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Die Ahnen

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10. Der Verlobte

Immer noch fiel der Schnee in großen Flocken, aber die weiße Decke, welche sich über die Straßen der Stadt breitete, war trügerisch, denn wo ein Fußtritt oder ein Schlitten eindrückte, füllte sich die Spur mit schlammigem Wasser. Durch Schnee und Regen klangen dumpfer als sonst die Sonntagsglocken, da kam ein plumper Bauernschlitten, mit grauer Leinwand überdeckt, von zwei abgetriebenen polnischen Gäulen gezogen, durch das Stadttor. Ein alter Mann mit langem grauen Schnurrbart und einer polnischen Mütze trieb als Kutscher die elenden Pferde und sah wild zur Seite, als der Stadtsoldat herantrat und sein »Halt! Wer da?« rief; denn wegen des durchziehenden französischen Volkes hatte die Stadt auch für den Tag eine Torwache bestellt.



Der Kutscher antwortete etwas in fremder Sprache, wovon die Wache nur »L‘Empereur« verstand.



»Die Geschichte mit dem Lamperör ist zu Ende,« sagte der Stadtsoldat unwillig, »mit euch macht man jetzt wenig Federlesens. Die Hintergasse hinein zum Spital, dort meldet euch!«



Ein kurzer Befehl kam aus dem Fuhrwerk, der Kutscher peitschte die Mähren und fuhr geradeaus dem Markte zu. Der Torwächter sah ihm entrüstet nach: »Das Volk will noch nicht parieren,« brummte er und setzte sich wieder in sein Schilderhaus, »auf dem Markte werden sie euch schon anhalten.« Der Schlitten fuhr beim Gasthofe vor, der Hausknecht stand in der Tür, er rührte sich nicht, dem Kutscher zu helfen. »Fahrt fort, ihr findet hier kein Unterkommen.« Da rief aus der Leinwand die Stimme eines Mannes: »Ich lasse die Frau Wirtin ersuchen, sich herzubemühen.« Nach einer Weile kam die Wirtin langsam heran, aber sie schlug vor dem Schlitten die kräftigen Arme übereinander, gerüstet, den Fremden abzuweisen. Die Leinwand öffnete sich, in dem Schlitten lag, auf Futtersäcken, in Decken gehüllt, ein Mann in französischer Uniform, deren verschossene Goldstickerei schließen ließ, daß der Kranke ein vornehmer Offizier war.



»Ein alter Bekannter bittet um ein Quartier, Frau Wirtin; ich habe vor einigen Jahren bei Ihnen gewohnt.« Die Wirtin starrte in das Gesicht. »Das ist ja der fremde Kapitän, der unsere Reiter aussperrte. Mein Gott, wie sehen Sie aus?«



»Weisen Sie mich nicht ab, denn ich bin krank.«



»Ich darf Sie nicht nehmen,« sagte die Frau mit erwachender Teilnahme; »die Kranken müssen alle ins Hospital.«



»Ich brauche nur einige Tage Ruhe, um mich zu erholen, und werde Ihnen dankbar sein.«



»Ich muß Sie aber sogleich anmelden beim Magistrat und auch bei dem Herrn Doktor.«



»Das ist mir recht, ich bitte um den Besuch des Arztes«, sagte der Franzose. Er wurde mit Hilfe seines Begleiters und des Hausknechts aus dem Schlitten gehoben und die Treppe hinaufgeführt. Da die Wirtin ihn einmal aufgenommen hatte, gedachte sie freundlicher ihrer Pflicht und fragte, was er begehre: »Wärme in das Zimmer und etwas Warmes zu trinken.«



