im Elend der Knechtschaft dahinlebt unter der Geißel des bösen Feindes. Da ich heut an dieser heiligen Stätte zu euch rede, habe ich das Recht, als erster meinen eigenen Namen zu nennen; ich bin bereit, mit Bibel und mit Waffen hinauszuziehen in den Krieg, und wer tun will wie ich, der erhebe sich und nenne im Hause Gottes vor den Ohren der Nachbarn und Anverwandten laut seinen Namen!« Da entstand tiefe Stille, daß man das Rauschen eines Blattes durch die ganze Kirche hören konnte. Ein junger Mann stand auf und rief seinen Namen, und ein Gemurmel, welches klang wie ein leises Gebet, ging durch die Gemeinde. Denn dieser erste war der einzige Sohn einer armen Witwe. Wieder schallte ein Name, und wieder summte der leise Ton andächtiger Freude durch den Raum; dieser war ein prächtiger Bursch, voran bei allen Freuden der Jugend und ein Liebling der Mädchen. Ein neuer Name, und lauter rauschte es unter den Hörern; der sich jetzt darbot, war verheiratet, und sein junges Weib saß auch in der Kirche mit bleichem Antlitz, die Augen nach dem Kreuz auf dem Altar gerichtet, und neben ihr saß ein kleiner Knabe. Neue Namen erklangen schneller nacheinander und zu zweien. Als sich eine ganze Reihe gemeldet hatte, hörte Henriette eine Stimme, die ihr alles Blut zum Herzen drängte, denn neben ihr schallte laut durch den Raum der Name: Ernst König. Sie sah an ihrer Seite den Geliebten stehen und blickte mit einer heiligen Freude zu ihm auf. Er wandelte ihr den Tag der Demütigung in einen Tag der Ehren, denn um ihretwillen war er in die fremde Gemeinde gekommen, damit auch sie heut ein Recht erhalte, das Liebste, was sie hatte, zum Opfer zu bringen.

Als die Rufe verhallt waren, stieg der Geistliche von der Kanzel, schritt zum Altar und forderte die Freiwilligen auf, heranzutreten, damit er mit ihnen bete. Sie kamen herzu, jeder begleitet von seinen Angehörigen; neben dem armen Burschen ging die weinende Mutter und neben dem Ehemann seine Frau, und der Mann hielt seine Hand auf dem Kopf des Kindes. Da erhob sich auch Henriette und trat neben dem Geliebten zum Altar, alle knieten nieder, der Prediger betete und erteilte ihnen den Segen. Es war einfacher Gottesdienst, ohne Pracht der Worte im Dämmerlicht der alten Dorfkirche; und wie in dieser einen in vielen hundert anderen.

Langsam schritten die Leute aus der Kirche und sammelten sich auf dem Friedhofe um die Männer, welche am Altar eingesegnet waren. Als der Doktor neben der Pfarrtochter herauskam, drängten die Bauern mit achtungsvollem Gruß an beide heran, denn auch in den Dörfern dieser Gemeinde wußten viele, daß der Doktor seit Jahren ein Führer der stillen Arbeit für das Vaterland gewesen war, und es freute sie, daß er in ihrer Kirche Zeugnis abgelegt hatte. Neben Henriette aber ging auf der anderen Seite das Bärbel, welches wußte, wie der Gespielin heut zumute war, und vor den Leuten seine Freundschaft beweisen wollte.

An der Haustür stand der Oberst, zur Abreise gerüstet; er erwartete Henriette, um sie noch einmal zu sprechen. Als sie vom Friedhofe her an der Seite eines anderen herankam, beide mit verklärtem Antlitz, so feierlich, daß man ihnen ein gemeinsames Glück ansah, da zog sich das Angesicht des Franzosen drohend zusammen, und mit schnellen Schritten auf den Doktor zutretend, begann er: »Mein Herr, jetzt verstehe ich den Widerstand meiner Verlobten und die Abneigung, mit der Sie selbst Ihren Beruf ausübten, während ich krank war. War ich Ihnen bis heut Dank schuldig, so vermag ich von dieser Stunde in Ihnen nur den Todfeind zu sehen, der zwischen mir und einem Weibe steht, welches ich als meine künftige Gattin betrachte.«

Der Doktor entgegnete ruhig: »Ich komme von einer Stelle, wo ich mein Leben einem größeren Kampfe geweiht habe, als der Streit mit einem persönlichen Feinde ist, und in meiner Seele ist zu dieser Stunde kein Raum für Haß und Rachsucht. Daß die Ansprüche aber, welche Sie an die Hand dieses Fräuleins erheben, nichtig sind, und daß Sie unehrenhaft und ruchlos handeln, wenn Sie dieselben gegen den Willen des Fräuleins geltend machen wollen, davon werde ich Sie zu überzeugen suchen, sobald wir beide frei sind von der Pflicht, welche uns jetzt zwei feindlichen Heeren zuführt.«

»Es ist genug«, sagte der Oberst, nachlässig an seinen Pallasch rührend, und sich zu Henriette wendend, fuhr er fort: »Mein Schicksal will es, Fräulein, daß ich wie ein irrender Ritter den Weg zu Ihrer Gunst durch Abenteuer erkämpfen soll; der Kampfpreis wird dadurch für mich um so wertvoller. Leben Sie wohl, schöne Henriette, ich halte fest an meinem Traum.« Er hob den Finger, welcher ihren Reif trug, verneigte sich tief vor ihr und trat in das Haus zurück.

Im nächsten Augenblicke rollte der Wagen zum Hofe hinaus; die Jungfrau aber legte ihre Hand in die des Geliebten: »Ich habe ihm gesagt, daß ich niemals sein Weib werde. Seit ich heut am Altar neben Ihnen stand, fürchte ich ihn nicht mehr, auch für Sie nicht mehr, mein Freund.«

Bei einem späteren Besuch sagte Bärbel zu Henriette: »Als die beiden mit Worten gegeneinander kämpften, überkam mich ein Graulen. Unser Hiesiger war größer, und der Fremde dunkler und geschmeidiger, aber in Angesicht und Gebärde war einer dem andern ähnlich.«

Henriette antwortete nicht, aber sie blickte so traurig und erschrocken auf die Vertraute, daß Bärbel dachte: Sie weiß es auch, und sie hat deshalb vor dem Fremden heimliche Angst gehabt.