»Das fordern sie alle,« sagte die Wirtin im Herausgehen, »er ist sehr verändert, aber noch immer ein schöner Mann. Wie prächtig sah er damals aus, als er mit der Pistole jedermann niederschoß.« Der Fremde legte erschöpft den Kopf auf die Kissen. Eine Stunde darauf öffnete der alte Begleiter leise die Tür. Der Doktor hatte die Botschaft erhalten, daß ein französischer Oberst seine Hilfe begehre; als er vor das Bett des Fremden trat, der sich in unruhigem Halbschlummer hin und her warf, fuhr er zurück, und sein Antlitz wurde so blutlos, wie das des Kranken. Vor ihm lag der Feind seines Lebens, der ihm und einer anderen seit Jahren Glück und Frieden verstört hatte; hilflos lag er vor ihm, er sah, wie der Arzt sieht, den Beginn einer schweren Krankheit, und er sollte ihn heilen. Wie er so unbeweglich stand, richtete sich der Franzose halb auf und starrte ihn mit großen Augen an: »Ich bin krank, mein Vater«, murmelte er leise in deutscher Sprache; doch gleich darauf fuhr er französisch fort: »Sie sind es, Herr Doktor? Solches Wiederfinden haben wir beide nicht gewünscht. Aber Sie sehen, ich halte mein Wort und komme zurück, damit Sie mich weiter in die Kur nehmen. Machen Sie mich schnell gesund, Herr, denn mein Kaiser braucht mich.« Der Doktor setzte sich zum Bett und tat die Fragen an den Kranken selbst und an den alten Franzosen, welcher an der Tür stand, dann verordnete er, was zunächst nötig war, und sagte gehalten: »Ich werde mir vor allem Mühe geben, durchzusetzen, daß Sie im Gasthofe bleiben, das Hospital ist leider überfüllt, und den Kranken wird es schwer, sich dort zu erholen. Ich bringe sogleich Bescheid.«



»Kein Hospital,« rief der Fremde heftig, »auch in dem Gasthofe denke ich nicht zu bleiben; ich habe hier in der Nähe eine Familie auf dem Lande, in welcher ich meine Genesung abwarten will, dort hoffe ich bessere Pflege zu finden.«



Als der Arzt wiederkam, war die Krankheit zum Ausbruch gekommen. Der Fremde warf sich in wilden Phantasien umher. Der Doktor lauschte auf die tollen Reden in französischer und deutscher Sprache, und er hörte mit Schrecken, wie die Bilder von Gefechten und die Todesangst vor einem kalten Strom, in dem der Kranke neben seinem Pferd treiben mußte, mit anderen Gedanken wechselten, von einem Pfarrhause, das er suchte und nicht finden konnte. Er sah auf die Hand des Liegenden, der Ring mit dem Vergißmeinnicht steckte daran. Als er das Bett verließ, nahm er den alten Begleiter beiseite und sagte: »Ich will bewirken, daß Sie hier bleiben und die Pflege Ihres Herrn übernehmen dürfen.« Der Franzose dankte mit tränenden Augen. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie selbst gut verpflegt werden, damit Sie in diesem Dienste aushalten können, und ich werde Ihnen, wenn die Krankheit sich steigert, noch einen Mann zur Hilfe beiordnen; dafür geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie dem Kranken mit Festigkeit widerstehen, wenn er in lichten Augenblicken den Willen ausspricht, Bekannte zu sehen, die er in dieser Gegend hat, und daß Sie, wenn er es noch so dringend verlangen sollte, ohne mein Wissen keine Nachricht nach auswärts abgehen lassen. Die Krankheit droht mit Ansteckung, und ich kann es nicht verantworten, andere der Gefahr auszusetzen.« Der Alte versprach alles.



Als der Doktor nach Hause kam, warf er sich in den Sessel und schlug die Hände vor das Gesicht. Von den bitteren Pflichten seines Berufes sollte ihm keine erspart bleiben; nach jener Krankheit der Geliebten die Todesgefahr des Mannes, der sich zwischen ihn und sein Glück gedrängt hatte. Es war ein schwerer Fall; wenn er sich zurückzog und dem für die Fremden bestellten Chirurgus die Behandlung überließ, wer konnte ihn tadeln? Wenn der Fremde ein Opfer der Krankheit wurde, wie tausend andere, so war die Geliebte frei! Dieser Gedanke wirbelte ihm durch das Hirn, aber nicht lange. Er erhob sich, trat an das Fenster und sah hinaus zu den grauen Schneewolken: »Das ist mein Kriegsdienst,« sagte er bitter, »er bringt nicht nur das Leben in Gefahr, auch die Seele.« Und er legte die heiße Stirn an die kalten Scheiben, dann maß er mit festem Schritt sein Zimmer. »Sie muß es wissen«, sagte er laut, und von neuem überkam ihn die Angst, und wie sehr er sich in seinen Gedanken wehrte, auch ein anderes Gefühl, das mit Eifersucht nahe verwandt war. Wer konnte sagen, ob ihr nicht als Pflicht erschien, dem Kranken zur Pflege herbeizueilen? Durfte er das hindern? »Nein!« rief er laut. »Sie hat das Recht, zu fordern, daß ich ihr jetzt vertraue, wo für uns beide die Zeit der Prüfung kommt.« Und er schrieb ihr, auch von seinem innern Kampf, er gelobte ihr, alles für den Kranken zu tun, was er vermöge, und flehte, daß sie sich und die Eltern jetzt keiner Gefahr aussetze. Erst als er auf diesen Brief die kurze Antwort erhielt: »Ich werde tun, mein Freund, was Sie für recht halten«, wurde er ein wenig getröstet.



Die Krankheit stieg; es vergingen Tage, wo der Doktor selbst nicht an die Genesung glaubte. Er kam und ging, saß halbe Stunden bei dem Bett und lauschte auf die Atemzüge eines Lebens, das ihn elend machen sollte, wenn er es erhielt. Dann kam ein Tag, wo der alte Husar mit Tränen der Dankbarkeit seine Hand ergriff und erstaunt war, daß der gute Doktor die Hand so heftig zurückzog. Endlich durfte er dem Kranken sagen: »Die größte Gefahr ist beseitigt, jetzt kommt alles darauf an, daß Sie Kräfte gewinnen.«



»Sie haben redlich an mir gehandelt, mein Herr,« sagte der Franzose, »ich weiß recht gut, daß Sie das Überwindung gekostet hat. Ich sah zuweilen, wie Ihr Auge auf mich gerichtet war; Sie sind Patriot und hassen in mir den Feind Ihres Vaterlandes.«



»Ich habe gegen Sie meine Pflicht getan wie gegen jedermann,« antwortete der Doktor, »und ich denke, Sie werden auch nach Ihrer Genesung mir dies Zeugnis geben.«



»Ich habe Ihre Sorge und die der guten Wirtin lange in Anspruch genommen; mein treuer Diener sagt mir, daß ich Wochen hier gelegen. Ist es für andere nicht mehr gefährlich, in meine Nähe zu kommen, so wünschte ich wohl, daß einer Familie, die ich in dieser Landschaft kenne, Nachricht von meinem Hiersein gegeben wird.«



»Wenn Sie diese Rücksicht auf die Gesundheit anderer nehmen,« antwortete der Doktor, »so muß ich Sie bitten, noch einige Tage zu warten.«



»Ich bin geduldig geworden«, seufzte der Franzose und sank müde in die Kissen zurück.



Als aber der Doktor das nächstemal eintrat, begann der Kranke wieder: »Sie sollen wissen, daß ich eine Braut hier in der Nähe habe.«



»Sie haben davon in Ihren Phantasien gesprochen.«



»Wohl möglich«, nickte der Franzose. »Es war eine wunderliche Affäre, mein Herr. Ich hatte Gelegenheit, einen guten alten Mann und seine Tochter aus den Händen von Marodeuren zu befreien; die Marodeure waren Ihre deutschen Landsleute, keine Franzosen. Ich war eine Zeitlang allein unter trunkenen Wilden, und um die Situation zugunsten der Gefährdeten zu wenden, sagte ich zu den Schuften, daß die junge Dame meine Braut sei; und da ich nicht für eine Unwahrheit verantwortlich werden wollte, so verlobte ich mich zur Stelle mit ihr.«

 



»Waren das Fräulein und der Vater damit einverstanden?« fragte der Doktor mit rauher Stimme.



»Die schöne Henriette war ziemlich bewußtlos, als die Ringe gewechselt wurden, das ist wahr; der Vater hatte nichts einzuwenden. Sie schweigen, mein Herr, Sie halten die Sache für den übermütigen Scherz eines jungen Offiziers, der ich damals war? Ich habe nichts dawider, wenn ein bedächtiger Deutscher den schnellen Entschluß verurteilt. Doch da Sie als Arzt auch gern beobachten, was in der Seele vorgeht, so will ich zu meiner Rechtfertigung Ihnen im Vertrauen zweierlei sagen. Zuerst natürlich, daß das Mädchen sehr schön war, und daß die rührende Hilflosigkeit, in der sie am Boden lag, mir die ganze Seele bewegte, und ich versichere Sie, es sind seitdem Jahre vergangen, aber ich sehe die holde Gestalt noch oft in dieser Weise vor mir. Warum schweigen Sie, mein Herr? Hören Sie noch etwas. Als ich in die Stube sprang und mich umsah, die Schufte zurückwarf und die gebrochene Gestalt an der Hand hielt, da, Doktor, war mir plötzlich zumute, als hätte ich das alles schon einmal erlebt und gewollt, und als müßte ich sie mir verloben, um ihr Leben vor Ärgerem zu bewahren. Und ich tat es, wie etwas, das sich von selbst versteht. – Übrigens hat das Abenteuer zu meinem Glück geholfen, soweit jemand von Glück sprechen kann, der vor Ihnen liegt, wie ich. Der Bruder des Kaisers, der damals in Ihrer Hauptstadt befahl, erfuhr davon, fand die Geschichte plaisant und sandte mich in guter Absicht mit Briefen zum Kaiser. Auch diesem muß durch seine Umgebung oder den Prinzen der Vorfall bekannt geworden sein, und er war aus irgendeinem Grunde nicht unzufrieden, vielleicht weil ein Franzose sich darin weniger gewalttätig darstellte als die Deutschen, und erwies mir seitdem bei jeder Gelegenheit persönliche Gnade. Er behielt mich in seiner Nähe, dann wurde ich nach Italien und Spanien geschickt und schnell befördert. Der Kaiser vergißt nichts. Als vor dem Ausmarsch nach Rußland mein Regiment bei ihm vorüberzog, rief er mich heran und fragte mit einer wahrhaft liebenswürdigen Freundlichkeit: ›Oberst, wie geht es Ihrer deutschen Frau?‹ Und als ich antwortete: ›Meine Braut lebt noch in ihrer Heimat bei den Eltern‹, setzte er hinzu: ›Der Bräutigam war in der Fremde. Ich hoffe, wenn diese weite Promenade beendet ist, werden Sie der Kaiserin die Generalin Dessalle vorstellen.‹«



Der Doktor bezwang die innere Empörung. »Haben Sie nie daran gedacht,« sagte er bitter, »daß Ihr plötzlicher Einfall das Lebensglück eines Mädchens, welches Ihnen doch fremd war, zerstören konnte?« Der Franzose erhob sich in seinem Bett und sah den Arzt groß an: »Mein Herr, ich will die Dame zur Oberstin Dessalle machen.«



»Wenn aber sie selbst diese Ehre nicht zu würdigen weiß?«



Der Kranke legte sich wieder zurück und lächelte. »Ihr Vater hat mir in der Tat in den letzten Jahren so etwas in einem Briefe angedeutet, den ich in Spanien erhielt, und wie er schrieb, auch meinen Ring zurückgeschickt. Der Ring lag übrigens nicht in dem Briefe. Ich mußte antworten, daß ich diese Aufkündigung eines zarten Verhältnisses für allzu streng halte, den Ring meiner Braut bewahren und vorläufig meine Rechte gegen jedermann behaupten werde, bis ich Gelegenheit erhalte, von ihr selbst Erhörung zu erbitten. Ich nahm an, daß dies in kurzem möglich sein werde, und ahnte nicht, daß ich mich als Kranker ihr vorstellen würde.«



Der Doktor stand auf. Während er aber nach Haltung rang, um dem Egoismus des Fremden ruhig entgegenzutreten, sah er, daß ein Kranker vor ihm lag, dessen Arzt er war. Und er begnügte sich zu sagen: »In einigen Tagen darf die Familie benachrichtigt werden, dann werden Sie auch meinen Beistand entbehren können.«



Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, sagte der Franzose zu seinem Begleiter: »Dieser Mann ist mein Feind, und wir sind hier nicht in guten Händen.«



»Ach, Herr Oberst, wenn Sie wüßten, wie er um Sie gesorgt hat; oft kam er noch in der Nacht und saß mit gefalteten Händen an dem Bett, ihm verdanken wir, daß Sie alles überstanden haben.«



»Einerlei!« rief der Kranke; »ich will fort, alle Leute hier hassen uns. In dem Pfarrhause finden wir bessere Gesinnung.«



Der Doktor schrieb sogleich an den Senior, teilte die Krankheit und den Wunsch des Obersten mit, ersuchte um Entscheidung und verbarg dem Pastor nicht, daß zwar die Gefahr der Ansteckung bei nötiger Vorsicht geschwunden sei, daß aber der Aufenthalt des Obersten in der Pfarre der Familie doch vielleicht nachteilig sein könne.



Der Brief, welchen Bärbel zugleich mit einem andern an Henriette überbrachte, erregte im Pfarrhause große Bestürzung. Der Vater fühlte die Verpflichtung der Familie, aber auch, daß das Einlagern des kranken Franzosen in dieser Zeit eine schwere Sache sei; auch die Mutter hatte alten Hoffnungen beinahe entsagt, sie fürchtete die Ansteckung und Belästigung, die Tochter entschied: »Wenn er zu uns will, und wäre er ein Pestkranker, wir dürften es ihm nicht verweigern; hat er sein Leben für uns aufs Spiel gesetzt, so ist jetzt der Tag gekommen, wo wir es für ihn wagen müssen. Danken wir dem Himmel, daß er dies so gefügt hat, die Last der Verpflichtung uns leichter zu machen.« Bärbel aber schlug, als sie mit Henriette allein war, die Hände zusammen. »Wie kannst du das tun, den, welchen die Leute für deinen Bräutigam halten, ins Haus nehmen, während du einen andern lieber hast? Was soll dieser dazu sagen?«



»Ja, Bärbel,« rief Henriette, »gerade des andern wegen. Die beste Stube soll der Franzose haben und Pflege wie ein Bruder, das ist sein Recht.«



»Das ist nicht recht und wird nicht gut«, entschied Bärbel kopfschüttelnd und ging nach Hause, zum ersten Male unzufrieden mit ihrer Freundin.



Der Senior kam mit seinem Wagen nach der Stadt, den Kranken abzuholen. Er suchte zuerst den Doktor auf. »Wir dürfen uns dem Wunsche des Obersten nicht entziehen nach allem, was vorhergegangen ist, auch meine Tochter ist der Meinung. Würde Ihre Begleitung nicht vorteilhaft sein?« fragte er furchtsam. »Wir haben zwar gar keinen Anspruch darauf, ein so großes Opfer zu verlangen.«



»Hat Ihre Fräulein Tochter den Wunsch ausgesprochen?«



»Es fiel mir auf dem Wege ein,« sagte der Senior, »damit Sie an Ort und Stelle anordnen könnten, wie der Kranke gehalten werden soll.«



»Dafür ist meine Begleitung nicht nötig,« versetzte der Doktor finster, »sagen Sie Fräulein Henriette, daß ich, sobald sie meine Anwesenheit wünscht, zu jeder Stunde bereit bin. In den ersten Tagen bedarf der Kranke Schonung, auch aufregende Gespräche sind so viel als möglich zu vermeiden.«



Henriette ging den Tag über geschäftig durch das Haus, sie ließ sich nicht nehmen, das Zimmer für den Obersten und ein kleines daneben für den alten Franzosen selbst einzurichten und trug aus dem einfachen Hausrat alles zusammen, was irgendwie zur Bequemlichkeit eines werten Gastes dienen konnte. Die Mutter sah verwundert zu. »Ob sie insgeheim noch daran denkt, daß er sie zur Frau haben will?« Und sie fragte: »Willst du die blühende Hyazinthe nicht auf den Tisch stellen?«



Henriette verneinte: »Sie riecht zu stark in der Krankenstube.«



Wie der Abend kam, zündete sie in allen bewohnten Zimmern Lichter an, hing auch im Flur die große Laterne auf, so daß das Haus mit vielen leuchtenden Augen in die Finsternis hineinblickte. Dann setzte sie sich still hin, die Hände im Schoß gefaltet, und wartete.



Der Wagen fuhr vor, die Mutter eilte neugierig in den Flur, dort den Gast zu begrüßen. Henriette blieb wie ein Bild von Stein sitzen; es war derselbe Sessel, an dem sie damals auf dem Boden gelegen hatte, und dieselbe Stelle, auf welcher er ihr den Ring angesteckt. Da trat der Franzose ein, gestützt auf den alten Husaren; langsam erhob sie sich und verneigte sich wie gegen einen vornehmen Fremden. Auch der Franzose stand einen Augenblick festgebannt, die Augen flogen wie einst durch das Zimmer und hafteten auf dem tiefernsten Antlitz der Jungfrau vor ihm. »Haben Sie Nachsicht mit einem Kranken,« begann er in gemessenem Tone, »wenn er nach langem Aufenthalt unter Menschen, die ihm feindselig waren, alte Bekannte aufsucht, bei denen er menschliches Mitgefühl für sich erhofft.«



»Mein Vater und ich verdanken dem Oberst, daß wir heute hier stehen, Sie zu begrüßen; wenn der Aufenthalt in unserem Hause für Ihre Genesung irgend von Nutzen sein kann, so sind Sie uns als Gast willkommen.« Er verbeugte sich schweigend, sprach einige Worte zum Senior und der Hausfrau und bat dann, ihm zu gestatten, daß er auf sein Zimmer gehe. Dorthin geleiteten ihn die Eltern. Der Empfang war überstanden, Henriette war zufrieden, daß er ihr diesen leicht gemacht hatte, und bat still um Kraft, die nächsten Wochen zu ertragen.



Als der Oberst sich mit Hilfe des Alten auf dem Lager zurechtgerückt hatte, begann er trotz seiner Müdigkeit in guter Laune: »Nun, Vater, wie gefällt dir die Braut und das Hochzeitshaus?«



»Mademoiselle ist schön und entschlossen, sie ist die Herrin im Hause; daß sie dem Herrn Obersten ergeben ist, möchte ich nicht behaupten.«



»Aus dem Vater habe ich herausgehört, daß sie wenigstens keinen Freiwerber hat. Aber die guten Leute hier fühlen sich im Grunde auch belästigt durch unsere Gegenwart, und es kann wohl sein, daß sie bald Landesfeinde in uns sehen. Es tut nichts. Seit den traurigen Nächten im russischen Schlitten und in dem widerwärtigen Gasthofe kommt mir dies Bett vor, als stände es im Elternhause« – er streckte dem Diener die Hand entgegen – »ruhe auch du, mein Alter, dir tut es nicht weniger not als mir, und für die Zukunft vertrauen wir unserm alten Glück.«



Am andern Morgen wurde der Gast spät sichtbar. Henriette traf ihn im Zimmer des Vaters, er grüßte sie artig und sprach sie an mit der gewöhnlichen Aufmerksamkeit, welche ein Mann von Selbstgefühl der Tochter des Hauses zu widmen hat; dann redete er zum Vater weiter von den Beschwerden des letzten Feldzuges, ruhig und gehalten, nur einmal wurde er lebhafter, als er seinen Diener erwähnte. »Meinem Alten verdanke ich, daß ich nicht im Schnee zurückgeblieben bin. Ich war gestürzt und lag betäubt, da wußte er mir ein Gespann zu verschaffen – er hatte es nicht ohne Kampf mit anderen armen Teufeln gewonnen —, lud mich darauf und war durch viele öde Meilen mein Fuhrmann.«



»Er ist von Ihrem Regiment?« fragte der Senior.



»Er war Wachtmeister, als ich eins hatte; es ist dahin, hochwürdiger Herr. Der Alte aber und ich gehören noch in anderer Weise zusammen. Er ist mein Pflegevater, und wenn ihn diese Eigenschaft bei Ihnen irgendwie empfehlen kann, so bitte ich herzlich, lassen Sie es ihm zugute kommen.« Das versprach der Senior bereitwillig und fragte, ob er ihn an den Tisch ziehen sollte.



»Das würde er auf keinen Fall annehmen,« sagte der Oberst, »überlassen Sie ihm selbst, sich unterzubringen; er versteht gut, heimisch zu werden.«



»Das ist er schon,« versicherte der Senior, »und nicht von heut. Er findet auch die alte Magd wieder, die er früher mit seinem Französisch unterhalten hat.«



Der Oberst war aufgestanden und betrachtete die Bilder an der Wand; dem Senior war erfreulich, daß sein Gast die Erinnerungen an Doktor Luther so angelegentlich ins Auge faßte.



»Ich bin Protestant,« sagte der Oberst, sich umwendend, »und ich bin der Sohn eines Pfarrers. Mein Vater war ein strenger und trübsinniger Mann, der seinen wilden Knaben oft mit Härte behandelte. Dem Sohne wurde das Vaterhaus verleidet, und da er einst mit sechzehn Jahren wegen eines kleinen Vergehens schwere Züchtigung erlitten hatte, entlief er in dem kindischen Gedanken, sich allein durch die Welt zu schlagen, am liebsten als Soldat. Er gesellte sich zu dem Troß eines Regiments, das in den Krieg zog, es ging ihm elend, was ganz in der Ordnung war; bei einer Retirade wurde er durch den Schlag, den ihm ein Betrunkener versetzte, von dem Karren geworfen, auf den er hungernd und erschöpft gekrochen war. Wie er so verloren am Wege lag, fand ihn ein Unteroffizier von den leichten Reitern. Der Reiter nahm den Knaben mit sich und gewann ihn lieb wie einen Sohn, er wandte auf ihn, was er konnte, und bat für ihn bei seinen Vorgesetzten. Der Knabe wurde in eine Militärschule aufgenommen und trat in das Regiment, in welchem sein Pflegevater stand. Seitdem hat der Alte ihn behütet und für ihn gesorgt, mehr, als für sich selbst. Sein Pflegekind ist Oberst geworden und er ist immer noch Wachtmeister. Ich hoffe, wir beide bleiben beieinander, so lange wir leben.«



Als er so sprach, sah er auf seine Hand. Ihr Ring steckte daran. Da stand sie auf und verließ das Gemach.



In solcher Weise führten sich die beiden Fremden im Hause des Seniors ein. Der Oberst war fast den ganzen Tag auf seinem Zimmer, nur des Mittags und eine Stunde nach Tische erschien er in der Familie, er verstand aber, sich in dieser Zeit die gute Meinung der Eltern zu gewinnen. Da er bekannt hatte, daß er Protestant war, so wagte der Senior zuweilen einen kleinen Ausflug in Doktor Luthers Leben und Schriften; bei solchen Spaziergängen bewies der Gast eine bezaubernde Bereitwilligkeit mitzugehen, die nicht nur durch den Wunsch, zu gefallen, veranlaßt wurde. Offenbar war ihm selbst diese Art der Unterhaltung angenehm, weil sie ihn an die eigene Knabenzeit erinnerte oder weil ihm solche liebevolle Hingabe an längst vergangene Zustände etwas Neues war. Das Herz der Mutter gewann er ganz und gar. Er war demütig dankbar für jede Freundlichkeit, die er von ihr empfing; er wollte nicht leiden, daß sie ihm etwas zutrug, und zeigte sich trotz seiner Schwäche stets beflissen, ihr ein Aufstehen und einige Schritte Weges zu ersparen. Henriette fragte sich: Ist dies die Artigkeit eines gewandten Mannes oder ist es Gutherzigkeit? Bis er einmal, als die Frau Pastorin dagegen protestierte, daß er ihr ein Glas Wasser herbeiholte, angelegentlich bat: »Erlauben Sie mir das; ich habe durch meine Schuld zu früh das Glück verloren, meiner Mutter die Pflichten des Sohnes zu erfüllen, und mir ist jetzt zumute, als könnte ich hier das Versäumte nachholen.«

 



Aber auch Henriette vermochte die kalte Förmlichkeit nicht zu behaupten, die sie in den ersten Tagen gegen ihn gezeigt hatte. Wenn er in anmutiger Nachlässigkeit über Wildes und Gefährliches sprach, das er erlebt hatte, oder wenn er kleine drollige Geschichten erzählte, was er gut verstand, und dabei einmal unbefangen wie ein Kind lachte, so mußte sie sich selbst zugeben, daß er in solchen Augenblicken wahrhaft liebenswürdig war. Sie selbst behandelte er mit gleichförmiger Artigkeit, ohne sie durch auffallende Zuvorkommenheit scheu zu machen, aber in dieser leichten und sicheren Weise lag etwas, was ihr Angst machte; er betrachtete sie im Grunde immer als ihm angehörig, und sie kam sich vor wie ein gefangener Vogel, der aus dem Bauer in eine geräumige Stube versetzt ist, feste Wände umgeben ihn doch von allen Seiten.



Doch ganz unverändert blieb sein Wesen ihr gegenüber auch nicht; sie merkte, daß sie ihm gefiel, aber sie ahnte nicht, wie sehr. Wenn sie kam und ging, folgte ihr sein bewundernder Blick; wenn sie gesprochen hatte, saß er lauschend, als klänge ihre Rede in seiner Seele nach; wenn er, durch Vater oder Mutter veranlaßt, etwas erzählte und lebhaft wurde, wandte er sich unwillkürlich an sie, als ob nur sie vorhanden sei. Nach einer rauhen Woche voll Sturm und Regen schien die Sonne warm an die Scheiben, da ging er zum erstenmal hinaus in den Garten, und wie er wieder in das Zimmer trat, überreichte er ihr ein Schneeglöckchen und sagte dabei: »Erlauben Sie, daß ich den Raub von den Beeten an die Herrin zurückgebe. Es ist ein guter Name, den die Blume im Deutschen hat; wenn das Glöckchen geläutet hat, stellt sich nach und nach die ganze Gemeinde auf den Beeten ein. Lassen Sie mich hoffen, daß auch mir nach dem ersten winterlichen Gruß hier eine wärmere Neigung erblühe.« Henriette hatte keine andere Antwort als eine stumme Verneigung, aber in ihrem Zimmer schritt sie unruhig auf und nieder. Was hatte sie auf sich genommen? So durfte das nicht fortgehen, die Not wurde größer als sie je gewesen; von den Eltern hatte sie keine Hilfe zu erwarten, sie selbst mußte dem Fremden jede Hoffnung benehmen. Aber ihr bangte vor der Stunde.



Während sich in dem Pfarrhause ein stiller Kampf vorbereitete, fuhr draußen in Stadt und Land der Frühlingssturm durch die Seelen. Der König war in die Provinz gekommen, das Volk rüstete zum Kampf.



Der Senior hatte in seinem Zartgefühl zum Gast nie über das Große gesprochen, was draußen in der Welt vorging; Besuch von Bekannten hatte sich nicht eingestellt, und die Familie lebte so allein, als wäre mit dem Pfarrdorf auch die ganze Umgegend in eine Wüstenei verwandelt. Der Senior wunderte sich zuletzt darüber, und sagte zur Tochter: »Auch keiner von den Amtsbrüdern läßt sich sehen.«



»Weil der Franzose bei uns wohnt«, antwortete Henriette traurig. »Das Haus ist den Nachbarn verleidet.«



»Von seiner Krankheit ist doch Ansteckung nicht mehr zu befürchten,« sagte der Vater, »und wenn die Leute mit dem Obersten bekannt wären, würden sie über den freundlichen Mann anders urteilen.«



Sooft die Zeitung in die Pfarre kam, bat der Oberst darum und brachte sie schweigend zurück. Es stand wenig darin, er las doch daraus, daß er in Gefahr sei, Kriegsgefangener zu werden. Das sagte ihm auch sein Begleiter. »Als am So